Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich
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wie die Hindus ihre Göttinnen ansprechen. Bei den Morgenübungen der RSS-<br />
Kader wird nicht ein göttliches Symbol – Feuer, ein Stein, eine Gottesstatue –<br />
verehrt, sondern die Nationalflagge. Anstelle der Götter, anstelle des Staates<br />
entsteht eine Nation, die sich nicht im Begriffe des Staates äussert, sondern in<br />
der vergöttlichten Nation.<br />
5.2.2 Modernität als Gegner<br />
Diese Verklammerung von Nation und Religion soll die neue Ideologie darstellen,<br />
welche Indien wieder mit seinen Wurzeln verbindet und in die Zukunft<br />
blicken lässt. Warum aber diese plötzlichen Angriffe auf Christen – eine Gruppe,<br />
die nicht nur marginal ist, sondern deren Kirchen diese Verbindung von<br />
Nation/Religion längst über Bord geworfen haben? Weshalb in zehn Monaten<br />
150 Angriffe auf christliche Institutionen, wenn es in den fünfzig Jahren davor<br />
nur zehn gab? 25 Bei einer Grossversammlung von radikalen Hindu-<br />
Organisationen im Februar 1999 in Ahmedabad (Gujerat) begründeten eine<br />
Reihe von Sprechern die Angriffe auf Christen als eine Antwort auf die „weltweite<br />
Kampagne des Westens, der mit wirtschaftlichen Mitteln Indien erobern<br />
will und die Kirchen einsetzt, um Indien geistig ein zweites Mal zu kolonialisieren.<br />
Was die Missionare mit ihrer Missionierung tun, tun die multinationalen<br />
Konzerne mit ihren Konsumgütern.“<br />
Zum ersten Mal kam damit in dieser Klarheit zum Ausdruck, dass der eigentliche<br />
Feind der Westen ist. Es ist naheliegend, den Frontwechsel vom Muslim<br />
zum Christen als Reaktion auf die wirtschaftliche Liberalisierung Indiens seit<br />
den frühen neunziger Jahren zu interpretieren, als Reaktion auf das massive<br />
Eindringen von Konsumgütern, Fernsehkanälen und Hollywood-Streifen. Für<br />
den RSS verdrängt die westliche Kultur mit ihren mächtigen Konsumsymbolen<br />
und den Werten, die sie mit ihnen transportiert, den Islam als Gefahr. Bereits<br />
der RSS-Ideologe H. V. Seshadri hatte 1988 in seinem Buch „A Vision in Action“<br />
angedeutet, 26 dass der Muslim sich als psychologischer Gegner eignen<br />
mag, damit sich die Hindus um ihre eigene Religion scharen. Der „zivilisatorische“<br />
Gegner sei aber nicht der Islam, sondern der Westen – die ehemaligen<br />
Kolonialmächte, ihre technologische, politische, kulturelle und wirtschaftliche<br />
25<br />
26<br />
Oommen, T. K. Times of India. 27.3.1999.<br />
Seshadri, H. V. Vision in Action. Bangalore 1988.<br />
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