Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich

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26.12.2013 Aufrufe

Folge waren wachsende Unruhen, die sie schliesslich mit dem Ausnahmezustand zu brechen versuchte. Damit büsste die Kongresspartei auch ihre wirtschaftliche Legitimität ein, nachdem sie bereits den Säkularismus als politische Idee aufgeweicht hatte. Von nun an sollte das Phänomen der Unterentwicklung in all seinen Formen zu einem wachsenden Faktor werden, der auch den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften immer mehr beeinflusste – ich erinnere nur an die Rede von Sadhvi Rithambara mit ihrer Obsession über die Besetzung des Bevölkerungsraums durch die „kinderbrütenden“ Muslime. Betroffen waren dabei nicht nur die Armen in den Slums und Dörfern, sondern die politisch aktiven städtischen Mittelschichten. Sie hatten den Versprechungen Nehrus geglaubt – „Indien spielt weltpolitische Rolle“, „Indien wird die reichen Länder aufholen“ usw. Sie waren sogar bereit, ihr Selbstbewusstsein als Hindus auf dem Altar eines exklusiven Säkularismus zu opfern. Sie hatten Nehru geglaubt, als dieser von den Kraftwerken und Fabriken als den „Tempeln des modernen Indien“ gesprochen hatte, die sich an die Stelle der religiösen Tempel stellen würden. 18 Doch als der Traum des raschen Wohlstands immer saurer wurde, konnten die religiösen Nationalisten diese Enttäuschungen ausbeuten. Die Kongresspartei, so lautete ihr Slogan, hat die kulturell-religiöse Tradition Indiens westlichen Ideologien – Sozialismus und Säkularismus – geopfert und dafür nicht mehr eingehandelt als den Abstieg des Landes in die Drittklassigkeit. 4.3.3 Indiras Spiel mit der Religion – und dem Feuer Zu Beginn der achtziger Jahre zeigte sich, dass Indira Gandhi in der Klemme war: die früheren Wählerschichten – Muslime, Kastenlose – misstrauten ihr, weil sie den politischen Missbrauch des säkularistischen Schutzes durchschauten und der Sozialismus sie nicht aus der Armut befreit hatte. Indira hatte die Wahlen von 1980 zwar gewonnen, musste aber ihre Mehrheit unbedingt konsolidieren. Dabei zögerte sie nicht, erstmals auch die religiöse Karte auszuspielen. Um im Gliedstaat Punjab wieder an die Macht zu kommen, unterstützte sie einen unbekannten Sikh-Laienprediger, Sant Bhindranwale. Er wurde ihre Nemesis. Statt die enge Verbindung zwischen Sikhs und Hindus zu konsolidieren, 18 Dube, S. Words Like Freedom. Delhi 1998. 76

machte sich Bhindranwale zum Anwalt eines kämpferischen Sikhismus und wollte diesen in „Khalistan“ realisiert sehen, einem exklusiven Sikh-Staat. 19 Der Hinduismus wurde zum Feind Nr. 1 erklärt. Hindus wurden aus Bussen und Zügen herausgeholt und erschossen. Bhindranwale besetzte Sikh-Tempel, die er in Waffenlager verwandelte. Als die Regierung endlich eingriff, war es zu spät. Die desaströse Stürmung des Goldenen Tempels von Amritsar im Juni 1984 endete mit der Erschiessung Bhindranwales. Sechs Monate später war auch Frau Gandhi tot. Ihre Ermordung durch die Hand ihrer eigenen Sikh- Leibwächter führte zu eigentlichen Pogromen durch Hindus, denen allein in Delhi über 3 500 Sikhs zum Opfer fielen. Beinahe zehn Jahre sollte der Krieg um Khalistan dauern, bis endlich wieder Frieden einkehrte – zurück blieben rund 35 000 Opfer. Indira Gandhis Machtinstinkt liess sie nicht davor zurückschrecken, auch die latente Unzufriedenheit in der Hindu-Bevölkerung für sich zu nutzen – mit noch fataleren Folgen. Im Wahlkampf von 1980 spielte sie erstmals offen die Hindu- Karte aus. Dies führte zu einer Radikalisierung der Hindu-Partei Jan Sangh. Sie gab sich einen neuen Namen – Bharatiya Janata Party, BJP – und eine radikalere Agenda. Zunächst blieb der Erfolg aus. In den Wahlen von 1984 gewann die BJP nur drei Sitze, während Indiras Sohn Rajiv einen Erdrutschsieg für den Kongress hereinholte. Es war ein Alarmsignal für die BJP, denn es schien zu zeigen, dass der Kongress nun ihre Hindu-Wählerbasis zu plündern begann. Der radikale Flügel der BJP unter L. K. Advani gewann die Oberhand, und er verdrängte den gemässigten A. B. Vajpayee als Parteichef. Sein Ziel: eine Konsolidierung der Hindus unter der BJP-Flagge, mit den Muslimen als einigendem Gegner. Advani konnte davon profitieren, dass in der Zeit nach dem Ölboom viel Geld aus dem Mittleren Osten nach Indien floss und dort islamische Bekehrungsarbeit finanzierte. 1981 war es in einem südindischen Dorf zu einer Massenbekehrung von armen Unberührbaren zum Islam gekommen. Für die Hindu- Nationalisten war dies eine Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen: Der Islam benutzt die soziale Fragmentierung der Kastengesellschaft und die grosse Armut, um mit Bekehrungen – und, wie Rithambara es nannte, „Vielweiberei“ – die Hindus allmählich „zur Minderheit schrumpfen“ zu lassen. Die Moschee 19 Kapur, R. A. Sikh Separatism. Delhi 1987. 77

Folge waren wachsende Unruhen, die sie schliesslich mit dem Ausnahmezustand<br />

zu brechen versuchte. Damit büsste die Kongresspartei auch ihre wirtschaftliche<br />

Legitimität ein, nachdem sie bereits den Säkularismus als politische<br />

Idee aufgeweicht hatte. Von nun an sollte das Phänomen der Unterentwicklung<br />

in all seinen Formen zu einem wachsenden Faktor werden, der auch den Dialog<br />

zwischen den Religionsgemeinschaften immer mehr beeinflusste – ich erinnere<br />

nur an die Rede von Sadhvi Rithambara mit ihrer Obsession über die Besetzung<br />

des Bevölkerungsraums durch die „kinderbrütenden“ Muslime.<br />

Betroffen waren dabei nicht nur die Armen in den Slums und Dörfern, sondern<br />

die politisch aktiven städtischen Mittelschichten. Sie hatten den Versprechungen<br />

Nehrus geglaubt – „Indien spielt weltpolitische Rolle“, „Indien wird die<br />

reichen Länder aufholen“ usw. Sie waren sogar bereit, ihr Selbstbewusstsein als<br />

Hindus auf dem Altar eines exklusiven Säkularismus zu opfern. Sie hatten Nehru<br />

geglaubt, als dieser von den Kraftwerken und Fabriken als den „Tempeln des<br />

modernen Indien“ gesprochen hatte, die sich an die Stelle der religiösen Tempel<br />

stellen würden. 18 Doch als der Traum des raschen Wohlstands immer saurer<br />

wurde, konnten die religiösen Nationalisten diese Enttäuschungen ausbeuten.<br />

Die Kongresspartei, so lautete ihr Slogan, hat die kulturell-religiöse Tradition<br />

Indiens westlichen Ideologien – Sozialismus und Säkularismus – geopfert<br />

und dafür nicht mehr eingehandelt als den Abstieg des Landes in die<br />

Drittklassigkeit.<br />

4.3.3 Indiras Spiel mit der Religion – und dem Feuer<br />

Zu Beginn der achtziger Jahre zeigte sich, dass Indira Gandhi in der Klemme<br />

war: die früheren Wählerschichten – Muslime, Kastenlose – misstrauten ihr,<br />

weil sie den politischen Missbrauch des säkularistischen Schutzes durchschauten<br />

und der Sozialismus sie nicht aus der Armut befreit hatte. Indira hatte die<br />

Wahlen von 1980 zwar gewonnen, musste aber ihre Mehrheit unbedingt konsolidieren.<br />

Dabei zögerte sie nicht, erstmals auch die religiöse Karte auszuspielen.<br />

Um im Gliedstaat Punjab wieder an die Macht zu kommen, unterstützte sie<br />

einen unbekannten Sikh-Laienprediger, Sant Bhindranwale. Er wurde ihre Nemesis.<br />

Statt die enge Verbindung zwischen Sikhs und Hindus zu konsolidieren,<br />

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Dube, S. Words Like Freedom. Delhi 1998.<br />

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