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K. Zirkel: General von Deimling 2008-3-104 Zirkel, Kirsten: Vom ...

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K. <strong>Zirkel</strong>: <strong>General</strong> <strong>von</strong> <strong>Deimling</strong> <strong>2008</strong>-3-<strong>104</strong><br />

<strong>Zirkel</strong>, <strong>Kirsten</strong>: <strong>Vom</strong> Militaristen zum Pazifisten.<br />

<strong>General</strong> Berthold <strong>von</strong> <strong>Deimling</strong> - eine politische<br />

Biographie. Essen: Klartext Verlag <strong>2008</strong>. ISBN:<br />

978-3-89861-898-4; 272 S.<br />

Rezensiert <strong>von</strong>: Christoph Jahr, Institut für Geschichtswissenschaften,<br />

Humboldt-Universität zu<br />

Berlin<br />

Zu seiner Zeit war der <strong>General</strong> Berthold <strong>von</strong> <strong>Deimling</strong><br />

ebenso populär wie umstritten, heute ist er<br />

weitgehend vergessen. Das ist durchaus erstaunlich,<br />

gehörte er doch zu der verschwindend kleinen<br />

Zahl hoher Offiziere, die sich nach dem Ersten<br />

Weltkrieg zum Pazifismus bekehrt haben und dadurch<br />

zu positiven Ausnahmeerscheinungen wurden.<br />

Zu erklären, wie es dazu kam und wie sich<br />

<strong>Deimling</strong>s ungewöhnlicher Lebenslauf in die deutsche<br />

Geschichte vom Kaiserreich bis zum NS-<br />

Regime einfügt, ist das Ziel <strong>von</strong> <strong>Kirsten</strong> <strong>Zirkel</strong>s<br />

Biographie. Erstmals wird <strong>Deimling</strong> umfassend<br />

biographisch gewürdigt, wobei <strong>Zirkel</strong> ein „crossover“<br />

(S. 10) aus Militär-, Mentalitäts-, Politik- und<br />

Gesellschaftsgeschichte anstrebt. Die Neugier des<br />

Rezensenten ist nicht nur wegen des spannenden<br />

Gegenstandes besonders groß, sondern auch deswegen,<br />

weil er selbst bereits zu <strong>Deimling</strong> geforscht<br />

hat. 1<br />

<strong>Deimling</strong> wurde 1853 als Spross einer nordbadischen<br />

Beamten- und Offiziersfamilie geboren und<br />

trat 1871 als Einjährig-Freiwilliger in das preußische<br />

Heer ein. Dort durchlief er eine steile Karriere,<br />

die ihn auch an die Kriegsakademie und in<br />

den Großen <strong>General</strong>stab führte. Seine „Feuertaufe“<br />

erfuhr er bei der Niederschlagung des Hereround<br />

Nama-Aufstandes in Südwestafrika, zeitweise<br />

als Kommandeur der Schutztruppen. Dieser Einsatz<br />

brachte ihm nicht nur den erblichen preußischen<br />

Adel ein, sondern auch öffentliche Bekanntheit<br />

durch einen Auftritt vor dem Reichstag. Zudem<br />

sorgte er Ende 1906 auch für die Beendigung<br />

des Krieges durch ein Friedensabkommen.<br />

1913 wurde er zum Kommandierenden <strong>General</strong><br />

des XV. Armeekorps in Straßburg ernannt<br />

und stand während der Zabern-Affäre bald erneut<br />

im Licht der Öffentlichkeit. Im Ersten Weltkrieg<br />

1 Vgl. Jahr, Christoph; <strong>Deimling</strong>, Berthold <strong>von</strong>, <strong>Vom</strong> <strong>General</strong><br />

zum Pazifisten. Eine biographische Skizze, in: Zeitschrift für<br />

die Geschichte des Oberrheins N.F. 142, 1994, S. 359-387;<br />

ders., „Die reaktionäre Presse heult auf wider den Mann“ –<br />

<strong>General</strong> Berthold v. <strong>Deimling</strong> (1853-1944) und der Pazifismus,<br />

in: Wette, Wolfram (Hrsg.), Pazifistische Offiziere in<br />

Deutschland 1871 bis 1933, Bremen 1999, S. 131-146.<br />

kämpfte <strong>Deimling</strong> an der Westfront, wobei er wiederholt<br />

durch eigenmächtige Aktionen auffiel. Im<br />

September 1916 erhielt er den „Pour le mérite“,<br />

wurde nach einem erfolglosen Angriff jedoch auf<br />

einen bedeutungslosen Posten abgeschoben und<br />

im September 1917 schließlich aus der Armee entlassen.<br />

Im November 1918 fand <strong>Deimling</strong> schnell zur<br />

Republik und trat der linksliberalen Deutschen<br />

Demokratischen Partei bei. Sein wichtigstes Wirkungsfeld<br />

war das Reichsbanner Schwarz-Rot-<br />

Gold, in dessen Bundesvorstand er tätig war und<br />

auf dessen Kundgebungen er häufig sprach. Doch<br />

nicht als „Vernunftrepublikaner“ erregte <strong>Deimling</strong><br />

das größte Aufsehen, sondern als Pazifist – zumal<br />

er vor dem Weltkrieg den Pazifismus wie kaum<br />

ein zweiter verhöhnt hatte. Nach 1918 warnte er<br />

in zahlreichen Reden und Zeitungsartikeln vor der<br />

Gefahr eines neuen Krieges und warb für Deutschlands<br />

Beitritt zum Völkerbund. Ein Radikalpazifist<br />

war er freilich nicht: Verteidigungskriege hielt<br />

er für legitim, und die Kriegsdienstverweigerung<br />

lehnte er ab. <strong>Deimling</strong> blieb dabei ein Einzelkämpfer,<br />

der aufgrund seines radikalen Positionswechsels<br />

nicht nur <strong>von</strong> rechts scharf angegriffen wurde,<br />

sondern auch im republikanischen und pazifistischen<br />

Lager immer wieder beargwöhnt wurde.<br />

1933 war es mit <strong>Deimling</strong>s öffentlichem Engagement<br />

vorbei. Er versuchte trotzdem, wenn auch<br />

vergebens, weiter für seinen Pazifismus zu werben,<br />

nicht ohne äußerliche Anbiederung an die neuen<br />

Machthaber. Weitgehend in Vergessenheit geraten,<br />

starb er im März 1944 in seiner Wahlheimat<br />

Baden-Baden.<br />

<strong>Zirkel</strong> vermag diesen kurvenreichen Lebensweg<br />

anschaulich zu schildern, wobei sie zahlreiche<br />

neue Quellen erschlossen hat und manch bislang<br />

unbekanntes Details berichten kann. So wird<br />

nun deutlich, wie stark <strong>Deimling</strong> mit seinem nassforschen<br />

und eigenmächtigen Tatendrang bereits<br />

während seiner Zeit im Großen <strong>General</strong>stab unter<br />

Schlieffen aneckte und sich dadurch seine weitere<br />

<strong>General</strong>stabskarriere verdarb. Bei dem Aufsehen<br />

erregenden Friedensschluss mit den Aufständischen<br />

in Südwestafrika konfrontierte er seine<br />

militärischen Vorgesetzten und die Politiker mit<br />

einem fait accompli, genoss aber die Rückendeckung<br />

des Kaisers, ebenso wie in der Zabern-<br />

Affäre. <strong>Zirkel</strong> kann belegen, dass <strong>Deimling</strong> das<br />

schroffe Verhalten seiner Untergebenen gegenüber<br />

der elsässischen Zivilbevölkerung nicht nur deckte,<br />

sondern selbst die treibende Kraft der Kon-<br />

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flikteskalation war. Im Weltkrieg schließlich zeigte<br />

sich <strong>Deimling</strong> erneut als ein eigenmächtiger,<br />

draufgängerischer Heerführer, der noch nichts <strong>von</strong><br />

jenem Lernprozess erkennen ließ, der ihn nach<br />

1918 zum Pazifismus führte. Diesen Wandlungsprozess<br />

sieht <strong>Zirkel</strong> – wiederum plausibel – als<br />

erst in den letzten Kriegswochen beginnend. Die<br />

militärische Niederlage und die Flucht des Kaisers<br />

ins Exil hat <strong>Deimling</strong>s Abkehr <strong>von</strong> diesem<br />

gescheiterten System bewirkt. Jedoch erst seine<br />

„Kaltstellung“ im Krieg und die daraus resultierende<br />

Entfremdung vom konservativen Establishment<br />

gab ihr die – für seine Verhältnisse radikale –<br />

demokratisch-pazifistische Richtung.<br />

Diese letztgenannte Deutung ist nun allerdings<br />

so neu nicht, wie <strong>Zirkel</strong> glauben machen will. Außerdem<br />

geht sie mit <strong>Deimling</strong> bisweilen doch allzu<br />

gnädig um. Dass Truppen unter seinem Kommando<br />

1914 in Nordfrankreich möglicherweise an<br />

Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt<br />

waren, erfährt man nur durch einen Nebensatz im<br />

Zusammenhang mit dem französischen Auslieferungsbegehren<br />

nach 1918. Wenn <strong>Zirkel</strong> <strong>Deimling</strong>s<br />

am Beispiel der Zabern-Affäre geäußerte Kritik<br />

am preußisch-deutschen Militarismus zitiert, verliert<br />

sie kein Wort darüber, dass ausgerechnet diese<br />

Textpassage nur in der maschinenschriftlichen,<br />

nicht aber in der publizierten Fassung seiner Memoiren<br />

auftaucht. Diese nicht unwichtige Information<br />

wird kommentarlos in einer Anmerkung<br />

versteckt. Wenig überzeugend ist auch ihre Bewertung<br />

des Verhaltens <strong>Deimling</strong>s in der NS-Zeit,<br />

das zwielichtiger erscheint, als <strong>Zirkel</strong> es wahr haben<br />

will. <strong>Deimling</strong> blieb zwar seinem Pazifismus<br />

treu, aber Berührungsängste gegenüber den neuen<br />

Machthabern zeigte er nicht, was angesichts seines<br />

vorangegangenen Engagements für die Demokratie<br />

doch verwundern muss. Ob der Titel der Biographie<br />

passend ist, bleibt ebenfalls fraglich. Wenn<br />

man Franz Carl Endres’ bekannter Definition des<br />

Militarismus als der „Geistesverfassung des Nichtmilitärs“<br />

– die auch <strong>Zirkel</strong> zitiert – folgt, dann wäre<br />

die Kennzeichnung des <strong>General</strong>s <strong>von</strong> <strong>Deimling</strong> als<br />

„Militarist“ wenig hilfreich.<br />

Inkonsistent ist aber vor allem <strong>Zirkel</strong>s Auseinandersetzung<br />

mit der Frage, ob <strong>Deimling</strong> ein „typischer<br />

Wilhelminer“ war. <strong>Zirkel</strong> bestreitet das energisch<br />

mit dem Hinweis, <strong>Deimling</strong> sei weder in den<br />

wilhelminischen Geist hineingeboren noch in ihm<br />

erzogen worden. Doch als „Wilhelminer“ konnte<br />

man gar nicht geboren werden, zu ihm wurde<br />

man aufgrund seiner sozialen und politischen<br />

Sozialisation gemacht. Der Bruch zwischen früher<br />

liberaler Sozialisation und der durch die Einigungskriege<br />

bewirkten „Bekehrung“ zum Machtstaat<br />

gehört zur Selbststilisierung vieler „Wilhelminer“.<br />

Sie findet sich folgerichtig auch in <strong>Deimling</strong>s<br />

Autobiographie <strong>von</strong> 1930, in der er schrieb,<br />

dass durch den preußischen Sieg 1866 „die Gestalten<br />

<strong>von</strong> Bismarck und Moltke immer breiteren<br />

Raum in unserer jugendlichen Phantasie“ gewannen.<br />

2 Die Wilhelminer waren die „jungen Wilden“<br />

des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die den nationalen<br />

Machtstaat vergötterten und für die Welt<br />

ihrer Väter nur Spott und Verachtung übrig hatten.<br />

Martin Doerrys Aussagen über jene Wilhelminer,<br />

die „Anschluss an emanzipatorische und autoritätskritische<br />

Leitbilder“ fanden und politische<br />

Lernfähigkeit positiv einzuschätzen lernten, scheinen<br />

<strong>Deimling</strong> geradezu auf den Leib geschrieben.<br />

Wie <strong>Deimling</strong>s Tätigkeit für das „Reichsbanner<br />

Schwarz-Rot-Gold“ zeigt, wurde auch bei<br />

ihm der autoritätskritische Gestus „durch traditionelle<br />

Rollenklischees, Weltbilder und Verhaltensformen“<br />

konterkariert und, wie Doerry feststellt,<br />

„mental gleichsam unterlaufen“. 3 Das festzustellen<br />

ändert nichts daran, dass <strong>Deimling</strong> als eine positive<br />

Ausnahmeerscheinung in der deutschen <strong>General</strong>ität<br />

gewertet werden kann.<br />

An einigen Stellen, so lässt sich die Kritik<br />

an <strong>Zirkel</strong>s <strong>Deimling</strong>-Biographie zusammenfassen,<br />

hat es den Anschein, als habe sie um jeden Preis<br />

Originalität demonstrieren wollen, indem sie diejenigen<br />

Forschungspositionen, <strong>von</strong> denen sie sich<br />

absetzen will, vereinfacht. Das ist bedauerlich und<br />

überflüssig, weil ihre Arbeit ungeachtet der benannten<br />

Schwächen einen wichtigen Beitrag zur<br />

historischen Friedensforschung leistet.<br />

HistLit <strong>2008</strong>-3-<strong>104</strong> / Christoph Jahr über <strong>Zirkel</strong>,<br />

<strong>Kirsten</strong>: <strong>Vom</strong> Militaristen zum Pazifisten. <strong>General</strong><br />

Berthold <strong>von</strong> <strong>Deimling</strong> - eine politische Biographie.<br />

Essen <strong>2008</strong>. In: H-Soz-u-Kult 12.08.<strong>2008</strong>.<br />

2 <strong>Deimling</strong>, Berthold <strong>von</strong>, Aus der alten in die neue Zeit, Berlin<br />

1930, S. 20.<br />

3 Doerry, Martin, Übergangsmenschen. Die Mentalität der<br />

Wilhelminer und die Krise des Kaiserreichs, Weinheim 1986,<br />

Bd. 1, S. 174.<br />

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