26.12.2013 Aufrufe

Fälle zum unmittelbaren Ansetzen mit Lösung

Fälle zum unmittelbaren Ansetzen mit Lösung

Fälle zum unmittelbaren Ansetzen mit Lösung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 1 von 7<br />

Fall 1: K will seinen Bruder A erstechen.<br />

a) Zur Ausführung der Tat kauft er sich ein langes Fleischermesser.<br />

b) Am nächsten Tag setzt er sich in sein Auto und fährt<br />

in den fünfzig Kilometer entfernten Wohnort des A.<br />

c) Dort angekommen, begibt er sich zu dem Mehrfamilienhaus,<br />

in dem A wohnt. Er beabsichtigt, unten an der<br />

Haustür bei irgendjemandem zu klingen, dann die Treppen<br />

bis <strong>zum</strong> Appartement des A hochzusteigen, dort erneut<br />

zu klingen und den öffnenden ahnungslosen A sofort<br />

zu erstechen. Ihm wird jedoch von niemandem geöffnet.<br />

d) Ein paar Stunden später gelingt es ihm, durch die gerade<br />

offen stehende Haustür in das Treppenhaus zu gelangen.<br />

Mit gezogenem Messer stellt er sich vor die<br />

Appartementtür des A und klingelt. Er beabsichtigt immer<br />

noch, den A sofort nach dem Öffnen zu erstechen.<br />

A ist jedoch im Urlaub.<br />

Strafbarkeit des A gem. § 212?


BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 2 von 7<br />

<strong>Lösung</strong>sskizzen zu 1a) und 1d)<br />

Fall 1a)<br />

Strafbarkeit des K gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB 1<br />

K könnte sich dadurch, dass er sich ein langes Fleischermesser gekauft hat,<br />

wegen versuchten Totschlags an A strafbar gemacht haben.<br />

I. Vorprüfung<br />

1. Nichtvollendung der Tat<br />

Die Tat ist noch nicht vollendet, wenn der objektive Tatbestand noch<br />

nicht vollständig erfüllt ist. A lebt noch, so<strong>mit</strong> ist der objektive Tatbestand<br />

des Totschlags an ihm mangels Erfolges noch nicht erfüllt.<br />

2. Strafbarkeit des Versuchs, §§ 23 I, 12<br />

Versuchter Totschlag müsste strafbar sein. Der Versuch eines Verbrechens<br />

ist nach § 23 I 1. Alt immer strafbar, der Versuch eines Vergehens<br />

nach § 23 I 2.Alt. nur wenn dies im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist.<br />

Ein Verbrechen liegt gem. § 12 I vor, wenn eine Mindeststrafe von 1 Jahr<br />

oder darüber angedroht wird. Totschlag ist gem. § 212 I <strong>mit</strong> einer Freiheitsstrafe<br />

von mindestens 5 Jahren bedroht. So<strong>mit</strong> handelt es sich um ein<br />

Verbrechen, so dass der versuchte Totschlag strafbar ist.<br />

I. Tatbestandsmäßigkeit<br />

1. Tatentschluss<br />

(=“Subjektiver Tatbestand”)<br />

K könnte Tatentschluss in Bezug auf einen Totschlag an A besessen haben.<br />

Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter Vorsatz bezüglich aller ob-<br />

1 §§ Ohne Gesetzesnennung sind solche des StGB.


BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 3 von 7<br />

jektiven Tatbestandsmerkmale hat und alle besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />

gegeben sind. Besondere subjektive Merkmale sind<br />

beim Totschlag nicht notwendig. Vorsatz liegt <strong>zum</strong>indest vor beim Wollen<br />

der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes in Kenntnis der nötigen<br />

Tatumstände.<br />

K wollte <strong>mit</strong> dem Messer auf A einstechen. Er hat also Vorsatz in Bezug<br />

auf eine lebensgefährliche Handlung. Des Weiteren sollte nach der Vorstellung<br />

des K der A zu Tode kommen. K hatte da<strong>mit</strong> auch Vorsatz in Bezug<br />

auf den tatbestandlichen Erfolg des § 212 I. Schließlich müsste K<br />

auch Vorsatz hinsichtlich der Kausalität seiner Handlung haben. Kausal<br />

ist eine Handlung, welche nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass<br />

der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hier hatte<br />

K Vorsatz in Bezug darauf, dass seine Handlung, der Stich <strong>mit</strong> dem Messer<br />

gegen seinen Bruder, nicht würde hinweggedacht werden können, ohne<br />

dass der Erfolg, der Tod des A entfiele. Er hatte da<strong>mit</strong> auch Vorsatz in<br />

Bezug auf die Kausalität seiner Handlung. Tatentschluss hinsichtlich eines<br />

Totschlags ist daher gegeben.<br />

2. Un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> zur Tatbestandsverwirklichung, § 22<br />

(=„Objektiver Tatbestand” des Versuchs)<br />

Der Täter muss nach seiner Vorstellung von der Tat un<strong>mit</strong>telbar angesetzt<br />

haben. Dies könnte durch den Kauf des Fleischermessers geschehen sein.<br />

Un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> ist gegeben, wenn der Täter subjektiv die<br />

Schwelle <strong>zum</strong> “jetzt geht’s los” überschritten hat und objektiv zur tatbestandsmäßigen<br />

Handlung ansetzt, so dass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte<br />

in die Tatbestandserfüllung übergeht und das Rechtsgut (bzw.<br />

das Angriffsobjekt) aus seiner Sicht schon konkret gefährdet ist. Ein Versuch<br />

liegt da<strong>mit</strong> vor, wenn der Täter Handlungen begeht, die im ungestörten<br />

Fortgang un<strong>mit</strong>telbar zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen


BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 4 von 7<br />

oder in un<strong>mit</strong>telbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang <strong>mit</strong> ihr<br />

stehen. K wollte A zwar <strong>mit</strong> dem Messer töten. Allerdings hätte er nach<br />

seiner Vorstellung nach dem Kauf des Fleischermessers erst 50 km <strong>zum</strong><br />

Wohnort des A fahren, das Haus des A aufsuchen, dort an der Haustür<br />

des Mehrfamilienhauses klingeln, dann - nachdem ihm ein Nachbar geöffnet<br />

hätte - <strong>zum</strong> Appartement des A hochgehen, dort wiederum klingeln<br />

und zuletzt - nachdem der A geöffnet hätte – zustechen müssen. Erst<br />

durch das Zustechen hätte K nach seiner Vorstellung A getötet und da<strong>mit</strong><br />

der objektive Tatbestand des Totschlages verwirklicht. Hier lagen also<br />

nach der Vorstellung des noch viele wesentliche Zwischenschritte zwischen<br />

dem Kauf des Messers und der vorgestellten Tötungshandlung. Zudem<br />

bestand nach dem damaligen Plan des K auch eine erhebliche räumliche<br />

und zeitliche Distanz zwischen dem Kauf und dem Zustechen. Allein<br />

durch den Kauf hatte K noch keine tätige Beziehung zu A als Angriffsobjekt<br />

aufgenommen und dieser schien durch den Kauf aus der<br />

Sicht des K auch noch nicht konkret gefährdet. So<strong>mit</strong> ist durch den Kauf<br />

des Fleischermessers noch kein un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> gegeben und K<br />

handelte so<strong>mit</strong> noch nicht tatbestandsmäßig.<br />

II. Ergebnis<br />

Durch den Kauf des Fleischermessers hat sich K nicht strafbar gemacht.


BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 5 von 7<br />

Fall 1d)<br />

Strafbarkeit des K gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB<br />

K könnte sich dadurch, dass er sich <strong>mit</strong> gezogenem Messer vor die Wohnung<br />

des A stellte und dort klingelte, um den A sogleich zu erstechen, wenn<br />

er öffnen würde, wegen versuchten Totschlags an A strafbar gemacht haben.<br />

I. Vorprüfung<br />

S. o.<br />

I. Tatbestandsmäßigkeit<br />

1. Tatentschluss<br />

A wollte den K noch immer töten, er war so<strong>mit</strong> noch immer zur Tat entschlossen<br />

(vgl. oben).<br />

2. Un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> zur Tatbestandsverwirklichung, § 22<br />

(=„Objektiver Tatbestand” des Versuchs)<br />

Der Täter muss nach seiner Vorstellung von der Tat un<strong>mit</strong>telbar angesetzt<br />

haben. Dies könnte dadurch geschehen sein, dass K sich <strong>mit</strong> gezogenem<br />

Messer vor die Wohnung des A stellte und dort klingelte, in der Erwartung,<br />

A würde öffnen, um den A dann sogleich zu erstechen. (Zur Definition<br />

des <strong>un<strong>mit</strong>telbaren</strong> <strong>Ansetzen</strong>s vgl. oben). Daran könnte man auf den<br />

ersten Blick zweifeln, da der A sich im Urlaub befand und daher objektiv<br />

gar nicht gefährdet war und durch das Klingeln auch keine tatsächliche<br />

tätige Beziehung zu A als Angriffsobjekt aufgenommen wurde. Allerdings<br />

wird durch § 22 klargestellt, dass die Vorstellung des Täters Grundlage<br />

für die Beurteilung des <strong>un<strong>mit</strong>telbaren</strong> <strong>Ansetzen</strong>s ist, diese Grundlage<br />

wird nur objektiv beurteilt. Nach der Vorstellung des K wäre der A zu<br />

Hause gewesen, an das Klingeln hätte sich sofort und am gleichen Ort das


BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 6 von 7<br />

Erstechen als Ausführungshandlung angeschlossen. Hier lagen also nach<br />

der Vorstellung des A keine wesentlichen Zwischenschritte zwischen<br />

dem Klingeln und der vorgestellten Tötungshandlung. Zudem bestand<br />

nach der Vorstellung des K auch eine erhebliche räumliche und zeitliche<br />

Nähe zwischen dem Klingeln und dem Zustechen. So<strong>mit</strong> hatte K dadurch,<br />

dass er klingelte und auf A <strong>mit</strong> gezogenen Messer wartete, nach seiner<br />

Vorstellung schon eine tätige Beziehung zu A als Angriffsobjekt aufgenommen<br />

und dieser aus der Sicht des K auch schon konkret gefährdet.<br />

So<strong>mit</strong> hat K um<strong>mit</strong>telbar zur Tötung des A angesetzt.<br />

3. Zwischenergebnis<br />

K hat so<strong>mit</strong> daher tatbestandsmäßig im Sinne des Versuches eines Totschlages<br />

gehandelt.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe<br />

sind nicht erkennbar.<br />

III. Rücktritt<br />

K könnte strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein. Hierzu müsste<br />

er freiwillig vom Versuch zurückgetreten sein und der Versuch dürfte<br />

auch nicht fehlgeschlagen sein. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die<br />

zur Ausführung der Tat vorgenommenen Handlungen ihr Ziel nicht erreicht<br />

haben und der Täter erkennt, dass er <strong>mit</strong> den ihm zur Verfügung<br />

stehenden Mitteln den tatbestandlichen Erfolg entweder gar nicht oder<br />

<strong>zum</strong>indest nicht ohne zeitlich relevante Zäsur herbeiführen kann. K konnte<br />

A nicht im <strong>un<strong>mit</strong>telbaren</strong> Zusammenhang <strong>mit</strong> seinem Versuch mehr töten,<br />

da der A im Urlaub war und K auch merkte, dass ihm niemand öffnete.<br />

Der Versuch so<strong>mit</strong> war aus der Sicht des K schon fehlgeschlagen und<br />

er hat auch nicht aus autonomen, sondern fremdbestimmten Gründen,<br />

<strong>mit</strong>hin nicht freiwillig die Tötung des A nicht verwirklicht. So<strong>mit</strong> ist K<br />

auch nicht strafbefreiend zurückgetreten.


IV. Ergebnis<br />

BK Strafrecht WS 04/05 - 10. Woche<br />

10_a: Weitere <strong>Fälle</strong> <strong>zum</strong> Versuch - un<strong>mit</strong>telbares <strong>Ansetzen</strong> - S. 7 von 7<br />

K hat sich dadurch, dass er dem A vor dessen Tür <strong>mit</strong> gezücktem Messer<br />

auflauerte und klingelte, wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212, 22,<br />

23 strafbar gemacht [§ 211 war nach Aufgabenstellung nicht zu prüfen.]

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!