Zürcher Beiträge 54 endgültig - ETH Zürich
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noch grösseren Hindu-Mehrheit ausgesetzt sowie der Verdächtigung der Hindu-<br />
Nationalisten, Quislinge Pakistans zu sein. Der Zorn des RSS richtete sich aber<br />
auch gegen die Hindu-Führer, dass sie die „Verstümmelung von Mutter Indien“<br />
zulassen konnten. Mahatma Gandhi wurde von einem ehemaligen RSS-Mitglied<br />
erschossen.<br />
4.3 Ideologische Schutzmauern:<br />
Säkularismus, Sozialismus, Nationalismus<br />
In diesem kritischen Augenblick – man stelle sich vor: eine Massenmigration<br />
von zehn Millionen Menschen, die gegenseitige Niedermetzelung ganzer<br />
Flüchtlingskolonnen, ein erster Krieg mit Pakistan, die Gefahr von Kastenunruhen<br />
– musste Nehru alles daransetzen, das Land zunächst einmal in ruhige Bahnen<br />
zu lenken. Er tat dies mit drei Slogans: Säkularismus, Sozialismus,<br />
Nationalismus. Mit der verfassungsmässigen Verankerung des Säkularismus –<br />
wiederum als Trennung von Religion und Staat verstanden – gelang es ihm, die<br />
Beziehungen zwischen den Religionsgruppen zu stabilisieren; der Ruf nach<br />
einem sozialistischen Wirtschaftssystem sollte die extremen sozialen und ökonomischen<br />
Unterschiede ausgleichen und gleichzeitig die zerbrechliche Demokratie<br />
durch einen starken Staat stärken; und der Nationalismus sollte eine<br />
gemeinsame Identität innerhalb der neuen Grenzen für alle Bürger schaffen. 16<br />
4.3.1 Säkularismus<br />
Zunächst schien dies zu gelingen. Das erste Jahrzehnt Indiens – bis zum Krieg<br />
gegen China 1962 – war eine Zeit von relativem wirtschaftlichem Erfolg, sozialem<br />
Frieden und politischer Stabilität. Die Kehrseite präsentierte sich erst nach<br />
dem Tod Nehrus im Jahr 1964. Der Agnostiker Nehru hatte, wie erwähnt, Säkularismus<br />
europäisch definiert: „Dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was<br />
Gottes ist“. Mit anderen Worten: Religion ist Privatsache. Er hatte sic h gegen<br />
Gandhi durchgesetzt, der Säkularismus nicht ausserhalb, sondern in seiner<br />
Religion angesiedelt hatte. Erstens war Religion ein „way of life“, im Alltag<br />
des Inders psychisch und sozial stark verwurzelt. Zweitens war der<br />
16<br />
Khilnani, S. The Idea of India. London 1997. S. 61 ff.<br />
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