Bote von Karnikon 429 - Wikia
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Segmentsbote<br />
Karnicon<br />
Nr. 72 Jahr des Gedächtnisses – <strong>429</strong> n.P.
<strong>Bote</strong> <strong>von</strong> <strong>Karnikon</strong> <strong>429</strong><br />
Im Jahr des Gedächtnisses<br />
Editorial................................................................2<br />
Das Jahr des Gedächtnisses .................................3<br />
Das Ritual der „Tödlichen Kälte“.........................7<br />
Unter Eira I.........................................................8<br />
Unter Eira II - Die Zusammenkunft...................10<br />
Die Großen Trommeln........................................14<br />
Von Rittern und Schlägern..................................15<br />
Ehre den Toten...................................................18<br />
Die langurische Brombeere...................................20<br />
Pflanzen in Languria...........................................21<br />
Von einer unnützen Pflanze.................................25<br />
Die Zwickerkrankheit.........................................27<br />
Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels.................31<br />
Capitulum III: Die Danameris und die Religion...................31<br />
Der Vereinte Kultus des Verborgenen..............................32<br />
Der Bund der Weisen....................................................34<br />
Der Bund der Dunkelheit................................................35<br />
Die Jünger des Jenseits....................................................35<br />
Langur-Blau.......................................................37<br />
Langurische Handelswaren...................................38<br />
Handelssteuer und Zoll im Reiche Languria..........39<br />
Mar<strong>von</strong> der Blaue...............................................40<br />
Eine Schifffahrt, die ist lustig...............................41<br />
Erwachende See.................................................44<br />
Haftfeuer.............................................................46<br />
Allorer Geschichten.............................................49<br />
Vorwort...........................................................................49<br />
Auftrag an Fras...............................................................49<br />
Erste Anfrage...................................................................51<br />
Spinnenwald....................................................................52<br />
Auftrag – falsch ausgeführt...............................................53<br />
Die magische Untersuchung..............................................55<br />
Adlersteig............................................................58<br />
Anfang 424....................................................................58<br />
Mitte 424......................................................................62<br />
Winter 424....................................................................65<br />
Frühjahr 425...................................................................67<br />
Herbst 425.....................................................................67<br />
Frühsommer <strong>429</strong>.............................................................73<br />
Drachenjagd........................................................78<br />
Drachenjagd (Part 2).........................................82<br />
Zug 77-1 (Asylia-Archipel und Eisiges Band)....86<br />
Die letzte Seite...................................................88<br />
Impressum..........................................................88<br />
EDITORIAL<br />
Dieser <strong>Bote</strong> beschäftigt sich fast ausschließlich mit dem Asylia-Archipel. Der Grund dafür ist<br />
einfach: Auf Chelodarn gab es nun über kein Jahr keine Auswertungen, nachdem zum letzten<br />
ZAT nur ein Zug (und nicht ganz zwei Absichtserklärungen) eingingen.<br />
Das hat die Motivation des dortigen Spielleiters (meinereiner) doch ziemlich auf Null gebracht,<br />
nachdem zuvor schon Auswertaufwand, Spielerbeteiligung und Anforderungen der Realwelt in<br />
keinem guten Verhältnis mehr standen.<br />
Als Chelodarn-SL fühle ich mich zwar weiter verantwortlich – bin aber gerne bereit, diese Verantwortung<br />
in bessere Hände abzugeben. Ansonsten werde ich weiter nach Möglichkeiten suchen,<br />
Aufwand, Engagement und Zeitbudget in ein besseres Verhältnis zu bringen.<br />
Auch auf Asylia hat sich der Auswertrhythmus zuletzt etwas verlangsamt, doch es geht weiter,<br />
und wie Ihr diesem <strong>Bote</strong>n entnehmen könnt, durchaus nicht unaufregend.<br />
Für das Spielleiter-Kollektiv: Orco al Moccero (c/o Michael Ecker)<br />
2
DAS JAHR DES GEDÄCHTNISSES<br />
Geschehnisse im Eisigen Band und Asylia-Archipel<br />
im Winter 427 bis Sommer 428 n. P.<br />
Manatao: Zu ButaSamui treffen sich mehrere Weise zu gemeinsamen Studien und magischen<br />
Forschungen. Unter der Federführung der elcet'schen Druiden entstehen hierbei mehrere<br />
„Große Trommeln“. Im Cirhel Forhit, dem großen Heiligtum des Bajohr, dagegen hadert<br />
Hohepriester Cruzifiko mit dem Schicksal, verlangen doch die jüngsten Entdeckungen in Eira<br />
ihm und den Seinen ein großes Opfer ab. „ Ja, wir tun das Richtige, aber trotzdem ....“<br />
Eira: Hier entdeckt der allseits bekannte Vater Pantherados ein seit langer Zeit in Unter-Eira<br />
verborgenes Geheimnis. Diese Entdeckung führt denn schlussendlich zu einem erstaunlichen<br />
und höchst großzügigen Geschenk Manataos an die Einwohnerschaft der Quellengesegnteten,<br />
was diese wohl noch enger an Manatao binden wird.<br />
Weiterhin treffen verschiedene fremde Händler in der Stadt ein, um deren Märkte zu erkunden.<br />
Die Gesandten der Gevattern der Arru Myelk nutzen hierbei die Gunst der Stunde, um<br />
sich – mit den eben gekauften Mammuts – ein zumindest vorläufiges Handelsmonopol für den<br />
Warenverkehr zwischen Eira und Fischina zu sichern.<br />
Schetola: Auch die – mehr oder weniger lebenden – Herren <strong>von</strong> Sharantaf verlangt es nach<br />
fremden Waren und Spezereien und – vor allem – nach einem größeren Anteil an den Handelsgeschäften.<br />
Worauf man zunächst beschließt, einen Handelsposten an der Grenze zu den<br />
Gebieten Eiras zu errichten. An diesen anschließend wird, um dem Schmuggelwesen ein Ende<br />
zu setzen, an einer festen Grenze in Form einer langen, langen Eismauer gebaut.<br />
Abu Dra Cast selbst überwacht derweil die Eingliederung der Alkenhus in das Reich. Auf einer<br />
bislang wenig beachteten Insel entdeckt unterdessen sein Ziehsohn Leparlon unerwarteten<br />
Reichtum.<br />
Varr: Hier kommt es – für varrsche Verhältnisse – zu großen innenpolitischen Umwälzungen.<br />
Erstmals beteiligen sich die Varrer, also die Nachkommen der hier Zugewanderten, aktiv an<br />
der Regierung. Einem Privileg und einer Pflicht, die doch bislang einzig den Varrask, also den<br />
Ureinwohnern der Insel vorbehalten war. Erstaunlicherweise führt dies zu keinen Protesten unter<br />
dem Alten Volk, eher schient Erleichterung zu überwiegen, jetzt die schweren Bürden des<br />
Regierens teilen zu können. Das Auge Anurs schickt derweil einige hochrangige Vertreter des<br />
Anurkultes gen Danamère.<br />
3
Malkuth: Ein großer, großer Adler verlässt die Hauptstadt Majllten mit unbekanntem Ziel gen<br />
Peristera. Unterdessen wird die Bevölkerung Golthagors, eines kleinen, zwischen Alkenhus und<br />
Mjallten gelegenen Eilands, Zeuge eines erschreckenden Vorfalls. Eine danamerische Handelsflotte<br />
wird unweit der Küste <strong>von</strong> mehreren Schlingern attackiert, und muss dabei erhebliche<br />
Verluste in Kauf nehmen, ehe sie die Monstren durch Mut und Muskelkraft vernichten.<br />
Zu Eskarlion, dem Obdach der Eskari, erbauen die Gevattern der Arru Myelk einen weiteren<br />
Handelsposten im Reiche Malkuth.<br />
Überhaupt durchkreuzen erstaunlich viele fremde Schiffe die sonst so gut gesicherten Gewässer<br />
Malkuths. Und auch die bislang menschenleeren Ophischen Seen wimmeln nur so <strong>von</strong><br />
fremden Schiffen. Zu guter Letzt erreichen noch beunruhigende Nachrichten aus Störsjon die<br />
Hauptstadt – nie gesehene Fremde steigen in großer Zahl das Gebirge herab.<br />
Tarn- A- tuuk, Kiombael: Langsamer und immer langsamer wurden die Bewegungen <strong>von</strong><br />
Mensch und Tier und …. <strong>von</strong> allem eigentlich. Und nichts, aber auch gar nichts schien gegen<br />
die sogenannte Zeitpest zu helfen. Eine letzte, schier verzweifelte Hoffung war noch geblieben<br />
– Flucht! Flucht auf ein anderes Segment, in fremde Lande, um hier vielleicht, vielleicht Hilfe<br />
und Rat zu erhalten, was wider die Zeitpest unternommen werden könnte. Ein letztes, ein<br />
mächtiges Ritual sollte den Weg bahnen.<br />
Und tatsächlich, den letzten Wachen Tarn-A-tuuks unter der Führung Dir-agoks, der designierten<br />
Herrscherin, gelang der weite Schritt. Aber wo, wo war man hier nur gelandet ?<br />
Danamère: möchte an die alten Tage anknüpfen und entsendet eine Handelsexpedition gen<br />
Mjallten, die aber feststellen muss, dass Seereisen in malkuther Gewässer derzeit nicht gänzlich<br />
ungefährlich sind. Auf der jüngst wiedergewonnenen Insel Ragon empfängt man hohen Besuch<br />
aus Varr. Die Priester des Anurkultes leisten der Bitte der danamerischen Oberen bereitwillig<br />
Folge und vertreiben unter allerlei Gesängen und dem Abbrennen fremdartig duftender<br />
Kräuter die „bösen Geister“ aus dem Unheiligtum des Xyrt. Besagtes Gemäuer weihen sie<br />
hernach Anur. Zwar verneigt man sich in Danamère keinen Göttern, doch die eigenen Ahnen<br />
ehrt man gleich anderswo.<br />
Hobano: Die danamerische Blockadeflotte um Hobano erlebt dieweil eine Überraschung. Geschlagen,<br />
geschwächt, ja gedemütigt stehen die Götzendiener des Xyrt kurz vor der Kapitulation,<br />
als Hunderte und Aberhunderte Wergols den Himmel verdunkeln. Hilfe für Hobano?<br />
Im Gegenteil, der Heere Curlagh ist gekommen, den lange ausgebliebenen Tribut zu erheben.<br />
Und, da dieser nicht geleistet werden kann, nimmt er stattdessen einfach ganz Hobano. Das<br />
erste Zeichen der Macht Salkerusuras ist dann auch weithin zu beobachten – noch am Abend<br />
der Machtübernahme brennt der Tempel des Xyrt in den reinigenden Flammen des O-Seth!<br />
4
Salkerusura: „rettet“ Hobano vor den übermächtigen Kräften Danamères. Ansonsten widmet<br />
Wergol sich Plänen für weitere „Befriedungen“.<br />
Niun: Das Seevolk widmet sich, nachdem es einigen fremde Flotten ihre Macht gezeigt hat.,<br />
ungestört der Erforschung und Besiedelung eher ungewöhnlicher Orte.<br />
So scheint das Schwimmende Land gänzlich unter der Kontrolle der Niun zu stehen. An drei<br />
bislang unbekannten Felseninseln dagegen entdeckt Niun noch Spuren fremder Präsenz.<br />
Languria: Karma, die Schwarmkönigin weitet ihren Einfluss auf Languria, ja auf ganz Allor<br />
beträchtlich aus. Ja sogar ihr ständiger Begleiter, ein gewisser Thorval Knockback, erweist sich<br />
mitunter als erstaunlich nützlich. Auf den Reisen der beiden jedenfalls kommt es zu erstaunlichen<br />
Begegnungen – so treffen die Beiden unter anderem auf den berühmten langurischen<br />
Drachen- oder Drachin, wie man besser sagen sollte. Andernorts in Languria entdeckt der<br />
Schwarm ein gar sonderbares „Glitzerdings“.<br />
Almeron: Azobis Ghurak ist des Wartens und der Ausflüchte seiner Untergebenen mehr als<br />
leid, und er befiehlt, endlich Schluß mit den „Spielchen“ zu machen. Um sich nicht den Unmut<br />
des Herren <strong>von</strong> Almeron zuzuziehen, gehorchen die Prismatoren – und nehmen die etrorische<br />
Feste Jetheba im Sturm. Zugleich „bewegen“ Prismatoren umherstreifende Reiterheere<br />
Etroriens, sich Almerons Streitkräften anzuschließen. Schließlich sind – wieder einmal – weite<br />
Teile des etrorischen Reiches unter Kontrolle der Prismatoren.<br />
An der langurischen Grenze dagegen läuft es nicht ganz nach dem Willen der Ghurak-Sippe.<br />
Dort befreit ein Teil des Schwarmes „versehentlich“ mehrere Tausende Sklaven vom unbarmherzigen<br />
Joche Almerons.<br />
Etrorien: Scheinbar führungslos taumelt das einst so stolze Reich <strong>von</strong> einem Schlag zum<br />
nächsten. Hilflos müssen die Etroren mit ansehen, wie ihre Lande zum Spielball fremder<br />
Mächte werden. Binnen wenigen Monden fallen die Kernland Etroriens an den Erzfeind, an<br />
Almeron. Die Marken im zentralen Tal entgehen diesem Schicksal nur, weil starke langurische<br />
Kräfte, durch Schwarmwesen verstärkt, zum Schutze herbeieilen. Einzig die Festung Dolgoria<br />
und die Hinterlands Teldavians stehen noch ungebrochen zu Kartiena.<br />
Wird sich die Historie hier wieder einmal wiederholen?<br />
Arru Myelk: Die Gesandten der Gevattern beherrschen mittlerweile vielerorts den Nah- und<br />
Fernhandel. Scheint fast so, dass man den scheinbar hilflosen Fremden mehr vertraut als seit<br />
langem benachbarten Völkern. Jedenfalls sind auf vielen Märkten der Eislande und des Archipels<br />
die angebotenen Waren so zahlreich und vielfältig wie schon lange nicht mehr.<br />
5
Elcet: die Händler und Gesandten des chelodarnschen Großreiches wagen erstmals den Schritt<br />
ins Asylia-Archipel. In den eisigen Weiten Manataos ist man in den utereisischen Hallen Buta-<br />
Samuis zu Gast, wo eifrig magische Forschungen stattfinden – zu aller gemeinsamem Vorteil.<br />
Auf Chelodarn selbst dagegen wartet alles auf die Fortsetzung des Krieges zwischen Kriegoria,<br />
den gareldischen Nachfolgestaaten und wohl auch weiteren Parteien, doch den Heeren scheinen<br />
entschlossene Befehlshaber zu fehlen. Auch diplomatisch geht kaum etwas voran. Sollte<br />
die kiombaelsche Zeitpest doch schon auf Karnicon übergegriffen haben? Oder liegt es nur<br />
daran, dass die Herrscher (und auch die Segmentshüter) mit anderem beschäftigt sind?<br />
g<br />
6
Das Ritual der „Tödlichen Kälte“<br />
Nehme er also Shun-Schnee in die Pranken und forme er einen kleinen<br />
pappiger Schnee, gut zum Bauen <strong>von</strong> Schneegurs<br />
Turm in Form des Zylinders in der Höhe betragend eines Maßes, dass<br />
es ihm bis zur Brust reiche. Dieses ist gut und nützlich zu tun, um dem<br />
= zittriger Knacker mit Kreuzschmerzen<br />
erfahrenen Weisen die vortreffliche Durchführung des Rituals zu ermöglichen.<br />
Darob plaziere er alsbald ein Prisma, dergestalt, dass die<br />
er muss sich später nicht bücken, wenn er das Prisma nicht auf den Boden legt<br />
Seiten in harmonischem Verhältnisse stehen, auf dass dieses, vermöge<br />
seiner Beschaffenheit, die Energie in richtiger Weise bündeln und verteilen<br />
kann.<br />
man kann das Prisma auch einfach in einer Hand halten…<br />
Der erfahrene Weise vollführe nun Tanzbewegungen mit stapfenden<br />
Schritten, die im Kreis um das Prisma herumführen, wobei die Arme<br />
ebenfalls ausladende Bewegungen durchführen mögen, um die Energie<br />
des Zaubernden zu aktivieren.<br />
solange die Hände noch warm sind<br />
Nun spute sich der erfahrene Weise, den bereitgelegten Schlurk-Splitter,<br />
gebrochen am Ssakat an der großen Pyramide zu Scho-Scholan,<br />
mit beiden Pranken zu ergreifen.<br />
Alsbald fühle er die Kälte, die dem geweihten Eise innewohnt, in seine<br />
als ob das anders ginge ...<br />
Arme steigen, strecke diese aus in Richtung des Prismas, so dass die<br />
Spitze auf es zeige, und er möge seinen Geist in sie versenken, sie annehmen<br />
als den Verbündeten, der sie ist, so dass sich die Gedanken klären,<br />
der glasklare, kalte Verstand die Wärme der Gefühle verdrängt<br />
und sich konzentriert auf die Aufgabe, der Transformation des Elements<br />
Eis in das Licht der Kälte!<br />
kann man weglassen, wenn man nicht friert<br />
geht auch mit einer Hand, wenn der Eiszapfen nicht<br />
zu schwer ist<br />
ähnlich wie Strahlung <strong>von</strong> einem Ofen,<br />
nur umgekehrt<br />
Verstärke er seinen Willen zur Transformation, indem er nicht atme,<br />
alter Zauberertrick, irgendwann will man wirklich fertig<br />
werden!<br />
bis er es vollbringe. Sodann wird sich der Splitter auflösen und<br />
7
verwandeln in das unsichtbare Licht der Kälte, dass nun auf das Prisma<br />
treffe, um es auf die Feinde zu verteilen. Töricht der Zauberer der hier<br />
keine Sorgfalt walten läßt und dessen Pranke schwankt!<br />
große Splitter werden mit der Zeit am ausgestreckten Arm recht schwer, lieber kleinere nehmen<br />
Der konzentrierte tödliche Kältestrahl kann fast wirkungslos verfliegen<br />
oder aber, Kraft des Prismas sich über ein großes Gebiet legen und<br />
dem Feinde schweren Schaden zufügen.<br />
Vorsicht übermütiger Zauberkundiger: Gemäß den Gesetzen der Himmel<br />
und der Segmente hat starke Magie auch starke Auswirkungen<br />
auf den Zaubernden! So vollende er nun das Ritual, indem er seine<br />
Pranken mit einer fließenden, gleichmäßigen Bewegung führe zur Achsel<br />
und stampfe er mehrfach kräftig auf, um Körper und Geist wieder in<br />
ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen.<br />
also: Eissplitter nahe ans Prisma halten und<br />
nicht zittern<br />
alternativ kann<br />
man eine<br />
Wärmflasche<br />
benutzen<br />
„Es könnte doch zumindest nicht schaden!“<br />
Unter Eira I<br />
Alfar hatte recht. Wie meistens eigentlich, wenn er etwas sagte. Schaden könnte es tatsächlich<br />
nicht, wenn sie noch zwei Fässer Donnerpils mitnähmen. Vielleicht wäre diesmal ein<br />
Lob angebracht? Ein mürrisches Nicken musste reichen: „Also gut.“<br />
Eigentlich war allen Nichtzwergen der Eingang nach Unter-Eira verwehrt, die Eingänge<br />
schwierig zu finden und bewacht. Aber <strong>von</strong> so etwas ließ sich Pantherados nicht abschrecken.<br />
Die beiden Zwerginnen staunten nicht schlecht, als ein kleiner und ein großer Mensch<br />
einen Handwagen mit zwei Fässchen durch die Waschstube zogen, wie selbstverständlich<br />
die Tür zum Keller öffneten und der Größere den Wagen vorsichtig die Treppe herunterbugsierte.<br />
Es gab bestimmt auch Eingänge, die besser geeignet wären, Waren zu transportieren,<br />
aber dieser war der einzige, den Pantherados hatte nach längerem Herumfragen ermitteln<br />
können.<br />
8
Der Wächter wartete geduldig, bis Alfar samt Wagen die steile Treppe heruntergepoltert<br />
kam, um dann mit Genugtuung sagen zu können: „Geht wieder zurück. Ihr könnt nicht<br />
weiter!“.<br />
„Doch, und jetzt mach auf.“, erwiderte Pantherados lässig.<br />
Der Wächter holte einen Schlüssel heraus, besann sich dann aber eines besseren: „Halt!<br />
Ähhh, nein … das geht nicht!“. Dieser Blick, diese grünen Augen, man wurde ganz schalquig<br />
1 , wenn einen der kleine Mann in der Kutte ansah.<br />
Der Wächter schüttelte langsam den Kopf. „Neeeinn“, sagte er gedehnt, „Große dürfen<br />
hier nicht rein!“ Er rieb sich die Augen.<br />
„Also darf ich ja rein.“, sagte Pantherados in nachsichtigem Ton.<br />
Wieso war es eigentlich so schwer, sich zu konzentrieren? „Ähhh, und was ist dem da?“ Er<br />
zeigte auf Alfar.<br />
„Der gehört zu mir.“<br />
„Ja … und?“<br />
„Da ich reingehen darf und er zu mir gehört, gehe praktisch nur ich, und das ist dann ja in<br />
Ordnung.“, erklärte der Priester.<br />
Alfar hatte keine Ahnung, wie sein Herr es anstellte, allein durch sein Auftreten in solchen<br />
Situationen die Oberhand zu gewinnen. Man konnte aber sehen, dass Scheinlogik allein<br />
diesmal nicht ausreichen würde und so ergriff er die Initiative: „Du musst auf dieses Fass<br />
Donnerpils aufpassen bis wir zurück sind. Wenn wir bis zum Morgengrauen nicht lebend<br />
zurück sind, dann … du weißt schon.“<br />
Der Wächter nickte, lächelte verwirrt, schüttelte den Kopf und nickte wieder.<br />
„Hör zu, das ist Vater Pantherados“, fuhr Alfar fort, „der den Golem besiegt hat. Du<br />
weißt, dass er seine Bestimmung erreichen muss. Das ist wichtig!“<br />
Ach so, das war also einer dieser Magier aus Manatao, die Eira gerettet hatten. Hätte er ja<br />
auch gleich sagen können. In Unter-Eira duldete man zwar nur Zwerge, aber etwa ein oder<br />
zwei Mal pro Monat durften auch paar Menschen durch diese Tür, wenn beispielsweise,<br />
nun ja, etwas Wichtiges los war. Bei so einem wichtigen Herrn war das sicher in Ordnung.<br />
Und wenn sie dann auch noch ein Fass Donnerpils als Bestechung zurückließen…<br />
„Hmmm, gut gemacht, Alfar.“, sagte der Priester, nachdem sie eine Weile den dunklen<br />
Gang entlang gegangen waren, und der Angesprochene errötete überrascht. War das jetzt<br />
tatsächlich ein Lob seines Herrn? Unglaublich.<br />
„Ich hätte beinahe angefangen, ihn anzuschreien“, sagte Pantherados, „und das wäre nicht<br />
schön gewesen.“<br />
1 Bezeichnet eigentlich den Geschmack abgestandenen Bieres, das auf den Fußboden gelaufen ist, wird aber im übertragenen<br />
Sinne auch für verwirrt benutzt.<br />
9
Alfar konnte trotz des trüben Lichts der Leuchtpilze sehen, wie sein Herr eine finstere<br />
Miene aufsetzte, ohne jedoch den letzten Rest eines Lächelns aus seinem Gesicht tilgen zu<br />
können.<br />
Eine Veränderung war in dem alten Mann vorgegangen, seit sie in diesen Teil der Welt gekommen<br />
waren. Amüsierte er sich etwa? Er? Unglaublich.<br />
Die Zwerge, die ihnen begegneten, nahmen nicht weiter Notiz <strong>von</strong> ihnen. So ungewöhnlich<br />
konnte der Anblick <strong>von</strong> Menschen hier unten also nicht sein. Außerdem signalisierte<br />
der rumpelnde Handwagen, dass sie wohl kaum heimlich eingedrungen waren.<br />
Sie kamen an eine Kreuzung, an der Pantherados die Karte konsultierte und deren Symbole<br />
mit denen im Gang verglich. Jetzt geradeaus, dann links, ein Stockwerk tiefer … rechts<br />
… über den Platz … und weiter dorthin, dorthin wollten sie.<br />
Doch als sie auf den Platz treten wollten, stockten sie. Es herrschte unglaubliches Gedränge<br />
- aber es war kein Laut zu hören, außer dem Poltern des Wagens, das nun abrupt verstummte.<br />
Viele Zwergengesichter schauten die Eindringlinge grimmig und schweigend an.<br />
Was war hier los?<br />
Unter Eira II - Die Zusammenkunft<br />
„Cheth hat immer für unch gesorgt. Ihm mucht du die Treue halten, egal, wach dieche<br />
Mordbanden aux tun, die chich in letzter Zeit hier breitgemaxt haben!“ nuschelte der Greis<br />
ernst.<br />
Die großen Augen des Kindes blickten ungläubig in die seinen, die das Alter milchig trüb<br />
gemacht hatten. Tiefe Falten furchten das hagere Gesicht, dessen dünner, zahnloser Mund<br />
einen grimmiger Ausdruck zeigte. Ein langer weißer Bart, der fransig und dünn geworden<br />
war, umspielte die blassen Lippen.<br />
„Aber, aber, wir verehren doch Chnum! Papa hat gesagt …“<br />
„Chprix den Namen Xnum nixt auch, wenn dir dein Leben lieb icht!“ zischte der Alte.<br />
„Aber Papa hat gesagt …“<br />
„Dein Papa hat keine Ahnung wo<strong>von</strong> er chprixt! Er choll cheinen vorlauten Mund halten.<br />
Wenn dach jemand hört, kommen die Hächer diecher Neuankömmlinge, hacken ihm in<br />
Chtücke und röchten ihn auf kleiner Flamme! Du weicht nox nixt, wozu dieche da fähig<br />
chind!“<br />
Das Kind schaute sehr besorgt, schwieg aber, woraufhin der Alte fortfuhr: „Seit Pondaron<br />
habe ix nixt mehr soviel Grauchamkeit …“<br />
„Jorge, was erzählst du dem Kind wieder? Es gibt gleich Essen!“ unterbrach ihn seine Ur-<br />
UrGroßSchwiegerUrNichte. Jorge war alt. Sehr alt, auch für einen Zwerg.<br />
„Du hast noch bei Pondaron gekämpft?“, fragte der Junge erstaunt.<br />
10
„Ix war bei Pondaron dabei!“<br />
„Wie war das denn? Hast du … hast du auf der dunklen Seite gekämpft?“<br />
Jorge schwieg. Erinnerungen schossen durch seinen Geist.<br />
Schlagen <strong>von</strong> Flügeln, unheimliches Summen, er rennt, fällt hin, ein gifttriefender Stachel,<br />
eine Axt schwirrt silbrig schimmernd durch die Luft und durchtrennt den Stachel, die Biene<br />
lässt <strong>von</strong> ihm ab, er rappelt sich auf, er rennt, soweit ihn seine Füße tragen.<br />
Ja er war dabei gewesen. Gekämpft, nunja, er hatte überlebt. Er hatte ein langes Leben gelebt<br />
und eine große Familie, in der viele seiner Nachkommen am Leben waren. Was wohl<br />
das Schicksal für den Axtwerfer bereitgehalten hat? Diese Frage hatte er sich schon oft gestellt.<br />
„Olin, ruf die anderen zum Essen und Jorge, komm jetzt, die Pilzsuppe wird kalt!“, rief<br />
die Frau energischer. Und etwas lauter direkt an den Greis gewandt: „Jorge, möchtest du<br />
nachher mit zum Seetempel? Es soll eine Feier mit einem Chnum-Priester aus Manatao geben.“<br />
„Cheid ihr denn alle verrückt geworden? Chei chtill oder du bicht des Todech! Ix habe nixt<br />
cholange gelebt, um eux alle auf dem Cheiterhaufen enden zu chehen, närrichech<br />
Weibchtück!“<br />
„Jorge, der Seth-Orden ist zerschlagen. Was nicht tot ist <strong>von</strong> denen, ist über alle Eisschollen.<br />
Hat dir das keiner gesagt? Das ist Monate her!“<br />
„Wach icht? Rede nixtch lächterlixech.“<br />
Die junge Zwergin sah den Alten schief an. „Jorge“, sagte sie, denn alle nannten ihn Jorge<br />
und redeten ihn nicht mit der korrekten verwandtschaftlichen Bezeichnung an, was letztlich<br />
praktische Gründe hatte, „Wir können offen zu Chnum stehen, die Seth-Priester und<br />
-Mörder sind weg - erschlagen! Wir sind wieder frei!“<br />
„Nein, nein, ich chtehe treu zu König Yaron. Ix bin ein alter Mann, ix habe viel gegraben<br />
und brav meine Chteuern gezahlt. Das kanncht du deinem Vorgechetzten berixten!“.<br />
Ängstliche Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben.<br />
„Jorge, was erzählst Du da? Ich bin kein Spitzel. die Zeiten sind vorbei. Es kommt sogar<br />
ein …“<br />
„Chweig! Wach icht dach?“<br />
Jorge war kein Kämpfer, kein Held, kein Priester. Er war nicht mit Mut gesegnet. Er war<br />
nur einmal gesegnet worden, <strong>von</strong> einem Chnum-Hohepriester vor langer Zeit vor einer<br />
Schlacht. Niemand hatte gedacht, dass sich bei Jorge der Segen lange halten und so anders<br />
als beabsichtigt ausprägen würde. Jetzt in diesem Augenblick fühlte er etwas, was ihn an<br />
diesem Segen erinnerte. Er fühlte sich plötzlich frisch wie lange nicht mehr.<br />
„Olin, führ mix zum Brunnen, loch, max chon!“ Wenn alles so war, wie er es fühlte, könnte<br />
er endlich seinen Sprachfehler aufgeben, den er sich vor kurzem zugelegt hatte, damals<br />
als die Seth-Brut in Eira das Kommando übernahm. Dann müsste er den Erdgott nicht<br />
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mehr Cheth nennen und hoffen, dass ihm das Xnum ähh Chnum nicht krumm nehmen<br />
würde.<br />
Als er mit Olin eintraf, verschaffte er sich mit seiner Krücke schnell Raum und niemand<br />
zückte eine Axt, um einem blinden, gebrechlichen Alten und einem Kind Respekt einzubläuen.<br />
Die Würde des Alters zählte hier noch etwas.<br />
„Wach chiecht du?“, fragte Jorge den Jungen, „Chag ech chnell“.<br />
Es war eine große Menge an Zwergen zusammengekommen, man konnte außerdem eine<br />
bedeutende Gruppe gerüstete Eisbären erkennen, nebst einer Hand voll Menschen in fremden<br />
Gewändern.<br />
Cruzifiko schritt würdevoll und mit unzufriedenem Gesichtsausdruck vor dem Gestell einher.<br />
Warum tat er das? Weil es das einzig richtige war. Die Teile zusammenfügen zur Ehre des<br />
Göttervaters. Er schluckte schwer. Und dafür seinen eigenen Tempel plündern?<br />
Er würde in die Annalen Forhits eingehen als der größte Eiskopf aller Zeiten. Er hatte sich<br />
alles so schön ausgemalt. Sein Tempel hätte das bedeutendste Artefakt Chnums in weitem<br />
Umkreis, er hatte Pläne für eine schöne neue Kuppel, die Leute kämen <strong>von</strong> weit her, um<br />
das Segenshorn zu bewundern.<br />
Dann fand Pantherados heraus, dass es einen größeren Ring des Segenshorns in Eira gab,<br />
und der war schon seit Gründung der Stadt da. Den Ring aus Eira zu entfernen hätte der<br />
Stadt größte Probleme beschert, es war einfach unmöglich, wenn nicht Tausende sterben<br />
sollten, der Ring war die Lebensquelle der Stadt. Der Holzring hatte sich so schön in der<br />
Mauer seines Tempels gemacht. Und er Trottel war überall herumgelaufen und hatte erzählt,<br />
dass er das Segenshorn wieder zusammensetzen will.<br />
Nun hatte sich herausgestellt, dass Eira der einzige Ort war, wo man das machen konnte.<br />
Alle würden gewinnen: Chnums Ruhm würde steigen, Eiras Bewohner würden profitieren,<br />
Manatao konnte sich begründete Hoffnungen auf einen Anschluss Eiras und Ranoths<br />
ans Reich machen, die Zwerge könnten ihren Glauben festigen, nur er, er würde als der<br />
Tempelvorsteher in die Geschichte eingehen, der ein wertvolles Artefakt einfach so weg<br />
gab und den Tempel in die Bedeutungslosigkeit versinken liess.<br />
Gut, er hatte sich in den Verhandlungen mit seinen Forderungen weitgehend durchgesetzt:<br />
Schließlich war der Ring aus Forhit nur eine Leihgabe, wenn auch dauerhaft, und eine Garde<br />
Paladine war zu seinem Schutz hier unten abgestellt.<br />
Als er aber die Menge an Volk hier unten sah, kam ihm doch der Gedanke, dass 88 Kämpfer,<br />
die für die Umgebung einfach zu groß geraten waren, nicht wirklich etwas ausrichten<br />
konnten.<br />
Es war zu spät. Der Holzring würde fest an den Hornring gesetzt werden. Chnums Schöpfung<br />
würde ihre Wirkung tun und niemand würde je auf die Idee kommen, das rückgängig<br />
zu machen.<br />
12
Was wohl aus den Bauern rund um Forhit werden würde? Pantherados hatte erwirkt, dass<br />
sie mit besseren Ausgleichsflächen in und um Eira entschädigt würden. Überhaupt, so fiel<br />
ihm auf, hatte der kleine Mann, der schließlich Mitglied seiner Verhandlungsdelegation gewesen<br />
war, mehr für den Standort Eira argumentiert als er sollte. Und ihm Hohlkopf war<br />
es erst später aufgefallen, als alles unter Dach und Fach war. Der kochte wohl sein eigenes<br />
Süppchen und sah jetzt sehr zufrieden drein. Womöglich wollte er nur Ranoth fester an die<br />
Lichtgottheiten und an Manatao binden und – konnte man ihm das verübeln? Verdammt,<br />
nur seine eigene Eitelkeit sagte ihm, dass das hier ein Fehler war. Schluss mit diesen Gedanken.<br />
Alles für Chnum!<br />
In einer feierlichen Prozession wurde der kleinere Ring auf den größeren gelegt, und es ertönte<br />
ein überaus harmonischer Klang, einem weich geschlagenen garunischen Klangholz<br />
gleich, und doch schien dem Ton etwas zu fehlen. Alle schauten sehr ergriffen, nur Totoro<br />
wirkte leicht verdutzt. Cruzifiko ärgerte sich, weil Ersterer seinen Teil nicht hatte abgeben<br />
müssen, angeblich weil er sich auf die Suche nach dem Rest des Horns machen wollte.<br />
Er sollte das eigentlich machen. Er war Hohepriester des Chnum in Manatao, er sollte die<br />
Teile wiederbeschaffen. Aber er hatte es manchmal böse mit dem Kreuz, und zu Hause<br />
wartete eine Menge Schreibkram auf ihn. Er seufzte. Totoro war sicher der bessere Mann<br />
dafür. Er seufzte nochmals.<br />
Dann fiel ihm auf, dass alle gespannt warteten, was als nächstes passieren würde, wie sich<br />
Chnums Macht manifestieren würde, welche Wunder zu bestaunen galten.<br />
Es passierte aber nichts weiter. Keine himmlischen Chöre, kein überirdisches Licht, es hatte<br />
nur schön ‚Bonggg’ gemacht, und das wars. Naja, Zeit zu zeigen, dass man seinen Hohepriester<br />
nicht in der Lotterie gewonnen hatte.<br />
„Liebe Gemeinde, Chnums Segen liegt nun doppelt auf Eira! Frohlocket und lobet …“, begann<br />
er und schloss nach einer Weile mit: „… werdet reiche Ernte einfahren. Ruhm und<br />
Ehre dem Göttervater Chnum!“<br />
Begeisterter bis höflicher Beifall brandete auf, seine Rede war wirklich nicht schlecht gewesen,<br />
und so merkten die meisten nicht, wie ein dumpfes Pochen in ein immer lauter werdendes<br />
Grollen überging, das <strong>von</strong> überall her zu kommen schien.<br />
Viele blickten beunruhigt umher, doch auf einem Gesicht in der Menge zeichnete sich ein<br />
zahnloses Lächeln ab, das immer breiter wurde.<br />
13
Die Großen Trommeln<br />
Nun aber erstarre beim Anblick der Großen Trommeln.<br />
Aus dem Eis stammen sie und zu Eis magst Du werden, wenn kundige Hand sie schlägt.<br />
Sieh biegsames Holz und die Wolle der Jäzheb.<br />
Blase das Leder und alle Welt wird umschmeichelt, wenn Du ein Kundiger bist.<br />
Weich treibe das Leder, doch laut und ohn Regelmaß und alle Welt wird verwehen, wenn Du ein<br />
Kundiger bist.<br />
Sieh fremdes Leder und eherne Räder.<br />
Drehe ein Rad und nutze die Schlegel und alle Welt wird erstarren, wenn Du ein Kundiger bist.<br />
Drehe ein anderes und nutze die Schlegel und alle Welt wird verglühen, wenn Du ein Kundiger<br />
bist.<br />
Sieh steinhartes Holz und die Ölhaut des Tarndrup.<br />
Zäh streichle das Leder und alle Welt ahnt die Feuchte, wenn Du ein Kundiger bist.<br />
Rasend treibe des Leder und alle Welt wird ertrinken, wenn Du ein Kundiger bist.<br />
Sieh hölzern und hürnen den Rahmen.<br />
Schlage den Rahmen und Eis wird Dich erschlagen, wenn kundige Hand sie schlägt, denn aus<br />
dem Eis stammen sie.<br />
Nun aber erglühe beim Anblick der Großen Trommeln.<br />
Nun aber vergehe beim Anblick der Großen Trommeln.<br />
C<br />
14
VON RITTERN UND SCHLÄGERN<br />
Adrodd/Languria „Verehrter Kleiner Rat. Die folgende Entscheidung ist sehr bedeutend<br />
für uns alle. Denn egal, wie wir uns entscheiden, es ist eine Entscheidung, die das ganze<br />
Reich über Jahre hinweg beeinflussen wird. Im Guten oder im Bösen ...“ hörte man eine<br />
herrische Stimme verlauten. Eine Frau stand in der Mitte, neben ihr ein Herr mit einem<br />
sonderbaren Gewand, blauen Haaren und einem sehr eigenartigen Hut.<br />
Um sie sitzend viele gutgenährte Herren in fortgeschrittenem Alter.<br />
Doch um was ging es und wo war man hier überhaupt?<br />
Die feurige Rednerin ist Karma, die Königin des Schwarmes, welcher seit gar nicht allzu<br />
langer Zeit festen Boden in Languria hat.Um sie herum sitzen jene, die über das Reich walten<br />
und entscheiden. Ihre Rede vor dem Kleinen Rat hat zum Zwecke, zu entscheiden, wie<br />
man mit dem finsteren Nachbarn umzugehen habe. Denn es kann ein Duell geben zwischen<br />
einem ihrer Mannen und einem jener scheinbar unbesiegbaren Mannen.<br />
Sollte der Kämpfer Karmas gewinnen, werden die Wergols das Reich Languria in Ruhe lassen.<br />
Wobei man sich hier nicht sicher ist, wie lange dieser ehrbar erkämpfte Frieden anhalten<br />
könnte/wird.<br />
Sollte der Kämpfer Karmas aber verlieren, so würde Karma mit ihrem Schwarm fortan unter<br />
der Herrschaft der Wergols stehen.<br />
Die Diskussion ging teils umständlich, teils sehr feurig weiter. Schließlich wurde eine Pause<br />
eingelegt, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.<br />
Karma derweil ging mit ihrem Begleiter Torlin Knockback, selbsternannter Chronist der<br />
Schwarmkönigin, auf den Hof und schaute den dortigen Wachen beim Exerzieren zu.<br />
Sie ließ sich erklären, was die Herren dort tun und fragte den Hauptmann dann keck:<br />
„Wer <strong>von</strong> Euch ist der beste Kämpfer?“<br />
Er wies mit seinem Schwerte auf einen gut gebauten Mann, der schon die und andere Narbe<br />
offen zur Schau trug. Unteroffizier Geralf Schwertarm trat vor.<br />
„Zu Euren Diensten, Königin.“ Sie schaute ihn sich an und nahm ihn mit. Zusammen mit<br />
ihm und zwei weiteren Wachen ging sie in die Hauptstadt.<br />
Sie hatten schon einige Einkäufe getätigt, als sie Tumult aus einer der Seitenstraßen vernahmen.<br />
Neugierig ging sie darauf zu, obschon Geralf sie bat, nicht dorthin zum Pöbel der<br />
Gossen zu gehen. Schon flog ein Bierkrug an ihnen vorbei und zerbarst an der Wand. Nun<br />
war sie noch neugieriger, und man konnte sie kaum halten. Man hörte Schreie, Knuffe, ein<br />
Keuchen, wieder ein Schrei, etwas zerbersten, und dann kam sie endlich durch und sah<br />
einen Mann, grobschlächtig, in zerrissener Kleidung, der sich mit dreien prügelte und im-<br />
15
mer noch stand. Er packte den Ersten mit beiden Händen am Kopf, zog diesen runter und<br />
schlug ihm mit dem Knie ins herunter gezogene Gesicht. Ein lautes Knacken war zu vernehmen,<br />
und der Getroffene fiel blutend zu Boden. Die beiden anderen kamen <strong>von</strong> beiden<br />
Seiten, der erste zog aus seinem Wams ein langes Messer, der zwote schnappte sich ein<br />
Stück Holz und wog es in der Hand. Der Bedrängte bückte sich, als würde er sich zum Absprung<br />
bereit machen, schnellte hoch und warf den beiden Gegnern Unrat vom Boden ins<br />
Gesicht, wirbelte zum linken Gegner, tauchte unter dem Schlag durch, versetzte ihm einen<br />
Seitenhieb und prallte dann mit seinem Körpereinsatz gegen den zur Rechten. Beim Umwerfen<br />
packte er dessen Messer-Arm, machte eine schnelle Bewegung, ein Knacksen war zu<br />
vernehmen, der Entwaffnete schrie und jaulte, und die beiden Angreifer liefen da<strong>von</strong>.<br />
Geralf trat vor: „Im Namen Langurias, beruhigt Euch“, und wollte dem ehemals Bedrängten<br />
aufhelfen. Doch dieser packte seinen Arm und schmiss ihn um. Die beiden Soldaten,<br />
welche Geralf und Karma begleitet hatten, schritten nun ein. Doch jener Fremde war so<br />
schnell, dass er unter ihnen hindurch sprang, sie dabei noch an den Füßen packte und zum<br />
Sturz brachte. Eine akrobatische Rolle hinlegend, auf ihnen landend, ihre beiden Köpfe zusammen<br />
schlagend und sie waren still. Geralf stand auf, zog sein Schwert: „Freund, so<br />
nicht!“, und schritt voran. Der Fremde ließ seinen Blick schweifen, machte einen schnellen<br />
Schritt nach links, woraufhin Geralfs Schwert todbringend dieser Bewegung folgte und ihn<br />
verfehlte, weil der Fremde sogleich die Richtung nach rechts geändert hatte und einen<br />
Sprung zu dem am Boden liegenden Messer wagte, welches vom vorigen Kampf noch da<br />
lag.<br />
Er balancierte die Waffe in der linken, dann in der rechten Hand und ein Lächeln schob<br />
sich über seine Lippen. Oh ja, er war sich siegessicher.<br />
“Seid Euch gewahr, ich bin der beste Schwertkämpfer Langurias. Bevor ich Euch niederstrecke,<br />
gebe ich Euch zum letzten mal die Möglichkeit: Legt die Waffe nieder und gebt<br />
Frieden!“<br />
Doch der Fremde spuckte auf den Boden, verächtlich.<br />
In der Zwischenzeit ließ sich Karma <strong>von</strong> ihrem Begleiter Torlin Knockback erklären, was<br />
da vor sich ginge. „Warum hat Geralf ihn dann bisher nicht niedergestreckt? Immerhin ist<br />
er doch der beste Kämpfer des Reiches“, als der Fremde einen schnellen Schritt nach vorne<br />
machte und gerade auf Geralf zustach.<br />
Dieser konnte den Hieb parieren, übersah aber, dass der Fremde ihm gleichzeitig mit der<br />
anderen Faust ins Gesicht schlug. Sein Kopf flog regelrecht zurück und er wankte. Der<br />
Fremde war schnell bei ihm, ein Schlag mit dem Knauf des Messers mitten ins Gesicht und<br />
das Messer war genau vor Geralfs Auge.<br />
“So, wer wollte mir gerade etwas befehlen?“<br />
16
„Dieser Fremde hat gewonnen, weil er unehrbar kämpft“, erklärte Torlin gerade seiner Königin<br />
noch. Sie hob ihren Rock und lief auf die beiden Kontrahenten zu. Da diese ihr keine<br />
Aufmerksamkeit schenkten, räusperte sie sich. Es kam keine Reaktion, also räusperte sie<br />
sich etwas lauter und ließ dann ihre Stimme vernehmen: „Fremder, Sie stehen einer Königin<br />
im Wege“, alle hielten den Atem an, “und es wäre mir angenehm, wenn Sie diesen<br />
Mann verschonen würden. Denn er ist zu meinem Schutze da gewesen.“<br />
Der Fremde schaute sie an, und irgend etwas geschah auf einmal mit ihm. Sein bis dahin<br />
grimmiger Blick verflog, er hatte auf einmal sanfte Züge und sogar ein Leuchten in den Augen,<br />
wie man es – wenn man den Berichten der Umstehenden, die ihn schon lange kannten,<br />
glauben mag – noch nie bei ihm gesehen hatte. Er steckte sein Messer weg, half Geralf<br />
auf, klopfte den Staub aus seinen Kleidern „Oh Königin, entschuldigt. Ich mache Euch<br />
Platz und tu diesen Abfall beseitigen“, und trat Geralf auf die Seite. „Lasst mich fortan<br />
Euer Begleiter sein, denn ich bin stark genug, es sogar mit drei solchen Schwächlingen aufzunehmen,<br />
ohne auch nur eine Schramme da<strong>von</strong> zu tragen.“<br />
Und so ging Karma mit vier Begleitern aus und kehrte mit zwoen zurück.<br />
Keiner, der zurückkehrte, hatte eine schöne Rüstung oder gar ein Schwert, aber in sich<br />
trug ein jeder <strong>von</strong> ihnen etwas, Stolz, Achtung und Dinge, welche scheinbar in diesem Reiche<br />
verloren gegangen sind.<br />
Im Kleinen Saal dann hieß es:<br />
„Meine Herren, während Sie sich beruhigt haben, habe ich einen Entschluss gefasst.“ Sie<br />
schaute alle Anwesenden an und fuhr fort: „Ich werde das Duell annehmen und einen würdigen<br />
Vertreter für Languria entsenden.<br />
Ich habe mich darüber informiert, wer der beste Kämpfer des Reiches ist und ...“ – eine<br />
kurze Pause wurde eingelegt – „mir seine Künste vorführen lassen ...“ – man sah, wie sich<br />
eine Falte auf ihrer sonst so glatten Stirn bildete und ihre Augen, die sonst so lieblich warm<br />
leuchten, wurden auf einmal eisig – „und dabei gelernt, dass dieses Reich sich“ – ihre Stimme<br />
erhob sich nun, wie das Grollen <strong>von</strong> Donner – „niemals“ – und senkte sich dann wieder<br />
zu der süßen, warmen Stimme, welche sie auszeichnete – „allein wehren kann. Auch<br />
hat es nichts, was sich dem, was da ansteht, als würdig erweisen würde. Kein Mann der<br />
Stadtwache, kein Mann aus euren Einheiten wäre dem, was da verlangt würde, würdig und<br />
fähig.“<br />
Die Tür öffnete sich, herein trat unser altbekannter Torlin Knockback mit blauen Haaren,<br />
Schlapphut mit sonderbaren Symbolen darauf und hinter ihm eine sonderbare Gestalt.<br />
„Doch er“, dabei zeigte sie auf diesen Zwoten, „ein einfacher Mann aus den Strassen dieser<br />
schönen Stadt, diesen will ich entsenden.“<br />
Gemurmel wurde laut, und sie hob die Arme: „Er bekommt <strong>von</strong> mir allein die Bezahlung,<br />
doch sollte er das Duell für mich und euch gewinnen, so ernennt ihn zum Kastellan einer<br />
Eurer Burgen und bezahlt ihn auch dementsprechend. Fortan auf jeden Fall soll er Hauptmann<br />
eines eurer Heere werden, und eure Soldaten im ganz speziellen Sinne ausbilden,<br />
17
darin, wie man gegen Überzahl gewinnt, und darin, wie man mit schlechterer Ausrüstung<br />
Überlegene besiegt.“<br />
Sie reichte ihrem neuen Kämpen einen Sack, welcher nach goldenem Inhalt klang.<br />
„Dies ist die Anzahlung für dich. Den Rest erhältst du, wenn du das Duell geschlagen und<br />
gewonnen hast.“<br />
So wurde auf unkonventionelle Art und Weise eine Lösung gefunden. Doch ob sie wirklich<br />
die Lösung auf alle Probleme ist?<br />
Ehre den Toten<br />
Ein gar geschichtsträchtiger Tag neigt sich dem Ende.<br />
Es war ein großer Tag für ein gar kleines Reich.<br />
Languria,<br />
irgendwo im Sumpfe gelegen,<br />
hatte es geschafft, sich einen Frieden auf besondere Art zu erarbeiten.<br />
Die allseits gefürchteten und zugleich geachteten Wergolreiter hatten ein Angebot<br />
gemacht.<br />
Sollte ein Vertreter der in Languria ansässigen Schwarmkönigign in einem Duell den<br />
Vertreter der Wergolreiter besiegen, herrsche Frieden zwischen beiden Reichen, ansonsten<br />
muss die Schwarmkönigin und ihr gesamter Schwarm sich ihnen bedingungslos<br />
unterwerfen.<br />
Eine schwere Bedingung, denn die Königin Karma hatte bis dahin sich noch nie<br />
irgendjemandem unterwerfen müssen.<br />
Lange dachte sie darüber nach und doch gab sie ihrem Herzen nach.<br />
Ja, es soll zum Duell kommen, ließ sie verlauten, und dann ward es das Problem, einen<br />
würdigen Vertreter für das gesamte Reich zu finden.<br />
Sie suchte lange und fand ihn dann, in den Straßen der Hauptstadt Adrodds.<br />
Brom war sein Name. Ein alter Veteran und zugleich ein Gemeiner des Volkes.<br />
Durch seine unscheinbare Art und doch große Herzlichkeit eroberte er ihr Herz. Schläue,<br />
Beherzheit und zugleich eben jene Kleinigkeit, was ihn <strong>von</strong> allen anderen Ausgesuchten<br />
unterschieden, bewog sie, ihn zu erwählen.<br />
Man weiß nicht, was dann geschehen, als sie mit ihm für eine Nacht verschwunden war,<br />
doch sowohl er als auch sie hatten am Folgetag ein Strahlen in den Augen, als wären sie<br />
den Göttern persönlich begegnet.<br />
18
Der große Tag kam und das Duell begann.<br />
Nach den üblichen Zeremonien und dem Vorstellen der Kontrahenten hielt ganz Myra<br />
den Atem an - und es begann.<br />
Während der langurische Streiter – mit einem Wurfspeer in der Hand und einem kleinen<br />
Rundschild, gekleidet in ein leichtes Leinengewand und in Riemenschuhe – auf Abstand<br />
bedacht war und seinen Gegner umtänzelte, stürmte sein Gegner, gekleidet in eine<br />
schwarze Rüstung, die scheinbar anschmiegsam wie gefettetes Leder war und zugleich<br />
das Strahlen der Sonne reflektierte, wie hochpoliertes Metall, mit einer gewaltigen und<br />
alles zerstörenden Axt nach vorne und schlug zu.<br />
Der Boden erbebte unter diesem Schlag und Brom konnte sich – leider – nur halb aus<br />
diesem gar vernichtenden Schlag retten. Nur, weil er seinen Speer noch rechtzeitig hoch<br />
brachte und ihn dem Angreifer unter die Achsel bohren konnte, konnte schlimmeres<br />
vermieden werden, doch der Schlag traf seine linke Schulter und ging bis zum Torso durch.<br />
Aus der schwarzen Maske war ein Grunzen zu vernehmen. Der Angreifer stemmte sich<br />
gegen den geschlagenen Languren und zog seine Axt heraus.<br />
Schwerst blutend, das Gesicht verziehend bei jeder Bewegung, seine Augen hatten das<br />
Strahlen verloren ,und doch kämpfte er, der Held aus der Gosse, einer der Languren,<br />
und schrie, sich aufstemmend auf seinen Speer für Languria, für die Freiheit und trieb<br />
seinen Speer in den Leib des Gegners.<br />
Sonderbarerweise wurde dieser immer langsamer und blutete nun auch wie ein<br />
angestochenes Schwein.<br />
Die Axt wurde erneut gehoben und fuhr vernichtend herunter und traf den Speer.<br />
Er war geteilt.<br />
Brom rollte ab, schnappte sich das abgetrennte Ende und stürmte vor , wich unter dem<br />
linkshändig geführten Rückhandschlag hindurch und spießte die Spitze des Speers in den<br />
Arm des Angreifers.<br />
Schlag um Schlag folgte, der Angreifer wurde langsamer, der Verteidiger immer bleicher,<br />
da er eine riesige Menge Lebenssaft verloren.<br />
Der Angreifer wusste, er musste einen vernichtenden Schlag nun anbringen, denn es ward<br />
aus mit ihm. Die Kräfte schwanden ihm rapide und er verfluchte seinen langurischen<br />
Gegner und zugleich nickte er ihm zu, eine Art Ehrenbezeugung unter den Wergolreitern<br />
einem würdigen Gegner gegenüber - und stürmte los.<br />
Brom wollte ausweichen, stürzte und die Axt fuhr herunter.<br />
Seine kurze Speerspitze nach oben drückend, die Arme ausstreckend, den Kopf auf die<br />
Seite werfend und die Augen schließend und noch einmals rufend – für die Freiheit<br />
Langurias –<br />
… war das Duell zu Ende.<br />
19
Die Umstehenden wussten nicht, was sie nun da<strong>von</strong> halten sollten.<br />
Unten der langurische Veteran, über ihm, ihn begrabend, der schwarze Streiter.<br />
Wie erstarrt standen alle herum und rührten sich erst einige Zeit später.<br />
Ein Mutiger ging vor und berührte den Angreifer. Keine Regung.<br />
Man nahm ihn vom Languren herunter und sah, dass die Speerspitze sich ins Herz<br />
gebohrt hatte. Der Langure Brom hielt den Speerschaft so fest, dass man seine Finger mit<br />
Gewalt öffnen musste.<br />
Als dies geschah – und dabei ein Finger gebrochen wurde – vernahm man ein Röcheln aus<br />
Broms Kehle. Er öffnete ein Auge und man hörte wispernd habe ich gewonnen?<br />
Der Jubel war gigantisch. Er wurde sofort weg getragen.<br />
Die Wergols waren nicht begeistert und wollten sich schon auf und da<strong>von</strong> machen.<br />
Ein Vertreter des Schwarms kam hervor, räusperte sich und übergab eigenhändig den<br />
schwarzgewandeten Streiter.<br />
– Es ist nicht unsere Art, besiegte Gegner zu übergeben.<br />
Wir sind der Schwarm,<br />
wir nehmen keine Gefangenen, wir fressen sie, um ihnen Ehre zu erweisen.<br />
Doch Euer Streiter hat so ehrbar gekämpft.<br />
Nehmt ihn und bestattet ihn auf Eure Art.<br />
Und vielleicht, ja vielleicht könnte aus dieser Niederlage gar eine Art Freundschaft oder<br />
Zusammenarbeit zwischen Euch und uns erwachsen.<br />
Nur, haltet Euch an Euer Wort. FRIEDE.<br />
Die langurische Brombeere<br />
Erzählen möchte ich heute <strong>von</strong> einer Pflanze, welche im hiesigen Reiche Languria eigentlich<br />
fast überall im Sumpfgebiet anzufinden ist.<br />
Man machte sich eigentlich gar keine Mühe, ihr einen Namen zu geben, da sie eh überall<br />
zu finden war.<br />
Doch nun hat sie durch ein Ereignis an Bedeutung gewonnen und ihr wurde ein Name<br />
verliehen.<br />
Wie schon angedeutet, findet man sie überall am Wegesrand, aber auch inmitten<br />
dichter Bepflanzung. Es ist ein Busch mit grünem Spross, normalerweise<br />
einen bis zwo Fuß hoch, der dunkle daumennagelgroße Früchte trägt,<br />
je nach Reifezustand bläulich bis schwarz gefärbt.<br />
20
Wenn man sie <strong>von</strong> den dornigen Ranken abgeerntet hat, sollte man sie sehr schnell essen.<br />
Denn zu Anfang sind sie sehr süß, doch später werden die abgeernteten Früchte bitter bis<br />
dahin, dass sie nach zwo oder drei Tagen giftig sind.<br />
Was hat nun dazu geführt, dass dieses Kraut zu solcher Berühmtheit gelangte?<br />
Ganz einfach:<br />
Der Reichsheld Brom, welcher im sagenumwobenen Duell gegen einen Veteranen aus dem<br />
benachbarten Finsterreich angetreten war, hatte eben diese Früchte einige Tage vor dem<br />
Duell abgeerntet und nach einer Wartezeit <strong>von</strong> drei Tagen und drei Nächten seine Waffe<br />
mit dem Saft <strong>von</strong> diesen eingerieben.<br />
Ein Kampf, welchen er sicher verlieren musste, gewann er ... durch alltägliche Mittel, die<br />
am Wegesrand wachsen.<br />
Ihm zu Ehren wurde diese Pflanze nun nach ihm benannt.<br />
Möge sie einem jedem Bürger Langurias ein Vorbild sein und daran erinnern, dass ein jeder<br />
ein Held sein kann – und dafür nicht viel braucht. Kein Geld, keine besonderen Mittel,<br />
einfach nur, was ihm Mutter Myra gibt.<br />
So geschrieben und verfasst <strong>von</strong><br />
Torlin Knockback<br />
größter Magi aller Zeiten<br />
Chronist und Herold der Schwarmkönigin Karma<br />
Pflanzen in Languria<br />
Da ich schon dabei bin, erzähle ich nun auch gleich da<strong>von</strong>, was es im Reiche Languria sonst<br />
noch so an Pflanzen vorzufinden gibt.<br />
Neben jenen, die man <strong>von</strong> sonst so kennt – wobei ich Dich, oh Du mein Leser, warnen<br />
muss: Denn nichts ist so, wie man es erwartet, und schon hinter dem nächsten Hügel ist es<br />
anders als dort, wo Du jetzt bist; lass Dir dies gesagt sein <strong>von</strong> einem, der viel gereist und<br />
noch mehr erlebt – möchte ich hier speziell auf einige Pflanzen eingehen, die ich sonst<br />
noch nirgends auf Myra bei all meinen Reisen entdeckt habe.<br />
Anfangen möchte ich mit den Bäumen.<br />
21
Ein Baum, welcher mich sehr in Verwunderung brachte – und dies mir, der<br />
ich wirklich sehr belesen und bewandert in vielen Künsten bin – ist der<br />
Rauchbaum. Er hat die Form wie ein ganz normaler Blätterbaum. Trägt<br />
einen guten Teil des Myrajahres auch Blätter, doch ...<br />
er hat eine Öffnung in sich, wie ein Schlund. Einen Rauchschlund! Und aus eben diesem<br />
kommt regelmäßig Rauch.<br />
Zu finden ist dieser sonderbare Baum vor allem im Sumpfgebiet. Man munkelt auch, dass<br />
dieser dafür verantwortlich ist, dass im und um den langurischen Sumpf – neben all den<br />
Fliegen – so starke Nebelwolken vorhanden sind.<br />
Dicht gefolgt wird dieses Exemplar vom Schleimbaum an Abartigkeit<br />
noch übertroffen. Vorzufinden auch im Sumpf, wachsen dort sonderbare<br />
Dinge, die <strong>von</strong> der Art an Schneckenschleim oder ähnliches erinnern.<br />
Es fällt bzw. tropft <strong>von</strong> den Ästen herab und legt sich auf die Dinge, die<br />
darunter sind. Zumeist sogar so, dass sie komplett eingeschlossen sind und darin dann ersticken.<br />
Danach sterben die eingeschlossenen Dinge.<br />
Ganz sicher bin ich mir jetzt nicht, denn es kursieren Gerüchte, dass die Wurzeln ab und<br />
an aus dem Boden greifen und diese eingeschleimten Dinge dann an sich ziehen. Doch ich<br />
als aufgeklärter Magi schreibe solche Gerüchte nicht nieder.<br />
Als nächstes folgt ein Baum, welchen ich als Meister der Arkanen Künste sehr<br />
schätze. Der Seher baum. Selbstverständlich werdet Ihr mich für einen<br />
durchgedrehten Mann halten, der zu tief in den Becher geschaut hat, doch<br />
glaubt mir, es gibt in Languria Bäume, an denen Augen wachsen.<br />
Auch diese sind <strong>von</strong> der Art nicht wirklich andersartig – aus der Enterfnung zumindest –<br />
wie ein normaler Baum. Doch diese Augen ...<br />
Es gibt sehr viele Gerüchte, was es mit diesen Augen auf sich hat.<br />
Sehen die Bäume wirklich? Wenn ja, was machen sie mit dieser Information? Es heißt, dass<br />
die Bäume sich unterhalten, aber was dann? Viele Dinge, die noch nicht geklärt sind.<br />
Aber Fremder, sei Dir gewahr, wenn Du einen Wald betrittst, wo solch ein Baum steht,<br />
dann wird alles, was Du dort tust, weiter getragen. Wenn ein Wind kommt, lausche diesem<br />
und Du wirst vernehmen, was der Baum über Dich zu berichten weiß.<br />
Abschließen möchte ich meine bäumische Pflanzenkunde mit dem Totenbaum. Er<br />
erwächst in kürzester Zeit dort, wo es grosses Blutvergießen gab. Für die<br />
22
Languren ist er ein Mahnmahl und zugleich ein Hinweis, den Toten an diesem Orte zu<br />
gedenken.<br />
Es erscheint dem Fremden, als würde ein hölzerner Wächter mit hölzernen Klauen und<br />
zum Teil sogar einer grimmigen Fratze einen erwarten.<br />
Fremder, solltest Du solch einem Baum begegnen, sei ehrfürchtig. Ich habe zwar noch nie<br />
erlebt, dass man <strong>von</strong> solch einem angegriffen wurde, aber es besser, Ehrfurcht und Demut<br />
bei diesen Bäumen zu zeigen, als später riesige Probleme zu haben.<br />
Ach ja, sehr oft ist es um diese Bäume etwas kälter – man spricht auch <strong>von</strong> der Totenkälte<br />
um diese Bäume – und man sollte nicht zu viel dort reden.<br />
So, genug über die Bäume Langurias geredet, kommen wir zum nächsten Thema, die<br />
normalen Pflanzen.<br />
Ganz in der Nähe der oben genannten Totenbäume findet man auch sehr oft<br />
die Skelettbüsche. Man stelle sich einen kleinen Busch vor, mit dornigen<br />
Ranken, welcher <strong>von</strong> der Größe zum Teil handgroß, zum Teil kopfgroß ist<br />
und welcher die Form einer Hand oder Klaue hat, die aus dem Boden nach<br />
oben greift.<br />
Wanderer, sei Dir sicher, meide diese Büsche. Schlage sie nicht für Feuerholz. Laß sie einfach<br />
in Ruhe stehen und mach einen großen Umweg um sie.<br />
Denn es heißt, sie greifen sich ab und an ihre Opfer und ziehen sie in die Tiefe.<br />
Abschließen möchte ich dann mit meiner Lieblingsblume, welche solch<br />
einen bezaubernden Duft hat, dass ein jeder, der auch nur in die Nähe <strong>von</strong><br />
ihr kommt, wie verzaubert ist. Die purpurne Sumpfblume.<br />
Parfümeure <strong>von</strong> nah und fern eilen, um nur ein wenig <strong>von</strong> ihr zu erhalten und diesen<br />
Duft an die weit entlegensten Gestade Myras bringen zu können.<br />
Es heißt, dass jede Frau, welche nur einen Hauch dieses Duftes an sich trägt, einen jeden<br />
Mann verführen kann.<br />
So geschrieben <strong>von</strong><br />
Thorlin Knockback<br />
Chronist <strong>von</strong> und zu Languria<br />
23
Von einer unnützen Pflanze<br />
Wir schreiben den gar garstigsten Winter, den ich je erlebt habe, im Jahre 427 n.P.<br />
und wie nicht anders zu erwarten, befinde ich mich zu Beginn und Ende der Geschichte in<br />
Adrodd, der wohl saubersten und heimeligsten Menschenstadt Myras.<br />
Es war einer jener Tage, in welchen man lieber im Bette geblieben wäre, doch selbst dort<br />
war es nicht schön, da die Kälte auch dort schon Einzug gehalten hat und so ward ich nun<br />
einmal wieder unterwegs. Unterwegs mit meiner Herrin Karma, um Seite an Seite mit ihr<br />
den Gefahren dieser Welt zu begegnen.<br />
Oh nein, es wäre gar schön gewesen, wenn irgendwelche Trunkenbolde und Söldner mit<br />
gezogenen Waffen uns bedrängt hätten und ich in meiner gar einzigartigen Manier ihnen<br />
mit meinem Magistab Einhalt geboten hätte.<br />
Doch weit gefehlt, wir stellten uns einem gar anderen Kampfe und ich gestehe, diese Art<br />
der Kämpfe sind … dumm.<br />
Wir trafen ein im Sitzungssaal und sahen sie schon, den kleinen Rat zu Languria, welcher<br />
erneut tagte, wie schon viele Tage und Monde zuvor – und nichts sinniges vollbrachte.<br />
Zu viele Interessen <strong>von</strong> Bauern und sonst irgendwas wurden vertreten und irgendwie erschien<br />
es mir, ist es wahrscheinlicher, Chnum mit seinem Streitwagen bei Nacht zu erblicken,<br />
als das diese da etwas gebacken bekommen würden.<br />
„Oh gebacken, da fällt mir ein, mein Frühstück war heute auch sehr dürftig. Darf ich? Danke.“<br />
Es ging einmal mehr um das Thema der Reichseinnahmen und was man ändern könne,<br />
um diese zu erhöhen. Durch Eroberungen wurde verworfen, da wir ein friedliches Reich<br />
sind und nicht dafür einstehen, über andere herzufallen und ihnen unseren Willen aufzuzwängen.<br />
Steuererhöhungen würden eher Unmut im Volke auslösen.<br />
So ging es einige Zeit und ich vergnügte mich mit dem dortigen Frühstück, als irgendeiner<br />
der Wenigen, die da waren meinte „Wie schaut es mit Handel aus?“<br />
Alle – selbst ich – schauten auf und hielten inne.<br />
„Wir betreiben Handel bisher, doch dieser verläuft bisher eher dürftig bis schlecht“, kam<br />
die Antwort. Nun war ich ganz Ohr, denn nun konnte es interessant werden. Meine Herrin<br />
lauschte auch, völlig interessiert und fragte höflich: „Was baut Ihr, werte Herren, denn<br />
hier für Handelsgüter an?“ Verdutzte Blicke folgten, verlegene auf den Boden gerichtete,<br />
Schweigen.<br />
Sie schaute verwirrt drein, denn sie verstand es nicht.<br />
Sie erhob sich und fragte nochmals „Darf ich erfahren, was es für ein Handelsgut für Myra<br />
gibt, welches nur in Adrodd erstellt wird?“<br />
Kopfschütteln war zu sehen.<br />
„Werte Karma. In Adrodd, der größten Stadt unseres Reiches gibt es bisher keine Handels-<br />
25
güter. Ihr vergesst, wir sind hier im Sumpf und der Sumpf gibt uns nicht viel. Keine Mineralien,<br />
keine Hölzer, nur“ eine wegwerfende Bewegung machend „diese unnützen Pflanzen,<br />
die wie Unkraut überall wachsen.“<br />
Ich rannte hinaus und kam wenige Augenblicke später hechelnd zurück, riss die Türe auf<br />
und hatte ein Büschel dieser unnützen Pflanzen in der Hand. Eher hechelnd als redend<br />
fing ich an: „Ihr meint diese Pflanzen hier?“<br />
Der kleine Rat nickte einhellig.<br />
Nun fing ich an, jenen, welche das Volk verkörperten, darüber aufzuklären, dass in anderen<br />
Reichen, die ich bereist oder belesen hatte, eben diese „unnütze“ Pflanze dafür genutzt<br />
wird, um etwas herzustellen, welches so edel ist, dass selbst die reichen Priester sich danach<br />
die Finger leckten. Papyrus.<br />
Man nimmt die Pflanze, schneidet sie in ganz kleine Teile, lege sie in Wasser ein, dass sie<br />
zerfasern und lege dieses Gemisch auf feinen Stoff und lässt es einfach dort trocknen. Was<br />
dann raus kommt, ist etwas sehr edles. Etwas sehr dünnes, welches <strong>von</strong> den Edlen und<br />
Weisen genutzt wird, um Gedanken festzuhalten. In gewissen Gegenden wird dies schlicht<br />
und einfach Papyrus genannt.<br />
Der kleine Rat war verwirrt, Karma begeistert und schon wurden die ersten Leute in<br />
Adrodd beauftragt, diese Pflanze zu schneiden. Andere damit, Tuche zu besorgen, …<br />
und schon am nächsten Tage ging es los.<br />
Zu Anfang musste ein jeder mit den Sachen noch vertraut werden, doch schon nach sechs<br />
Tagen glückte das erste Papyr und fortan wurde die Produktion angeworfen.<br />
Und ja, dieses Unkraut wächst ohne Ende nach. Wofür andere Monde brauchen, bis es<br />
nachwächst, wartet man hier keine drei Tage, um das Zeug wieder zu haben.<br />
So und nicht anders<br />
entstand das einzigartige Adrodd Papyr<br />
welches viele Weisenherzen und Priester glücklich macht und machen wird.<br />
gez. Thorvald Knockback<br />
Weiser unter den Weisen<br />
Vielbelesene und Weitgereister<br />
und noch vieles, vieles, vieles mehr<br />
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Es ward im Jahre 427 n.P.<br />
Die Zwickerkrankheit<br />
Ich befand mich in einem Reiche, welches sich Languria nennt.<br />
Ein Name, schön, als würde ein Barde eine Jungfer besingen, so sanft geht er einem<br />
über die Zunge. Süß, ja so schmeckt dieser Name und doch, seit mir die nun folgende<br />
Geschichte passiert, ist dieser Name mehr für mich.<br />
Languria ist ... Leben.<br />
Mein Name ist Berrd und ich bin ein Heiler.<br />
Ich befand mich in der Hauptstadt eben dieses Reiches, welche Adrodd heißt.<br />
Die Straßen sind eng, die Menschen ungewaschen und stinken, wie allüberall.<br />
Man rief mich in die Stadt, denn der dortige Herrscher sei sehr krank und jenem, der<br />
ihn heilen könne, sei viel versprochen.<br />
Ich traf mich einigen anderen aus meinem Gewerbe und hörte mir an, was sie bisher<br />
über den König vernommen hatten.<br />
Die Gerüchte kursierten und nur wenigen war der Zugang zu seinen Gemächern<br />
erlaubt.<br />
Mit Aderlaß hatte man es probiert,<br />
viele erlesene Kräuter aus den entferntesten Landen,<br />
Heilerinnen, Tänzerinnen, Priesterinnen, sogar Magier sollen schon anwesend gewesen<br />
sein und doch, der König ... verreckt vor sich hin.<br />
Er siecht scheinbar, riecht trotz feiner Düfte übelst, und wenn man nur in seine Nähe<br />
kommt, wird einem wegen seines Gestanks übel. Allen wird angeraten, sich sofort nach<br />
einem Gespräch mit diesem sich zu waschen um diesen Gestank <strong>von</strong> sich abzuwaschen.<br />
Speziell hierfür gibt es bereits die Königsseife.<br />
Ich befand mich gerade in einer der kleineren Gassen, fühlte eine ältere Frau ab und sie<br />
spuckte mich mit Blut an.<br />
Schweiß lief mir – wie schon so oft – über die Stirn in die Augen. Ich wischte es weg,<br />
fluchte und betete, dass ich sie retten könne.<br />
Sie hatte alle Anzeichen, wie schon so viele zuvor, die ich behandelt hatte.<br />
Scheinbar litt sie an der Zwickerkrankheit. Eine gar üble Krankheit. Sie verändert die<br />
Organe im Körper. Aus frischem guten Fleisch wird fauliges. Sie macht sich verschieden<br />
bemerkbar. Die Kranken klagen über Schmerzen und sind nur durch sehr starke<br />
Schmerzmittel am Leben zu erhalten. Im fortgeschrittenen Stadium fangen die Kranken<br />
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dann an, Blut zu spucken oder zu pinkeln. Und dann geht es nicht mehr lange. Selbst die<br />
stärksten Mittel helfen nicht mehr gegen die Schmerzen und sie verrecken elendig.<br />
Tja, dies ist die Zwickerkrankheit.<br />
Diese Frau schien auch da<strong>von</strong> befallen und ich drückte auf einige Stellen und merkte an<br />
den klauenartigen Händen, die sich in meinen Körper gruben, als wäre ich aus feinstem<br />
Stoff und nicht ein ausgewachsener kräftiger Mann aus Fleisch, Muskeln und Knochen.<br />
Dies würde wieder tiefe Kratzer in meiner Haut hinterlassen, doch ich hatte für solche<br />
Fälle ja eine gute Wundsalbe stets bereit.<br />
Es war, wie so oft, im Bauchbereich am Magen.<br />
Als ich die Finger da<strong>von</strong> löste, bekam sie wieder dieses Strahlen in die Augen, als wäre<br />
eine riesige Last <strong>von</strong> ihr genommen. Doch dann, die Augen verengten sich, sie<br />
schnaufte, die Augen wurden immer kleiner, ein schwarzer Schatten huschte über ihr<br />
Gesicht, sie holte Luft und wollte noch einmal schreien, der Mund öffnete sich, ein<br />
Blutschwall kam aus ihm hervor und sie ... war tot.<br />
Ich fluchte schon gotteslästerlich, denn sie starb in meinen Armen und ich hatte nichts<br />
dagegen tun können.<br />
Dies zog das Interesse der Umstehenden auf mich<br />
Doch in meiner Wut registrierte ich dies nicht. Ich nahm mein kleines Messer und stach<br />
in sie rein. Einmal, zwei mal, drei mal, vier mal und viele Male öfters.<br />
Wie besessen.<br />
Ich schnitt ihr den Bauch auf und schnitt ihren Magen heraus. Hielt ihn in die Luft, den<br />
Göttern entgegen und schrie WARUM. WARUM TUT IHR DIES AN?<br />
In der einen Hand mein gebogener Kurzdolch, in der anderen dieses Stück Magen, zum<br />
Teil zartes Fleisch, zum Teil dieses bräunlich dunkle Fleisch, welches die Krankheit ist.<br />
Es wurde leise um mich und ich drehte mich um, endlich mich besinnend, wo ich war<br />
und was ich getan hatte.<br />
Oh oh oh oh. Dies war es dann wohl mit meiner Arbeit, die ich viele lange Jahre<br />
getätigt hatte und bisher waren fast alle glücklich mit dem, was ich getan hatte.<br />
Ich hörte Stiefel, Speere, Metallrüstungen,<br />
mein Blick glitt sanft zur Seite, die Leute gingen auseinander,<br />
oh oh,<br />
und es trat eine Frau hindurch, gefolgt <strong>von</strong> einem sonderbaren Manne, der einen gar<br />
sonderbaren Umhang mit sonderbaren Symbolen trug und eine noch sonderbareren<br />
Hut. Ach ja, seine Haare waren blau!<br />
Es war eine Art tanzen und zugleich ... ich weiß es gar nicht und wenn ich daran denke,<br />
es dünkt immer noch ... unwahr.<br />
Mit sanfte Stimme fragte sie mich: Was ist hier los?<br />
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Sie deutete mit der Kinnspitze auf die Frau am Boden und dann ging ihr Blick auf mich,<br />
meine Hände und jenes Stück Fleisch, welches ich in einer hatte.<br />
Jener sonderbare Mann drängelte sich mehr oder weniger vor,<br />
Mein Name ist Torlin Knockback und dies ist Karma, die Schwarmkönigin, kam es <strong>von</strong><br />
ihm, doch ich nahm ihn gar nicht war. Irgendwas in ihren Augen fesselte mich. Sie hatte<br />
etwas. Nichts ruhiges, wie man es sonst in den Augen einer wunderschönen Frau hat, in<br />
welchen man sich als Mann zu oft verliert. Nein, es war etwas, wie ein Feuer. Kein<br />
verzehrendes Feuer, oh nein. Eher ein hungriges, noch ruhiges Feuer, welches ... fressen<br />
wollte.<br />
Nein, dies ist falsch beschrieben. Aber ich bin auch kein Schreiber oder gar Beschreiber,<br />
ich bin schlicht ein Heiler.<br />
Stadtwachen kamen nun an. Der Kommandant wollte schon an mir Hand anlegen,<br />
doch sie schüttelte nur kurz den Kopf, und er ließ augenblicklich <strong>von</strong> mir ab. Er wollte<br />
ansetzen, etwas Wichtiges zu sagen, doch ihr Blick strafte ihn, und er ... ging, wortlos.<br />
Wer war diese Frau?<br />
Ich zeigte auf die Tote am Boden und nuschelte eher: Sie hatte die Zwickerkrankheit.<br />
Aufmerksam schaute die Frau auf die am Boden liegende Leiche. Was ist das? fragte sie<br />
dann neugierig.<br />
Ich zeigte auf das Stück Fleisch in meiner Hand. Sehen Sie dies? Ich zeigte auf den<br />
Magen und dann speziell auf das kranke Stück Fleisch. Dies ist die Zwickerkrankheit.<br />
Tief holte ich Luft und ließ all meinen Gefühlen freien Lauf. Sie ist es, die ich bekämpfe.<br />
Tagtäglich habe ich mit ihr zu tun und ich schaffe es nicht, sie zu besiegen. Sie befällt<br />
Mensch und Tier und es ist uns nicht möglich, sie aufzuhalten oder gar zu heilen. Sie<br />
nistet sich in die Körper ein und frisst die Kranken <strong>von</strong> innen heraus. Diese wiederum<br />
leiden fortan Schmerzen in einem Maße, was ein normales Leben nicht mehr möglich<br />
macht. Sie reisst Familien unbarmherzig auseinander und verändert die Kranken und die<br />
Bekannten gleichermaßen. Einmal <strong>von</strong> ihr befallen ist man des sicheren Todes.<br />
Ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle und ich musste mir die Tränen mit dem<br />
Ärmel aus dem Gesicht wischen. Ich würde alles geben, um etwas zu haben, diese<br />
Krankheit heilen zu können. Etwas, was man den Kranken geben kann und dann die<br />
Krankheit am besten <strong>von</strong> innen heraus bekämpfen oder gar fressen würde.<br />
Danach sank ich in mich zusammen und schluchzte nur noch.<br />
Irgendwie erwartete ich, dass nun die Stadtwachen kommen würden und mich<br />
aufsammeln und einkerkern würden.<br />
Doch dies geschah nicht und so stand ich nach einiger Zeit und vielen Schluchzern<br />
wieder auf. Die Frau stand mit ihren sonderbaren Augen vor mir, ein Leuchten war<br />
darin, ein so seltsames alles gewinnendes und zugleich verzehrendes Feuer, ... hielt in<br />
der einen Hand diesen ausgeschnittenen Magen und in der anderen Hand hatte sie ...<br />
Würmer.<br />
Sie reichte mir die Würmer und sagte, Gebt dies den Kranken.<br />
29
Ich nahm sie, sprachlos, nickte und verstand nicht.<br />
Den ganzen Abend und die Nacht überlegte ich. Viel trank ich und ich verstand es<br />
immer noch nicht.<br />
Am Folgetag kam ich eine Ecke <strong>von</strong> Adrodd, wo das alte Lied wieder begann. Ein<br />
älterer Mann hielt sich auf einmal am Bauch, ging in die Knie und spuckte Blut.<br />
Verdammt, diese götterverdammte Krankheit.<br />
Was sollte ich nun tun?<br />
Die Würmer den Kranken geben?<br />
Ich fühlte den Mann ab. Er zuckte bei der Berührung seiner Bauchdecke extrem<br />
zusammen, spuckte mir Blut ins Gesicht und ...<br />
… ich gab ihm einen Becher starken Weins gegen die Schmerzen und flößte ihm zwo<br />
der Würmer ein.<br />
Und nun?<br />
Er wurde immer bleicher und ich fragte mich schon, ob diese Frau sich einen ganz üblen<br />
Scherz erlaubt hatte. Dies musste so sein, denn ... sonst wäre sie ja <strong>von</strong> den Göttern<br />
selbst gekommen. Dies kann nicht sein. Die Götter helfen einem nicht. Sie helfen einem<br />
nur, wenn man selbst was tut. Oder?<br />
Er packte meine Hand, wie schon so viele zuvor. Ich bereitete mich schon auf das<br />
Zittern und verkrampfen vor, auf die Schweißausbrüche, auf den letzten Blutspucker<br />
und ...<br />
doch er streichelte sich über den Bauch, bekam wieder Farbe ins Gesicht und strahlte.<br />
Was habt Ihr mir da gegeben?, fragte er noch, stand auf, schüttelte mir die Hand. Was<br />
bin ich Euch schuldig? und griff zu seinem Geldsack. Zwo Kupfermünzen wechselten<br />
den Besitzer und er ging pfeifend da<strong>von</strong>.<br />
Was war dies?<br />
Seither habe ich ein Verfahren gefunden, wie man die Würmer schnell vermehrt und<br />
bin ein gern gesehener Gast bei allen. Egal, ob arm oder reich, wenn Berrd kommt, wird<br />
immer gut aufgetischt.<br />
So Ihr Leute, glaubt es mir oder nicht,<br />
diese Krankheit, welche unheilbar schien, kann nun geheilt werden, durch mich!<br />
So berichtet <strong>von</strong><br />
-Berrd, dem Wunderheiler<br />
30
Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels<br />
Capitulum III: Die Danameris und die Religion<br />
Bekanntermaßen zählt Danamère zu den wenigen Orten dieser Welt, wo die Götter gering<br />
geachtet werden – wohlgemerkt nicht nur einige der Götter, sondern der gesamte Pantheon.<br />
Mag dies manchen seltsam und merckwürdig erscheinen, so ist es doch leicht zu erklären:<br />
denn selbst die Götter haben zu Danamère nicht die Macht, Wunder zu wirken. So sieht im<br />
allgemeinen auch kein Danameri – jedenfalls so er seine Heimat nicht zu verlassen gedenkt –<br />
Veranlassung, den Göttern Opfer oder andere spezielle Ehren darzubringen, um ihr besonderes<br />
Wohlwollen zu erwirken. Und darüber hinaus erbringet die Sonnderrolle Danamères auf Myra<br />
jedem Danameri den unumstößlichen Beweis, dass die Götter keinesfalls allmächtig seien.<br />
Gewiss, so dünket es gemeinhin die Danameri, mächtig sind die Götter, wie man in fremden<br />
Landen überall ersehen kann, doch ihre Macht hat Grenzen: Grenzen dessen, was sie vermögen,<br />
und wohl auch Grenzen kartographischer Art.<br />
So könnte man also annehmen, dass die Danameris in völliger Gottlosigkeit verharren und jede<br />
Religion mißachten; und auf nicht wenige unter ihnen mag dies sogar zutreffen. Jenen<br />
Danameris erscheint jede Art religiöser Betätigung als verlorene Liebesmüh und Zeitverschwendung.<br />
Doch rühret der Reichthum Danamères vor allen Dingen aus dem Handel mit fernen Gestaden,<br />
und die Kaufleute und Seefahrer wissen nur allzu gut um die Macht der Götter jenseits der<br />
heimatlichen Ufer. Schon ihrer Vorväter wussten, dass es sich lohnt, sich die fremdländischen<br />
Götter bei Gelegenheit gewogen zu machen; so opfern auch sie wie wohl Händler und Seefahrer<br />
überall auf der Welt den Schutzmächten des Handels und der Seefahrt, erflehen aber zugleich<br />
auch die Gnade derjenigen Mächte, die andernfalls auf die Idee verfallen könnten, Tod<br />
und Verderben über ihre Schiffe zu bringen.<br />
Viele vollziehen diese Akte zwar nur in fremden Häfen; einige besonders Vorsichtige haben<br />
sich jedoch sogar auf ihren Schiffe Schreine einpassen lassen, die bei Bedarf aufgeklappt und in<br />
Betrieb genommen werden können; und auch auf den äußeren Inseln Danamères findet man<br />
Schreine solcher Götter, vor allem in der Nähe der Werften und Hafenanlagen. Denn wenn sie<br />
diese Inseln auch aus gutem Grund meist meiden, so sind die Götter dort immerhin nicht ganz<br />
so machtlos wie auf der Hauptinsel Danamère selbst, wo sie – so jedenfalls sind die Danameris<br />
überzeugt – nicht mal erkennen könnten, wer ihnen Opfer bringt und wer nicht. Die nur logische<br />
Schlußfolgerung ist daher, dass es dortselbst auch keinerlei Anlaß für irgendwelche kultische<br />
Orte, Gegenstände oder Rituale gibt, außer vielleicht zu Zwecken öffent-lichen Amüsements.<br />
Zu berücksichtigen ist bei der Betrachtung dieser Unterschiede jedoch ebenso, dass gerade auf<br />
den äußeren Inseln natürlicherweise auch der Anteil <strong>von</strong> Seeleuten und Handwerkern fremdländischer<br />
Herkunft höher ist, denen aus Traditions- oder Herzensgründen daran liegt, ihre<br />
heimatlichen Bräuche und Rituale weiter zu pflegen.<br />
31
Zugleich zeigt sich aber auf allen Inseln Danamères erneut, dass ein Leben ganz ohne die Segnungen<br />
der Religion nur wenigen möglich ist – ob diese nun besonders abgeklärte, unabhängige<br />
Geister sind, wie einige meinen, oder nur zu sehr dem Weltlichen verhaftet, wie man in<br />
vielen Fällen bei genauerer Betrachtung der Person annehmen könnte, dies zu beurteilen will<br />
der modestate Author dieser Zeilen sich nicht anzumassen wagen.<br />
Denn auch wenn die meisten Danameris die fremdländischen Götter gering achten und auch so<br />
gut wie niemals mit anderen geheimnisvollen oder anderweltlichen Kräften in Kontakt<br />
kommen, so haben doch ihre Philosophen die Frage der Götter und auch die des Verbleibs der<br />
Seele nach dem Tod des Leibs immer wieder studiert, und sind dabei zu höchst unterschiedlichen<br />
Ansichten und Schlußfolgerungen gelangt. Diese will und kann der Author dieses Essays nun<br />
allerdings hierin nicht im Einzelnen ausbreiten; doch nachdem die selbstgestellte Aufgabe die<br />
Darstellung der wichtigsten Glaubenslehren der so unterschiedlichen Völker des Archipels ist,<br />
soll solches hier auch für das Reich <strong>von</strong> Danamère geschehen.<br />
Der Vereinte Kultus des Verborgenen<br />
Es heißt, der Vereinte Kultus gehe auf Firindior Sirinbart zurück, einen legendären Philosophen<br />
aus der Frühzeit Danaméres. Dessen Lehre beruht darauf, dass zu Danamère die Macht der<br />
Götter ende; ja, es gilt als Dogma, dass dort die Götter, so sie die Insel in irgendeiner der<br />
ihnen zur Verfügung stehenden Formen betreten, nicht nur ihre Macht zu Wundern verlieren,<br />
sondern gar in genauer jener Form selbst sterblich werden – wobei es freilich, soweit dem<br />
Authoren bekannt, keinerlei Beleg dieser These gibt.<br />
Daraus jedoch schliesst Sirinbart freilich nicht nur, dass die Götter nicht überall und jederzeit<br />
Allmacht besitzen, sondern er nimmt dieses auch als letzten Beweis, dass nicht die Götter<br />
Myra geschaffen haben – denn dann hätten sie sicher kein Land entstehen lassen, dessen<br />
Eigenarten ihnen jene Macht rauben –, sondern selbst lediglich ein Bestandteil der Schöpfung<br />
seien. Mit anderen Worten: Sie mögen höhere Wesen sein und mit überaus großer Macht<br />
begabt, doch sie sind keine wahren Götter, die aus sich selbst heraus existieren. Für Sirinbart<br />
und seine Anhänger gibt es nur einen wahren Gott, den sie den „Verborgenen” nennen, der<br />
alles erschaffen, den Göttern des Pantheon ihre Macht gegeben habe und sie ihnen auch nach<br />
eigener Willkür wieder nehmen könne. Das Sindral Danaméres aber sei das heilige Symbol<br />
dieses Wahren Gotts, denn durch es zeige er den niedrigeren Göttern seine Macht über sie<br />
und ihre Thaten.<br />
Dieser Gott sei somit der einzige, der wahrer Verehrung würdig sei, doch zeige er Verständnis<br />
für seine Gläubigen, wenn sie niedere Götter als Seine Aspekte und Helfer ansähen und um<br />
ihren jeweiligen Beistand in weltlichen Angelegenheiten bäten; denn der Verborgene selbst<br />
mische sich nur in höchst seltenen Fällen in weltliche Angelegenheiten ein. Gläubigen des<br />
Verborgenen ist daher ausdrücklich erlaubt, an Riten zugunsten jeden beliebigen Gottes je<br />
nach örtlicher Sitte teilzunehmen.<br />
Die Glaubenslehre des Verborgenen beruft sich weiterhin darauf, dass dieser einst dem Sirinbart<br />
erschienen sei, zuerst in Gestalt eines alten Mannes, danach noch einmal in Gestalt einer<br />
nicht-jungen, nicht-alten, aber ewig schönen Frau; diese letztere Vision ist bei den Künstlern<br />
der Kultusgemeinde besonders beliebt, obwohl die Lehre eigentlich besagt, dass es untersagt<br />
32
sei, sich ein Idol des Verborgenen zu machen. Daher werden solche Darstellungen meist als<br />
Allegorien bezeichnet. Diese Erscheinungen sollen auf Danamère, der Nebelinsel selbst erfolgt sein,<br />
und so die Vormacht des Verborgenen belegen, denn keinem andern Gott wäre ein solches Wunder<br />
an diesem Ort möglich gewesen. Sei dem, wie es wolle, in jedem Falle sollen so viele der Glau -<br />
benssätze auf Offenbarungen des Verborgenen selbst zurückgehen.<br />
Es gibt nur wenige Weihestätten des Verborgenen; zu Sitayana auf dem Berg Sithaja (auf<br />
dessen Gipfel die erste der Erscheinungen des Verborgenen erfolgt sein soll) befindet sich der<br />
Zentraltempel des Kultus, ein weiß gekalkter, mit überwiegend blauen Ornamenten versehener<br />
Kuppelbau mit eiförmigen Grundriß und strahlenförmig angeordneten, niedrigeren Anbauten.<br />
Ei und Kugel sind auch die beiden Symbole des Kultus, die teils miteinander konkurrieren,<br />
teils miteinander verschmolzen werden; zum Frühlingsfest ist es unter den Anhängern des<br />
Kults alt hergebrachter Brauch, sich wechselseitig mit gekochten Eiern zu beschenken, die<br />
zuvor kunstvoll mit mehrfarbigen Kreis-Ornamenten oder Kugel-Darstellungen bemalt wurden.<br />
In der Zerstörung dieser Kunstwerke beim anschliessenden rituellen Verspeisen der Geschenke<br />
sehen die Philosophen des Kults ein heiliges Sinnbild der Vergänglichkeit menschlichen Strebens.<br />
Der zweite, schon deutlich schlichtere Tempel des Kultus ist der aus schwarzem und blauem<br />
Marmor errichtete Draco-Tempel <strong>von</strong> Daracon; ansonsten werden die wenigen und meistenorts<br />
wenig formalisierten Riten des Kultus an einfachen Weihestätten sowohl auf der Haupt- als<br />
auch auf den Äußeren Inseln durchgeführt.<br />
Diese Weihestätten haben sehr unterschiedlichen Charakter; zu Aberlon sind es oft lediglich<br />
Heilige Haine, meist mit kreisförmig angelegten Lichtungen; zu Ragon sind es traditonellerweise<br />
in den Hügeln des Hinterlands verborgen angelegte Steinkreise. Auf beiden Inseln handelt<br />
es sich in vielen Fällen um sehr alte Plätze, und die Vermutung liegt daher nahe, dass sie<br />
bereits vor Aufkommen des Vereinten Kultus bestanden.<br />
Bei Tirivistral und Kavirindal finden sich kreisförmig angelegte, über Generationen hinweg<br />
immer wieder erneuerte Konstruktionen aus unbehauenen Baumstämmen, die ein kegelförmiges<br />
Strohdach tragen; in der Stadt Abernalon kann der Eingeweihte einige runde Arenen entdecken,<br />
häufig in Privatgärten, die zum Schutz vor der Witterung mit Segeltuch überspannt<br />
werden können und auch für Theatervorstellungen genutzt werden. Im erst kürzlich wieder<br />
befreiten Raganadon sind die wenigen verbliebenen innerstädtischen Weihestätten unterirdische<br />
Kavernen, die nur über die Keller einiger Gläubiger zugänglich sind.<br />
Den Glaubensvorstellungen der Kultusgemeinde zufolge ist ein „ehrenhaftes Leben” gottgefällig;<br />
Dienste an der Gemeinschaft erhöhen ebenfalls das „Gewicht” des Individuums vor dem<br />
„Verborgenen”. Wer aber ein hohes „Gewicht” erlangt hat, wird dereinst „erhoben” werden.<br />
Dabei bleibt aber ein Außenstehenden verborgenes Mysterium, was in diesem Zusammenhang<br />
„dereinst” und was „erhoben” bedeuten soll. Denn wie es dem Glauben an einen „verborgenen”<br />
Gott entspricht, der über allen anderen Göttern steht, steht vor der Einweihung in die<br />
detaillierteren Glaubenssätze und Mysterien ein aufwändiges und langwieriges Ritual des<br />
Beitritts zum Kultus; aus verschiedenen Erwägungen heraus hat der Verfasser dieser Zeilen<br />
darauf verzichtet, dieses Ritual an sich vollziehen zu lassen.<br />
33
Der Bund der Weisen<br />
Da der Author zu den Inneren Kreisen dieses Geheimordens nicht zugelassen wurde, kann er<br />
nicht aus eigener Anschauung beurteilen, ob es sich tatsächlich um ein im weitesten Sinne<br />
religiöses Gremium handelt; er muss sich hierbei auf Schilderungen anderer stützen.<br />
Doch werden durch die Angehörigen des Bundes bei ihren Zusammentreffen viele ausgefeilte<br />
Riten verzogen, die ihren Aktivitäten zumindest einen religiösen Anschein verleihen. Soweit<br />
bekannt, richten die Weisen aber keine Gebete oder Opfer an irgendwelche Götter; zumindest<br />
einige <strong>von</strong> ihnen wurden aber auch schon bei Zusammenkünften des Vereinten Kultus des<br />
Verborgenen gesehen, so dass nicht auszuschliessen ist, dass der Bund in seiner Gesamtheit<br />
diesem Kultus zuzurechnen ist. Jedenfalls scheint <strong>von</strong> den Beteiligten kein Widerspruch in einer<br />
Doppel-Mitgliedschaft gesehen zu werden.<br />
Unklar bleibt auch, welche Verbindungen oder Differenzen zwischen dem Bund und dem<br />
Magischen Institut zu Abernalon bestehen; auffällig ist allerdings, dass Aberlon die einzige<br />
größere Insel ohne Niederlassung des Bunds ist. Die Niederlassung auf Ragon wurde während<br />
der Besatzungszeit zwar verlassen, nun gibt es dort aber wieder eine Außenstelle.<br />
Zentrum der Aktivitäten des Bundes ist eigentlich Darascon und das Draco-Tal; jedoch ist die<br />
„Halle der Begegnung“ in Sitayana dem Vernehmen nach das wohl prunkvollste und aufwändigste<br />
Bauwerk des Bundes. Erdacht und erbaut vom berühmten Baumeister Sulmavan Fidirintolan,<br />
selbst Mitglied des Bundes, nach dessen Tod vollendet <strong>von</strong> seinem Sohn Rosmanion,<br />
stellt es sich bewusst als Labyrinth verschiedener Säle, Refektorien, Kulträume, Gärten und<br />
Wohntrakte für die Betreuer der Anlage dar, verbunden durch ein Geflecht <strong>von</strong> Laufwegen,<br />
Laubengängen, Arkadenwegen und geschlossenen Korridoren. Das ganze ist <strong>von</strong> einer zwölfeckig<br />
angelegten Mauer mit 14 Toren umgeben.<br />
Auch in Darascon selbst findet sich ein als „Halle der Begegnung” bezeichneter, vergleichbarer<br />
Komplex; doch ist dieser keiner einheitlichen Planung entsprungen, sondern über die Jahrhunderte<br />
allmählich um einen zentralen, immer wieder umgebauten und heute fünfschiffigen<br />
Hallenbau gewachsen. So hat hier die umgebende Mauer eine unregelmäßige Form, doch ebenfalls<br />
14 Tore. Ob diese Zahl aber eine besondere Bedeutung für die Mitglieder des Ordens<br />
hat, blieb dem Author bei seinen Recherchen bislang verschlossen.<br />
Die Haupteingänge beider Komplexe sind beidseits durch Drachenköpfe auf Säulen markiert.<br />
Auch die Zugehörigkeit zum Orden wird durch ein als Drachen-Rune bezeichnetes Symbol auf<br />
einem silbernen, zwölfeckigen Medaillon angezeigt; je nach Rang des Trägers ist die Rune mit<br />
einer zunehmend komplexeren spiralförmigen oder quadratischen Labyrinth-Ritzzeichnung<br />
hinterlegt.<br />
In beiden Hallen der Begegnung finden aber nicht nur geheime und mysteriöse Rituale statt,<br />
sondern auch regelmäßig Kongresse zu verschiedenen Wissens- und Interessengebieten, zu<br />
denen auch Gelehrte geladen werden, die nicht dem Orden angehören.<br />
34
Der Bund der Dunkelheit<br />
Der Bund der Dunkelheit ging dem Vernehmen nach aus einer Vereinigung <strong>von</strong> Minenvorarbeitern<br />
und Tunnelbaumeistern hervor; noch heute befinden sich seine Zentren bei Tirivistral und<br />
Kavirindril. Bedeutend ist auch die Niederlassung bei Sitayana, wo der Bund für die sichere<br />
Verschiffung vorgeläuterten Sindrals nach Aberlon zuständig ist; zudem betreibt er mehrere<br />
Sindral-Schmieden und -Werkstätten zwischen Tirivistral und Sitayana. Zwischen diesem Bund<br />
und dem Magischen Institut zu Abernalon bestehen enge Verbindungen; jedes Haus des Bundes<br />
besitzt einen eigenen Gästetrakt für Inspektoren des Magischen Instituts, umgekehrt gibt es<br />
ebensolche Trakte in den Einrichtungen des Instituts auf Aberlon für die „<strong>Bote</strong>n der<br />
Finsternis”, wie die offiziellen Abgesandten des Bundes genannt werden.<br />
Wie der Bund der Weisen ist auch der Bund der Dunkelheit ein geheimer Orden mit eigenen,<br />
nur den Eingeweihten bekannten Ritualen und Gebräuchen. Dem Vernehmen nach soll in<br />
diesen Ritualen unter anderem einem „Herrn der Schlangen” und einer „Mutter der Finsternis”<br />
gehuldigt werden; es bleibt aber aus Sicht des Authors unklar, ob es sich dabei tatsächlich um<br />
im weitesten Sinne religiöse Akte oder bloße Spielereien handelt, zumal diese Rituale offenbar<br />
ausschließlich auf Danamére, also nach Ansicht der Danameris außerhalb des Einfluß- und<br />
Wahrnehmungsbereichs der bekannten Götter vollzogen werden.<br />
Manche der „Dunklen Brüder”, wie sie sich auch nennen, werden angeblich gelegentlich auch<br />
bei Treffen des Kultus des Verborgenen gesehen, so dass es durchaus im Bereich des Möglichen<br />
zu liegen scheint, dass dessen Vorstellungen auch bei diesem Geheimorden verbreitet sind<br />
und jedenfalls <strong>von</strong> einem Teil der Mitglieder als vereinbar betrachtet werden.<br />
An dieser Stelle noch ein kleiner, aber notwendiger Exkurs für den interessierten Leser:<br />
Wenn ein Danameri <strong>von</strong> den „Dunklen” spricht, meint er damit verwirrenderweise meist nicht<br />
die Angehörigen des Bundes, sondern eine in allen Städten des Reichs anzutreffende, sehr<br />
dunkelhäutige Volksgruppe, deren Angehörige sich zwar häufig sehr erfolgreich im Bereich des<br />
Handels und der Verarbeitung <strong>von</strong> Kupfer und Eisen betätigen, aber kaum je die Minen aufsuchen.<br />
Im Gegensatz zu ihnen ist der durchschnittliche Danameri eher blaßhäutig – zumal<br />
diejenigen, die die meiste Zeit des Tages unter der Erde verbringen –, was für fremdländische<br />
Augen in Kombination mit den schwarzen Kutten und weiten Capes der „Dunklen Brüder”<br />
sehr unheimlich wirken kann.<br />
Die Jünger des Jenseits<br />
Auch bei vielen der sonst oft so nüchternen – doch gleichwohl häufig in Rituale verliebten –<br />
Danameris spielt die Beschäftigung mit der Frage, was nach dem Tod geschieht, eine große<br />
Rolle. Andere Völker haben da oft sehr viel genauere Vorstellungen; sie haben ihre Unterwelten<br />
und ihre Totengötter, die diese Unterwelten beherrschen oder jedenfalls die Seelen der<br />
Toten dorthin geleiten.<br />
Und auch wenn diese Götter auf Danamére wenig Macht haben, so glauben doch nur wenige,<br />
dass es auch in der Unter- oder Nachwelt ein Danamére gibt, wo die Seelen der Danameris<br />
weiter ohne Götter sein können. Darum zwingt allein schon die Vorsicht viele Danameris, den<br />
Totengöttern Ehrerbietung zu erweisen und Opfer darzubringen. Nun gibt es allerdings auf<br />
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Groß-Danamére keinen Tempel dieser Götter, zumal ja nach Überzeugung der Danameris dort<br />
dargebrachte Opfer <strong>von</strong> den betreffenden Göttern ohnehin nicht wahrgenommen werden<br />
können.<br />
In einem Reich der Händler wie Danamére wäre es höchst verwunderlich, wenn dies nicht als<br />
Marktlücke entdeckt würde. Anfangs waren es noch einzelne Reisende, die in fremdländischen<br />
Tempeln im Auftrag anderer Opfer darbrachten. Doch bald bildeten sie eine gemeinsame<br />
Zunft, aus der dann die „Jünger des Jenseits” entstanden. Sie haben klare Tarife:<br />
Relativ preisgünstig sind Opfer an Schiffsaltären auf hoher See, ein wenig teurer Rituale an Schrei -<br />
nen auf Aberlon oder Ragon (wo ja nach Ansicht der Danameri die Götter jedenfalls in der Lage<br />
sind, die Gebete und Opfer zu hören, auch wenn sie sonst – soweit bekannt – keine Existenzbeweise<br />
liefern); die Preise für Zelebrationen in fremdländischen Tempeln richten sich nach<br />
deren Größe, für das Beibringen geweihter Amulette und ähnlicher Gegenstände nach Erstehungskosten<br />
und Entfernung.<br />
Dabei sind die Jünger aber ziemlich indifferent gegenüber verschiedenen Glaubensrichtungen<br />
und Kulten – der Kunde bekommt immer das Ritual und den Gott oder die gottähnliche<br />
Wesenheit, den er gern hätte. Meist werden allerdings die herkömmlichen Götter Anur,<br />
Horcan und Talfur gebucht.<br />
Seit kurzem haben die Jünger ihre Dienstleistungen auch auf andere Kulte ausgedehnt, wie<br />
etwa Norto; Kunden sind hierbei vor allem Händler und Reeder, die <strong>von</strong> ihrem Heimatkontor<br />
auf Groß-Danamère aus viele Schiffe auf hohe See schicken. Dies bleibt aber ebenso eher ein<br />
Nebengeschäft wie die Beschaffung <strong>von</strong> Xnum-Schutzamuletten gegen Nekromantie.<br />
Die bevorstehende Eröffnung eines Anur-Tempels auf Ragon wurde <strong>von</strong> der Jüngerschaft unterschiedlich<br />
aufgenommen; einige befürchteten wegbrechende Märkte, wenn ein „richtiger“<br />
Tempel auf danamerischem Boden zur Verfügung stünde, die meisten sind aber wohl der<br />
Meinung, dass der Ausfall <strong>von</strong> Einnahmen sich auf Ragon beschränken und deutlich unter den<br />
zusätzlichen Einnahmen bleiben dürfte, die mit diesem neuen Produkt generiert werden<br />
können, das tariflich zwischen inländischen Schreinen und ausländischen Tempeln einzuordnen<br />
wäre.<br />
Aus:<br />
Sr. Gornal di Caspano e Gatnoff, Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels,<br />
2., erweiterte und aktualisierte Ausgabe <strong>429</strong> n.P.<br />
36
Langur-Blau<br />
Eine Farbe setzt neue Werte und bringt eine Wendung in die Welt.<br />
Im Sommer 428 n.P. im Reiche Langurien, wo sie ihren Ursprung hat.<br />
Woher sie kommt, ist keinem ganz klar, aber auf einmal war sie, und nun, knapp vier<br />
Monde später hat man sich daran gewöhnt. Nicht nur dies. Obwohl man immer noch lächelnd<br />
den Kopf schüttelt, so hat es etwas damit auf sich, was für niemanden ganz erklärbar.<br />
Es begann damit, dass jene Schafe, welche zur Wollgewinnung gezüchtet, auf einmal nicht<br />
mehr normale Wolle abgaben, sondern Wolle in einem gar blauen Farbton.<br />
Nicht irgendein blau. Oh nein.<br />
Ein blau, es ist kühl, tiefblau und bis dato noch nie gesehen in, auf oder unter Myra.<br />
Wer es erblickt, ist im ersten Augenblick … geblendet.<br />
Und dann öffnet sich einem das Herz und man frohlockt. Es ist, als würde durch diese Farbe<br />
Magie gewirkt. Magie, welche das Herz bewegt, Freude und Liebe und auch … andere<br />
Neigungen zutage treten lässt.<br />
Nun fragt Ihr mich, was ist dies für ein Blau?<br />
Ganz einfach, ein dunkles Himmelsblau. Kalt und doch kräftig. Es hat die Wärme des Tages<br />
und doch die Kühle der nahenden Nacht in sich. Es hat etwas Begehrenswertes, Herziges<br />
und zugleich Unbekanntes an sich. Der Reiz des Unbekannten, gepaart mit der Wärme<br />
des Tages. Dies ist diese Farbe in einem Ton, so satt, so schön, so … einzigartig.<br />
Wer Langur-Blau trägt, wird mit offenen Armen empfangen.<br />
Wer Langur-Blau an sich hat, dem widerfährt nur Gutes.<br />
Dies ist es, was ich darüber berichten kann,<br />
doch frage ich mich immer noch,<br />
warum sind die Schafe auf einmal so einzigartig blau,<br />
warum schafft es kein Magier, kein Alchemist, niemand, diese Farbe nachzumachen?<br />
So geschrieben<br />
<strong>von</strong> einem ausnahmsweise mal wirklich ratlosen<br />
Thorbald Knockback<br />
Historiker, Bierbrauer, Drachenfreund, Retter (halt, dies schreibe ich noch später nieder),<br />
Wolkenschiffbauer, Berater und Freund der Königin, Reisender, Chronist und einiges<br />
mehr<br />
37
Langurische Handelswaren<br />
Verehrte Händler, verehrte Völker <strong>von</strong> nah und fern.<br />
Meine Aufgabe ist es hier und heute, Ihnen kund zu tun über die gar schönen Waren, die es<br />
in dem lichten Reiche Languria zu ersteigern gibt. Der Einfachkeit halber nenne ich die<br />
Ware und beschreibe sie dann mit einigen wenigen Sätzen. Bei Fragen einfach direkt an<br />
mich richten.<br />
Schafswolle – aus der Festung Tubrynn wird in großen Mengen die wohl edelste und feinste<br />
Wolle des ganzen Segments geliefert. Es gibt Gerüchte, dass diese Wolle sogar so fein sein<br />
soll, dass selbst verwöhnte Spitzohren nur darin den lang ersehnten Schlaf finden können.<br />
Selbst Prinzessinnen sehnen sich, sofern sie einmal ein Kleid aus dieser Wolle gemacht, getragen,<br />
nur noch nach einem, nach Kleidung aus langurischer Wolle gefertigt. Doch auch der<br />
einfache Bauer schätzt unsere Ware, denn sie ist stabil, regenabweisend und zugleich preiswert.<br />
Räucherfisch – aus der stolzen Stadt Owuran. Geräuchert sind diese edlen Fische über<br />
edlem Sumpfbirnenbaumholz, welcher einen gar unnachahmlichen Geschmack dem Fisch<br />
verleiht und selbst aus ödem Fisch ein Gericht macht, welches selbst Königen den Atem<br />
stocken lässt. Einmal gekostet, nimmer mehr vergessen und ewig in Erinnerung des Genießers.<br />
Kaufen sie, kaufen sie und das Herz des Bekochten gehört Ihnen, für immer.<br />
Jagdfalken – aus der stolzen Festung Silvana kommen sie, die stolzesten Jagdvögel, die zur<br />
Zucht erhältlich. In jahrelanger Feinstarbeit werden sie herangezogen, um schnell, wie ein<br />
Pfeil hernieder zu schießen und die vom König auserkorene Beute zu reißen, in die Luft zu<br />
ziehen und dann in die Tiefe stürzen zu lassen. Wer einmal auf der Jagd, der weiß, wie<br />
mühselig es ist, sich solch ein Tier heran zu ziehen. Das ideale Geschenk für einen Herren,<br />
dem Ihr Gutes tun wollt. Oder aber, ein Geschenk für Euch selbst. Denn mit solch einem<br />
Falken macht die Jagd doppelt Spaß. Kaufet und sehet selbst.<br />
Und zu guter Letzt:<br />
Papyr - aus der saubersten Menschenstadt dieseits und jenseits dieses Segmentes. Aus<br />
Adrodd. Geschaffen für Weise, geschaffen <strong>von</strong> Arbeitern. Es ist Regenabweisend, stabil – hält<br />
sogar Schläge aus und ist sogar mehreren Schabungen verträglich – und selbst leichte Flammen<br />
können dieser neuen Schaffenstechnologie nichts anhaben. Das Ultimative Medium, um<br />
Wissen <strong>von</strong> nah und fern zu sammeln und all jenen kund zu tun, die in der Ferne und nicht<br />
daneben. Kaufet und schreibt nieder, all Euer Wissen, denn ein jeder soll da<strong>von</strong> erfahren.<br />
So geschrieben für all jene, die es interessiert.<br />
Thorvald Knockback<br />
Bescheidener Schreiber aus Languria<br />
38
Handelssteuer und Zoll im Reiche Languria<br />
Verfasst im Frühjahr 428 n.P.<br />
Beschlossen vom Kleinen und Großen Rat zu Languria.<br />
Hiermit sei kund getan, dass ein jeder und eine jede, welche Waren oder Dienste anbietet,<br />
hierfür Steuer an das Reich entrichten habe. Diese nennet sich: Handelssteuer.<br />
Es ist uninteressant, was verkauft wurde, am Ende zählt der Preis. Der Zehnt des gesamten<br />
Verkaufswertes wird an die Reichskasse sofort abgeführt.Hierfür werden auf den Märkten<br />
spezielle Mannen abgestellt, welche zum einen über die Einhalt der gebotenen Sitten<br />
wachen, am Ende des Tages dann den Zehnt <strong>von</strong> einem jedem, der verkauft hat, abholen.Bei<br />
Zuwiderhandlung – zu nennen, versuchter Betrug und ähnliche Dinge – ist mit schlimmsten<br />
Strafen zu rechnen. Neben dieser Handelssteuer wird zusätzlich eine weitere Sache eingeführt,<br />
welche alle Händler betrifft, welche <strong>von</strong> außerhalb Langurias kommen und ihre<br />
Waren in unserem Reiche anbieten Zoll genannt.<br />
Bevor die Händler ihre Waren feilbieten dürfen, müssen sie das Volumen, welches ihre<br />
Waren haben, notieren lassen. Hierfür bekommen sie ein ausgefülltes Blatt Papyr im Gegenwert<br />
für ein Kupferling (der Wert eines Ei in etwa) auf welchem steht<br />
- wer der Händler ist (Name, Beruf, Herkunft)<br />
- an welchem Tage er mit den Waren ankam<br />
- wie viel Volumen er hatte<br />
Wenn besagter Händler nun <strong>von</strong> dannen zieht, wird gemessen, wie viel Volumen er nach<br />
dem Handel hat. Sollte er gleich viel oder mehr Volumen haben – also die gleiche Menge<br />
wieder gekauft haben oder nichts verkauft haben – so muss er nichts entrichten.<br />
Sollte seine Menge geringer sein, so gibt es eine Staffelung:<br />
- fast die gleiche Menge bis zur Hälfte<br />
10% des Verkaufswertes ist an die Kirche abzutreten – Kirchenzehnt für guten Handel<br />
- ein Zehnt bis zur Hälfte<br />
10% des Verkaufswertes ist an die Kirche abzutreten<br />
10% sind an das Reich Languria abzutreten - alles verkauft bis zu ein Zehnt<br />
15% des Verkaufswertes an Norto zu spenden zum Ausbau der Tempel<br />
10% an das Reich Languria<br />
5% als Reichensteuer, um den Armen im Reiche Gutes zu tun<br />
Bei Zuwiderhandlung/versuchtem Betrug wird mit harten Maßnahmen zu rechnen sein.<br />
Wobei Strafen <strong>von</strong> bis zu 50% Verkaufswert-Entzuges zu erwarten sind und bei Häufung<br />
dieses Vorkommens könnte es zu drastischeren Maßnahmen kommen.<br />
Somit, liebe Händler <strong>von</strong> nah und fern:<br />
Gehabet Euch Wohl, lasst es Euch durch den Kopf gehen und ich hoffe, Euch schon sehr bald<br />
auf einem der zahllosen Märkte in Languria begrüßen zu dürfen.<br />
Evtl. ist es aber ratsam, schon zuvor im nahe gelegenen Norto-Tempel des Gottes der Kauf leute<br />
eine kleine angemessene Spende zukommen zu lassen, um ihn Wohlzustimmen.<br />
gez. Thorvald Knockback<br />
Hofschreiber + Chronist zu Languria<br />
39
Wer oder was ist Mar<strong>von</strong>, der Blaue?<br />
Mar<strong>von</strong> der Blaue<br />
Er zählt knapp 22 Lenze, misst eine Größe <strong>von</strong> knapp 5,7 Schritt oder wie man in anderen<br />
Gebieten sagen würde, 1,73 m.<br />
Je nach Umständen ist er gut genährt oder hungert schon seit Wochen, und dies sieht<br />
man dann seinem Bauche recht schnell an.<br />
Kleiden und geben tut er sich … tja, das hängt <strong>von</strong> einigen Dingen ab.<br />
Wie viel Geld er hat, wo er ist und mit wem.<br />
Sagen wir, es hängt <strong>von</strong> seiner Gesellschaft ab.<br />
Doch wer ist er?<br />
Er ist ein Kaufmann.<br />
Doch anders als bei normalen Kaufleuten stehen bei ihm nicht die Goldstücke im Vordergrund,<br />
sondern das Herz. Schon öfters ist es ihm passiert, dass er ein gutes Geschäft<br />
versaut hat, weil er treudoof einem armen Tropf glaubte, während er die Reichen verspottete.<br />
Oder aber – und dies macht ihn aus – er geht keiner Wirtshauskeilerei aus dem Wege.<br />
Ist der Grund noch so banal – irgendein breitschultriger angetrunkener Kämpe aus<br />
den Kriegen lästert über einen Krüppel in der Ecke – und schon steht er da, Mar<strong>von</strong>,<br />
der Blaue und beschützt jenen, der sich allein nicht wehren kann.<br />
Zumeist kommt er mit gar schön veilchenfarbenen Augen und angebrochenen Knochen<br />
heim, doch irgendwie hat er das Glück auf seiner Seite (und viele Freunde), und<br />
so können sie schon zwo Tage später die Spelunken <strong>von</strong> übellaunigen Halunken befreien<br />
und lachend neuen Abenteuern entgegen fiebern.<br />
Doch wer tut es ihm an?<br />
Tja, dies ist es, was bisher noch niemand ganz verstanden.<br />
Er dreht sich nach der alten Frau genau so um wie nach der schönen Frau. Wobei es<br />
sogar sein kann, dass er die schöne Frau ziehen lässt und einem alten sabbernden Mann<br />
dafür beisteht.<br />
Man könnte sagen, die Hauptneigung des Kaufmanns fehlt ihm, zum eigenen Vorteil<br />
arbeiten.<br />
Und doch, man mag schlecht <strong>von</strong> ihm reden, aber er hat sein Herz auf dem rechten<br />
Fleck, und genau dies ist es, was ihm die Herzen vieler zukommen lässt.<br />
Aber ob dies ausreicht, um an fremden Gestaden, wo bis dato noch kein Languri war,<br />
sein Glück zu machen und sein Reich erfolgreich nach außen zu vertreten?<br />
Wir werden sehen.
Eine Schifffahrt, die ist lustig<br />
Wir schreiben das Jahr 428 n. P. und befinden uns in der wohl reinsten Hauptstadt Karnicons.<br />
Und wenn mich mein gar gelehrtes Hirn nicht im Stiche lässt, behaupte ich sogar,<br />
die gar sauberste Stadt – ich höre schon die Unkenrufe der Spitzohren und revidiere meine<br />
Aussage – der Menschen auf ganz Myra.<br />
In eben dieser Stadt, als es Sommer war und der Friede das Reich beglückte, wurden eineinige<br />
Neuerungen zwar mürrisch und doch wohlwollend durchgeführt.<br />
Ja, wie dies, fraget Ihr mich nun.<br />
Es ist einfach. Was sagt Ihr, wenn Euch untersagt, zu tun, was Ihr<br />
ein Leben lang getan, um einfache Arbeiten zu tun, danach aber<br />
besser leben, um danach zu tun, was Ihr nicht müsst, sondern wollt,<br />
<strong>von</strong> Herzen und dies so dann so gut tut, dass jenes, was Ihr schafft,<br />
viel besser und ertragreicher, als Ihr es Euch in Euren kühnsten Träumen je hättet vorstellen<br />
können?<br />
Naja, ich schweife ab und ich denke, wir belassen dies mit diesem fast unpassenden<br />
Nebenkommentar und kümmern uns um die wichtigen Dinge.<br />
Die Dinge, welche ganze Reiche bewegen und vielleicht, ja vielleicht eine Ära einleiten,<br />
welche nun den Anfang genommen und in Kürze, ja in Kürze vielleicht ganz Myra erfassen<br />
werden.<br />
Ihr fraget mich nun,<br />
wo handelt überhaupt, wo<strong>von</strong> ich erzähle?<br />
Oh Ihr Ungebildeten. Welche Menschenstadt kennet Ihr, die bekannt durch ihre Reinheit?<br />
Ihr kommt nicht darauf?<br />
Dann gehet <strong>von</strong> dannen, denn mit solchem plumpen Pack hab und will ich nichts zu tun<br />
haben.<br />
Ich bin ein Magister meines und vieler anderer Stände. Ein, ach, was sag ich, der Meister<br />
der Magi und Erschaffer vieler gar wundersamer Dinge. Und da wollt Ihr, dass ich mich<br />
mit Euch Plumpen unterhalte und meine gar kostbare und geringe Zeit mit Euch verschwende.<br />
Pah. Nicht mal, wenn Ihr mir einen Krug Eures besten Bieres spendieren würdet.<br />
Denn selbst dieses kann niemals nicht so gut sein, wie jenes, welches ich selbst in<br />
meisterlicher Art und Weise geschaffen. Sumpfbier. 1<br />
Wo war ich? Lasst mich kurz inne halten und überlegen. Soll man dies auch schreiben?<br />
Nun denn, auf dem Pergament ist es bereits, die Tinte lässt sich nicht mehr runter schaben<br />
und wenn, dann haben wir hier ein Loch. Wäre dies ratsam? Naja, brachte wohl nichts,<br />
außer Flecken.<br />
Es war ein Sommertag und es pochte an das hölzerne Tor.<br />
Man öffnete es, es tagte der kleine Rat mit Ausnahme der Königin, die unterwegs war, um<br />
1 Sollte aber irgendjemand mein Braurezept finden, so würde ich mich sehr dankbar darüber zeigen. Es soll nicht<br />
zu Deinem Nachteil gereichen.
gar wichtige Dinge im Reich zu erledigen. Herein lief ein junger Herr in grellen Farben<br />
und mit einer blauen Haarpracht.<br />
Ja, ich gestehe, es hat auch was mit mir zu tun, dass vor allem die jungen Gecken des Reiches<br />
neuerdings die Haare andersfarbig tragen. Doch auch darüber will ich mich nun ausschweigen,<br />
denn es würde <strong>von</strong> dem Wichtigen, welches ich zu erzählen habe, ablenken<br />
und eine Geschichte ist wie eine Suppe nur gut, so lange sie warm ist, und sollte somit<br />
frisch genossen werden und nicht, wenn sie alt und verdorben und <strong>von</strong> vielen schon erzählt<br />
ist.<br />
Er tappte forschen Schrittes herein, keine 30 Lenze zählend. Kaum ein Brüstlein und doch<br />
ein auftreten, als hätte er allein eine Schlacht geschlagen und gewonnen. Ja, so wie unser<br />
geliebter und gefeierter Volksheld Brom. Ihm, der unser Reich vor der Finsternis bewahrte<br />
und welchem wir einen jeden Tag gedenken.<br />
Er verneigte sich vor dem kleinen Rat und stellte sich vor „Mein Name ist Mar<strong>von</strong>.“. Sich<br />
fast bis zum Boden verneigend und dann weiter fortführend „Mar<strong>von</strong>“ auf seine Haare zeigend<br />
„der Blaue“ und mit einem siegessicheren Lächeln sicher erhebend. „Was wünscht<br />
Ihr?“, wurde nun forsch gefragt.<br />
Doch Mar<strong>von</strong> ließ sich nicht beirren. „Ich vermisse eine gewisse Dame. Man nennt sie<br />
auch Königin. Wo verweilt sie?“<br />
Ein Husten und Raunen ging durch die kleine Gruppe „Die Dame ist anderweitig beschäftigt“,<br />
kam es hüstelnd hervor, wobei unter vorgehaltener Hand doch viel gelacht wurde.<br />
„Nun denn, ich möchte mich in Eure Dienste stellen“ antwortete er geschwind.<br />
„Womit?“<br />
„Ja, mit mir.“<br />
Eine flache und zugleich gro0e Hand klatschte auf den Tisch „Junger Herr. Ihr sprecht vor<br />
dem Kleinen Rat. Ihr habt somit eine Ehre erwiesen bekommen, derer die meisten nur selten<br />
in den Genuss kommen. Nun wiederhole ich nur noch einmal meine Frage, womit<br />
könnt Ihr uns dienen?“.<br />
Alle Blicke richteten sich auf ihn und dann wieder auf den Sprecher, welcher sich aufgerichtet<br />
hatte. Trotz des Alters sah man dem Sprecher seinen stämmigen Körperbau an und<br />
dieser ließ erahnen, dass er schon manch eine Schlacht geschlagen. Die Augen, schon alt<br />
und weise, strahlten eine Kälte aus, welche selbst Wüstensand gefrieren ließe.<br />
Mar<strong>von</strong> schluckte. Seine Knie zitterten, und er verschluckte sich nochmals. Schweiß begann<br />
sich auf der Stirn zu bilden, und doch stand er seinen Mann. „Ich biete mich an. Mar<strong>von</strong>,<br />
den Blauen und ...“<br />
Schon patschte die Hand erneut auf den Tisch. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit für<br />
Wiederholungen. Was wollt Ihr?“<br />
„... und ich möchte im Auftrag <strong>von</strong> Ihnen im Süden Ihre Waren verkaufen dürfen. Ich<br />
stelle hierfür ein Boot und eine Segelmannschaft und“ – kurz inne haltend, dann, bevor die<br />
Hand wieder auf den Tisch knallte – „und mich als Kaufmann“.
Der kleine Rat schaute sich gegenseitig an, ein kurzes Nicken unter den Ratsmitgliedern<br />
„Was verlangt Ihr <strong>von</strong> uns dafür?“ Der Sprecher hielt kurz inne, bevor er fortfuhr: „Reichsweit<br />
und wohl auch über die Grenzen hinaus ist ja Eines bekannt: Ein Kaufmann macht<br />
nichts umsonst.“.<br />
Ein Lächeln umspielte die Lippen <strong>von</strong> Mar<strong>von</strong>, dem Blauen und er antwortete flüsternd:<br />
„Umsonst wäre mein Dienst nicht. Nur kostenlos.“<br />
Danach unterbreitete er seinen Vorschlag, und fortan fuhr er voll beladen mit den Gütern<br />
des Reiches auf seinem Schiffe fremden Gestaden entgegen.<br />
Was erzähle ich da? Auf seinem Schiffe? Ha ha. Er bekam vom kleinen Rat zwo weitere<br />
gestellt.<br />
Und so, verehrter Hörer und Leser, muss ich gestehen, fuhr die stolze Flotte los. Zu erkennen<br />
an den blauen Segeln des jungen Herren. Die Schiffe, welche er unter seiner Leitung<br />
hatte, hießen<br />
Hoffnung<br />
Freude<br />
Schatz<br />
Mögen sie ihm, vor allem aber dem Reiche Ruhm, Ehre und viel Gold einbringen.<br />
So geschrieben <strong>von</strong><br />
Thorvald Knockback,<br />
seines Zeichens größter Magi aller Zeiten und<br />
großer Chronist der einzig wahren Königin dieser Welt.<br />
A
Erwachende See<br />
Die Schlacht und der Wahnsinn tobten auf dem Meer. Gewaltige Schiffe stehen in fahlen<br />
Flammen, züngeln vor Wut auf die kleineren Schiffe der Menschen, baden sie in<br />
Hitze und verbrennen unterschiedslos Fleisch und Holz. Klingen fliegen über die Decks<br />
und löschen die Hitze mit dem Blut ihrer Herren, Hände, Köpfe, Füße, Körper unterschiedslos<br />
zerschnitten.<br />
Wenn der Baumeister nicht bei Niun lag, war sein Geist anders. Freier? Er war anders.<br />
Der Baumeister wusste es nicht einzuordnen. Er bevorzugte diese Art des Denkens<br />
nicht, aber er fand sie auch nicht abstoßend. Es war auch nicht verstörend, mehr erfrischend,<br />
auf eine kühle Art und Weise. Seine Gedanken bewegten sich in für ihn überraschenden<br />
Bahnen, hielten Gedanken und verfolgten sie, spürten ihnen nach, wie ein<br />
Räuber auf der frischen Spur seiner Beute. Was der Baumeister wohl heute erlegen würde?<br />
Er gestattete sich, innezuhalten und die Eindrücke in sich aufzunehmen. Vor dem<br />
Baumeister lag die Handvoll unbeschädigter Menschenschiffe. In seinen Augen blitzte<br />
kurz ein Gedanke auf, als er ironisch lächelnd seufzte. Er suchte kurz nach dem Namen<br />
der Menschen, dem Namen ihres Wurzelhortes, doch er fand nur Leere. Seine Augenbrauen<br />
verzogen sich zu einem kurzen Runzeln, als er nach den Namen derer suchte,<br />
die in einer schnellen Kette <strong>von</strong> Assoziationen in seinen Gedanken vorbei flogen. Doch<br />
sie kannten keinen einzigen Namen. Er blickte sich um und befand niemanden würdig,<br />
sich zu erinnern, den Namen einer Erde in sich zu tragen. Es störte ihn nicht weiter. Er<br />
wusste, dass die Niun dem Land Namen gaben, Sie hatten mit diesen Namen gelebt,<br />
aber das Problem mit Land war dessen Beständigkeit – es bewegte sich nicht und verschwand<br />
aus seinen Gedanken, aus seiner Aufmerksamkeit. Die Niun waren blind für<br />
diese Beständigkeit, es existierte nicht in ihrer Wahrnehmung. War dies ein interessanter<br />
Gedanke? Der Baumeister erlaubte sich die Müßigkeit, weiter zu denken. Alle Namen<br />
stammten tatsächlich aus seinem Volk, und die Niun verwendeten sie aus reiner<br />
Höflichkeit. Arbeit wartete auf ihn. Für ihn und seine Männer, mit den kunstvoll verzierten<br />
Gesichtern, spielte Zeit keine Rolle. Ihre menschlichen Körper waren nahezu<br />
perfekt, ganz wie idealisierte Statuen, die in ungleichmäßigen Zeitabständen in an<br />
Wahnsinn grenzende Aktivität verfielen. Dazwischen träumten sie.
Der Baumeister blickte auf die perversen Schiffe der Menschen hinab. Als er über das<br />
Deck schritt, spürte er die toten und seelenlosen Lebensadern, aus denen sie brachial geschnitten<br />
waren. Über die Schulter sah er die gewaltigen Bäume des Blattes in die Höhe<br />
ragen, stolze Lebewesen, die das Land und dem Himmel mit Wasser verbanden. Es<br />
stank. Für einen Lidschlag schloss der Baumeister seine Augen. Was er erblickte, war<br />
Schönheit. Die Sonne sank über dem Ebenenrand, und sein Geist schwebte hoch über<br />
dem Kind Mannanauns. Vor seinen Augen breitete sich der Körper der Niun hunderte<br />
<strong>von</strong> Kilometern in die Ferne aus. Es war ein funkelndes Glitzerband, das sich wie eine<br />
Seeschlange im Meer wand. Eine glitzernde Perlenkette auf der glatten Haut einer Mysing.<br />
Unter ihm erblickte er nicht mehr als einen Finger dieses gewaltigen Wesens<br />
Niun. Sie waren dieser Finger, der sich bald zu einer Faust schließen würde, und vielleicht<br />
würde sogar der Körper folgen. Er spürte wie sein Traum endete, und schnell<br />
sandte er seinen Ruf.<br />
Die Lebenden und die Ahnen sammelten die Reste der Schlacht. Die sterbenden Schiffe<br />
und ihr Blut, totes Fleisch, sank nach unten, und das Meer schäumte vor Leben dort,<br />
wo die Toten in ihren Schoss sanken. Fischschwärme, Krabben, Muscheln, Vögel, sie<br />
alle fraßen <strong>von</strong> dem toten Fleisch, welches das Meer befruchtete. Sie arbeiteten schnell<br />
unter der Aufsicht des Baumeisters. Er hatte dies nicht oft getan, denn nur selten fielen<br />
Ihnen die Schiffe der Menschen in die Hände, die ein Weiser beleben wollte. Diese hoch<br />
gewachsene und schlanke alte Niun yeMaari stand regungslos am Rand des Blatt und<br />
beobachtete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Ihre weiße Haut war violett verfärbt, in<br />
ihren Augen schwamm Chaos, ihr Geist noch eingetaucht in den Wirbeln des Mahlstroms.<br />
Sie brachten die Lebenden wie Sterbenden und begannen mit ihrer Arbeit. Die weißen<br />
Schiffe zerfielen und bildeten die Basis für die Menschenschiffe. Sterbende der Niun<br />
wurden an den Übergangsstellen verbaut, Lebende in den Schaum eingewoben. Die Magie<br />
des Weisen floss wie ein warmer Wind über die mächtigen verzierten Arme des Baumeisters,<br />
wurde <strong>von</strong> ihnen eingefangen und verschmolzen mit seinen Händen und den<br />
lebenden Schäumen und Korallen zu einem verwirrenden Gemisch. Sie wurzelten die<br />
Bäume in Erde, brachen Planken, verstärkten sie, spalteten und formten sie zu einem<br />
undurchdringlichen fremdartigen Gespinst. Aus den langen Haaren des Weisen lösten<br />
sich Samen und Pollen des Blattes und nisteten sich wie Embryonen in dem gespaltenen<br />
Holz ein. Sie arbeiteten hart und konzentriert, die Arbeit selbst erschienen ihnen als ein<br />
leichter Traum, und so ermüdeten sie nicht, während sie Knochen brachen, Holz spalteten,<br />
Fleisch formten. Als die Sonne wieder über den Horizont kroch – einen Tag, eine<br />
Woche später, das war für den Baumeister irrelevant, er hatte auf solche unwichtigen<br />
Dinge nicht geachtet – war sein Werk fertig. Zufrieden lehnte er sich zurück und betrachtete<br />
die neuen gewaltigen Ahnenschiffe.<br />
Ein <strong>von</strong> mächtigen hölzernen Speeren gespickter Alptraum. Ein weißer Stachelfisch,<br />
tödliches Gift für alle, die sich <strong>von</strong> seinem weichen Fleisch verführen ließen. Rund und
fett lagen sie zwischen den Rochen und Knochenwalen, zu Stahl erstarrter Meeresschaum.<br />
Das Meer funkelte nun auch des Nachts in einem unheimlichen Licht, das aus den Tiefen<br />
des dunklen Wassers nach oben strahlte. Es war ein unstetes Flackern, fahle Irrlichter,<br />
die den Leichtsinnigen in die Tiefe herabzuziehen vermochten. Das Meer war erwacht,<br />
und sein Bewusstsein brannte schwach.<br />
Haftfeuer<br />
Durch ein kristallblaues Nichts schwebt die am Kiel des Katamarans festgewachsene<br />
Korallenqualle. Zwei oder drei dieser Blasen sind erst mit dem Kiel und dann untereinander<br />
verwachsen. Ein elegantes, langgezogenes und zerklüftetes Gebilde, das in dem<br />
weichen Licht Unterwasser in einem hellen weiß schimmert. In den Blasen liegen<br />
schlanke, regungslose Körper die sich ihren Träumen vollkommen hingegeben haben.<br />
Durchsichtige gelleeartige Fenster durchziehen die betonharten Meerschaum Korallen<br />
und geben ein wunderschönes Panorama auf die Unterwasserwelt dar. Die Blasen sind<br />
nach oben hin offen, führen zu einer schmalen Treppe die durch den Kiel hinauf zu<br />
dem Deck des Katamarans führt. Das Deck liegt leer im Sonnenlicht, nur selten steigen<br />
die Niun hinauf in die strahlende Sonne des Südens, bleiben in ihren Kammern, dessen<br />
oberer Teil mit dem A‘Kyryllin überwachsen ist, während der untere Teil mit Meerwasser<br />
gefüllt ist. In dem gefilterten Wasser schweben die Niun dämmernd im träumenden<br />
Kyryllin Schlaf. Ihre Augen sind weit geöffnet und voller Staunen nehmen sie die<br />
dramatische Natur um sie herum wahr, ihre Gedanken ein einziges Gebet zu der Schöpfung<br />
der Wunder des Lebens. Ihre Gedanken gleiten ineinander über, ihre Persönlichkeiten<br />
verschmelzen in der göttlichen Macht des Kyryllin und des Waisen <strong>von</strong> Lebensborn.<br />
Ihr Wille, ihre Seele belebt den schnellen Erkunder, steuern ihn mit einem flüchtigen<br />
Gedanken, halten ihn auf Kurs dessen Ziel nur der Waise selbst zu kennen scheint.<br />
Es kümmert die Niun nicht – sind sie sich doch selbst genug. Jauchzend begrüssen sie<br />
Fischschwärme oder die Delphine welche sie auf ihren Weg durch das Meer begleiten.<br />
Sie brauchen keine Pause oder Orientierung, das Meer, die Ströme <strong>von</strong> Wasser, Magie
und Magnetismus leiten sie durch die ewig blaue Ewigkeit – unberührt <strong>von</strong> Stürmen,<br />
Orkanen, Sonne oder Nacht. Sie fliegen durch die Strömungen und nutzen den Wind in<br />
all seiner Macht.<br />
Schmeichelnde Dunkelheit umgibt die Blasen. Es ist Nacht. Das Funkeln der Sterne ist<br />
ein glitzerndes Band im schimmernden Wasser. Das weiche Licht bricht sich in den<br />
Häuten der Korallenquallen und das prismatische Scheinen spiegelt sich in den staunenden<br />
weissen Augen der Niun. Vollkommende Finsternis unter ihnen, oh tiefe See, hohe<br />
Arnak! Leise singend heissen die Erkunder ihre Mutter, ihren Vater willkommen. Die<br />
Tiefe singt zu ihnen, während der Himmel sein Band um sie streift. Welch Freude!<br />
Welch Vergnügen! Ihr Ritt führt sie tiefer in die uralte See, in Wasser die älter als das<br />
Land, welches auf ihnen steht sind. Es flüstert zu den singenden Niun, es begleitet sie<br />
ihn ihren Melodien zu einer vollkommenen Harmonie.<br />
In die Tiefe blickend bemerkt er das schwache Licht, glühende Flamme emporsteigend<br />
mit lodernden Scheine brennend zu sehen. Ein schneller Gedanken und Treibanker lösen<br />
sich aus den Blasen und die Segel brechen zusammen. In konzentrierter Arbeit löst<br />
sich eine Qualle <strong>von</strong> den Blasen, in ihrem Inneren geborgen er. Die äussere Hülle härtet<br />
sich je tiefer sie nach unten sinkt, den fragilen Körper in ihr schützend und das Atmen<br />
dadurch ermöglichend. Der Tiefenrausch beflügelt den Niun, schärft seine Sinne, das<br />
Wasser schmeckt nach Metall und Feuer – dem Feuer der Tiefe, dem heiligen Feuer der<br />
Arnak! Gesegnet sei ihr Name, gesegnet sei der Wasserfürst der Wüste. Bald verdeckt<br />
Rauch die Sicht, dampfender Nebel der nach oben steigt. Die Schlote am Boden des<br />
Ozeans kochen und glühen, spucken das Blut der Erde aus. Dazwischen brennt das fahle,<br />
kalte und tote Licht des Meeresfeuers – dort! Seine Gedanken spiegeln die Ehrfurcht<br />
des Waisen wieder, der weit entfernt <strong>von</strong> diesem träumt. Seine Gedanken werden wiederrum<br />
<strong>von</strong> allen Waisen geteilt und deren <strong>von</strong> ihren Kindern. Die Voraussicht ist Erkenntnis,<br />
Erkenntnis ist Wille. Wille wird umgesetzt. Niun sammeln sich, rufen die Alten<br />
des Meeres, sammeln Knochen, Stein und Koralle. Eins wird auf das andere errichtet,<br />
Korallenquallen erblühen, schliesslich zusammenwachsend, <strong>von</strong> Meerstahl und<br />
Meerknochen ein Gerüst gegeben. Ein außergewöhnliches Lebensschiff entsteht, weniger<br />
ein Schiff, als eine unter Wasser schwimmende Plattform <strong>von</strong> der nur ein kleiner<br />
Teil die Wellen durchbricht, die einer umgedrehten Pyramide ähnelt. Ihre Spitze ragt,<br />
hundert, zweihundert Meter in das Meer und ist tief am Boden mit Krakententakeln<br />
verankert. Aus diesem entspringen hunderte, tausende <strong>von</strong> Quallensträngen die in der<br />
Strömung treiben. An ihnen befinden sich Blasen, Übergangsstationen für den Abbau<br />
<strong>von</strong> Meerstahl und dem Meeresfeuer.<br />
Quallenhäute werden über den Boden gespannt, unter denen der vorsichtige Abbau aus<br />
dem tiefen Gestein stattfindet. Das Haftfeuer in Gefässen aus Korallen luftdicht aus dem<br />
Stein entnommen. Vorsichtig werden sie an die Oberfläche gebracht. Die Tiefentaucher<br />
tragen ihre Narben im Fleisch und Knochen mit Stolz, sind sie doch Zeichen ihrer Heiligkeit.<br />
Die Mysing leben in den Blasen an der Oberfläche, brauchen sie doch das wär-
mende Licht der Sonne. Sie sind es, welche die kostbaren Artefakte auf die Schiffe laden,<br />
sorgen für ihre Verteilung, kümmern sich um den Handel.<br />
yeAikos singt das Lied <strong>von</strong> Fahllicht.<br />
Sein Körper schwebt in der Tiefe, sein linker Fuss angezogen an das Knie des rechten<br />
Beines, seine Arme seitlich ausgestreckt. So schwebt er in der Tiefe, seine langen weissen<br />
Haare schwimmen im Meereswind, sein weisses Gewand ein gespanntes Segel bereit<br />
ihn durch die Wasser zu tragen. Die Magie des Niun ist mächtig, mächtig aus dem Gott,<br />
dem Strudel selbst entspringend, hier in den Welten zwischen der Tiefe und dem Land.<br />
Dort wo das Wasser der Tiefe auf die Luft des Landes trifft, dort an der Grenzfläche<br />
zwischen den Elementen, dort schäumt die Magie der Niun am mächtigsten. Ein Wort,<br />
ein Gedanke, weniger als ein Augenblinzeln und das Meer erhebt sich zu ihren Füssen<br />
um ganze Inseln hinab in das Reich der Tiefe zu reissen, bereit Orkane zu entfachen in<br />
dessen Auge die Niun leben, das Chaos um sich herum aufnehmend, es lebend. Es ist<br />
die Macht zwischen den Elementen welche den Waisen im Wasser treiben lässt, unbekümmert,<br />
unbesorgt. Unter seinem Auge sinkt das Lebensschiff an dem mächtigen Krakenarm<br />
hinab in die Tiefe gezogen <strong>von</strong> der Kraft hunderte Mysing welche singend das<br />
gewaltige Rad drehen. Erst zehn, dann hundert Meter, bevor das Schiff im Strom zitternd<br />
zum stehen kommt. Geborgen im Schoss des Meeres liegt es vor den Blicken der<br />
Hohen Götter verborgen, das Meereslicht aus der Tiefe beleuchtet seine Konturen in einem<br />
fahlen Licht – und immer mehr bringen die Tiefenrauscher aus den Schloten nach<br />
oben. Dort in den Raffinerien <strong>von</strong> Fahllicht wird das Haftfeuer gewonnen, die wohl<br />
grausamste Waffe der Niun. Einmal am brennen kann nichts es löschen, kein Wasser,<br />
kein Tuch. Es brennt sich durch Fleisch wie Knochen. In Fischblasen oder Korallentöpfen<br />
regnet es auf ihre Feinde die sich in ihrer Verzweiflung als lebende Fackeln in das<br />
Wasser werfen und dort stumm verbrennen. Die Gedanken berühren den Waisen nicht,<br />
das Konzept <strong>von</strong> Schadenfreude oder Häme ist ihm unbekannt. Er ist ein Beobachter.<br />
Er nimmt wahr, er sieht wahr. Es kümmert ihn nicht, ebenso wenig wie es das Meer<br />
kümmert. Sein Mund öffnet sich und er spricht zu den gewaltigen Walen an seiner Seite.
Allorer Geschichten<br />
Vorwort<br />
Gar seltsames trägt sich zu in diesen und anderen Gegenden.<br />
Wir schreiben das Jahr 427. Der Frühling ist schon fast vorbei und die Bäume tragen nun<br />
im goldenen Sommer all jene Früchte, welche sie kurz zuvor durch gar wohlriechende Blüten<br />
uns schon mehr als deutlich angedeutet.<br />
Doch nicht nur die Bäume und Pflanzen sind uns Chnum sei Dank hold gesonnen, oh<br />
nein, es scheint, dass selbst Mutter Myra etwas nun bewerkstelligen will, es scheint, als<br />
würde ein Ruck durch Myra gehen und all das Alte nun weg-gedreht.<br />
Wie schon angedeutet, wir schreiben den Frühling/Sommer des Jahres 427 n.P. auf dem<br />
gar einzigartigen Segmente Karnicon auf der wunderbarsten aller Welten, Myra.<br />
Lasset uns schauen, was in Zeiten, in welchen kleine Käfer die Macht an sich reißen, in<br />
welchen Drachen zum Leben erwachen und gar Unbesiegbare <strong>von</strong> Trunkenbolden besiegt<br />
werden, – was in eben dieser Zeit in verschiedenen Teilen dieses Segmentes sich zuträgt,<br />
um am Ende zu etwas zu führen, was für uns jetzt noch nicht erahnbar.<br />
Doch leset selbst, bildet Euch Eure Meinung, und wir werden uns dann bei einem guten<br />
Becher Bier treffen und in absehbarer Zeit darüber debattieren, was dies, was nun niedergeschrieben<br />
<strong>von</strong> mir, bewirken könnte und bewirkt hat.<br />
Wie schon angedeutet, Myra dreht sich weiter und unser ist es, aufzupassen und alles zu<br />
notieren - und es zu verstehen.<br />
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.<br />
Thorbald Knockback<br />
Chronist und Schreiber aus Langurien<br />
AUFTRAG AN FRAS<br />
Frühling, im Jahre 427 n.P.<br />
Man sah eine dunkle Wolke am Himmel vorbei ziehen. Doch diese war keine normale<br />
Wolke, oh nein, es war – wie so oft und eben in Langurien schon alltäglich – ein Teil des<br />
Schwarmes.<br />
Was genau, konnte man so nicht erkennen. Entweder bringt er Informationen, Dinge oder<br />
macht eine Patroullie.<br />
Für niemanden richtig zu erahnen, doch es war der Schwarm, und seit der Schwarm da<br />
war in diesem Reiche, war alles irgendwie besser und ruhiger und … besser halt.
Diese schwärzliche, surrende Wolke, welche <strong>von</strong> der Größe die Ausmaße einer Holzfällerhütte<br />
hatte – also eine kleine Kate – hielt direkt auf eine gar große dunkle, finster surrende<br />
Wolke zu, welche <strong>von</strong> einem Ende des Gesichtsfeldes bis zum anderen reichte, und in der<br />
Höhe – man musste den Kopf heben, um das Ende erahnen zu können.<br />
Diese große Wolke war ein Teil des Schwarmes, geführt <strong>von</strong> einem der stolzesten, erfahrensten<br />
und … angriffslustigsten Heerführer der Schwarmkönigin.<br />
Der Name des Anführers war Fras.<br />
Die kleine Wolke hielt direkt darauf zu und … verschwand darin. Für Außenstehende war<br />
nicht erahnbar, ob die große Wolke die kleine gefressen hatte, ob es da einen Kampf gab<br />
oder sonstwas.<br />
Dies ist das Sonderbare am Schwarm. Man sieht ihn, man sieht die Teile, es ist aber so<br />
viel, dass irgendwie alles darin untergeht und man trotz der Masse nichts sieht.<br />
Der Schwarm halt.<br />
Und dann noch nebenbei dieses laute Geräusch. Dieses surren und fiepen und …<br />
Wer dann näher hin geht, um besser sehen zu können, tja, der hat auf einmal Käfer im<br />
Gesicht. Im Mund, in der Nase, auf den Augen, in den Ohren. Sie krabbeln Dir in den<br />
Ausschnitt. Und wehe, Du fängst an, nach ihnen zu schlagen, wie Du es seit Deiner Kindheit<br />
gelernt hast. Sie beißen, zwicken und noch mehr. Und es kommen dann ganz viele<br />
und Du bereust, was Du getan, weil Du es <strong>von</strong> Deinen Eltern so falsch gelernt hast.<br />
Somit lerne, kommt ein Käfer zu Dir, lass ihn krabbeln. Er geht <strong>von</strong> sich aus wieder.<br />
Bevor nun der Leser anfängt zu raten, was da geschehen, was die kleine Wolke <strong>von</strong> der<br />
Großen will, greife ich vor, denn ich habe jene Informationen, um welche mich viele<br />
beneiden.<br />
Diese kleine Wolke war ein Überbringer <strong>von</strong> Nachrichten und brachte an den Schwarm<br />
des Heerführers Fras folgende Order:<br />
– Flieg nach Ophis.<br />
– Wenn dort Etrorien-Land – beschütze.<br />
– Wenn nicht Etrorien-Land – friss !<br />
Kurz, bündig, wie ich es <strong>von</strong> meiner Königin gewohnt bin. Und vor allem, Fras ist ja nicht<br />
wirklich der Hellste, weswegen diese Anweisungen so in Ordnung sind.<br />
Der große Schwarm hielt kurz inne, es summte und surrte, es zirpte und fiepte und dann<br />
formte sich etwas, und dies gar gewaltige schwarze Etwas machte sich auf.<br />
Überflog eine Burg, vor kurzem noch Schauplatz eines der größten Ereignisse Languriens,<br />
um dann weiter zu ziehen in die fernen Waldgebiete, an deren Grenzen auch das sagenumwobene<br />
Reich Etrorien liegen soll.<br />
Waren es die Götter, war es Norto oder nur der wieder erwachte Reichsdrache?<br />
Irgendwas oder irgendwer war diesem Schwarm zumindest sehr hold gesonnen und so<br />
flog er in Windeseile in diese fernen Regionen, um zu tun, was ihm aufgetragen.
Erste Anfrage<br />
Ein Klopfen. Ein leichtes, vorsichtiges Klopfen. Auf ein harsches „Herein“ kommt eine<br />
gebückte Gestalt herein, fast den Boden küssend.<br />
„Bitte untertänigst um Entschuldigung“, kommt es unter einer tiefen Kapuze hervor.<br />
„WAS WOLLT IHR?“<br />
Die Person fällt ganz zu Boden – „ich möchte vermelden, dass Sonderbares in unseren n<br />
vorgefallen. Wo<strong>von</strong> ich berichten will“, sich aufrichtend, den Blick aber immer noch zu<br />
Boden gerichtet – gute Erziehung –, „Euch.“<br />
Der Fremde beginnt zu erzählen und was folgte, war so sonderbar, dass es niedergeschrieben<br />
gehört. Man fragt sich nur, kann dies der Wahrheit entsprechen, oder ist dieser Fremde<br />
<strong>von</strong> einer sonderbaren Krankheit oder gar einem Dämonen befallen?<br />
Vor wenigen Tagen, es war früh am Morgen, ich hatte gerade meine Sachen gepackt und wollte<br />
mich auf zur Arbeit machen.<br />
Verlasse gut gelaunt mein Haus, meine Holzfälleraxt auf der Schulter, einen Rucksack mit meinem<br />
Brotzeug auf der anderen, zog ich los. Doch ich kam keine zehn Schritt, bevor es geschah.<br />
Trotz Sonnenaufgang, welcher schon begonnen hatte, wurde der Himmel immer schwärzer und<br />
schwärzer. Auch setzte ein sonderbares Geräusch ein. Ein Geräusch, wie ich es bisher nie gehört und<br />
ich gestehe Euch, ich habe schon SEHR viel gehört.<br />
Keine zehn Schritt weiter bildet sich vor mir etwas Dunkles, Schwarzes. Wie eine Wolke, aufrecht stehend.<br />
Man könnte sagen, ein astloser Baum, der wirbelnd und schwarz nicht wirklich vor mir stand,<br />
sondern irgendwie unstet schwebte. Hätte er ein Rad gehabt, würde ich sagen, er wäre gerollt, doch<br />
ich behaupte, er hat den Boden nicht berührt.<br />
Dieses schwarze ... Ding, es sprach zu mir in einer Sprache, die ich verstand und die zugleich sonderbar<br />
war. Selbst, wenn ich einen Zahn gezogen bekomme, wenn mein Mund voll ist mit drei riesigen<br />
Bissen Fleisch oder mit einem Riesenschluck Bier, so undeutlich spreche ich nicht.<br />
Was diese schwarze, rollende, nichtrollende Säule zu mir sprach?<br />
Ach entschuldiget, sie fragte mich :<br />
»ssssssttttt diiiiiiiiessssssssss Eeeeeeettttrrrrrrrooooorrrriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnn?«<br />
Ich überlegte lange, was dieses Etwas <strong>von</strong> mir haben wollte.<br />
Auf den Boden mit meiner Axt zeigend, antwortete ich, dass dies mein Land sei.<br />
Daraufhin kam nochmals: »Wwwwweemmmmmm Laaaaandddd geeeehööööööörttttt?«<br />
Was wollte die blöde Säule nur <strong>von</strong> mir?<br />
Ich schrie – nun meine Axt fester umklammernd – »MIR!«<br />
Die Säule kam nun näher, immer näher. Mir zerplatzte <strong>von</strong> diesem komischen Geräusch fast der<br />
Kopf. Um mich hörte ich: »Duuuuuuuu Ettttrrrrrrroooooorrrrreeeee?«<br />
»JA«, antwortete ich.
Sofort umzwirbelte mich diese Säule und die riesige schwarze Wolke senkte sich herab. Es war sonderbar.<br />
Ich wusste nicht, was mir da geschah.<br />
»NEIN«, antwortete ich.<br />
Sofort senkte sich die Säule um mich und diese schwarze Wolke kam herab, hernieder auf alles<br />
Land, welches weit und breit um mich war, und fraß alles, was hier und dort und überhaupt war.<br />
Selbst mein Haus haben die gefressen, meine Kleidung, meine Holzfälleraxt, alles.<br />
Als ich begann, nach dieser Säule zu schlagen, biß und kratzte es mich überall und so tat ich nichts<br />
und wich, aus Angst, die Götter und Euch zu verärgern.<br />
Ich hoffe, richtig gehandelt zu haben.<br />
Spinnenwald<br />
Eine sonderbare Zeit schreiben wir.<br />
Im einen Reich wird der längst vergessene König wieder gesund.<br />
Zwar regiert das Reich schon lange eine Abordnung <strong>von</strong> Adligen, welche sich kleiner Rat<br />
nennen. Auch gibt es in diesem Reich eine Königin, die mit dem König nicht verwandt,<br />
nicht verschwägert und vor allem nicht verheiratet ist, aber nichts desto trotz gesundet der<br />
alte König wieder – und wir werden sehen, vielleicht übernimmt er bald ja wieder die<br />
Regierungsgeschäfte.<br />
In einem benachbarten Reiche, welches für lange, lange Zeit der Lichtpunkt aller Reiche<br />
am dunklen Firmament der Finsternis war und welches sich Etrorien nannte, war irgendwie<br />
eine gar ähnliche Sache ausgebrochen. Von einem Herrscher war weit und breit nichts<br />
zu sehen. Die Feinde bedienten sich im Reiche und trafen nur vereinzelt auf Widerstand,<br />
welcher aber dann durch gar finstere Mächte sehr schnell gebrochen werden konnte.<br />
Ja, Etrorien war in eben diesen Tagen trotz seiner Größe, seines Wohlstandes und seines<br />
Lichtes ein gar einsames und armes Reich. Man könnte sagen, ein gebeuteltes Reich. Doch<br />
vielleicht, ja vielleicht änderte sich ja <strong>von</strong> eben diesem Momente etwas darin, denn ich hab<br />
vernommen, dass Sonderbares dort geschehen. Vernehmet es selbst, bildet Euch Eure<br />
Gedanken; und hoffen wir für dieses Reich, dass sich alles zum Guten oder zumindest zum<br />
Besseren hin wenden möge. Vernehmt also, was geschehen ist:<br />
Der Schwarm senkte sich auf das waldige Land und fragte einige Leute dort, welches Land<br />
dies sei. Nachdem geklärt war, dass er in Etrorien sei, fing er an, dieses Gebiet zu erobern.<br />
Ohne zu fragen! Die Leute waren zu Anfang verunsichert, denn bis dahin hatte man zwar<br />
Sonderbares, aber eigentlich nichts Schlechtes <strong>von</strong> diesem surrenden Schwarm gehört.<br />
Einige wurden heraus gepickt und fortan als Sprecher der Gemeinschaft eingesetzt.<br />
Doch jene, die früher das Amt inne hatten, die durften fortan wieder Arbeiten verrichten,<br />
welche sie schon lange nicht mehr oder noch gar nie getan hatten.<br />
Selbst Bestechungen mit Honig, Essen, barer Münze oder gar Waffenandrohung interessierte<br />
den Schwarm nicht. Wobei, jener, welcher mit Waffenandrohung kam, dieser eine ist<br />
nun der-alte-Herr-ohne-Arm. Seither gibt es aber auch keine Bettler mehr in diesen Landen,<br />
denn Bettler werden vom Schwarm nicht geduldet. Jene, welche für das Volk zuständig
sind, sollen sich die Klagen anhören, dem Schwarm vortragen und dieser wiederum befindet<br />
– es ist noch nicht ganz klar, nach welchen Gesichtspunkten. Es gibt sogar Gerüchte,<br />
dass er nach Geruchspunkten entscheidet, ob der Antrag angenommen, oder – wie zumeist<br />
– abgelehnt wird.<br />
Auftrag – falsch ausgeführt<br />
Wir schreiben den Frühling im Jahre 428 n. P.<br />
Es war eigentlich eine ganz simple Sache und doch, durch die Verkettung einiger – tja,<br />
wie nennt man dies? – Umstände wurde ein einfacher Auftrag zu etwas ganz anderem, und<br />
die bis dahin friedlich und harmonische langurische Welt wurde in ihren Festen erschüttert.<br />
Nein, nein, verehrter Leser, so schlimm ward es dann doch nicht, doch ich hoffe, Sie<br />
haben Zeit und Muse, diesen Worten nun zu lauschen. Nehmen Sie sich einen Becher<br />
Wein oder besser einen guten Krug Bier und genießen sie.<br />
Es begann damit, dass die Kassen des Reiches überprüft wurden und festgestellt wurde,<br />
dass die Einnahmen nicht ganz so hoch sind. Ja, der Einzelne – dazu zähle ich auch mich<br />
– wäre froh, wenn er nur einen klitzekleinen Teil <strong>von</strong> dem Geld im Leben sehen oder gar<br />
haben könnte. Lassen wir dies, die haben zu wenig und versuchten, daraus mehr zu<br />
machen oder es nicht weniger werden zu lassen. Man schaute sich also dies an, beschloss,<br />
keine Eroberungen zu starten, und dass man etwas an den Gebäuden ändern müsse, da<br />
diese zum Teil mehr kosteten als einbrächten. So wurde mehrheitlich der Beschluss gefasst,<br />
dass eine Garnison zur Burg ausgebaut werden sollte, damit dort sich genügend Leute niederlässen,<br />
damit sich ein Markt entwickeln könne, aus dem Steuereinnahmen resultierten,<br />
die wiederum ausreichten, die Erhaltung der Gebäude zu finanzieren. An sich recht einfach,<br />
und selbst der Dümmste könnte diese Order genau so vorbringen, oder?<br />
„Halvan <strong>von</strong> Adrodd, kommet, wir haben einen Auftrag für Euch“, erschallte es im<br />
Großen Saale, wo der Kleine Rat tagte. Schnellen Schrittes kam ein junger Herr daher,<br />
kaum fünfundzwanzig Lenze zählend. Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Knie wackelten,<br />
ein Kloß steckte schwer im Hals, und seine Augen flackerten. Seine Hände rieb er an<br />
seinem Wams, aber sie wollten einfach nicht trocken werden. Trotz all diesem, was ich sah,<br />
sah ich auch Freude, Ehre und Entschlossenheit in ihm.<br />
Und dies beruhigte mich und all jene, die im Kleinen Raume tagten. „Zu Befehl“, kam es<br />
<strong>von</strong> seinen Lippen, er richtete sich nochmals auf, nun wie ein stolzer Krieger, feste Brust:<br />
„Was wünscht der Kleine Rat <strong>von</strong> mir?“ Und seine Stimme könnte ganze Festungen einbrechen<br />
lassen, so klang sie nun. Volltönend und doch … kräftig, ausführend, alles erledigend,<br />
und das Glimmen in den Augen zeigte, er würde sein Leben geben, egal, was man<br />
ihm nun auferlegte.<br />
„Ehrenwerter Halvan. Unsere Bitte an Euch wäre, dieses Schreiben mit dieser Besitzurkunde<br />
nach Blodry zu bringen. Die darin enthaltene Anweisung lautet, dass dieses Bauwerk<br />
sofort ausgebaut werden soll. Die enthaltene Urkunde ist eine Besitzurkunde und<br />
bevollmächtigt den Empfänger, für den angegebenen Betrag das Bauwerk auszubauen.“
Er verneigte sich und schritt eiligen Schrittes da<strong>von</strong>. Die anderen Wachen im Raume sahen<br />
ihm neidvoll nach, und wir, wir tagten über das nächste Thema.<br />
Was nun geschah, sind zum Teil Mutmaßungen, zum Teil Gerüchte, welche ich in langer<br />
Arbeit zusammen getragen habe, doch so oder gar ähnlich muss es sich zugetragen haben<br />
– und ich hoffe, dass man uns deswegen nicht zu sehr auslachen wird, denn es war ja<br />
eigentlich ein einfacher Auftrag, oder?<br />
Er schnappte sich sein Pferd und ein weiteres, bekam einige Münzen und ein wenig Proviant<br />
mit und ritt schon im vollen Galopp los. Selbst in den sonst so sauberen Straßen<br />
Adrodds hinterließ er eine Staubwolke, als würde eine wilde Reiterschar mordend und<br />
plündernd die Stadt heimsuchen. Am Tor war man sich nicht sicher, doch wohlweislich<br />
öffnete man es weit und ließ ihn ohne Kontrolle und Erfragen des Begehrs <strong>von</strong> dannen<br />
ziehen. In Windeseile preschte er los, ritt in den Abend, sogar bei Nacht, und auch am<br />
nächsten Morgen sah man ihn reiten und am Mittag und am Abend. Ja, es war eilig, doch<br />
diese zwo oder drei Tage mehr hätten auch keinen umgebracht. Doch dies ist der Eifer der<br />
Jugend, und ab und an steht es uns Älteren nicht zu, dies zu kritisieren. Viel mehr sollten<br />
wir uns erinnern, wie wir in dieser Zeit waren. Auch ist es doch schön, wenn ungestüme<br />
junge Kraft auf die Festgefahrenheit des Alters trifft.<br />
Er war einige Tage unterwegs, Pausen gönnte er sich und seinen Pferden nur sehr wenige.<br />
Es muss am frühen Abend oder gar in der Nacht gewesen sein. Ein tiefhängender Ast<br />
könnte es gewesen sein, denn man fand ihm früh am nächsten Morgen mit blutigem Kopfe<br />
am Bode vor einem Baume liegen. Seine zwei Pferde um ihn, brav grasend.<br />
Sanft wurde er gerüttelt, und seine Augen öffneten sich. Sofort schloss sich die eine Hand<br />
<strong>von</strong> ihm um sein Kurzschwert, während die andere nach dem Schreiben tastete. Sein noch<br />
bleiches Gesicht muss die Farbe der Freude und Liebe angenommen haben, als er das<br />
Schriftstück ertastete. Und schwupp, war er aufgesprungen, fuchtelte mit seiner Waffe wild<br />
herum und schrie – nein, er sagte es noch nicht, doch dies sei ihm zu verzeihen, denn er<br />
hatte ja „geschlafen“, als er geweckt wurde – „Wer seid Ihr? Wollt Ihr mich überfallen?<br />
Gesteht!“, und ähnliche Dinge.<br />
Doch die Waldarbeiter schauten ihn an, beäugten sich, lachten und fragten ihn langsam<br />
und beruhigend: „Wer seid Ihr und was macht Ihr hier, Herr?“ Sie deuteten auf den<br />
Boden. „Ihr lagt hier auf dem Boden und“, sich nun am Kopf kratzend, „da habt ihr eine<br />
üble Wunde.“<br />
Er tastete mit jener Hand, welche die Waffe hielt, an seine Stirn, zuckte zusammen, als er<br />
die Wunde berührte, führte sie herunter, vor die Augen – schielte – und als er das Blut an<br />
seiner Hand sah, drehten sich zuerst seine Augen, dann er selbst, und er fiel erneut hin.<br />
Man lieferte ihn im nahe gelegenen Tempel ab. Dort bekam er mehrere Tage Ruhe verschrieben<br />
und gute Kräuter, welche seine Wunden schnell heilen ließen. Von Tag zu Tag<br />
bekam er mehr Farbe ins Gesicht und trat so ins Leben sehr schnell zurück.<br />
Am vierten Tage war er dann wirklich ansprechbar, und man fragte ihn: „Wer seid Ihr und<br />
was macht Ihr hier?“
Und so räusperte er sich und bedankte sich für die Hilfe und antwortete: „Mein Name ist<br />
Halvan, und mein Auftrag ist es, dieses Pergament zu übergeben, damit der Besitzer dieses<br />
Gebäudes eben dieses ausbaue. So ist es der Wunsch des Kleinen Rates <strong>von</strong> Languria.“<br />
Er überreichte das Schriftstück, und es wurde wieder und wieder studiert.<br />
Tja, ein kleiner Schlag auf den Kopf, das Vergessen des korrekten Ortes, und anstatt eine<br />
Garnison auszubauen, wurde nun ein Tempel in Languria im Wert vieler zehntausend<br />
Goldstücke ausgebaut.<br />
So geschehen in Languria. Lachet nicht, sondern genießet die Wirren und den Willen der<br />
Götter.<br />
gez. Thorval Knockback<br />
Die magische Untersuchung<br />
Es ward im Jahre 418 oder so ähnlich n.P., und was geschehen, wird nie zu Papyr<br />
gebracht – außer für des Einen Dämonen Aug´... – doch soll hier nun erzählt werden,<br />
was sich ereignete im Reiche Langurien.<br />
Es begann damit,<br />
dass das Reich Langurien vom Schwarm zum Teil besetzt wurde und diese beiden gar<br />
unterschiedlichen Völker sich auf eine Art Zusammenarbeit einigten.<br />
Der Schwarm – man stelle sich eine große dunkle sirrende Masse vor und hält sich<br />
dabei automatisch die Hand vor den Mund und gleich danach vor die Augen, die<br />
Nase und die Ohren – ging seinen Tätigkeiten nach, welche da wären:<br />
Fressen.<br />
Während eben dieser Tätigkeit fanden diese Käfer und Fliegen und was da auch alles<br />
sein mag, etwas, womit sie nicht wirklich was anfangen konnten. Es war nicht<br />
fressbar, und somit für den Schwarm nutzlos.<br />
Doch die Menschen aus Langurien konnten dies vielleicht für irgendwas gebrauchen.<br />
Was wurde nun gefunden?<br />
Ein Reif, <strong>von</strong> silberner Art,<br />
welcher geschaffen <strong>von</strong> ihm, dem einzigen und mächtigen, dem großen, ach, was sage<br />
ich, dem Göttervater selbst 1 ,<br />
welcher verzieret eben diesen Reif mit seinen gar göttlichen Runen, um jenen, welche<br />
1 [Hier liegt wohl ein Irrtum des anonym bleiben wollenden Schreibers vor. Der Göttervater selbst würde sich nie<br />
zu Schmiedearbeiten herab lassen; d. säzzer]
an die wahre Allmacht des Einen glauben, Schutz und Hilfe in jeglicher Form zuteil<br />
werden lassen sollte.<br />
Er nahm den Gegenstand und warf ihn hoch <strong>von</strong> seinem Himmelswagen aus hinab,<br />
nach Myra, wo der Gegenstand lange, lange Zeit verschollen ward, um dann <strong>von</strong> eben<br />
besagten Käfern gefunden und als unnütz deklariert zu werden.<br />
***<br />
„Bisssssssssstttt Duuuuuuu Mennnnnscchhhhhhh?“ klang es aus der schwarzen<br />
Masse, welche sirrte und sich ständig veränderte.<br />
Verängstigt nickte ich nur, stotternd brachte ich ein „ja“ hervor.<br />
Etwas flog aus dieser schwarzen Masse heraus, silbern, rund, groß. Ein Ring, nur halt<br />
nicht für eine Menschenhand, sondern wohl für die Hand eines Riesen oder noch<br />
mächtigeren Wesens.<br />
„Bbbrrrrrrrrrrrriiiiiinnnnnnnnnnggggggeeeeee sssssss uuuuuuuu Tttteeeeemmmmm<br />
PPell“ und schon war der Schwarm fort.<br />
Gerade, als ich diesen Ring – oder war es eine Krone – anfassen wollte, umfuhr mich<br />
<strong>von</strong> diesem etwas. Es war … Magie?<br />
Es fühlte sich aber gut an, warm.<br />
Ich hielt inne und tippte diese Sache nochmals an und spürte wieder dieses sonderbare<br />
Gefühl. Es fühlt sich an, wie wenn man einer Kuh über das Fell streicht an einem<br />
schönen Sommertag und doch ganz anders. Es ist sehr schwer zu beschreiben.<br />
Ich machte mich also los.<br />
Zum Tempel. Ha, wenn die wüssten, wie weit dieser <strong>von</strong> hier ist.<br />
Und ich, ich bin doch nur ein kleiner Bauer. Was soll aus meinem Land werden?<br />
Meiner Frau und meinem Sohn, die ich zurück lassen musste, noch einen Kuss gebend,<br />
und schon machte ich mich auf. Nicht verstehend, wofür, aber wenn der uns<br />
wohlgesonnene Schwarm was will, macht man es, denn es bringt nichts, es nicht zu<br />
tun, wenn man aber was für den Schwarm tut – so heißt es – ist er sehr dankbar.<br />
Was werde ich dafür bekommen?<br />
Einen Sack voll Korn? Oder gar zwo?<br />
Pfeifend und trällernd zog ich los, über verborgene, nur mir bekannte Pfade, bis ich in<br />
einen Bereich gelangte, welchen ich noch nie beschritten.<br />
Es wurde Zeit, Nachtruh zu halten, und so suchte ich mir eine Stelle.<br />
Ich briet mir, was ich mir mitgenommen hatte, kuschelte mich unter meine Decke und<br />
gerade, als ich einschlafen wollte, fiel es mir ein. Ein Klapps an den Kopf „Das<br />
Abendgebet“, setzte ich mich nochmal auf.<br />
„Verehrter Vater, beschütze mich und meine Familie. Schütze auch mein Kind,<br />
welches noch im Bauche meiner geliebten Frau heran wächst. Es würde mich sehr
freuen, wenn es ein weiterer Sohn würde.<br />
Wobei, eine Tochter wäre auch angenehm, damit diese meiner Frau zur Hand gehen<br />
könnte. Doch dies überlasse ich Dir.<br />
Es wäre sehr schön, wenn ich heute ohne Probleme schlafen könnte. Schütze mich in<br />
der Nacht und sichere mir die Wege am Tage.<br />
Dafür danke ich Dir, großer Vater.<br />
Am Ende bitte ich Dich, schaffe, dass ich auf all meinen Wegen nicht zu hungern<br />
habe. Danke und Gute Nacht“, und schon schlief ich.<br />
***<br />
Was in der Nacht geschah, bekam der einfache Mann nicht mit. Doch gab es viele<br />
Wesen, die versuchten, sich an ihm gütlich zu tun. Und doch eines, welches dies<br />
komplett verwehrte. Diese Wesen wurden dann – naja, deren Kadaver – auf die Seite<br />
geschafft, und als er am nächsten Morgen sich dann aufmachte, fand er in der Nähe<br />
viele Pflanzen, die scheinbar über Nacht gewachsen waren, und konnte so seine<br />
Vorräte auffüllen.<br />
Als wäre ein segensreicher Regen darüber nieder gegangen, wuchs auf einmal um ihn<br />
herum alles in den schönsten Farben und trug Früchte, größer und schöner, als je zuvor<br />
gesehen.<br />
So lief dieser einfache Bauersmann, um dann am großen Tempel des Gottes Norto<br />
eben diesen Reif abzugeben.<br />
Auf die Frage „Was sollen wir damit?“ zuckte er die Schultern und ging.<br />
Von anderer Stelle erfuhren die Tempelangehörigen, dass sie <strong>von</strong> oberster Stelle den<br />
Auftrag hätten, diesen Gegenstand genauer zu untersuchen, und dem Königreiche<br />
vermelden sollten, was es denn damit auf sich habe.<br />
Hätte man den einfachen Mann gefragt, es wäre viel schneller und einfacher<br />
gegangen, doch man fragte ihn nicht; und so wird das Königreich wohl noch lange<br />
warten müssen, um zu wissen, was es damit auf sich hat - und wie man es aktiviert.
ADLERSTEIG<br />
ANFANG 424<br />
Alles hatte nahezu harmlos angefangen. Fast wäre es Agok gar nicht aufgefallen, dass die<br />
"Erwachsenen" immer längere Zeit schlafend zu verbringen schienen, und wenn sie<br />
denn wachten, so musste man ihnen manches zwei- oder dreimal sagen, bevor sie darauf<br />
reagierten. Das wiederum war nichts Besonderes, gehörte es doch zu Agoks Ausbildung,<br />
dass ihre Lehrer mitunter so taten, als hätten sie sie nicht wahrgenommen. Meist geschah<br />
dies, um sie auf einen Fehler hinzuweisen, den sie gemacht hatte, ohne sie direkt<br />
zu tadeln. Doch war sie sich in letzter Zeit keinerlei Fehler bewusst geworden, und es<br />
hatte immer mehr verstohlene Entschuldigungen <strong>von</strong> Seiten der anderen gegeben...<br />
Überhaupt schienen die Erwachsenen sie zunehmend als ebenbürtig zu behandeln,<br />
wenn man <strong>von</strong> ihrer zeitweiligen Geistesabwesenheit einmal absah. Aber Agok fühlte<br />
sich noch nicht bereit! Es waren doch noch fast drei Jahre bis zu ihrem fünfzehnten<br />
Geburtstag!<br />
Ohnehin war dies für Agok eine Zeit unheimlicher Gefühlsanwandlungen. Ihr Mentor,<br />
Herrscher über ihre Heimat, der ihr wie ein liebender Vater gewesen war, seit sie vor<br />
über sechs Jahren nach Ter-A-took gekommen war, um ihre Ausbildung zu beginnen,<br />
schien nicht bemerken zu wollen, dass Agok ihn aufrichtig liebte... nicht wie einen Vater,<br />
sondern wie einen Mann! Zu gern hätte sie sich augenblicklich in seine starken Arme<br />
gekuschelt und sich <strong>von</strong> seinen zärtlichen Küssen verwöhnen lassen... Zumindest nahm<br />
sie an, dass seine Küsse nichts anderes als zärtlich sein konnten. Fast jede Nacht lag sie<br />
wach und erging sich in lustvollen Phantasien der Liebe, doch blieb ihre Sehnsucht<br />
unbeantwortet. Schlimmer noch, wirkte auch der Mann ihrer Träume mitunter abwesend,<br />
ja manchmal gar wie erstarrt...<br />
Es war ein regnerischer Frühlingstag im Mond des Falken, als Agok einer ihrer Phantasien<br />
als Tagtraum erlegen war, und sich plötzlich in den Armen ihres Geliebten (so betrachtete<br />
sie ihn jedenfalls, auch wenn das trotz all ihrer Sehnsüchte nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen<br />
schien) wiederfand, dessen offensichtlich besorgtes Gesicht über sie gebeugt war, als<br />
er sie gerade auf ihr Bett legte. Noch ehe sie richtig zu sich kommen konnte, waren ihr<br />
schon die Worte entschlüpft, die sie hätte schon viel früher sagen sollen: "Ich liebe<br />
Dich."<br />
Der Hauch eines Lächelns umspielte die Züge des Mannes, und zu ihrer größten Überraschung<br />
antwortete er ihr: "Ich weiß". Und da geschah es, was sie sich so lange gewünscht<br />
hatte: er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Lippen, sanft und liebevoll,<br />
noch viel zärtlicher, als sie sich hätte vorzustellen vermocht, während seine Hände ihren<br />
Leib liebkosten, so dass sie in einem Sturm der Lust zu vergehen drohte...
Als Agok wieder zu Sinnen kam, hatte Barn-taak ihre Kammer bereits verlassen, und sie<br />
stellte fest, dass ihre eigene Hand es war, die ihre empfindsamste Stelle in liebevoller<br />
Berührung umschmeichelte. War etwa alles nur ein Traum gewesen? Oder besser<br />
gefragt: wieviel <strong>von</strong> alledem war Traum, und was war Wirklichkeit gewesen? Doch wurden<br />
diese Überlegungen unterbrochen <strong>von</strong> gedämpften Stimmen, die vor ihrer Kammer<br />
zu hören waren. Der besorgte Unterton war nicht zu überhören, auch wenn sich die einzelnen<br />
Worte nicht unterscheiden ließen. Neugierig geworden, stand Agok leise auf, und<br />
schlich sich, ihrer Nacktheit nicht achtend, zur Tür ihrer Kammer und legte ihr Ohr an<br />
das Türblatt, das kunstvoll aus Ter-briik gefügt war. Zwar immer noch gedämpft, konnte<br />
sie nun einzelne Worte ausmachen, und je mehr sie sich konzentrierte, umso mehr fügten<br />
sich diese zu ganzen Sätzen zusammen. Was sie hörte, jagte ihr einen gehörigen<br />
Schrecken ein. Von "Zeitpest" war da die Rede, und dass die "Zeitstarre" nun sogar die<br />
Taadrai erfasst habe. Damit war sie gemeint. Sie riss die Tür auf und adressierte die beiden<br />
Männer mit ihrer entrüsteten Frage: "Was hat irgendeine Zeitpest mit mir zu tun?"<br />
Einen Moment lang hätte man fast meinen können, die Zeitstarre hätte nun die Angesprochenen<br />
erfasst, doch nach einem Augenblick des erschrockenen Entsetzens löste<br />
sich der ältere der beiden, Tor-tenak, der Agoks zweiter Mentor war, aus der Erstarrung<br />
und betrachtete die Taadrai mit dem Anflug eines amüsierten Lächelns, wobei er sie <strong>von</strong><br />
oben bis unten musterte. Offenbar schien ihm zu gefallen, was er sah, und nachdem er<br />
sich endlich vom Anblick ihres verführerischen Körpers losreißen konnte, legte er dem<br />
Mädchen eine Hand vertraulich auf die Schulter und sagte: "Es wäre längst Zeit gewesen,<br />
dass sich Barn-taak Deiner angenommen hätte, wie es einer jungen Frau gebührt - er<br />
scheint es endlich eingesehen zu haben. Was nun die Zeitpest angeht, meine Liebste, so<br />
hatten wir gehofft, Dich nicht damit belasten zu müssen. Doch es lässt sich nicht länger<br />
vermeiden. Komm mit zu Barn-taak, dort werden wir alles besprechen."<br />
Agok zog kurz in Betracht, sich zunächst anzukleiden, entschied sich dann aber dagegen.<br />
Der Anblick ihres Körpers war den Bewohnern der Zitadelle hinlänglich vertraut, so dass<br />
sie daraus kein Geheimnis zu machen brauchte. Außerdem hegte sie die stille Hoffnung,<br />
ihre Blöße könnte Barn-taak zu weiteren Liebesbezeugungen anstacheln, wenn sie ihm<br />
so gegenübertrat. Und letztlich bewies sie ihm damit auch, dass sie ihm rückhaltlos vertraute.<br />
Sie warf noch einen letzten Blick in ihre Kammer, und aus einem Impuls heraus,<br />
den sie nicht hätte erklären können, griff sie nach ihrem langen Bogen und dem dazugehörigen<br />
Köcher, der mit Pfeilen bestückt war, die sie selbst hergestellt hatte.<br />
Die kleine Prozession, deren dritter Angehöriger, der stellvertretende Festungskommandant<br />
Tamyr-basilik, seine Augen nicht <strong>von</strong> Agok losreißen konnte (was sie zu seinem<br />
Leidwesen geflissentlich ignorierte), durchquerte eiligen Schrittes einige weitläufige<br />
Korridore der riesenhaften Festungsanlage der Biraka-A-natook. Schließlich langten sie<br />
in der Haupthalle an, die durch die imposante Fenstergalerie großzügig mit - wenn auch<br />
aufgrund des trüben Wetters gedämpftem - Licht durchdrungen war. Plötzlich überkam<br />
Agok der Wunsch, es möge strahlender Sonnenschein durch die Große Halle fluten. Und
tatsächlich brach plötzlich Aros Scheibe durch den Wolkenschleier, und goldenes Licht<br />
tauchte den weißen Granit der Halle in funkelndes Glühen. Wiewohl sich Agok dessen<br />
bewusst war, dass nicht ihr Wunsch den plötzlichen Sonnenschein ausgelöst hatte,<br />
konnte sie sich des Gefühls eines gewissen Zusammenhangs nicht erwehren. Als ob ihr<br />
Wunsch das Ereignis vorausgeahnt hätte...<br />
Und da erschien auch schon ihr Angebeteter, und im Unterschied zu denen des jüngeren<br />
ihrer beiden Begleiter waren ihr Barn-taaks Blicke, die dieser anerkennend auf ihrer sonnenbestrahlten,<br />
wohlgeformten Figur ruhen ließ, keineswegs gleichgültig. Im Gegenteil,<br />
sie überspülten sie mit einer Woge wohligen Verlangens. Ihr Geliebter erkannte wohl,<br />
was sie fühlte, und mit bedächtigen Schritten und voller Bewunderung näherte er sich<br />
ihr, hob seine Hände und umfing zärtlich ihre Brüste, liebkoste ihre zarten Knospen, und<br />
seine Lippen suchten die ihren, um sich in einem innigen Kuss zu vereinen, während sie<br />
die Schwellung seiner Lust an ihrem Schenkel spürte...<br />
Tor-tenak und Tamyr-basilik schritten, ins Gepräch vertieft, an der Fenstergalerie auf<br />
und ab, während sie die Liebenden ihrem Rausch überließen. Im derzeitigen Gemütszustand<br />
der Taadrai wäre es wohl zwecklos gewesen, ein ernsthaftes Gespräch anfangen zu<br />
wollen, und Tor-tenak bewunderte einmal mehr die Weisheit seines einstigen Schülers,<br />
der genau den richtigen Zeitpunkt getroffen hatte, um Dir-agok endlich die ersehnte<br />
Liebe zu schenken. Ihm fiel nicht auf, dass Basiliks Gesicht röter war als es hätte sein<br />
müssen. Nun, Basilik gehörte auch nicht zu denen, für die er die Verantwortung trug,<br />
ganz im Gegensatz zu der jungen Taadrai. Im Geiste ließ er die sechseinhalb Jahre Revue<br />
passieren, seit er dieses außergewöhnliche Mädchen nun schon kannte -<br />
Es war ein klirrend kalter Wintertag Ende 417, als die fast sechs Jahre zählende Dir-agok nach<br />
Ter-A-took gebracht wurde. Ihr zwölf Jahre älterer Bruder Megot begleitete sie überall hin. Doch<br />
wenn man die beiden so sah, konnte man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass<br />
der Altersunterschied anders herum wäre. Und damit nicht genug, kam die Kleine - wenn auch<br />
noch etwas unbeholfen - auf einem Ter-geek dahergeritten. (Unwillkürlich fühlte sich Tor-tenak<br />
an einen noch viel weiter entfernten Tag zurückerinnert, als der junge Barn-terak, ebenfalls<br />
stolz auf seinem Ter-geek reitend, in die Hauptstadt einzog...) Bemerkenswert, wenn man<br />
bedachte, dass normalerweise erst erfahrene Reiter reiferen Alters in der Lage waren, diese<br />
eigensinnigen Tiere zu beherrschen ...<br />
Wie ein Wirbelwind durchstreifte die Kleine die Zitadelle, und jeder, der sie sah, war <strong>von</strong> ihr verzaubert.<br />
Außer vielleicht den eingefleischten Kriegsveteranen, denen die kleine Agok schon zwei<br />
Jahre später im Bogenschießen die Schau stahl. Tenak konnte sich an keinen Ter-baak erinnern,<br />
der es mit Agok hätte darin aufnehmen können. Am bemerkenswertesten war jedoch ihre<br />
scheinbare Fähigkeit, Dinge vorauszuahnen, noch bevor sie sich ereigneten. Immer wieder war<br />
ihm, und auch Barn-taak, aufgefallen, dass Agok plötzlich innehielt, und im nächsten Moment<br />
geschah irgend etwas Ungewöhnliches. Es häuften sich die "Zufälle", bei denen Agoks vorausschauendes<br />
Handeln ein Unglück verhindern oder eine glückliche Fügung begünstigen konnte.<br />
Insofern schien man sich keine Sorgen um sie machen zu müssen. Bei diesem Gedanken musste<br />
Tor-tenak unwillkürlich schmunzeln...
Mit einem Teil seines Geistes jedoch verblieb Tor-tenak bei seiner Unterhaltung mit<br />
Basilik. Diese Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit gleichwertig aufzuteilen, ohne dass<br />
jeweils das eine unter seiner Zuwendung zu dem anderen litt, zeichnete ihn seit frühester<br />
Jugend aus, und in den Jahrzehnten seines Dienstes für das Reich und für den Schütterer<br />
hatte er sie weiter verfeinert. Daher entging ihm auch nicht, dass mittlerweile Diragok,<br />
liebessatt, rittlings auf Barn-taaks Schoß saß, diesem zugewandt, und ihm fast feierlich<br />
in die Augen blickte. Offenbar war sie jetzt bereit, sich dem drängenden Problem<br />
der Zeitpest zu stellen.<br />
Gerade als Tor-tenak zu diesem Schluss gekommen war, sah er ihn bestätigt, denn Barntaak,<br />
der Agok um die Taille umfasst hielt, schaute zu ihnen herüber, und sein Blick<br />
gebot, nun dem Ernst der Lage die volle Aufmerksamkeit zu widmen. So erfuhr also Diragok,<br />
noch mit dem Stachel der Lust in ihrem Leib, aber vorerst befriedigt genug, um<br />
ihren Geist ernsthaften Angelegenheiten zuwenden zu können, <strong>von</strong> den beunruhigenden<br />
Ereignissen der letzten Wochen. Immer wieder war beobachtet worden, wie ganz<br />
normale Vorgänge plötzlich unterbrochen wurden, als wäre die Zeit vorübergehend<br />
erstarrt: die Wassertropfen des Gerez-syrik zum Beispiel hielten bei ihrem Fall in die Tiefe<br />
Schlucht plötzlich inne, wobei nachfließendes Wasser auf das stehengebliebene traf<br />
und dadurch in anmutigen Schleiern zerstäubte. Während dies noch Ausrufe der Bewunderung<br />
bei den Beobachtern hervorrief, waren andere Vorgänge alles andere als harmlos.<br />
Einzelne Menschen wie Tiere erstarrten hin und wieder für kurze Zeit mitten in<br />
ihrem Tun, und derartige Aussetzer hatten - begünstigt durch die abschüssigen Bergflanken<br />
- schon zu einigen Unfällen geführt. Es gab sogar bereits die ersten Todesfälle.<br />
Einer <strong>von</strong> diesen hatte sich letzte Woche ereignet, als ein Krieger der Stadtwache beim<br />
Hantieren mit einem Speer plötzlich erstarrte. Der Speer war seinem Griff entschlüpft<br />
und <strong>von</strong> der Mauerkrone gestürzt, auf der der Krieger gerade patroullierte. Als er 50<br />
Schritt tiefer auf einen Wehrgang fiel, traf der entwischte Speer einen dort stehenden<br />
Heerführer und durchbohrte dessen Schädel...<br />
Plötzlich erhob sich Agok, nunmehr bar jeder Wonne, ergriff ihren Bogen, spannte ihn,<br />
legte einen Pfeil ein, und - es waren noch keine zwei Herzschläge in ihrer Brust verklungen,<br />
seit sie sich in Bewegung gesetzt hatte, und das, obwohl ihr Herz raste vor Aufregung<br />
und noch immer vom Echo der Lust - schoß ihn ab. Es konnte kein Zweifel bestehen,<br />
dass der Pfeil den Rahmen des großen Spiegels am gegenüberliegenden Ende der<br />
Großen Halle genau an seinem Scheitelpunkt getroffen hätte, wenn er nicht - mitten in<br />
der Luft zum plötzlichen Stillstand gekommen wäre. Agok eilte hinzu und pflückte den<br />
Pfeil aus der Luft, doch spürte sie, wie sie kurz nach der Berührung selbst für den Bruchteil<br />
einer Sekunde erstarrt war. Tief in Gedanken versunken kehrte sie zu den Männern<br />
zurück. In einem entfernten Winkel ihres Verstandes registrierte sie, dass sie sich nunmehr<br />
wirklich als ebenbürtig empfand und jeden Rest ihrer Scheu vor den "Erwachsenen"<br />
abgelegt hatte. Sie war vom Mädchen zur Frau geworden. Es war freilich für eine<br />
Taadrai nichts ungewöhnliches, dass so etwas im zarten Alter <strong>von</strong> zwölf Jahren geschah.
MITTE 424<br />
Innerhalb des ersten Vierteljahres, seit Barn-taak ihre Liebe endlich erwidert hatte,<br />
häuften sich die Fälle <strong>von</strong> Zeitstarre im ganzen Reich. Es wurde gar <strong>von</strong> einem ganzen<br />
Provinzheer berichtet, das über eine Stunde mitten im Trab bei der Duchquerung des<br />
Tals des Kalten Nebels verharrt hatte, ganz so als hätte der Frost sie allesamt einfrieren<br />
lassen. Diese Vorstellung war natürlich vollkommener Unsinn. Kein Unsinn war leider,<br />
dass infolge der Erstarrung mitten in der frostigen Kälte einige der Reiter tatsächlich<br />
erforen waren, andere hatten Teile ihrer Gliedmaßen durch Erfrierungen verloren, und<br />
fast alle anderen lagen noch Wochen mit schweren Erkältungsbeschwerden darnieder.<br />
Doch am meisten schmerzten Agok die Stunden, in denen sie hilflos zusehen musste, wie<br />
ihr Liebster steif und bewegungslos allen Lebens beraubt schien. Ja nicht einmal ein Zeichen<br />
der Atmung oder seines Herzschlages war mehr zu erkennen. Fast noch mehr<br />
schreckte sie der Gedanke, welche Ängste er durchleben musste, wenn sie selbst in einen<br />
derartigen Zustand verfiel.<br />
Genau wie Barn-taak suchten natürlich alle Gelehrten und Weisen des Reiches nach<br />
irgendeiner Lösung für die um sich greifende Zeitpest, oder die "Große Stille" (Sylperteek<br />
in der Sprache der Ter-baak), wie das Phänomen im Volksmund genannt wurde. Ein<br />
Ritual, das <strong>von</strong> Birkan aller Gottheiten des Reiches (allen voran natürlich der Herrscher<br />
als Talarka-birkan und Tor-tenak als Kerbatu-birkan) entwickelt wurde, ermöglichte es<br />
zumindest, einzelne Personen für eine begrenzte Zeit - entweder <strong>von</strong> Sonnenuntergang<br />
bis Sonnenaufgang oder anders herum, oder vom Beginn eines Regens oder Sturmes bis<br />
zu seinem Ende - vor den Auswirkungen der Sylperteek zu schützen. Doch wurde es<br />
immer aufwändiger, dieses Ritual zum Erfolg zu führen. Und allmählich begann die Hoffnung<br />
zu schwinden, dass nicht am Ende alles in einer großen Starre einfrieren würde.<br />
Dies war die Situation, in der Dir-agok es sich in den Kopf setzte, nicht länger warten zu<br />
wollen. Zwar wurden Frauen üblicherweise nicht vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr<br />
initiiert, da die Austragung der dabei gezeugten Zwillinge eine erhebliche Belastung darstellte,<br />
die man einem jungen Mädchen nicht ohne Not aufbürden wollte. Doch an Not<br />
mangelte es nun wohl nicht mehr. Also begab sich Agok, wieder einmal nur in die Pracht<br />
ihres makellosen Leibes gehüllt, zu ihrem Geliebten, Mentor und Herrscher. In allen drei<br />
dieser seiner Funktionen begehrte sie nichts mehr, als endlich <strong>von</strong> ihm in die Mysterien<br />
des Steinkreises eingeführt zu werden. Diese rituelle Weihe ließ seit zehntausenden <strong>von</strong><br />
Jahren jeder Anwärter auf eines der wichtigen Reichsämter über sich ergehen, und auf<br />
Agok wartete das wichtigste Amt überhaupt, das derzeit noch ihr Liebster innehatte.<br />
Kaum hatte sie die Tür <strong>von</strong> Barn-taaks Gemach hinter sich zugezogen, hörte sie ihn<br />
sagen: "Liebste, ich muss mit Dir über Deine Initiation sprechen".<br />
Wie vom Donner gerührt verharrte Agok am Eingang, und schon begann sich in den<br />
Zügen ihres Geliebten die Angst abzuzeichnen, <strong>von</strong> der sie wusste, dass er sie jedes Mal
durchlebte, das sie <strong>von</strong> der Zeitstarre befallen wurde. Schnell riß sie sich zusammen, und<br />
sie sah, wie sich Barn-taak erleichtert entspannte, als sie leichten und geradezu aufreizend<br />
tänzelnden Schrittes auf ihn zukam. Soviel Zeit musste noch sein, um sich mit ihm<br />
in Liebe zu vereinigen, bevor sie ihre Initiation diskutierten. Und richtig, sie verfehlte<br />
ihre Wirkung auf den Mann nicht, der sich einladend lasziv auf sein Bett räkelte, ihre<br />
Hand ergriff und sie zu sich herabzog...<br />
Dieses Mal glaubte Agok die Liebe mit Terak - so würde sie ihn bald nennen können -<br />
besonders intensiv zu erleben. Ermattet drehte sie sich nach dem ausgiebigen Liebesspiel<br />
zu ihm um, lächelte und flüsterte, als Antwort auf seine einleitenden Worte <strong>von</strong> vorhin,<br />
als sie vor etwas mehr als einer Stunde hereingekommen war: "Genau deswegen bin<br />
ich zu Dir gekommen, Liebster". Einmal mehr hatte ihr Gedanke eine sich anbahnende<br />
Entwicklung vorweggenommen, und sie beide wussten es. Daher wunderte sich Agok<br />
auch nicht, als ihr Geliebter sie fragte: "Was wird geschehen?"<br />
Ihre Antwort stimmte sie selbst traurig: "Das Schlimmste. Nur wenige werden verschont<br />
bleiben, und für diese naht die Rettung bereits." Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten,<br />
als sie hinzu setzte: "Nicht für Dich, Liebster..." Es war eine andere Art der Liebe, die<br />
die beiden in den nächsten Stunden verband, nämlich die verzweifelte Suche nach<br />
gegenseitigem Trost, die auch den Großen und Mächtigen nicht fremd ist...<br />
In der nächsten Woche waren die zunehmenden Vorfälle <strong>von</strong> Zeitstarre zwar noch<br />
immer eines der wichtigsten, aber nicht mehr das einzig wichtige Gesprächsthema in<br />
der Hauptstadt, denn die Aufregung über die nun bekannt gewordene Verlobung des<br />
Herrschers mit seiner designierten Nachfolgerin sowie die Gerüchte über deren bevorstehende<br />
Initiation verdrängten vorübergehend die überwältigende Sorge wegen der<br />
Zeitpest und der erfolglosen Suche nach irgendwelchen Lösungen für dieses Problem.<br />
Große Spekulationen wurden darüber angestellt, ob denn nun Dir-agok bei der Heirat in<br />
den Clan der Barn übertreten würde oder anders herum. Die erstgenannte Lösung hätte<br />
den amüsanten Nebeneffekt, das Barn-taak als Herrscher wiederum <strong>von</strong> Barn-taak abgelöst<br />
werden würde, denn der Name des Herrschers beinhaltet immer die Kurzform des<br />
Titels, "-taak", der wiederum der Name des Clans des Herrschers vorangestellt ist. Würde<br />
Dir-agok bei der Heirat in ihrem Clan verbleiben, so würde sie irgendwann als Dir-taak<br />
die Herrschaft über Tarn-A-tuuk übernehmen. Doch bei ihrem Übertritt in den Clan des<br />
Bräutigams würde aus Dir-agok Barn-agok, und bei der Übernahme der Herrschaft dann<br />
eben Barn-taak werden. Die einhellige Meinung der Öffentlichkeit schien darauf hinauszulaufen,<br />
diese durchaus amüsante Variante zu bevorzugen. Niemand ahnte, dass genau<br />
dies bereits beschlossene Sache war, denn nur das Brautpaar und Tor-tenak wussten<br />
da<strong>von</strong>.<br />
Deren größte Sorge war indes, dass die Hochzeit erst stattfinden konnte, wenn Dir-agok<br />
die Volljährigkeit erreichte, also in über zweieinhalb Jahren. Und niemand, nicht einmal<br />
Agok, konnte ahnen, wie weit die Zeitpest bis dahin um sich gegriffen haben würde.<br />
Einzig dessen war sich Agok leider sicher, dass ihr Bräutigam auf die Dauer nicht verschont<br />
bleiben würde. Doch wie lang war diese Dauer? Zumindest lang genug, um
wenigstens ihre Initiation in die Mysterien des Steinkreises, der vor 100 560 Jahren <strong>von</strong><br />
Teral für Darnyma errichtet worden war, durchführen zu können, hoffte sie.<br />
In dieser Hoffnung sollte sie sich bestätigt sehen. Noch bevor der Sommer dem Herbst<br />
wich, wurde die kleine Prozession, die neben Agok <strong>von</strong> ihren beiden Mentoren gebildet<br />
wurde, <strong>von</strong> Sylt-brakat zum Bakurf-Ter, dem Hügelfels des Heiligen Steinkreises, geführt.<br />
Brakat war ein Jüngling <strong>von</strong> 21 Jahren, und wer wie Agok ein guter Beobachter war,<br />
konnte deutlich erkennen, wie enttäuscht er darüber war, der Initiation der Taadrai nur<br />
als Zeuge beiwohnen zu dürfen, statt sie selbst durchzuführen, wie es seit Jahrtausenden<br />
das Stammrecht derjenigen Sylt war, die ihrerseits selbst aus einem Initiationsritual hervorgegangen<br />
waren.<br />
Allerdings war es genauso das Recht des Tuuk-Or-taak, die Initiation der Taadrai selbst<br />
durchzuführen, sofern darüber gegenseitiges Einvernehmen herrschte. Und <strong>von</strong> niemandem<br />
hätte es sich Barn-taak nehmen lassen, seine Geliebte selbst einzuweihen, und<br />
diese wäre darüber auch ziemlich erbost gewesen. Am Morgen hatten sich beide einem<br />
aufwändigen Zeitbann-Ritual unterzogen, das sie zumindest bis zum Sonnenuntergang<br />
vor der Zeitpest schützen würde. Einige Schaulustige in der jubelnden Menge, die den<br />
Weg der Prozession säumte, schienen allerdings merkwürdig weggetreten zu sein, Opfer<br />
der Zeitstarre. Schließlich erklomm Sylt-brakat, gefolgt <strong>von</strong> Dir-agok, Tor-tenak und<br />
Barn-taak, die Flanke des Bakurf-Ter. Nur wenige Minuten später erreichten sie den Gipfel,<br />
der <strong>von</strong> einem Kreis aus zwölf aufrecht stehenden Steinstelen gekrönt war. Gebete an<br />
Talarka und Kerbatu wurden gesprochen, und das Ritual der Initiation begann.<br />
Barn-taak führte nun Agok zu der ersten Stele, die gen Lychnos errichtet war, und er<br />
sprach zu ihr, gemäß dem überlieferten Wortlaut: "Lege Deine Hände auf diesen Stein,<br />
und Du wirst sehen."<br />
Sie folgte seiner Anweisung, und als sie die Stele berührte, wurde ihr, gleichsam wie in<br />
einer Vision, das gesamte Tarn in all seinem Umfange offenbar, mit all seinen Höhenzügen<br />
und Tälern, seinen höchsten Gipfeln und tiefsten Schluchten. Und Agok sprach,<br />
ebenfalls nach dem genauen Wortlaut der Überlieferung: "Ich habe es gesehen, und dies<br />
wird meine Heimat sein."<br />
Genauso führte Barn-taak sie <strong>von</strong> einer Stele zur nächsten, immer mit den Worten<br />
Terals, die vor 100 560 Jahren zum ersten mal gesprochen wurden, während Agok ihm<br />
mit den Worten Darnymas antwortete, nachdem sie eine jede Stele berührt und die entsprechende<br />
Vision gesehen hatte. Ihr wurden die Lage und Anordnung aller heißer Quellen<br />
des Tarn, der Nutzen und die Nutzbarkeit allen Getiers, Pflanzenwuchses und<br />
Gesteins im ganzen Tarn, seine sämtlichen Gewässer vom kleinsten Bach bis zum reißendsten<br />
Strom, die Geheimnisse der Baukunst und des Bergbaus, das Gesicht der<br />
Gebirgsfestung Ter-A-took, das sich in nichts <strong>von</strong> dem unterschied, was sie zu ihren<br />
Füßen sah, wie auch noch ein paar andere Mysterien des Tarn offenbart, bevor sie zur<br />
letzten, nach Anthos gewandten Stele kam.
Diese war es, auf die sie am sehnsüchtigsten gewartet hatte, denn vieles <strong>von</strong> den vorangegangenen<br />
Visionen war ihr bereits bekannt. Jedoch keine Kenntnis oder Weisheit<br />
konnte die unermessliche Kraft der letzten Stele bzw. des Aktes der Vereinigung, den<br />
ihre Berührung einleitete, ersetzen. Und dieses eine Mal sehnte sie sich nach der Vereinigung<br />
mit ihrem Geliebten nicht nur ihrer Liebe wegen, sondern wegen der Bedeutung<br />
des Aktes! Mit leichtem Zittern löste Agok ihr Gewand. Mit ungewohnter Scheu - hatte<br />
sie doch schon viele Male ihrem Geliebten beigelegen - kam sie in die genaue Mitte des<br />
Steinkreises, und nun überließ sie sich ganz dem Mann, der sie zur Frau gemacht hatte,<br />
und der sie nun zu einer Weisen machen würde - Barn-taak...<br />
Eine leichte Erschütterung duchlief den Hügelfels, ähnlich der, die durch Agoks Körper<br />
zuckte, als sie den Höhepunkt erreichte und seinen Samen empfing, und eine Lawine<br />
magischer Energie duchströmte ihren Geist und Leib. Vor Erregung zitternd, sprach sie<br />
die abschließenden Worte des Rituals, die ihre Initiation besiegelten, genauso, wie sie<br />
vor 100 560 Jahren <strong>von</strong> Darnyma zu Teral gesprochen wurden: "Ich habe gesehen, und<br />
dieses wird der Ursprung meines Volkes sein."<br />
Natürlich besaßen diese Worte keinerlei inhaltliche Bedeutung mehr - allein auf ihre<br />
rituelle Bedeutung kam es an. Deshalb auch sprach Dir-agok sie in der alten Sprache der<br />
Talar, die heutzutage nur noch <strong>von</strong> den gelehrtesten Weisen des Reiches verstanden<br />
wird.<br />
Die nächsten Wochen verbrachte Dir-agok in ständiger Gesellschaft <strong>von</strong> Sylt-brakat. Er<br />
würde bis zur Geburt der Zwillinge, die nun in ihrem Leib heranwuchsen, bei ihr bleiben,<br />
und dann die Neugeborenen für den Clan Sylt in Empfang nehmen. So war es schon<br />
immer das Vorrecht der Sylt gewesen, diejenigen Kinder in ihren Clan aufzunehmen, die<br />
bei einer Initiation im Steinkreis des Bakurf-Ter gezeugt wurden... schon immer... Kreislauf<br />
der Zeit... Zeitstille... heranwachsendes Leben... in ihrem erstarrtem Leib...<br />
Schweißgebadet wachte Agok eines Nachts aus ihrem Alptraum auf.<br />
Warum musste sie in ihren Traumvisionen auch ausgerechnet in die Rolle der versteinerten<br />
Darelka schlüpfen? Woher kamen diese Träume?<br />
Sylt-brakat neben ihr bedachte sie mit einem sorgenvollen Blick. Oh ja, Sorgen gab es<br />
viele. Mit Beginn des Herbstes waren viele Landstriche des Reiches bereits dauerhaft <strong>von</strong><br />
der "Großen Stille" betroffen. Die Euphorie in der Hauptstadt, die durch Dir-agoks Initiation<br />
ausgelöst worden war, ebbte rasch wieder ab, als zunehmend deutlich wurde, dass<br />
die Zeitstarre nicht mehr nur jeweils kurzzeitig einzelne Personen oder Gruppen betraf,<br />
sondern immer mehr Menschen auf ewig (wie es schien) in Starre versetzt wurden...<br />
WINTER 424<br />
Vier Monde wuchsen nun die Zwillinge bereits in Agoks Leib heran, als an einem der ersten<br />
kalten Wintertage Sylt-brakat, ihr ständiger Begleiter der letzten Wochen, in Zeitschlaf<br />
verfiel, aus dem er nicht wieder erwachte. Und nun wusste Agok, dass es nicht<br />
mehr lange dauern würde, bis Barn-taak das gleiche Schicksal ereilte. Sie verbrachte
zwei Wochen fast ununterbrochen mit ihm, um jeden Moment der verbliebenen Zeit<br />
auskosten zu können. Der Winter hatte nunmehr schon Einzug gehalten, und eine merkwürdige<br />
Schneekante hatte sich am Absturz des Biraka-Ter-abuuk gen Anthos gebildet,<br />
wo eine große Masse abstürzenden Schnees einfach mitten in der Bewegung stehen<br />
geblieben war. Und gerade als das Paar eines klirrend kalten Abends an dieser Kante vorbeispazierte,<br />
erstarrte Barn-taak. In diesem Moment wusste Agok, dass er nicht wieder<br />
erwachen würde, solange die Zeitpest nicht <strong>von</strong> Kiombael hinweggenommen sein würde...<br />
Sechs Tage später quälte sich ein fahrender Händler die vereiste und <strong>von</strong> Schneeverwehungen<br />
fast verschüttete Straße zur Festung Ter-A-took hinauf. Dir-agok beobachtete<br />
sein Kommen <strong>von</strong> der höchsten Zinne des gewaltigen Stadttores vor der Außenstadt,<br />
bereit, notfalls mit einem Bewegungszauber einen möglichen Absturz des Händlers zu<br />
verhindern. Denn sie wusste um das, was er brachte: die Hoffnung für einige wenige, der<br />
Zeitpest zu entkommen. Es war das wohl begehrteste Mineral dieser Tage auf ganz Kiombael:<br />
Achronit. Wie viele würde sie retten können? Würden die wenigen den Winter<br />
überstehen? Und könnten sie etwas tun für die Rettung der Nation? Auf diese Fragen<br />
wusste selbst Agok noch keine Antwort. Doch sie hatte sich geschworen, nicht zu ruhen,<br />
bis eine Lösung gefunden war. Und sie hatte eine unbestimmte Ahnung, dass die Lösung<br />
an einem weit entfernten Ort ihrer Entdeckung harrte...<br />
Es hatte sie fast das gesamte Reichsvermögen gekostet, dem Händler all seinen Restbestand<br />
an Achronit abzukaufen. Woher er es hatte, blieb sein Geheimnis. Und Dir-agok<br />
wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn überwältigen zu wollen, selbst wenn die Verlockung<br />
groß war. Wer mit so wertvoller Fracht unterwegs war, der hatte für seinen Schutz<br />
gesorgt. Den Winter über war er Gast auf der Zitadelle geblieben. Zumindest war auf diese<br />
Weise Kunde über die restlichen Teile des Gorganischen Festlandes <strong>von</strong> Kiombael<br />
nach Ter-A-took gelangt, denn der Reisende hielt mit anderen seinesgleichen offenbar in<br />
magischem Kontakt hin und wieder kurze Kommunikation.<br />
Von überall her kamen die gleichen Nachrichten. Scharen <strong>von</strong> Vogelwesen aus Muu-<br />
Taay, die mitten im Fluge erstarrten, wobei nicht wenige <strong>von</strong> ihnen zu Tode stürzten.<br />
Sandstürme in der Steppe der Theng-Nomaden, die plötzlich zu undurchdringlichen<br />
Sandgebirgen erstarren, eine eingefrorene Schlacht zwischen den letzten Kriegerinnen<br />
Grandujas und marodierenden Orks, die wundersame Rettung einer Schiffsbesatzung im<br />
Krakenmeer, deren untergehendes Schiff beim Sinken innehielt, wo<strong>von</strong> die Besatzung<br />
glücklicherweise nicht betroffen war...<br />
Doch je mehr der Winter voranschritt, umso mehr wurden es Nachrichten <strong>von</strong> vollkommenem<br />
Stillstand allenthalben, <strong>von</strong> dem nur diejenigen verschont blieben, die durch ein<br />
Splitterchen des Zeitbannminerals, des kostbaren Achronits, geschützt waren.
FRÜHJAHR 425<br />
Zu Beginn des neuen Jahres war der Händler (auch seinen Namen hatte er für sich behalten)<br />
wieder abgereist. Nur wenige waren verblieben, die in Ter-A-took und der näheren<br />
Umgebung der Festung noch nicht der Zeitpest zum Opfer gefallen waren. Doch es war<br />
kein einziger Angehöriger des Clans Sylt unter denen, die verschont geblieben waren.<br />
Dabei stand nunmehr die Geburt der Zwillinge, die nach jahrzehntausendelanger Tradition<br />
ebendiesem Clan gehörten, unmittelbar bevor. Undenkbar schien es, diese Tradition<br />
erstmals seit Menschengedenken zu durchbrechen, und dennoch unausweichlich. Diragok<br />
war sich auch durchaus darüber im Klaren, dass es nicht die letzte Tradition bleiben<br />
würde, mit der zu brechen sie gezwungen sein wird...<br />
Die Geburt war Agoks schrecklichste Erfahrung in ihrem bisherigen Leben, schlimmer<br />
noch als die Agonie ihrer Trauer um Barn-taak. Als das Mädchen sie als erstes verlassen<br />
hatte, und der Schmerz vorübergehend nachließ, war die Gewissheit, genau das Gleiche<br />
unmittelbar darauf nochmals durchstehen zu müssen, der einzige beherrschende Gedanke<br />
in Agoks Geist, und er hatte die Farbe und den Geruch nackter Angst. Ja, Agok<br />
schmeckte die Angst, atmete sie mit jeder Pore, und der dann wieder einsetzende<br />
Schmerz war fast eine Erlösung, denn er verdrängte die Angst, ließ keinen Platz mehr<br />
für sie.-<br />
Es dauerte einige Minuten - oder Stunden? - bis Agok sich dessen bewusst wurde, dass es<br />
vorbei war. Zwei kleine Bündel lagen an ihren Brüsten, und sie spürte das Schmatzen an<br />
ihren Warzen, als die Kleinen hungrig saugten. Fast kam es ihr vor, als ob sie sie aussaugen<br />
wollten, was bis zu einem gewissen Grad ja auch zutreffen mochte. Dieser Gedanke<br />
munterte Agok ein wenig auf, und ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer<br />
Kehle. Zwei Männer standen an ihrem Bett. Doch es waren nicht die beiden, die hier hätten<br />
sein sollen - der Vater und der Pate. Dies erfüllte Agok wiederum mit Traurigkeit,<br />
und sie gab einen weiteren tiefen Seufzer <strong>von</strong> sich. Dir-megot, ihr Bruder, und Tor-tenak,<br />
ihr verbliebener Mentor, wechselten einen vielsagenden Blick, doch das bemerkte Agok<br />
nicht. Eine Träne war ihrem Augenwinkel entwischt und bahnte sich eine heiße Spur<br />
ihre Wange hinab. Und Agok war zu schwach, um zu verhindern, dass die Schwestern<br />
dieser ersten Vorbotin sich nun in einer wahren Flut ergossen. Es war schon ein merkwüdiges<br />
Gefühl, dieses Gemisch aus Erleichterung und Traurigkeit - ...wenige Minuten<br />
später war sie in tiefen Schlaf gesunken.<br />
HERBST 425<br />
Ein halbes Jahr nun hatte Agok die Zwillinge an ihrem Busen genährt, doch allmählich<br />
versiegte der Milchfluss. Und da war keine Amme, die die Ernährung der Kleinen hätte<br />
fortsetzen können. Also wurden sie recht früh <strong>von</strong> der Mutterbrust entwöhnt, und teilten<br />
sich nun die Milch einer Wölfin mit deren letztem Wurf <strong>von</strong> sieben Welpen. Mentor<br />
und Bruder der Mutter, Tor-tenak und Dir-megot, teilten sich unterdessen die Aufgaben
der Obhut und Erziehung, denn Dir-agok fiel die Lenkung dessen zu, was <strong>von</strong> ihrem<br />
Reich der Zeitpest noch nicht zum Opfer gefallen war. Das war nicht viel, aber dennoch<br />
gab es viel zu tun für die dreizehnjährige Mutter.<br />
In erster Linie galt es, alle diejenigen in Sicherheit zu versammeln, die nunmehr – nur<br />
noch vereinzelt verstreut im Tarn – ihrer Lebensgrundlage, die im Zusammenhalt der<br />
Gemeinschaft bestand, beraubt waren. Einige hundert Menschen, sowie auch ein paar<br />
versprengte Angehörige anderer Völker (unter ihnen ein halbes Dutzend Zwerge, zwei<br />
Schneeelfen und ein Pfader), wurden bis zum Ende des Dachsmondes in Ter-A-took versammelt.<br />
Viele <strong>von</strong> ihnen wurden dort <strong>von</strong> der Zeitpest lahmgelegt, doch zumindest war<br />
es ihnen erspart worden, in Einsamkeit im rauhen Gebirge zu Tode zu kommen. Für diejenigen,<br />
die noch immer aktiv sein konnten, musste das Leben in der Hauptstadt organisiert<br />
werden. Auch hier würden die Vorräte nicht ewig reichen. Also wurden sichere<br />
Routen hinab ins Tal des Dampfes, die Kornkammer <strong>von</strong> Ter-A-took, eingerichtet. Diejenigen,<br />
die dort die Felder bestellten, wurden mit den Zeitbannritualen geschützt, die<br />
Agok nun selbst durchführte. Bis an die fast unerträglichen Grenzen ihrer Kraft zehrten<br />
diese Aufgaben an ihr. Und doch verspürte Agok auch einen gewissen Stolz ob dessen,<br />
was sie tagtäglich vollbrachte.<br />
So zog denn der Mond des Adlers im Jahr des Adlers ins Land, und es geschah an einem<br />
dieser ungemütlichen Morgen, an denen die Zitadelle auf einer einsamen Insel inmitten<br />
eines unendlichen Nebelmeeres zu stehen schien, dass Dir-agok in den unruhigen<br />
Augenblicken kurz vor dem Aufwachen <strong>von</strong> einer Vision heimgesucht wurde. Es war das<br />
runzlige Gesicht einer uralten Frau, das ihr merkwürdig vertraut vorkam, obwohl sie<br />
sich absolut sicher war, dieser Person noch nie begegnet zu sein. Auch war sie sich vollkommen<br />
klar darüber, wo sie diese Person finden würde. Und sie musste ihr so gegenübertreten,<br />
wie sie war, als die Vision erschien. Als nun Agok gänzlich ins Wachsein<br />
zurückgekehrt war, wurde ihr bewusst, dass dies bedeutete, sich in vollkommener Nacktheit<br />
auf die andere Seite des Tals des Dampfes zu begeben.<br />
Doch wie wichtig diese Mission auch sein mochte, konnte sie es nicht unterlassen, zuvor<br />
die Rituale des Zeitbanns auszuführen, um die zu schützen, die die Stadt ernährten. Jene<br />
staunten nicht schlecht, als sie ihre Herrscherin (denn als solche betrachteten alle Agok<br />
längst, obwohl sie das Amt der Tuuk-Or-taak noch nicht offiziell übernommen hatte)<br />
unverhüllt vor sich sahen. Mehr noch als über ihre Nacktheit, und mehr sogar noch als<br />
über die Perfektion ihre Körpers, staunten ihre Untertanen jedoch über das matte<br />
Leuchten, dass die bronzene Haut Agoks umschmeichelte und direkt aus ihrem Innersten<br />
zu kommen schien.<br />
Nachdem sie das Ritual vollbracht hatte, machte Agok sich auf den Weg. Und da dieser<br />
auch sie zunächst hinunter ins Tal des Dampfes führte, genau wie jene, die sie gerade<br />
mit ihrem Schutzbann überzogen hatte, war es eine bemerkenswerte Prozession, die den<br />
Hang des Biraka-Ter-abuuk herabkam. Mit jedem Schritt, den Agok tat, wurde das Leuch-
ten intensiver, und diejenigen, die zunächst öfters verstohlene Blicke zurückgeworfen<br />
hatten, um die Pracht ihrer Herrscherin zu begaffen, blieben nun in entzückter Verwunderung<br />
stehen, während Agok an ihnen vorbeischritt. Einen jeden bedachte sie mit<br />
einem herzlichen Blick, doch ein Fremdling aus Ordomar erwiderte ihn mit unverhohlener<br />
Lüsternheit und schickte sich an, Agok in aufdringlicher und überheblicher Weise zu<br />
bedrängen, wobei er abfällige Äußerungen über Frauen im Allgemeinen und junge<br />
Schönheiten im Besonderen, denen man offenbar ihren Platz in der Gesellschaft klar<br />
machen müsse, <strong>von</strong> sich gab. Die umstehende Menge war noch damit beschäftigt,<br />
empört nach Luft zu schnappen, als der vorwitzige Fremde bereits am Boden verkrümmt<br />
in sich zusammensank, getroffen <strong>von</strong> zwei gut platzierten Hieben, die Dir-agok ebenso<br />
gut auszuteilen verstand wie herzliche Blicke. Nach diesem kleinen Zwischenfall, der sie<br />
kaum länger als vier Herzschläge aufgehalten hatte, setzte Agok ihren Abstieg ins Tal<br />
des Dampfes fort, und schon bald war <strong>von</strong> ihr in dem dichter werdenden Nebel nur noch<br />
das immer stärker werdende Leuchten wahrzunehmen, so als ob die Sonne hinter einer<br />
dünnen Wolkendecke ihre Bahn zöge.<br />
Agok hätte ihren Weg durch das Tal des Dampfes selbst bei vollkommener Dunkelheit<br />
mühelos gefunden, und vor ihrem geistigen Auge sah sie jeden Stein und Grashalm, der<br />
ihrem Blick durch den Nebel entzogen war. Kaum eine halbe Stunde später stand sie an<br />
der Kante einer steilen Felsklippe auf der anderen Seite des Tales. Der beschwerliche<br />
Aufstieg hatte ihren Körper mit einer glänzenden Schicht <strong>von</strong> Feuchtigkeit überzogen,<br />
die teils <strong>von</strong> ihrem eigenen Schweiß gebildet wurde und teils <strong>von</strong> dem Nebel, der sich an<br />
ihre Haut geschmiegt hatte. Genau hier hatte sie schon vor Jahren gestanden, als sie ein<br />
Abbild der Bergfestung auf dem Biraka-Ter-abuuk aufgezeichnet hatte, das heute eine<br />
der Wände in der großen Galeriehalle zierte...<br />
Mühsam riss Agok sich <strong>von</strong> ihren Gedanken los und setzte ihren Weg fort, zielsicher<br />
geleitet <strong>von</strong> ihren Füßen, die genau zu wissen schienen, wohin sie sich wenden musste,<br />
obwohl sie diesen Weg noch nie in ihrem Leben begangen hatte.<br />
Nach einiger Zeit (waren es Minuten? Stunden?) kam sie an eine verborgene Öffnung in<br />
einer Felswand. Als sie eintrat, erkannte Agok an der Rundung des Tunnels, der vor ihr<br />
lag, dass sie den Zugang zu einem Ter-batook erreicht hatte. Sie wusste genau, wo die<br />
heiße Quelle entspringen musste, um die dieses Wohnheim eingerichtet worden war,<br />
denn alle dieser Quellen waren ihr bei ihrer Initiation gewahr geworden, als sie die Stele<br />
gen Peristera berührt hatte. So begann sie denn den Aufstieg durch den Tunnel, denn sie<br />
wusste auch, dass dies der einzige Weg war, wie das Ter-batook zu erreichen sei.<br />
Dir-agok wusste auch um die Prüfung, die ihr bevorstand, noch bevor sie ihr Ziel erreicht<br />
haben würde. Und richtig - schon vernahm sie das dumpfe Grollen und Poltern der<br />
Gesteinskugel, die in diesem Moment ihren Weg abwärts durch den Tunnel nahm, mit<br />
wachsender Geschwindigkeit auf Agok zurasend, um sie zu zermalmen, sollte sie sich als<br />
ungenügend würdig erweisen. Ohne in ihrem Aufstieg innezuhalten, bündelte Agok in<br />
ihrem Geiste die Kräfte, die sie benötigen würde, um die Felskugel aufzuhalten und dort-
hin zurückzusenden, woher sie gekommen war. Sie wusste auch, dass sie damit die alte<br />
Frau am anderen Ende des Tunnels töten würde, doch war es jener bestimmt, für die Prophezeinug<br />
zu sterben, die sie Dir-agok mit ihrer letzten Lebenskraft anvertrauen würde.<br />
Das Leuchten um Agoks Körper verstärkte sich mit jedem Herzschlag, und es war zu<br />
einem blendenden Gleißen geworden, als ihre magische Kraft auf das heranrasende Felsgeschoss<br />
traf, das jeden Anderen überrollt hätte, ohne mehr als ein Häufchen zermalmter<br />
Knochen zu hinterlassen. Die gewaltige Kugel kam zitternd zum Stillstand, und<br />
begann dann, sich in der entgegengestzten Richtung wieder in Bewegung zu setzen, in<br />
dem gleichen Maße sich beschleunigend, als würde sie bergab rollen, statt bergauf, wie<br />
sie es nun tat, gezwungen <strong>von</strong> nichts anderem als Agoks geistiger Energie.<br />
Agok eilte nun der aufwärtstrebenden Felskugel hinterher, denn sie durfte nicht zu spät<br />
oben ankommen. Kaum hatte sie das obere Ende des Tunnels erreicht, streckte sie ihre<br />
offene Hand in Richtung des Ausgangs und ballte sie zur Faust. Im selben Augenblick<br />
zerfloss die Felskugel zu einem Schlammhaufen, der den vom tonnenschweren Gestein<br />
zerquetschten Körper der runzligen Alten unter sich begrub. Allein ihr Gesicht war in<br />
der Schlammmasse noch zu erkennen, genau so, wie Agok es in ihrer Traumvision gesehen<br />
hatte. Die rissigen Lippen formten Worte, doch blieben sie lautlos. Stattdessen formten<br />
sich die dazugehörenden Bilder in Agoks Geist. Ein einziges hörbares Wort noch entrang<br />
sich den Lippen der Alten, bevor sie sich für immer schlossen: "Adlersteig"!<br />
Nachdem Agok die sterbliche Hülle des Orakels bestattet hatte, vollendete sie das Ritual<br />
der Prophezeiung, indem sie den Schlamm, der einst eine Felskugel war, auf ihrem Körper<br />
verteilte, bis der Glanz erloschen war, der sie bis jetzt umgeben hatte. Solchermaßen<br />
in Schlamm gekleidet, trat sie den Rückweg an. Noch während sie den Tunnel, diesmal in<br />
absoluter Finsternis, hinabstieg, durchlief ihr Geist mehrmals die Abfolge der Orakelbilder,<br />
bis er sie und das eine Wort "Adlersteig" in einen sinnvollen Zusammenhang<br />
gebracht hatte. Was Agok dabei erkannte, ließ sie gleichzeitig erschaudern, aber auch<br />
hoffen. Ersteres, weil ihr ein Tor in ein fremdes Land offenbart worden war, letzteres,<br />
weil in jenem fremden Land die Entscheidung über das Schicksal des Segments fallen<br />
würde. Die mögliche Erlösung <strong>von</strong> der erdrückenden Zeitpest war nunmehr untrennbar<br />
mit jenem Land verbunden, in das ein magisches Tor sie bringen würde: Kiomba.<br />
Das Wissen um jenes Tor offenbarte aber noch nicht seine Lage. Einzig jenes gemurmelte<br />
Wort aus dem Mund des Orakels – "Adlersteig" – barg einen Hinweis, wie das Tor zu finden<br />
sei. Dir-agok vermutete wohl, dass diese Bezeichnung etwas mit dem Adlergotte<br />
Talarka zu tun haben müsste. Derjenige aber, den sie danach hätte fragen können, ihr<br />
geliebter Mentor, der als Herrscher über Tarn-A-tuuk gleichzeitig Talarka-Birkan war, lag<br />
in Zeitstarre, und war für sie unerreichbar. Fast erschrak Agok darüber, dass dieser<br />
Gedanke bei ihr kaum noch Emotionen auslöste. Noch vor wenigen Monden hatte jeder<br />
Gedanke an ihren Geliebten Wellen der Agonie in ihr ausgelöst. Doch wahrscheinlich war<br />
es mit dem menschlichen Geiste so beschaffen, dass früher oder später die furchtbarsten
Ereignisse in irgendwelche Hinterkämmerchen verbannt werden, so dass sie nicht mehr<br />
unaufhörlich auf der Seele lasten, auf dass diese nicht zerquetscht werde.<br />
In derlei Gedanken versunken erschien Agok schließlich wieder vor den Toren der Festung<br />
Ter-A-took. Diejenigen, die sie sahen, in nichts als eine unansehnliche Schlammschicht<br />
gehüllt, mochten sehr wohl <strong>von</strong> dem Gedanken beschlichen werden, dass tonnenschwere<br />
Gemütsbrocken auf ihrer Seele lasten mussten...<br />
Natürlich entging Agok die gedrückte Stimmung bei der Besatzung der Stadttore keineswegs.<br />
Behende stieg sie zum Hauptturm des Torgebäudes hinauf. Sie wusste, dort würde<br />
sie Tamyr-basilik treffen, dessen Vergötterung Agoks ihr natürlich ebensowenig entgangen<br />
war, wie sie sich das ihm gegenüber anmerken ließ. Natürlich war er hier, um ihrer<br />
Rückkehr <strong>von</strong> ihrer eigenartigen Mission zu harren.<br />
"Hole alle zusammen, deren Rat du vertrauen kannst", befahl sie ihm, peinlich darauf<br />
bedacht, ihre weiblichen Reize möglichst im Zaum zu halten. Sie war sich sehr wohl dessen<br />
bewusst, dass der allmählich abblätternde Schlamm ihren Körper auf eine geradezu<br />
aufreizende Art und Weise zur Geltung brachte. Ohne jedoch ihren Ton ins Abweisende<br />
abgleiten zu lassen, fuhr sie fort: "Wir müssen unseren Aufbruch vorbereiten!"<br />
Diese Worte verfehlten schließlich ihre Wirkung auf den jungen Befehlshaber der Festungsgarnison<br />
nicht. Diesen Posten bekleidete er, seit vor fünf Wochen Priak-orn in Zeitstarre<br />
verfallen war. Durch ein – bei ihr äußerst seltenes – Ungeschick war der Achronit-<br />
Splitter, der sie schützen sollte, <strong>von</strong> ihrer Schulter geglitten, wo er an ihrer Tunika befestigt<br />
gewesen war. Schon dieser kurze Augenblick hatte sie der Zeitpest preisgegeben.<br />
Nachdem Basilik die Worte Agoks über einen bevorstehenden Aufbruch vernommen hatte,<br />
machte sich Bestürzung auf seinen Gesichtszügen breit. Doch ein Blick auf Dir-agok<br />
reichte, um seine Zweifel zu zerstreuen. Augenblicklich machte er sich daran, die ihm<br />
gestellte Aufgabe zu erfüllen. Agok aber begab sich eiligst zur Zitadelle, wo sie sich reinigte<br />
und bekleidete, bevor sie sich nun dahin begab, wo sie mehr Informationen zu finden<br />
hoffte: Syl-naibuk, die Große Halle der Kunde, wie die Bibliothek in der Oberstadt<br />
<strong>von</strong> Ter-A-took genannt wurde.<br />
Einige Stunden hatte Agok in der Großen Bibliothek verbracht, jedoch keinerlei Hinweis<br />
auf den "Adlersteig" vorgefunden. Dafür hatte sie eine Fülle an Informationen über das<br />
ferne Land Kiomba aufspüren können. Auch über noch fernere Länder, ja sogar fremde<br />
Segmente wie Ysatinga oder Karnicon, hatte sie einige Aufzeichnungen gefunden, und<br />
ohne Zögern studierte sie diese genauso eifrig, ohne den Zweck in Frage zu stellen, denn<br />
sie hatte gelernt, auf ihre Ahnungen zu vertrauen...<br />
Als Agok schließlich kurz vor Sonnenuntergang den Audienzsaal der Zitadelle betrat,<br />
fand sie sich in Gesellschaft <strong>von</strong> gut zwei Dutzend Personen wieder. Sie schritt zum<br />
Thronpodest, wo sie auf dem kleineren Sessel Platz nahm, den sie neben den eigentlichen<br />
Thron gestellt hatte. Denn diesen wollte sie nicht beanspruchen, solange das Reich<br />
unter der Zeitpest litt. Tamyr-basilik begann, ihr die Anwesenden vorzustellen. Im Grun-
de war das überflüssig, da sie die meisten kannte. Aber selbst in schweren Zeiten wie diesen<br />
musste wohl zumindest ein Rest <strong>von</strong> zeremoniellen Umgangsformen gewahrt werden.<br />
Als Dir-agok alle begrüßt hatte, begann sie <strong>von</strong> der Prophezeiung zu berichten. Niemand<br />
der Anwesenden wusste mit Sicherheit zu sagen, was mit dem "Adlersteig"<br />
gemeint sein könnte, doch immerhin wurde die ein oder andere nützliche Vermutung<br />
geäußert. Jedoch wurde beschlossen, die eigentliche Suche nach dem Tor erst zu beginnen,<br />
wenn alle Vorbereitungen für die Abreise getroffen wären.<br />
Also ging in den folgenden Tagen ganz Ter-A-took daran, brauchbare Vorräte, Waffen,<br />
Goldstücke, Kleidung und sonstige Ausrüstung zusammenzutragen. Dreihundert der<br />
kräftigsten und erfahrensten Krieger der Ter-baak, unter dem Kommando <strong>von</strong> Tamyrbasilik,<br />
sollten Dir-agok nach Kiomba begleiten, sowie hundert Ter-geek-Reiter. Mehr<br />
dieser Tiere waren leider nicht <strong>von</strong> der Zeitpest verschont geblieben, und selbst bei diesen<br />
hundert mutete das schon wie ein Wunder an. Tor-tenak beharrte außerdem darauf,<br />
dass seine Assistentin in der Ausbildung der Taadrai, die albianische Alchimistin Denara<br />
chem Algora, mit auf die Reise gehen sollte, denn ihre magischen und alchimistischen<br />
Fähigkeiten ergänzten die <strong>von</strong> Agok ganz fabelhaft. Das wusste auch Agok, genau deshalb<br />
hätte sie sie gern in Ter-A-took gelassen, denn hier würden ihre Fähigkeiten ebenso<br />
sehr benötigt werden. Doch Agok vertraute ihrem zweiten Mentor bedingungslos, und<br />
somit war es beschlossene Sache.<br />
Am letzten Tag des Adlermondes begab sich Dir-agok in den Tempel Talarkas auf dem<br />
peristerischen Gipfel. Verwaist war das Heiligtum, denn keiner der Geweihten Talarkas<br />
war <strong>von</strong> der Zeitpest verschont geblieben. So gab sich nun Agok in Einsamkeit ihrer<br />
merkwürdigen Meditation hin, denn ihr Glaube an den Wolfsgott war wesentlich stärker<br />
als ihr Respekt vor dem Adler. Es war auch kein Ergebnis ihrer Meditation abzusehen, als<br />
sie sich wieder erhob und den Tempel verließ. Gerade als sie durch den Galerieweg wieder<br />
in Richtung des Sattels zwischen dem Tempel und der Zitadelle schritt, überkam sie<br />
jedoch die Offenbarung. Hier musste es sein. Der schmale Weg zum Adlertempel -<br />
"Adlersteig".<br />
Eine Stunde später waren alle versammelt und zum Aufbruch bereit. In einer langen Prozession<br />
führte Agok ihre Getreuen zu dem Galerieweg, und als sie dort ankam, sagte sie<br />
nur dieses eine Wort: "Adlersteig". Für einen Außenstehenden wäre keine Veränderung<br />
bemerkbar gewesen, doch Agok wusste, dass sich soeben das Tor aufgetan hatte, das sie<br />
<strong>von</strong> hier wegbringen würde. Beherzt schritt sie auf die Felswand zu, und mit einem weiteren<br />
Schritt war sie dahinter verschwunden. Denara folgte ihr als nächste, und im Verlauf<br />
der nächsten Minuten hatte die Felswand über vierhundert Menschen und hundert<br />
Tiere verschluckt...<br />
Alles um sie herum war undurchdringlicher Nebel. Sie spürte die Präsenz der Anderen<br />
mehr, als dass sie sie sah. Zeit schien hier keine Bedeutung zu haben. Atmung oder Herzschlag<br />
schien unnötig. Bewegungen waren schwebend. Gab es einen Boden unter den
Füßen? Gab es überhaupt Grenzen dieses Raumes? Waren solche Gedanken wichtig? Gab<br />
es überhaupt Gedanken...<br />
Es mochte wenige Minuten, oder auch viele Tage gedauert haben, doch plötzlich begann<br />
der Nebel sich zu lichten. Die Füße standen wieder auf festem Boden, und das einzige<br />
Hindernis für die Wahrnehmung der Umgebung war die Finsternis. Über den Reisenden<br />
spannte sich das sternenübersäte Himmelszelt. Müdigkeit bemächtigte sich ihrer, und<br />
gerade noch schaffte es Dir-agok, alles für die Bereitung eines Nachtlagers zu veranlassen,<br />
bevor sie selbst in tiefen und traumlosen Schlaf sank.<br />
FRÜHSOMMER <strong>429</strong><br />
Am folgenden Morgen gewann die Umgebung allmählich Konturen. Wie es aussah,<br />
befanden die Reisenden sich auf einer Art Hochplateau eines Gebirgsstockes, nicht<br />
unähnlich demjenigen der Biraka-Ter-abuuk. Als der Tag allmählich heraufdämmerte,<br />
bestiegen Dir-agok und mit ihr diejenigen ihrer Begleiter mit den schärfsten Augen (fast<br />
ausschließlich Anhänger des Adlergottes) den höchsten Gipfel dieses Berges, um sich<br />
einen Überblick zu verschaffen. Was sie sahen, ließ sie staunen: der im Licht der sich<br />
erhebenden Scheibe Aros entflammte Horizont spiegelte sich in den (scheinbar) unendlichen<br />
Weiten einer eintönigen Wassermasse, lediglich ganz links unten erkannte man<br />
die dunkleren Umrisse eines Eilandes. Als nun die Sonne ihren Tageskreis zog, wurde<br />
recht bald offenbar, dass der Gebirgsstock, auf dessen Gipfel Agok und ihre Getreuen<br />
standen, die Spitze einer nicht all zu großen, recht schmalen Insel bildete, und nach<br />
allen Seiten sich ein unbekanntes Meer in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, bis<br />
auf die Ahnung einer weiteren winzigen Inselkontur genau gegenüber derjenigen, die<br />
man am Morgen zuerst entdeckt hatte.<br />
Eines wurde Dir-agok und ihren Begleitern ohne jeden Zweifel klar. Wo immer sie hier<br />
waren, dies war nicht Kiomba. Doch was hatte das zu bedeuten? Das Orakel hatte eindeutig<br />
<strong>von</strong> Kiomba gesprochen, ein Land im Meer des Segments Kiombael. Nun gut, ein Land<br />
im Meer war dies hier auch, aber Kiomba müsste wesentlich größer sein, zu groß, als<br />
dass man es <strong>von</strong> einer Bergspitze in seiner Gänze hätte überblicken können.<br />
Allmählich versuchte Verzweiflung sich in Agoks Herzen breit zu machen. Nur zu gut<br />
entsann sie sich der Berichte <strong>von</strong> den Heeren, die es gewagt hatten, bis ins flache Land<br />
an den Gestaden des Aismjars vorzudringen. Die Große Leere hatten sie dieses furchtbare<br />
Land genannt. Und nun stand sie hier, umgeben <strong>von</strong> Großer Leere, soweit das Auge<br />
reichte, auf dem Haupte eines einzelnen Steinriesen, der halb ins Meer versunken zu<br />
sein schien. Fast wünschte sie, der undurchdringliche Nebel würde wieder hereinbrechen,<br />
doch schließlich entschloss sie sich, gegen derartige Gefühle mit aller ihr verfügbaren<br />
Macht zu kämpfen. Zu keinem anderen Zweck, als sich Mut zu machen (und sich<br />
zu vergewissern, dass zumindest ihre Magie hier genauso gut funktionierte wie in der<br />
Heimat), ließ sie eine Felsspitze knapp zweihundert Schritt unterhalb ihres Standortes
zu Schlamm zerfließen. Die Leichtigkeit, mit der ihr das gelang, ließ sie fast erschrecken.<br />
Sie hatte wahrhaftig mit dem Schlimmsten gerechnet...<br />
Tarkap-pren, ihr scharfäugister Späher, streckte plötzlich seine Hand in Richtung der<br />
kleinen Insel gen Sonnenaufgang aus. "Dort bewegt sich Etliches in dieser großen Wasserebene,<br />
nahe des kleinen Landes dort drüben!"<br />
Die Begriffe <strong>von</strong> "Meer" und "Insel" waren Pren unbekannt. Auch hatte er sein Lebtag<br />
noch nie etwas <strong>von</strong> Schiffen gehört, geschweige denn welche gesehen. Aber auf seine<br />
scharfen Augen war Verlass. Agok fragte ihn, wieviel <strong>von</strong> dem "Etlichen" er zählen konnte.<br />
"Es ist alles ständig in Bewegung, daher schwer zu zählen. Aber es müssen Hunderte<br />
sein."<br />
Agok war sich fast sicher, dass es Schiffe sein mussten, die Pren entdeckt hatte. Wenn es<br />
hunderte waren, wie groß mochte die Chance sein, dass da<strong>von</strong> welche an die Ufer dieser<br />
Insel kamen, auf der sie sich befanden? Es schien der einzige Weg, <strong>von</strong> hier wegzukommen,<br />
denn sie glaubte fast sicher, dass sich auf diesem erbärmlichen Eiland hier nichts<br />
über die Zukunft Kiombaels entscheiden würde. Gerade derart in Gedanken, erschrak sie<br />
fast bei Prens Ausruf, der numehr in den Himmel deutete. "Es bewegt sich auch Etliches<br />
dort oben. Fast scheint es, als würden die alten Legenden der Targomharril zu neuem<br />
Leben erweckt ... doch wieso sitzen Reiter auf diesen Drachen?" - "Wieviele?" fragte wiederum<br />
Agok. "Weniger als die unteren, aber sie sind nicht nur über jenem kleinen Land<br />
dort drüben, auch über uns habe ich schon welche gesehen".<br />
Über die absonderlichen geflügelten Bestien am Himmel mochte sich Dir-agok vorerst<br />
keine Gedanken machen, wenn diese sie nur vorerst in Ruhe ließen. Es deutete auch<br />
nichts darauf hin, dass dem nicht so wäre. Also gut. Erst einmal versuchte Agok, ihre<br />
Gedanken zu sammeln: Sie waren offenbar nicht dort herausgekommen, wo ihr prophezeit<br />
worden war. Vordringlichste Aufgabe würde also nun sein, zunächst herauszufinden,<br />
wo sie überhaupt waren. Als nächstes sollte man sich dann den Kopf darüber zerbrechen,<br />
wie man doch noch nach Kiomba gelangen könnte. Somit ließ sich für den<br />
Moment nicht mehr bewerkstelligen, als für eine weitere Nacht auf dem Hochplateau<br />
das Lager zu richten.<br />
Gegen Abend fiel es ihr schließlich auf: der Sonnenlauf schien beträchtlich länger ausgefallen<br />
zu sein, als am letzten Tag vor ihrem Aufbruch. Doch das war im Herbst gewesen.<br />
Die Tage müssten eigentlich kürzer werden statt länger. Waren sie nicht nur am falschen<br />
Ort, sondern auch in einer anderen Zeit herausgekommen? Hatte vielleicht die Zeitpest,<br />
entgegen allen Erwartungen, die große Insel Kiomba doch noch erfasst, und das Tor hatte<br />
sie dann nach zufälligem Gutdünken irgendwohin (und irgendwannhin) geleitet? Diese<br />
Fragen jedoch mussten warten, bis sie Einheimische finden konnten, die die Allgemeine<br />
Sprache beherrschten. Agok selbst hatte viele mühsame Stunden damit verbracht,<br />
diese zungenbrecherische Sprache zu erlernen. Bald würde sie Gelegenheit erhalten, diese<br />
Kenntnisse zu erproben...
Es dauerte zwei weitere Tage, in denen die Ter-baak allmählich <strong>von</strong> den Höhen des<br />
Gebirges herabkletterten, bis sie tatsächlich auf Einheimische stießen. Der Grund dafür<br />
wurde schnell offfenbar, denn der erste, den sie sahen, wollte gleich, nachdem er der<br />
großen Menge Fremder ansichtig geworden war, Hals über Kopf fliehen. Dem beherzten<br />
Eingreifen <strong>von</strong> Tamyr-basilik war es schließlich zu verdanken, dass er eingefangen werden<br />
konnte, ohne ihm allzu viel Leid anzutun.<br />
Dir-agok kam neugierig auf den Gefangenen zu. Unbewusst hatte sie einen Gang angenommen,<br />
der ihr eine gefährliche Ähnlichkeit mit einer Wölfin auf der Pirsch verlieh.<br />
Als sie des Mannes ansichtig wurde, konnte sie eine gewisse Verblüffung nicht verbergen.<br />
Denn sein Haar war hell wie Stroh, obwohl er ansonsten keinerlei Ähnlichkeiten mit<br />
den zierlichen Albianern aufwies, für die eine solch helle Haarfarbe gänzlich normal war.<br />
Er war kräftig gebaut und in dunkle Felle gehüllt. Offenbar ein Jäger. Seine intensiv blauen<br />
Augen starrten unverwandt Agoks unbedeckte linke Brust an (die rechte trug sie<br />
meistens verhüllt, damit sie vor der Sehne ihres häufig gebrauchten Bogens geschützt<br />
war). Sie konnte nicht recht verstehen, was es da Ungewöhnliches zu entdecken gab,<br />
unterdrückte aber das Bedürfnis, selbst nachzusehen. "Stimmt irgendwas nicht?"<br />
bemühte sie sich um einen entspannten, freundlichen Ton. Aber die Anstrengung der<br />
fremden Sprache ließ es wohl eher angespannt klingen, und mehr wie "stäimmyt irgendosy<br />
nikret?!"<br />
Die Mischung zwischen Besorgnis und Irritation, die sich auf dem Gesicht des Strohhaarigen<br />
abzuzeichnen begann, wäre unter anderen Umständen amüsant gewesen. Doch da<br />
es immens wichtig war, sich mit diesem Mann zu verständigen, war Agok nicht nach<br />
Lachen zumute. Als der Blick des Gefangenen wiederum wie magnetisch <strong>von</strong> ihrem<br />
Busen angezogen zu werden schien, ließ Agok sich ihren Überwurf reichen, den sie nun<br />
überstreifte. Zumindest glaubte sie jetzt anhand der Schwellung, die sich im Schritt des<br />
Jägers abzuzeichnen begann, eine der Ursachen für seine Irritation erkannt zu haben.<br />
Sie betrachtete ihn nun noch eine Weile schweigend, und als die Mine des Gefangenen<br />
sich zu entspannen begann, gab sie Tamyr-basilik einen Wink. Der trennte daraufhin die<br />
Fesseln auf, mit denen der Jäger verschnürt worden war.<br />
Dieser begann, sich die schmerzenden Gelenke zu reiben. Agok gab nun Denara einen<br />
Wink, und diese bot daraufhin dem Mann ein Schälchen einer schmerzlindernden Salbe<br />
an. Dieser jedoch starrte unentschlossen darauf, wohl nicht im Klaren, was er damit tun<br />
sollte. Agok nahm also etwas <strong>von</strong> der Salbe, strich da<strong>von</strong> etwas auf ihre eigenen Handgelenke<br />
und forderte den Jäger mit einer eindeutigen Geste dazu auf, es ihr nachzutun.<br />
Auch wenn er das verstanden haben mochte, schüttelte der Mann den Kopf, und Agok<br />
vermeinte, trotzigen Stolz in dieser Geste erkannt zu haben. Das entrang ihr nun doch<br />
ein Lächeln. "Nun gut", sagte sie, und diesmal klang es schon fast perfekt. "Wie heißt<br />
dieser Ort?" (uii aisto diisyr ort?), fragte sie weiter. Diesmal schien der Gefangene die<br />
Bedeutung ihrer Worte erfasst zu haben. "Aakonsbjörk", sagte er und umfasste mit seiner<br />
Geste das Bergmassiv, an dessen Fuß sich das alles abspielte. Der Stolz in seiner Stim-
me schien zu verheißen, dass der Mann den ganzen Berg als seinen persönlichen Besitz<br />
betrachtete. Nun, gegen Stolz war ja schließlich nichts einzuwenden.<br />
Agok fragte nun weiter "Wie heißt die Insel?". Doch statt zu antworten, fragte der Gefangene<br />
sie: "Wie seid ihr hierhergekommen?"<br />
Nun gut, wenn er für jede beantwortete Frage selbst eine Antwort will, so sei es. "Durch<br />
ein Tor auf Aakonsbjörk" (durk ain tor auf aakonsibierk). Während sie das antwortete,<br />
dachte Agok noch, wie seltsam es sei, dass sie ausgerechnet auf einem Berg herausgekommen<br />
waren, dessen Name so ähnlich klang wie "Das Adlervolk im Aufstieg" (das<br />
wäre eine recht zutreffende Übersetzung der Phrase Aak-On-sibierk aus Agoks Muttersprache,<br />
der Talar-nyboz). Doch wurde dieser Gedanke unterbrochen <strong>von</strong> der recht<br />
schroffen Entgegnung des Jägers: "Kein Tor auf Aakonsbjörk."<br />
"Kein Tor bis gestern" (kain tor biz geztern), antwortete Agok. Offenbar war es besser,<br />
bei diesem Einheimischen sich möglichst einfacher Phrasen der Allgemeinen Sprache zu<br />
bedienen. Sie fuhr fort: "Gestern Tor offen."<br />
Der Jäger kommentierte das mit runden Augen. "Name Insel", erinnerte Agok ihn daran,<br />
dass noch eine Frage unbeantwortet geblieben war. "Störsjon. Reich Malkuth", war die<br />
diesmal erschöpfende Antwort des Gefangenen.<br />
"Datum?" fühlte sich Agok ermutigt nachzufragen.<br />
"Woher kommen?", offenbar war der Jäger der Meinung, sich wieder ein paar Antworten<br />
verdient zu haben.<br />
"Tarn-A-tuuk, Kiombael", sagte Agok, die langsam begann, Gefallen an dem Spiel zu finden.<br />
"Unmöglich", entgegnete der Gefangene, "Kiombael anderes Segment, hier Karnicon".<br />
Das wiederum war Dir-agok nicht neu, denn den Namen Malkuth hatte sie in Aufzeichnungen<br />
über dieses Segment schon gelesen.<br />
"Durch Tor möglich", versuchte sie die Bedenken des Gefangenen zu zerstreuen. "Du<br />
Name?" setzte sie nach.<br />
Die Antwort kam prompt: "Asbern Kjeldson."<br />
"Dir-agok", stellte sich die junge Frau nun ihrerseits vor. Der Gedanke, dass dies seiner<br />
Meinung nach ein komischer Name sei, stand Asbern deutlich im Gesicht geschrieben,<br />
doch ging Agok darüber großzügig hinweg.<br />
Allmählich erfuhr sie so das ein oder andere wissenswerte Detail über Malkuth im Allgemeinen<br />
und Störsjon im Besonderen. Besonders freute es sie, bestätigt zu finden, was sie<br />
ebenfalls über Malkuth schon gelesen hatte, nämlich die vorherrschende Verehrung des<br />
Adlergottes, den man hier Dondra nannte, sowie die auch vorkommende Verehrung <strong>von</strong><br />
Malkh. Dies war der hiesige Name für Kerbatu, dessen geweihte Priesterin sie selbst war.<br />
Noch vor der Geburt der Zwillinge hatte Tor-tenak sie im Birek-Kerbatu zum heiligen<br />
Dienst am Wolfsgotte verpflichtet...
Mit Schrecken nahm sie hingegen eine andere Information auf: Es war am heutigen Tag<br />
der erste Tag des Tammus, wie der Jaguarmond hier offenbar genannt wurde, des Jahres<br />
<strong>429</strong>! Fast vier Jahre waren vergangen, seit sie das Tor am Adlersteig betreten hatten...<br />
Über die Schiffe vor der kleineren Insel wusste Asbern auch nicht mehr, als dass sie seit<br />
Wochen dort herum fuhren. Die geflügelten Reitbestien bezeichnete er als Dragols, was<br />
wohl ein hiesiger Name für Drachen ist(?). Die Reiter nannte er übrigens Wergols. Über<br />
diese wusste Agok nur, dass sie als Diener des Feuerhundes galten, was immer das bedeuten<br />
mochte. Nun, darüber zumindest wollte Asbern nicht weiter reden, aber er lud die<br />
Fremden ein, sich mit seiner Sippe zu treffen, die, wie es der Zufall so wollte, zu der Minderheit<br />
der Malkh-Verehrer gehörte. Dir-agok konnte ihn mit ein paar Erdzaubern<br />
mühelos da<strong>von</strong> überzeugen, dass sie trotz ihrer Jugend eine vollwertige Priesterin des<br />
Wolfsgottes war, wie auch immer der jeweils genannt werden möge.<br />
Es war am nächsten Tag, dass also die Ter-baak mit Asberns Sippe zusammentrafen. Eine<br />
Opferung an Kerbatu wurde abgehalten, und alsdann beschloss man, ins Bergland hinunterzuziehen,<br />
um Kontakte mit der Bevölkerung zu knüpfen. Ein <strong>Bote</strong> sollte zu der Garnison<br />
an der Küste entsandt werden, um Nachricht vom Eintreffen der Fremden zu geben.<br />
Die nahe Zukunft würde also zeigen, wie Dir-agok und die ihren in Malkuth aufgenommen<br />
werden.<br />
E
Drachenjagd<br />
Anders als sonst, da ich schreibe, befinden wir uns nicht zu Adrodd, der wohl saubersten<br />
Menschenstadt Myras. Oh nein, ich und meine Königin sind auf dem eigens <strong>von</strong> mir<br />
erschaffenen Wolkenschiff weiter gereist in ferne und gar bergige Regionen dieses unseren<br />
– naja, fast unseren – Reiches Languria.<br />
Bei einer Burg musste ich anlanden. Der stolzen Burg Reodoc. Sie sah prächtig, fest und<br />
vor allem uneinnehmbar aus. Da ich mich mit der Baukunst bis dato nicht zu sehr beschäftigt<br />
hatte, bewunderte ich eigentlich nur die Höhe dieser <strong>von</strong> außen und oben uneinnehmbar<br />
scheinenden Mauern und wunderte mich über eine Kleinigkeit, doch dazu später mehr.<br />
Stellt Euch einfach einen massiven riesigen Stein vor, groß wie ein Berg. Die Kanten glatt,<br />
einzelne kleine Fenster für Armbrustschützen. Ein Tor, ein dickes Gitter, eine Zugbrücke<br />
über einen Burggraben, und wenn man durch das Tor geht, muss man über viele Schritt<br />
Stein durch einen dünnen Gang, wo keine 3 Pferde nebeneinander reiten können. Von<br />
oben können Armbrustschützen einen beobachten und … - lassen wir dies nun mal. Denn<br />
es soll ja keine erschreckende Geschichte sein.<br />
Wir landeten also in der Nähe <strong>von</strong> Burg Reodoc an und traten vor das gewaltige Tor.<br />
Nein, es hatte keine Verzierungen oder sonst was. Keinen Krimskrams, was man als schön<br />
ansehen würde. Hier war alles schlicht und einfach und auf Verteidigung ausgelegt. Alles<br />
andere ist alles andere und wird und wurde nicht geduldet.<br />
Vor dem Burggraben postierten wir uns. Ich und meine Herrin. Von tief aus den Mauern<br />
erklang eine Stimme: „Was wollt Ihr?“<br />
Ich und meine Herrin sahen uns an, denn wir waren es nicht gewohnt, dass wir mit sehr<br />
hohen Wänden sprachen. Ich trat vor, räusperte mich, schlug mit meinem Magistab auf<br />
den Boden. Was leider seinen Effekt verfehlte, da dieser nur staubig war, anstatt, wie in<br />
angemessenen Räumen steinern, so den Klang des Stabes durch den ganz Saal tragend.<br />
Noch einmal räuspernd: „Mein Name ist Thorvald Knockback und diese Dame neben mir<br />
ist“, ich verbeugte mich …<br />
Von innen klang es: „Schneller, alter Mann. Wer ist sie und was ist Euer Begehr?“<br />
Zornesröte, wie man es <strong>von</strong> mir nicht gewohnt ist, stieg in mir hoch, und ich wollte schon<br />
meinen Magistab auf das Tor und die gesamte Mauer richten, als ich eine sanfte Berührung<br />
an meiner Schulter spürte. Sie trat selbst vor:<br />
„Mein Name ist Karma und ich bin die Schwarmkönigin. Ich und mein Begleiter bitten<br />
um Einlass, und vor allem ich möchte mit dem Burgherren sprechen.“<br />
Ein Lachen war zu vernehmen. „Schwarmkönigin?“, und wieder dieses Lachen. „Die Herrin<br />
der Fliegen?“, und man hörte ein Lachen aus vielen Kehlen. Prustend vor Lachen kam<br />
dann noch, „wir, wir, wir, wir“, er schöpfte nochmals nach Luft, man hörte im Hintergrund<br />
leise ein „Fliegenherrin“ und viel Lachen, dann folgte ein weiteres:<br />
„Wir haben keinen Burgherren.“
Nun geschah, was ich bis dahin nur ganz, ganz, ganz selten sah und ich schwöre bei meinen<br />
arkanen Künsten, selbst mir, der ich schon viel erlebt, gesehen und gelesen – man<br />
könnte sagen, eigentlich kenne ich alles –, selbst mir wurde in diesem Augenblick bang<br />
ums Herz. Denn es vollzog sich ein Wandel in meiner Herrin, so schnell und furchtbar.<br />
Eben noch die nette Herrin <strong>von</strong> nebenan, überlief sie kurz ein Schatten, der blieb. Sie flog<br />
auf einmal über den Burggraben – ich hörte dieses altbekannte Surren, wie <strong>von</strong> tausenden<br />
Fliegen – und verschwand in einer Öffnung in Dreimannshöhe. Noch bevor die Armbrust<br />
dahinter reagieren oder gar abgefeuert werden konnte, hörte man, wie etwas Schweres zu<br />
Boden fiel, ein Schrei, Gepolter, Treten <strong>von</strong> vielen schweren Stiefeln, Rufe, Hilferufe und<br />
dann ein „GNADE!“<br />
Ich gestehe, ich musste lächeln, denn obwohl ich Kiara nicht mochte, ab und an hat sie<br />
auch ihre guten Seiten. Doch ob dies nun gut war, wo wir gekommen sind, um Hilfe zu<br />
bekommen? Wird man uns diese gewähren, nachdem da wohl ein paar dieser Gardisten<br />
eines Besseren belehrt wurden – „so redet man nicht zu Damen“ –, und was sollte die Aussage,<br />
dass es hier keinen Burgherren gäbe?<br />
Das Tor ging auf, die Zugbrücke wurde herunter gelassen, und ich durfte durch das Portal<br />
schreiten. Mehrere Mannshöhen über mir sah ich rechts und links mindestens je zehn Krieger<br />
mit gespannten Armbrüsten, die auf mich angelegt hatten. Ein zwotes verstärktes Tor<br />
wurde geöffnet, und dann war ich im Innenbereich. Dort traf ich dann auf meine Herrin<br />
Karma wieder. Ja, Karma, und nicht wie vorhin Kiara. Man beachte. Ich schaute sie mir<br />
an, fragte sie höflich, ob sie in Ordnung wäre, sie nickte, und dann wurden wir schon weiter<br />
geleitet, in einen gar riesigen Raum, Wände so hoch wie die Decke und darin war …<br />
Eine Frau.<br />
Mit dem Rücken stand sie zu uns, ein langes Kettenhemd tragend, an ihrer Seite ein Langschwert.<br />
Kurzes, dunkelblondes Haar, breite Schultern. Schon die ganze Haltung zeigte mir,<br />
sie trägt nicht zum ersten Male ein Schwert.<br />
Sie drehte sich um und ich wusste nun, warum dieser Gardist gelacht hatte. Sie war die<br />
Burgherrin.<br />
„Mein Name ist Frauwe Dowynn“, erklang ihre Stimme. Laut, im ganzen großen und<br />
hohen Saal klingend, befehlsgewohnt. „Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“<br />
Ich setzte gerade an, meinen Stab auf den Boden zu schlagen, als mich die sanfte Hand<br />
<strong>von</strong> Karma erneut berührte, und sie trat vor, mit kleinen, furchtsamen Schritten.<br />
„Mein Name ist Karma, und ich wollte zu Euch, ehrenwerte Frauwe Dowynn.“<br />
Die Burgherrin, welche eisig grüne Augen hatte – darin aber ein Hauch gelb um die<br />
Pupille, was diese wie kaltes grünes Feuer leuchten ließ – schaute meine Herrin an. Lange,<br />
dann nickte sie. „Ihr habt mich gefunden,“ sie hielt kurz inne, „auf eine gar ungewohnte<br />
und ungebührende Art.“<br />
Doch irgendwie umspielte ein Lächeln ihre Lippen, welches aber im nächsten Augenblick<br />
schon wieder verschwunden war.
„Ihr meint diese Sache mit Euren Wachen, die sich unangemessen einer Dame gegenüber<br />
benommen haben?“ fragte meine Herrin nun keck und reckte ihr Kinn streitlüstern hervor.<br />
Irgendetwas funkelte in ihren Augen und das letzte Mal, als ich dieses Funkeln sah, kam sie<br />
mit Brom, dem Volkshelden <strong>von</strong> Languria, an.<br />
Der Blick <strong>von</strong> Frauwe Dowynn wurde nun warm. Grübchen um die Augen wurden sichtbar,<br />
und ein herzhaftes Lachen war zu vernehmen. Sie fiel Karma um die Schultern, und<br />
beide lachten so herzlich, wie ich es wohl noch nie <strong>von</strong> zwei gestandenen Frauen je zuvor<br />
vernommen habe. „Habt Ihr wirklich?“, und Karma antwortete kichernd: „ja“, und beide<br />
prusteten wieder los.<br />
„Das Problem ist,“ fing die Burgherrin an, „dass ich dieses ungebührende Verhalten gegenüber<br />
den Burgwachen nicht durchgehen lassen kann. Da sonst jeder“, sie lachte und<br />
wischte sich ein paar Tränen <strong>von</strong> den Augen, „der wie ihr ohne Flügel durch diese engen<br />
Mauerritzen fliegen kann ...“, nun lachten beide wieder. Ich stand verdutzt daneben und<br />
fragte mich, warum ich einer Frau und nicht einem gestandenen Manne diente, denn bei<br />
Männern gibt es solch Verhalten nie und nimmer. Ja, wenn sie trinken, kann es ausarten,<br />
aber so?<br />
„Dies darf auf jeden Fall nicht mehr passieren.“<br />
Karma, meine Herrin, nickte, ihr Blick klärte sich, wurde wieder normal, warm, herzensgütig.<br />
Sie nahm die Hand der Burgherrin und gestand: „Es tut mir leid, und ich will mich<br />
um die Verwundeten kümmern auf meine eigene Art, und entschuldige mich bei Euch und<br />
auch bei den Betroffenen persönlich dafür, was ich für Ungemach angerichtet habe.“<br />
Frauwe Dowynn, die Burgherrin, nickte. Klatschte in die Hände und ein Tor öffnete sich.<br />
Herein kamen vier gestandene Männer, die aussahen, als hätten sie sich mit Riesen oder<br />
anderen gar riesigen und kräftigen Wesen geprügelt. Bei jedem Schritt verzogen sie das<br />
Gesicht im Schmerze. Doch kein Laut kam über ihre Lippen.<br />
„Meine Herren,“ begann die Burgherrin, „zeiget jener Dame, welche Euch so zugerichtet<br />
hat, was sie Euch in ihrer ungebührenden damenhaften Art ohne Waffen angetan hat.“<br />
Die Männer schauten sich verdutzt an.<br />
Sie trat einmal fester auf den Boden. „Dies war ein Befehl.“<br />
Und da funkelten die Augen wirklich feurig und sprühten wahrhaft Feuer. Der Erste trat<br />
vor, machte seinen Oberkörper frei, und selbst ich erschrak. Tiefe Kratzer über die ganze<br />
Brust und ein Biss. Da fehlte Fleisch. Hatte meine Herrin ihn gebissen? Ihm ein Stück <strong>von</strong><br />
seinem Körper heraus gebissen? Naja, es war Kiara. Aber macht diese so etwas wirklich?<br />
Beißen? Wie ein Raubtier. Mir wurde ganz anders. Denn wenn ich dran denke, wie ich bis<br />
dahin mit Kiara umgegangen bin und mich – wenn ich zurückdenke – eigentlich ein jedes<br />
mal in Lebensgefahr begeben habe, unwissentlich. Danke, Ihr Götter, Danke!<br />
Karma erschrak und ich sah Tränen in ihren Augen. Ein Wisch, und sie waren weg, und<br />
sie ging auf den Mann zu. Schaute ihm in die Augen, murmelte ein paar Worte, beugte<br />
sich über die Wunde und … küsste sie ihn? – Dies kann ja jetzt wohl nicht wirklich sein.<br />
Nein, noch schlimmer. Es schien, als würde sie darüber … ich darf es gar nicht schreiben
… lecken. Man stelle es sich vor. Eine Wache, ach was, mehrere Wachen, wurden <strong>von</strong> einer<br />
Königin verprügelt, sogar wohl gebissen und nun leckt sie mit ihrer Zunge über diese offenen<br />
Wunden. Wo bin ich? Könnte mich jemand aufwecken. Ich denke, das letzte Bier war<br />
doch zu viel. Verdammt. Aber es war doch mein eigenes. Es muss an der Höhenluft liegen.<br />
Ich vertrage Berge nicht. Und die Wunde schloss sich. JA wie, ja was, ja wo? Doch sie<br />
machte es bei den Kratzern auch – da küsste sie nur drüber, und nun schlossen sich diese<br />
Wunden auch, und es sah aus wie junge Kinderhaut, die da zu sehen war. Der Mann war<br />
verwirrt. Ich war verwirrt.<br />
Die Burgherrin … schaute. Doch das Feurige in den Augen schwand. Man könnte sagen,<br />
es war ein interessierter Blick. Irgendetwas umgab sie. Doch ich kam nicht darauf. Ein<br />
Hauch <strong>von</strong> … Magie? Macht? Erfahrung? Autorität? Herrlichkeit? Fast schon Göttlichkeit?<br />
Es muss wirklich an der Bergluft liegen, die ich Weitgereister nicht vertrage, denn wie kann<br />
ich einer Burgherrin Göttlichkeit unterstellen. Wenn dies die Götter vernehmen würden, sie<br />
würden mir jeden einzelnen Schreibfinger brechen und dann… – lassen wir da<strong>von</strong> lieber<br />
ab. Denn was geschrieben, kann nicht immer gut für den Schreiber sein.<br />
Der Mann trat zurück, der letzte trat vor und so wiederholte sich diese Prozedur einige<br />
Male. Am Ende nahm sie einen jeden einzelnen der Männer in den Arm, entschuldigte<br />
sich persönlich für das falsche Verhalten und gab einem jedem einen … Kuß auf die<br />
Wange. Von Königin, welche was falsches gemacht hatte, zu Wache, welche – ich würde ja<br />
sagen, nicht ganz – korrekt gedient hatte. Danach durften die Wachen gehen.<br />
Als die Männer ausgetreten waren, die große doppelflügelige Türe verschlossen war, fragte<br />
Frauwe Dowynn offen heraus: „Warum seid Ihr gekommen?“<br />
„Ich wollte mit Euch sprechen“, kam es <strong>von</strong> Karma.<br />
„Dies tut Ihr nun. Was ist Euer Begehr, sonderbare Frau, die Ihr Karma heißt und Dinge<br />
könnt, die kein Languri und wohl auch keine Languri je konnte oder je kann?“<br />
„Wie schon angedeutet, ich bin Karma, die Schwarmkönigin, und ich habe einige Gaben,<br />
die mir gewisse Dinge“ – sie suchte nach dem richtigen Wort – „vereinfachen“, sprang ich<br />
ihr bei.<br />
„Noch einmal, was wollt Ihr <strong>von</strong> mir?“, kam es nun drängender <strong>von</strong> der Burgherrin.<br />
„Ich suche den Drachen“, kam es <strong>von</strong> Karma zurück.<br />
„Und weswegen?“<br />
„Ich will ihn heiraten.“<br />
Da klappte sogar mir die Kinnlade herunter.<br />
Ende Teil 1 <strong>von</strong> ‚DRACHENJAGD‘, geschrieben <strong>von</strong><br />
Thorval Knockback<br />
im bergigen Teil Langurias, in der sonderbaren Burg Reodoc,<br />
im Sommer des Jahres 428 n.P.
Drachenjagd (Part 2)<br />
Mögen die Götter mir hold gesonnen sein, denn dies, was ich jetzt und hier schreibe, ist mir strengstens<br />
untersagt. Was schreibe ich? Meine Herrin – nein, ich spreche nicht <strong>von</strong> Kiara, der Bösen, sondern<br />
<strong>von</strong> Karma, der Guten – wenn sie wüsste, dass ich dies mitbekommen habe und es auch noch<br />
schriftlich niederlege, selbst sie, die Gute, sie würde mich wohl häuten lassen und danach noch einige<br />
unliebsame Dinge mehr … dies mir, den sie auf ihre ganz eigene Art und Weise liebt.<br />
Doch warum schreibe ich es dann nieder? Nun, ich bin ein Mensch, zwar im besten Alter, doch<br />
was, wenn das wahre Alter mal auch bei mir zutage tritt und ich, der ich der größte Magi aller Zeiten<br />
und Welten (es gibt mehr Welten als nur Myra. Es gibt sogar Gerüchte, dass es eine Innenwelt in<br />
Myra geben soll), wenn gegen jene Vergessenheit, die mit dem Alter der Menschen kommt, selbst mir<br />
größtem Magi kein Zauber gelingen möge.<br />
Und so schreibe ich es nieder. Für mich und meine Augen und vor den Augen der Götter. Nur sie<br />
sollen Zeuge sein und erfahren, was vielleicht so <strong>von</strong> ihnen nicht registriert wurde, denn … es gibt<br />
vieles auf Myra zu beobachten, und da – denke ich – kann es schon mal vorkommen, dass jene Kleinigkeit,<br />
die da geschah, übersehen wurde, obwohl sie doch groß und wichtig war. Verstecken tu ich<br />
dieses Pergament hernach in meinem Stab, welcher in der Mitte hohl ist. Eine Höhlung, geschützt<br />
und umfasst <strong>von</strong> einem gar edlen Metallring, somit für kein Auge erkennbar. Tja, dumm bin ich<br />
nicht. Und dies wird niemals nicht niemand bemerken, dass ich darin meine größten Wichtigkeiten<br />
verstecke.<br />
Doch nun zur Sache, die sich zugetragen.<br />
„Ich will ihn heiraten“, sagte meine Herrin Karma zu Frauwe Dowynn, der Burgherrin<br />
der stolzen Burg Reodoc. Ich glaube, ich nenne sie einfach Steinklotz, Festung oder so ähnlich.<br />
Denn was anderes ist sie nicht.<br />
Die Burgherrin schaute mich an, räusperte sich kurz, ein Flackern war in den Augen zu<br />
sehen, kurz ein Zucken der Lippen, dann zeigte sie zur Tür. „Historiker, Ihr habt sicher<br />
noch was zu tun. Zum Beispiel ein anderes Gewand für das Abendmahl anzuziehen, Euch<br />
gebührend nach der langen Reise zu waschen oder anderes“, klingelte es in meinen Ohren<br />
nach. Ein Blick auf meine Herrin zeigte mir, dass auch sie wünschte, dass ich den großen<br />
Raum verließ. Warum war er eigentlich so karg eingerichtet, warum die Decke so hoch<br />
und warum … diese Decke war sonderbar, so … falsch.<br />
Ich verbeugte mich noch einmal vor beiden und verließ dann missmutig meine Herrin. So<br />
etwas hatte es noch nie gegeben. Ich, Thorvald Knockback, der größte Magi aller Zeiten,<br />
Chronist, Berater und Lieb… upps – verdammtes Pergament, ich bekomme diesen<br />
Schreibfehler einfach nicht raus - der Schwarmkönigin, wurde noch niemals nicht <strong>von</strong> ihr<br />
getrennt. Ich sollte meinen Magistab auf das Portal, auf die Burg und auf diese sonderbare<br />
Burgherrin richten und alles … verwandeln. Zu Staub zerfallen lassen, wäre langweilig.<br />
Vielleicht sollte ich die Burg verwolken. Die Mauern in Wolken umformen und dann die<br />
Burg mal hochheben. Abschleppen mit meinem Wolkenschiff und dann …<br />
Ach was soll‘s. Es war auch der Wunsch <strong>von</strong> meiner Karma, und ich bin ein treuer Diener
und nicht nachtragend. Aber wehe, wenn diese Frauwe mir mal in einem unpassenden<br />
Augenblick begegnen würde. Sie Burgherrin und ich Magi. Ich garantiere für nichts. Denn<br />
ich bin der größte Magi und …<br />
Ich schlenderte umher, fand einen Gang mit vielen Türen, öffnete eine, leer.<br />
Nächste Türe, ein großer Raum, ein Regal mit einzelnen Schriften – und dies auf einer<br />
Burg –, und schon war mein Interesse geweckt.<br />
Ich nahm mir einen Stapel da<strong>von</strong> und ging zu einem Lesepult. Als ich das Pergament aufrollte,<br />
glühten meine Augen, denn dies war ein gar altes Schriftstück, aus längst vergangenen<br />
Zeiten. Ich beugte mich vor und war schon in dem Schriftstück, als ich eine Stimme<br />
vernahm –<br />
„... und irgendwie kommt es mir so vor, als wärt Ihr jemand anderes, als Ihr vorgebt.“<br />
Ich drehte mich um, war meine Herrin da, neben mir? Nein.<br />
„Was seht ihr denn? Oder soll ich fragen, was meint Ihr nicht zu sehen?“ erklang eine<br />
andere Stimme.<br />
Täuschten mich meine Sinne, oder war dies gerade die Burgherrin, die mich so unsanft<br />
<strong>von</strong> meiner Herrin getrennt?<br />
Ich drehte den Kopf und merkte, dass die Stimmen aus einer bestimmten Richtung kamen.<br />
Da war doch aber nur Stein, die Mauer, die …<br />
Ja, verdammt. Diese grenzte an den Raum, wo meine Herrin und diese Burgherrin sprachen,<br />
und an dieser Stelle war wohl ein Stein etwas lockerer.<br />
Ich nahm mein Schriftstück und lehnte mich dort an die Wand. Scheinbar eine gemütliche<br />
Haltung, um es lesen zu können, und obwohl ich kein Spion bin, vernahm ich folgendes:<br />
„Mir erscheint, dass Ihr eine Ausstrahlung habt, die nicht zu dem passt, was das Auge<br />
einem vorgaukelt“, hörte ich die sanfte Stimme Karmas.<br />
„Selbiges könnte ich über Euch erzählen. Nur, zusätzlich habt Ihr mir bewiesen, dass Ihr<br />
auch noch etwas Böses in Euch habt, welches Ihr nicht wirklich kontrollieren könnt“, konterte<br />
es dagegen.<br />
Irgendwie hing mein Ohr nun an der Wand, als hätte es jemand dort hingenagelt.<br />
Ob ich mich dafür schäme, tja ähm, es ist im Dienste all jener, die es irgendwann mal wissen<br />
wollen und die Wahrheit über Karma erfahren wollen. Über jenes wunderbare Wesen,<br />
welches einzigartig auf Myra ist, und ein jeder sollte in den Genuss kommen, nur die<br />
Wahrheit über dieses göttliche Geschöpf zu erfahren.<br />
„Wie kommt es, dass Ihr jene Ecke des Reiches bewacht, wo der Drache vorzufinden ist.<br />
Dass scheinbar selbst Ihr ihn nicht findet, obwohl dieses Land nicht zu groß ist und …“ –<br />
doch da wurde sie unterbrochen.<br />
„Wisst Ihr, wie gut Drachen sich verbergen können und gar Menschenalter mit Schlaf verbringen<br />
können?“<br />
Doch schon erklang ein silberhelles Lachen: „Oder aber in anderer Gestalt!“
Was meinte meine Herrin nun damit? Drachen in anderer Gestalt. Götter, ja, dies hatte ich<br />
schon vernommen, aber Drachen. Und was für eine Gestalt? Widder, nein dies war glaub<br />
Chnum, dieser … keine Ahnung ... Gott halt. Und dann gab es da die eine Göttin der<br />
Liebe, aber die … nö, da war auch nix. Und dann der Eine, der ähnlich wie Chnum klang<br />
– nur anders geschrieben, aber gleich gesprochen – der war glaub der Gott der Seetiere,<br />
Fische (aber nicht alle, denn unser hiesiger Gott war ja der <strong>von</strong> den Walen, und dann gab<br />
es noch den einen <strong>von</strong> diesen spitznasigen Fischen, der hatte wieder einen ähnlichen<br />
Namen, und doch war er ein anderer – naja, Götter halt.<br />
So, wo waren wir?<br />
Ach ja, andere Gestalt, Drachen und … wir waren glaub bei den Göttern, oder?<br />
Eine Pause entstand und ich denke, wenn ich jetzt die Augen der beiden Damen gesehen<br />
hätte, hätte ich bei Karma dieses süße Leuchten gesehen. Zu diesem Zeitpunkt werden<br />
ihre Augen gewesen sein, wie der Frühling. Ein Sprühen und Knospen der Augen, ein<br />
Erblühen, Leben, Freude, Wärme, welche in solchem Überschwang heraus kommt, dass<br />
man ihr einfach gar nichts abschlagen konnte.<br />
Und diese andere, Frauwe, tja, wieder dieses feurige und zugleich kalte Glühen der Augen.<br />
Irgendwie unmenschlich, doch dies wird wohl daran liegen, dass sie als Frau allein auf<br />
einem Berg sitzt, in einer Burg, die halt … eine Burg ist. Was würde sie da<strong>von</strong> halten,<br />
wenn ich ihre Burg mit meiner Zauberei verschönere? Ein paar Blumen an der Wand entlang<br />
wachsen lasse?<br />
„Wie meint Ihr dies?“, kam <strong>von</strong> der Burgherrin. Obwohl ich so fern, hörte ich das<br />
Schwanken der Stimme.<br />
„Mir scheint, dass unter dem, was ich hier sehe, sich etwas verbirgt. Etwas …“ – und nun<br />
wandte meine Herrin etwas an, was sie <strong>von</strong> mir gelernt hat. Mir, Ihrem Lehrer, Lehrmeister,<br />
Berater, Chronisten und vielem, vielem mehr. Und Helfer in der Not auch. Sie machte<br />
eine Pause – „anderes.“<br />
Was meinte sie verdammt noch mal damit. Doch ich wette, sie hatte mit ihrer Hand direkt<br />
auf den Kopf oder das Herz der Burgherrin gestupst. Auch, wenn ich sie oft genug<br />
ermahnt hatte, dass sich dies nicht für den Adel gehören würde, solche Dinge so direkt<br />
anzusprechen oder gar anzudeuten.<br />
Ich hielt die Luft an. Drückte mein Ohr ganz hart an die Wand. Der Stein verrutschte ein<br />
klein wenig. Ich fummelte herum, um vielleicht einen Blick hinein werfen zu können und<br />
vernahm Geräusche, unsägliche Geräusche, die mich mit Angst und Neugier erfüllten.<br />
Im nächsten Moment brach ich durch die Wand, wo ich meine Herrin vor einem Drachen<br />
sah. Vor einem großen Drachen. Einem ganz großen Drachen.<br />
„Oh Herrin, Ihr habt den Drachen gefunden? Dies freut mich. Ich geh dann mal wieder“,<br />
und drückte mich wieder in die Wand, hob ein paar Steine auf, schob sie zurück und …<br />
putzte mir den Staub <strong>von</strong> der Kleidung.<br />
Was war da passiert?
Wo war die Burgherrin, wo kam der Drache her, warum waren sie so eng aneinander?<br />
Warum gab es keinen Kampf? Warum hat mich niemand gefragt und überhaupt?<br />
Gerade, als ich den letzten Stein aufgeschichtet und meine Kleidung gerichtet hatte, vernahm<br />
ich den Ruf: „Thooooorvaaaaaaaald“, und ich hielt inne.<br />
„Ja, meine Herrin“, kam es <strong>von</strong> mir leise.<br />
„Wollt Ihr bitte zu uns kommen?“, und gleich nachsetzend: „Bitte auf dem normalen<br />
Wege.“<br />
Und so eilte ich den Weg, welchen ich vorhin gekommen war, als ich sie verließ – beim<br />
ersten Male – zurück, klopfte an das Tor, trat ein, verschloss das Tor sofort hinter mir und<br />
… sah Karma mit der Burgherrin.<br />
„Oh, dieser Drache ist schon wieder gegangen?“ fragte ich.<br />
Mein Blick glitt in die Höhe, auf dem Boden, wo war der Drache? Warum lag das Kettenhemd<br />
<strong>von</strong> Frauwe auf dem Boden und das Schwert und ihre Kleidung war schlampig<br />
angezogen? Was war hier geschehen?<br />
„Ja, mein Berater. Der Drache ist schon wieder gegangen. Doch ich soll Dich fragen, ob<br />
Du Lust hast, mich mit ihm zu begleiten. Nach Adrodd“, fragte sie mich und wie es mir<br />
gehört, konnte ich ihr diese Bitte nicht ausschlagen.<br />
So, Ihr Götter – und jene, welche dies irgendwann lesen möchten, wenn ich nicht mehr<br />
lebe oder sonst was –<br />
ich gebe Euch ein Mysterium auf, welches selbst ich nicht zu lösen vermag,<br />
doch für die Geschichtsbücher wäre das wichtigste gesagt, und wer dieses Rätsel darin löst,<br />
soll mir Bescheid geben.<br />
So geschrieben <strong>von</strong><br />
Thorvald Knockback<br />
Berater der Schwarmkönigin Karma<br />
und vieles, vieles, vieles mehr, darunter größter Magi aller und jener Zeiten<br />
CMGJIKE
ZUG 771 (ASYLIAARCHIPEL UND EISIGES BAND)<br />
ZAT ist der 31. März 2010<br />
<strong>Bote</strong>nbeiträge in Text und Bild werden jederzeit entgegengenommen.<br />
Bilder für das Cover oder Illustrationen werden immer gebraucht. Bis auf weiteres werden<br />
die drei schönsten Bilder mit 15.000, 10.000 und 5.000 GS belohnt.<br />
Texte zu Handelswaren steigern deren Erträge.<br />
Der Zug 77 Phase 1 = Zug 751 spielt vom Herbst 428 n.P. bis zur jetzigen Zeit !<br />
Zugfolge:<br />
Da manche noch immer Schwierigkeiten mit der 2-phasigen AW-Strategie haben, an dieser<br />
Stelle noch mal den gültigen Modus:<br />
In Phase 1:<br />
Bewegt ihr die Einheiten INNERHALB eurer Reiche ( bei Wasser gilt der Sichtbereich)<br />
und zwar:<br />
K 1 GF<br />
R 2 GF<br />
Schiffe 3 GF<br />
Und Charaktere 4 GF weit !<br />
Dabei darf NICHT über fremdes Reichsgebiet gezogen werden ! Bewegungen die KFweise<br />
nicht gehen, gehen auch GF-weise nicht ( z.B. über 2 Höhenstufen ziehen oder<br />
auch keine Schiffe über Land u.ä.)<br />
Erkunden:<br />
Man erkundet vom GF A ins GF B.<br />
Bedingung ist, dass in GF A zumindest ein Mindeststärkenheer ( also 1000 K/500 R oder<br />
20 Schiffe( oder 10 Handelsschiffe) stehen.<br />
Als Ergebnis erhält man dann in der AW zu Phase 1 die Erkundungsergebnisse- und<br />
sieht was auf diesem GF vor sich geht.<br />
Genauer: Wo Städte o.ä. ( ab 1 BWP Größe) liegen- und sich bewegende Heere. Heere<br />
innerhalb <strong>von</strong> Gebäuden werden NICHT gesichtet !<br />
Möchte man diese erkundet man das Ziel-GF doppelt ! Dann „sieht“ man, wie die Städte<br />
o.ä. aufgebaut sind und ob darin Heere stehen ( und deren ungefähre Größe); für bewegende<br />
Heere bringt eine solche doppelte Erkundung dann recht genaue Ergebnisse<br />
(+/- 10 %) .
Der/die Besitzer des Ziel-GF erhalten IMMER Mitteilung, dass fremde Späher das GF<br />
erkunden ( und warnen so vor etwaigen Angriffen.<br />
Jedem Reich stehen 6 Erkundungseinheiten (EE) zur Verfügung. Und zwar für Phase 1<br />
UND Phase 2 zusammen !!!<br />
Zu Phase 2 können dann die zuvor erkundeten GF angegriffen werden oder dort gehandelt<br />
werden oder eine Sonderaktion ( z.B. Schatzsuche) durchgeführt werden. Dafür<br />
wird je GF wieder 1 EE benötigt.<br />
D.h. man kann in bis zu 6 GF „spähen“. Wenn man dort aber auch etwas tun möchte,<br />
muss man EE für Phase 2 sparen ! Man kann also max. in 3 GF gleichzeitig aktiv werden.<br />
( und man verzettelt sich nicht )<br />
Achtung: die Erkundereinheiten sind IMAGINÄR ! Also keine Heere dafür abstellen,<br />
o.ä. !!!<br />
Bauen: jederzeit - zu Phase 1 ansagen / eine Zeile was wo in welcher Reihenfolge gebaut<br />
werden soll, schreiben; gebaut wird mit einer Geschwindigkeit <strong>von</strong> 1 BWP je<br />
Mond ( also 3-6 BWP pro Zug !)<br />
Möchte man die Baugeschwindigkeit erhöhen, setzt man 1000 A + HF ein, die denn<br />
nochmals 1 BWP pro Mond bauen.<br />
In entlegenen Gebieten ( alles was weiter als 10 KF Abstand zum nächsten eigenen Siedlung<br />
( also mindesten 1 BWP Bev. und Rüs.) weg liegt) MUSS mit 1000 A + HF gebaut<br />
werden.<br />
Überseeprovinzen (KF) zählen IMMER als entlegen !<br />
Heere ( o. Sonstiges) rüsten: geht immer in Phase 1 ( solange Gold zum Bezahlen vorhanden<br />
ist ).<br />
Diese Neurüstungen dürfen sich normal bewegen !<br />
Heere ( o. Sonstiges) ausbilden: jederzeit ( ansagen !), nur in KF mit Mil. ( oder nach<br />
Absprache)<br />
Handel: Kontore erwirtschaften zu jeden Zug Gewinne ( s.o.)- Abrechnung zu Phase 1<br />
Handelsrouten werden JEDEN Zug abgerechnet ( was es ermöglicht auf aktuelle Geschehnisse<br />
einzugehen, z.B. Piraten, Kriegsaktivitäten, Stürme u.ä.). Abrechnung zu<br />
Phase 2.<br />
YGG VOM BLAUEN EISE
DIE LETZTE SEITE<br />
… ruft Euch erneut auf, uns nicht nur Texte, sondern auch (eigene) Bilder als Kulturbeiträge<br />
zu schicken. Wie Ihr seht, ist dieser <strong>Bote</strong> mal wieder ziemlich testlastig (bis auf<br />
die meistenteils <strong>von</strong> uns angefügten Cliparts). Deshalb gilt weiterhin:<br />
Wenn wir für den nächsten <strong>Bote</strong>n kein geeignetes Bild <strong>von</strong> Euch erhalten, holen wir<br />
eines aus unserem eigenen Fundus lizenzfreier Bilder, die aber nicht unbedingt etwas<br />
mit Karnicon zu tun haben. Eure Aufgabe ist es dann, diese Beziehung herzustellen,<br />
indem ihr zum darauf folgenden <strong>Bote</strong>n eine Geschichte zu diesem Bild schreibt. Die<br />
besten Geschichten werden mit 5.000 bis 30.000 GS sowie eventuell einem Hinweis<br />
belohnt. (Dies ist beim aktuellen <strong>Bote</strong>n der Fall!)<br />
Wer uns andererseits ein Bild und dazu eine Bildunterschrift oder Geschichte liefert,<br />
bekommt je nach Qualität und „Titelfähigkeit” ebenfalls bis zu 30.000 GS und ebenfalls<br />
einen Hinweis – vielleicht sogar einen etwas wertvolleren. Wichtig: Ihr müsst alle<br />
Rechte an diesen Bildern haben, einschließlich des Rechts, uns und dem Verein der<br />
Freunde Myras den Abdruck zu gestatten sowie sonstige Wiedergaberechte zu<br />
gewähren. Das Bild selbst sollte eine Breite <strong>von</strong> wenigstens 800 Pixeln und eine<br />
entsprechende Höhe haben; besser wäre eine Breite <strong>von</strong> ca. 1.500 Pixeln. Ihr könnt uns<br />
aber auch gerne eine Originalzeichnung auf Papier zum Einscannen schicken.<br />
IMPRESSUM<br />
Der Segmentsbote <strong>von</strong> <strong>Karnikon</strong> ist ein Mitteilungsblatt der Fantasywelt Myra, speziell bezogen auf das Segment <strong>Karnikon</strong>.<br />
Der Segmentsbote erscheint in unregelmäßigen Abständen mit den Nachrichten aus <strong>Karnikon</strong>/Ysatinga und Neuigkeiten der<br />
Welt Myra. Dieser <strong>Bote</strong> ist Bestandteil der Auswertung und wird als interne Veröffentlichung normalerweise nur <strong>von</strong> Spielern<br />
des Spiels "Welt der Waben" bezogen. Für die Inhalte der Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Das Urheberrecht<br />
sowie eventuelle Bildrechte liegen beim jeweiligen Autor. Soweit bei den Beiträgen Autoren benannt werden, handelt es<br />
sich um Pseudonyme; die vollständigen Namen und Adressen sind der Redaktion bekannt.<br />
Spielleitung <strong>Karnikon</strong> (V.i.S.d.P. im Auftrag des VFM e.V.)<br />
Michael Ecker<br />
Jochen Sprengel<br />
Tettnanger Str. 75 Neuer Weg 13<br />
88214 Ravensburg 69412 Eberbach<br />
al.moccero@karnicon.de<br />
schaefer_claudia@gmx.net<br />
ZAT: siehe Auswertungen<br />
Titelbild: Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, gefunden in den Kellerarchiven der Bibliothek <strong>von</strong> Abernalon-o-Aberlon:<br />
Was stellt es dar? Bitte sendet Eure Kulturberichte ein.<br />
Erscheinungsdatum dieses <strong>Bote</strong>n: April 2010