26.12.2013 Aufrufe

Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

sein statt einer persönlichen Orientierungsinstanz. Insofern ist das, was als religiöser<br />

Fanatismus erscheint, oder als Fundamentalismus, das Gegenteil dessen,<br />

was es vorgibt zu sein: Statt eines Symbols für den Kampf gegen die Verwestlichung<br />

ist es ein Symptom für diese Verwestlichung. Das bringt uns zurück zum<br />

Beginn, als die Feststellung gemacht wurde, dass heute 90% der religiösen Unruhen<br />

in Städten und Industrieagglomerationen stattfinden – dem urbanen Raum<br />

also, in dem die Verwestlichung – Familien, Konsum, Arbeit, Schulen, Freizeit<br />

– am weitesten fortgeschritten ist.<br />

7 Schluss<br />

Es ist ein Szenario, das auch in Südasien nicht zu optimistischen Prognosen<br />

Anlass gibt. Die hinduistische Kultur Indiens kann zweifellos noch nicht abgeschrieben<br />

werden – dafür hat sie sich während 5000 Jahren als viel zu widerstandsfähig<br />

erwiesen. Sie hat ihr spirituelles Potential noch nicht eingebüsst,<br />

und sie hat auch noch eine breite Basis in der weiten Landschaft der Dörfer.<br />

Und ich muss hier wiederum daran erinnern, dass meine Darstellung nur eine<br />

kleine Bevölkerungsschicht betrifft und dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung<br />

sich bisher der Versuchung versperrt hat, ihre tolerante Sichtweise einer<br />

„exklusivistischen“ zu opfern. Aber bei einer Bevölkerung von knapp einer<br />

Milliarde Menschen können auch kleine Minderheiten ein beträchtliches zerstörerisches<br />

Potential entwickeln. Und es besteht kein Zweifel, dass der „way of<br />

life“, die enge Verbindung von individueller und sozialer Identität, die wir zu<br />

Beginn als typisch für traditionelle Gesellschaften definiert haben, auseinanderfällt.<br />

Während die spirituelle Funktion für den einzelnen vielleicht wie bei uns<br />

im Westen erhalten bleibt, wird die gemeinschaftsstiftende von den Abwehr-<br />

Ideologen besetzt.<br />

Damit wird Religion nur noch eine Chiffre der Angst – einer Angst vor dem<br />

Neuen, dem Unbekannten, von dem man nur weiss, dass es den „way of life“<br />

verändert, gefährdet, vielleicht zerstört. Es wäre schön, wenn es dabei nur um<br />

den Konflikt zwischen Tradition und Moderne ginge, den jede Gesellschaft seit<br />

Tausenden von Jahren durchlaufen hat. Doch im Westen konnte dieser Prozess<br />

unter dem Schirm einer christlichen Zivilisation ablaufen, welche ihn in einen<br />

kulturellen Sinnhorizont stellte. Im Fall der Länder Südasiens läuft dieser<br />

Konflikt ohne diesen Zusammenhang ab, als Zusammenprall verschiedener<br />

solcher Sinnhorizonte oder, wenn man will, Zivilisationen. Und er entwickelt<br />

86

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!