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Bote von Karnikon 429 - Wikia

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Segmentsbote<br />

Karnicon<br />

Nr. 72 Jahr des Gedächtnisses – <strong>429</strong> n.P.


<strong>Bote</strong> <strong>von</strong> <strong>Karnikon</strong> <strong>429</strong><br />

Im Jahr des Gedächtnisses<br />

Editorial................................................................2<br />

Das Jahr des Gedächtnisses .................................3<br />

Das Ritual der „Tödlichen Kälte“.........................7<br />

Unter Eira I.........................................................8<br />

Unter Eira II - Die Zusammenkunft...................10<br />

Die Großen Trommeln........................................14<br />

Von Rittern und Schlägern..................................15<br />

Ehre den Toten...................................................18<br />

Die langurische Brombeere...................................20<br />

Pflanzen in Languria...........................................21<br />

Von einer unnützen Pflanze.................................25<br />

Die Zwickerkrankheit.........................................27<br />

Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels.................31<br />

Capitulum III: Die Danameris und die Religion...................31<br />

Der Vereinte Kultus des Verborgenen..............................32<br />

Der Bund der Weisen....................................................34<br />

Der Bund der Dunkelheit................................................35<br />

Die Jünger des Jenseits....................................................35<br />

Langur-Blau.......................................................37<br />

Langurische Handelswaren...................................38<br />

Handelssteuer und Zoll im Reiche Languria..........39<br />

Mar<strong>von</strong> der Blaue...............................................40<br />

Eine Schifffahrt, die ist lustig...............................41<br />

Erwachende See.................................................44<br />

Haftfeuer.............................................................46<br />

Allorer Geschichten.............................................49<br />

Vorwort...........................................................................49<br />

Auftrag an Fras...............................................................49<br />

Erste Anfrage...................................................................51<br />

Spinnenwald....................................................................52<br />

Auftrag – falsch ausgeführt...............................................53<br />

Die magische Untersuchung..............................................55<br />

Adlersteig............................................................58<br />

Anfang 424....................................................................58<br />

Mitte 424......................................................................62<br />

Winter 424....................................................................65<br />

Frühjahr 425...................................................................67<br />

Herbst 425.....................................................................67<br />

Frühsommer <strong>429</strong>.............................................................73<br />

Drachenjagd........................................................78<br />

Drachenjagd (Part 2).........................................82<br />

Zug 77-1 (Asylia-Archipel und Eisiges Band)....86<br />

Die letzte Seite...................................................88<br />

Impressum..........................................................88<br />

EDITORIAL<br />

Dieser <strong>Bote</strong> beschäftigt sich fast ausschließlich mit dem Asylia-Archipel. Der Grund dafür ist<br />

einfach: Auf Chelodarn gab es nun über kein Jahr keine Auswertungen, nachdem zum letzten<br />

ZAT nur ein Zug (und nicht ganz zwei Absichtserklärungen) eingingen.<br />

Das hat die Motivation des dortigen Spielleiters (meinereiner) doch ziemlich auf Null gebracht,<br />

nachdem zuvor schon Auswertaufwand, Spielerbeteiligung und Anforderungen der Realwelt in<br />

keinem guten Verhältnis mehr standen.<br />

Als Chelodarn-SL fühle ich mich zwar weiter verantwortlich – bin aber gerne bereit, diese Verantwortung<br />

in bessere Hände abzugeben. Ansonsten werde ich weiter nach Möglichkeiten suchen,<br />

Aufwand, Engagement und Zeitbudget in ein besseres Verhältnis zu bringen.<br />

Auch auf Asylia hat sich der Auswertrhythmus zuletzt etwas verlangsamt, doch es geht weiter,<br />

und wie Ihr diesem <strong>Bote</strong>n entnehmen könnt, durchaus nicht unaufregend.<br />

Für das Spielleiter-Kollektiv: Orco al Moccero (c/o Michael Ecker)<br />

2


DAS JAHR DES GEDÄCHTNISSES<br />

Geschehnisse im Eisigen Band und Asylia-Archipel<br />

im Winter 427 bis Sommer 428 n. P.<br />

Manatao: Zu ButaSamui treffen sich mehrere Weise zu gemeinsamen Studien und magischen<br />

Forschungen. Unter der Federführung der elcet'schen Druiden entstehen hierbei mehrere<br />

„Große Trommeln“. Im Cirhel Forhit, dem großen Heiligtum des Bajohr, dagegen hadert<br />

Hohepriester Cruzifiko mit dem Schicksal, verlangen doch die jüngsten Entdeckungen in Eira<br />

ihm und den Seinen ein großes Opfer ab. „ Ja, wir tun das Richtige, aber trotzdem ....“<br />

Eira: Hier entdeckt der allseits bekannte Vater Pantherados ein seit langer Zeit in Unter-Eira<br />

verborgenes Geheimnis. Diese Entdeckung führt denn schlussendlich zu einem erstaunlichen<br />

und höchst großzügigen Geschenk Manataos an die Einwohnerschaft der Quellengesegnteten,<br />

was diese wohl noch enger an Manatao binden wird.<br />

Weiterhin treffen verschiedene fremde Händler in der Stadt ein, um deren Märkte zu erkunden.<br />

Die Gesandten der Gevattern der Arru Myelk nutzen hierbei die Gunst der Stunde, um<br />

sich – mit den eben gekauften Mammuts – ein zumindest vorläufiges Handelsmonopol für den<br />

Warenverkehr zwischen Eira und Fischina zu sichern.<br />

Schetola: Auch die – mehr oder weniger lebenden – Herren <strong>von</strong> Sharantaf verlangt es nach<br />

fremden Waren und Spezereien und – vor allem – nach einem größeren Anteil an den Handelsgeschäften.<br />

Worauf man zunächst beschließt, einen Handelsposten an der Grenze zu den<br />

Gebieten Eiras zu errichten. An diesen anschließend wird, um dem Schmuggelwesen ein Ende<br />

zu setzen, an einer festen Grenze in Form einer langen, langen Eismauer gebaut.<br />

Abu Dra Cast selbst überwacht derweil die Eingliederung der Alkenhus in das Reich. Auf einer<br />

bislang wenig beachteten Insel entdeckt unterdessen sein Ziehsohn Leparlon unerwarteten<br />

Reichtum.<br />

Varr: Hier kommt es – für varrsche Verhältnisse – zu großen innenpolitischen Umwälzungen.<br />

Erstmals beteiligen sich die Varrer, also die Nachkommen der hier Zugewanderten, aktiv an<br />

der Regierung. Einem Privileg und einer Pflicht, die doch bislang einzig den Varrask, also den<br />

Ureinwohnern der Insel vorbehalten war. Erstaunlicherweise führt dies zu keinen Protesten unter<br />

dem Alten Volk, eher schient Erleichterung zu überwiegen, jetzt die schweren Bürden des<br />

Regierens teilen zu können. Das Auge Anurs schickt derweil einige hochrangige Vertreter des<br />

Anurkultes gen Danamère.<br />

3


Malkuth: Ein großer, großer Adler verlässt die Hauptstadt Majllten mit unbekanntem Ziel gen<br />

Peristera. Unterdessen wird die Bevölkerung Golthagors, eines kleinen, zwischen Alkenhus und<br />

Mjallten gelegenen Eilands, Zeuge eines erschreckenden Vorfalls. Eine danamerische Handelsflotte<br />

wird unweit der Küste <strong>von</strong> mehreren Schlingern attackiert, und muss dabei erhebliche<br />

Verluste in Kauf nehmen, ehe sie die Monstren durch Mut und Muskelkraft vernichten.<br />

Zu Eskarlion, dem Obdach der Eskari, erbauen die Gevattern der Arru Myelk einen weiteren<br />

Handelsposten im Reiche Malkuth.<br />

Überhaupt durchkreuzen erstaunlich viele fremde Schiffe die sonst so gut gesicherten Gewässer<br />

Malkuths. Und auch die bislang menschenleeren Ophischen Seen wimmeln nur so <strong>von</strong><br />

fremden Schiffen. Zu guter Letzt erreichen noch beunruhigende Nachrichten aus Störsjon die<br />

Hauptstadt – nie gesehene Fremde steigen in großer Zahl das Gebirge herab.<br />

Tarn- A- tuuk, Kiombael: Langsamer und immer langsamer wurden die Bewegungen <strong>von</strong><br />

Mensch und Tier und …. <strong>von</strong> allem eigentlich. Und nichts, aber auch gar nichts schien gegen<br />

die sogenannte Zeitpest zu helfen. Eine letzte, schier verzweifelte Hoffung war noch geblieben<br />

– Flucht! Flucht auf ein anderes Segment, in fremde Lande, um hier vielleicht, vielleicht Hilfe<br />

und Rat zu erhalten, was wider die Zeitpest unternommen werden könnte. Ein letztes, ein<br />

mächtiges Ritual sollte den Weg bahnen.<br />

Und tatsächlich, den letzten Wachen Tarn-A-tuuks unter der Führung Dir-agoks, der designierten<br />

Herrscherin, gelang der weite Schritt. Aber wo, wo war man hier nur gelandet ?<br />

Danamère: möchte an die alten Tage anknüpfen und entsendet eine Handelsexpedition gen<br />

Mjallten, die aber feststellen muss, dass Seereisen in malkuther Gewässer derzeit nicht gänzlich<br />

ungefährlich sind. Auf der jüngst wiedergewonnenen Insel Ragon empfängt man hohen Besuch<br />

aus Varr. Die Priester des Anurkultes leisten der Bitte der danamerischen Oberen bereitwillig<br />

Folge und vertreiben unter allerlei Gesängen und dem Abbrennen fremdartig duftender<br />

Kräuter die „bösen Geister“ aus dem Unheiligtum des Xyrt. Besagtes Gemäuer weihen sie<br />

hernach Anur. Zwar verneigt man sich in Danamère keinen Göttern, doch die eigenen Ahnen<br />

ehrt man gleich anderswo.<br />

Hobano: Die danamerische Blockadeflotte um Hobano erlebt dieweil eine Überraschung. Geschlagen,<br />

geschwächt, ja gedemütigt stehen die Götzendiener des Xyrt kurz vor der Kapitulation,<br />

als Hunderte und Aberhunderte Wergols den Himmel verdunkeln. Hilfe für Hobano?<br />

Im Gegenteil, der Heere Curlagh ist gekommen, den lange ausgebliebenen Tribut zu erheben.<br />

Und, da dieser nicht geleistet werden kann, nimmt er stattdessen einfach ganz Hobano. Das<br />

erste Zeichen der Macht Salkerusuras ist dann auch weithin zu beobachten – noch am Abend<br />

der Machtübernahme brennt der Tempel des Xyrt in den reinigenden Flammen des O-Seth!<br />

4


Salkerusura: „rettet“ Hobano vor den übermächtigen Kräften Danamères. Ansonsten widmet<br />

Wergol sich Plänen für weitere „Befriedungen“.<br />

Niun: Das Seevolk widmet sich, nachdem es einigen fremde Flotten ihre Macht gezeigt hat.,<br />

ungestört der Erforschung und Besiedelung eher ungewöhnlicher Orte.<br />

So scheint das Schwimmende Land gänzlich unter der Kontrolle der Niun zu stehen. An drei<br />

bislang unbekannten Felseninseln dagegen entdeckt Niun noch Spuren fremder Präsenz.<br />

Languria: Karma, die Schwarmkönigin weitet ihren Einfluss auf Languria, ja auf ganz Allor<br />

beträchtlich aus. Ja sogar ihr ständiger Begleiter, ein gewisser Thorval Knockback, erweist sich<br />

mitunter als erstaunlich nützlich. Auf den Reisen der beiden jedenfalls kommt es zu erstaunlichen<br />

Begegnungen – so treffen die Beiden unter anderem auf den berühmten langurischen<br />

Drachen- oder Drachin, wie man besser sagen sollte. Andernorts in Languria entdeckt der<br />

Schwarm ein gar sonderbares „Glitzerdings“.<br />

Almeron: Azobis Ghurak ist des Wartens und der Ausflüchte seiner Untergebenen mehr als<br />

leid, und er befiehlt, endlich Schluß mit den „Spielchen“ zu machen. Um sich nicht den Unmut<br />

des Herren <strong>von</strong> Almeron zuzuziehen, gehorchen die Prismatoren – und nehmen die etrorische<br />

Feste Jetheba im Sturm. Zugleich „bewegen“ Prismatoren umherstreifende Reiterheere<br />

Etroriens, sich Almerons Streitkräften anzuschließen. Schließlich sind – wieder einmal – weite<br />

Teile des etrorischen Reiches unter Kontrolle der Prismatoren.<br />

An der langurischen Grenze dagegen läuft es nicht ganz nach dem Willen der Ghurak-Sippe.<br />

Dort befreit ein Teil des Schwarmes „versehentlich“ mehrere Tausende Sklaven vom unbarmherzigen<br />

Joche Almerons.<br />

Etrorien: Scheinbar führungslos taumelt das einst so stolze Reich <strong>von</strong> einem Schlag zum<br />

nächsten. Hilflos müssen die Etroren mit ansehen, wie ihre Lande zum Spielball fremder<br />

Mächte werden. Binnen wenigen Monden fallen die Kernland Etroriens an den Erzfeind, an<br />

Almeron. Die Marken im zentralen Tal entgehen diesem Schicksal nur, weil starke langurische<br />

Kräfte, durch Schwarmwesen verstärkt, zum Schutze herbeieilen. Einzig die Festung Dolgoria<br />

und die Hinterlands Teldavians stehen noch ungebrochen zu Kartiena.<br />

Wird sich die Historie hier wieder einmal wiederholen?<br />

Arru Myelk: Die Gesandten der Gevattern beherrschen mittlerweile vielerorts den Nah- und<br />

Fernhandel. Scheint fast so, dass man den scheinbar hilflosen Fremden mehr vertraut als seit<br />

langem benachbarten Völkern. Jedenfalls sind auf vielen Märkten der Eislande und des Archipels<br />

die angebotenen Waren so zahlreich und vielfältig wie schon lange nicht mehr.<br />

5


Elcet: die Händler und Gesandten des chelodarnschen Großreiches wagen erstmals den Schritt<br />

ins Asylia-Archipel. In den eisigen Weiten Manataos ist man in den utereisischen Hallen Buta-<br />

Samuis zu Gast, wo eifrig magische Forschungen stattfinden – zu aller gemeinsamem Vorteil.<br />

Auf Chelodarn selbst dagegen wartet alles auf die Fortsetzung des Krieges zwischen Kriegoria,<br />

den gareldischen Nachfolgestaaten und wohl auch weiteren Parteien, doch den Heeren scheinen<br />

entschlossene Befehlshaber zu fehlen. Auch diplomatisch geht kaum etwas voran. Sollte<br />

die kiombaelsche Zeitpest doch schon auf Karnicon übergegriffen haben? Oder liegt es nur<br />

daran, dass die Herrscher (und auch die Segmentshüter) mit anderem beschäftigt sind?<br />

g<br />

6


Das Ritual der „Tödlichen Kälte“<br />

Nehme er also Shun-Schnee in die Pranken und forme er einen kleinen<br />

pappiger Schnee, gut zum Bauen <strong>von</strong> Schneegurs<br />

Turm in Form des Zylinders in der Höhe betragend eines Maßes, dass<br />

es ihm bis zur Brust reiche. Dieses ist gut und nützlich zu tun, um dem<br />

= zittriger Knacker mit Kreuzschmerzen<br />

erfahrenen Weisen die vortreffliche Durchführung des Rituals zu ermöglichen.<br />

Darob plaziere er alsbald ein Prisma, dergestalt, dass die<br />

er muss sich später nicht bücken, wenn er das Prisma nicht auf den Boden legt<br />

Seiten in harmonischem Verhältnisse stehen, auf dass dieses, vermöge<br />

seiner Beschaffenheit, die Energie in richtiger Weise bündeln und verteilen<br />

kann.<br />

man kann das Prisma auch einfach in einer Hand halten…<br />

Der erfahrene Weise vollführe nun Tanzbewegungen mit stapfenden<br />

Schritten, die im Kreis um das Prisma herumführen, wobei die Arme<br />

ebenfalls ausladende Bewegungen durchführen mögen, um die Energie<br />

des Zaubernden zu aktivieren.<br />

solange die Hände noch warm sind<br />

Nun spute sich der erfahrene Weise, den bereitgelegten Schlurk-Splitter,<br />

gebrochen am Ssakat an der großen Pyramide zu Scho-Scholan,<br />

mit beiden Pranken zu ergreifen.<br />

Alsbald fühle er die Kälte, die dem geweihten Eise innewohnt, in seine<br />

als ob das anders ginge ...<br />

Arme steigen, strecke diese aus in Richtung des Prismas, so dass die<br />

Spitze auf es zeige, und er möge seinen Geist in sie versenken, sie annehmen<br />

als den Verbündeten, der sie ist, so dass sich die Gedanken klären,<br />

der glasklare, kalte Verstand die Wärme der Gefühle verdrängt<br />

und sich konzentriert auf die Aufgabe, der Transformation des Elements<br />

Eis in das Licht der Kälte!<br />

kann man weglassen, wenn man nicht friert<br />

geht auch mit einer Hand, wenn der Eiszapfen nicht<br />

zu schwer ist<br />

ähnlich wie Strahlung <strong>von</strong> einem Ofen,<br />

nur umgekehrt<br />

Verstärke er seinen Willen zur Transformation, indem er nicht atme,<br />

alter Zauberertrick, irgendwann will man wirklich fertig<br />

werden!<br />

bis er es vollbringe. Sodann wird sich der Splitter auflösen und<br />

7


verwandeln in das unsichtbare Licht der Kälte, dass nun auf das Prisma<br />

treffe, um es auf die Feinde zu verteilen. Töricht der Zauberer der hier<br />

keine Sorgfalt walten läßt und dessen Pranke schwankt!<br />

große Splitter werden mit der Zeit am ausgestreckten Arm recht schwer, lieber kleinere nehmen<br />

Der konzentrierte tödliche Kältestrahl kann fast wirkungslos verfliegen<br />

oder aber, Kraft des Prismas sich über ein großes Gebiet legen und<br />

dem Feinde schweren Schaden zufügen.<br />

Vorsicht übermütiger Zauberkundiger: Gemäß den Gesetzen der Himmel<br />

und der Segmente hat starke Magie auch starke Auswirkungen<br />

auf den Zaubernden! So vollende er nun das Ritual, indem er seine<br />

Pranken mit einer fließenden, gleichmäßigen Bewegung führe zur Achsel<br />

und stampfe er mehrfach kräftig auf, um Körper und Geist wieder in<br />

ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen.<br />

also: Eissplitter nahe ans Prisma halten und<br />

nicht zittern<br />

alternativ kann<br />

man eine<br />

Wärmflasche<br />

benutzen<br />

„Es könnte doch zumindest nicht schaden!“<br />

Unter Eira I<br />

Alfar hatte recht. Wie meistens eigentlich, wenn er etwas sagte. Schaden könnte es tatsächlich<br />

nicht, wenn sie noch zwei Fässer Donnerpils mitnähmen. Vielleicht wäre diesmal ein<br />

Lob angebracht? Ein mürrisches Nicken musste reichen: „Also gut.“<br />

Eigentlich war allen Nichtzwergen der Eingang nach Unter-Eira verwehrt, die Eingänge<br />

schwierig zu finden und bewacht. Aber <strong>von</strong> so etwas ließ sich Pantherados nicht abschrecken.<br />

Die beiden Zwerginnen staunten nicht schlecht, als ein kleiner und ein großer Mensch<br />

einen Handwagen mit zwei Fässchen durch die Waschstube zogen, wie selbstverständlich<br />

die Tür zum Keller öffneten und der Größere den Wagen vorsichtig die Treppe herunterbugsierte.<br />

Es gab bestimmt auch Eingänge, die besser geeignet wären, Waren zu transportieren,<br />

aber dieser war der einzige, den Pantherados hatte nach längerem Herumfragen ermitteln<br />

können.<br />

8


Der Wächter wartete geduldig, bis Alfar samt Wagen die steile Treppe heruntergepoltert<br />

kam, um dann mit Genugtuung sagen zu können: „Geht wieder zurück. Ihr könnt nicht<br />

weiter!“.<br />

„Doch, und jetzt mach auf.“, erwiderte Pantherados lässig.<br />

Der Wächter holte einen Schlüssel heraus, besann sich dann aber eines besseren: „Halt!<br />

Ähhh, nein … das geht nicht!“. Dieser Blick, diese grünen Augen, man wurde ganz schalquig<br />

1 , wenn einen der kleine Mann in der Kutte ansah.<br />

Der Wächter schüttelte langsam den Kopf. „Neeeinn“, sagte er gedehnt, „Große dürfen<br />

hier nicht rein!“ Er rieb sich die Augen.<br />

„Also darf ich ja rein.“, sagte Pantherados in nachsichtigem Ton.<br />

Wieso war es eigentlich so schwer, sich zu konzentrieren? „Ähhh, und was ist dem da?“ Er<br />

zeigte auf Alfar.<br />

„Der gehört zu mir.“<br />

„Ja … und?“<br />

„Da ich reingehen darf und er zu mir gehört, gehe praktisch nur ich, und das ist dann ja in<br />

Ordnung.“, erklärte der Priester.<br />

Alfar hatte keine Ahnung, wie sein Herr es anstellte, allein durch sein Auftreten in solchen<br />

Situationen die Oberhand zu gewinnen. Man konnte aber sehen, dass Scheinlogik allein<br />

diesmal nicht ausreichen würde und so ergriff er die Initiative: „Du musst auf dieses Fass<br />

Donnerpils aufpassen bis wir zurück sind. Wenn wir bis zum Morgengrauen nicht lebend<br />

zurück sind, dann … du weißt schon.“<br />

Der Wächter nickte, lächelte verwirrt, schüttelte den Kopf und nickte wieder.<br />

„Hör zu, das ist Vater Pantherados“, fuhr Alfar fort, „der den Golem besiegt hat. Du<br />

weißt, dass er seine Bestimmung erreichen muss. Das ist wichtig!“<br />

Ach so, das war also einer dieser Magier aus Manatao, die Eira gerettet hatten. Hätte er ja<br />

auch gleich sagen können. In Unter-Eira duldete man zwar nur Zwerge, aber etwa ein oder<br />

zwei Mal pro Monat durften auch paar Menschen durch diese Tür, wenn beispielsweise,<br />

nun ja, etwas Wichtiges los war. Bei so einem wichtigen Herrn war das sicher in Ordnung.<br />

Und wenn sie dann auch noch ein Fass Donnerpils als Bestechung zurückließen…<br />

„Hmmm, gut gemacht, Alfar.“, sagte der Priester, nachdem sie eine Weile den dunklen<br />

Gang entlang gegangen waren, und der Angesprochene errötete überrascht. War das jetzt<br />

tatsächlich ein Lob seines Herrn? Unglaublich.<br />

„Ich hätte beinahe angefangen, ihn anzuschreien“, sagte Pantherados, „und das wäre nicht<br />

schön gewesen.“<br />

1 Bezeichnet eigentlich den Geschmack abgestandenen Bieres, das auf den Fußboden gelaufen ist, wird aber im übertragenen<br />

Sinne auch für verwirrt benutzt.<br />

9


Alfar konnte trotz des trüben Lichts der Leuchtpilze sehen, wie sein Herr eine finstere<br />

Miene aufsetzte, ohne jedoch den letzten Rest eines Lächelns aus seinem Gesicht tilgen zu<br />

können.<br />

Eine Veränderung war in dem alten Mann vorgegangen, seit sie in diesen Teil der Welt gekommen<br />

waren. Amüsierte er sich etwa? Er? Unglaublich.<br />

Die Zwerge, die ihnen begegneten, nahmen nicht weiter Notiz <strong>von</strong> ihnen. So ungewöhnlich<br />

konnte der Anblick <strong>von</strong> Menschen hier unten also nicht sein. Außerdem signalisierte<br />

der rumpelnde Handwagen, dass sie wohl kaum heimlich eingedrungen waren.<br />

Sie kamen an eine Kreuzung, an der Pantherados die Karte konsultierte und deren Symbole<br />

mit denen im Gang verglich. Jetzt geradeaus, dann links, ein Stockwerk tiefer … rechts<br />

… über den Platz … und weiter dorthin, dorthin wollten sie.<br />

Doch als sie auf den Platz treten wollten, stockten sie. Es herrschte unglaubliches Gedränge<br />

- aber es war kein Laut zu hören, außer dem Poltern des Wagens, das nun abrupt verstummte.<br />

Viele Zwergengesichter schauten die Eindringlinge grimmig und schweigend an.<br />

Was war hier los?<br />

Unter Eira II - Die Zusammenkunft<br />

„Cheth hat immer für unch gesorgt. Ihm mucht du die Treue halten, egal, wach dieche<br />

Mordbanden aux tun, die chich in letzter Zeit hier breitgemaxt haben!“ nuschelte der Greis<br />

ernst.<br />

Die großen Augen des Kindes blickten ungläubig in die seinen, die das Alter milchig trüb<br />

gemacht hatten. Tiefe Falten furchten das hagere Gesicht, dessen dünner, zahnloser Mund<br />

einen grimmiger Ausdruck zeigte. Ein langer weißer Bart, der fransig und dünn geworden<br />

war, umspielte die blassen Lippen.<br />

„Aber, aber, wir verehren doch Chnum! Papa hat gesagt …“<br />

„Chprix den Namen Xnum nixt auch, wenn dir dein Leben lieb icht!“ zischte der Alte.<br />

„Aber Papa hat gesagt …“<br />

„Dein Papa hat keine Ahnung wo<strong>von</strong> er chprixt! Er choll cheinen vorlauten Mund halten.<br />

Wenn dach jemand hört, kommen die Hächer diecher Neuankömmlinge, hacken ihm in<br />

Chtücke und röchten ihn auf kleiner Flamme! Du weicht nox nixt, wozu dieche da fähig<br />

chind!“<br />

Das Kind schaute sehr besorgt, schwieg aber, woraufhin der Alte fortfuhr: „Seit Pondaron<br />

habe ix nixt mehr soviel Grauchamkeit …“<br />

„Jorge, was erzählst du dem Kind wieder? Es gibt gleich Essen!“ unterbrach ihn seine Ur-<br />

UrGroßSchwiegerUrNichte. Jorge war alt. Sehr alt, auch für einen Zwerg.<br />

„Du hast noch bei Pondaron gekämpft?“, fragte der Junge erstaunt.<br />

10


„Ix war bei Pondaron dabei!“<br />

„Wie war das denn? Hast du … hast du auf der dunklen Seite gekämpft?“<br />

Jorge schwieg. Erinnerungen schossen durch seinen Geist.<br />

Schlagen <strong>von</strong> Flügeln, unheimliches Summen, er rennt, fällt hin, ein gifttriefender Stachel,<br />

eine Axt schwirrt silbrig schimmernd durch die Luft und durchtrennt den Stachel, die Biene<br />

lässt <strong>von</strong> ihm ab, er rappelt sich auf, er rennt, soweit ihn seine Füße tragen.<br />

Ja er war dabei gewesen. Gekämpft, nunja, er hatte überlebt. Er hatte ein langes Leben gelebt<br />

und eine große Familie, in der viele seiner Nachkommen am Leben waren. Was wohl<br />

das Schicksal für den Axtwerfer bereitgehalten hat? Diese Frage hatte er sich schon oft gestellt.<br />

„Olin, ruf die anderen zum Essen und Jorge, komm jetzt, die Pilzsuppe wird kalt!“, rief<br />

die Frau energischer. Und etwas lauter direkt an den Greis gewandt: „Jorge, möchtest du<br />

nachher mit zum Seetempel? Es soll eine Feier mit einem Chnum-Priester aus Manatao geben.“<br />

„Cheid ihr denn alle verrückt geworden? Chei chtill oder du bicht des Todech! Ix habe nixt<br />

cholange gelebt, um eux alle auf dem Cheiterhaufen enden zu chehen, närrichech<br />

Weibchtück!“<br />

„Jorge, der Seth-Orden ist zerschlagen. Was nicht tot ist <strong>von</strong> denen, ist über alle Eisschollen.<br />

Hat dir das keiner gesagt? Das ist Monate her!“<br />

„Wach icht? Rede nixtch lächterlixech.“<br />

Die junge Zwergin sah den Alten schief an. „Jorge“, sagte sie, denn alle nannten ihn Jorge<br />

und redeten ihn nicht mit der korrekten verwandtschaftlichen Bezeichnung an, was letztlich<br />

praktische Gründe hatte, „Wir können offen zu Chnum stehen, die Seth-Priester und<br />

-Mörder sind weg - erschlagen! Wir sind wieder frei!“<br />

„Nein, nein, ich chtehe treu zu König Yaron. Ix bin ein alter Mann, ix habe viel gegraben<br />

und brav meine Chteuern gezahlt. Das kanncht du deinem Vorgechetzten berixten!“.<br />

Ängstliche Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben.<br />

„Jorge, was erzählst Du da? Ich bin kein Spitzel. die Zeiten sind vorbei. Es kommt sogar<br />

ein …“<br />

„Chweig! Wach icht dach?“<br />

Jorge war kein Kämpfer, kein Held, kein Priester. Er war nicht mit Mut gesegnet. Er war<br />

nur einmal gesegnet worden, <strong>von</strong> einem Chnum-Hohepriester vor langer Zeit vor einer<br />

Schlacht. Niemand hatte gedacht, dass sich bei Jorge der Segen lange halten und so anders<br />

als beabsichtigt ausprägen würde. Jetzt in diesem Augenblick fühlte er etwas, was ihn an<br />

diesem Segen erinnerte. Er fühlte sich plötzlich frisch wie lange nicht mehr.<br />

„Olin, führ mix zum Brunnen, loch, max chon!“ Wenn alles so war, wie er es fühlte, könnte<br />

er endlich seinen Sprachfehler aufgeben, den er sich vor kurzem zugelegt hatte, damals<br />

als die Seth-Brut in Eira das Kommando übernahm. Dann müsste er den Erdgott nicht<br />

11


mehr Cheth nennen und hoffen, dass ihm das Xnum ähh Chnum nicht krumm nehmen<br />

würde.<br />

Als er mit Olin eintraf, verschaffte er sich mit seiner Krücke schnell Raum und niemand<br />

zückte eine Axt, um einem blinden, gebrechlichen Alten und einem Kind Respekt einzubläuen.<br />

Die Würde des Alters zählte hier noch etwas.<br />

„Wach chiecht du?“, fragte Jorge den Jungen, „Chag ech chnell“.<br />

Es war eine große Menge an Zwergen zusammengekommen, man konnte außerdem eine<br />

bedeutende Gruppe gerüstete Eisbären erkennen, nebst einer Hand voll Menschen in fremden<br />

Gewändern.<br />

Cruzifiko schritt würdevoll und mit unzufriedenem Gesichtsausdruck vor dem Gestell einher.<br />

Warum tat er das? Weil es das einzig richtige war. Die Teile zusammenfügen zur Ehre des<br />

Göttervaters. Er schluckte schwer. Und dafür seinen eigenen Tempel plündern?<br />

Er würde in die Annalen Forhits eingehen als der größte Eiskopf aller Zeiten. Er hatte sich<br />

alles so schön ausgemalt. Sein Tempel hätte das bedeutendste Artefakt Chnums in weitem<br />

Umkreis, er hatte Pläne für eine schöne neue Kuppel, die Leute kämen <strong>von</strong> weit her, um<br />

das Segenshorn zu bewundern.<br />

Dann fand Pantherados heraus, dass es einen größeren Ring des Segenshorns in Eira gab,<br />

und der war schon seit Gründung der Stadt da. Den Ring aus Eira zu entfernen hätte der<br />

Stadt größte Probleme beschert, es war einfach unmöglich, wenn nicht Tausende sterben<br />

sollten, der Ring war die Lebensquelle der Stadt. Der Holzring hatte sich so schön in der<br />

Mauer seines Tempels gemacht. Und er Trottel war überall herumgelaufen und hatte erzählt,<br />

dass er das Segenshorn wieder zusammensetzen will.<br />

Nun hatte sich herausgestellt, dass Eira der einzige Ort war, wo man das machen konnte.<br />

Alle würden gewinnen: Chnums Ruhm würde steigen, Eiras Bewohner würden profitieren,<br />

Manatao konnte sich begründete Hoffnungen auf einen Anschluss Eiras und Ranoths<br />

ans Reich machen, die Zwerge könnten ihren Glauben festigen, nur er, er würde als der<br />

Tempelvorsteher in die Geschichte eingehen, der ein wertvolles Artefakt einfach so weg<br />

gab und den Tempel in die Bedeutungslosigkeit versinken liess.<br />

Gut, er hatte sich in den Verhandlungen mit seinen Forderungen weitgehend durchgesetzt:<br />

Schließlich war der Ring aus Forhit nur eine Leihgabe, wenn auch dauerhaft, und eine Garde<br />

Paladine war zu seinem Schutz hier unten abgestellt.<br />

Als er aber die Menge an Volk hier unten sah, kam ihm doch der Gedanke, dass 88 Kämpfer,<br />

die für die Umgebung einfach zu groß geraten waren, nicht wirklich etwas ausrichten<br />

konnten.<br />

Es war zu spät. Der Holzring würde fest an den Hornring gesetzt werden. Chnums Schöpfung<br />

würde ihre Wirkung tun und niemand würde je auf die Idee kommen, das rückgängig<br />

zu machen.<br />

12


Was wohl aus den Bauern rund um Forhit werden würde? Pantherados hatte erwirkt, dass<br />

sie mit besseren Ausgleichsflächen in und um Eira entschädigt würden. Überhaupt, so fiel<br />

ihm auf, hatte der kleine Mann, der schließlich Mitglied seiner Verhandlungsdelegation gewesen<br />

war, mehr für den Standort Eira argumentiert als er sollte. Und ihm Hohlkopf war<br />

es erst später aufgefallen, als alles unter Dach und Fach war. Der kochte wohl sein eigenes<br />

Süppchen und sah jetzt sehr zufrieden drein. Womöglich wollte er nur Ranoth fester an die<br />

Lichtgottheiten und an Manatao binden und – konnte man ihm das verübeln? Verdammt,<br />

nur seine eigene Eitelkeit sagte ihm, dass das hier ein Fehler war. Schluss mit diesen Gedanken.<br />

Alles für Chnum!<br />

In einer feierlichen Prozession wurde der kleinere Ring auf den größeren gelegt, und es ertönte<br />

ein überaus harmonischer Klang, einem weich geschlagenen garunischen Klangholz<br />

gleich, und doch schien dem Ton etwas zu fehlen. Alle schauten sehr ergriffen, nur Totoro<br />

wirkte leicht verdutzt. Cruzifiko ärgerte sich, weil Ersterer seinen Teil nicht hatte abgeben<br />

müssen, angeblich weil er sich auf die Suche nach dem Rest des Horns machen wollte.<br />

Er sollte das eigentlich machen. Er war Hohepriester des Chnum in Manatao, er sollte die<br />

Teile wiederbeschaffen. Aber er hatte es manchmal böse mit dem Kreuz, und zu Hause<br />

wartete eine Menge Schreibkram auf ihn. Er seufzte. Totoro war sicher der bessere Mann<br />

dafür. Er seufzte nochmals.<br />

Dann fiel ihm auf, dass alle gespannt warteten, was als nächstes passieren würde, wie sich<br />

Chnums Macht manifestieren würde, welche Wunder zu bestaunen galten.<br />

Es passierte aber nichts weiter. Keine himmlischen Chöre, kein überirdisches Licht, es hatte<br />

nur schön ‚Bonggg’ gemacht, und das wars. Naja, Zeit zu zeigen, dass man seinen Hohepriester<br />

nicht in der Lotterie gewonnen hatte.<br />

„Liebe Gemeinde, Chnums Segen liegt nun doppelt auf Eira! Frohlocket und lobet …“, begann<br />

er und schloss nach einer Weile mit: „… werdet reiche Ernte einfahren. Ruhm und<br />

Ehre dem Göttervater Chnum!“<br />

Begeisterter bis höflicher Beifall brandete auf, seine Rede war wirklich nicht schlecht gewesen,<br />

und so merkten die meisten nicht, wie ein dumpfes Pochen in ein immer lauter werdendes<br />

Grollen überging, das <strong>von</strong> überall her zu kommen schien.<br />

Viele blickten beunruhigt umher, doch auf einem Gesicht in der Menge zeichnete sich ein<br />

zahnloses Lächeln ab, das immer breiter wurde.<br />

13


Die Großen Trommeln<br />

Nun aber erstarre beim Anblick der Großen Trommeln.<br />

Aus dem Eis stammen sie und zu Eis magst Du werden, wenn kundige Hand sie schlägt.<br />

Sieh biegsames Holz und die Wolle der Jäzheb.<br />

Blase das Leder und alle Welt wird umschmeichelt, wenn Du ein Kundiger bist.<br />

Weich treibe das Leder, doch laut und ohn Regelmaß und alle Welt wird verwehen, wenn Du ein<br />

Kundiger bist.<br />

Sieh fremdes Leder und eherne Räder.<br />

Drehe ein Rad und nutze die Schlegel und alle Welt wird erstarren, wenn Du ein Kundiger bist.<br />

Drehe ein anderes und nutze die Schlegel und alle Welt wird verglühen, wenn Du ein Kundiger<br />

bist.<br />

Sieh steinhartes Holz und die Ölhaut des Tarndrup.<br />

Zäh streichle das Leder und alle Welt ahnt die Feuchte, wenn Du ein Kundiger bist.<br />

Rasend treibe des Leder und alle Welt wird ertrinken, wenn Du ein Kundiger bist.<br />

Sieh hölzern und hürnen den Rahmen.<br />

Schlage den Rahmen und Eis wird Dich erschlagen, wenn kundige Hand sie schlägt, denn aus<br />

dem Eis stammen sie.<br />

Nun aber erglühe beim Anblick der Großen Trommeln.<br />

Nun aber vergehe beim Anblick der Großen Trommeln.<br />

C<br />

14


VON RITTERN UND SCHLÄGERN<br />

Adrodd/Languria „Verehrter Kleiner Rat. Die folgende Entscheidung ist sehr bedeutend<br />

für uns alle. Denn egal, wie wir uns entscheiden, es ist eine Entscheidung, die das ganze<br />

Reich über Jahre hinweg beeinflussen wird. Im Guten oder im Bösen ...“ hörte man eine<br />

herrische Stimme verlauten. Eine Frau stand in der Mitte, neben ihr ein Herr mit einem<br />

sonderbaren Gewand, blauen Haaren und einem sehr eigenartigen Hut.<br />

Um sie sitzend viele gutgenährte Herren in fortgeschrittenem Alter.<br />

Doch um was ging es und wo war man hier überhaupt?<br />

Die feurige Rednerin ist Karma, die Königin des Schwarmes, welcher seit gar nicht allzu<br />

langer Zeit festen Boden in Languria hat.Um sie herum sitzen jene, die über das Reich walten<br />

und entscheiden. Ihre Rede vor dem Kleinen Rat hat zum Zwecke, zu entscheiden, wie<br />

man mit dem finsteren Nachbarn umzugehen habe. Denn es kann ein Duell geben zwischen<br />

einem ihrer Mannen und einem jener scheinbar unbesiegbaren Mannen.<br />

Sollte der Kämpfer Karmas gewinnen, werden die Wergols das Reich Languria in Ruhe lassen.<br />

Wobei man sich hier nicht sicher ist, wie lange dieser ehrbar erkämpfte Frieden anhalten<br />

könnte/wird.<br />

Sollte der Kämpfer Karmas aber verlieren, so würde Karma mit ihrem Schwarm fortan unter<br />

der Herrschaft der Wergols stehen.<br />

Die Diskussion ging teils umständlich, teils sehr feurig weiter. Schließlich wurde eine Pause<br />

eingelegt, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.<br />

Karma derweil ging mit ihrem Begleiter Torlin Knockback, selbsternannter Chronist der<br />

Schwarmkönigin, auf den Hof und schaute den dortigen Wachen beim Exerzieren zu.<br />

Sie ließ sich erklären, was die Herren dort tun und fragte den Hauptmann dann keck:<br />

„Wer <strong>von</strong> Euch ist der beste Kämpfer?“<br />

Er wies mit seinem Schwerte auf einen gut gebauten Mann, der schon die und andere Narbe<br />

offen zur Schau trug. Unteroffizier Geralf Schwertarm trat vor.<br />

„Zu Euren Diensten, Königin.“ Sie schaute ihn sich an und nahm ihn mit. Zusammen mit<br />

ihm und zwei weiteren Wachen ging sie in die Hauptstadt.<br />

Sie hatten schon einige Einkäufe getätigt, als sie Tumult aus einer der Seitenstraßen vernahmen.<br />

Neugierig ging sie darauf zu, obschon Geralf sie bat, nicht dorthin zum Pöbel der<br />

Gossen zu gehen. Schon flog ein Bierkrug an ihnen vorbei und zerbarst an der Wand. Nun<br />

war sie noch neugieriger, und man konnte sie kaum halten. Man hörte Schreie, Knuffe, ein<br />

Keuchen, wieder ein Schrei, etwas zerbersten, und dann kam sie endlich durch und sah<br />

einen Mann, grobschlächtig, in zerrissener Kleidung, der sich mit dreien prügelte und im-<br />

15


mer noch stand. Er packte den Ersten mit beiden Händen am Kopf, zog diesen runter und<br />

schlug ihm mit dem Knie ins herunter gezogene Gesicht. Ein lautes Knacken war zu vernehmen,<br />

und der Getroffene fiel blutend zu Boden. Die beiden anderen kamen <strong>von</strong> beiden<br />

Seiten, der erste zog aus seinem Wams ein langes Messer, der zwote schnappte sich ein<br />

Stück Holz und wog es in der Hand. Der Bedrängte bückte sich, als würde er sich zum Absprung<br />

bereit machen, schnellte hoch und warf den beiden Gegnern Unrat vom Boden ins<br />

Gesicht, wirbelte zum linken Gegner, tauchte unter dem Schlag durch, versetzte ihm einen<br />

Seitenhieb und prallte dann mit seinem Körpereinsatz gegen den zur Rechten. Beim Umwerfen<br />

packte er dessen Messer-Arm, machte eine schnelle Bewegung, ein Knacksen war zu<br />

vernehmen, der Entwaffnete schrie und jaulte, und die beiden Angreifer liefen da<strong>von</strong>.<br />

Geralf trat vor: „Im Namen Langurias, beruhigt Euch“, und wollte dem ehemals Bedrängten<br />

aufhelfen. Doch dieser packte seinen Arm und schmiss ihn um. Die beiden Soldaten,<br />

welche Geralf und Karma begleitet hatten, schritten nun ein. Doch jener Fremde war so<br />

schnell, dass er unter ihnen hindurch sprang, sie dabei noch an den Füßen packte und zum<br />

Sturz brachte. Eine akrobatische Rolle hinlegend, auf ihnen landend, ihre beiden Köpfe zusammen<br />

schlagend und sie waren still. Geralf stand auf, zog sein Schwert: „Freund, so<br />

nicht!“, und schritt voran. Der Fremde ließ seinen Blick schweifen, machte einen schnellen<br />

Schritt nach links, woraufhin Geralfs Schwert todbringend dieser Bewegung folgte und ihn<br />

verfehlte, weil der Fremde sogleich die Richtung nach rechts geändert hatte und einen<br />

Sprung zu dem am Boden liegenden Messer wagte, welches vom vorigen Kampf noch da<br />

lag.<br />

Er balancierte die Waffe in der linken, dann in der rechten Hand und ein Lächeln schob<br />

sich über seine Lippen. Oh ja, er war sich siegessicher.<br />

“Seid Euch gewahr, ich bin der beste Schwertkämpfer Langurias. Bevor ich Euch niederstrecke,<br />

gebe ich Euch zum letzten mal die Möglichkeit: Legt die Waffe nieder und gebt<br />

Frieden!“<br />

Doch der Fremde spuckte auf den Boden, verächtlich.<br />

In der Zwischenzeit ließ sich Karma <strong>von</strong> ihrem Begleiter Torlin Knockback erklären, was<br />

da vor sich ginge. „Warum hat Geralf ihn dann bisher nicht niedergestreckt? Immerhin ist<br />

er doch der beste Kämpfer des Reiches“, als der Fremde einen schnellen Schritt nach vorne<br />

machte und gerade auf Geralf zustach.<br />

Dieser konnte den Hieb parieren, übersah aber, dass der Fremde ihm gleichzeitig mit der<br />

anderen Faust ins Gesicht schlug. Sein Kopf flog regelrecht zurück und er wankte. Der<br />

Fremde war schnell bei ihm, ein Schlag mit dem Knauf des Messers mitten ins Gesicht und<br />

das Messer war genau vor Geralfs Auge.<br />

“So, wer wollte mir gerade etwas befehlen?“<br />

16


„Dieser Fremde hat gewonnen, weil er unehrbar kämpft“, erklärte Torlin gerade seiner Königin<br />

noch. Sie hob ihren Rock und lief auf die beiden Kontrahenten zu. Da diese ihr keine<br />

Aufmerksamkeit schenkten, räusperte sie sich. Es kam keine Reaktion, also räusperte sie<br />

sich etwas lauter und ließ dann ihre Stimme vernehmen: „Fremder, Sie stehen einer Königin<br />

im Wege“, alle hielten den Atem an, “und es wäre mir angenehm, wenn Sie diesen<br />

Mann verschonen würden. Denn er ist zu meinem Schutze da gewesen.“<br />

Der Fremde schaute sie an, und irgend etwas geschah auf einmal mit ihm. Sein bis dahin<br />

grimmiger Blick verflog, er hatte auf einmal sanfte Züge und sogar ein Leuchten in den Augen,<br />

wie man es – wenn man den Berichten der Umstehenden, die ihn schon lange kannten,<br />

glauben mag – noch nie bei ihm gesehen hatte. Er steckte sein Messer weg, half Geralf<br />

auf, klopfte den Staub aus seinen Kleidern „Oh Königin, entschuldigt. Ich mache Euch<br />

Platz und tu diesen Abfall beseitigen“, und trat Geralf auf die Seite. „Lasst mich fortan<br />

Euer Begleiter sein, denn ich bin stark genug, es sogar mit drei solchen Schwächlingen aufzunehmen,<br />

ohne auch nur eine Schramme da<strong>von</strong> zu tragen.“<br />

Und so ging Karma mit vier Begleitern aus und kehrte mit zwoen zurück.<br />

Keiner, der zurückkehrte, hatte eine schöne Rüstung oder gar ein Schwert, aber in sich<br />

trug ein jeder <strong>von</strong> ihnen etwas, Stolz, Achtung und Dinge, welche scheinbar in diesem Reiche<br />

verloren gegangen sind.<br />

Im Kleinen Saal dann hieß es:<br />

„Meine Herren, während Sie sich beruhigt haben, habe ich einen Entschluss gefasst.“ Sie<br />

schaute alle Anwesenden an und fuhr fort: „Ich werde das Duell annehmen und einen würdigen<br />

Vertreter für Languria entsenden.<br />

Ich habe mich darüber informiert, wer der beste Kämpfer des Reiches ist und ...“ – eine<br />

kurze Pause wurde eingelegt – „mir seine Künste vorführen lassen ...“ – man sah, wie sich<br />

eine Falte auf ihrer sonst so glatten Stirn bildete und ihre Augen, die sonst so lieblich warm<br />

leuchten, wurden auf einmal eisig – „und dabei gelernt, dass dieses Reich sich“ – ihre Stimme<br />

erhob sich nun, wie das Grollen <strong>von</strong> Donner – „niemals“ – und senkte sich dann wieder<br />

zu der süßen, warmen Stimme, welche sie auszeichnete – „allein wehren kann. Auch<br />

hat es nichts, was sich dem, was da ansteht, als würdig erweisen würde. Kein Mann der<br />

Stadtwache, kein Mann aus euren Einheiten wäre dem, was da verlangt würde, würdig und<br />

fähig.“<br />

Die Tür öffnete sich, herein trat unser altbekannter Torlin Knockback mit blauen Haaren,<br />

Schlapphut mit sonderbaren Symbolen darauf und hinter ihm eine sonderbare Gestalt.<br />

„Doch er“, dabei zeigte sie auf diesen Zwoten, „ein einfacher Mann aus den Strassen dieser<br />

schönen Stadt, diesen will ich entsenden.“<br />

Gemurmel wurde laut, und sie hob die Arme: „Er bekommt <strong>von</strong> mir allein die Bezahlung,<br />

doch sollte er das Duell für mich und euch gewinnen, so ernennt ihn zum Kastellan einer<br />

Eurer Burgen und bezahlt ihn auch dementsprechend. Fortan auf jeden Fall soll er Hauptmann<br />

eines eurer Heere werden, und eure Soldaten im ganz speziellen Sinne ausbilden,<br />

17


darin, wie man gegen Überzahl gewinnt, und darin, wie man mit schlechterer Ausrüstung<br />

Überlegene besiegt.“<br />

Sie reichte ihrem neuen Kämpen einen Sack, welcher nach goldenem Inhalt klang.<br />

„Dies ist die Anzahlung für dich. Den Rest erhältst du, wenn du das Duell geschlagen und<br />

gewonnen hast.“<br />

So wurde auf unkonventionelle Art und Weise eine Lösung gefunden. Doch ob sie wirklich<br />

die Lösung auf alle Probleme ist?<br />

Ehre den Toten<br />

Ein gar geschichtsträchtiger Tag neigt sich dem Ende.<br />

Es war ein großer Tag für ein gar kleines Reich.<br />

Languria,<br />

irgendwo im Sumpfe gelegen,<br />

hatte es geschafft, sich einen Frieden auf besondere Art zu erarbeiten.<br />

Die allseits gefürchteten und zugleich geachteten Wergolreiter hatten ein Angebot<br />

gemacht.<br />

Sollte ein Vertreter der in Languria ansässigen Schwarmkönigign in einem Duell den<br />

Vertreter der Wergolreiter besiegen, herrsche Frieden zwischen beiden Reichen, ansonsten<br />

muss die Schwarmkönigin und ihr gesamter Schwarm sich ihnen bedingungslos<br />

unterwerfen.<br />

Eine schwere Bedingung, denn die Königin Karma hatte bis dahin sich noch nie<br />

irgendjemandem unterwerfen müssen.<br />

Lange dachte sie darüber nach und doch gab sie ihrem Herzen nach.<br />

Ja, es soll zum Duell kommen, ließ sie verlauten, und dann ward es das Problem, einen<br />

würdigen Vertreter für das gesamte Reich zu finden.<br />

Sie suchte lange und fand ihn dann, in den Straßen der Hauptstadt Adrodds.<br />

Brom war sein Name. Ein alter Veteran und zugleich ein Gemeiner des Volkes.<br />

Durch seine unscheinbare Art und doch große Herzlichkeit eroberte er ihr Herz. Schläue,<br />

Beherzheit und zugleich eben jene Kleinigkeit, was ihn <strong>von</strong> allen anderen Ausgesuchten<br />

unterschieden, bewog sie, ihn zu erwählen.<br />

Man weiß nicht, was dann geschehen, als sie mit ihm für eine Nacht verschwunden war,<br />

doch sowohl er als auch sie hatten am Folgetag ein Strahlen in den Augen, als wären sie<br />

den Göttern persönlich begegnet.<br />

18


Der große Tag kam und das Duell begann.<br />

Nach den üblichen Zeremonien und dem Vorstellen der Kontrahenten hielt ganz Myra<br />

den Atem an - und es begann.<br />

Während der langurische Streiter – mit einem Wurfspeer in der Hand und einem kleinen<br />

Rundschild, gekleidet in ein leichtes Leinengewand und in Riemenschuhe – auf Abstand<br />

bedacht war und seinen Gegner umtänzelte, stürmte sein Gegner, gekleidet in eine<br />

schwarze Rüstung, die scheinbar anschmiegsam wie gefettetes Leder war und zugleich<br />

das Strahlen der Sonne reflektierte, wie hochpoliertes Metall, mit einer gewaltigen und<br />

alles zerstörenden Axt nach vorne und schlug zu.<br />

Der Boden erbebte unter diesem Schlag und Brom konnte sich – leider – nur halb aus<br />

diesem gar vernichtenden Schlag retten. Nur, weil er seinen Speer noch rechtzeitig hoch<br />

brachte und ihn dem Angreifer unter die Achsel bohren konnte, konnte schlimmeres<br />

vermieden werden, doch der Schlag traf seine linke Schulter und ging bis zum Torso durch.<br />

Aus der schwarzen Maske war ein Grunzen zu vernehmen. Der Angreifer stemmte sich<br />

gegen den geschlagenen Languren und zog seine Axt heraus.<br />

Schwerst blutend, das Gesicht verziehend bei jeder Bewegung, seine Augen hatten das<br />

Strahlen verloren ,und doch kämpfte er, der Held aus der Gosse, einer der Languren,<br />

und schrie, sich aufstemmend auf seinen Speer für Languria, für die Freiheit und trieb<br />

seinen Speer in den Leib des Gegners.<br />

Sonderbarerweise wurde dieser immer langsamer und blutete nun auch wie ein<br />

angestochenes Schwein.<br />

Die Axt wurde erneut gehoben und fuhr vernichtend herunter und traf den Speer.<br />

Er war geteilt.<br />

Brom rollte ab, schnappte sich das abgetrennte Ende und stürmte vor , wich unter dem<br />

linkshändig geführten Rückhandschlag hindurch und spießte die Spitze des Speers in den<br />

Arm des Angreifers.<br />

Schlag um Schlag folgte, der Angreifer wurde langsamer, der Verteidiger immer bleicher,<br />

da er eine riesige Menge Lebenssaft verloren.<br />

Der Angreifer wusste, er musste einen vernichtenden Schlag nun anbringen, denn es ward<br />

aus mit ihm. Die Kräfte schwanden ihm rapide und er verfluchte seinen langurischen<br />

Gegner und zugleich nickte er ihm zu, eine Art Ehrenbezeugung unter den Wergolreitern<br />

einem würdigen Gegner gegenüber - und stürmte los.<br />

Brom wollte ausweichen, stürzte und die Axt fuhr herunter.<br />

Seine kurze Speerspitze nach oben drückend, die Arme ausstreckend, den Kopf auf die<br />

Seite werfend und die Augen schließend und noch einmals rufend – für die Freiheit<br />

Langurias –<br />

… war das Duell zu Ende.<br />

19


Die Umstehenden wussten nicht, was sie nun da<strong>von</strong> halten sollten.<br />

Unten der langurische Veteran, über ihm, ihn begrabend, der schwarze Streiter.<br />

Wie erstarrt standen alle herum und rührten sich erst einige Zeit später.<br />

Ein Mutiger ging vor und berührte den Angreifer. Keine Regung.<br />

Man nahm ihn vom Languren herunter und sah, dass die Speerspitze sich ins Herz<br />

gebohrt hatte. Der Langure Brom hielt den Speerschaft so fest, dass man seine Finger mit<br />

Gewalt öffnen musste.<br />

Als dies geschah – und dabei ein Finger gebrochen wurde – vernahm man ein Röcheln aus<br />

Broms Kehle. Er öffnete ein Auge und man hörte wispernd habe ich gewonnen?<br />

Der Jubel war gigantisch. Er wurde sofort weg getragen.<br />

Die Wergols waren nicht begeistert und wollten sich schon auf und da<strong>von</strong> machen.<br />

Ein Vertreter des Schwarms kam hervor, räusperte sich und übergab eigenhändig den<br />

schwarzgewandeten Streiter.<br />

– Es ist nicht unsere Art, besiegte Gegner zu übergeben.<br />

Wir sind der Schwarm,<br />

wir nehmen keine Gefangenen, wir fressen sie, um ihnen Ehre zu erweisen.<br />

Doch Euer Streiter hat so ehrbar gekämpft.<br />

Nehmt ihn und bestattet ihn auf Eure Art.<br />

Und vielleicht, ja vielleicht könnte aus dieser Niederlage gar eine Art Freundschaft oder<br />

Zusammenarbeit zwischen Euch und uns erwachsen.<br />

Nur, haltet Euch an Euer Wort. FRIEDE.<br />

Die langurische Brombeere<br />

Erzählen möchte ich heute <strong>von</strong> einer Pflanze, welche im hiesigen Reiche Languria eigentlich<br />

fast überall im Sumpfgebiet anzufinden ist.<br />

Man machte sich eigentlich gar keine Mühe, ihr einen Namen zu geben, da sie eh überall<br />

zu finden war.<br />

Doch nun hat sie durch ein Ereignis an Bedeutung gewonnen und ihr wurde ein Name<br />

verliehen.<br />

Wie schon angedeutet, findet man sie überall am Wegesrand, aber auch inmitten<br />

dichter Bepflanzung. Es ist ein Busch mit grünem Spross, normalerweise<br />

einen bis zwo Fuß hoch, der dunkle daumennagelgroße Früchte trägt,<br />

je nach Reifezustand bläulich bis schwarz gefärbt.<br />

20


Wenn man sie <strong>von</strong> den dornigen Ranken abgeerntet hat, sollte man sie sehr schnell essen.<br />

Denn zu Anfang sind sie sehr süß, doch später werden die abgeernteten Früchte bitter bis<br />

dahin, dass sie nach zwo oder drei Tagen giftig sind.<br />

Was hat nun dazu geführt, dass dieses Kraut zu solcher Berühmtheit gelangte?<br />

Ganz einfach:<br />

Der Reichsheld Brom, welcher im sagenumwobenen Duell gegen einen Veteranen aus dem<br />

benachbarten Finsterreich angetreten war, hatte eben diese Früchte einige Tage vor dem<br />

Duell abgeerntet und nach einer Wartezeit <strong>von</strong> drei Tagen und drei Nächten seine Waffe<br />

mit dem Saft <strong>von</strong> diesen eingerieben.<br />

Ein Kampf, welchen er sicher verlieren musste, gewann er ... durch alltägliche Mittel, die<br />

am Wegesrand wachsen.<br />

Ihm zu Ehren wurde diese Pflanze nun nach ihm benannt.<br />

Möge sie einem jedem Bürger Langurias ein Vorbild sein und daran erinnern, dass ein jeder<br />

ein Held sein kann – und dafür nicht viel braucht. Kein Geld, keine besonderen Mittel,<br />

einfach nur, was ihm Mutter Myra gibt.<br />

So geschrieben und verfasst <strong>von</strong><br />

Torlin Knockback<br />

größter Magi aller Zeiten<br />

Chronist und Herold der Schwarmkönigin Karma<br />

Pflanzen in Languria<br />

Da ich schon dabei bin, erzähle ich nun auch gleich da<strong>von</strong>, was es im Reiche Languria sonst<br />

noch so an Pflanzen vorzufinden gibt.<br />

Neben jenen, die man <strong>von</strong> sonst so kennt – wobei ich Dich, oh Du mein Leser, warnen<br />

muss: Denn nichts ist so, wie man es erwartet, und schon hinter dem nächsten Hügel ist es<br />

anders als dort, wo Du jetzt bist; lass Dir dies gesagt sein <strong>von</strong> einem, der viel gereist und<br />

noch mehr erlebt – möchte ich hier speziell auf einige Pflanzen eingehen, die ich sonst<br />

noch nirgends auf Myra bei all meinen Reisen entdeckt habe.<br />

Anfangen möchte ich mit den Bäumen.<br />

21


Ein Baum, welcher mich sehr in Verwunderung brachte – und dies mir, der<br />

ich wirklich sehr belesen und bewandert in vielen Künsten bin – ist der<br />

Rauchbaum. Er hat die Form wie ein ganz normaler Blätterbaum. Trägt<br />

einen guten Teil des Myrajahres auch Blätter, doch ...<br />

er hat eine Öffnung in sich, wie ein Schlund. Einen Rauchschlund! Und aus eben diesem<br />

kommt regelmäßig Rauch.<br />

Zu finden ist dieser sonderbare Baum vor allem im Sumpfgebiet. Man munkelt auch, dass<br />

dieser dafür verantwortlich ist, dass im und um den langurischen Sumpf – neben all den<br />

Fliegen – so starke Nebelwolken vorhanden sind.<br />

Dicht gefolgt wird dieses Exemplar vom Schleimbaum an Abartigkeit<br />

noch übertroffen. Vorzufinden auch im Sumpf, wachsen dort sonderbare<br />

Dinge, die <strong>von</strong> der Art an Schneckenschleim oder ähnliches erinnern.<br />

Es fällt bzw. tropft <strong>von</strong> den Ästen herab und legt sich auf die Dinge, die<br />

darunter sind. Zumeist sogar so, dass sie komplett eingeschlossen sind und darin dann ersticken.<br />

Danach sterben die eingeschlossenen Dinge.<br />

Ganz sicher bin ich mir jetzt nicht, denn es kursieren Gerüchte, dass die Wurzeln ab und<br />

an aus dem Boden greifen und diese eingeschleimten Dinge dann an sich ziehen. Doch ich<br />

als aufgeklärter Magi schreibe solche Gerüchte nicht nieder.<br />

Als nächstes folgt ein Baum, welchen ich als Meister der Arkanen Künste sehr<br />

schätze. Der Seher baum. Selbstverständlich werdet Ihr mich für einen<br />

durchgedrehten Mann halten, der zu tief in den Becher geschaut hat, doch<br />

glaubt mir, es gibt in Languria Bäume, an denen Augen wachsen.<br />

Auch diese sind <strong>von</strong> der Art nicht wirklich andersartig – aus der Enterfnung zumindest –<br />

wie ein normaler Baum. Doch diese Augen ...<br />

Es gibt sehr viele Gerüchte, was es mit diesen Augen auf sich hat.<br />

Sehen die Bäume wirklich? Wenn ja, was machen sie mit dieser Information? Es heißt, dass<br />

die Bäume sich unterhalten, aber was dann? Viele Dinge, die noch nicht geklärt sind.<br />

Aber Fremder, sei Dir gewahr, wenn Du einen Wald betrittst, wo solch ein Baum steht,<br />

dann wird alles, was Du dort tust, weiter getragen. Wenn ein Wind kommt, lausche diesem<br />

und Du wirst vernehmen, was der Baum über Dich zu berichten weiß.<br />

Abschließen möchte ich meine bäumische Pflanzenkunde mit dem Totenbaum. Er<br />

erwächst in kürzester Zeit dort, wo es grosses Blutvergießen gab. Für die<br />

22


Languren ist er ein Mahnmahl und zugleich ein Hinweis, den Toten an diesem Orte zu<br />

gedenken.<br />

Es erscheint dem Fremden, als würde ein hölzerner Wächter mit hölzernen Klauen und<br />

zum Teil sogar einer grimmigen Fratze einen erwarten.<br />

Fremder, solltest Du solch einem Baum begegnen, sei ehrfürchtig. Ich habe zwar noch nie<br />

erlebt, dass man <strong>von</strong> solch einem angegriffen wurde, aber es besser, Ehrfurcht und Demut<br />

bei diesen Bäumen zu zeigen, als später riesige Probleme zu haben.<br />

Ach ja, sehr oft ist es um diese Bäume etwas kälter – man spricht auch <strong>von</strong> der Totenkälte<br />

um diese Bäume – und man sollte nicht zu viel dort reden.<br />

So, genug über die Bäume Langurias geredet, kommen wir zum nächsten Thema, die<br />

normalen Pflanzen.<br />

Ganz in der Nähe der oben genannten Totenbäume findet man auch sehr oft<br />

die Skelettbüsche. Man stelle sich einen kleinen Busch vor, mit dornigen<br />

Ranken, welcher <strong>von</strong> der Größe zum Teil handgroß, zum Teil kopfgroß ist<br />

und welcher die Form einer Hand oder Klaue hat, die aus dem Boden nach<br />

oben greift.<br />

Wanderer, sei Dir sicher, meide diese Büsche. Schlage sie nicht für Feuerholz. Laß sie einfach<br />

in Ruhe stehen und mach einen großen Umweg um sie.<br />

Denn es heißt, sie greifen sich ab und an ihre Opfer und ziehen sie in die Tiefe.<br />

Abschließen möchte ich dann mit meiner Lieblingsblume, welche solch<br />

einen bezaubernden Duft hat, dass ein jeder, der auch nur in die Nähe <strong>von</strong><br />

ihr kommt, wie verzaubert ist. Die purpurne Sumpfblume.<br />

Parfümeure <strong>von</strong> nah und fern eilen, um nur ein wenig <strong>von</strong> ihr zu erhalten und diesen<br />

Duft an die weit entlegensten Gestade Myras bringen zu können.<br />

Es heißt, dass jede Frau, welche nur einen Hauch dieses Duftes an sich trägt, einen jeden<br />

Mann verführen kann.<br />

So geschrieben <strong>von</strong><br />

Thorlin Knockback<br />

Chronist <strong>von</strong> und zu Languria<br />

23


Von einer unnützen Pflanze<br />

Wir schreiben den gar garstigsten Winter, den ich je erlebt habe, im Jahre 427 n.P.<br />

und wie nicht anders zu erwarten, befinde ich mich zu Beginn und Ende der Geschichte in<br />

Adrodd, der wohl saubersten und heimeligsten Menschenstadt Myras.<br />

Es war einer jener Tage, in welchen man lieber im Bette geblieben wäre, doch selbst dort<br />

war es nicht schön, da die Kälte auch dort schon Einzug gehalten hat und so ward ich nun<br />

einmal wieder unterwegs. Unterwegs mit meiner Herrin Karma, um Seite an Seite mit ihr<br />

den Gefahren dieser Welt zu begegnen.<br />

Oh nein, es wäre gar schön gewesen, wenn irgendwelche Trunkenbolde und Söldner mit<br />

gezogenen Waffen uns bedrängt hätten und ich in meiner gar einzigartigen Manier ihnen<br />

mit meinem Magistab Einhalt geboten hätte.<br />

Doch weit gefehlt, wir stellten uns einem gar anderen Kampfe und ich gestehe, diese Art<br />

der Kämpfe sind … dumm.<br />

Wir trafen ein im Sitzungssaal und sahen sie schon, den kleinen Rat zu Languria, welcher<br />

erneut tagte, wie schon viele Tage und Monde zuvor – und nichts sinniges vollbrachte.<br />

Zu viele Interessen <strong>von</strong> Bauern und sonst irgendwas wurden vertreten und irgendwie erschien<br />

es mir, ist es wahrscheinlicher, Chnum mit seinem Streitwagen bei Nacht zu erblicken,<br />

als das diese da etwas gebacken bekommen würden.<br />

„Oh gebacken, da fällt mir ein, mein Frühstück war heute auch sehr dürftig. Darf ich? Danke.“<br />

Es ging einmal mehr um das Thema der Reichseinnahmen und was man ändern könne,<br />

um diese zu erhöhen. Durch Eroberungen wurde verworfen, da wir ein friedliches Reich<br />

sind und nicht dafür einstehen, über andere herzufallen und ihnen unseren Willen aufzuzwängen.<br />

Steuererhöhungen würden eher Unmut im Volke auslösen.<br />

So ging es einige Zeit und ich vergnügte mich mit dem dortigen Frühstück, als irgendeiner<br />

der Wenigen, die da waren meinte „Wie schaut es mit Handel aus?“<br />

Alle – selbst ich – schauten auf und hielten inne.<br />

„Wir betreiben Handel bisher, doch dieser verläuft bisher eher dürftig bis schlecht“, kam<br />

die Antwort. Nun war ich ganz Ohr, denn nun konnte es interessant werden. Meine Herrin<br />

lauschte auch, völlig interessiert und fragte höflich: „Was baut Ihr, werte Herren, denn<br />

hier für Handelsgüter an?“ Verdutzte Blicke folgten, verlegene auf den Boden gerichtete,<br />

Schweigen.<br />

Sie schaute verwirrt drein, denn sie verstand es nicht.<br />

Sie erhob sich und fragte nochmals „Darf ich erfahren, was es für ein Handelsgut für Myra<br />

gibt, welches nur in Adrodd erstellt wird?“<br />

Kopfschütteln war zu sehen.<br />

„Werte Karma. In Adrodd, der größten Stadt unseres Reiches gibt es bisher keine Handels-<br />

25


güter. Ihr vergesst, wir sind hier im Sumpf und der Sumpf gibt uns nicht viel. Keine Mineralien,<br />

keine Hölzer, nur“ eine wegwerfende Bewegung machend „diese unnützen Pflanzen,<br />

die wie Unkraut überall wachsen.“<br />

Ich rannte hinaus und kam wenige Augenblicke später hechelnd zurück, riss die Türe auf<br />

und hatte ein Büschel dieser unnützen Pflanzen in der Hand. Eher hechelnd als redend<br />

fing ich an: „Ihr meint diese Pflanzen hier?“<br />

Der kleine Rat nickte einhellig.<br />

Nun fing ich an, jenen, welche das Volk verkörperten, darüber aufzuklären, dass in anderen<br />

Reichen, die ich bereist oder belesen hatte, eben diese „unnütze“ Pflanze dafür genutzt<br />

wird, um etwas herzustellen, welches so edel ist, dass selbst die reichen Priester sich danach<br />

die Finger leckten. Papyrus.<br />

Man nimmt die Pflanze, schneidet sie in ganz kleine Teile, lege sie in Wasser ein, dass sie<br />

zerfasern und lege dieses Gemisch auf feinen Stoff und lässt es einfach dort trocknen. Was<br />

dann raus kommt, ist etwas sehr edles. Etwas sehr dünnes, welches <strong>von</strong> den Edlen und<br />

Weisen genutzt wird, um Gedanken festzuhalten. In gewissen Gegenden wird dies schlicht<br />

und einfach Papyrus genannt.<br />

Der kleine Rat war verwirrt, Karma begeistert und schon wurden die ersten Leute in<br />

Adrodd beauftragt, diese Pflanze zu schneiden. Andere damit, Tuche zu besorgen, …<br />

und schon am nächsten Tage ging es los.<br />

Zu Anfang musste ein jeder mit den Sachen noch vertraut werden, doch schon nach sechs<br />

Tagen glückte das erste Papyr und fortan wurde die Produktion angeworfen.<br />

Und ja, dieses Unkraut wächst ohne Ende nach. Wofür andere Monde brauchen, bis es<br />

nachwächst, wartet man hier keine drei Tage, um das Zeug wieder zu haben.<br />

So und nicht anders<br />

entstand das einzigartige Adrodd Papyr<br />

welches viele Weisenherzen und Priester glücklich macht und machen wird.<br />

gez. Thorvald Knockback<br />

Weiser unter den Weisen<br />

Vielbelesene und Weitgereister<br />

und noch vieles, vieles, vieles mehr<br />

26


Es ward im Jahre 427 n.P.<br />

Die Zwickerkrankheit<br />

Ich befand mich in einem Reiche, welches sich Languria nennt.<br />

Ein Name, schön, als würde ein Barde eine Jungfer besingen, so sanft geht er einem<br />

über die Zunge. Süß, ja so schmeckt dieser Name und doch, seit mir die nun folgende<br />

Geschichte passiert, ist dieser Name mehr für mich.<br />

Languria ist ... Leben.<br />

Mein Name ist Berrd und ich bin ein Heiler.<br />

Ich befand mich in der Hauptstadt eben dieses Reiches, welche Adrodd heißt.<br />

Die Straßen sind eng, die Menschen ungewaschen und stinken, wie allüberall.<br />

Man rief mich in die Stadt, denn der dortige Herrscher sei sehr krank und jenem, der<br />

ihn heilen könne, sei viel versprochen.<br />

Ich traf mich einigen anderen aus meinem Gewerbe und hörte mir an, was sie bisher<br />

über den König vernommen hatten.<br />

Die Gerüchte kursierten und nur wenigen war der Zugang zu seinen Gemächern<br />

erlaubt.<br />

Mit Aderlaß hatte man es probiert,<br />

viele erlesene Kräuter aus den entferntesten Landen,<br />

Heilerinnen, Tänzerinnen, Priesterinnen, sogar Magier sollen schon anwesend gewesen<br />

sein und doch, der König ... verreckt vor sich hin.<br />

Er siecht scheinbar, riecht trotz feiner Düfte übelst, und wenn man nur in seine Nähe<br />

kommt, wird einem wegen seines Gestanks übel. Allen wird angeraten, sich sofort nach<br />

einem Gespräch mit diesem sich zu waschen um diesen Gestank <strong>von</strong> sich abzuwaschen.<br />

Speziell hierfür gibt es bereits die Königsseife.<br />

Ich befand mich gerade in einer der kleineren Gassen, fühlte eine ältere Frau ab und sie<br />

spuckte mich mit Blut an.<br />

Schweiß lief mir – wie schon so oft – über die Stirn in die Augen. Ich wischte es weg,<br />

fluchte und betete, dass ich sie retten könne.<br />

Sie hatte alle Anzeichen, wie schon so viele zuvor, die ich behandelt hatte.<br />

Scheinbar litt sie an der Zwickerkrankheit. Eine gar üble Krankheit. Sie verändert die<br />

Organe im Körper. Aus frischem guten Fleisch wird fauliges. Sie macht sich verschieden<br />

bemerkbar. Die Kranken klagen über Schmerzen und sind nur durch sehr starke<br />

Schmerzmittel am Leben zu erhalten. Im fortgeschrittenen Stadium fangen die Kranken<br />

27


dann an, Blut zu spucken oder zu pinkeln. Und dann geht es nicht mehr lange. Selbst die<br />

stärksten Mittel helfen nicht mehr gegen die Schmerzen und sie verrecken elendig.<br />

Tja, dies ist die Zwickerkrankheit.<br />

Diese Frau schien auch da<strong>von</strong> befallen und ich drückte auf einige Stellen und merkte an<br />

den klauenartigen Händen, die sich in meinen Körper gruben, als wäre ich aus feinstem<br />

Stoff und nicht ein ausgewachsener kräftiger Mann aus Fleisch, Muskeln und Knochen.<br />

Dies würde wieder tiefe Kratzer in meiner Haut hinterlassen, doch ich hatte für solche<br />

Fälle ja eine gute Wundsalbe stets bereit.<br />

Es war, wie so oft, im Bauchbereich am Magen.<br />

Als ich die Finger da<strong>von</strong> löste, bekam sie wieder dieses Strahlen in die Augen, als wäre<br />

eine riesige Last <strong>von</strong> ihr genommen. Doch dann, die Augen verengten sich, sie<br />

schnaufte, die Augen wurden immer kleiner, ein schwarzer Schatten huschte über ihr<br />

Gesicht, sie holte Luft und wollte noch einmal schreien, der Mund öffnete sich, ein<br />

Blutschwall kam aus ihm hervor und sie ... war tot.<br />

Ich fluchte schon gotteslästerlich, denn sie starb in meinen Armen und ich hatte nichts<br />

dagegen tun können.<br />

Dies zog das Interesse der Umstehenden auf mich<br />

Doch in meiner Wut registrierte ich dies nicht. Ich nahm mein kleines Messer und stach<br />

in sie rein. Einmal, zwei mal, drei mal, vier mal und viele Male öfters.<br />

Wie besessen.<br />

Ich schnitt ihr den Bauch auf und schnitt ihren Magen heraus. Hielt ihn in die Luft, den<br />

Göttern entgegen und schrie WARUM. WARUM TUT IHR DIES AN?<br />

In der einen Hand mein gebogener Kurzdolch, in der anderen dieses Stück Magen, zum<br />

Teil zartes Fleisch, zum Teil dieses bräunlich dunkle Fleisch, welches die Krankheit ist.<br />

Es wurde leise um mich und ich drehte mich um, endlich mich besinnend, wo ich war<br />

und was ich getan hatte.<br />

Oh oh oh oh. Dies war es dann wohl mit meiner Arbeit, die ich viele lange Jahre<br />

getätigt hatte und bisher waren fast alle glücklich mit dem, was ich getan hatte.<br />

Ich hörte Stiefel, Speere, Metallrüstungen,<br />

mein Blick glitt sanft zur Seite, die Leute gingen auseinander,<br />

oh oh,<br />

und es trat eine Frau hindurch, gefolgt <strong>von</strong> einem sonderbaren Manne, der einen gar<br />

sonderbaren Umhang mit sonderbaren Symbolen trug und eine noch sonderbareren<br />

Hut. Ach ja, seine Haare waren blau!<br />

Es war eine Art tanzen und zugleich ... ich weiß es gar nicht und wenn ich daran denke,<br />

es dünkt immer noch ... unwahr.<br />

Mit sanfte Stimme fragte sie mich: Was ist hier los?<br />

28


Sie deutete mit der Kinnspitze auf die Frau am Boden und dann ging ihr Blick auf mich,<br />

meine Hände und jenes Stück Fleisch, welches ich in einer hatte.<br />

Jener sonderbare Mann drängelte sich mehr oder weniger vor,<br />

Mein Name ist Torlin Knockback und dies ist Karma, die Schwarmkönigin, kam es <strong>von</strong><br />

ihm, doch ich nahm ihn gar nicht war. Irgendwas in ihren Augen fesselte mich. Sie hatte<br />

etwas. Nichts ruhiges, wie man es sonst in den Augen einer wunderschönen Frau hat, in<br />

welchen man sich als Mann zu oft verliert. Nein, es war etwas, wie ein Feuer. Kein<br />

verzehrendes Feuer, oh nein. Eher ein hungriges, noch ruhiges Feuer, welches ... fressen<br />

wollte.<br />

Nein, dies ist falsch beschrieben. Aber ich bin auch kein Schreiber oder gar Beschreiber,<br />

ich bin schlicht ein Heiler.<br />

Stadtwachen kamen nun an. Der Kommandant wollte schon an mir Hand anlegen,<br />

doch sie schüttelte nur kurz den Kopf, und er ließ augenblicklich <strong>von</strong> mir ab. Er wollte<br />

ansetzen, etwas Wichtiges zu sagen, doch ihr Blick strafte ihn, und er ... ging, wortlos.<br />

Wer war diese Frau?<br />

Ich zeigte auf die Tote am Boden und nuschelte eher: Sie hatte die Zwickerkrankheit.<br />

Aufmerksam schaute die Frau auf die am Boden liegende Leiche. Was ist das? fragte sie<br />

dann neugierig.<br />

Ich zeigte auf das Stück Fleisch in meiner Hand. Sehen Sie dies? Ich zeigte auf den<br />

Magen und dann speziell auf das kranke Stück Fleisch. Dies ist die Zwickerkrankheit.<br />

Tief holte ich Luft und ließ all meinen Gefühlen freien Lauf. Sie ist es, die ich bekämpfe.<br />

Tagtäglich habe ich mit ihr zu tun und ich schaffe es nicht, sie zu besiegen. Sie befällt<br />

Mensch und Tier und es ist uns nicht möglich, sie aufzuhalten oder gar zu heilen. Sie<br />

nistet sich in die Körper ein und frisst die Kranken <strong>von</strong> innen heraus. Diese wiederum<br />

leiden fortan Schmerzen in einem Maße, was ein normales Leben nicht mehr möglich<br />

macht. Sie reisst Familien unbarmherzig auseinander und verändert die Kranken und die<br />

Bekannten gleichermaßen. Einmal <strong>von</strong> ihr befallen ist man des sicheren Todes.<br />

Ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle und ich musste mir die Tränen mit dem<br />

Ärmel aus dem Gesicht wischen. Ich würde alles geben, um etwas zu haben, diese<br />

Krankheit heilen zu können. Etwas, was man den Kranken geben kann und dann die<br />

Krankheit am besten <strong>von</strong> innen heraus bekämpfen oder gar fressen würde.<br />

Danach sank ich in mich zusammen und schluchzte nur noch.<br />

Irgendwie erwartete ich, dass nun die Stadtwachen kommen würden und mich<br />

aufsammeln und einkerkern würden.<br />

Doch dies geschah nicht und so stand ich nach einiger Zeit und vielen Schluchzern<br />

wieder auf. Die Frau stand mit ihren sonderbaren Augen vor mir, ein Leuchten war<br />

darin, ein so seltsames alles gewinnendes und zugleich verzehrendes Feuer, ... hielt in<br />

der einen Hand diesen ausgeschnittenen Magen und in der anderen Hand hatte sie ...<br />

Würmer.<br />

Sie reichte mir die Würmer und sagte, Gebt dies den Kranken.<br />

29


Ich nahm sie, sprachlos, nickte und verstand nicht.<br />

Den ganzen Abend und die Nacht überlegte ich. Viel trank ich und ich verstand es<br />

immer noch nicht.<br />

Am Folgetag kam ich eine Ecke <strong>von</strong> Adrodd, wo das alte Lied wieder begann. Ein<br />

älterer Mann hielt sich auf einmal am Bauch, ging in die Knie und spuckte Blut.<br />

Verdammt, diese götterverdammte Krankheit.<br />

Was sollte ich nun tun?<br />

Die Würmer den Kranken geben?<br />

Ich fühlte den Mann ab. Er zuckte bei der Berührung seiner Bauchdecke extrem<br />

zusammen, spuckte mir Blut ins Gesicht und ...<br />

… ich gab ihm einen Becher starken Weins gegen die Schmerzen und flößte ihm zwo<br />

der Würmer ein.<br />

Und nun?<br />

Er wurde immer bleicher und ich fragte mich schon, ob diese Frau sich einen ganz üblen<br />

Scherz erlaubt hatte. Dies musste so sein, denn ... sonst wäre sie ja <strong>von</strong> den Göttern<br />

selbst gekommen. Dies kann nicht sein. Die Götter helfen einem nicht. Sie helfen einem<br />

nur, wenn man selbst was tut. Oder?<br />

Er packte meine Hand, wie schon so viele zuvor. Ich bereitete mich schon auf das<br />

Zittern und verkrampfen vor, auf die Schweißausbrüche, auf den letzten Blutspucker<br />

und ...<br />

doch er streichelte sich über den Bauch, bekam wieder Farbe ins Gesicht und strahlte.<br />

Was habt Ihr mir da gegeben?, fragte er noch, stand auf, schüttelte mir die Hand. Was<br />

bin ich Euch schuldig? und griff zu seinem Geldsack. Zwo Kupfermünzen wechselten<br />

den Besitzer und er ging pfeifend da<strong>von</strong>.<br />

Was war dies?<br />

Seither habe ich ein Verfahren gefunden, wie man die Würmer schnell vermehrt und<br />

bin ein gern gesehener Gast bei allen. Egal, ob arm oder reich, wenn Berrd kommt, wird<br />

immer gut aufgetischt.<br />

So Ihr Leute, glaubt es mir oder nicht,<br />

diese Krankheit, welche unheilbar schien, kann nun geheilt werden, durch mich!<br />

So berichtet <strong>von</strong><br />

-Berrd, dem Wunderheiler<br />

30


Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels<br />

Capitulum III: Die Danameris und die Religion<br />

Bekanntermaßen zählt Danamère zu den wenigen Orten dieser Welt, wo die Götter gering<br />

geachtet werden – wohlgemerkt nicht nur einige der Götter, sondern der gesamte Pantheon.<br />

Mag dies manchen seltsam und merckwürdig erscheinen, so ist es doch leicht zu erklären:<br />

denn selbst die Götter haben zu Danamère nicht die Macht, Wunder zu wirken. So sieht im<br />

allgemeinen auch kein Danameri – jedenfalls so er seine Heimat nicht zu verlassen gedenkt –<br />

Veranlassung, den Göttern Opfer oder andere spezielle Ehren darzubringen, um ihr besonderes<br />

Wohlwollen zu erwirken. Und darüber hinaus erbringet die Sonnderrolle Danamères auf Myra<br />

jedem Danameri den unumstößlichen Beweis, dass die Götter keinesfalls allmächtig seien.<br />

Gewiss, so dünket es gemeinhin die Danameri, mächtig sind die Götter, wie man in fremden<br />

Landen überall ersehen kann, doch ihre Macht hat Grenzen: Grenzen dessen, was sie vermögen,<br />

und wohl auch Grenzen kartographischer Art.<br />

So könnte man also annehmen, dass die Danameris in völliger Gottlosigkeit verharren und jede<br />

Religion mißachten; und auf nicht wenige unter ihnen mag dies sogar zutreffen. Jenen<br />

Danameris erscheint jede Art religiöser Betätigung als verlorene Liebesmüh und Zeitverschwendung.<br />

Doch rühret der Reichthum Danamères vor allen Dingen aus dem Handel mit fernen Gestaden,<br />

und die Kaufleute und Seefahrer wissen nur allzu gut um die Macht der Götter jenseits der<br />

heimatlichen Ufer. Schon ihrer Vorväter wussten, dass es sich lohnt, sich die fremdländischen<br />

Götter bei Gelegenheit gewogen zu machen; so opfern auch sie wie wohl Händler und Seefahrer<br />

überall auf der Welt den Schutzmächten des Handels und der Seefahrt, erflehen aber zugleich<br />

auch die Gnade derjenigen Mächte, die andernfalls auf die Idee verfallen könnten, Tod<br />

und Verderben über ihre Schiffe zu bringen.<br />

Viele vollziehen diese Akte zwar nur in fremden Häfen; einige besonders Vorsichtige haben<br />

sich jedoch sogar auf ihren Schiffe Schreine einpassen lassen, die bei Bedarf aufgeklappt und in<br />

Betrieb genommen werden können; und auch auf den äußeren Inseln Danamères findet man<br />

Schreine solcher Götter, vor allem in der Nähe der Werften und Hafenanlagen. Denn wenn sie<br />

diese Inseln auch aus gutem Grund meist meiden, so sind die Götter dort immerhin nicht ganz<br />

so machtlos wie auf der Hauptinsel Danamère selbst, wo sie – so jedenfalls sind die Danameris<br />

überzeugt – nicht mal erkennen könnten, wer ihnen Opfer bringt und wer nicht. Die nur logische<br />

Schlußfolgerung ist daher, dass es dortselbst auch keinerlei Anlaß für irgendwelche kultische<br />

Orte, Gegenstände oder Rituale gibt, außer vielleicht zu Zwecken öffent-lichen Amüsements.<br />

Zu berücksichtigen ist bei der Betrachtung dieser Unterschiede jedoch ebenso, dass gerade auf<br />

den äußeren Inseln natürlicherweise auch der Anteil <strong>von</strong> Seeleuten und Handwerkern fremdländischer<br />

Herkunft höher ist, denen aus Traditions- oder Herzensgründen daran liegt, ihre<br />

heimatlichen Bräuche und Rituale weiter zu pflegen.<br />

31


Zugleich zeigt sich aber auf allen Inseln Danamères erneut, dass ein Leben ganz ohne die Segnungen<br />

der Religion nur wenigen möglich ist – ob diese nun besonders abgeklärte, unabhängige<br />

Geister sind, wie einige meinen, oder nur zu sehr dem Weltlichen verhaftet, wie man in<br />

vielen Fällen bei genauerer Betrachtung der Person annehmen könnte, dies zu beurteilen will<br />

der modestate Author dieser Zeilen sich nicht anzumassen wagen.<br />

Denn auch wenn die meisten Danameris die fremdländischen Götter gering achten und auch so<br />

gut wie niemals mit anderen geheimnisvollen oder anderweltlichen Kräften in Kontakt<br />

kommen, so haben doch ihre Philosophen die Frage der Götter und auch die des Verbleibs der<br />

Seele nach dem Tod des Leibs immer wieder studiert, und sind dabei zu höchst unterschiedlichen<br />

Ansichten und Schlußfolgerungen gelangt. Diese will und kann der Author dieses Essays nun<br />

allerdings hierin nicht im Einzelnen ausbreiten; doch nachdem die selbstgestellte Aufgabe die<br />

Darstellung der wichtigsten Glaubenslehren der so unterschiedlichen Völker des Archipels ist,<br />

soll solches hier auch für das Reich <strong>von</strong> Danamère geschehen.<br />

Der Vereinte Kultus des Verborgenen<br />

Es heißt, der Vereinte Kultus gehe auf Firindior Sirinbart zurück, einen legendären Philosophen<br />

aus der Frühzeit Danaméres. Dessen Lehre beruht darauf, dass zu Danamère die Macht der<br />

Götter ende; ja, es gilt als Dogma, dass dort die Götter, so sie die Insel in irgendeiner der<br />

ihnen zur Verfügung stehenden Formen betreten, nicht nur ihre Macht zu Wundern verlieren,<br />

sondern gar in genauer jener Form selbst sterblich werden – wobei es freilich, soweit dem<br />

Authoren bekannt, keinerlei Beleg dieser These gibt.<br />

Daraus jedoch schliesst Sirinbart freilich nicht nur, dass die Götter nicht überall und jederzeit<br />

Allmacht besitzen, sondern er nimmt dieses auch als letzten Beweis, dass nicht die Götter<br />

Myra geschaffen haben – denn dann hätten sie sicher kein Land entstehen lassen, dessen<br />

Eigenarten ihnen jene Macht rauben –, sondern selbst lediglich ein Bestandteil der Schöpfung<br />

seien. Mit anderen Worten: Sie mögen höhere Wesen sein und mit überaus großer Macht<br />

begabt, doch sie sind keine wahren Götter, die aus sich selbst heraus existieren. Für Sirinbart<br />

und seine Anhänger gibt es nur einen wahren Gott, den sie den „Verborgenen” nennen, der<br />

alles erschaffen, den Göttern des Pantheon ihre Macht gegeben habe und sie ihnen auch nach<br />

eigener Willkür wieder nehmen könne. Das Sindral Danaméres aber sei das heilige Symbol<br />

dieses Wahren Gotts, denn durch es zeige er den niedrigeren Göttern seine Macht über sie<br />

und ihre Thaten.<br />

Dieser Gott sei somit der einzige, der wahrer Verehrung würdig sei, doch zeige er Verständnis<br />

für seine Gläubigen, wenn sie niedere Götter als Seine Aspekte und Helfer ansähen und um<br />

ihren jeweiligen Beistand in weltlichen Angelegenheiten bäten; denn der Verborgene selbst<br />

mische sich nur in höchst seltenen Fällen in weltliche Angelegenheiten ein. Gläubigen des<br />

Verborgenen ist daher ausdrücklich erlaubt, an Riten zugunsten jeden beliebigen Gottes je<br />

nach örtlicher Sitte teilzunehmen.<br />

Die Glaubenslehre des Verborgenen beruft sich weiterhin darauf, dass dieser einst dem Sirinbart<br />

erschienen sei, zuerst in Gestalt eines alten Mannes, danach noch einmal in Gestalt einer<br />

nicht-jungen, nicht-alten, aber ewig schönen Frau; diese letztere Vision ist bei den Künstlern<br />

der Kultusgemeinde besonders beliebt, obwohl die Lehre eigentlich besagt, dass es untersagt<br />

32


sei, sich ein Idol des Verborgenen zu machen. Daher werden solche Darstellungen meist als<br />

Allegorien bezeichnet. Diese Erscheinungen sollen auf Danamère, der Nebelinsel selbst erfolgt sein,<br />

und so die Vormacht des Verborgenen belegen, denn keinem andern Gott wäre ein solches Wunder<br />

an diesem Ort möglich gewesen. Sei dem, wie es wolle, in jedem Falle sollen so viele der Glau -<br />

benssätze auf Offenbarungen des Verborgenen selbst zurückgehen.<br />

Es gibt nur wenige Weihestätten des Verborgenen; zu Sitayana auf dem Berg Sithaja (auf<br />

dessen Gipfel die erste der Erscheinungen des Verborgenen erfolgt sein soll) befindet sich der<br />

Zentraltempel des Kultus, ein weiß gekalkter, mit überwiegend blauen Ornamenten versehener<br />

Kuppelbau mit eiförmigen Grundriß und strahlenförmig angeordneten, niedrigeren Anbauten.<br />

Ei und Kugel sind auch die beiden Symbole des Kultus, die teils miteinander konkurrieren,<br />

teils miteinander verschmolzen werden; zum Frühlingsfest ist es unter den Anhängern des<br />

Kults alt hergebrachter Brauch, sich wechselseitig mit gekochten Eiern zu beschenken, die<br />

zuvor kunstvoll mit mehrfarbigen Kreis-Ornamenten oder Kugel-Darstellungen bemalt wurden.<br />

In der Zerstörung dieser Kunstwerke beim anschliessenden rituellen Verspeisen der Geschenke<br />

sehen die Philosophen des Kults ein heiliges Sinnbild der Vergänglichkeit menschlichen Strebens.<br />

Der zweite, schon deutlich schlichtere Tempel des Kultus ist der aus schwarzem und blauem<br />

Marmor errichtete Draco-Tempel <strong>von</strong> Daracon; ansonsten werden die wenigen und meistenorts<br />

wenig formalisierten Riten des Kultus an einfachen Weihestätten sowohl auf der Haupt- als<br />

auch auf den Äußeren Inseln durchgeführt.<br />

Diese Weihestätten haben sehr unterschiedlichen Charakter; zu Aberlon sind es oft lediglich<br />

Heilige Haine, meist mit kreisförmig angelegten Lichtungen; zu Ragon sind es traditonellerweise<br />

in den Hügeln des Hinterlands verborgen angelegte Steinkreise. Auf beiden Inseln handelt<br />

es sich in vielen Fällen um sehr alte Plätze, und die Vermutung liegt daher nahe, dass sie<br />

bereits vor Aufkommen des Vereinten Kultus bestanden.<br />

Bei Tirivistral und Kavirindal finden sich kreisförmig angelegte, über Generationen hinweg<br />

immer wieder erneuerte Konstruktionen aus unbehauenen Baumstämmen, die ein kegelförmiges<br />

Strohdach tragen; in der Stadt Abernalon kann der Eingeweihte einige runde Arenen entdecken,<br />

häufig in Privatgärten, die zum Schutz vor der Witterung mit Segeltuch überspannt<br />

werden können und auch für Theatervorstellungen genutzt werden. Im erst kürzlich wieder<br />

befreiten Raganadon sind die wenigen verbliebenen innerstädtischen Weihestätten unterirdische<br />

Kavernen, die nur über die Keller einiger Gläubiger zugänglich sind.<br />

Den Glaubensvorstellungen der Kultusgemeinde zufolge ist ein „ehrenhaftes Leben” gottgefällig;<br />

Dienste an der Gemeinschaft erhöhen ebenfalls das „Gewicht” des Individuums vor dem<br />

„Verborgenen”. Wer aber ein hohes „Gewicht” erlangt hat, wird dereinst „erhoben” werden.<br />

Dabei bleibt aber ein Außenstehenden verborgenes Mysterium, was in diesem Zusammenhang<br />

„dereinst” und was „erhoben” bedeuten soll. Denn wie es dem Glauben an einen „verborgenen”<br />

Gott entspricht, der über allen anderen Göttern steht, steht vor der Einweihung in die<br />

detaillierteren Glaubenssätze und Mysterien ein aufwändiges und langwieriges Ritual des<br />

Beitritts zum Kultus; aus verschiedenen Erwägungen heraus hat der Verfasser dieser Zeilen<br />

darauf verzichtet, dieses Ritual an sich vollziehen zu lassen.<br />

33


Der Bund der Weisen<br />

Da der Author zu den Inneren Kreisen dieses Geheimordens nicht zugelassen wurde, kann er<br />

nicht aus eigener Anschauung beurteilen, ob es sich tatsächlich um ein im weitesten Sinne<br />

religiöses Gremium handelt; er muss sich hierbei auf Schilderungen anderer stützen.<br />

Doch werden durch die Angehörigen des Bundes bei ihren Zusammentreffen viele ausgefeilte<br />

Riten verzogen, die ihren Aktivitäten zumindest einen religiösen Anschein verleihen. Soweit<br />

bekannt, richten die Weisen aber keine Gebete oder Opfer an irgendwelche Götter; zumindest<br />

einige <strong>von</strong> ihnen wurden aber auch schon bei Zusammenkünften des Vereinten Kultus des<br />

Verborgenen gesehen, so dass nicht auszuschliessen ist, dass der Bund in seiner Gesamtheit<br />

diesem Kultus zuzurechnen ist. Jedenfalls scheint <strong>von</strong> den Beteiligten kein Widerspruch in einer<br />

Doppel-Mitgliedschaft gesehen zu werden.<br />

Unklar bleibt auch, welche Verbindungen oder Differenzen zwischen dem Bund und dem<br />

Magischen Institut zu Abernalon bestehen; auffällig ist allerdings, dass Aberlon die einzige<br />

größere Insel ohne Niederlassung des Bunds ist. Die Niederlassung auf Ragon wurde während<br />

der Besatzungszeit zwar verlassen, nun gibt es dort aber wieder eine Außenstelle.<br />

Zentrum der Aktivitäten des Bundes ist eigentlich Darascon und das Draco-Tal; jedoch ist die<br />

„Halle der Begegnung“ in Sitayana dem Vernehmen nach das wohl prunkvollste und aufwändigste<br />

Bauwerk des Bundes. Erdacht und erbaut vom berühmten Baumeister Sulmavan Fidirintolan,<br />

selbst Mitglied des Bundes, nach dessen Tod vollendet <strong>von</strong> seinem Sohn Rosmanion,<br />

stellt es sich bewusst als Labyrinth verschiedener Säle, Refektorien, Kulträume, Gärten und<br />

Wohntrakte für die Betreuer der Anlage dar, verbunden durch ein Geflecht <strong>von</strong> Laufwegen,<br />

Laubengängen, Arkadenwegen und geschlossenen Korridoren. Das ganze ist <strong>von</strong> einer zwölfeckig<br />

angelegten Mauer mit 14 Toren umgeben.<br />

Auch in Darascon selbst findet sich ein als „Halle der Begegnung” bezeichneter, vergleichbarer<br />

Komplex; doch ist dieser keiner einheitlichen Planung entsprungen, sondern über die Jahrhunderte<br />

allmählich um einen zentralen, immer wieder umgebauten und heute fünfschiffigen<br />

Hallenbau gewachsen. So hat hier die umgebende Mauer eine unregelmäßige Form, doch ebenfalls<br />

14 Tore. Ob diese Zahl aber eine besondere Bedeutung für die Mitglieder des Ordens<br />

hat, blieb dem Author bei seinen Recherchen bislang verschlossen.<br />

Die Haupteingänge beider Komplexe sind beidseits durch Drachenköpfe auf Säulen markiert.<br />

Auch die Zugehörigkeit zum Orden wird durch ein als Drachen-Rune bezeichnetes Symbol auf<br />

einem silbernen, zwölfeckigen Medaillon angezeigt; je nach Rang des Trägers ist die Rune mit<br />

einer zunehmend komplexeren spiralförmigen oder quadratischen Labyrinth-Ritzzeichnung<br />

hinterlegt.<br />

In beiden Hallen der Begegnung finden aber nicht nur geheime und mysteriöse Rituale statt,<br />

sondern auch regelmäßig Kongresse zu verschiedenen Wissens- und Interessengebieten, zu<br />

denen auch Gelehrte geladen werden, die nicht dem Orden angehören.<br />

34


Der Bund der Dunkelheit<br />

Der Bund der Dunkelheit ging dem Vernehmen nach aus einer Vereinigung <strong>von</strong> Minenvorarbeitern<br />

und Tunnelbaumeistern hervor; noch heute befinden sich seine Zentren bei Tirivistral und<br />

Kavirindril. Bedeutend ist auch die Niederlassung bei Sitayana, wo der Bund für die sichere<br />

Verschiffung vorgeläuterten Sindrals nach Aberlon zuständig ist; zudem betreibt er mehrere<br />

Sindral-Schmieden und -Werkstätten zwischen Tirivistral und Sitayana. Zwischen diesem Bund<br />

und dem Magischen Institut zu Abernalon bestehen enge Verbindungen; jedes Haus des Bundes<br />

besitzt einen eigenen Gästetrakt für Inspektoren des Magischen Instituts, umgekehrt gibt es<br />

ebensolche Trakte in den Einrichtungen des Instituts auf Aberlon für die „<strong>Bote</strong>n der<br />

Finsternis”, wie die offiziellen Abgesandten des Bundes genannt werden.<br />

Wie der Bund der Weisen ist auch der Bund der Dunkelheit ein geheimer Orden mit eigenen,<br />

nur den Eingeweihten bekannten Ritualen und Gebräuchen. Dem Vernehmen nach soll in<br />

diesen Ritualen unter anderem einem „Herrn der Schlangen” und einer „Mutter der Finsternis”<br />

gehuldigt werden; es bleibt aber aus Sicht des Authors unklar, ob es sich dabei tatsächlich um<br />

im weitesten Sinne religiöse Akte oder bloße Spielereien handelt, zumal diese Rituale offenbar<br />

ausschließlich auf Danamére, also nach Ansicht der Danameris außerhalb des Einfluß- und<br />

Wahrnehmungsbereichs der bekannten Götter vollzogen werden.<br />

Manche der „Dunklen Brüder”, wie sie sich auch nennen, werden angeblich gelegentlich auch<br />

bei Treffen des Kultus des Verborgenen gesehen, so dass es durchaus im Bereich des Möglichen<br />

zu liegen scheint, dass dessen Vorstellungen auch bei diesem Geheimorden verbreitet sind<br />

und jedenfalls <strong>von</strong> einem Teil der Mitglieder als vereinbar betrachtet werden.<br />

An dieser Stelle noch ein kleiner, aber notwendiger Exkurs für den interessierten Leser:<br />

Wenn ein Danameri <strong>von</strong> den „Dunklen” spricht, meint er damit verwirrenderweise meist nicht<br />

die Angehörigen des Bundes, sondern eine in allen Städten des Reichs anzutreffende, sehr<br />

dunkelhäutige Volksgruppe, deren Angehörige sich zwar häufig sehr erfolgreich im Bereich des<br />

Handels und der Verarbeitung <strong>von</strong> Kupfer und Eisen betätigen, aber kaum je die Minen aufsuchen.<br />

Im Gegensatz zu ihnen ist der durchschnittliche Danameri eher blaßhäutig – zumal<br />

diejenigen, die die meiste Zeit des Tages unter der Erde verbringen –, was für fremdländische<br />

Augen in Kombination mit den schwarzen Kutten und weiten Capes der „Dunklen Brüder”<br />

sehr unheimlich wirken kann.<br />

Die Jünger des Jenseits<br />

Auch bei vielen der sonst oft so nüchternen – doch gleichwohl häufig in Rituale verliebten –<br />

Danameris spielt die Beschäftigung mit der Frage, was nach dem Tod geschieht, eine große<br />

Rolle. Andere Völker haben da oft sehr viel genauere Vorstellungen; sie haben ihre Unterwelten<br />

und ihre Totengötter, die diese Unterwelten beherrschen oder jedenfalls die Seelen der<br />

Toten dorthin geleiten.<br />

Und auch wenn diese Götter auf Danamére wenig Macht haben, so glauben doch nur wenige,<br />

dass es auch in der Unter- oder Nachwelt ein Danamére gibt, wo die Seelen der Danameris<br />

weiter ohne Götter sein können. Darum zwingt allein schon die Vorsicht viele Danameris, den<br />

Totengöttern Ehrerbietung zu erweisen und Opfer darzubringen. Nun gibt es allerdings auf<br />

35


Groß-Danamére keinen Tempel dieser Götter, zumal ja nach Überzeugung der Danameris dort<br />

dargebrachte Opfer <strong>von</strong> den betreffenden Göttern ohnehin nicht wahrgenommen werden<br />

können.<br />

In einem Reich der Händler wie Danamére wäre es höchst verwunderlich, wenn dies nicht als<br />

Marktlücke entdeckt würde. Anfangs waren es noch einzelne Reisende, die in fremdländischen<br />

Tempeln im Auftrag anderer Opfer darbrachten. Doch bald bildeten sie eine gemeinsame<br />

Zunft, aus der dann die „Jünger des Jenseits” entstanden. Sie haben klare Tarife:<br />

Relativ preisgünstig sind Opfer an Schiffsaltären auf hoher See, ein wenig teurer Rituale an Schrei -<br />

nen auf Aberlon oder Ragon (wo ja nach Ansicht der Danameri die Götter jedenfalls in der Lage<br />

sind, die Gebete und Opfer zu hören, auch wenn sie sonst – soweit bekannt – keine Existenzbeweise<br />

liefern); die Preise für Zelebrationen in fremdländischen Tempeln richten sich nach<br />

deren Größe, für das Beibringen geweihter Amulette und ähnlicher Gegenstände nach Erstehungskosten<br />

und Entfernung.<br />

Dabei sind die Jünger aber ziemlich indifferent gegenüber verschiedenen Glaubensrichtungen<br />

und Kulten – der Kunde bekommt immer das Ritual und den Gott oder die gottähnliche<br />

Wesenheit, den er gern hätte. Meist werden allerdings die herkömmlichen Götter Anur,<br />

Horcan und Talfur gebucht.<br />

Seit kurzem haben die Jünger ihre Dienstleistungen auch auf andere Kulte ausgedehnt, wie<br />

etwa Norto; Kunden sind hierbei vor allem Händler und Reeder, die <strong>von</strong> ihrem Heimatkontor<br />

auf Groß-Danamère aus viele Schiffe auf hohe See schicken. Dies bleibt aber ebenso eher ein<br />

Nebengeschäft wie die Beschaffung <strong>von</strong> Xnum-Schutzamuletten gegen Nekromantie.<br />

Die bevorstehende Eröffnung eines Anur-Tempels auf Ragon wurde <strong>von</strong> der Jüngerschaft unterschiedlich<br />

aufgenommen; einige befürchteten wegbrechende Märkte, wenn ein „richtiger“<br />

Tempel auf danamerischem Boden zur Verfügung stünde, die meisten sind aber wohl der<br />

Meinung, dass der Ausfall <strong>von</strong> Einnahmen sich auf Ragon beschränken und deutlich unter den<br />

zusätzlichen Einnahmen bleiben dürfte, die mit diesem neuen Produkt generiert werden<br />

können, das tariflich zwischen inländischen Schreinen und ausländischen Tempeln einzuordnen<br />

wäre.<br />

Aus:<br />

Sr. Gornal di Caspano e Gatnoff, Religiöse Bräuche des Asylia-Archipels,<br />

2., erweiterte und aktualisierte Ausgabe <strong>429</strong> n.P.<br />

36


Langur-Blau<br />

Eine Farbe setzt neue Werte und bringt eine Wendung in die Welt.<br />

Im Sommer 428 n.P. im Reiche Langurien, wo sie ihren Ursprung hat.<br />

Woher sie kommt, ist keinem ganz klar, aber auf einmal war sie, und nun, knapp vier<br />

Monde später hat man sich daran gewöhnt. Nicht nur dies. Obwohl man immer noch lächelnd<br />

den Kopf schüttelt, so hat es etwas damit auf sich, was für niemanden ganz erklärbar.<br />

Es begann damit, dass jene Schafe, welche zur Wollgewinnung gezüchtet, auf einmal nicht<br />

mehr normale Wolle abgaben, sondern Wolle in einem gar blauen Farbton.<br />

Nicht irgendein blau. Oh nein.<br />

Ein blau, es ist kühl, tiefblau und bis dato noch nie gesehen in, auf oder unter Myra.<br />

Wer es erblickt, ist im ersten Augenblick … geblendet.<br />

Und dann öffnet sich einem das Herz und man frohlockt. Es ist, als würde durch diese Farbe<br />

Magie gewirkt. Magie, welche das Herz bewegt, Freude und Liebe und auch … andere<br />

Neigungen zutage treten lässt.<br />

Nun fragt Ihr mich, was ist dies für ein Blau?<br />

Ganz einfach, ein dunkles Himmelsblau. Kalt und doch kräftig. Es hat die Wärme des Tages<br />

und doch die Kühle der nahenden Nacht in sich. Es hat etwas Begehrenswertes, Herziges<br />

und zugleich Unbekanntes an sich. Der Reiz des Unbekannten, gepaart mit der Wärme<br />

des Tages. Dies ist diese Farbe in einem Ton, so satt, so schön, so … einzigartig.<br />

Wer Langur-Blau trägt, wird mit offenen Armen empfangen.<br />

Wer Langur-Blau an sich hat, dem widerfährt nur Gutes.<br />

Dies ist es, was ich darüber berichten kann,<br />

doch frage ich mich immer noch,<br />

warum sind die Schafe auf einmal so einzigartig blau,<br />

warum schafft es kein Magier, kein Alchemist, niemand, diese Farbe nachzumachen?<br />

So geschrieben<br />

<strong>von</strong> einem ausnahmsweise mal wirklich ratlosen<br />

Thorbald Knockback<br />

Historiker, Bierbrauer, Drachenfreund, Retter (halt, dies schreibe ich noch später nieder),<br />

Wolkenschiffbauer, Berater und Freund der Königin, Reisender, Chronist und einiges<br />

mehr<br />

37


Langurische Handelswaren<br />

Verehrte Händler, verehrte Völker <strong>von</strong> nah und fern.<br />

Meine Aufgabe ist es hier und heute, Ihnen kund zu tun über die gar schönen Waren, die es<br />

in dem lichten Reiche Languria zu ersteigern gibt. Der Einfachkeit halber nenne ich die<br />

Ware und beschreibe sie dann mit einigen wenigen Sätzen. Bei Fragen einfach direkt an<br />

mich richten.<br />

Schafswolle – aus der Festung Tubrynn wird in großen Mengen die wohl edelste und feinste<br />

Wolle des ganzen Segments geliefert. Es gibt Gerüchte, dass diese Wolle sogar so fein sein<br />

soll, dass selbst verwöhnte Spitzohren nur darin den lang ersehnten Schlaf finden können.<br />

Selbst Prinzessinnen sehnen sich, sofern sie einmal ein Kleid aus dieser Wolle gemacht, getragen,<br />

nur noch nach einem, nach Kleidung aus langurischer Wolle gefertigt. Doch auch der<br />

einfache Bauer schätzt unsere Ware, denn sie ist stabil, regenabweisend und zugleich preiswert.<br />

Räucherfisch – aus der stolzen Stadt Owuran. Geräuchert sind diese edlen Fische über<br />

edlem Sumpfbirnenbaumholz, welcher einen gar unnachahmlichen Geschmack dem Fisch<br />

verleiht und selbst aus ödem Fisch ein Gericht macht, welches selbst Königen den Atem<br />

stocken lässt. Einmal gekostet, nimmer mehr vergessen und ewig in Erinnerung des Genießers.<br />

Kaufen sie, kaufen sie und das Herz des Bekochten gehört Ihnen, für immer.<br />

Jagdfalken – aus der stolzen Festung Silvana kommen sie, die stolzesten Jagdvögel, die zur<br />

Zucht erhältlich. In jahrelanger Feinstarbeit werden sie herangezogen, um schnell, wie ein<br />

Pfeil hernieder zu schießen und die vom König auserkorene Beute zu reißen, in die Luft zu<br />

ziehen und dann in die Tiefe stürzen zu lassen. Wer einmal auf der Jagd, der weiß, wie<br />

mühselig es ist, sich solch ein Tier heran zu ziehen. Das ideale Geschenk für einen Herren,<br />

dem Ihr Gutes tun wollt. Oder aber, ein Geschenk für Euch selbst. Denn mit solch einem<br />

Falken macht die Jagd doppelt Spaß. Kaufet und sehet selbst.<br />

Und zu guter Letzt:<br />

Papyr - aus der saubersten Menschenstadt dieseits und jenseits dieses Segmentes. Aus<br />

Adrodd. Geschaffen für Weise, geschaffen <strong>von</strong> Arbeitern. Es ist Regenabweisend, stabil – hält<br />

sogar Schläge aus und ist sogar mehreren Schabungen verträglich – und selbst leichte Flammen<br />

können dieser neuen Schaffenstechnologie nichts anhaben. Das Ultimative Medium, um<br />

Wissen <strong>von</strong> nah und fern zu sammeln und all jenen kund zu tun, die in der Ferne und nicht<br />

daneben. Kaufet und schreibt nieder, all Euer Wissen, denn ein jeder soll da<strong>von</strong> erfahren.<br />

So geschrieben für all jene, die es interessiert.<br />

Thorvald Knockback<br />

Bescheidener Schreiber aus Languria<br />

38


Handelssteuer und Zoll im Reiche Languria<br />

Verfasst im Frühjahr 428 n.P.<br />

Beschlossen vom Kleinen und Großen Rat zu Languria.<br />

Hiermit sei kund getan, dass ein jeder und eine jede, welche Waren oder Dienste anbietet,<br />

hierfür Steuer an das Reich entrichten habe. Diese nennet sich: Handelssteuer.<br />

Es ist uninteressant, was verkauft wurde, am Ende zählt der Preis. Der Zehnt des gesamten<br />

Verkaufswertes wird an die Reichskasse sofort abgeführt.Hierfür werden auf den Märkten<br />

spezielle Mannen abgestellt, welche zum einen über die Einhalt der gebotenen Sitten<br />

wachen, am Ende des Tages dann den Zehnt <strong>von</strong> einem jedem, der verkauft hat, abholen.Bei<br />

Zuwiderhandlung – zu nennen, versuchter Betrug und ähnliche Dinge – ist mit schlimmsten<br />

Strafen zu rechnen. Neben dieser Handelssteuer wird zusätzlich eine weitere Sache eingeführt,<br />

welche alle Händler betrifft, welche <strong>von</strong> außerhalb Langurias kommen und ihre<br />

Waren in unserem Reiche anbieten Zoll genannt.<br />

Bevor die Händler ihre Waren feilbieten dürfen, müssen sie das Volumen, welches ihre<br />

Waren haben, notieren lassen. Hierfür bekommen sie ein ausgefülltes Blatt Papyr im Gegenwert<br />

für ein Kupferling (der Wert eines Ei in etwa) auf welchem steht<br />

- wer der Händler ist (Name, Beruf, Herkunft)<br />

- an welchem Tage er mit den Waren ankam<br />

- wie viel Volumen er hatte<br />

Wenn besagter Händler nun <strong>von</strong> dannen zieht, wird gemessen, wie viel Volumen er nach<br />

dem Handel hat. Sollte er gleich viel oder mehr Volumen haben – also die gleiche Menge<br />

wieder gekauft haben oder nichts verkauft haben – so muss er nichts entrichten.<br />

Sollte seine Menge geringer sein, so gibt es eine Staffelung:<br />

- fast die gleiche Menge bis zur Hälfte<br />

10% des Verkaufswertes ist an die Kirche abzutreten – Kirchenzehnt für guten Handel<br />

- ein Zehnt bis zur Hälfte<br />

10% des Verkaufswertes ist an die Kirche abzutreten<br />

10% sind an das Reich Languria abzutreten - alles verkauft bis zu ein Zehnt<br />

15% des Verkaufswertes an Norto zu spenden zum Ausbau der Tempel<br />

10% an das Reich Languria<br />

5% als Reichensteuer, um den Armen im Reiche Gutes zu tun<br />

Bei Zuwiderhandlung/versuchtem Betrug wird mit harten Maßnahmen zu rechnen sein.<br />

Wobei Strafen <strong>von</strong> bis zu 50% Verkaufswert-Entzuges zu erwarten sind und bei Häufung<br />

dieses Vorkommens könnte es zu drastischeren Maßnahmen kommen.<br />

Somit, liebe Händler <strong>von</strong> nah und fern:<br />

Gehabet Euch Wohl, lasst es Euch durch den Kopf gehen und ich hoffe, Euch schon sehr bald<br />

auf einem der zahllosen Märkte in Languria begrüßen zu dürfen.<br />

Evtl. ist es aber ratsam, schon zuvor im nahe gelegenen Norto-Tempel des Gottes der Kauf leute<br />

eine kleine angemessene Spende zukommen zu lassen, um ihn Wohlzustimmen.<br />

gez. Thorvald Knockback<br />

Hofschreiber + Chronist zu Languria<br />

39


Wer oder was ist Mar<strong>von</strong>, der Blaue?<br />

Mar<strong>von</strong> der Blaue<br />

Er zählt knapp 22 Lenze, misst eine Größe <strong>von</strong> knapp 5,7 Schritt oder wie man in anderen<br />

Gebieten sagen würde, 1,73 m.<br />

Je nach Umständen ist er gut genährt oder hungert schon seit Wochen, und dies sieht<br />

man dann seinem Bauche recht schnell an.<br />

Kleiden und geben tut er sich … tja, das hängt <strong>von</strong> einigen Dingen ab.<br />

Wie viel Geld er hat, wo er ist und mit wem.<br />

Sagen wir, es hängt <strong>von</strong> seiner Gesellschaft ab.<br />

Doch wer ist er?<br />

Er ist ein Kaufmann.<br />

Doch anders als bei normalen Kaufleuten stehen bei ihm nicht die Goldstücke im Vordergrund,<br />

sondern das Herz. Schon öfters ist es ihm passiert, dass er ein gutes Geschäft<br />

versaut hat, weil er treudoof einem armen Tropf glaubte, während er die Reichen verspottete.<br />

Oder aber – und dies macht ihn aus – er geht keiner Wirtshauskeilerei aus dem Wege.<br />

Ist der Grund noch so banal – irgendein breitschultriger angetrunkener Kämpe aus<br />

den Kriegen lästert über einen Krüppel in der Ecke – und schon steht er da, Mar<strong>von</strong>,<br />

der Blaue und beschützt jenen, der sich allein nicht wehren kann.<br />

Zumeist kommt er mit gar schön veilchenfarbenen Augen und angebrochenen Knochen<br />

heim, doch irgendwie hat er das Glück auf seiner Seite (und viele Freunde), und<br />

so können sie schon zwo Tage später die Spelunken <strong>von</strong> übellaunigen Halunken befreien<br />

und lachend neuen Abenteuern entgegen fiebern.<br />

Doch wer tut es ihm an?<br />

Tja, dies ist es, was bisher noch niemand ganz verstanden.<br />

Er dreht sich nach der alten Frau genau so um wie nach der schönen Frau. Wobei es<br />

sogar sein kann, dass er die schöne Frau ziehen lässt und einem alten sabbernden Mann<br />

dafür beisteht.<br />

Man könnte sagen, die Hauptneigung des Kaufmanns fehlt ihm, zum eigenen Vorteil<br />

arbeiten.<br />

Und doch, man mag schlecht <strong>von</strong> ihm reden, aber er hat sein Herz auf dem rechten<br />

Fleck, und genau dies ist es, was ihm die Herzen vieler zukommen lässt.<br />

Aber ob dies ausreicht, um an fremden Gestaden, wo bis dato noch kein Languri war,<br />

sein Glück zu machen und sein Reich erfolgreich nach außen zu vertreten?<br />

Wir werden sehen.


Eine Schifffahrt, die ist lustig<br />

Wir schreiben das Jahr 428 n. P. und befinden uns in der wohl reinsten Hauptstadt Karnicons.<br />

Und wenn mich mein gar gelehrtes Hirn nicht im Stiche lässt, behaupte ich sogar,<br />

die gar sauberste Stadt – ich höre schon die Unkenrufe der Spitzohren und revidiere meine<br />

Aussage – der Menschen auf ganz Myra.<br />

In eben dieser Stadt, als es Sommer war und der Friede das Reich beglückte, wurden eineinige<br />

Neuerungen zwar mürrisch und doch wohlwollend durchgeführt.<br />

Ja, wie dies, fraget Ihr mich nun.<br />

Es ist einfach. Was sagt Ihr, wenn Euch untersagt, zu tun, was Ihr<br />

ein Leben lang getan, um einfache Arbeiten zu tun, danach aber<br />

besser leben, um danach zu tun, was Ihr nicht müsst, sondern wollt,<br />

<strong>von</strong> Herzen und dies so dann so gut tut, dass jenes, was Ihr schafft,<br />

viel besser und ertragreicher, als Ihr es Euch in Euren kühnsten Träumen je hättet vorstellen<br />

können?<br />

Naja, ich schweife ab und ich denke, wir belassen dies mit diesem fast unpassenden<br />

Nebenkommentar und kümmern uns um die wichtigen Dinge.<br />

Die Dinge, welche ganze Reiche bewegen und vielleicht, ja vielleicht eine Ära einleiten,<br />

welche nun den Anfang genommen und in Kürze, ja in Kürze vielleicht ganz Myra erfassen<br />

werden.<br />

Ihr fraget mich nun,<br />

wo handelt überhaupt, wo<strong>von</strong> ich erzähle?<br />

Oh Ihr Ungebildeten. Welche Menschenstadt kennet Ihr, die bekannt durch ihre Reinheit?<br />

Ihr kommt nicht darauf?<br />

Dann gehet <strong>von</strong> dannen, denn mit solchem plumpen Pack hab und will ich nichts zu tun<br />

haben.<br />

Ich bin ein Magister meines und vieler anderer Stände. Ein, ach, was sag ich, der Meister<br />

der Magi und Erschaffer vieler gar wundersamer Dinge. Und da wollt Ihr, dass ich mich<br />

mit Euch Plumpen unterhalte und meine gar kostbare und geringe Zeit mit Euch verschwende.<br />

Pah. Nicht mal, wenn Ihr mir einen Krug Eures besten Bieres spendieren würdet.<br />

Denn selbst dieses kann niemals nicht so gut sein, wie jenes, welches ich selbst in<br />

meisterlicher Art und Weise geschaffen. Sumpfbier. 1<br />

Wo war ich? Lasst mich kurz inne halten und überlegen. Soll man dies auch schreiben?<br />

Nun denn, auf dem Pergament ist es bereits, die Tinte lässt sich nicht mehr runter schaben<br />

und wenn, dann haben wir hier ein Loch. Wäre dies ratsam? Naja, brachte wohl nichts,<br />

außer Flecken.<br />

Es war ein Sommertag und es pochte an das hölzerne Tor.<br />

Man öffnete es, es tagte der kleine Rat mit Ausnahme der Königin, die unterwegs war, um<br />

1 Sollte aber irgendjemand mein Braurezept finden, so würde ich mich sehr dankbar darüber zeigen. Es soll nicht<br />

zu Deinem Nachteil gereichen.


gar wichtige Dinge im Reich zu erledigen. Herein lief ein junger Herr in grellen Farben<br />

und mit einer blauen Haarpracht.<br />

Ja, ich gestehe, es hat auch was mit mir zu tun, dass vor allem die jungen Gecken des Reiches<br />

neuerdings die Haare andersfarbig tragen. Doch auch darüber will ich mich nun ausschweigen,<br />

denn es würde <strong>von</strong> dem Wichtigen, welches ich zu erzählen habe, ablenken<br />

und eine Geschichte ist wie eine Suppe nur gut, so lange sie warm ist, und sollte somit<br />

frisch genossen werden und nicht, wenn sie alt und verdorben und <strong>von</strong> vielen schon erzählt<br />

ist.<br />

Er tappte forschen Schrittes herein, keine 30 Lenze zählend. Kaum ein Brüstlein und doch<br />

ein auftreten, als hätte er allein eine Schlacht geschlagen und gewonnen. Ja, so wie unser<br />

geliebter und gefeierter Volksheld Brom. Ihm, der unser Reich vor der Finsternis bewahrte<br />

und welchem wir einen jeden Tag gedenken.<br />

Er verneigte sich vor dem kleinen Rat und stellte sich vor „Mein Name ist Mar<strong>von</strong>.“. Sich<br />

fast bis zum Boden verneigend und dann weiter fortführend „Mar<strong>von</strong>“ auf seine Haare zeigend<br />

„der Blaue“ und mit einem siegessicheren Lächeln sicher erhebend. „Was wünscht<br />

Ihr?“, wurde nun forsch gefragt.<br />

Doch Mar<strong>von</strong> ließ sich nicht beirren. „Ich vermisse eine gewisse Dame. Man nennt sie<br />

auch Königin. Wo verweilt sie?“<br />

Ein Husten und Raunen ging durch die kleine Gruppe „Die Dame ist anderweitig beschäftigt“,<br />

kam es hüstelnd hervor, wobei unter vorgehaltener Hand doch viel gelacht wurde.<br />

„Nun denn, ich möchte mich in Eure Dienste stellen“ antwortete er geschwind.<br />

„Womit?“<br />

„Ja, mit mir.“<br />

Eine flache und zugleich gro0e Hand klatschte auf den Tisch „Junger Herr. Ihr sprecht vor<br />

dem Kleinen Rat. Ihr habt somit eine Ehre erwiesen bekommen, derer die meisten nur selten<br />

in den Genuss kommen. Nun wiederhole ich nur noch einmal meine Frage, womit<br />

könnt Ihr uns dienen?“.<br />

Alle Blicke richteten sich auf ihn und dann wieder auf den Sprecher, welcher sich aufgerichtet<br />

hatte. Trotz des Alters sah man dem Sprecher seinen stämmigen Körperbau an und<br />

dieser ließ erahnen, dass er schon manch eine Schlacht geschlagen. Die Augen, schon alt<br />

und weise, strahlten eine Kälte aus, welche selbst Wüstensand gefrieren ließe.<br />

Mar<strong>von</strong> schluckte. Seine Knie zitterten, und er verschluckte sich nochmals. Schweiß begann<br />

sich auf der Stirn zu bilden, und doch stand er seinen Mann. „Ich biete mich an. Mar<strong>von</strong>,<br />

den Blauen und ...“<br />

Schon patschte die Hand erneut auf den Tisch. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit für<br />

Wiederholungen. Was wollt Ihr?“<br />

„... und ich möchte im Auftrag <strong>von</strong> Ihnen im Süden Ihre Waren verkaufen dürfen. Ich<br />

stelle hierfür ein Boot und eine Segelmannschaft und“ – kurz inne haltend, dann, bevor die<br />

Hand wieder auf den Tisch knallte – „und mich als Kaufmann“.


Der kleine Rat schaute sich gegenseitig an, ein kurzes Nicken unter den Ratsmitgliedern<br />

„Was verlangt Ihr <strong>von</strong> uns dafür?“ Der Sprecher hielt kurz inne, bevor er fortfuhr: „Reichsweit<br />

und wohl auch über die Grenzen hinaus ist ja Eines bekannt: Ein Kaufmann macht<br />

nichts umsonst.“.<br />

Ein Lächeln umspielte die Lippen <strong>von</strong> Mar<strong>von</strong>, dem Blauen und er antwortete flüsternd:<br />

„Umsonst wäre mein Dienst nicht. Nur kostenlos.“<br />

Danach unterbreitete er seinen Vorschlag, und fortan fuhr er voll beladen mit den Gütern<br />

des Reiches auf seinem Schiffe fremden Gestaden entgegen.<br />

Was erzähle ich da? Auf seinem Schiffe? Ha ha. Er bekam vom kleinen Rat zwo weitere<br />

gestellt.<br />

Und so, verehrter Hörer und Leser, muss ich gestehen, fuhr die stolze Flotte los. Zu erkennen<br />

an den blauen Segeln des jungen Herren. Die Schiffe, welche er unter seiner Leitung<br />

hatte, hießen<br />

Hoffnung<br />

Freude<br />

Schatz<br />

Mögen sie ihm, vor allem aber dem Reiche Ruhm, Ehre und viel Gold einbringen.<br />

So geschrieben <strong>von</strong><br />

Thorvald Knockback,<br />

seines Zeichens größter Magi aller Zeiten und<br />

großer Chronist der einzig wahren Königin dieser Welt.<br />

A


Erwachende See<br />

Die Schlacht und der Wahnsinn tobten auf dem Meer. Gewaltige Schiffe stehen in fahlen<br />

Flammen, züngeln vor Wut auf die kleineren Schiffe der Menschen, baden sie in<br />

Hitze und verbrennen unterschiedslos Fleisch und Holz. Klingen fliegen über die Decks<br />

und löschen die Hitze mit dem Blut ihrer Herren, Hände, Köpfe, Füße, Körper unterschiedslos<br />

zerschnitten.<br />

Wenn der Baumeister nicht bei Niun lag, war sein Geist anders. Freier? Er war anders.<br />

Der Baumeister wusste es nicht einzuordnen. Er bevorzugte diese Art des Denkens<br />

nicht, aber er fand sie auch nicht abstoßend. Es war auch nicht verstörend, mehr erfrischend,<br />

auf eine kühle Art und Weise. Seine Gedanken bewegten sich in für ihn überraschenden<br />

Bahnen, hielten Gedanken und verfolgten sie, spürten ihnen nach, wie ein<br />

Räuber auf der frischen Spur seiner Beute. Was der Baumeister wohl heute erlegen würde?<br />

Er gestattete sich, innezuhalten und die Eindrücke in sich aufzunehmen. Vor dem<br />

Baumeister lag die Handvoll unbeschädigter Menschenschiffe. In seinen Augen blitzte<br />

kurz ein Gedanke auf, als er ironisch lächelnd seufzte. Er suchte kurz nach dem Namen<br />

der Menschen, dem Namen ihres Wurzelhortes, doch er fand nur Leere. Seine Augenbrauen<br />

verzogen sich zu einem kurzen Runzeln, als er nach den Namen derer suchte,<br />

die in einer schnellen Kette <strong>von</strong> Assoziationen in seinen Gedanken vorbei flogen. Doch<br />

sie kannten keinen einzigen Namen. Er blickte sich um und befand niemanden würdig,<br />

sich zu erinnern, den Namen einer Erde in sich zu tragen. Es störte ihn nicht weiter. Er<br />

wusste, dass die Niun dem Land Namen gaben, Sie hatten mit diesen Namen gelebt,<br />

aber das Problem mit Land war dessen Beständigkeit – es bewegte sich nicht und verschwand<br />

aus seinen Gedanken, aus seiner Aufmerksamkeit. Die Niun waren blind für<br />

diese Beständigkeit, es existierte nicht in ihrer Wahrnehmung. War dies ein interessanter<br />

Gedanke? Der Baumeister erlaubte sich die Müßigkeit, weiter zu denken. Alle Namen<br />

stammten tatsächlich aus seinem Volk, und die Niun verwendeten sie aus reiner<br />

Höflichkeit. Arbeit wartete auf ihn. Für ihn und seine Männer, mit den kunstvoll verzierten<br />

Gesichtern, spielte Zeit keine Rolle. Ihre menschlichen Körper waren nahezu<br />

perfekt, ganz wie idealisierte Statuen, die in ungleichmäßigen Zeitabständen in an<br />

Wahnsinn grenzende Aktivität verfielen. Dazwischen träumten sie.


Der Baumeister blickte auf die perversen Schiffe der Menschen hinab. Als er über das<br />

Deck schritt, spürte er die toten und seelenlosen Lebensadern, aus denen sie brachial geschnitten<br />

waren. Über die Schulter sah er die gewaltigen Bäume des Blattes in die Höhe<br />

ragen, stolze Lebewesen, die das Land und dem Himmel mit Wasser verbanden. Es<br />

stank. Für einen Lidschlag schloss der Baumeister seine Augen. Was er erblickte, war<br />

Schönheit. Die Sonne sank über dem Ebenenrand, und sein Geist schwebte hoch über<br />

dem Kind Mannanauns. Vor seinen Augen breitete sich der Körper der Niun hunderte<br />

<strong>von</strong> Kilometern in die Ferne aus. Es war ein funkelndes Glitzerband, das sich wie eine<br />

Seeschlange im Meer wand. Eine glitzernde Perlenkette auf der glatten Haut einer Mysing.<br />

Unter ihm erblickte er nicht mehr als einen Finger dieses gewaltigen Wesens<br />

Niun. Sie waren dieser Finger, der sich bald zu einer Faust schließen würde, und vielleicht<br />

würde sogar der Körper folgen. Er spürte wie sein Traum endete, und schnell<br />

sandte er seinen Ruf.<br />

Die Lebenden und die Ahnen sammelten die Reste der Schlacht. Die sterbenden Schiffe<br />

und ihr Blut, totes Fleisch, sank nach unten, und das Meer schäumte vor Leben dort,<br />

wo die Toten in ihren Schoss sanken. Fischschwärme, Krabben, Muscheln, Vögel, sie<br />

alle fraßen <strong>von</strong> dem toten Fleisch, welches das Meer befruchtete. Sie arbeiteten schnell<br />

unter der Aufsicht des Baumeisters. Er hatte dies nicht oft getan, denn nur selten fielen<br />

Ihnen die Schiffe der Menschen in die Hände, die ein Weiser beleben wollte. Diese hoch<br />

gewachsene und schlanke alte Niun yeMaari stand regungslos am Rand des Blatt und<br />

beobachtete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Ihre weiße Haut war violett verfärbt, in<br />

ihren Augen schwamm Chaos, ihr Geist noch eingetaucht in den Wirbeln des Mahlstroms.<br />

Sie brachten die Lebenden wie Sterbenden und begannen mit ihrer Arbeit. Die weißen<br />

Schiffe zerfielen und bildeten die Basis für die Menschenschiffe. Sterbende der Niun<br />

wurden an den Übergangsstellen verbaut, Lebende in den Schaum eingewoben. Die Magie<br />

des Weisen floss wie ein warmer Wind über die mächtigen verzierten Arme des Baumeisters,<br />

wurde <strong>von</strong> ihnen eingefangen und verschmolzen mit seinen Händen und den<br />

lebenden Schäumen und Korallen zu einem verwirrenden Gemisch. Sie wurzelten die<br />

Bäume in Erde, brachen Planken, verstärkten sie, spalteten und formten sie zu einem<br />

undurchdringlichen fremdartigen Gespinst. Aus den langen Haaren des Weisen lösten<br />

sich Samen und Pollen des Blattes und nisteten sich wie Embryonen in dem gespaltenen<br />

Holz ein. Sie arbeiteten hart und konzentriert, die Arbeit selbst erschienen ihnen als ein<br />

leichter Traum, und so ermüdeten sie nicht, während sie Knochen brachen, Holz spalteten,<br />

Fleisch formten. Als die Sonne wieder über den Horizont kroch – einen Tag, eine<br />

Woche später, das war für den Baumeister irrelevant, er hatte auf solche unwichtigen<br />

Dinge nicht geachtet – war sein Werk fertig. Zufrieden lehnte er sich zurück und betrachtete<br />

die neuen gewaltigen Ahnenschiffe.<br />

Ein <strong>von</strong> mächtigen hölzernen Speeren gespickter Alptraum. Ein weißer Stachelfisch,<br />

tödliches Gift für alle, die sich <strong>von</strong> seinem weichen Fleisch verführen ließen. Rund und


fett lagen sie zwischen den Rochen und Knochenwalen, zu Stahl erstarrter Meeresschaum.<br />

Das Meer funkelte nun auch des Nachts in einem unheimlichen Licht, das aus den Tiefen<br />

des dunklen Wassers nach oben strahlte. Es war ein unstetes Flackern, fahle Irrlichter,<br />

die den Leichtsinnigen in die Tiefe herabzuziehen vermochten. Das Meer war erwacht,<br />

und sein Bewusstsein brannte schwach.<br />

Haftfeuer<br />

Durch ein kristallblaues Nichts schwebt die am Kiel des Katamarans festgewachsene<br />

Korallenqualle. Zwei oder drei dieser Blasen sind erst mit dem Kiel und dann untereinander<br />

verwachsen. Ein elegantes, langgezogenes und zerklüftetes Gebilde, das in dem<br />

weichen Licht Unterwasser in einem hellen weiß schimmert. In den Blasen liegen<br />

schlanke, regungslose Körper die sich ihren Träumen vollkommen hingegeben haben.<br />

Durchsichtige gelleeartige Fenster durchziehen die betonharten Meerschaum Korallen<br />

und geben ein wunderschönes Panorama auf die Unterwasserwelt dar. Die Blasen sind<br />

nach oben hin offen, führen zu einer schmalen Treppe die durch den Kiel hinauf zu<br />

dem Deck des Katamarans führt. Das Deck liegt leer im Sonnenlicht, nur selten steigen<br />

die Niun hinauf in die strahlende Sonne des Südens, bleiben in ihren Kammern, dessen<br />

oberer Teil mit dem A‘Kyryllin überwachsen ist, während der untere Teil mit Meerwasser<br />

gefüllt ist. In dem gefilterten Wasser schweben die Niun dämmernd im träumenden<br />

Kyryllin Schlaf. Ihre Augen sind weit geöffnet und voller Staunen nehmen sie die<br />

dramatische Natur um sie herum wahr, ihre Gedanken ein einziges Gebet zu der Schöpfung<br />

der Wunder des Lebens. Ihre Gedanken gleiten ineinander über, ihre Persönlichkeiten<br />

verschmelzen in der göttlichen Macht des Kyryllin und des Waisen <strong>von</strong> Lebensborn.<br />

Ihr Wille, ihre Seele belebt den schnellen Erkunder, steuern ihn mit einem flüchtigen<br />

Gedanken, halten ihn auf Kurs dessen Ziel nur der Waise selbst zu kennen scheint.<br />

Es kümmert die Niun nicht – sind sie sich doch selbst genug. Jauchzend begrüssen sie<br />

Fischschwärme oder die Delphine welche sie auf ihren Weg durch das Meer begleiten.<br />

Sie brauchen keine Pause oder Orientierung, das Meer, die Ströme <strong>von</strong> Wasser, Magie


und Magnetismus leiten sie durch die ewig blaue Ewigkeit – unberührt <strong>von</strong> Stürmen,<br />

Orkanen, Sonne oder Nacht. Sie fliegen durch die Strömungen und nutzen den Wind in<br />

all seiner Macht.<br />

Schmeichelnde Dunkelheit umgibt die Blasen. Es ist Nacht. Das Funkeln der Sterne ist<br />

ein glitzerndes Band im schimmernden Wasser. Das weiche Licht bricht sich in den<br />

Häuten der Korallenquallen und das prismatische Scheinen spiegelt sich in den staunenden<br />

weissen Augen der Niun. Vollkommende Finsternis unter ihnen, oh tiefe See, hohe<br />

Arnak! Leise singend heissen die Erkunder ihre Mutter, ihren Vater willkommen. Die<br />

Tiefe singt zu ihnen, während der Himmel sein Band um sie streift. Welch Freude!<br />

Welch Vergnügen! Ihr Ritt führt sie tiefer in die uralte See, in Wasser die älter als das<br />

Land, welches auf ihnen steht sind. Es flüstert zu den singenden Niun, es begleitet sie<br />

ihn ihren Melodien zu einer vollkommenen Harmonie.<br />

In die Tiefe blickend bemerkt er das schwache Licht, glühende Flamme emporsteigend<br />

mit lodernden Scheine brennend zu sehen. Ein schneller Gedanken und Treibanker lösen<br />

sich aus den Blasen und die Segel brechen zusammen. In konzentrierter Arbeit löst<br />

sich eine Qualle <strong>von</strong> den Blasen, in ihrem Inneren geborgen er. Die äussere Hülle härtet<br />

sich je tiefer sie nach unten sinkt, den fragilen Körper in ihr schützend und das Atmen<br />

dadurch ermöglichend. Der Tiefenrausch beflügelt den Niun, schärft seine Sinne, das<br />

Wasser schmeckt nach Metall und Feuer – dem Feuer der Tiefe, dem heiligen Feuer der<br />

Arnak! Gesegnet sei ihr Name, gesegnet sei der Wasserfürst der Wüste. Bald verdeckt<br />

Rauch die Sicht, dampfender Nebel der nach oben steigt. Die Schlote am Boden des<br />

Ozeans kochen und glühen, spucken das Blut der Erde aus. Dazwischen brennt das fahle,<br />

kalte und tote Licht des Meeresfeuers – dort! Seine Gedanken spiegeln die Ehrfurcht<br />

des Waisen wieder, der weit entfernt <strong>von</strong> diesem träumt. Seine Gedanken werden wiederrum<br />

<strong>von</strong> allen Waisen geteilt und deren <strong>von</strong> ihren Kindern. Die Voraussicht ist Erkenntnis,<br />

Erkenntnis ist Wille. Wille wird umgesetzt. Niun sammeln sich, rufen die Alten<br />

des Meeres, sammeln Knochen, Stein und Koralle. Eins wird auf das andere errichtet,<br />

Korallenquallen erblühen, schliesslich zusammenwachsend, <strong>von</strong> Meerstahl und<br />

Meerknochen ein Gerüst gegeben. Ein außergewöhnliches Lebensschiff entsteht, weniger<br />

ein Schiff, als eine unter Wasser schwimmende Plattform <strong>von</strong> der nur ein kleiner<br />

Teil die Wellen durchbricht, die einer umgedrehten Pyramide ähnelt. Ihre Spitze ragt,<br />

hundert, zweihundert Meter in das Meer und ist tief am Boden mit Krakententakeln<br />

verankert. Aus diesem entspringen hunderte, tausende <strong>von</strong> Quallensträngen die in der<br />

Strömung treiben. An ihnen befinden sich Blasen, Übergangsstationen für den Abbau<br />

<strong>von</strong> Meerstahl und dem Meeresfeuer.<br />

Quallenhäute werden über den Boden gespannt, unter denen der vorsichtige Abbau aus<br />

dem tiefen Gestein stattfindet. Das Haftfeuer in Gefässen aus Korallen luftdicht aus dem<br />

Stein entnommen. Vorsichtig werden sie an die Oberfläche gebracht. Die Tiefentaucher<br />

tragen ihre Narben im Fleisch und Knochen mit Stolz, sind sie doch Zeichen ihrer Heiligkeit.<br />

Die Mysing leben in den Blasen an der Oberfläche, brauchen sie doch das wär-


mende Licht der Sonne. Sie sind es, welche die kostbaren Artefakte auf die Schiffe laden,<br />

sorgen für ihre Verteilung, kümmern sich um den Handel.<br />

yeAikos singt das Lied <strong>von</strong> Fahllicht.<br />

Sein Körper schwebt in der Tiefe, sein linker Fuss angezogen an das Knie des rechten<br />

Beines, seine Arme seitlich ausgestreckt. So schwebt er in der Tiefe, seine langen weissen<br />

Haare schwimmen im Meereswind, sein weisses Gewand ein gespanntes Segel bereit<br />

ihn durch die Wasser zu tragen. Die Magie des Niun ist mächtig, mächtig aus dem Gott,<br />

dem Strudel selbst entspringend, hier in den Welten zwischen der Tiefe und dem Land.<br />

Dort wo das Wasser der Tiefe auf die Luft des Landes trifft, dort an der Grenzfläche<br />

zwischen den Elementen, dort schäumt die Magie der Niun am mächtigsten. Ein Wort,<br />

ein Gedanke, weniger als ein Augenblinzeln und das Meer erhebt sich zu ihren Füssen<br />

um ganze Inseln hinab in das Reich der Tiefe zu reissen, bereit Orkane zu entfachen in<br />

dessen Auge die Niun leben, das Chaos um sich herum aufnehmend, es lebend. Es ist<br />

die Macht zwischen den Elementen welche den Waisen im Wasser treiben lässt, unbekümmert,<br />

unbesorgt. Unter seinem Auge sinkt das Lebensschiff an dem mächtigen Krakenarm<br />

hinab in die Tiefe gezogen <strong>von</strong> der Kraft hunderte Mysing welche singend das<br />

gewaltige Rad drehen. Erst zehn, dann hundert Meter, bevor das Schiff im Strom zitternd<br />

zum stehen kommt. Geborgen im Schoss des Meeres liegt es vor den Blicken der<br />

Hohen Götter verborgen, das Meereslicht aus der Tiefe beleuchtet seine Konturen in einem<br />

fahlen Licht – und immer mehr bringen die Tiefenrauscher aus den Schloten nach<br />

oben. Dort in den Raffinerien <strong>von</strong> Fahllicht wird das Haftfeuer gewonnen, die wohl<br />

grausamste Waffe der Niun. Einmal am brennen kann nichts es löschen, kein Wasser,<br />

kein Tuch. Es brennt sich durch Fleisch wie Knochen. In Fischblasen oder Korallentöpfen<br />

regnet es auf ihre Feinde die sich in ihrer Verzweiflung als lebende Fackeln in das<br />

Wasser werfen und dort stumm verbrennen. Die Gedanken berühren den Waisen nicht,<br />

das Konzept <strong>von</strong> Schadenfreude oder Häme ist ihm unbekannt. Er ist ein Beobachter.<br />

Er nimmt wahr, er sieht wahr. Es kümmert ihn nicht, ebenso wenig wie es das Meer<br />

kümmert. Sein Mund öffnet sich und er spricht zu den gewaltigen Walen an seiner Seite.


Allorer Geschichten<br />

Vorwort<br />

Gar seltsames trägt sich zu in diesen und anderen Gegenden.<br />

Wir schreiben das Jahr 427. Der Frühling ist schon fast vorbei und die Bäume tragen nun<br />

im goldenen Sommer all jene Früchte, welche sie kurz zuvor durch gar wohlriechende Blüten<br />

uns schon mehr als deutlich angedeutet.<br />

Doch nicht nur die Bäume und Pflanzen sind uns Chnum sei Dank hold gesonnen, oh<br />

nein, es scheint, dass selbst Mutter Myra etwas nun bewerkstelligen will, es scheint, als<br />

würde ein Ruck durch Myra gehen und all das Alte nun weg-gedreht.<br />

Wie schon angedeutet, wir schreiben den Frühling/Sommer des Jahres 427 n.P. auf dem<br />

gar einzigartigen Segmente Karnicon auf der wunderbarsten aller Welten, Myra.<br />

Lasset uns schauen, was in Zeiten, in welchen kleine Käfer die Macht an sich reißen, in<br />

welchen Drachen zum Leben erwachen und gar Unbesiegbare <strong>von</strong> Trunkenbolden besiegt<br />

werden, – was in eben dieser Zeit in verschiedenen Teilen dieses Segmentes sich zuträgt,<br />

um am Ende zu etwas zu führen, was für uns jetzt noch nicht erahnbar.<br />

Doch leset selbst, bildet Euch Eure Meinung, und wir werden uns dann bei einem guten<br />

Becher Bier treffen und in absehbarer Zeit darüber debattieren, was dies, was nun niedergeschrieben<br />

<strong>von</strong> mir, bewirken könnte und bewirkt hat.<br />

Wie schon angedeutet, Myra dreht sich weiter und unser ist es, aufzupassen und alles zu<br />

notieren - und es zu verstehen.<br />

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.<br />

Thorbald Knockback<br />

Chronist und Schreiber aus Langurien<br />

AUFTRAG AN FRAS<br />

Frühling, im Jahre 427 n.P.<br />

Man sah eine dunkle Wolke am Himmel vorbei ziehen. Doch diese war keine normale<br />

Wolke, oh nein, es war – wie so oft und eben in Langurien schon alltäglich – ein Teil des<br />

Schwarmes.<br />

Was genau, konnte man so nicht erkennen. Entweder bringt er Informationen, Dinge oder<br />

macht eine Patroullie.<br />

Für niemanden richtig zu erahnen, doch es war der Schwarm, und seit der Schwarm da<br />

war in diesem Reiche, war alles irgendwie besser und ruhiger und … besser halt.


Diese schwärzliche, surrende Wolke, welche <strong>von</strong> der Größe die Ausmaße einer Holzfällerhütte<br />

hatte – also eine kleine Kate – hielt direkt auf eine gar große dunkle, finster surrende<br />

Wolke zu, welche <strong>von</strong> einem Ende des Gesichtsfeldes bis zum anderen reichte, und in der<br />

Höhe – man musste den Kopf heben, um das Ende erahnen zu können.<br />

Diese große Wolke war ein Teil des Schwarmes, geführt <strong>von</strong> einem der stolzesten, erfahrensten<br />

und … angriffslustigsten Heerführer der Schwarmkönigin.<br />

Der Name des Anführers war Fras.<br />

Die kleine Wolke hielt direkt darauf zu und … verschwand darin. Für Außenstehende war<br />

nicht erahnbar, ob die große Wolke die kleine gefressen hatte, ob es da einen Kampf gab<br />

oder sonstwas.<br />

Dies ist das Sonderbare am Schwarm. Man sieht ihn, man sieht die Teile, es ist aber so<br />

viel, dass irgendwie alles darin untergeht und man trotz der Masse nichts sieht.<br />

Der Schwarm halt.<br />

Und dann noch nebenbei dieses laute Geräusch. Dieses surren und fiepen und …<br />

Wer dann näher hin geht, um besser sehen zu können, tja, der hat auf einmal Käfer im<br />

Gesicht. Im Mund, in der Nase, auf den Augen, in den Ohren. Sie krabbeln Dir in den<br />

Ausschnitt. Und wehe, Du fängst an, nach ihnen zu schlagen, wie Du es seit Deiner Kindheit<br />

gelernt hast. Sie beißen, zwicken und noch mehr. Und es kommen dann ganz viele<br />

und Du bereust, was Du getan, weil Du es <strong>von</strong> Deinen Eltern so falsch gelernt hast.<br />

Somit lerne, kommt ein Käfer zu Dir, lass ihn krabbeln. Er geht <strong>von</strong> sich aus wieder.<br />

Bevor nun der Leser anfängt zu raten, was da geschehen, was die kleine Wolke <strong>von</strong> der<br />

Großen will, greife ich vor, denn ich habe jene Informationen, um welche mich viele<br />

beneiden.<br />

Diese kleine Wolke war ein Überbringer <strong>von</strong> Nachrichten und brachte an den Schwarm<br />

des Heerführers Fras folgende Order:<br />

– Flieg nach Ophis.<br />

– Wenn dort Etrorien-Land – beschütze.<br />

– Wenn nicht Etrorien-Land – friss !<br />

Kurz, bündig, wie ich es <strong>von</strong> meiner Königin gewohnt bin. Und vor allem, Fras ist ja nicht<br />

wirklich der Hellste, weswegen diese Anweisungen so in Ordnung sind.<br />

Der große Schwarm hielt kurz inne, es summte und surrte, es zirpte und fiepte und dann<br />

formte sich etwas, und dies gar gewaltige schwarze Etwas machte sich auf.<br />

Überflog eine Burg, vor kurzem noch Schauplatz eines der größten Ereignisse Languriens,<br />

um dann weiter zu ziehen in die fernen Waldgebiete, an deren Grenzen auch das sagenumwobene<br />

Reich Etrorien liegen soll.<br />

Waren es die Götter, war es Norto oder nur der wieder erwachte Reichsdrache?<br />

Irgendwas oder irgendwer war diesem Schwarm zumindest sehr hold gesonnen und so<br />

flog er in Windeseile in diese fernen Regionen, um zu tun, was ihm aufgetragen.


Erste Anfrage<br />

Ein Klopfen. Ein leichtes, vorsichtiges Klopfen. Auf ein harsches „Herein“ kommt eine<br />

gebückte Gestalt herein, fast den Boden küssend.<br />

„Bitte untertänigst um Entschuldigung“, kommt es unter einer tiefen Kapuze hervor.<br />

„WAS WOLLT IHR?“<br />

Die Person fällt ganz zu Boden – „ich möchte vermelden, dass Sonderbares in unseren n<br />

vorgefallen. Wo<strong>von</strong> ich berichten will“, sich aufrichtend, den Blick aber immer noch zu<br />

Boden gerichtet – gute Erziehung –, „Euch.“<br />

Der Fremde beginnt zu erzählen und was folgte, war so sonderbar, dass es niedergeschrieben<br />

gehört. Man fragt sich nur, kann dies der Wahrheit entsprechen, oder ist dieser Fremde<br />

<strong>von</strong> einer sonderbaren Krankheit oder gar einem Dämonen befallen?<br />

Vor wenigen Tagen, es war früh am Morgen, ich hatte gerade meine Sachen gepackt und wollte<br />

mich auf zur Arbeit machen.<br />

Verlasse gut gelaunt mein Haus, meine Holzfälleraxt auf der Schulter, einen Rucksack mit meinem<br />

Brotzeug auf der anderen, zog ich los. Doch ich kam keine zehn Schritt, bevor es geschah.<br />

Trotz Sonnenaufgang, welcher schon begonnen hatte, wurde der Himmel immer schwärzer und<br />

schwärzer. Auch setzte ein sonderbares Geräusch ein. Ein Geräusch, wie ich es bisher nie gehört und<br />

ich gestehe Euch, ich habe schon SEHR viel gehört.<br />

Keine zehn Schritt weiter bildet sich vor mir etwas Dunkles, Schwarzes. Wie eine Wolke, aufrecht stehend.<br />

Man könnte sagen, ein astloser Baum, der wirbelnd und schwarz nicht wirklich vor mir stand,<br />

sondern irgendwie unstet schwebte. Hätte er ein Rad gehabt, würde ich sagen, er wäre gerollt, doch<br />

ich behaupte, er hat den Boden nicht berührt.<br />

Dieses schwarze ... Ding, es sprach zu mir in einer Sprache, die ich verstand und die zugleich sonderbar<br />

war. Selbst, wenn ich einen Zahn gezogen bekomme, wenn mein Mund voll ist mit drei riesigen<br />

Bissen Fleisch oder mit einem Riesenschluck Bier, so undeutlich spreche ich nicht.<br />

Was diese schwarze, rollende, nichtrollende Säule zu mir sprach?<br />

Ach entschuldiget, sie fragte mich :<br />

»ssssssttttt diiiiiiiiessssssssss Eeeeeeettttrrrrrrrooooorrrriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnn?«<br />

Ich überlegte lange, was dieses Etwas <strong>von</strong> mir haben wollte.<br />

Auf den Boden mit meiner Axt zeigend, antwortete ich, dass dies mein Land sei.<br />

Daraufhin kam nochmals: »Wwwwweemmmmmm Laaaaandddd geeeehööööööörttttt?«<br />

Was wollte die blöde Säule nur <strong>von</strong> mir?<br />

Ich schrie – nun meine Axt fester umklammernd – »MIR!«<br />

Die Säule kam nun näher, immer näher. Mir zerplatzte <strong>von</strong> diesem komischen Geräusch fast der<br />

Kopf. Um mich hörte ich: »Duuuuuuuu Ettttrrrrrrroooooorrrrreeeee?«<br />

»JA«, antwortete ich.


Sofort umzwirbelte mich diese Säule und die riesige schwarze Wolke senkte sich herab. Es war sonderbar.<br />

Ich wusste nicht, was mir da geschah.<br />

»NEIN«, antwortete ich.<br />

Sofort senkte sich die Säule um mich und diese schwarze Wolke kam herab, hernieder auf alles<br />

Land, welches weit und breit um mich war, und fraß alles, was hier und dort und überhaupt war.<br />

Selbst mein Haus haben die gefressen, meine Kleidung, meine Holzfälleraxt, alles.<br />

Als ich begann, nach dieser Säule zu schlagen, biß und kratzte es mich überall und so tat ich nichts<br />

und wich, aus Angst, die Götter und Euch zu verärgern.<br />

Ich hoffe, richtig gehandelt zu haben.<br />

Spinnenwald<br />

Eine sonderbare Zeit schreiben wir.<br />

Im einen Reich wird der längst vergessene König wieder gesund.<br />

Zwar regiert das Reich schon lange eine Abordnung <strong>von</strong> Adligen, welche sich kleiner Rat<br />

nennen. Auch gibt es in diesem Reich eine Königin, die mit dem König nicht verwandt,<br />

nicht verschwägert und vor allem nicht verheiratet ist, aber nichts desto trotz gesundet der<br />

alte König wieder – und wir werden sehen, vielleicht übernimmt er bald ja wieder die<br />

Regierungsgeschäfte.<br />

In einem benachbarten Reiche, welches für lange, lange Zeit der Lichtpunkt aller Reiche<br />

am dunklen Firmament der Finsternis war und welches sich Etrorien nannte, war irgendwie<br />

eine gar ähnliche Sache ausgebrochen. Von einem Herrscher war weit und breit nichts<br />

zu sehen. Die Feinde bedienten sich im Reiche und trafen nur vereinzelt auf Widerstand,<br />

welcher aber dann durch gar finstere Mächte sehr schnell gebrochen werden konnte.<br />

Ja, Etrorien war in eben diesen Tagen trotz seiner Größe, seines Wohlstandes und seines<br />

Lichtes ein gar einsames und armes Reich. Man könnte sagen, ein gebeuteltes Reich. Doch<br />

vielleicht, ja vielleicht änderte sich ja <strong>von</strong> eben diesem Momente etwas darin, denn ich hab<br />

vernommen, dass Sonderbares dort geschehen. Vernehmet es selbst, bildet Euch Eure<br />

Gedanken; und hoffen wir für dieses Reich, dass sich alles zum Guten oder zumindest zum<br />

Besseren hin wenden möge. Vernehmt also, was geschehen ist:<br />

Der Schwarm senkte sich auf das waldige Land und fragte einige Leute dort, welches Land<br />

dies sei. Nachdem geklärt war, dass er in Etrorien sei, fing er an, dieses Gebiet zu erobern.<br />

Ohne zu fragen! Die Leute waren zu Anfang verunsichert, denn bis dahin hatte man zwar<br />

Sonderbares, aber eigentlich nichts Schlechtes <strong>von</strong> diesem surrenden Schwarm gehört.<br />

Einige wurden heraus gepickt und fortan als Sprecher der Gemeinschaft eingesetzt.<br />

Doch jene, die früher das Amt inne hatten, die durften fortan wieder Arbeiten verrichten,<br />

welche sie schon lange nicht mehr oder noch gar nie getan hatten.<br />

Selbst Bestechungen mit Honig, Essen, barer Münze oder gar Waffenandrohung interessierte<br />

den Schwarm nicht. Wobei, jener, welcher mit Waffenandrohung kam, dieser eine ist<br />

nun der-alte-Herr-ohne-Arm. Seither gibt es aber auch keine Bettler mehr in diesen Landen,<br />

denn Bettler werden vom Schwarm nicht geduldet. Jene, welche für das Volk zuständig


sind, sollen sich die Klagen anhören, dem Schwarm vortragen und dieser wiederum befindet<br />

– es ist noch nicht ganz klar, nach welchen Gesichtspunkten. Es gibt sogar Gerüchte,<br />

dass er nach Geruchspunkten entscheidet, ob der Antrag angenommen, oder – wie zumeist<br />

– abgelehnt wird.<br />

Auftrag – falsch ausgeführt<br />

Wir schreiben den Frühling im Jahre 428 n. P.<br />

Es war eigentlich eine ganz simple Sache und doch, durch die Verkettung einiger – tja,<br />

wie nennt man dies? – Umstände wurde ein einfacher Auftrag zu etwas ganz anderem, und<br />

die bis dahin friedlich und harmonische langurische Welt wurde in ihren Festen erschüttert.<br />

Nein, nein, verehrter Leser, so schlimm ward es dann doch nicht, doch ich hoffe, Sie<br />

haben Zeit und Muse, diesen Worten nun zu lauschen. Nehmen Sie sich einen Becher<br />

Wein oder besser einen guten Krug Bier und genießen sie.<br />

Es begann damit, dass die Kassen des Reiches überprüft wurden und festgestellt wurde,<br />

dass die Einnahmen nicht ganz so hoch sind. Ja, der Einzelne – dazu zähle ich auch mich<br />

– wäre froh, wenn er nur einen klitzekleinen Teil <strong>von</strong> dem Geld im Leben sehen oder gar<br />

haben könnte. Lassen wir dies, die haben zu wenig und versuchten, daraus mehr zu<br />

machen oder es nicht weniger werden zu lassen. Man schaute sich also dies an, beschloss,<br />

keine Eroberungen zu starten, und dass man etwas an den Gebäuden ändern müsse, da<br />

diese zum Teil mehr kosteten als einbrächten. So wurde mehrheitlich der Beschluss gefasst,<br />

dass eine Garnison zur Burg ausgebaut werden sollte, damit dort sich genügend Leute niederlässen,<br />

damit sich ein Markt entwickeln könne, aus dem Steuereinnahmen resultierten,<br />

die wiederum ausreichten, die Erhaltung der Gebäude zu finanzieren. An sich recht einfach,<br />

und selbst der Dümmste könnte diese Order genau so vorbringen, oder?<br />

„Halvan <strong>von</strong> Adrodd, kommet, wir haben einen Auftrag für Euch“, erschallte es im<br />

Großen Saale, wo der Kleine Rat tagte. Schnellen Schrittes kam ein junger Herr daher,<br />

kaum fünfundzwanzig Lenze zählend. Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Knie wackelten,<br />

ein Kloß steckte schwer im Hals, und seine Augen flackerten. Seine Hände rieb er an<br />

seinem Wams, aber sie wollten einfach nicht trocken werden. Trotz all diesem, was ich sah,<br />

sah ich auch Freude, Ehre und Entschlossenheit in ihm.<br />

Und dies beruhigte mich und all jene, die im Kleinen Raume tagten. „Zu Befehl“, kam es<br />

<strong>von</strong> seinen Lippen, er richtete sich nochmals auf, nun wie ein stolzer Krieger, feste Brust:<br />

„Was wünscht der Kleine Rat <strong>von</strong> mir?“ Und seine Stimme könnte ganze Festungen einbrechen<br />

lassen, so klang sie nun. Volltönend und doch … kräftig, ausführend, alles erledigend,<br />

und das Glimmen in den Augen zeigte, er würde sein Leben geben, egal, was man<br />

ihm nun auferlegte.<br />

„Ehrenwerter Halvan. Unsere Bitte an Euch wäre, dieses Schreiben mit dieser Besitzurkunde<br />

nach Blodry zu bringen. Die darin enthaltene Anweisung lautet, dass dieses Bauwerk<br />

sofort ausgebaut werden soll. Die enthaltene Urkunde ist eine Besitzurkunde und<br />

bevollmächtigt den Empfänger, für den angegebenen Betrag das Bauwerk auszubauen.“


Er verneigte sich und schritt eiligen Schrittes da<strong>von</strong>. Die anderen Wachen im Raume sahen<br />

ihm neidvoll nach, und wir, wir tagten über das nächste Thema.<br />

Was nun geschah, sind zum Teil Mutmaßungen, zum Teil Gerüchte, welche ich in langer<br />

Arbeit zusammen getragen habe, doch so oder gar ähnlich muss es sich zugetragen haben<br />

– und ich hoffe, dass man uns deswegen nicht zu sehr auslachen wird, denn es war ja<br />

eigentlich ein einfacher Auftrag, oder?<br />

Er schnappte sich sein Pferd und ein weiteres, bekam einige Münzen und ein wenig Proviant<br />

mit und ritt schon im vollen Galopp los. Selbst in den sonst so sauberen Straßen<br />

Adrodds hinterließ er eine Staubwolke, als würde eine wilde Reiterschar mordend und<br />

plündernd die Stadt heimsuchen. Am Tor war man sich nicht sicher, doch wohlweislich<br />

öffnete man es weit und ließ ihn ohne Kontrolle und Erfragen des Begehrs <strong>von</strong> dannen<br />

ziehen. In Windeseile preschte er los, ritt in den Abend, sogar bei Nacht, und auch am<br />

nächsten Morgen sah man ihn reiten und am Mittag und am Abend. Ja, es war eilig, doch<br />

diese zwo oder drei Tage mehr hätten auch keinen umgebracht. Doch dies ist der Eifer der<br />

Jugend, und ab und an steht es uns Älteren nicht zu, dies zu kritisieren. Viel mehr sollten<br />

wir uns erinnern, wie wir in dieser Zeit waren. Auch ist es doch schön, wenn ungestüme<br />

junge Kraft auf die Festgefahrenheit des Alters trifft.<br />

Er war einige Tage unterwegs, Pausen gönnte er sich und seinen Pferden nur sehr wenige.<br />

Es muss am frühen Abend oder gar in der Nacht gewesen sein. Ein tiefhängender Ast<br />

könnte es gewesen sein, denn man fand ihm früh am nächsten Morgen mit blutigem Kopfe<br />

am Bode vor einem Baume liegen. Seine zwei Pferde um ihn, brav grasend.<br />

Sanft wurde er gerüttelt, und seine Augen öffneten sich. Sofort schloss sich die eine Hand<br />

<strong>von</strong> ihm um sein Kurzschwert, während die andere nach dem Schreiben tastete. Sein noch<br />

bleiches Gesicht muss die Farbe der Freude und Liebe angenommen haben, als er das<br />

Schriftstück ertastete. Und schwupp, war er aufgesprungen, fuchtelte mit seiner Waffe wild<br />

herum und schrie – nein, er sagte es noch nicht, doch dies sei ihm zu verzeihen, denn er<br />

hatte ja „geschlafen“, als er geweckt wurde – „Wer seid Ihr? Wollt Ihr mich überfallen?<br />

Gesteht!“, und ähnliche Dinge.<br />

Doch die Waldarbeiter schauten ihn an, beäugten sich, lachten und fragten ihn langsam<br />

und beruhigend: „Wer seid Ihr und was macht Ihr hier, Herr?“ Sie deuteten auf den<br />

Boden. „Ihr lagt hier auf dem Boden und“, sich nun am Kopf kratzend, „da habt ihr eine<br />

üble Wunde.“<br />

Er tastete mit jener Hand, welche die Waffe hielt, an seine Stirn, zuckte zusammen, als er<br />

die Wunde berührte, führte sie herunter, vor die Augen – schielte – und als er das Blut an<br />

seiner Hand sah, drehten sich zuerst seine Augen, dann er selbst, und er fiel erneut hin.<br />

Man lieferte ihn im nahe gelegenen Tempel ab. Dort bekam er mehrere Tage Ruhe verschrieben<br />

und gute Kräuter, welche seine Wunden schnell heilen ließen. Von Tag zu Tag<br />

bekam er mehr Farbe ins Gesicht und trat so ins Leben sehr schnell zurück.<br />

Am vierten Tage war er dann wirklich ansprechbar, und man fragte ihn: „Wer seid Ihr und<br />

was macht Ihr hier?“


Und so räusperte er sich und bedankte sich für die Hilfe und antwortete: „Mein Name ist<br />

Halvan, und mein Auftrag ist es, dieses Pergament zu übergeben, damit der Besitzer dieses<br />

Gebäudes eben dieses ausbaue. So ist es der Wunsch des Kleinen Rates <strong>von</strong> Languria.“<br />

Er überreichte das Schriftstück, und es wurde wieder und wieder studiert.<br />

Tja, ein kleiner Schlag auf den Kopf, das Vergessen des korrekten Ortes, und anstatt eine<br />

Garnison auszubauen, wurde nun ein Tempel in Languria im Wert vieler zehntausend<br />

Goldstücke ausgebaut.<br />

So geschehen in Languria. Lachet nicht, sondern genießet die Wirren und den Willen der<br />

Götter.<br />

gez. Thorval Knockback<br />

Die magische Untersuchung<br />

Es ward im Jahre 418 oder so ähnlich n.P., und was geschehen, wird nie zu Papyr<br />

gebracht – außer für des Einen Dämonen Aug´... – doch soll hier nun erzählt werden,<br />

was sich ereignete im Reiche Langurien.<br />

Es begann damit,<br />

dass das Reich Langurien vom Schwarm zum Teil besetzt wurde und diese beiden gar<br />

unterschiedlichen Völker sich auf eine Art Zusammenarbeit einigten.<br />

Der Schwarm – man stelle sich eine große dunkle sirrende Masse vor und hält sich<br />

dabei automatisch die Hand vor den Mund und gleich danach vor die Augen, die<br />

Nase und die Ohren – ging seinen Tätigkeiten nach, welche da wären:<br />

Fressen.<br />

Während eben dieser Tätigkeit fanden diese Käfer und Fliegen und was da auch alles<br />

sein mag, etwas, womit sie nicht wirklich was anfangen konnten. Es war nicht<br />

fressbar, und somit für den Schwarm nutzlos.<br />

Doch die Menschen aus Langurien konnten dies vielleicht für irgendwas gebrauchen.<br />

Was wurde nun gefunden?<br />

Ein Reif, <strong>von</strong> silberner Art,<br />

welcher geschaffen <strong>von</strong> ihm, dem einzigen und mächtigen, dem großen, ach, was sage<br />

ich, dem Göttervater selbst 1 ,<br />

welcher verzieret eben diesen Reif mit seinen gar göttlichen Runen, um jenen, welche<br />

1 [Hier liegt wohl ein Irrtum des anonym bleiben wollenden Schreibers vor. Der Göttervater selbst würde sich nie<br />

zu Schmiedearbeiten herab lassen; d. säzzer]


an die wahre Allmacht des Einen glauben, Schutz und Hilfe in jeglicher Form zuteil<br />

werden lassen sollte.<br />

Er nahm den Gegenstand und warf ihn hoch <strong>von</strong> seinem Himmelswagen aus hinab,<br />

nach Myra, wo der Gegenstand lange, lange Zeit verschollen ward, um dann <strong>von</strong> eben<br />

besagten Käfern gefunden und als unnütz deklariert zu werden.<br />

***<br />

„Bisssssssssstttt Duuuuuuu Mennnnnscchhhhhhh?“ klang es aus der schwarzen<br />

Masse, welche sirrte und sich ständig veränderte.<br />

Verängstigt nickte ich nur, stotternd brachte ich ein „ja“ hervor.<br />

Etwas flog aus dieser schwarzen Masse heraus, silbern, rund, groß. Ein Ring, nur halt<br />

nicht für eine Menschenhand, sondern wohl für die Hand eines Riesen oder noch<br />

mächtigeren Wesens.<br />

„Bbbrrrrrrrrrrrriiiiiinnnnnnnnnnggggggeeeeee sssssss uuuuuuuu Tttteeeeemmmmm<br />

PPell“ und schon war der Schwarm fort.<br />

Gerade, als ich diesen Ring – oder war es eine Krone – anfassen wollte, umfuhr mich<br />

<strong>von</strong> diesem etwas. Es war … Magie?<br />

Es fühlte sich aber gut an, warm.<br />

Ich hielt inne und tippte diese Sache nochmals an und spürte wieder dieses sonderbare<br />

Gefühl. Es fühlt sich an, wie wenn man einer Kuh über das Fell streicht an einem<br />

schönen Sommertag und doch ganz anders. Es ist sehr schwer zu beschreiben.<br />

Ich machte mich also los.<br />

Zum Tempel. Ha, wenn die wüssten, wie weit dieser <strong>von</strong> hier ist.<br />

Und ich, ich bin doch nur ein kleiner Bauer. Was soll aus meinem Land werden?<br />

Meiner Frau und meinem Sohn, die ich zurück lassen musste, noch einen Kuss gebend,<br />

und schon machte ich mich auf. Nicht verstehend, wofür, aber wenn der uns<br />

wohlgesonnene Schwarm was will, macht man es, denn es bringt nichts, es nicht zu<br />

tun, wenn man aber was für den Schwarm tut – so heißt es – ist er sehr dankbar.<br />

Was werde ich dafür bekommen?<br />

Einen Sack voll Korn? Oder gar zwo?<br />

Pfeifend und trällernd zog ich los, über verborgene, nur mir bekannte Pfade, bis ich in<br />

einen Bereich gelangte, welchen ich noch nie beschritten.<br />

Es wurde Zeit, Nachtruh zu halten, und so suchte ich mir eine Stelle.<br />

Ich briet mir, was ich mir mitgenommen hatte, kuschelte mich unter meine Decke und<br />

gerade, als ich einschlafen wollte, fiel es mir ein. Ein Klapps an den Kopf „Das<br />

Abendgebet“, setzte ich mich nochmal auf.<br />

„Verehrter Vater, beschütze mich und meine Familie. Schütze auch mein Kind,<br />

welches noch im Bauche meiner geliebten Frau heran wächst. Es würde mich sehr


freuen, wenn es ein weiterer Sohn würde.<br />

Wobei, eine Tochter wäre auch angenehm, damit diese meiner Frau zur Hand gehen<br />

könnte. Doch dies überlasse ich Dir.<br />

Es wäre sehr schön, wenn ich heute ohne Probleme schlafen könnte. Schütze mich in<br />

der Nacht und sichere mir die Wege am Tage.<br />

Dafür danke ich Dir, großer Vater.<br />

Am Ende bitte ich Dich, schaffe, dass ich auf all meinen Wegen nicht zu hungern<br />

habe. Danke und Gute Nacht“, und schon schlief ich.<br />

***<br />

Was in der Nacht geschah, bekam der einfache Mann nicht mit. Doch gab es viele<br />

Wesen, die versuchten, sich an ihm gütlich zu tun. Und doch eines, welches dies<br />

komplett verwehrte. Diese Wesen wurden dann – naja, deren Kadaver – auf die Seite<br />

geschafft, und als er am nächsten Morgen sich dann aufmachte, fand er in der Nähe<br />

viele Pflanzen, die scheinbar über Nacht gewachsen waren, und konnte so seine<br />

Vorräte auffüllen.<br />

Als wäre ein segensreicher Regen darüber nieder gegangen, wuchs auf einmal um ihn<br />

herum alles in den schönsten Farben und trug Früchte, größer und schöner, als je zuvor<br />

gesehen.<br />

So lief dieser einfache Bauersmann, um dann am großen Tempel des Gottes Norto<br />

eben diesen Reif abzugeben.<br />

Auf die Frage „Was sollen wir damit?“ zuckte er die Schultern und ging.<br />

Von anderer Stelle erfuhren die Tempelangehörigen, dass sie <strong>von</strong> oberster Stelle den<br />

Auftrag hätten, diesen Gegenstand genauer zu untersuchen, und dem Königreiche<br />

vermelden sollten, was es denn damit auf sich habe.<br />

Hätte man den einfachen Mann gefragt, es wäre viel schneller und einfacher<br />

gegangen, doch man fragte ihn nicht; und so wird das Königreich wohl noch lange<br />

warten müssen, um zu wissen, was es damit auf sich hat - und wie man es aktiviert.


ADLERSTEIG<br />

ANFANG 424<br />

Alles hatte nahezu harmlos angefangen. Fast wäre es Agok gar nicht aufgefallen, dass die<br />

"Erwachsenen" immer längere Zeit schlafend zu verbringen schienen, und wenn sie<br />

denn wachten, so musste man ihnen manches zwei- oder dreimal sagen, bevor sie darauf<br />

reagierten. Das wiederum war nichts Besonderes, gehörte es doch zu Agoks Ausbildung,<br />

dass ihre Lehrer mitunter so taten, als hätten sie sie nicht wahrgenommen. Meist geschah<br />

dies, um sie auf einen Fehler hinzuweisen, den sie gemacht hatte, ohne sie direkt<br />

zu tadeln. Doch war sie sich in letzter Zeit keinerlei Fehler bewusst geworden, und es<br />

hatte immer mehr verstohlene Entschuldigungen <strong>von</strong> Seiten der anderen gegeben...<br />

Überhaupt schienen die Erwachsenen sie zunehmend als ebenbürtig zu behandeln,<br />

wenn man <strong>von</strong> ihrer zeitweiligen Geistesabwesenheit einmal absah. Aber Agok fühlte<br />

sich noch nicht bereit! Es waren doch noch fast drei Jahre bis zu ihrem fünfzehnten<br />

Geburtstag!<br />

Ohnehin war dies für Agok eine Zeit unheimlicher Gefühlsanwandlungen. Ihr Mentor,<br />

Herrscher über ihre Heimat, der ihr wie ein liebender Vater gewesen war, seit sie vor<br />

über sechs Jahren nach Ter-A-took gekommen war, um ihre Ausbildung zu beginnen,<br />

schien nicht bemerken zu wollen, dass Agok ihn aufrichtig liebte... nicht wie einen Vater,<br />

sondern wie einen Mann! Zu gern hätte sie sich augenblicklich in seine starken Arme<br />

gekuschelt und sich <strong>von</strong> seinen zärtlichen Küssen verwöhnen lassen... Zumindest nahm<br />

sie an, dass seine Küsse nichts anderes als zärtlich sein konnten. Fast jede Nacht lag sie<br />

wach und erging sich in lustvollen Phantasien der Liebe, doch blieb ihre Sehnsucht<br />

unbeantwortet. Schlimmer noch, wirkte auch der Mann ihrer Träume mitunter abwesend,<br />

ja manchmal gar wie erstarrt...<br />

Es war ein regnerischer Frühlingstag im Mond des Falken, als Agok einer ihrer Phantasien<br />

als Tagtraum erlegen war, und sich plötzlich in den Armen ihres Geliebten (so betrachtete<br />

sie ihn jedenfalls, auch wenn das trotz all ihrer Sehnsüchte nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen<br />

schien) wiederfand, dessen offensichtlich besorgtes Gesicht über sie gebeugt war, als<br />

er sie gerade auf ihr Bett legte. Noch ehe sie richtig zu sich kommen konnte, waren ihr<br />

schon die Worte entschlüpft, die sie hätte schon viel früher sagen sollen: "Ich liebe<br />

Dich."<br />

Der Hauch eines Lächelns umspielte die Züge des Mannes, und zu ihrer größten Überraschung<br />

antwortete er ihr: "Ich weiß". Und da geschah es, was sie sich so lange gewünscht<br />

hatte: er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Lippen, sanft und liebevoll,<br />

noch viel zärtlicher, als sie sich hätte vorzustellen vermocht, während seine Hände ihren<br />

Leib liebkosten, so dass sie in einem Sturm der Lust zu vergehen drohte...


Als Agok wieder zu Sinnen kam, hatte Barn-taak ihre Kammer bereits verlassen, und sie<br />

stellte fest, dass ihre eigene Hand es war, die ihre empfindsamste Stelle in liebevoller<br />

Berührung umschmeichelte. War etwa alles nur ein Traum gewesen? Oder besser<br />

gefragt: wieviel <strong>von</strong> alledem war Traum, und was war Wirklichkeit gewesen? Doch wurden<br />

diese Überlegungen unterbrochen <strong>von</strong> gedämpften Stimmen, die vor ihrer Kammer<br />

zu hören waren. Der besorgte Unterton war nicht zu überhören, auch wenn sich die einzelnen<br />

Worte nicht unterscheiden ließen. Neugierig geworden, stand Agok leise auf, und<br />

schlich sich, ihrer Nacktheit nicht achtend, zur Tür ihrer Kammer und legte ihr Ohr an<br />

das Türblatt, das kunstvoll aus Ter-briik gefügt war. Zwar immer noch gedämpft, konnte<br />

sie nun einzelne Worte ausmachen, und je mehr sie sich konzentrierte, umso mehr fügten<br />

sich diese zu ganzen Sätzen zusammen. Was sie hörte, jagte ihr einen gehörigen<br />

Schrecken ein. Von "Zeitpest" war da die Rede, und dass die "Zeitstarre" nun sogar die<br />

Taadrai erfasst habe. Damit war sie gemeint. Sie riss die Tür auf und adressierte die beiden<br />

Männer mit ihrer entrüsteten Frage: "Was hat irgendeine Zeitpest mit mir zu tun?"<br />

Einen Moment lang hätte man fast meinen können, die Zeitstarre hätte nun die Angesprochenen<br />

erfasst, doch nach einem Augenblick des erschrockenen Entsetzens löste<br />

sich der ältere der beiden, Tor-tenak, der Agoks zweiter Mentor war, aus der Erstarrung<br />

und betrachtete die Taadrai mit dem Anflug eines amüsierten Lächelns, wobei er sie <strong>von</strong><br />

oben bis unten musterte. Offenbar schien ihm zu gefallen, was er sah, und nachdem er<br />

sich endlich vom Anblick ihres verführerischen Körpers losreißen konnte, legte er dem<br />

Mädchen eine Hand vertraulich auf die Schulter und sagte: "Es wäre längst Zeit gewesen,<br />

dass sich Barn-taak Deiner angenommen hätte, wie es einer jungen Frau gebührt - er<br />

scheint es endlich eingesehen zu haben. Was nun die Zeitpest angeht, meine Liebste, so<br />

hatten wir gehofft, Dich nicht damit belasten zu müssen. Doch es lässt sich nicht länger<br />

vermeiden. Komm mit zu Barn-taak, dort werden wir alles besprechen."<br />

Agok zog kurz in Betracht, sich zunächst anzukleiden, entschied sich dann aber dagegen.<br />

Der Anblick ihres Körpers war den Bewohnern der Zitadelle hinlänglich vertraut, so dass<br />

sie daraus kein Geheimnis zu machen brauchte. Außerdem hegte sie die stille Hoffnung,<br />

ihre Blöße könnte Barn-taak zu weiteren Liebesbezeugungen anstacheln, wenn sie ihm<br />

so gegenübertrat. Und letztlich bewies sie ihm damit auch, dass sie ihm rückhaltlos vertraute.<br />

Sie warf noch einen letzten Blick in ihre Kammer, und aus einem Impuls heraus,<br />

den sie nicht hätte erklären können, griff sie nach ihrem langen Bogen und dem dazugehörigen<br />

Köcher, der mit Pfeilen bestückt war, die sie selbst hergestellt hatte.<br />

Die kleine Prozession, deren dritter Angehöriger, der stellvertretende Festungskommandant<br />

Tamyr-basilik, seine Augen nicht <strong>von</strong> Agok losreißen konnte (was sie zu seinem<br />

Leidwesen geflissentlich ignorierte), durchquerte eiligen Schrittes einige weitläufige<br />

Korridore der riesenhaften Festungsanlage der Biraka-A-natook. Schließlich langten sie<br />

in der Haupthalle an, die durch die imposante Fenstergalerie großzügig mit - wenn auch<br />

aufgrund des trüben Wetters gedämpftem - Licht durchdrungen war. Plötzlich überkam<br />

Agok der Wunsch, es möge strahlender Sonnenschein durch die Große Halle fluten. Und


tatsächlich brach plötzlich Aros Scheibe durch den Wolkenschleier, und goldenes Licht<br />

tauchte den weißen Granit der Halle in funkelndes Glühen. Wiewohl sich Agok dessen<br />

bewusst war, dass nicht ihr Wunsch den plötzlichen Sonnenschein ausgelöst hatte,<br />

konnte sie sich des Gefühls eines gewissen Zusammenhangs nicht erwehren. Als ob ihr<br />

Wunsch das Ereignis vorausgeahnt hätte...<br />

Und da erschien auch schon ihr Angebeteter, und im Unterschied zu denen des jüngeren<br />

ihrer beiden Begleiter waren ihr Barn-taaks Blicke, die dieser anerkennend auf ihrer sonnenbestrahlten,<br />

wohlgeformten Figur ruhen ließ, keineswegs gleichgültig. Im Gegenteil,<br />

sie überspülten sie mit einer Woge wohligen Verlangens. Ihr Geliebter erkannte wohl,<br />

was sie fühlte, und mit bedächtigen Schritten und voller Bewunderung näherte er sich<br />

ihr, hob seine Hände und umfing zärtlich ihre Brüste, liebkoste ihre zarten Knospen, und<br />

seine Lippen suchten die ihren, um sich in einem innigen Kuss zu vereinen, während sie<br />

die Schwellung seiner Lust an ihrem Schenkel spürte...<br />

Tor-tenak und Tamyr-basilik schritten, ins Gepräch vertieft, an der Fenstergalerie auf<br />

und ab, während sie die Liebenden ihrem Rausch überließen. Im derzeitigen Gemütszustand<br />

der Taadrai wäre es wohl zwecklos gewesen, ein ernsthaftes Gespräch anfangen zu<br />

wollen, und Tor-tenak bewunderte einmal mehr die Weisheit seines einstigen Schülers,<br />

der genau den richtigen Zeitpunkt getroffen hatte, um Dir-agok endlich die ersehnte<br />

Liebe zu schenken. Ihm fiel nicht auf, dass Basiliks Gesicht röter war als es hätte sein<br />

müssen. Nun, Basilik gehörte auch nicht zu denen, für die er die Verantwortung trug,<br />

ganz im Gegensatz zu der jungen Taadrai. Im Geiste ließ er die sechseinhalb Jahre Revue<br />

passieren, seit er dieses außergewöhnliche Mädchen nun schon kannte -<br />

Es war ein klirrend kalter Wintertag Ende 417, als die fast sechs Jahre zählende Dir-agok nach<br />

Ter-A-took gebracht wurde. Ihr zwölf Jahre älterer Bruder Megot begleitete sie überall hin. Doch<br />

wenn man die beiden so sah, konnte man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass<br />

der Altersunterschied anders herum wäre. Und damit nicht genug, kam die Kleine - wenn auch<br />

noch etwas unbeholfen - auf einem Ter-geek dahergeritten. (Unwillkürlich fühlte sich Tor-tenak<br />

an einen noch viel weiter entfernten Tag zurückerinnert, als der junge Barn-terak, ebenfalls<br />

stolz auf seinem Ter-geek reitend, in die Hauptstadt einzog...) Bemerkenswert, wenn man<br />

bedachte, dass normalerweise erst erfahrene Reiter reiferen Alters in der Lage waren, diese<br />

eigensinnigen Tiere zu beherrschen ...<br />

Wie ein Wirbelwind durchstreifte die Kleine die Zitadelle, und jeder, der sie sah, war <strong>von</strong> ihr verzaubert.<br />

Außer vielleicht den eingefleischten Kriegsveteranen, denen die kleine Agok schon zwei<br />

Jahre später im Bogenschießen die Schau stahl. Tenak konnte sich an keinen Ter-baak erinnern,<br />

der es mit Agok hätte darin aufnehmen können. Am bemerkenswertesten war jedoch ihre<br />

scheinbare Fähigkeit, Dinge vorauszuahnen, noch bevor sie sich ereigneten. Immer wieder war<br />

ihm, und auch Barn-taak, aufgefallen, dass Agok plötzlich innehielt, und im nächsten Moment<br />

geschah irgend etwas Ungewöhnliches. Es häuften sich die "Zufälle", bei denen Agoks vorausschauendes<br />

Handeln ein Unglück verhindern oder eine glückliche Fügung begünstigen konnte.<br />

Insofern schien man sich keine Sorgen um sie machen zu müssen. Bei diesem Gedanken musste<br />

Tor-tenak unwillkürlich schmunzeln...


Mit einem Teil seines Geistes jedoch verblieb Tor-tenak bei seiner Unterhaltung mit<br />

Basilik. Diese Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit gleichwertig aufzuteilen, ohne dass<br />

jeweils das eine unter seiner Zuwendung zu dem anderen litt, zeichnete ihn seit frühester<br />

Jugend aus, und in den Jahrzehnten seines Dienstes für das Reich und für den Schütterer<br />

hatte er sie weiter verfeinert. Daher entging ihm auch nicht, dass mittlerweile Diragok,<br />

liebessatt, rittlings auf Barn-taaks Schoß saß, diesem zugewandt, und ihm fast feierlich<br />

in die Augen blickte. Offenbar war sie jetzt bereit, sich dem drängenden Problem<br />

der Zeitpest zu stellen.<br />

Gerade als Tor-tenak zu diesem Schluss gekommen war, sah er ihn bestätigt, denn Barntaak,<br />

der Agok um die Taille umfasst hielt, schaute zu ihnen herüber, und sein Blick<br />

gebot, nun dem Ernst der Lage die volle Aufmerksamkeit zu widmen. So erfuhr also Diragok,<br />

noch mit dem Stachel der Lust in ihrem Leib, aber vorerst befriedigt genug, um<br />

ihren Geist ernsthaften Angelegenheiten zuwenden zu können, <strong>von</strong> den beunruhigenden<br />

Ereignissen der letzten Wochen. Immer wieder war beobachtet worden, wie ganz<br />

normale Vorgänge plötzlich unterbrochen wurden, als wäre die Zeit vorübergehend<br />

erstarrt: die Wassertropfen des Gerez-syrik zum Beispiel hielten bei ihrem Fall in die Tiefe<br />

Schlucht plötzlich inne, wobei nachfließendes Wasser auf das stehengebliebene traf<br />

und dadurch in anmutigen Schleiern zerstäubte. Während dies noch Ausrufe der Bewunderung<br />

bei den Beobachtern hervorrief, waren andere Vorgänge alles andere als harmlos.<br />

Einzelne Menschen wie Tiere erstarrten hin und wieder für kurze Zeit mitten in<br />

ihrem Tun, und derartige Aussetzer hatten - begünstigt durch die abschüssigen Bergflanken<br />

- schon zu einigen Unfällen geführt. Es gab sogar bereits die ersten Todesfälle.<br />

Einer <strong>von</strong> diesen hatte sich letzte Woche ereignet, als ein Krieger der Stadtwache beim<br />

Hantieren mit einem Speer plötzlich erstarrte. Der Speer war seinem Griff entschlüpft<br />

und <strong>von</strong> der Mauerkrone gestürzt, auf der der Krieger gerade patroullierte. Als er 50<br />

Schritt tiefer auf einen Wehrgang fiel, traf der entwischte Speer einen dort stehenden<br />

Heerführer und durchbohrte dessen Schädel...<br />

Plötzlich erhob sich Agok, nunmehr bar jeder Wonne, ergriff ihren Bogen, spannte ihn,<br />

legte einen Pfeil ein, und - es waren noch keine zwei Herzschläge in ihrer Brust verklungen,<br />

seit sie sich in Bewegung gesetzt hatte, und das, obwohl ihr Herz raste vor Aufregung<br />

und noch immer vom Echo der Lust - schoß ihn ab. Es konnte kein Zweifel bestehen,<br />

dass der Pfeil den Rahmen des großen Spiegels am gegenüberliegenden Ende der<br />

Großen Halle genau an seinem Scheitelpunkt getroffen hätte, wenn er nicht - mitten in<br />

der Luft zum plötzlichen Stillstand gekommen wäre. Agok eilte hinzu und pflückte den<br />

Pfeil aus der Luft, doch spürte sie, wie sie kurz nach der Berührung selbst für den Bruchteil<br />

einer Sekunde erstarrt war. Tief in Gedanken versunken kehrte sie zu den Männern<br />

zurück. In einem entfernten Winkel ihres Verstandes registrierte sie, dass sie sich nunmehr<br />

wirklich als ebenbürtig empfand und jeden Rest ihrer Scheu vor den "Erwachsenen"<br />

abgelegt hatte. Sie war vom Mädchen zur Frau geworden. Es war freilich für eine<br />

Taadrai nichts ungewöhnliches, dass so etwas im zarten Alter <strong>von</strong> zwölf Jahren geschah.


MITTE 424<br />

Innerhalb des ersten Vierteljahres, seit Barn-taak ihre Liebe endlich erwidert hatte,<br />

häuften sich die Fälle <strong>von</strong> Zeitstarre im ganzen Reich. Es wurde gar <strong>von</strong> einem ganzen<br />

Provinzheer berichtet, das über eine Stunde mitten im Trab bei der Duchquerung des<br />

Tals des Kalten Nebels verharrt hatte, ganz so als hätte der Frost sie allesamt einfrieren<br />

lassen. Diese Vorstellung war natürlich vollkommener Unsinn. Kein Unsinn war leider,<br />

dass infolge der Erstarrung mitten in der frostigen Kälte einige der Reiter tatsächlich<br />

erforen waren, andere hatten Teile ihrer Gliedmaßen durch Erfrierungen verloren, und<br />

fast alle anderen lagen noch Wochen mit schweren Erkältungsbeschwerden darnieder.<br />

Doch am meisten schmerzten Agok die Stunden, in denen sie hilflos zusehen musste, wie<br />

ihr Liebster steif und bewegungslos allen Lebens beraubt schien. Ja nicht einmal ein Zeichen<br />

der Atmung oder seines Herzschlages war mehr zu erkennen. Fast noch mehr<br />

schreckte sie der Gedanke, welche Ängste er durchleben musste, wenn sie selbst in einen<br />

derartigen Zustand verfiel.<br />

Genau wie Barn-taak suchten natürlich alle Gelehrten und Weisen des Reiches nach<br />

irgendeiner Lösung für die um sich greifende Zeitpest, oder die "Große Stille" (Sylperteek<br />

in der Sprache der Ter-baak), wie das Phänomen im Volksmund genannt wurde. Ein<br />

Ritual, das <strong>von</strong> Birkan aller Gottheiten des Reiches (allen voran natürlich der Herrscher<br />

als Talarka-birkan und Tor-tenak als Kerbatu-birkan) entwickelt wurde, ermöglichte es<br />

zumindest, einzelne Personen für eine begrenzte Zeit - entweder <strong>von</strong> Sonnenuntergang<br />

bis Sonnenaufgang oder anders herum, oder vom Beginn eines Regens oder Sturmes bis<br />

zu seinem Ende - vor den Auswirkungen der Sylperteek zu schützen. Doch wurde es<br />

immer aufwändiger, dieses Ritual zum Erfolg zu führen. Und allmählich begann die Hoffnung<br />

zu schwinden, dass nicht am Ende alles in einer großen Starre einfrieren würde.<br />

Dies war die Situation, in der Dir-agok es sich in den Kopf setzte, nicht länger warten zu<br />

wollen. Zwar wurden Frauen üblicherweise nicht vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr<br />

initiiert, da die Austragung der dabei gezeugten Zwillinge eine erhebliche Belastung darstellte,<br />

die man einem jungen Mädchen nicht ohne Not aufbürden wollte. Doch an Not<br />

mangelte es nun wohl nicht mehr. Also begab sich Agok, wieder einmal nur in die Pracht<br />

ihres makellosen Leibes gehüllt, zu ihrem Geliebten, Mentor und Herrscher. In allen drei<br />

dieser seiner Funktionen begehrte sie nichts mehr, als endlich <strong>von</strong> ihm in die Mysterien<br />

des Steinkreises eingeführt zu werden. Diese rituelle Weihe ließ seit zehntausenden <strong>von</strong><br />

Jahren jeder Anwärter auf eines der wichtigen Reichsämter über sich ergehen, und auf<br />

Agok wartete das wichtigste Amt überhaupt, das derzeit noch ihr Liebster innehatte.<br />

Kaum hatte sie die Tür <strong>von</strong> Barn-taaks Gemach hinter sich zugezogen, hörte sie ihn<br />

sagen: "Liebste, ich muss mit Dir über Deine Initiation sprechen".<br />

Wie vom Donner gerührt verharrte Agok am Eingang, und schon begann sich in den<br />

Zügen ihres Geliebten die Angst abzuzeichnen, <strong>von</strong> der sie wusste, dass er sie jedes Mal


durchlebte, das sie <strong>von</strong> der Zeitstarre befallen wurde. Schnell riß sie sich zusammen, und<br />

sie sah, wie sich Barn-taak erleichtert entspannte, als sie leichten und geradezu aufreizend<br />

tänzelnden Schrittes auf ihn zukam. Soviel Zeit musste noch sein, um sich mit ihm<br />

in Liebe zu vereinigen, bevor sie ihre Initiation diskutierten. Und richtig, sie verfehlte<br />

ihre Wirkung auf den Mann nicht, der sich einladend lasziv auf sein Bett räkelte, ihre<br />

Hand ergriff und sie zu sich herabzog...<br />

Dieses Mal glaubte Agok die Liebe mit Terak - so würde sie ihn bald nennen können -<br />

besonders intensiv zu erleben. Ermattet drehte sie sich nach dem ausgiebigen Liebesspiel<br />

zu ihm um, lächelte und flüsterte, als Antwort auf seine einleitenden Worte <strong>von</strong> vorhin,<br />

als sie vor etwas mehr als einer Stunde hereingekommen war: "Genau deswegen bin<br />

ich zu Dir gekommen, Liebster". Einmal mehr hatte ihr Gedanke eine sich anbahnende<br />

Entwicklung vorweggenommen, und sie beide wussten es. Daher wunderte sich Agok<br />

auch nicht, als ihr Geliebter sie fragte: "Was wird geschehen?"<br />

Ihre Antwort stimmte sie selbst traurig: "Das Schlimmste. Nur wenige werden verschont<br />

bleiben, und für diese naht die Rettung bereits." Sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten,<br />

als sie hinzu setzte: "Nicht für Dich, Liebster..." Es war eine andere Art der Liebe, die<br />

die beiden in den nächsten Stunden verband, nämlich die verzweifelte Suche nach<br />

gegenseitigem Trost, die auch den Großen und Mächtigen nicht fremd ist...<br />

In der nächsten Woche waren die zunehmenden Vorfälle <strong>von</strong> Zeitstarre zwar noch<br />

immer eines der wichtigsten, aber nicht mehr das einzig wichtige Gesprächsthema in<br />

der Hauptstadt, denn die Aufregung über die nun bekannt gewordene Verlobung des<br />

Herrschers mit seiner designierten Nachfolgerin sowie die Gerüchte über deren bevorstehende<br />

Initiation verdrängten vorübergehend die überwältigende Sorge wegen der<br />

Zeitpest und der erfolglosen Suche nach irgendwelchen Lösungen für dieses Problem.<br />

Große Spekulationen wurden darüber angestellt, ob denn nun Dir-agok bei der Heirat in<br />

den Clan der Barn übertreten würde oder anders herum. Die erstgenannte Lösung hätte<br />

den amüsanten Nebeneffekt, das Barn-taak als Herrscher wiederum <strong>von</strong> Barn-taak abgelöst<br />

werden würde, denn der Name des Herrschers beinhaltet immer die Kurzform des<br />

Titels, "-taak", der wiederum der Name des Clans des Herrschers vorangestellt ist. Würde<br />

Dir-agok bei der Heirat in ihrem Clan verbleiben, so würde sie irgendwann als Dir-taak<br />

die Herrschaft über Tarn-A-tuuk übernehmen. Doch bei ihrem Übertritt in den Clan des<br />

Bräutigams würde aus Dir-agok Barn-agok, und bei der Übernahme der Herrschaft dann<br />

eben Barn-taak werden. Die einhellige Meinung der Öffentlichkeit schien darauf hinauszulaufen,<br />

diese durchaus amüsante Variante zu bevorzugen. Niemand ahnte, dass genau<br />

dies bereits beschlossene Sache war, denn nur das Brautpaar und Tor-tenak wussten<br />

da<strong>von</strong>.<br />

Deren größte Sorge war indes, dass die Hochzeit erst stattfinden konnte, wenn Dir-agok<br />

die Volljährigkeit erreichte, also in über zweieinhalb Jahren. Und niemand, nicht einmal<br />

Agok, konnte ahnen, wie weit die Zeitpest bis dahin um sich gegriffen haben würde.<br />

Einzig dessen war sich Agok leider sicher, dass ihr Bräutigam auf die Dauer nicht verschont<br />

bleiben würde. Doch wie lang war diese Dauer? Zumindest lang genug, um


wenigstens ihre Initiation in die Mysterien des Steinkreises, der vor 100 560 Jahren <strong>von</strong><br />

Teral für Darnyma errichtet worden war, durchführen zu können, hoffte sie.<br />

In dieser Hoffnung sollte sie sich bestätigt sehen. Noch bevor der Sommer dem Herbst<br />

wich, wurde die kleine Prozession, die neben Agok <strong>von</strong> ihren beiden Mentoren gebildet<br />

wurde, <strong>von</strong> Sylt-brakat zum Bakurf-Ter, dem Hügelfels des Heiligen Steinkreises, geführt.<br />

Brakat war ein Jüngling <strong>von</strong> 21 Jahren, und wer wie Agok ein guter Beobachter war,<br />

konnte deutlich erkennen, wie enttäuscht er darüber war, der Initiation der Taadrai nur<br />

als Zeuge beiwohnen zu dürfen, statt sie selbst durchzuführen, wie es seit Jahrtausenden<br />

das Stammrecht derjenigen Sylt war, die ihrerseits selbst aus einem Initiationsritual hervorgegangen<br />

waren.<br />

Allerdings war es genauso das Recht des Tuuk-Or-taak, die Initiation der Taadrai selbst<br />

durchzuführen, sofern darüber gegenseitiges Einvernehmen herrschte. Und <strong>von</strong> niemandem<br />

hätte es sich Barn-taak nehmen lassen, seine Geliebte selbst einzuweihen, und<br />

diese wäre darüber auch ziemlich erbost gewesen. Am Morgen hatten sich beide einem<br />

aufwändigen Zeitbann-Ritual unterzogen, das sie zumindest bis zum Sonnenuntergang<br />

vor der Zeitpest schützen würde. Einige Schaulustige in der jubelnden Menge, die den<br />

Weg der Prozession säumte, schienen allerdings merkwürdig weggetreten zu sein, Opfer<br />

der Zeitstarre. Schließlich erklomm Sylt-brakat, gefolgt <strong>von</strong> Dir-agok, Tor-tenak und<br />

Barn-taak, die Flanke des Bakurf-Ter. Nur wenige Minuten später erreichten sie den Gipfel,<br />

der <strong>von</strong> einem Kreis aus zwölf aufrecht stehenden Steinstelen gekrönt war. Gebete an<br />

Talarka und Kerbatu wurden gesprochen, und das Ritual der Initiation begann.<br />

Barn-taak führte nun Agok zu der ersten Stele, die gen Lychnos errichtet war, und er<br />

sprach zu ihr, gemäß dem überlieferten Wortlaut: "Lege Deine Hände auf diesen Stein,<br />

und Du wirst sehen."<br />

Sie folgte seiner Anweisung, und als sie die Stele berührte, wurde ihr, gleichsam wie in<br />

einer Vision, das gesamte Tarn in all seinem Umfange offenbar, mit all seinen Höhenzügen<br />

und Tälern, seinen höchsten Gipfeln und tiefsten Schluchten. Und Agok sprach,<br />

ebenfalls nach dem genauen Wortlaut der Überlieferung: "Ich habe es gesehen, und dies<br />

wird meine Heimat sein."<br />

Genauso führte Barn-taak sie <strong>von</strong> einer Stele zur nächsten, immer mit den Worten<br />

Terals, die vor 100 560 Jahren zum ersten mal gesprochen wurden, während Agok ihm<br />

mit den Worten Darnymas antwortete, nachdem sie eine jede Stele berührt und die entsprechende<br />

Vision gesehen hatte. Ihr wurden die Lage und Anordnung aller heißer Quellen<br />

des Tarn, der Nutzen und die Nutzbarkeit allen Getiers, Pflanzenwuchses und<br />

Gesteins im ganzen Tarn, seine sämtlichen Gewässer vom kleinsten Bach bis zum reißendsten<br />

Strom, die Geheimnisse der Baukunst und des Bergbaus, das Gesicht der<br />

Gebirgsfestung Ter-A-took, das sich in nichts <strong>von</strong> dem unterschied, was sie zu ihren<br />

Füßen sah, wie auch noch ein paar andere Mysterien des Tarn offenbart, bevor sie zur<br />

letzten, nach Anthos gewandten Stele kam.


Diese war es, auf die sie am sehnsüchtigsten gewartet hatte, denn vieles <strong>von</strong> den vorangegangenen<br />

Visionen war ihr bereits bekannt. Jedoch keine Kenntnis oder Weisheit<br />

konnte die unermessliche Kraft der letzten Stele bzw. des Aktes der Vereinigung, den<br />

ihre Berührung einleitete, ersetzen. Und dieses eine Mal sehnte sie sich nach der Vereinigung<br />

mit ihrem Geliebten nicht nur ihrer Liebe wegen, sondern wegen der Bedeutung<br />

des Aktes! Mit leichtem Zittern löste Agok ihr Gewand. Mit ungewohnter Scheu - hatte<br />

sie doch schon viele Male ihrem Geliebten beigelegen - kam sie in die genaue Mitte des<br />

Steinkreises, und nun überließ sie sich ganz dem Mann, der sie zur Frau gemacht hatte,<br />

und der sie nun zu einer Weisen machen würde - Barn-taak...<br />

Eine leichte Erschütterung duchlief den Hügelfels, ähnlich der, die durch Agoks Körper<br />

zuckte, als sie den Höhepunkt erreichte und seinen Samen empfing, und eine Lawine<br />

magischer Energie duchströmte ihren Geist und Leib. Vor Erregung zitternd, sprach sie<br />

die abschließenden Worte des Rituals, die ihre Initiation besiegelten, genauso, wie sie<br />

vor 100 560 Jahren <strong>von</strong> Darnyma zu Teral gesprochen wurden: "Ich habe gesehen, und<br />

dieses wird der Ursprung meines Volkes sein."<br />

Natürlich besaßen diese Worte keinerlei inhaltliche Bedeutung mehr - allein auf ihre<br />

rituelle Bedeutung kam es an. Deshalb auch sprach Dir-agok sie in der alten Sprache der<br />

Talar, die heutzutage nur noch <strong>von</strong> den gelehrtesten Weisen des Reiches verstanden<br />

wird.<br />

Die nächsten Wochen verbrachte Dir-agok in ständiger Gesellschaft <strong>von</strong> Sylt-brakat. Er<br />

würde bis zur Geburt der Zwillinge, die nun in ihrem Leib heranwuchsen, bei ihr bleiben,<br />

und dann die Neugeborenen für den Clan Sylt in Empfang nehmen. So war es schon<br />

immer das Vorrecht der Sylt gewesen, diejenigen Kinder in ihren Clan aufzunehmen, die<br />

bei einer Initiation im Steinkreis des Bakurf-Ter gezeugt wurden... schon immer... Kreislauf<br />

der Zeit... Zeitstille... heranwachsendes Leben... in ihrem erstarrtem Leib...<br />

Schweißgebadet wachte Agok eines Nachts aus ihrem Alptraum auf.<br />

Warum musste sie in ihren Traumvisionen auch ausgerechnet in die Rolle der versteinerten<br />

Darelka schlüpfen? Woher kamen diese Träume?<br />

Sylt-brakat neben ihr bedachte sie mit einem sorgenvollen Blick. Oh ja, Sorgen gab es<br />

viele. Mit Beginn des Herbstes waren viele Landstriche des Reiches bereits dauerhaft <strong>von</strong><br />

der "Großen Stille" betroffen. Die Euphorie in der Hauptstadt, die durch Dir-agoks Initiation<br />

ausgelöst worden war, ebbte rasch wieder ab, als zunehmend deutlich wurde, dass<br />

die Zeitstarre nicht mehr nur jeweils kurzzeitig einzelne Personen oder Gruppen betraf,<br />

sondern immer mehr Menschen auf ewig (wie es schien) in Starre versetzt wurden...<br />

WINTER 424<br />

Vier Monde wuchsen nun die Zwillinge bereits in Agoks Leib heran, als an einem der ersten<br />

kalten Wintertage Sylt-brakat, ihr ständiger Begleiter der letzten Wochen, in Zeitschlaf<br />

verfiel, aus dem er nicht wieder erwachte. Und nun wusste Agok, dass es nicht<br />

mehr lange dauern würde, bis Barn-taak das gleiche Schicksal ereilte. Sie verbrachte


zwei Wochen fast ununterbrochen mit ihm, um jeden Moment der verbliebenen Zeit<br />

auskosten zu können. Der Winter hatte nunmehr schon Einzug gehalten, und eine merkwürdige<br />

Schneekante hatte sich am Absturz des Biraka-Ter-abuuk gen Anthos gebildet,<br />

wo eine große Masse abstürzenden Schnees einfach mitten in der Bewegung stehen<br />

geblieben war. Und gerade als das Paar eines klirrend kalten Abends an dieser Kante vorbeispazierte,<br />

erstarrte Barn-taak. In diesem Moment wusste Agok, dass er nicht wieder<br />

erwachen würde, solange die Zeitpest nicht <strong>von</strong> Kiombael hinweggenommen sein würde...<br />

Sechs Tage später quälte sich ein fahrender Händler die vereiste und <strong>von</strong> Schneeverwehungen<br />

fast verschüttete Straße zur Festung Ter-A-took hinauf. Dir-agok beobachtete<br />

sein Kommen <strong>von</strong> der höchsten Zinne des gewaltigen Stadttores vor der Außenstadt,<br />

bereit, notfalls mit einem Bewegungszauber einen möglichen Absturz des Händlers zu<br />

verhindern. Denn sie wusste um das, was er brachte: die Hoffnung für einige wenige, der<br />

Zeitpest zu entkommen. Es war das wohl begehrteste Mineral dieser Tage auf ganz Kiombael:<br />

Achronit. Wie viele würde sie retten können? Würden die wenigen den Winter<br />

überstehen? Und könnten sie etwas tun für die Rettung der Nation? Auf diese Fragen<br />

wusste selbst Agok noch keine Antwort. Doch sie hatte sich geschworen, nicht zu ruhen,<br />

bis eine Lösung gefunden war. Und sie hatte eine unbestimmte Ahnung, dass die Lösung<br />

an einem weit entfernten Ort ihrer Entdeckung harrte...<br />

Es hatte sie fast das gesamte Reichsvermögen gekostet, dem Händler all seinen Restbestand<br />

an Achronit abzukaufen. Woher er es hatte, blieb sein Geheimnis. Und Dir-agok<br />

wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn überwältigen zu wollen, selbst wenn die Verlockung<br />

groß war. Wer mit so wertvoller Fracht unterwegs war, der hatte für seinen Schutz<br />

gesorgt. Den Winter über war er Gast auf der Zitadelle geblieben. Zumindest war auf diese<br />

Weise Kunde über die restlichen Teile des Gorganischen Festlandes <strong>von</strong> Kiombael<br />

nach Ter-A-took gelangt, denn der Reisende hielt mit anderen seinesgleichen offenbar in<br />

magischem Kontakt hin und wieder kurze Kommunikation.<br />

Von überall her kamen die gleichen Nachrichten. Scharen <strong>von</strong> Vogelwesen aus Muu-<br />

Taay, die mitten im Fluge erstarrten, wobei nicht wenige <strong>von</strong> ihnen zu Tode stürzten.<br />

Sandstürme in der Steppe der Theng-Nomaden, die plötzlich zu undurchdringlichen<br />

Sandgebirgen erstarren, eine eingefrorene Schlacht zwischen den letzten Kriegerinnen<br />

Grandujas und marodierenden Orks, die wundersame Rettung einer Schiffsbesatzung im<br />

Krakenmeer, deren untergehendes Schiff beim Sinken innehielt, wo<strong>von</strong> die Besatzung<br />

glücklicherweise nicht betroffen war...<br />

Doch je mehr der Winter voranschritt, umso mehr wurden es Nachrichten <strong>von</strong> vollkommenem<br />

Stillstand allenthalben, <strong>von</strong> dem nur diejenigen verschont blieben, die durch ein<br />

Splitterchen des Zeitbannminerals, des kostbaren Achronits, geschützt waren.


FRÜHJAHR 425<br />

Zu Beginn des neuen Jahres war der Händler (auch seinen Namen hatte er für sich behalten)<br />

wieder abgereist. Nur wenige waren verblieben, die in Ter-A-took und der näheren<br />

Umgebung der Festung noch nicht der Zeitpest zum Opfer gefallen waren. Doch es war<br />

kein einziger Angehöriger des Clans Sylt unter denen, die verschont geblieben waren.<br />

Dabei stand nunmehr die Geburt der Zwillinge, die nach jahrzehntausendelanger Tradition<br />

ebendiesem Clan gehörten, unmittelbar bevor. Undenkbar schien es, diese Tradition<br />

erstmals seit Menschengedenken zu durchbrechen, und dennoch unausweichlich. Diragok<br />

war sich auch durchaus darüber im Klaren, dass es nicht die letzte Tradition bleiben<br />

würde, mit der zu brechen sie gezwungen sein wird...<br />

Die Geburt war Agoks schrecklichste Erfahrung in ihrem bisherigen Leben, schlimmer<br />

noch als die Agonie ihrer Trauer um Barn-taak. Als das Mädchen sie als erstes verlassen<br />

hatte, und der Schmerz vorübergehend nachließ, war die Gewissheit, genau das Gleiche<br />

unmittelbar darauf nochmals durchstehen zu müssen, der einzige beherrschende Gedanke<br />

in Agoks Geist, und er hatte die Farbe und den Geruch nackter Angst. Ja, Agok<br />

schmeckte die Angst, atmete sie mit jeder Pore, und der dann wieder einsetzende<br />

Schmerz war fast eine Erlösung, denn er verdrängte die Angst, ließ keinen Platz mehr<br />

für sie.-<br />

Es dauerte einige Minuten - oder Stunden? - bis Agok sich dessen bewusst wurde, dass es<br />

vorbei war. Zwei kleine Bündel lagen an ihren Brüsten, und sie spürte das Schmatzen an<br />

ihren Warzen, als die Kleinen hungrig saugten. Fast kam es ihr vor, als ob sie sie aussaugen<br />

wollten, was bis zu einem gewissen Grad ja auch zutreffen mochte. Dieser Gedanke<br />

munterte Agok ein wenig auf, und ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer<br />

Kehle. Zwei Männer standen an ihrem Bett. Doch es waren nicht die beiden, die hier hätten<br />

sein sollen - der Vater und der Pate. Dies erfüllte Agok wiederum mit Traurigkeit,<br />

und sie gab einen weiteren tiefen Seufzer <strong>von</strong> sich. Dir-megot, ihr Bruder, und Tor-tenak,<br />

ihr verbliebener Mentor, wechselten einen vielsagenden Blick, doch das bemerkte Agok<br />

nicht. Eine Träne war ihrem Augenwinkel entwischt und bahnte sich eine heiße Spur<br />

ihre Wange hinab. Und Agok war zu schwach, um zu verhindern, dass die Schwestern<br />

dieser ersten Vorbotin sich nun in einer wahren Flut ergossen. Es war schon ein merkwüdiges<br />

Gefühl, dieses Gemisch aus Erleichterung und Traurigkeit - ...wenige Minuten<br />

später war sie in tiefen Schlaf gesunken.<br />

HERBST 425<br />

Ein halbes Jahr nun hatte Agok die Zwillinge an ihrem Busen genährt, doch allmählich<br />

versiegte der Milchfluss. Und da war keine Amme, die die Ernährung der Kleinen hätte<br />

fortsetzen können. Also wurden sie recht früh <strong>von</strong> der Mutterbrust entwöhnt, und teilten<br />

sich nun die Milch einer Wölfin mit deren letztem Wurf <strong>von</strong> sieben Welpen. Mentor<br />

und Bruder der Mutter, Tor-tenak und Dir-megot, teilten sich unterdessen die Aufgaben


der Obhut und Erziehung, denn Dir-agok fiel die Lenkung dessen zu, was <strong>von</strong> ihrem<br />

Reich der Zeitpest noch nicht zum Opfer gefallen war. Das war nicht viel, aber dennoch<br />

gab es viel zu tun für die dreizehnjährige Mutter.<br />

In erster Linie galt es, alle diejenigen in Sicherheit zu versammeln, die nunmehr – nur<br />

noch vereinzelt verstreut im Tarn – ihrer Lebensgrundlage, die im Zusammenhalt der<br />

Gemeinschaft bestand, beraubt waren. Einige hundert Menschen, sowie auch ein paar<br />

versprengte Angehörige anderer Völker (unter ihnen ein halbes Dutzend Zwerge, zwei<br />

Schneeelfen und ein Pfader), wurden bis zum Ende des Dachsmondes in Ter-A-took versammelt.<br />

Viele <strong>von</strong> ihnen wurden dort <strong>von</strong> der Zeitpest lahmgelegt, doch zumindest war<br />

es ihnen erspart worden, in Einsamkeit im rauhen Gebirge zu Tode zu kommen. Für diejenigen,<br />

die noch immer aktiv sein konnten, musste das Leben in der Hauptstadt organisiert<br />

werden. Auch hier würden die Vorräte nicht ewig reichen. Also wurden sichere<br />

Routen hinab ins Tal des Dampfes, die Kornkammer <strong>von</strong> Ter-A-took, eingerichtet. Diejenigen,<br />

die dort die Felder bestellten, wurden mit den Zeitbannritualen geschützt, die<br />

Agok nun selbst durchführte. Bis an die fast unerträglichen Grenzen ihrer Kraft zehrten<br />

diese Aufgaben an ihr. Und doch verspürte Agok auch einen gewissen Stolz ob dessen,<br />

was sie tagtäglich vollbrachte.<br />

So zog denn der Mond des Adlers im Jahr des Adlers ins Land, und es geschah an einem<br />

dieser ungemütlichen Morgen, an denen die Zitadelle auf einer einsamen Insel inmitten<br />

eines unendlichen Nebelmeeres zu stehen schien, dass Dir-agok in den unruhigen<br />

Augenblicken kurz vor dem Aufwachen <strong>von</strong> einer Vision heimgesucht wurde. Es war das<br />

runzlige Gesicht einer uralten Frau, das ihr merkwürdig vertraut vorkam, obwohl sie<br />

sich absolut sicher war, dieser Person noch nie begegnet zu sein. Auch war sie sich vollkommen<br />

klar darüber, wo sie diese Person finden würde. Und sie musste ihr so gegenübertreten,<br />

wie sie war, als die Vision erschien. Als nun Agok gänzlich ins Wachsein<br />

zurückgekehrt war, wurde ihr bewusst, dass dies bedeutete, sich in vollkommener Nacktheit<br />

auf die andere Seite des Tals des Dampfes zu begeben.<br />

Doch wie wichtig diese Mission auch sein mochte, konnte sie es nicht unterlassen, zuvor<br />

die Rituale des Zeitbanns auszuführen, um die zu schützen, die die Stadt ernährten. Jene<br />

staunten nicht schlecht, als sie ihre Herrscherin (denn als solche betrachteten alle Agok<br />

längst, obwohl sie das Amt der Tuuk-Or-taak noch nicht offiziell übernommen hatte)<br />

unverhüllt vor sich sahen. Mehr noch als über ihre Nacktheit, und mehr sogar noch als<br />

über die Perfektion ihre Körpers, staunten ihre Untertanen jedoch über das matte<br />

Leuchten, dass die bronzene Haut Agoks umschmeichelte und direkt aus ihrem Innersten<br />

zu kommen schien.<br />

Nachdem sie das Ritual vollbracht hatte, machte Agok sich auf den Weg. Und da dieser<br />

auch sie zunächst hinunter ins Tal des Dampfes führte, genau wie jene, die sie gerade<br />

mit ihrem Schutzbann überzogen hatte, war es eine bemerkenswerte Prozession, die den<br />

Hang des Biraka-Ter-abuuk herabkam. Mit jedem Schritt, den Agok tat, wurde das Leuch-


ten intensiver, und diejenigen, die zunächst öfters verstohlene Blicke zurückgeworfen<br />

hatten, um die Pracht ihrer Herrscherin zu begaffen, blieben nun in entzückter Verwunderung<br />

stehen, während Agok an ihnen vorbeischritt. Einen jeden bedachte sie mit<br />

einem herzlichen Blick, doch ein Fremdling aus Ordomar erwiderte ihn mit unverhohlener<br />

Lüsternheit und schickte sich an, Agok in aufdringlicher und überheblicher Weise zu<br />

bedrängen, wobei er abfällige Äußerungen über Frauen im Allgemeinen und junge<br />

Schönheiten im Besonderen, denen man offenbar ihren Platz in der Gesellschaft klar<br />

machen müsse, <strong>von</strong> sich gab. Die umstehende Menge war noch damit beschäftigt,<br />

empört nach Luft zu schnappen, als der vorwitzige Fremde bereits am Boden verkrümmt<br />

in sich zusammensank, getroffen <strong>von</strong> zwei gut platzierten Hieben, die Dir-agok ebenso<br />

gut auszuteilen verstand wie herzliche Blicke. Nach diesem kleinen Zwischenfall, der sie<br />

kaum länger als vier Herzschläge aufgehalten hatte, setzte Agok ihren Abstieg ins Tal<br />

des Dampfes fort, und schon bald war <strong>von</strong> ihr in dem dichter werdenden Nebel nur noch<br />

das immer stärker werdende Leuchten wahrzunehmen, so als ob die Sonne hinter einer<br />

dünnen Wolkendecke ihre Bahn zöge.<br />

Agok hätte ihren Weg durch das Tal des Dampfes selbst bei vollkommener Dunkelheit<br />

mühelos gefunden, und vor ihrem geistigen Auge sah sie jeden Stein und Grashalm, der<br />

ihrem Blick durch den Nebel entzogen war. Kaum eine halbe Stunde später stand sie an<br />

der Kante einer steilen Felsklippe auf der anderen Seite des Tales. Der beschwerliche<br />

Aufstieg hatte ihren Körper mit einer glänzenden Schicht <strong>von</strong> Feuchtigkeit überzogen,<br />

die teils <strong>von</strong> ihrem eigenen Schweiß gebildet wurde und teils <strong>von</strong> dem Nebel, der sich an<br />

ihre Haut geschmiegt hatte. Genau hier hatte sie schon vor Jahren gestanden, als sie ein<br />

Abbild der Bergfestung auf dem Biraka-Ter-abuuk aufgezeichnet hatte, das heute eine<br />

der Wände in der großen Galeriehalle zierte...<br />

Mühsam riss Agok sich <strong>von</strong> ihren Gedanken los und setzte ihren Weg fort, zielsicher<br />

geleitet <strong>von</strong> ihren Füßen, die genau zu wissen schienen, wohin sie sich wenden musste,<br />

obwohl sie diesen Weg noch nie in ihrem Leben begangen hatte.<br />

Nach einiger Zeit (waren es Minuten? Stunden?) kam sie an eine verborgene Öffnung in<br />

einer Felswand. Als sie eintrat, erkannte Agok an der Rundung des Tunnels, der vor ihr<br />

lag, dass sie den Zugang zu einem Ter-batook erreicht hatte. Sie wusste genau, wo die<br />

heiße Quelle entspringen musste, um die dieses Wohnheim eingerichtet worden war,<br />

denn alle dieser Quellen waren ihr bei ihrer Initiation gewahr geworden, als sie die Stele<br />

gen Peristera berührt hatte. So begann sie denn den Aufstieg durch den Tunnel, denn sie<br />

wusste auch, dass dies der einzige Weg war, wie das Ter-batook zu erreichen sei.<br />

Dir-agok wusste auch um die Prüfung, die ihr bevorstand, noch bevor sie ihr Ziel erreicht<br />

haben würde. Und richtig - schon vernahm sie das dumpfe Grollen und Poltern der<br />

Gesteinskugel, die in diesem Moment ihren Weg abwärts durch den Tunnel nahm, mit<br />

wachsender Geschwindigkeit auf Agok zurasend, um sie zu zermalmen, sollte sie sich als<br />

ungenügend würdig erweisen. Ohne in ihrem Aufstieg innezuhalten, bündelte Agok in<br />

ihrem Geiste die Kräfte, die sie benötigen würde, um die Felskugel aufzuhalten und dort-


hin zurückzusenden, woher sie gekommen war. Sie wusste auch, dass sie damit die alte<br />

Frau am anderen Ende des Tunnels töten würde, doch war es jener bestimmt, für die Prophezeinug<br />

zu sterben, die sie Dir-agok mit ihrer letzten Lebenskraft anvertrauen würde.<br />

Das Leuchten um Agoks Körper verstärkte sich mit jedem Herzschlag, und es war zu<br />

einem blendenden Gleißen geworden, als ihre magische Kraft auf das heranrasende Felsgeschoss<br />

traf, das jeden Anderen überrollt hätte, ohne mehr als ein Häufchen zermalmter<br />

Knochen zu hinterlassen. Die gewaltige Kugel kam zitternd zum Stillstand, und<br />

begann dann, sich in der entgegengestzten Richtung wieder in Bewegung zu setzen, in<br />

dem gleichen Maße sich beschleunigend, als würde sie bergab rollen, statt bergauf, wie<br />

sie es nun tat, gezwungen <strong>von</strong> nichts anderem als Agoks geistiger Energie.<br />

Agok eilte nun der aufwärtstrebenden Felskugel hinterher, denn sie durfte nicht zu spät<br />

oben ankommen. Kaum hatte sie das obere Ende des Tunnels erreicht, streckte sie ihre<br />

offene Hand in Richtung des Ausgangs und ballte sie zur Faust. Im selben Augenblick<br />

zerfloss die Felskugel zu einem Schlammhaufen, der den vom tonnenschweren Gestein<br />

zerquetschten Körper der runzligen Alten unter sich begrub. Allein ihr Gesicht war in<br />

der Schlammmasse noch zu erkennen, genau so, wie Agok es in ihrer Traumvision gesehen<br />

hatte. Die rissigen Lippen formten Worte, doch blieben sie lautlos. Stattdessen formten<br />

sich die dazugehörenden Bilder in Agoks Geist. Ein einziges hörbares Wort noch entrang<br />

sich den Lippen der Alten, bevor sie sich für immer schlossen: "Adlersteig"!<br />

Nachdem Agok die sterbliche Hülle des Orakels bestattet hatte, vollendete sie das Ritual<br />

der Prophezeiung, indem sie den Schlamm, der einst eine Felskugel war, auf ihrem Körper<br />

verteilte, bis der Glanz erloschen war, der sie bis jetzt umgeben hatte. Solchermaßen<br />

in Schlamm gekleidet, trat sie den Rückweg an. Noch während sie den Tunnel, diesmal in<br />

absoluter Finsternis, hinabstieg, durchlief ihr Geist mehrmals die Abfolge der Orakelbilder,<br />

bis er sie und das eine Wort "Adlersteig" in einen sinnvollen Zusammenhang<br />

gebracht hatte. Was Agok dabei erkannte, ließ sie gleichzeitig erschaudern, aber auch<br />

hoffen. Ersteres, weil ihr ein Tor in ein fremdes Land offenbart worden war, letzteres,<br />

weil in jenem fremden Land die Entscheidung über das Schicksal des Segments fallen<br />

würde. Die mögliche Erlösung <strong>von</strong> der erdrückenden Zeitpest war nunmehr untrennbar<br />

mit jenem Land verbunden, in das ein magisches Tor sie bringen würde: Kiomba.<br />

Das Wissen um jenes Tor offenbarte aber noch nicht seine Lage. Einzig jenes gemurmelte<br />

Wort aus dem Mund des Orakels – "Adlersteig" – barg einen Hinweis, wie das Tor zu finden<br />

sei. Dir-agok vermutete wohl, dass diese Bezeichnung etwas mit dem Adlergotte<br />

Talarka zu tun haben müsste. Derjenige aber, den sie danach hätte fragen können, ihr<br />

geliebter Mentor, der als Herrscher über Tarn-A-tuuk gleichzeitig Talarka-Birkan war, lag<br />

in Zeitstarre, und war für sie unerreichbar. Fast erschrak Agok darüber, dass dieser<br />

Gedanke bei ihr kaum noch Emotionen auslöste. Noch vor wenigen Monden hatte jeder<br />

Gedanke an ihren Geliebten Wellen der Agonie in ihr ausgelöst. Doch wahrscheinlich war<br />

es mit dem menschlichen Geiste so beschaffen, dass früher oder später die furchtbarsten


Ereignisse in irgendwelche Hinterkämmerchen verbannt werden, so dass sie nicht mehr<br />

unaufhörlich auf der Seele lasten, auf dass diese nicht zerquetscht werde.<br />

In derlei Gedanken versunken erschien Agok schließlich wieder vor den Toren der Festung<br />

Ter-A-took. Diejenigen, die sie sahen, in nichts als eine unansehnliche Schlammschicht<br />

gehüllt, mochten sehr wohl <strong>von</strong> dem Gedanken beschlichen werden, dass tonnenschwere<br />

Gemütsbrocken auf ihrer Seele lasten mussten...<br />

Natürlich entging Agok die gedrückte Stimmung bei der Besatzung der Stadttore keineswegs.<br />

Behende stieg sie zum Hauptturm des Torgebäudes hinauf. Sie wusste, dort würde<br />

sie Tamyr-basilik treffen, dessen Vergötterung Agoks ihr natürlich ebensowenig entgangen<br />

war, wie sie sich das ihm gegenüber anmerken ließ. Natürlich war er hier, um ihrer<br />

Rückkehr <strong>von</strong> ihrer eigenartigen Mission zu harren.<br />

"Hole alle zusammen, deren Rat du vertrauen kannst", befahl sie ihm, peinlich darauf<br />

bedacht, ihre weiblichen Reize möglichst im Zaum zu halten. Sie war sich sehr wohl dessen<br />

bewusst, dass der allmählich abblätternde Schlamm ihren Körper auf eine geradezu<br />

aufreizende Art und Weise zur Geltung brachte. Ohne jedoch ihren Ton ins Abweisende<br />

abgleiten zu lassen, fuhr sie fort: "Wir müssen unseren Aufbruch vorbereiten!"<br />

Diese Worte verfehlten schließlich ihre Wirkung auf den jungen Befehlshaber der Festungsgarnison<br />

nicht. Diesen Posten bekleidete er, seit vor fünf Wochen Priak-orn in Zeitstarre<br />

verfallen war. Durch ein – bei ihr äußerst seltenes – Ungeschick war der Achronit-<br />

Splitter, der sie schützen sollte, <strong>von</strong> ihrer Schulter geglitten, wo er an ihrer Tunika befestigt<br />

gewesen war. Schon dieser kurze Augenblick hatte sie der Zeitpest preisgegeben.<br />

Nachdem Basilik die Worte Agoks über einen bevorstehenden Aufbruch vernommen hatte,<br />

machte sich Bestürzung auf seinen Gesichtszügen breit. Doch ein Blick auf Dir-agok<br />

reichte, um seine Zweifel zu zerstreuen. Augenblicklich machte er sich daran, die ihm<br />

gestellte Aufgabe zu erfüllen. Agok aber begab sich eiligst zur Zitadelle, wo sie sich reinigte<br />

und bekleidete, bevor sie sich nun dahin begab, wo sie mehr Informationen zu finden<br />

hoffte: Syl-naibuk, die Große Halle der Kunde, wie die Bibliothek in der Oberstadt<br />

<strong>von</strong> Ter-A-took genannt wurde.<br />

Einige Stunden hatte Agok in der Großen Bibliothek verbracht, jedoch keinerlei Hinweis<br />

auf den "Adlersteig" vorgefunden. Dafür hatte sie eine Fülle an Informationen über das<br />

ferne Land Kiomba aufspüren können. Auch über noch fernere Länder, ja sogar fremde<br />

Segmente wie Ysatinga oder Karnicon, hatte sie einige Aufzeichnungen gefunden, und<br />

ohne Zögern studierte sie diese genauso eifrig, ohne den Zweck in Frage zu stellen, denn<br />

sie hatte gelernt, auf ihre Ahnungen zu vertrauen...<br />

Als Agok schließlich kurz vor Sonnenuntergang den Audienzsaal der Zitadelle betrat,<br />

fand sie sich in Gesellschaft <strong>von</strong> gut zwei Dutzend Personen wieder. Sie schritt zum<br />

Thronpodest, wo sie auf dem kleineren Sessel Platz nahm, den sie neben den eigentlichen<br />

Thron gestellt hatte. Denn diesen wollte sie nicht beanspruchen, solange das Reich<br />

unter der Zeitpest litt. Tamyr-basilik begann, ihr die Anwesenden vorzustellen. Im Grun-


de war das überflüssig, da sie die meisten kannte. Aber selbst in schweren Zeiten wie diesen<br />

musste wohl zumindest ein Rest <strong>von</strong> zeremoniellen Umgangsformen gewahrt werden.<br />

Als Dir-agok alle begrüßt hatte, begann sie <strong>von</strong> der Prophezeiung zu berichten. Niemand<br />

der Anwesenden wusste mit Sicherheit zu sagen, was mit dem "Adlersteig"<br />

gemeint sein könnte, doch immerhin wurde die ein oder andere nützliche Vermutung<br />

geäußert. Jedoch wurde beschlossen, die eigentliche Suche nach dem Tor erst zu beginnen,<br />

wenn alle Vorbereitungen für die Abreise getroffen wären.<br />

Also ging in den folgenden Tagen ganz Ter-A-took daran, brauchbare Vorräte, Waffen,<br />

Goldstücke, Kleidung und sonstige Ausrüstung zusammenzutragen. Dreihundert der<br />

kräftigsten und erfahrensten Krieger der Ter-baak, unter dem Kommando <strong>von</strong> Tamyrbasilik,<br />

sollten Dir-agok nach Kiomba begleiten, sowie hundert Ter-geek-Reiter. Mehr<br />

dieser Tiere waren leider nicht <strong>von</strong> der Zeitpest verschont geblieben, und selbst bei diesen<br />

hundert mutete das schon wie ein Wunder an. Tor-tenak beharrte außerdem darauf,<br />

dass seine Assistentin in der Ausbildung der Taadrai, die albianische Alchimistin Denara<br />

chem Algora, mit auf die Reise gehen sollte, denn ihre magischen und alchimistischen<br />

Fähigkeiten ergänzten die <strong>von</strong> Agok ganz fabelhaft. Das wusste auch Agok, genau deshalb<br />

hätte sie sie gern in Ter-A-took gelassen, denn hier würden ihre Fähigkeiten ebenso<br />

sehr benötigt werden. Doch Agok vertraute ihrem zweiten Mentor bedingungslos, und<br />

somit war es beschlossene Sache.<br />

Am letzten Tag des Adlermondes begab sich Dir-agok in den Tempel Talarkas auf dem<br />

peristerischen Gipfel. Verwaist war das Heiligtum, denn keiner der Geweihten Talarkas<br />

war <strong>von</strong> der Zeitpest verschont geblieben. So gab sich nun Agok in Einsamkeit ihrer<br />

merkwürdigen Meditation hin, denn ihr Glaube an den Wolfsgott war wesentlich stärker<br />

als ihr Respekt vor dem Adler. Es war auch kein Ergebnis ihrer Meditation abzusehen, als<br />

sie sich wieder erhob und den Tempel verließ. Gerade als sie durch den Galerieweg wieder<br />

in Richtung des Sattels zwischen dem Tempel und der Zitadelle schritt, überkam sie<br />

jedoch die Offenbarung. Hier musste es sein. Der schmale Weg zum Adlertempel -<br />

"Adlersteig".<br />

Eine Stunde später waren alle versammelt und zum Aufbruch bereit. In einer langen Prozession<br />

führte Agok ihre Getreuen zu dem Galerieweg, und als sie dort ankam, sagte sie<br />

nur dieses eine Wort: "Adlersteig". Für einen Außenstehenden wäre keine Veränderung<br />

bemerkbar gewesen, doch Agok wusste, dass sich soeben das Tor aufgetan hatte, das sie<br />

<strong>von</strong> hier wegbringen würde. Beherzt schritt sie auf die Felswand zu, und mit einem weiteren<br />

Schritt war sie dahinter verschwunden. Denara folgte ihr als nächste, und im Verlauf<br />

der nächsten Minuten hatte die Felswand über vierhundert Menschen und hundert<br />

Tiere verschluckt...<br />

Alles um sie herum war undurchdringlicher Nebel. Sie spürte die Präsenz der Anderen<br />

mehr, als dass sie sie sah. Zeit schien hier keine Bedeutung zu haben. Atmung oder Herzschlag<br />

schien unnötig. Bewegungen waren schwebend. Gab es einen Boden unter den


Füßen? Gab es überhaupt Grenzen dieses Raumes? Waren solche Gedanken wichtig? Gab<br />

es überhaupt Gedanken...<br />

Es mochte wenige Minuten, oder auch viele Tage gedauert haben, doch plötzlich begann<br />

der Nebel sich zu lichten. Die Füße standen wieder auf festem Boden, und das einzige<br />

Hindernis für die Wahrnehmung der Umgebung war die Finsternis. Über den Reisenden<br />

spannte sich das sternenübersäte Himmelszelt. Müdigkeit bemächtigte sich ihrer, und<br />

gerade noch schaffte es Dir-agok, alles für die Bereitung eines Nachtlagers zu veranlassen,<br />

bevor sie selbst in tiefen und traumlosen Schlaf sank.<br />

FRÜHSOMMER <strong>429</strong><br />

Am folgenden Morgen gewann die Umgebung allmählich Konturen. Wie es aussah,<br />

befanden die Reisenden sich auf einer Art Hochplateau eines Gebirgsstockes, nicht<br />

unähnlich demjenigen der Biraka-Ter-abuuk. Als der Tag allmählich heraufdämmerte,<br />

bestiegen Dir-agok und mit ihr diejenigen ihrer Begleiter mit den schärfsten Augen (fast<br />

ausschließlich Anhänger des Adlergottes) den höchsten Gipfel dieses Berges, um sich<br />

einen Überblick zu verschaffen. Was sie sahen, ließ sie staunen: der im Licht der sich<br />

erhebenden Scheibe Aros entflammte Horizont spiegelte sich in den (scheinbar) unendlichen<br />

Weiten einer eintönigen Wassermasse, lediglich ganz links unten erkannte man<br />

die dunkleren Umrisse eines Eilandes. Als nun die Sonne ihren Tageskreis zog, wurde<br />

recht bald offenbar, dass der Gebirgsstock, auf dessen Gipfel Agok und ihre Getreuen<br />

standen, die Spitze einer nicht all zu großen, recht schmalen Insel bildete, und nach<br />

allen Seiten sich ein unbekanntes Meer in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, bis<br />

auf die Ahnung einer weiteren winzigen Inselkontur genau gegenüber derjenigen, die<br />

man am Morgen zuerst entdeckt hatte.<br />

Eines wurde Dir-agok und ihren Begleitern ohne jeden Zweifel klar. Wo immer sie hier<br />

waren, dies war nicht Kiomba. Doch was hatte das zu bedeuten? Das Orakel hatte eindeutig<br />

<strong>von</strong> Kiomba gesprochen, ein Land im Meer des Segments Kiombael. Nun gut, ein Land<br />

im Meer war dies hier auch, aber Kiomba müsste wesentlich größer sein, zu groß, als<br />

dass man es <strong>von</strong> einer Bergspitze in seiner Gänze hätte überblicken können.<br />

Allmählich versuchte Verzweiflung sich in Agoks Herzen breit zu machen. Nur zu gut<br />

entsann sie sich der Berichte <strong>von</strong> den Heeren, die es gewagt hatten, bis ins flache Land<br />

an den Gestaden des Aismjars vorzudringen. Die Große Leere hatten sie dieses furchtbare<br />

Land genannt. Und nun stand sie hier, umgeben <strong>von</strong> Großer Leere, soweit das Auge<br />

reichte, auf dem Haupte eines einzelnen Steinriesen, der halb ins Meer versunken zu<br />

sein schien. Fast wünschte sie, der undurchdringliche Nebel würde wieder hereinbrechen,<br />

doch schließlich entschloss sie sich, gegen derartige Gefühle mit aller ihr verfügbaren<br />

Macht zu kämpfen. Zu keinem anderen Zweck, als sich Mut zu machen (und sich<br />

zu vergewissern, dass zumindest ihre Magie hier genauso gut funktionierte wie in der<br />

Heimat), ließ sie eine Felsspitze knapp zweihundert Schritt unterhalb ihres Standortes


zu Schlamm zerfließen. Die Leichtigkeit, mit der ihr das gelang, ließ sie fast erschrecken.<br />

Sie hatte wahrhaftig mit dem Schlimmsten gerechnet...<br />

Tarkap-pren, ihr scharfäugister Späher, streckte plötzlich seine Hand in Richtung der<br />

kleinen Insel gen Sonnenaufgang aus. "Dort bewegt sich Etliches in dieser großen Wasserebene,<br />

nahe des kleinen Landes dort drüben!"<br />

Die Begriffe <strong>von</strong> "Meer" und "Insel" waren Pren unbekannt. Auch hatte er sein Lebtag<br />

noch nie etwas <strong>von</strong> Schiffen gehört, geschweige denn welche gesehen. Aber auf seine<br />

scharfen Augen war Verlass. Agok fragte ihn, wieviel <strong>von</strong> dem "Etlichen" er zählen konnte.<br />

"Es ist alles ständig in Bewegung, daher schwer zu zählen. Aber es müssen Hunderte<br />

sein."<br />

Agok war sich fast sicher, dass es Schiffe sein mussten, die Pren entdeckt hatte. Wenn es<br />

hunderte waren, wie groß mochte die Chance sein, dass da<strong>von</strong> welche an die Ufer dieser<br />

Insel kamen, auf der sie sich befanden? Es schien der einzige Weg, <strong>von</strong> hier wegzukommen,<br />

denn sie glaubte fast sicher, dass sich auf diesem erbärmlichen Eiland hier nichts<br />

über die Zukunft Kiombaels entscheiden würde. Gerade derart in Gedanken, erschrak sie<br />

fast bei Prens Ausruf, der numehr in den Himmel deutete. "Es bewegt sich auch Etliches<br />

dort oben. Fast scheint es, als würden die alten Legenden der Targomharril zu neuem<br />

Leben erweckt ... doch wieso sitzen Reiter auf diesen Drachen?" - "Wieviele?" fragte wiederum<br />

Agok. "Weniger als die unteren, aber sie sind nicht nur über jenem kleinen Land<br />

dort drüben, auch über uns habe ich schon welche gesehen".<br />

Über die absonderlichen geflügelten Bestien am Himmel mochte sich Dir-agok vorerst<br />

keine Gedanken machen, wenn diese sie nur vorerst in Ruhe ließen. Es deutete auch<br />

nichts darauf hin, dass dem nicht so wäre. Also gut. Erst einmal versuchte Agok, ihre<br />

Gedanken zu sammeln: Sie waren offenbar nicht dort herausgekommen, wo ihr prophezeit<br />

worden war. Vordringlichste Aufgabe würde also nun sein, zunächst herauszufinden,<br />

wo sie überhaupt waren. Als nächstes sollte man sich dann den Kopf darüber zerbrechen,<br />

wie man doch noch nach Kiomba gelangen könnte. Somit ließ sich für den<br />

Moment nicht mehr bewerkstelligen, als für eine weitere Nacht auf dem Hochplateau<br />

das Lager zu richten.<br />

Gegen Abend fiel es ihr schließlich auf: der Sonnenlauf schien beträchtlich länger ausgefallen<br />

zu sein, als am letzten Tag vor ihrem Aufbruch. Doch das war im Herbst gewesen.<br />

Die Tage müssten eigentlich kürzer werden statt länger. Waren sie nicht nur am falschen<br />

Ort, sondern auch in einer anderen Zeit herausgekommen? Hatte vielleicht die Zeitpest,<br />

entgegen allen Erwartungen, die große Insel Kiomba doch noch erfasst, und das Tor hatte<br />

sie dann nach zufälligem Gutdünken irgendwohin (und irgendwannhin) geleitet? Diese<br />

Fragen jedoch mussten warten, bis sie Einheimische finden konnten, die die Allgemeine<br />

Sprache beherrschten. Agok selbst hatte viele mühsame Stunden damit verbracht,<br />

diese zungenbrecherische Sprache zu erlernen. Bald würde sie Gelegenheit erhalten, diese<br />

Kenntnisse zu erproben...


Es dauerte zwei weitere Tage, in denen die Ter-baak allmählich <strong>von</strong> den Höhen des<br />

Gebirges herabkletterten, bis sie tatsächlich auf Einheimische stießen. Der Grund dafür<br />

wurde schnell offfenbar, denn der erste, den sie sahen, wollte gleich, nachdem er der<br />

großen Menge Fremder ansichtig geworden war, Hals über Kopf fliehen. Dem beherzten<br />

Eingreifen <strong>von</strong> Tamyr-basilik war es schließlich zu verdanken, dass er eingefangen werden<br />

konnte, ohne ihm allzu viel Leid anzutun.<br />

Dir-agok kam neugierig auf den Gefangenen zu. Unbewusst hatte sie einen Gang angenommen,<br />

der ihr eine gefährliche Ähnlichkeit mit einer Wölfin auf der Pirsch verlieh.<br />

Als sie des Mannes ansichtig wurde, konnte sie eine gewisse Verblüffung nicht verbergen.<br />

Denn sein Haar war hell wie Stroh, obwohl er ansonsten keinerlei Ähnlichkeiten mit<br />

den zierlichen Albianern aufwies, für die eine solch helle Haarfarbe gänzlich normal war.<br />

Er war kräftig gebaut und in dunkle Felle gehüllt. Offenbar ein Jäger. Seine intensiv blauen<br />

Augen starrten unverwandt Agoks unbedeckte linke Brust an (die rechte trug sie<br />

meistens verhüllt, damit sie vor der Sehne ihres häufig gebrauchten Bogens geschützt<br />

war). Sie konnte nicht recht verstehen, was es da Ungewöhnliches zu entdecken gab,<br />

unterdrückte aber das Bedürfnis, selbst nachzusehen. "Stimmt irgendwas nicht?"<br />

bemühte sie sich um einen entspannten, freundlichen Ton. Aber die Anstrengung der<br />

fremden Sprache ließ es wohl eher angespannt klingen, und mehr wie "stäimmyt irgendosy<br />

nikret?!"<br />

Die Mischung zwischen Besorgnis und Irritation, die sich auf dem Gesicht des Strohhaarigen<br />

abzuzeichnen begann, wäre unter anderen Umständen amüsant gewesen. Doch da<br />

es immens wichtig war, sich mit diesem Mann zu verständigen, war Agok nicht nach<br />

Lachen zumute. Als der Blick des Gefangenen wiederum wie magnetisch <strong>von</strong> ihrem<br />

Busen angezogen zu werden schien, ließ Agok sich ihren Überwurf reichen, den sie nun<br />

überstreifte. Zumindest glaubte sie jetzt anhand der Schwellung, die sich im Schritt des<br />

Jägers abzuzeichnen begann, eine der Ursachen für seine Irritation erkannt zu haben.<br />

Sie betrachtete ihn nun noch eine Weile schweigend, und als die Mine des Gefangenen<br />

sich zu entspannen begann, gab sie Tamyr-basilik einen Wink. Der trennte daraufhin die<br />

Fesseln auf, mit denen der Jäger verschnürt worden war.<br />

Dieser begann, sich die schmerzenden Gelenke zu reiben. Agok gab nun Denara einen<br />

Wink, und diese bot daraufhin dem Mann ein Schälchen einer schmerzlindernden Salbe<br />

an. Dieser jedoch starrte unentschlossen darauf, wohl nicht im Klaren, was er damit tun<br />

sollte. Agok nahm also etwas <strong>von</strong> der Salbe, strich da<strong>von</strong> etwas auf ihre eigenen Handgelenke<br />

und forderte den Jäger mit einer eindeutigen Geste dazu auf, es ihr nachzutun.<br />

Auch wenn er das verstanden haben mochte, schüttelte der Mann den Kopf, und Agok<br />

vermeinte, trotzigen Stolz in dieser Geste erkannt zu haben. Das entrang ihr nun doch<br />

ein Lächeln. "Nun gut", sagte sie, und diesmal klang es schon fast perfekt. "Wie heißt<br />

dieser Ort?" (uii aisto diisyr ort?), fragte sie weiter. Diesmal schien der Gefangene die<br />

Bedeutung ihrer Worte erfasst zu haben. "Aakonsbjörk", sagte er und umfasste mit seiner<br />

Geste das Bergmassiv, an dessen Fuß sich das alles abspielte. Der Stolz in seiner Stim-


me schien zu verheißen, dass der Mann den ganzen Berg als seinen persönlichen Besitz<br />

betrachtete. Nun, gegen Stolz war ja schließlich nichts einzuwenden.<br />

Agok fragte nun weiter "Wie heißt die Insel?". Doch statt zu antworten, fragte der Gefangene<br />

sie: "Wie seid ihr hierhergekommen?"<br />

Nun gut, wenn er für jede beantwortete Frage selbst eine Antwort will, so sei es. "Durch<br />

ein Tor auf Aakonsbjörk" (durk ain tor auf aakonsibierk). Während sie das antwortete,<br />

dachte Agok noch, wie seltsam es sei, dass sie ausgerechnet auf einem Berg herausgekommen<br />

waren, dessen Name so ähnlich klang wie "Das Adlervolk im Aufstieg" (das<br />

wäre eine recht zutreffende Übersetzung der Phrase Aak-On-sibierk aus Agoks Muttersprache,<br />

der Talar-nyboz). Doch wurde dieser Gedanke unterbrochen <strong>von</strong> der recht<br />

schroffen Entgegnung des Jägers: "Kein Tor auf Aakonsbjörk."<br />

"Kein Tor bis gestern" (kain tor biz geztern), antwortete Agok. Offenbar war es besser,<br />

bei diesem Einheimischen sich möglichst einfacher Phrasen der Allgemeinen Sprache zu<br />

bedienen. Sie fuhr fort: "Gestern Tor offen."<br />

Der Jäger kommentierte das mit runden Augen. "Name Insel", erinnerte Agok ihn daran,<br />

dass noch eine Frage unbeantwortet geblieben war. "Störsjon. Reich Malkuth", war die<br />

diesmal erschöpfende Antwort des Gefangenen.<br />

"Datum?" fühlte sich Agok ermutigt nachzufragen.<br />

"Woher kommen?", offenbar war der Jäger der Meinung, sich wieder ein paar Antworten<br />

verdient zu haben.<br />

"Tarn-A-tuuk, Kiombael", sagte Agok, die langsam begann, Gefallen an dem Spiel zu finden.<br />

"Unmöglich", entgegnete der Gefangene, "Kiombael anderes Segment, hier Karnicon".<br />

Das wiederum war Dir-agok nicht neu, denn den Namen Malkuth hatte sie in Aufzeichnungen<br />

über dieses Segment schon gelesen.<br />

"Durch Tor möglich", versuchte sie die Bedenken des Gefangenen zu zerstreuen. "Du<br />

Name?" setzte sie nach.<br />

Die Antwort kam prompt: "Asbern Kjeldson."<br />

"Dir-agok", stellte sich die junge Frau nun ihrerseits vor. Der Gedanke, dass dies seiner<br />

Meinung nach ein komischer Name sei, stand Asbern deutlich im Gesicht geschrieben,<br />

doch ging Agok darüber großzügig hinweg.<br />

Allmählich erfuhr sie so das ein oder andere wissenswerte Detail über Malkuth im Allgemeinen<br />

und Störsjon im Besonderen. Besonders freute es sie, bestätigt zu finden, was sie<br />

ebenfalls über Malkuth schon gelesen hatte, nämlich die vorherrschende Verehrung des<br />

Adlergottes, den man hier Dondra nannte, sowie die auch vorkommende Verehrung <strong>von</strong><br />

Malkh. Dies war der hiesige Name für Kerbatu, dessen geweihte Priesterin sie selbst war.<br />

Noch vor der Geburt der Zwillinge hatte Tor-tenak sie im Birek-Kerbatu zum heiligen<br />

Dienst am Wolfsgotte verpflichtet...


Mit Schrecken nahm sie hingegen eine andere Information auf: Es war am heutigen Tag<br />

der erste Tag des Tammus, wie der Jaguarmond hier offenbar genannt wurde, des Jahres<br />

<strong>429</strong>! Fast vier Jahre waren vergangen, seit sie das Tor am Adlersteig betreten hatten...<br />

Über die Schiffe vor der kleineren Insel wusste Asbern auch nicht mehr, als dass sie seit<br />

Wochen dort herum fuhren. Die geflügelten Reitbestien bezeichnete er als Dragols, was<br />

wohl ein hiesiger Name für Drachen ist(?). Die Reiter nannte er übrigens Wergols. Über<br />

diese wusste Agok nur, dass sie als Diener des Feuerhundes galten, was immer das bedeuten<br />

mochte. Nun, darüber zumindest wollte Asbern nicht weiter reden, aber er lud die<br />

Fremden ein, sich mit seiner Sippe zu treffen, die, wie es der Zufall so wollte, zu der Minderheit<br />

der Malkh-Verehrer gehörte. Dir-agok konnte ihn mit ein paar Erdzaubern<br />

mühelos da<strong>von</strong> überzeugen, dass sie trotz ihrer Jugend eine vollwertige Priesterin des<br />

Wolfsgottes war, wie auch immer der jeweils genannt werden möge.<br />

Es war am nächsten Tag, dass also die Ter-baak mit Asberns Sippe zusammentrafen. Eine<br />

Opferung an Kerbatu wurde abgehalten, und alsdann beschloss man, ins Bergland hinunterzuziehen,<br />

um Kontakte mit der Bevölkerung zu knüpfen. Ein <strong>Bote</strong> sollte zu der Garnison<br />

an der Küste entsandt werden, um Nachricht vom Eintreffen der Fremden zu geben.<br />

Die nahe Zukunft würde also zeigen, wie Dir-agok und die ihren in Malkuth aufgenommen<br />

werden.<br />

E


Drachenjagd<br />

Anders als sonst, da ich schreibe, befinden wir uns nicht zu Adrodd, der wohl saubersten<br />

Menschenstadt Myras. Oh nein, ich und meine Königin sind auf dem eigens <strong>von</strong> mir<br />

erschaffenen Wolkenschiff weiter gereist in ferne und gar bergige Regionen dieses unseren<br />

– naja, fast unseren – Reiches Languria.<br />

Bei einer Burg musste ich anlanden. Der stolzen Burg Reodoc. Sie sah prächtig, fest und<br />

vor allem uneinnehmbar aus. Da ich mich mit der Baukunst bis dato nicht zu sehr beschäftigt<br />

hatte, bewunderte ich eigentlich nur die Höhe dieser <strong>von</strong> außen und oben uneinnehmbar<br />

scheinenden Mauern und wunderte mich über eine Kleinigkeit, doch dazu später mehr.<br />

Stellt Euch einfach einen massiven riesigen Stein vor, groß wie ein Berg. Die Kanten glatt,<br />

einzelne kleine Fenster für Armbrustschützen. Ein Tor, ein dickes Gitter, eine Zugbrücke<br />

über einen Burggraben, und wenn man durch das Tor geht, muss man über viele Schritt<br />

Stein durch einen dünnen Gang, wo keine 3 Pferde nebeneinander reiten können. Von<br />

oben können Armbrustschützen einen beobachten und … - lassen wir dies nun mal. Denn<br />

es soll ja keine erschreckende Geschichte sein.<br />

Wir landeten also in der Nähe <strong>von</strong> Burg Reodoc an und traten vor das gewaltige Tor.<br />

Nein, es hatte keine Verzierungen oder sonst was. Keinen Krimskrams, was man als schön<br />

ansehen würde. Hier war alles schlicht und einfach und auf Verteidigung ausgelegt. Alles<br />

andere ist alles andere und wird und wurde nicht geduldet.<br />

Vor dem Burggraben postierten wir uns. Ich und meine Herrin. Von tief aus den Mauern<br />

erklang eine Stimme: „Was wollt Ihr?“<br />

Ich und meine Herrin sahen uns an, denn wir waren es nicht gewohnt, dass wir mit sehr<br />

hohen Wänden sprachen. Ich trat vor, räusperte mich, schlug mit meinem Magistab auf<br />

den Boden. Was leider seinen Effekt verfehlte, da dieser nur staubig war, anstatt, wie in<br />

angemessenen Räumen steinern, so den Klang des Stabes durch den ganz Saal tragend.<br />

Noch einmal räuspernd: „Mein Name ist Thorvald Knockback und diese Dame neben mir<br />

ist“, ich verbeugte mich …<br />

Von innen klang es: „Schneller, alter Mann. Wer ist sie und was ist Euer Begehr?“<br />

Zornesröte, wie man es <strong>von</strong> mir nicht gewohnt ist, stieg in mir hoch, und ich wollte schon<br />

meinen Magistab auf das Tor und die gesamte Mauer richten, als ich eine sanfte Berührung<br />

an meiner Schulter spürte. Sie trat selbst vor:<br />

„Mein Name ist Karma und ich bin die Schwarmkönigin. Ich und mein Begleiter bitten<br />

um Einlass, und vor allem ich möchte mit dem Burgherren sprechen.“<br />

Ein Lachen war zu vernehmen. „Schwarmkönigin?“, und wieder dieses Lachen. „Die Herrin<br />

der Fliegen?“, und man hörte ein Lachen aus vielen Kehlen. Prustend vor Lachen kam<br />

dann noch, „wir, wir, wir, wir“, er schöpfte nochmals nach Luft, man hörte im Hintergrund<br />

leise ein „Fliegenherrin“ und viel Lachen, dann folgte ein weiteres:<br />

„Wir haben keinen Burgherren.“


Nun geschah, was ich bis dahin nur ganz, ganz, ganz selten sah und ich schwöre bei meinen<br />

arkanen Künsten, selbst mir, der ich schon viel erlebt, gesehen und gelesen – man<br />

könnte sagen, eigentlich kenne ich alles –, selbst mir wurde in diesem Augenblick bang<br />

ums Herz. Denn es vollzog sich ein Wandel in meiner Herrin, so schnell und furchtbar.<br />

Eben noch die nette Herrin <strong>von</strong> nebenan, überlief sie kurz ein Schatten, der blieb. Sie flog<br />

auf einmal über den Burggraben – ich hörte dieses altbekannte Surren, wie <strong>von</strong> tausenden<br />

Fliegen – und verschwand in einer Öffnung in Dreimannshöhe. Noch bevor die Armbrust<br />

dahinter reagieren oder gar abgefeuert werden konnte, hörte man, wie etwas Schweres zu<br />

Boden fiel, ein Schrei, Gepolter, Treten <strong>von</strong> vielen schweren Stiefeln, Rufe, Hilferufe und<br />

dann ein „GNADE!“<br />

Ich gestehe, ich musste lächeln, denn obwohl ich Kiara nicht mochte, ab und an hat sie<br />

auch ihre guten Seiten. Doch ob dies nun gut war, wo wir gekommen sind, um Hilfe zu<br />

bekommen? Wird man uns diese gewähren, nachdem da wohl ein paar dieser Gardisten<br />

eines Besseren belehrt wurden – „so redet man nicht zu Damen“ –, und was sollte die Aussage,<br />

dass es hier keinen Burgherren gäbe?<br />

Das Tor ging auf, die Zugbrücke wurde herunter gelassen, und ich durfte durch das Portal<br />

schreiten. Mehrere Mannshöhen über mir sah ich rechts und links mindestens je zehn Krieger<br />

mit gespannten Armbrüsten, die auf mich angelegt hatten. Ein zwotes verstärktes Tor<br />

wurde geöffnet, und dann war ich im Innenbereich. Dort traf ich dann auf meine Herrin<br />

Karma wieder. Ja, Karma, und nicht wie vorhin Kiara. Man beachte. Ich schaute sie mir<br />

an, fragte sie höflich, ob sie in Ordnung wäre, sie nickte, und dann wurden wir schon weiter<br />

geleitet, in einen gar riesigen Raum, Wände so hoch wie die Decke und darin war …<br />

Eine Frau.<br />

Mit dem Rücken stand sie zu uns, ein langes Kettenhemd tragend, an ihrer Seite ein Langschwert.<br />

Kurzes, dunkelblondes Haar, breite Schultern. Schon die ganze Haltung zeigte mir,<br />

sie trägt nicht zum ersten Male ein Schwert.<br />

Sie drehte sich um und ich wusste nun, warum dieser Gardist gelacht hatte. Sie war die<br />

Burgherrin.<br />

„Mein Name ist Frauwe Dowynn“, erklang ihre Stimme. Laut, im ganzen großen und<br />

hohen Saal klingend, befehlsgewohnt. „Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“<br />

Ich setzte gerade an, meinen Stab auf den Boden zu schlagen, als mich die sanfte Hand<br />

<strong>von</strong> Karma erneut berührte, und sie trat vor, mit kleinen, furchtsamen Schritten.<br />

„Mein Name ist Karma, und ich wollte zu Euch, ehrenwerte Frauwe Dowynn.“<br />

Die Burgherrin, welche eisig grüne Augen hatte – darin aber ein Hauch gelb um die<br />

Pupille, was diese wie kaltes grünes Feuer leuchten ließ – schaute meine Herrin an. Lange,<br />

dann nickte sie. „Ihr habt mich gefunden,“ sie hielt kurz inne, „auf eine gar ungewohnte<br />

und ungebührende Art.“<br />

Doch irgendwie umspielte ein Lächeln ihre Lippen, welches aber im nächsten Augenblick<br />

schon wieder verschwunden war.


„Ihr meint diese Sache mit Euren Wachen, die sich unangemessen einer Dame gegenüber<br />

benommen haben?“ fragte meine Herrin nun keck und reckte ihr Kinn streitlüstern hervor.<br />

Irgendetwas funkelte in ihren Augen und das letzte Mal, als ich dieses Funkeln sah, kam sie<br />

mit Brom, dem Volkshelden <strong>von</strong> Languria, an.<br />

Der Blick <strong>von</strong> Frauwe Dowynn wurde nun warm. Grübchen um die Augen wurden sichtbar,<br />

und ein herzhaftes Lachen war zu vernehmen. Sie fiel Karma um die Schultern, und<br />

beide lachten so herzlich, wie ich es wohl noch nie <strong>von</strong> zwei gestandenen Frauen je zuvor<br />

vernommen habe. „Habt Ihr wirklich?“, und Karma antwortete kichernd: „ja“, und beide<br />

prusteten wieder los.<br />

„Das Problem ist,“ fing die Burgherrin an, „dass ich dieses ungebührende Verhalten gegenüber<br />

den Burgwachen nicht durchgehen lassen kann. Da sonst jeder“, sie lachte und<br />

wischte sich ein paar Tränen <strong>von</strong> den Augen, „der wie ihr ohne Flügel durch diese engen<br />

Mauerritzen fliegen kann ...“, nun lachten beide wieder. Ich stand verdutzt daneben und<br />

fragte mich, warum ich einer Frau und nicht einem gestandenen Manne diente, denn bei<br />

Männern gibt es solch Verhalten nie und nimmer. Ja, wenn sie trinken, kann es ausarten,<br />

aber so?<br />

„Dies darf auf jeden Fall nicht mehr passieren.“<br />

Karma, meine Herrin, nickte, ihr Blick klärte sich, wurde wieder normal, warm, herzensgütig.<br />

Sie nahm die Hand der Burgherrin und gestand: „Es tut mir leid, und ich will mich<br />

um die Verwundeten kümmern auf meine eigene Art, und entschuldige mich bei Euch und<br />

auch bei den Betroffenen persönlich dafür, was ich für Ungemach angerichtet habe.“<br />

Frauwe Dowynn, die Burgherrin, nickte. Klatschte in die Hände und ein Tor öffnete sich.<br />

Herein kamen vier gestandene Männer, die aussahen, als hätten sie sich mit Riesen oder<br />

anderen gar riesigen und kräftigen Wesen geprügelt. Bei jedem Schritt verzogen sie das<br />

Gesicht im Schmerze. Doch kein Laut kam über ihre Lippen.<br />

„Meine Herren,“ begann die Burgherrin, „zeiget jener Dame, welche Euch so zugerichtet<br />

hat, was sie Euch in ihrer ungebührenden damenhaften Art ohne Waffen angetan hat.“<br />

Die Männer schauten sich verdutzt an.<br />

Sie trat einmal fester auf den Boden. „Dies war ein Befehl.“<br />

Und da funkelten die Augen wirklich feurig und sprühten wahrhaft Feuer. Der Erste trat<br />

vor, machte seinen Oberkörper frei, und selbst ich erschrak. Tiefe Kratzer über die ganze<br />

Brust und ein Biss. Da fehlte Fleisch. Hatte meine Herrin ihn gebissen? Ihm ein Stück <strong>von</strong><br />

seinem Körper heraus gebissen? Naja, es war Kiara. Aber macht diese so etwas wirklich?<br />

Beißen? Wie ein Raubtier. Mir wurde ganz anders. Denn wenn ich dran denke, wie ich bis<br />

dahin mit Kiara umgegangen bin und mich – wenn ich zurückdenke – eigentlich ein jedes<br />

mal in Lebensgefahr begeben habe, unwissentlich. Danke, Ihr Götter, Danke!<br />

Karma erschrak und ich sah Tränen in ihren Augen. Ein Wisch, und sie waren weg, und<br />

sie ging auf den Mann zu. Schaute ihm in die Augen, murmelte ein paar Worte, beugte<br />

sich über die Wunde und … küsste sie ihn? – Dies kann ja jetzt wohl nicht wirklich sein.<br />

Nein, noch schlimmer. Es schien, als würde sie darüber … ich darf es gar nicht schreiben


… lecken. Man stelle es sich vor. Eine Wache, ach was, mehrere Wachen, wurden <strong>von</strong> einer<br />

Königin verprügelt, sogar wohl gebissen und nun leckt sie mit ihrer Zunge über diese offenen<br />

Wunden. Wo bin ich? Könnte mich jemand aufwecken. Ich denke, das letzte Bier war<br />

doch zu viel. Verdammt. Aber es war doch mein eigenes. Es muss an der Höhenluft liegen.<br />

Ich vertrage Berge nicht. Und die Wunde schloss sich. JA wie, ja was, ja wo? Doch sie<br />

machte es bei den Kratzern auch – da küsste sie nur drüber, und nun schlossen sich diese<br />

Wunden auch, und es sah aus wie junge Kinderhaut, die da zu sehen war. Der Mann war<br />

verwirrt. Ich war verwirrt.<br />

Die Burgherrin … schaute. Doch das Feurige in den Augen schwand. Man könnte sagen,<br />

es war ein interessierter Blick. Irgendetwas umgab sie. Doch ich kam nicht darauf. Ein<br />

Hauch <strong>von</strong> … Magie? Macht? Erfahrung? Autorität? Herrlichkeit? Fast schon Göttlichkeit?<br />

Es muss wirklich an der Bergluft liegen, die ich Weitgereister nicht vertrage, denn wie kann<br />

ich einer Burgherrin Göttlichkeit unterstellen. Wenn dies die Götter vernehmen würden, sie<br />

würden mir jeden einzelnen Schreibfinger brechen und dann… – lassen wir da<strong>von</strong> lieber<br />

ab. Denn was geschrieben, kann nicht immer gut für den Schreiber sein.<br />

Der Mann trat zurück, der letzte trat vor und so wiederholte sich diese Prozedur einige<br />

Male. Am Ende nahm sie einen jeden einzelnen der Männer in den Arm, entschuldigte<br />

sich persönlich für das falsche Verhalten und gab einem jedem einen … Kuß auf die<br />

Wange. Von Königin, welche was falsches gemacht hatte, zu Wache, welche – ich würde ja<br />

sagen, nicht ganz – korrekt gedient hatte. Danach durften die Wachen gehen.<br />

Als die Männer ausgetreten waren, die große doppelflügelige Türe verschlossen war, fragte<br />

Frauwe Dowynn offen heraus: „Warum seid Ihr gekommen?“<br />

„Ich wollte mit Euch sprechen“, kam es <strong>von</strong> Karma.<br />

„Dies tut Ihr nun. Was ist Euer Begehr, sonderbare Frau, die Ihr Karma heißt und Dinge<br />

könnt, die kein Languri und wohl auch keine Languri je konnte oder je kann?“<br />

„Wie schon angedeutet, ich bin Karma, die Schwarmkönigin, und ich habe einige Gaben,<br />

die mir gewisse Dinge“ – sie suchte nach dem richtigen Wort – „vereinfachen“, sprang ich<br />

ihr bei.<br />

„Noch einmal, was wollt Ihr <strong>von</strong> mir?“, kam es nun drängender <strong>von</strong> der Burgherrin.<br />

„Ich suche den Drachen“, kam es <strong>von</strong> Karma zurück.<br />

„Und weswegen?“<br />

„Ich will ihn heiraten.“<br />

Da klappte sogar mir die Kinnlade herunter.<br />

Ende Teil 1 <strong>von</strong> ‚DRACHENJAGD‘, geschrieben <strong>von</strong><br />

Thorval Knockback<br />

im bergigen Teil Langurias, in der sonderbaren Burg Reodoc,<br />

im Sommer des Jahres 428 n.P.


Drachenjagd (Part 2)<br />

Mögen die Götter mir hold gesonnen sein, denn dies, was ich jetzt und hier schreibe, ist mir strengstens<br />

untersagt. Was schreibe ich? Meine Herrin – nein, ich spreche nicht <strong>von</strong> Kiara, der Bösen, sondern<br />

<strong>von</strong> Karma, der Guten – wenn sie wüsste, dass ich dies mitbekommen habe und es auch noch<br />

schriftlich niederlege, selbst sie, die Gute, sie würde mich wohl häuten lassen und danach noch einige<br />

unliebsame Dinge mehr … dies mir, den sie auf ihre ganz eigene Art und Weise liebt.<br />

Doch warum schreibe ich es dann nieder? Nun, ich bin ein Mensch, zwar im besten Alter, doch<br />

was, wenn das wahre Alter mal auch bei mir zutage tritt und ich, der ich der größte Magi aller Zeiten<br />

und Welten (es gibt mehr Welten als nur Myra. Es gibt sogar Gerüchte, dass es eine Innenwelt in<br />

Myra geben soll), wenn gegen jene Vergessenheit, die mit dem Alter der Menschen kommt, selbst mir<br />

größtem Magi kein Zauber gelingen möge.<br />

Und so schreibe ich es nieder. Für mich und meine Augen und vor den Augen der Götter. Nur sie<br />

sollen Zeuge sein und erfahren, was vielleicht so <strong>von</strong> ihnen nicht registriert wurde, denn … es gibt<br />

vieles auf Myra zu beobachten, und da – denke ich – kann es schon mal vorkommen, dass jene Kleinigkeit,<br />

die da geschah, übersehen wurde, obwohl sie doch groß und wichtig war. Verstecken tu ich<br />

dieses Pergament hernach in meinem Stab, welcher in der Mitte hohl ist. Eine Höhlung, geschützt<br />

und umfasst <strong>von</strong> einem gar edlen Metallring, somit für kein Auge erkennbar. Tja, dumm bin ich<br />

nicht. Und dies wird niemals nicht niemand bemerken, dass ich darin meine größten Wichtigkeiten<br />

verstecke.<br />

Doch nun zur Sache, die sich zugetragen.<br />

„Ich will ihn heiraten“, sagte meine Herrin Karma zu Frauwe Dowynn, der Burgherrin<br />

der stolzen Burg Reodoc. Ich glaube, ich nenne sie einfach Steinklotz, Festung oder so ähnlich.<br />

Denn was anderes ist sie nicht.<br />

Die Burgherrin schaute mich an, räusperte sich kurz, ein Flackern war in den Augen zu<br />

sehen, kurz ein Zucken der Lippen, dann zeigte sie zur Tür. „Historiker, Ihr habt sicher<br />

noch was zu tun. Zum Beispiel ein anderes Gewand für das Abendmahl anzuziehen, Euch<br />

gebührend nach der langen Reise zu waschen oder anderes“, klingelte es in meinen Ohren<br />

nach. Ein Blick auf meine Herrin zeigte mir, dass auch sie wünschte, dass ich den großen<br />

Raum verließ. Warum war er eigentlich so karg eingerichtet, warum die Decke so hoch<br />

und warum … diese Decke war sonderbar, so … falsch.<br />

Ich verbeugte mich noch einmal vor beiden und verließ dann missmutig meine Herrin. So<br />

etwas hatte es noch nie gegeben. Ich, Thorvald Knockback, der größte Magi aller Zeiten,<br />

Chronist, Berater und Lieb… upps – verdammtes Pergament, ich bekomme diesen<br />

Schreibfehler einfach nicht raus - der Schwarmkönigin, wurde noch niemals nicht <strong>von</strong> ihr<br />

getrennt. Ich sollte meinen Magistab auf das Portal, auf die Burg und auf diese sonderbare<br />

Burgherrin richten und alles … verwandeln. Zu Staub zerfallen lassen, wäre langweilig.<br />

Vielleicht sollte ich die Burg verwolken. Die Mauern in Wolken umformen und dann die<br />

Burg mal hochheben. Abschleppen mit meinem Wolkenschiff und dann …<br />

Ach was soll‘s. Es war auch der Wunsch <strong>von</strong> meiner Karma, und ich bin ein treuer Diener


und nicht nachtragend. Aber wehe, wenn diese Frauwe mir mal in einem unpassenden<br />

Augenblick begegnen würde. Sie Burgherrin und ich Magi. Ich garantiere für nichts. Denn<br />

ich bin der größte Magi und …<br />

Ich schlenderte umher, fand einen Gang mit vielen Türen, öffnete eine, leer.<br />

Nächste Türe, ein großer Raum, ein Regal mit einzelnen Schriften – und dies auf einer<br />

Burg –, und schon war mein Interesse geweckt.<br />

Ich nahm mir einen Stapel da<strong>von</strong> und ging zu einem Lesepult. Als ich das Pergament aufrollte,<br />

glühten meine Augen, denn dies war ein gar altes Schriftstück, aus längst vergangenen<br />

Zeiten. Ich beugte mich vor und war schon in dem Schriftstück, als ich eine Stimme<br />

vernahm –<br />

„... und irgendwie kommt es mir so vor, als wärt Ihr jemand anderes, als Ihr vorgebt.“<br />

Ich drehte mich um, war meine Herrin da, neben mir? Nein.<br />

„Was seht ihr denn? Oder soll ich fragen, was meint Ihr nicht zu sehen?“ erklang eine<br />

andere Stimme.<br />

Täuschten mich meine Sinne, oder war dies gerade die Burgherrin, die mich so unsanft<br />

<strong>von</strong> meiner Herrin getrennt?<br />

Ich drehte den Kopf und merkte, dass die Stimmen aus einer bestimmten Richtung kamen.<br />

Da war doch aber nur Stein, die Mauer, die …<br />

Ja, verdammt. Diese grenzte an den Raum, wo meine Herrin und diese Burgherrin sprachen,<br />

und an dieser Stelle war wohl ein Stein etwas lockerer.<br />

Ich nahm mein Schriftstück und lehnte mich dort an die Wand. Scheinbar eine gemütliche<br />

Haltung, um es lesen zu können, und obwohl ich kein Spion bin, vernahm ich folgendes:<br />

„Mir erscheint, dass Ihr eine Ausstrahlung habt, die nicht zu dem passt, was das Auge<br />

einem vorgaukelt“, hörte ich die sanfte Stimme Karmas.<br />

„Selbiges könnte ich über Euch erzählen. Nur, zusätzlich habt Ihr mir bewiesen, dass Ihr<br />

auch noch etwas Böses in Euch habt, welches Ihr nicht wirklich kontrollieren könnt“, konterte<br />

es dagegen.<br />

Irgendwie hing mein Ohr nun an der Wand, als hätte es jemand dort hingenagelt.<br />

Ob ich mich dafür schäme, tja ähm, es ist im Dienste all jener, die es irgendwann mal wissen<br />

wollen und die Wahrheit über Karma erfahren wollen. Über jenes wunderbare Wesen,<br />

welches einzigartig auf Myra ist, und ein jeder sollte in den Genuss kommen, nur die<br />

Wahrheit über dieses göttliche Geschöpf zu erfahren.<br />

„Wie kommt es, dass Ihr jene Ecke des Reiches bewacht, wo der Drache vorzufinden ist.<br />

Dass scheinbar selbst Ihr ihn nicht findet, obwohl dieses Land nicht zu groß ist und …“ –<br />

doch da wurde sie unterbrochen.<br />

„Wisst Ihr, wie gut Drachen sich verbergen können und gar Menschenalter mit Schlaf verbringen<br />

können?“<br />

Doch schon erklang ein silberhelles Lachen: „Oder aber in anderer Gestalt!“


Was meinte meine Herrin nun damit? Drachen in anderer Gestalt. Götter, ja, dies hatte ich<br />

schon vernommen, aber Drachen. Und was für eine Gestalt? Widder, nein dies war glaub<br />

Chnum, dieser … keine Ahnung ... Gott halt. Und dann gab es da die eine Göttin der<br />

Liebe, aber die … nö, da war auch nix. Und dann der Eine, der ähnlich wie Chnum klang<br />

– nur anders geschrieben, aber gleich gesprochen – der war glaub der Gott der Seetiere,<br />

Fische (aber nicht alle, denn unser hiesiger Gott war ja der <strong>von</strong> den Walen, und dann gab<br />

es noch den einen <strong>von</strong> diesen spitznasigen Fischen, der hatte wieder einen ähnlichen<br />

Namen, und doch war er ein anderer – naja, Götter halt.<br />

So, wo waren wir?<br />

Ach ja, andere Gestalt, Drachen und … wir waren glaub bei den Göttern, oder?<br />

Eine Pause entstand und ich denke, wenn ich jetzt die Augen der beiden Damen gesehen<br />

hätte, hätte ich bei Karma dieses süße Leuchten gesehen. Zu diesem Zeitpunkt werden<br />

ihre Augen gewesen sein, wie der Frühling. Ein Sprühen und Knospen der Augen, ein<br />

Erblühen, Leben, Freude, Wärme, welche in solchem Überschwang heraus kommt, dass<br />

man ihr einfach gar nichts abschlagen konnte.<br />

Und diese andere, Frauwe, tja, wieder dieses feurige und zugleich kalte Glühen der Augen.<br />

Irgendwie unmenschlich, doch dies wird wohl daran liegen, dass sie als Frau allein auf<br />

einem Berg sitzt, in einer Burg, die halt … eine Burg ist. Was würde sie da<strong>von</strong> halten,<br />

wenn ich ihre Burg mit meiner Zauberei verschönere? Ein paar Blumen an der Wand entlang<br />

wachsen lasse?<br />

„Wie meint Ihr dies?“, kam <strong>von</strong> der Burgherrin. Obwohl ich so fern, hörte ich das<br />

Schwanken der Stimme.<br />

„Mir scheint, dass unter dem, was ich hier sehe, sich etwas verbirgt. Etwas …“ – und nun<br />

wandte meine Herrin etwas an, was sie <strong>von</strong> mir gelernt hat. Mir, Ihrem Lehrer, Lehrmeister,<br />

Berater, Chronisten und vielem, vielem mehr. Und Helfer in der Not auch. Sie machte<br />

eine Pause – „anderes.“<br />

Was meinte sie verdammt noch mal damit. Doch ich wette, sie hatte mit ihrer Hand direkt<br />

auf den Kopf oder das Herz der Burgherrin gestupst. Auch, wenn ich sie oft genug<br />

ermahnt hatte, dass sich dies nicht für den Adel gehören würde, solche Dinge so direkt<br />

anzusprechen oder gar anzudeuten.<br />

Ich hielt die Luft an. Drückte mein Ohr ganz hart an die Wand. Der Stein verrutschte ein<br />

klein wenig. Ich fummelte herum, um vielleicht einen Blick hinein werfen zu können und<br />

vernahm Geräusche, unsägliche Geräusche, die mich mit Angst und Neugier erfüllten.<br />

Im nächsten Moment brach ich durch die Wand, wo ich meine Herrin vor einem Drachen<br />

sah. Vor einem großen Drachen. Einem ganz großen Drachen.<br />

„Oh Herrin, Ihr habt den Drachen gefunden? Dies freut mich. Ich geh dann mal wieder“,<br />

und drückte mich wieder in die Wand, hob ein paar Steine auf, schob sie zurück und …<br />

putzte mir den Staub <strong>von</strong> der Kleidung.<br />

Was war da passiert?


Wo war die Burgherrin, wo kam der Drache her, warum waren sie so eng aneinander?<br />

Warum gab es keinen Kampf? Warum hat mich niemand gefragt und überhaupt?<br />

Gerade, als ich den letzten Stein aufgeschichtet und meine Kleidung gerichtet hatte, vernahm<br />

ich den Ruf: „Thooooorvaaaaaaaald“, und ich hielt inne.<br />

„Ja, meine Herrin“, kam es <strong>von</strong> mir leise.<br />

„Wollt Ihr bitte zu uns kommen?“, und gleich nachsetzend: „Bitte auf dem normalen<br />

Wege.“<br />

Und so eilte ich den Weg, welchen ich vorhin gekommen war, als ich sie verließ – beim<br />

ersten Male – zurück, klopfte an das Tor, trat ein, verschloss das Tor sofort hinter mir und<br />

… sah Karma mit der Burgherrin.<br />

„Oh, dieser Drache ist schon wieder gegangen?“ fragte ich.<br />

Mein Blick glitt in die Höhe, auf dem Boden, wo war der Drache? Warum lag das Kettenhemd<br />

<strong>von</strong> Frauwe auf dem Boden und das Schwert und ihre Kleidung war schlampig<br />

angezogen? Was war hier geschehen?<br />

„Ja, mein Berater. Der Drache ist schon wieder gegangen. Doch ich soll Dich fragen, ob<br />

Du Lust hast, mich mit ihm zu begleiten. Nach Adrodd“, fragte sie mich und wie es mir<br />

gehört, konnte ich ihr diese Bitte nicht ausschlagen.<br />

So, Ihr Götter – und jene, welche dies irgendwann lesen möchten, wenn ich nicht mehr<br />

lebe oder sonst was –<br />

ich gebe Euch ein Mysterium auf, welches selbst ich nicht zu lösen vermag,<br />

doch für die Geschichtsbücher wäre das wichtigste gesagt, und wer dieses Rätsel darin löst,<br />

soll mir Bescheid geben.<br />

So geschrieben <strong>von</strong><br />

Thorvald Knockback<br />

Berater der Schwarmkönigin Karma<br />

und vieles, vieles, vieles mehr, darunter größter Magi aller und jener Zeiten<br />

CMGJIKE


ZUG 77­1 (ASYLIA­ARCHIPEL UND EISIGES BAND)<br />

ZAT ist der 31. März 2010<br />

<strong>Bote</strong>nbeiträge in Text und Bild werden jederzeit entgegengenommen.<br />

Bilder für das Cover oder Illustrationen werden immer gebraucht. Bis auf weiteres werden<br />

die drei schönsten Bilder mit 15.000, 10.000 und 5.000 GS belohnt.<br />

Texte zu Handelswaren steigern deren Erträge.<br />

Der Zug 77 Phase 1 = Zug 751 spielt vom Herbst 428 n.P. bis zur jetzigen Zeit !<br />

Zugfolge:<br />

Da manche noch immer Schwierigkeiten mit der 2-phasigen AW-Strategie haben, an dieser<br />

Stelle noch mal den gültigen Modus:<br />

In Phase 1:<br />

Bewegt ihr die Einheiten INNERHALB eurer Reiche ( bei Wasser gilt der Sichtbereich)<br />

und zwar:<br />

K 1 GF<br />

R 2 GF<br />

Schiffe 3 GF<br />

Und Charaktere 4 GF weit !<br />

Dabei darf NICHT über fremdes Reichsgebiet gezogen werden ! Bewegungen die KFweise<br />

nicht gehen, gehen auch GF-weise nicht ( z.B. über 2 Höhenstufen ziehen oder<br />

auch keine Schiffe über Land u.ä.)<br />

Erkunden:<br />

Man erkundet vom GF A ins GF B.<br />

Bedingung ist, dass in GF A zumindest ein Mindeststärkenheer ( also 1000 K/500 R oder<br />

20 Schiffe( oder 10 Handelsschiffe) stehen.<br />

Als Ergebnis erhält man dann in der AW zu Phase 1 die Erkundungsergebnisse- und<br />

sieht was auf diesem GF vor sich geht.<br />

Genauer: Wo Städte o.ä. ( ab 1 BWP Größe) liegen- und sich bewegende Heere. Heere<br />

innerhalb <strong>von</strong> Gebäuden werden NICHT gesichtet !<br />

Möchte man diese erkundet man das Ziel-GF doppelt ! Dann „sieht“ man, wie die Städte<br />

o.ä. aufgebaut sind und ob darin Heere stehen ( und deren ungefähre Größe); für bewegende<br />

Heere bringt eine solche doppelte Erkundung dann recht genaue Ergebnisse<br />

(+/- 10 %) .


Der/die Besitzer des Ziel-GF erhalten IMMER Mitteilung, dass fremde Späher das GF<br />

erkunden ( und warnen so vor etwaigen Angriffen.<br />

Jedem Reich stehen 6 Erkundungseinheiten (EE) zur Verfügung. Und zwar für Phase 1<br />

UND Phase 2 zusammen !!!<br />

Zu Phase 2 können dann die zuvor erkundeten GF angegriffen werden oder dort gehandelt<br />

werden oder eine Sonderaktion ( z.B. Schatzsuche) durchgeführt werden. Dafür<br />

wird je GF wieder 1 EE benötigt.<br />

D.h. man kann in bis zu 6 GF „spähen“. Wenn man dort aber auch etwas tun möchte,<br />

muss man EE für Phase 2 sparen ! Man kann also max. in 3 GF gleichzeitig aktiv werden.<br />

( und man verzettelt sich nicht )<br />

Achtung: die Erkundereinheiten sind IMAGINÄR ! Also keine Heere dafür abstellen,<br />

o.ä. !!!<br />

Bauen: jederzeit - zu Phase 1 ansagen / eine Zeile was wo in welcher Reihenfolge gebaut<br />

werden soll, schreiben; gebaut wird mit einer Geschwindigkeit <strong>von</strong> 1 BWP je<br />

Mond ( also 3-6 BWP pro Zug !)<br />

Möchte man die Baugeschwindigkeit erhöhen, setzt man 1000 A + HF ein, die denn<br />

nochmals 1 BWP pro Mond bauen.<br />

In entlegenen Gebieten ( alles was weiter als 10 KF Abstand zum nächsten eigenen Siedlung<br />

( also mindesten 1 BWP Bev. und Rüs.) weg liegt) MUSS mit 1000 A + HF gebaut<br />

werden.<br />

Überseeprovinzen (KF) zählen IMMER als entlegen !<br />

Heere ( o. Sonstiges) rüsten: geht immer in Phase 1 ( solange Gold zum Bezahlen vorhanden<br />

ist ).<br />

Diese Neurüstungen dürfen sich normal bewegen !<br />

Heere ( o. Sonstiges) ausbilden: jederzeit ( ansagen !), nur in KF mit Mil. ( oder nach<br />

Absprache)<br />

Handel: Kontore erwirtschaften zu jeden Zug Gewinne ( s.o.)- Abrechnung zu Phase 1<br />

Handelsrouten werden JEDEN Zug abgerechnet ( was es ermöglicht auf aktuelle Geschehnisse<br />

einzugehen, z.B. Piraten, Kriegsaktivitäten, Stürme u.ä.). Abrechnung zu<br />

Phase 2.<br />

YGG VOM BLAUEN EISE


DIE LETZTE SEITE<br />

… ruft Euch erneut auf, uns nicht nur Texte, sondern auch (eigene) Bilder als Kulturbeiträge<br />

zu schicken. Wie Ihr seht, ist dieser <strong>Bote</strong> mal wieder ziemlich testlastig (bis auf<br />

die meistenteils <strong>von</strong> uns angefügten Cliparts). Deshalb gilt weiterhin:<br />

Wenn wir für den nächsten <strong>Bote</strong>n kein geeignetes Bild <strong>von</strong> Euch erhalten, holen wir<br />

eines aus unserem eigenen Fundus lizenzfreier Bilder, die aber nicht unbedingt etwas<br />

mit Karnicon zu tun haben. Eure Aufgabe ist es dann, diese Beziehung herzustellen,<br />

indem ihr zum darauf folgenden <strong>Bote</strong>n eine Geschichte zu diesem Bild schreibt. Die<br />

besten Geschichten werden mit 5.000 bis 30.000 GS sowie eventuell einem Hinweis<br />

belohnt. (Dies ist beim aktuellen <strong>Bote</strong>n der Fall!)<br />

Wer uns andererseits ein Bild und dazu eine Bildunterschrift oder Geschichte liefert,<br />

bekommt je nach Qualität und „Titelfähigkeit” ebenfalls bis zu 30.000 GS und ebenfalls<br />

einen Hinweis – vielleicht sogar einen etwas wertvolleren. Wichtig: Ihr müsst alle<br />

Rechte an diesen Bildern haben, einschließlich des Rechts, uns und dem Verein der<br />

Freunde Myras den Abdruck zu gestatten sowie sonstige Wiedergaberechte zu<br />

gewähren. Das Bild selbst sollte eine Breite <strong>von</strong> wenigstens 800 Pixeln und eine<br />

entsprechende Höhe haben; besser wäre eine Breite <strong>von</strong> ca. 1.500 Pixeln. Ihr könnt uns<br />

aber auch gerne eine Originalzeichnung auf Papier zum Einscannen schicken.<br />

IMPRESSUM<br />

Der Segmentsbote <strong>von</strong> <strong>Karnikon</strong> ist ein Mitteilungsblatt der Fantasywelt Myra, speziell bezogen auf das Segment <strong>Karnikon</strong>.<br />

Der Segmentsbote erscheint in unregelmäßigen Abständen mit den Nachrichten aus <strong>Karnikon</strong>/Ysatinga und Neuigkeiten der<br />

Welt Myra. Dieser <strong>Bote</strong> ist Bestandteil der Auswertung und wird als interne Veröffentlichung normalerweise nur <strong>von</strong> Spielern<br />

des Spiels "Welt der Waben" bezogen. Für die Inhalte der Texte sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Das Urheberrecht<br />

sowie eventuelle Bildrechte liegen beim jeweiligen Autor. Soweit bei den Beiträgen Autoren benannt werden, handelt es<br />

sich um Pseudonyme; die vollständigen Namen und Adressen sind der Redaktion bekannt.<br />

Spielleitung <strong>Karnikon</strong> (V.i.S.d.P. im Auftrag des VFM e.V.)<br />

Michael Ecker<br />

Jochen Sprengel<br />

Tettnanger Str. 75 Neuer Weg 13<br />

88214 Ravensburg 69412 Eberbach<br />

al.moccero@karnicon.de<br />

schaefer_claudia@gmx.net<br />

ZAT: siehe Auswertungen<br />

Titelbild: Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, gefunden in den Kellerarchiven der Bibliothek <strong>von</strong> Abernalon-o-Aberlon:<br />

Was stellt es dar? Bitte sendet Eure Kulturberichte ein.<br />

Erscheinungsdatum dieses <strong>Bote</strong>n: April 2010

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