Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

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eligiösen Gewaltkonflikten. 13 Es war also eine Toleranz, welche die Unterschiede zwischen Hindus und Muslimen – religiöse Wertvorstellungen, soziale Strukturen, politische Ungleichheit – ebenso einschloss wie die Gemeinsamkeiten des nahen Beieinanderlebens, gemeinsamer Pilgerschaft und gemeinsamer Heiliger und Asketen. Dieses Zusammenleben beginnt Ende des 19. Jahrhunderts zu zerbechen. Inzwischen sind die Engländer die Herren im Land, und die scharfe Unterdrückung nach der ‚Mutiny’ von 1857 – dem „ersten indischen Unabhängigkeitskrieg“, wie sie in Indien heisst – trifft beide Gemeinschaften gleichermassen. Dies fördert den Zusammenhalt, und er wird durch eine gemeinsame Reformbewegung gestärkt. Erst als 1886 die autonomistische Kongress-Partei gegründet wird, fühlt sich die Kolonialmacht herausgefordert. Sie versucht, den aufkeimenden politischen Widerstand zu brechen und setzt dabei den politischen Hebel dort an, wo sie die klarsten Trennlinien erkennt – bei den Unterschieden zwischen Muslimen und Hindus. Es war der klassische Ausdruck des imperialen „Divide and Rule“, indem die Minderheit offen gegen die Hindu-Mehrheit gefördert wurde. Als Erstes wurde die Volkszählung eingeführt, um damit die verschiedenen Volksgruppen, unter anderem nach Religionszugehörigkeit, zu kategorisieren. 14 Dann verfügte die Kolonialverwaltung, dass die beratenden Versammlungen aus gewählten Mitgliedern der verschiedenen Religionsgruppen bestehen sollten. Um die Wahl von Muslimen sicherzustellen, kam es dabei zu einer Neuabgrenzung von Wahlbezirken und zur Einführung von ‚reservierten’ Wahlkreisen. Es war eine regelrechte ‚Konstruktion religiöser Unterschiede’, 13 14 Hassan, Mushirul. Zitat aus seinem Vortrag „The Partition of India“. Delhi 1998. Die Begriffe ‚Hindu’ und ‚Hinduismus’ waren damals noch nicht stabilisiert. Die ursprüngliche Bedeutung war ‚Bewohner des Landes der Indus-Region’ und war geographisch und nicht religiös gemeint. Daher bezeichneten sich die Bewohner bis zum Ende des letzten Jahrhunderts mit ihren Kasten- oder ethnischen Namen und nicht mit den religiösen. So kam es, dass in der Volkszählung von 1911 muslimische Hirten-Clans in Gujarat sich als „mohammedanische Hindus“ bezeichneten. Natürlich gab es die Unterschiede zwischen den Religionen in der täglichen Praxis. Aber mit Ausnahme der Eliten fehlte das Bewusstsein einer einheitlichen hinduistischen Religion – und sie fehlt in weiten Teilen des Landes bis heute: dort spricht man von Shivaiten, Vaishnaviten, Anhängern einzelner Gottheiten oder sogar Anhängern keiner Gottheiten. Was die Volkszählung bewirkte, sagt der Kultursoziologe Ashis Nandy, nämlich „die Einführung dualistischer Entweder-oder-Kategorien, als sei dies die natürliche Ordnung der Dinge“ (Nandy, Ashis. The Politics of Secularism and the Recovery of Religious Tolerance. In: Veena Das (Hg.). Mirrors of Violence. Delhi 1990. S. 70). 72

und sie war erfolgreich. Die Muslime begrüssten den politischen Schutz gegen die ‚Übermacht’ der Hindus, während die Hindus in diesem Spaltversuch einen Verrat der Muslime gegen die Autonomie-Bewegung sahen. Bis in die zwanziger Jahre hinein konnte die Kongress-Partei diese wachsenden Spannungen durch die moralische und politische Autorität Mahatma Gandhis und Jawaharlal Nehrus noch zusammenhalten. 4.2 Die Geburt Pakistans Dann allerdings begann die Front zu bröckeln. Nehru wollte die Risse kitten, indem er das Prinzip des Säkularismus als Eckstein der Kongress-Ideologie einführte. Aber es war eine westlich-aufklärerische Definition, die der Agnostiker dem Begriff gab: Jedes religiöse Element wird aus dem politischen Diskurs verbannt. Für die Hindu-Radikalen in der Partei war es eine Neutralisierung der religiösen Kultur durch den Westen. 1925 wurde der Rashtriya Swayamsevak Sangh – das Nationale Freiwilligenkorps, kurz „RSS“ genannt – gegründet. Der RSS ist bis heute die wichtigste radikal-hinduistische Kaderorganisation geblieben. Doch auch die Muslim-Vertreter bekämpften das Konzept, da es ihnen das Recht auf religiös-demarkierte Wahlbezirke nahm. Mohammed Ali Jinnah nutzte den Dissens, um den Kongress zu verlassen und seine eigene Muslim Liga zu gründen. Seine These: Die Minderheit ist in einem von Hindus dominierten Staat nicht sicher – die Muslime brauchen daher eine ‚Heimat’ in Form eines separaten Staats – die Idee Pakistans war geboren. Der Kongress erreichte zwar das Ziel der Unabhängigkeit des Landes, aber es war um den Preis der Einheit Indiens. 15 Die Stunde des grössten Triumphs wurde zur Stunde der Teilung und damit der Millionen von Toten und Vertriebenen. Zudem sollten beide Länder, Indien und Pakistan, diese Zäsur fortan unterschiedlich interpretieren – für Pakistan war es ein Triumph, für Indien war es eine Tragödie. Die Unterschiede zwischen Hindus und Muslimen wurden nun quasi durch politische Grenzzäune gefestigt und durch die Verfassung legitimiert. Und was noch verhängnisvoller werden sollte: nur die früheren muslimischen Mehrheitsprovinzen im Westen und Nordosten des Landes fielen an Pakistan; die Hälfte der Muslime des Subkontinents blieb in Indien, nun einer 15 Hassan, Mushirul. India’s Partition. Delhi 1993. 73

eligiösen Gewaltkonflikten. 13 Es war also eine Toleranz, welche die Unterschiede<br />

zwischen Hindus und Muslimen – religiöse Wertvorstellungen, soziale<br />

Strukturen, politische Ungleichheit – ebenso einschloss wie die Gemeinsamkeiten<br />

des nahen Beieinanderlebens, gemeinsamer Pilgerschaft und gemeinsamer<br />

Heiliger und Asketen.<br />

Dieses Zusammenleben beginnt Ende des 19. Jahrhunderts zu zerbechen. Inzwischen<br />

sind die Engländer die Herren im Land, und die scharfe Unterdrückung<br />

nach der ‚Mutiny’ von 1857 – dem „ersten indischen Unabhängigkeitskrieg“,<br />

wie sie in Indien heisst – trifft beide Gemeinschaften gleichermassen. Dies<br />

fördert den Zusammenhalt, und er wird durch eine gemeinsame Reformbewegung<br />

gestärkt. Erst als 1886 die autonomistische Kongress-Partei gegründet<br />

wird, fühlt sich die Kolonialmacht herausgefordert. Sie versucht, den aufkeimenden<br />

politischen Widerstand zu brechen und setzt dabei den politischen Hebel<br />

dort an, wo sie die klarsten Trennlinien erkennt – bei den Unterschieden<br />

zwischen Muslimen und Hindus. Es war der klassische Ausdruck des imperialen<br />

„Divide and Rule“, indem die Minderheit offen gegen die Hindu-Mehrheit<br />

gefördert wurde.<br />

Als Erstes wurde die Volkszählung eingeführt, um damit die verschiedenen<br />

Volksgruppen, unter anderem nach Religionszugehörigkeit, zu kategorisieren. 14<br />

Dann verfügte die Kolonialverwaltung, dass die beratenden Versammlungen<br />

aus gewählten Mitgliedern der verschiedenen Religionsgruppen bestehen sollten.<br />

Um die Wahl von Muslimen sicherzustellen, kam es dabei zu einer Neuabgrenzung<br />

von Wahlbezirken und zur Einführung von ‚reservierten’<br />

Wahlkreisen. Es war eine regelrechte ‚Konstruktion religiöser Unterschiede’,<br />

13<br />

14<br />

Hassan, Mushirul. Zitat aus seinem Vortrag „The Partition of India“. Delhi 1998.<br />

Die Begriffe ‚Hindu’ und ‚Hinduismus’ waren damals noch nicht stabilisiert. Die ursprüngliche<br />

Bedeutung war ‚Bewohner des Landes der Indus-Region’ und war geographisch und nicht<br />

religiös gemeint. Daher bezeichneten sich die Bewohner bis zum Ende des letzten Jahrhunderts<br />

mit ihren Kasten- oder ethnischen Namen und nicht mit den religiösen. So kam es, dass<br />

in der Volkszählung von 1911 muslimische Hirten-Clans in Gujarat sich als „mohammedanische<br />

Hindus“ bezeichneten. Natürlich gab es die Unterschiede zwischen den Religionen in der<br />

täglichen Praxis. Aber mit Ausnahme der Eliten fehlte das Bewusstsein einer einheitlichen<br />

hinduistischen Religion – und sie fehlt in weiten Teilen des Landes bis heute: dort spricht<br />

man von Shivaiten, Vaishnaviten, Anhängern einzelner Gottheiten oder sogar Anhängern keiner<br />

Gottheiten. Was die Volkszählung bewirkte, sagt der Kultursoziologe Ashis Nandy, nämlich<br />

„die Einführung dualistischer Entweder-oder-Kategorien, als sei dies die natürliche<br />

Ordnung der Dinge“ (Nandy, Ashis. The Politics of Secularism and the Recovery of Religious<br />

Tolerance. In: Veena Das (Hg.). Mirrors of Violence. Delhi 1990. S. 70).<br />

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