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Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

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geistigem Anspruch und nackter Gewalt zu verstehen, das der indische Staatsgründer<br />

Jawaharlal Nehru bezüglich der Religion formuliert hat: „Die Geschichte<br />

zeigt uns, dass Religion, die uns zu guten und noblen Menschen<br />

machen sollte, uns oft zu Bestien verwandelt hat. Statt die Menschen zu erleuchten,<br />

hat sie sie im Dunkeln gelassen, statt sie zur Toleranz zu erziehen, hat<br />

sie sie oft engstirnig gemacht.“ 5<br />

2.2 Religion als „way of life“...<br />

Im Westen hat der Prozess der Säkularisierung die religiöse Funktion immer<br />

mehr in den Bereich des Privaten zurückgedrängt und die soziale Rolle weitgehend<br />

auf institutionelle Rituale – wie zum Beispiel den Kirchenbesuch – beschränkt.<br />

Im Gegensatz dazu ist Religion in traditionellen Gesellschaften immer<br />

noch eine totale Lebensform, ein „way of life“, der keine strikten Grenzen zwischen<br />

dem Sakralen und dem Profanen zulässt und jeden Lebensbereich durchtränkt.<br />

Für Indien gibt es zahllose Beispiele dafür. Ich möchte dies hier kurz mit<br />

einem Zitat aus der Autobiographie des Theater- und Opern-Regisseurs Peter<br />

Brook illustrieren. Als Brook seine Inszenierung des „Mahabharata“ vorbereitete,<br />

bereiste er mit seinem Ensemble Indien. Im südindischen Madurai beschloss<br />

die Gruppe, mit Proben zu beginnen. „Wir verliessen die Stadt und wanderten<br />

in einen nahen Wald“, schreibt Brook in ‚Threads of Time’. „Wir fanden bald<br />

eine Lichtung und gaben uns als Einstieg zum Proben eine Übung, in der jeder<br />

unter den Bäumen einen Gegenstand suchte und ihn dann am Rand der Lichtung<br />

zu einem Haufen stapeln sollte. Kaum waren wir damit zu Ende, trat, wie<br />

aus dem Nichts, eine alte Frau aus dem Wald hervor. Sie warf sich vor unserem<br />

selbstgemachten Holzhaufen nieder. Nach einer Weile erhob sie sich, trat zurück<br />

– und war weg. Wir blieben zurück und realisierten betroffen, dass wir den<br />

unzähligen indischen Tempelschreinen soeben einen weiteren hinzugefügt hatten.“<br />

6<br />

Die meisten von Ihnen, die Indien kennen, könnten zweifellos über ähnliche<br />

Erfahrungen und Szenen berichten. Indien bietet noch heute die – selten<br />

5<br />

6<br />

Nehru, Jawaharlal. The Discovery of India; zit. nach N. N. Vohra et. al. Religion and Politics<br />

in South Asia. Delhi 1997. S. 128.<br />

Brook, Peter. The Threads of Time. Washington 1997.<br />

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