Das Dorf verhungert ohne mobile Verkäufer - Technische Universität ...
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Stefan Schmidt Das Dorf verhungert ohne mobile Verkäufer
- Seite 3 und 4: 2 Hauptfach Bildsprache - Landfluch
- Seite 6 und 7: Schlechte Nahversorgung auf dem Lan
- Seite 8 und 9: Riesa Lommatzsch Leuben- Schleinitz
- Seite 10 und 11: Abb.: Das Grundstück widerspricht
- Seite 12 und 13: Abb.: Brigitte im reich bestückten
- Seite 14 und 15: Abb.: Frau Schmelzer nutzt auch als
- Seite 16 und 17: »Hallo! Dürfte ich Ihnen kurz ein
- Seite 18 und 19: Abb. rechts: Die ältere Frau mit d
- Seite 20 und 21: Abb.: Brigitte verkauft aus dem Wag
- Seite 22 und 23: Abb. oben: Frau Lehmann im Gespräc
- Seite 24 und 25: »Hast Du eigentlich die Möglichke
- Seite 26 und 27: Abb.: Frau Wirthgen sieht die Tatsa
- Seite 28 und 29: »Aber mein Betrieb geht von früh
- Seite 30: Abb.: Am Ortsausgang hält Brigitte
- Seite 33 und 34: 32 Frau Ruben (80), Naundörfchen
- Seite 35 und 36: Abb. rechts: den wöchentlichen Ang
- Seite 37 und 38: 36 »Aber es gibt ja 2 Seiten! So z
- Seite 39: 38 »Ach so!?« hakt Frau Jurisch n
- Seite 42 und 43: Abb.: Tourenpläne gibt es bei der
Stefan Schmidt<br />
<strong>Das</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>verhungert</strong> <strong>ohne</strong> <strong>mobile</strong> <strong>Verkäufer</strong>
2<br />
Hauptfach Bildsprache - Landflucht<br />
Dipl.-Ing. Grit Koalick<br />
Professur für Darstellungslehre<br />
Fakultät Architektur<br />
<strong>Technische</strong> <strong>Universität</strong> Dresden<br />
Winter 2007/08
Inhalt<br />
5 Einleitung<br />
8 Die Tepenhof GmbH<br />
10 <strong>Verkäufer</strong>in Brigitte<br />
12 Frau Schmelzer<br />
14 Frau Neubert<br />
20 Frau Lehmann<br />
24 Frau Wirthgen<br />
26 Die Geschäftsfrau<br />
28 Herr Mai<br />
32 Frau Ruben<br />
35 Frau Jurisch<br />
40 Frau Lindner<br />
42 Schlussgedanke<br />
3
Schlechte Nahversorgung auf dem Land<br />
Immer mehr Verbraucher in ländlichen Gebieten sind von der Nahversorgung abgekoppelt.<br />
Selbst in größeren Gemeinden ist die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen<br />
Alltagsprodukten vielfach nicht mehr existent – bis zum nächsten Geschäft müssen die<br />
Verbraucher immer weitere Wege zurücklegen. Von der Unterversorgung sind bundesweit<br />
bis zu acht Millionen Verbraucher in ländlichen Regionen betroffen*.<br />
Die mangelnde Nahversorgung wird zunehmend auch zum sozialen Problem – für ältere<br />
Menschen, Menschen mit Behinderungen oder Verbrauchern mit geringer Kaufkraft stellen<br />
die großen Entfernungen oft ein kaum überwindbares Problem dar.<br />
»Was nutzt es, wenn immer mehr Busse oder Supermärkte behindertengerecht ausgestattet<br />
sind, wenn die Fahrt zum nächsten Geschäft mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer<br />
Tagesreise wird,« so Edda Müller, ehemaliger Vorstand des vzbv.<br />
»Viele Menschen macht die fehlende Nahversorgung erst zu Behinderten.«<br />
<strong>Das</strong> Sterben der traditionellen Kaufmannsläden in der dünn besiedelten Fläche hat schon<br />
vor längerer Zeit begonnen.<br />
In den vergangenen 40 Jahren sank die Zahl der Lebensmittelgeschäfte bundesweit von<br />
einst 160 000 auf nur noch 60 000*.<br />
Zugleich verschärfte der Siegeszug von Aldi, Lidl und Co. den Wettbewerb massiv.<br />
Im Preiskampf sind die Anforderungen an profitable Standorte gestiegen.<br />
Damit die Kaufkraft der Kundschaft stimmt und sich die Kosten rechnen, lautet die Vorgabe<br />
vieler Ketten: mindestens 700 Quadratmeter Ladenfläche, mindestens 6000 Einw<strong>ohne</strong>r im<br />
Einzugsgebiet.<br />
Insgesamt sei die Versorgung des ländlichen Raumes aber nicht in Gefahr.<br />
Wo Läden geschlossen werden, kämen mehr und mehr <strong>mobile</strong> <strong>Verkäufer</strong> in die<br />
Siedlungen, zum Beispiel mit Lastwagen als Minimärkten auf Rädern.<br />
Dem will ich mit einer Recherche auf dem Land auf den Grund gehen.<br />
Ich entscheide mich, einen „Tante - Emma“ - Laden auf vier Rädern bei einer Tour über das<br />
Land zu begleiten.<br />
Dort möchte ich mir die Situation vor Ort anschauen und Stimmen der Bew<strong>ohne</strong>r einfangen.<br />
* Ergebnis einer vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) veröffentlichten Studie* des Instituts für ökologische<br />
Wirtschaftsforschung.<br />
5
6<br />
Suche nach einem <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong><br />
LK Meißen
Riesa<br />
Lommatzsch<br />
Leuben-<br />
Schleinitz<br />
Naundörfchen<br />
Großenhain<br />
Meißen<br />
1<br />
3<br />
2<br />
4<br />
5 6<br />
7<br />
Bei der langwierigen Suche nach einem <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong><br />
in der Region um Dresden, stoße ich auf die Tepenhof GmbH. Ein Unternehmen mit Sitz<br />
in Osnabrück, dass sich auf die Versorgung des ländlichen Raums konzentriert. Im Jahr<br />
1992 entstand eine Niederlassung in Leuben - Schleinitz im Landkreis Meißen westlich der<br />
Landeshauptstadt Dresden.<br />
Von dort machen sich werktags stets 16 von 30 Mitarbeitern mit Verkaufs<strong>mobile</strong>n auf den<br />
Weg um in der ländlichen Umgebung Waren an die Leute zu bringen.<br />
Darüberhinaus werden aber auch diverse „Haltestellen“ in Meißen, Riesa, Dresden und<br />
anderen Städten angefahren. So haben gebrechliche und ältere Leute die Möglichkeit direkt<br />
vor ihrer Haustür einzukaufen.<br />
Ich vereinbare telefonisch einen Termin.<br />
Abb. links: Landkreis Meißen<br />
einige Orte, die an diesem Tag von der<br />
Basis in Leuben - Schleinitz angefahren<br />
werden<br />
1 Niederau<br />
2 Oberau<br />
3 Gohlis<br />
4 Großdobritz<br />
5 Hohndorf<br />
6 Beiersdorf<br />
7 Lauterbach<br />
7
8<br />
Keine Romantik. Kein Bauernhof. Keine Tiere.<br />
Zu meiner Enttäuschung ist die regionale Firmenzentrale ein unendlich langer und alter<br />
Gebäudekomplex. Eine riesige leere Halle, in der ich schon von weitem die knallgelben<br />
Autos durch die weit geöffneten Tore sehen kann. Zusammen mit randvollen Mülltonnen und<br />
unzähligen Verpackungsresten. Jeder scheint einen festen „Parkplatz“ zu haben und ist damit<br />
beschäftigt sein Auto individuell zu bestücken.<br />
Ich suche das Büro von Frau Lindner, der Chefin und stoße auf einen kleinen hellen, aber<br />
kargen Raum, der eher zweckmäßig als professionell daherkommt.<br />
Als ich Frau Lindner begrüße, kann ich sofort erkennen, dass sie mich und unseren Termin<br />
vergessen hat. Ich helfe ihr schnell auf die Sprünge und nach einem kurzem Hin und Her<br />
weist sie mich ganz unkompliziert einer Tour zu.<br />
Ich soll Brigitte begleiten. »Die fährt heute ein paar Dörfer an.«<br />
Sie läuft voran – zurück in die große kalte Halle und stellt mich Brigitte vor.<br />
Diese reagiert freundlich und scheint sich nicht daran zu stören, dass ich sie in den nächsten<br />
Stunden begleiten möchte.<br />
Während sie weiter ihren Transporter bestückt, schaue ich mich um.
Abb.:<br />
<strong>Das</strong> Grundstück widerspricht den<br />
Erwartungen. Neben der<br />
langgestreckten Halle finden sich<br />
auf dem Grundstück auch viele<br />
Schandflecken - ausgeschlachtete<br />
Autos und Schrottberge.<br />
9
10<br />
Brigitte (<strong>Verkäufer</strong>in beim Tepenhof)<br />
Nachdem Brigitte alles in ihrem Wagen verstaut hat, habe ich die Möglichkeit<br />
schon vor dem Losfahren ein paar Dinge zu erfahren.<br />
Da uns dann allerdings die Zeit im Nacken sitzt, entschließe ich mich, sie während der<br />
Verkaufstour immer mal wieder zu Wort kommen zu lassen.<br />
»Wie lange fährst Du schon für den Tepenhof?«<br />
»11 Jahre.«<br />
»Seit 11 Jahren?«<br />
»Ja… da hat man dann auch besseren Kontakt zu den Kunden. Persönlich jetz´.<br />
Die haben mir auch schon manchmal das Herz ausgeschüttet. Na ja gut, man erzählt ja<br />
auch manches von sich. Is ja ganz normal. Man muss aber dann auch ´n bissl zwee Ohren<br />
haben. Rein und raus.«<br />
»Ich habe <strong>ohne</strong>hin das Gefühl, dass einige Leute nicht primär wegen des Einkaufs<br />
kommen, sondern doch eher zum Treffen und Reden.«<br />
»Mmmh.« Sie nickt. »Ich hab ja dann auch welche, zwei Haltestellen weiter von hier… da<br />
sind es immer 3 Frauen und ein Mann und die treffen sich dann dort immer.<br />
Und quatschen. Gerade auch im Winter. Da sieht man ja wenig die Leute und so<br />
können se dann mal n´ bissl dort…«<br />
»Die Touren wechseln auch nicht?« »Nö.«<br />
»Gibt es eigentlich eine Zeit, wo nicht ausgefahren wird?«<br />
»<strong>Das</strong> ganze Jahr wird ausgefahren! Manchmal, wenn´s ganz verweht ist, müssen wa auch<br />
mal drinbleiben. <strong>Das</strong> ist aber wirklich selten.«<br />
»Und wie treten die Kunden mit dem Tepenhof in Kontakt? Wenn einem am Mittwoch<br />
einfällt, ich brauch am Montag dieses und jenes.«<br />
»Telefonisch. Die rufen dann drinne an oder direkt bei mir, wenn se mal was Spezielles<br />
wollen.«<br />
Neben unserem Gespräch händigt sie mir den „Tourenplan“ aus, nach dem ich verlangt<br />
habe. Dieser ist, ganz untypisch, ein aus drei Blättern bestehender mit der Schreibmaschine<br />
verfasster Text. Mit diesem soll es uns möglich sein, Brigitte zu folgen.<br />
Auch wenn wir sie einmal auf dem Land verlieren.<br />
Wir fahren los. Erstes Ziel: Meißen.
Abb.:<br />
Brigitte im reich bestückten<br />
Verkaufsbereich ihres Transporters<br />
11
Abb.:<br />
Die ersten Kunden warten bereits<br />
ungeduldig. Es gibt nach den<br />
Feiertagen viel zu erzählen.<br />
12<br />
Frau Schmelzer (65), Meißen<br />
»Können Sie mir sagen, wie lange sie schon beim Tepenhof einkaufen?«<br />
»Na, seitdem die angefangen haben, aber ich kann ihnen dass jetzt nicht genau sagen. «<br />
Sie hält kurz und lautstark Rücksprache mit Brigitte. Beide einigen sich auf knapp 11 Jahre,<br />
da Brigitte sie schon seit Beginn ihrer Tour kennt.<br />
»Warum nutzen sie denn diesen Service?« »Na, weil es bequem ist.«<br />
»Wie ist die Beziehung zum <strong>Verkäufer</strong>?«<br />
»Freundlich. […] Nett. Ich will mal sagen… intimer! So, man unterhält sich mal. Gucken se<br />
ma, in so einem Einkaufscenter; wann kommt da mal ´ne <strong>Verkäufer</strong>in auf sie zu!?<br />
Höchstens wenn se mal ´ne Frage haben. Hier ist es halt wie früher – wie bei den Emma –<br />
Einkaufsläden.«<br />
»Sind sie darüber hinaus auch mit dem Sortiment zufrieden?«<br />
»Och, ja, im Großen und Ganzen.«<br />
»Würden Sie für diesen Service noch tiefer in die Tasche greifen?«<br />
»Na ja, es ist schon teurer als sonst in den Geschäften. [Pause] Viel teurer darf es nicht<br />
mehr werden.«
Abb.:<br />
Frau Schmelzer nutzt auch<br />
als „Städter“ den<br />
Tepenhoftransporter zum Einkaufen.<br />
Und das regelmäßig.<br />
13
Abb.:<br />
Im Gespräch mit Frau Neubert, die<br />
sich als Einzigste einen kurzem<br />
Interview stellte. Vor ihr der bei<br />
Älteren beliebte Einkaufskorb.<br />
14<br />
Frau Neubert (80), Gohlis<br />
Wir fahren nun schon mehrere Minuten hinter Brigitte her. Ich schaue unentwegt auf den<br />
Tourenzettel, der vor mir auf dem Schoß liegt. Ohne diesen, hätten wir sie mit Sicherheit<br />
schon verloren. <strong>Das</strong> Ganze ähnelt beinahe einer Verfolgungsjagd. Brigitte rast mit ihrem<br />
3,5 Tonner wirklich unangemessen schnell durch die Ortschaften. Die Zeit drängt. Sie muss<br />
minutengenau bei ihren Kunden sein. Sie verlassen sich darauf.<br />
Wir erreichen Gohlis. Nachdem das leuchtendgelbe Tepenhof-Auto auf den kleinen <strong>Dorf</strong>platz<br />
gefahren ist, öffnet Brigitte ihren Verkaufsstand und bringt sich in Position.<br />
Nach kurzer Zeit bewegt sich eine Schar von Leuten auf den <strong>mobile</strong>n Kaufmarkt zu.<br />
Nachdem sich alle um den Wagen versammelt haben und der wöchentliche Smalltalk<br />
beginnt, suche ich mir einen Interviewpartner. Ich entscheide mich für die kleine weißhaarige<br />
Frau, die sich als Einzige nicht lauthals über unseren Versuch Fotos zu machen, aufregt.
»Hallo! Dürfte ich Ihnen kurz ein paar Fragen stellen?« sie nickt.<br />
»Sie sind die Frau…?«»Neubert.« Ich weiß, was sich gehört und frage bewusst:<br />
»Können Sie mir Ihr „ungefähres“ Alter verraten?«<br />
»Achtzig.« »Wunderbar.«<br />
»Nee,… das ist nich´ wunderbar!« Sie scheint es ernster zu nehmen, als ich dachte.<br />
»In welchem Ort befinden wir uns gerade?« frage ich lautstark meinen Begleiter.<br />
»Da musste ma die Oogen offmachen. Sag ma. Da fährste rein und guckst ma nach oben.<br />
Gooohlisss.« sagt jemand in der Gruppe.<br />
Abb.:<br />
Andrang am Verkaufsmobil<br />
15
16<br />
Ich widme mich wieder Frau Neubert.<br />
»Warum nutzen Sie den Service des Tepenhofs?«<br />
»Warum wir den nutzen? Na ja… wir fahren einmal die Woche groß… aber das was wir<br />
sonst so brauchen, holen wir hier. «<br />
»Gibt es sonst keine Möglichkeit für Sie im <strong>Dorf</strong> einzukaufen? «<br />
»Nee, nee, nee… Da kommt heut der Tepenhof und morgen kommt der Bäcker und da<br />
gehen wa dann einkaufen. «<br />
»<strong>Das</strong> heißt, <strong>ohne</strong> mobil zu sein gibt es sonst keine Möglichkeit einzukaufen? «<br />
»Nee. Wer keen Auto hat, hat ein Problem. Wir ham noch ´nen Sohn, der fahren kann. Der<br />
Supermarkt ist ja Kilometer entfernt…..die Busverbindung sehr schlecht. «<br />
»Was denken Sie was passiert, wenn die <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> wegfallen würden? «<br />
Ein älterer, scheinbar alkoholisierter Mann ruft herein: »<strong>Das</strong> wär scheiße! «<br />
»<strong>Das</strong> wär wirklich schlimm… .«<br />
Ich scheine den Nerv des älteren Mannes getroffen zu haben:<br />
»<strong>Das</strong> wär scheiße für die alten Leute. «<br />
»Ja… nun gucken se ma… die geht nu mit´m Wagen… « Sie deutet auf die auf eine<br />
Gehhilfe angewiesene Frau. »Da passen wir schon auf, dass sie nich hinfällt. Kinder<br />
sind alle auswärts. Die ham Arbeit. Die is´ angewiesen auf das, oder das mal jemand was<br />
mitbringt. Is wirklich… nee, das können die nich machen… die Wagen können se uns<br />
nicht wegnehmen. «<br />
»Finden Sie auch die Beziehung zum <strong>Verkäufer</strong> besser als im Einkaufscenter? «<br />
»Ja,ja…..ja… . « Sie nickt zustimmend.<br />
Wieder der Mann im Hintergrund: »Vor allen Dingen kannste ma n´ bissel blöd quatschen<br />
mit der! « Gelächter.<br />
»War das früher mal anders hier?« frage ich und glaube, die Antwort schon zu kennen.<br />
»Jaaa! « sagt sie bestimmt. »Da hatten wir ´nen kleenen Konsum. Da sind wir nirgends wo<br />
hingegangen – bei uns gab´s alles im Konsum. «<br />
»Können Sie mir sagen, seit wann der in etwa weg ist!? «<br />
»Nach der Wende. « schießt es wie aus der Pistole.<br />
»Ääähh…« keift es aus der Gruppe. »Ende der 60er! «<br />
Eine wilde Diskussion beginnt. Jeder belegt seine Sicht der Dinge mit stichhaltigen<br />
Beweisen: (»Als wir den Anbau abgerissen haben, war das! «)<br />
Ich werde nicht mehr wahrgenommen und möchte mich schon langsam der Gruppe<br />
entziehen entziehen, als Frau Neubert noch mal kurz das Wort ergreift:<br />
»Nee,… also wenn die Wagen weg wären, wären wir erschossen! «
Abb. rechts:<br />
Die ältere Frau mit der Gehhilfe<br />
ist Eine von Vielen, die auf den<br />
<strong>mobile</strong>n Verkauf angewiesen ist.<br />
Abb. links:<br />
Der Transporter hält im Ortskern<br />
und dient nicht nur dem Einkaufen,<br />
sondern auch als Treffpunkt für die<br />
<strong>Dorf</strong>bew<strong>ohne</strong>r.<br />
17
18<br />
Die nächsten Haltepunkte möchte ich im Tepenhof - Mobil anfahren, denke ich.<br />
Also steige ich zu Brigitte ins Auto und stelle fest, dass es keinen Beifahrersitz zu geben<br />
scheint. Stattdessen gibt es dort ein kleines Waschbecken und eine Kiste mit allerhand<br />
nützlichen Sachen. Ich nehme aus diesem Grund also Platz auf einem Bierkasten im<br />
Verkaufsbereich und nutze die Fahrt, um Brigitte noch ein wenig mit Fragen zu löchern.<br />
»Wird eigentlich viel Alkohol gekauft auf dem <strong>Dorf</strong>?«<br />
»Ich muss sagen, bei mir nich so.« Brigitte wirkt unsicher. Es fällt schwer, ihr zu glauben.<br />
»Aber bevor ich die Tour hier hatte, war ich Springer und da hab ich eine Tour gefahren, da<br />
trinken se gleich am Auto. N´ Bierchen und n´ Schnäpsel. Ich hab auch welche, die kaufen<br />
jede Woche ihre 3 Kräuterchen – die haben´s mir dann auch mal gesagt: Wir trinken jeden<br />
Mittag ´nen Kräuter. Die haben nüscht anderes – die können gesundheitlich nich groß fort<br />
oder irgendwas und ich sage immer, warum sollt ihr euch das nicht gönnen.«<br />
Ich denke mir meinen Teil und wechsele das Thema.<br />
»Gibt es eigentlich noch das gute alte „Anschreibenlassen“ wie im Tante – Emma Laden?«<br />
»Na da muss ich ehrlich sagen, wo ich weeß, dass die Kunden, meistens sind´s ja<br />
Stammkunden,… da wird ich das schon machen. Man hat ja auch Ältere und gerade im<br />
Winter kommen ja auch nicht immer die Kinder und bringen das Geld oder können das<br />
gleich mitbringen.«<br />
Ein interessanter Aspekt, denke ich.<br />
Wie kommt eigentlich jemand (der <strong>ohne</strong> mobil zu sein) im <strong>Dorf</strong> lebt, an Geld?<br />
Gibt es in dem Ort keine Bank, besteht keinerlei Möglichkeit, Teile seiner monatlichen<br />
Rente abzuheben und zum Beispiel zum Einkaufen zu nutzen.<br />
»Also, wenn es wirklich ma so is, würd´ ich das schon machen. Na ich meine, wenn sie in<br />
der Woche dann sterben, dann hab´ ich mir in die hohle Hand geschissen. Aber ansonsten<br />
weiß ich, dass ich das Geld wiederkriege. Aber bei Laufkunden oder bei denen, die nur<br />
Alkohol kaufen, gibt’s das nich. Hab ich ja auch welche.« (siehe oben)<br />
»Habt Ihr ein gewisses Standardsortiment dabei? Hat jeder Wagen dasselbe?«<br />
»Im Prinzip ja. Manche tun sich zum Beispiel gegen Fit und so was wehren – ich zum<br />
Beispiel nehme auch keine Waschmittel und so was mit.«<br />
»Arbeitet Ihr da mit regionalen Firmen zusammen, um das Angebot zu bestücken?«<br />
»Der Bäcker is regional, der Fleischer is regional und das Gemüse bekommen wir auch vom<br />
regionalen Händler. Alles andere holen wir ganz normal beiom Edeka oder bestellen da.<br />
So haben wa auch alles… außer Toilettenpapier oder Zewa – Rollen oder so.«
Abb.:<br />
Brigitte verkauft aus dem Wagen<br />
heraus.<br />
»Was gefällt Dir an Deinem Job am<br />
besten?«<br />
»Der Kundenkontakt. Ich bin mein<br />
eigener Herr und ich fahre gerne<br />
Auto.«<br />
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20<br />
Frau Lehmann (64), Oberau<br />
»Warum kaufen sie beim <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> ein?«<br />
»Weil ich nicht aus´m Haus kann. Ich hab keen Auto und mit´m Fahrrad getrau ich<br />
mir nicht – bei dem Wetter. Ich kauf hier immer.«<br />
»Gibt es denn nicht unmittelbar im Ort Einkaufsmöglichkeiten?«<br />
»Nee. Die haben alle zugemacht. Wir hatten ma ´nen Bäcker […] der is auch nicht mehr.«<br />
»Seit wann besteht diese Situation?«<br />
»Ach, schon lange. Nach der Wende. Oder noch eher.«<br />
»Ohne die <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> wäre man also nicht ausreichend versorgt?« »Genau.«<br />
»Was wäre, wenn dieser auch noch wegfallen würde?«<br />
»Na da müsste ich mir ein Taxi nehmen oder irgendwas, damit ich hier raus komme. Die<br />
Nachbarin hat auch kein Auto.«<br />
»Und Ihre Kinder? Sind bereits aus dem Haus?«<br />
»Na eben, die sind weit weg gezogen. Die w<strong>ohne</strong>n nicht hier in der Nähe.«
Abb. oben:<br />
Frau Lehmann im Gespräch mit<br />
Brigitte. Die Einkaufsliste ist heute<br />
lang.<br />
Abb. unten:<br />
Nach dem Einkaufen werden die<br />
Vorräte ins Haus getragen.<br />
21
Abb.:<br />
Zu nahezu jedem Wetter<br />
(hier bei strömendem Regen)<br />
beliefert Brigitte ihre Kunden<br />
pünktlich und zuverlässig<br />
22<br />
Wir erreichen den kleinen Ort Großdobritz im Norden des Landkreises.<br />
Nachdem das Wetter bisher schon nicht das Beste war, fängt es nun auch noch an, wie aus<br />
Kübeln zu regnen.<br />
Der guten Laune bei Brigitte tut das keinen Abbruch. Sie sei da abgehärtet, sagt sie in ihrer<br />
warmen dicken Jacke. Auch die Kunden scheint das Wetter nicht zu stören.<br />
Wie erwartet stehen die Stammkunden an den vereinbarten festen Plätzen.<br />
Ein älterer Mann kommt sogar mit einem Handwagen, um seinen gesamten Einkauf nach<br />
Hause zu bekommen - er kauft 2 Kisten Wasser und Lebensmittel für die Woche.<br />
Die Begrüßung der beiden ist ebenso ungewöhnlich:<br />
»Beschissenes Wetter heute, hä?«<br />
»Ach! Besser als gar keins. Ich bräuchte heute mal 500 Gramm gehackten Peter.«<br />
Während wir durch das <strong>Dorf</strong> fahren und ich erneut im engen Verkaufsraum Platz<br />
genommen habe, habe ich die Chance wieder mit Brigitte zu plaudern.
»Hast Du eigentlich die Möglichkeit Dich im <strong>Dorf</strong> bemerkbar zu machen?<br />
Hast Du eine Klingel?«<br />
»Ja, wir haben so´ne Klingel.« Sie klingelt damit.<br />
»Habt ihr vorhin wohl nicht gehört?!« Ich verneine.<br />
»Ab wann rechnet sich eigentlich so eine Fahrt? Die meisten kaufen ja doch eher mal ein<br />
paar Eier oder ein halbes Brot.«<br />
»Na ja, das ist erstmal nicht viel. Aber es kommt halt drauf an. Heute (Anm.: Montag) ist<br />
sowieso nicht mein bester Tag. Wenn ich heute 500, 600 Euro hab… da bin ich gut.<br />
Aber ich hab auch andere Tage. Da kaufen die Kunden bedeutend mehr. «<br />
»Was denkst Du? Wird dieser Service von Euch noch lange tragbar und umsetzbar sein?«<br />
»Hmm, nee, so doll ist es nicht mehr. Die Kunden kommen nicht mehr ganz so.«<br />
Sie beugt sich vor und flüstert: »Und viele sind ja auch schon weggestorben.«<br />
»Welches Alter hat denn der Durchschnittskunde?«<br />
»Es gibt wenig Junge. Es kommen zwar Junge, aber nich so…. Meistens sind´s ja die<br />
Rentner. Die Jungen fahren ja noch mit´m Auto.<br />
Wer hat denn heutzutage keen Auto!?« Sie guckt mich fragend an.<br />
»Gibt es Stationen, die angefahren werden , wo auch mal niemand erscheint?«<br />
»<strong>Das</strong> kann auch passieren. Aber bei mir melden sich auch oft die Kunden vorher ab.«<br />
»Was wird im Schnitt so gekauft? Sind das eher kleine Sachen oder<br />
sind es ganze Wocheneinkäufe?«<br />
»Nee, eigentlich weiß ich immer, was die Kunden haben wollen. Manche musst du auch<br />
immer dran erinnern, dass sie das und das noch mitnehmen. Wir kommen ja wöchentlich<br />
und wissen das dann schon.«<br />
»Vielen Leuten fällt auch oft erst am Wagen ein, was sie brauchen, richtig?«<br />
»Ja, aber da geht das heute noch. Ich hab´am Mittwoch n´ paar Kunden… die fangen<br />
grundsätzlich 2-3 Mal an. Ist halt dann auch immer blöd – weil ja der Zeitdruck da ist.<br />
Ich meine davon ganz abgesehen; ich kann mich nicht beschweren.«<br />
23
24<br />
Frau Wirthgen (90), Beiersdorf<br />
»Meine Kinder fahren immer in die Stadt. Ich bin froh, dass der Wagen kommt. «<br />
»Sie w<strong>ohne</strong>n noch mit ihrem Kindern zusammen?«<br />
»Nun ja, ich hab´ meinen Haushalt extra. Ich tu selber für mich kochen. Die machen für sich<br />
und ich für mich. Aber so verstehen wa uns gut.«<br />
»Aber sie werden Ihnen ja ab und zu Sachen aus der Stadt mitbringen?«<br />
»Ja, das auch. Wenn´s was Größeres is´ oder wir gerade was brauchen.<br />
Und da lass ich mir schon mal was mitbringen – aber man braucht nicht viel, wenn man<br />
alt ist.« Sie lächelt.<br />
»Sonst wären die <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> die einzige Möglichkeit, um an Ware zu gelangen.«<br />
»An für sich ja. Ich schätze den Wagen sehr. Ich wundere mich immer, dass die Nachbarn<br />
gar nicht kommen. Na, weil manches halt n´ paar Pfennige teurer ist. Da verkaufen die<br />
das doch sonst nicht hier. Dann fahren sie doch in den Großmarkt. <strong>Das</strong> ist doch heutzutage<br />
so. Und da kaufen sie dann so´n Haufen, dass man manchmal denkt:<br />
„<strong>Das</strong> wollen die alles essen?!“«<br />
»Gab es hier früher Einkaufsmöglichkeiten?«<br />
»Also, wir haben mal gar nicht so weit von hier,… da war so´n kleiner Laden.<br />
Naumann hieß der alte Mann. Der hatte alles. […] Meine Schwiegermutter, die hatte immer<br />
gar nichts weiter eingekauft. Die war glücklich, wennse mal n´ bissl quatschen konnte.<br />
Aber der is´ ja nun weggefallen. Die würden ja auch nicht mehr existieren. Da ist das zu<br />
wenig. Weil die alle in Großeinkauf fahren. <strong>Das</strong> is ganz logisch.«
Abb.:<br />
Frau Wirthgen<br />
sieht die Tatsachen,blickt aber mit<br />
Optimismus und Bescheidenheit<br />
in die Zukunft<br />
25
26<br />
Die Geschäftsfrau (o.A.)<br />
»Kann ich Ihnen ganz kurz ein paar Fragen stellen?«<br />
Sie sieht das Aufnahmegerät, geht rasch in Richtung Eingangstür und sagt energisch:<br />
»Nee. So ja. Wenn sie sich´s merken können, ja. Aber ich quatsch´ nicht auf Band.«<br />
Da das Wetter <strong>ohne</strong>hin nicht so gut ist und ich langsam zu frieren beginne, bemühe ich<br />
mich erst gar nicht sie zu überreden. Ich sage freundlich: »Ok! Danke!« drehe mich um<br />
und will zurück ins Auto, als sie es sich kurzerhand anders überlegt.<br />
»Warum kaufen denn gerade Sie beim Tepenhof ein?« »Gibt es keine anderen Möglichkeiten<br />
hier in der Gegend einzukaufen?«<br />
»Möglichkeiten haste hier <strong>ohne</strong> Ende.«<br />
Ich erfahre, dass sie ein Geschäft für Futtermittel betreibt. Wir stehen genau vor diesem.
»Aber mein Betrieb geht von früh um 7 bis abends um 6. Und mit jeder Minute, die ich hier<br />
raus fahre, läuft mir meine Kundschaft davon.«<br />
»So, wie jetzt gerade?« frage ich ein wenig ironisch, denn ich habe die ganze Zeit keine<br />
Menschenseele auch nur in der Nähe des Ladens gesehen. »Richtig.«<br />
»Ok. Sehen Sie irgendwelche Chancen für den ländlichen Raum?«<br />
»Sicher! Wir hätten hier was zur Verfügung. Sie könnten sofort als <strong>Verkäufer</strong> anfangen und<br />
schon geht’s los.« »Is das so, ja?« Sie lacht eigenartig.<br />
»Hm, schwer zu sagen. Da müssen se sich schon an die Politiker wenden… Und jetzt<br />
ausmachen das Ding!« Sie deutet wieder auf das Aufnahmegerät. »Ist aus!« sage ich.<br />
»Ja, ja, ja…« Wir müssen beide lachen.<br />
»Und dann stehn wa moin großartig in der Bildzeitung. Was is´n das, wofür ihr das<br />
braucht?« Ich wundere mich über ihr Misstrauen, erkläre Ihr dann aber kurz, um was es<br />
genau geht. Sie scheint damit zufrieden zu sein.<br />
»[…] Na ja, aber ´n paar Kilometer weiter in Lauterbach, da hätten wa ja ´n Laden. Da gibt<br />
es so ziemlich alles. <strong>Das</strong> war ´n früherer Konsum und ist jetzt ´n Edeka oder sowas.<br />
Also, man hat schon Möglichkeiten. Na ja, was jetzt die ganz Älteren sind […] die<br />
scheißt´s natürlich voll an. Wer jetzt keen Auto mehr hat, ne!? Und wir - noch nicht ganz<br />
Gruftis haben ja ´n Auto. Wir können noch, wie wa wollen. Eigentlich. Aber bei uns…<br />
Da müssen se die Anderen fragen. Die ham alle Zeit. Und mich scheißt´s in dem Moment<br />
voll an, weil wa jetz eben selber ´n Betrieb haben. Und jede Minute, is´n Kunde.«<br />
Noch immer ist von potentiellen Kunden weit und breit nichts zu sehen.<br />
»Ich fand es nur spannend. Sie waren die Jüngste die ich heute am Wagen gesehen habe.«<br />
»Die Tour ist noch nicht zu Ende. […] Aber man ist schon begrenzt. Na gut, teurer wird´s<br />
am Ende schon sein, als wie wenn ich jetze selber fahre. Aber dafür hab´ ich´s vor der<br />
Haustür. Und spar mir meine Zeit und meine Spritkosten.« »Time is Money.«<br />
»Na hier sowieso. Wenn Du hier ´nen Privatbetrieb hast, möchste ununterbrochen nur noch<br />
da sein. Voriges Jahr Urlaub: 5 Tage, wobei da Sonnabend/Sonntag schon dabei sind, bei<br />
den 5 Tagen. Mit jeder Minute, die du da zumachst und es steht ´n Kunde da […] Und das<br />
sind die, die 5 Mal im Jahr in Urlaub fahren. Aber die belegen dich dermaßen gravierend:<br />
„Was wollten Ihr schon wieder im Urlaub?“ Da möchteste nicht mehr aus´m Haus gehen.<br />
Und da ist das schon ganz gut hier, wenn die dann kommen. Gemüseauto, Wurstauto […]<br />
die fahren ja hier alle rum. Also ich denke, man wird schon versorgt hier. Denke ich.«<br />
»<strong>Das</strong> fordert man ja schon im Grundgesetz.« Sie verleiert die Augen.<br />
»Im Grundgesetz steht viel Scheiße…« Sie lacht, nickt und dreht sich zu Ihrer Tür, um diese<br />
endgültig zu öffnen.<br />
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Herr Mai (70), Großdobritz<br />
»Kaufen Sie beim <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> aus Bequemlichkeit oder aufgrund der fehlenden<br />
Einkaufsmöglichkeiten im <strong>Dorf</strong>?«<br />
»Erstens ma das – wir haben hier keen Konsum mehr. Wir haben nichts mehr hier. <strong>Das</strong><br />
Einzige, man kann sich hierauf verlassen, weil der jeden Montag kommt, um ´ne bestimmte<br />
Zeit.« Er deutet auf Brigittes Einkaufstruck. »Wir haben keen Auto. Wir sind an den Bus<br />
gebunden. Und da geht die Schlepperei dann los.«<br />
»Und das kostet natürlich immer noch extra für die Busfahrt!«<br />
»Ja, das holste hier wieder raus.«<br />
»Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn der <strong>mobile</strong> <strong>Verkäufer</strong> wegfällt?«<br />
»<strong>Das</strong> wär ein Tief. <strong>Das</strong> könnte keiner wieder gutmachen hier.«<br />
»Bei uns fährt früh der 9er Bus – alle anderen gehen uns nüscht an – dann fährt um 11<br />
eener, halb 2 eener, halb 3e eener und halb 6 eener zurück. Und dann stehen wir hier. Und<br />
sonnabends stehen wir ganz auf´m Schlauch hier. Da komm wir gar nich weg.«<br />
»Man ist also wirklich zu deutsch: aufgeschmissen, wenn man mal eben schnell was<br />
benötigt?«<br />
»Ja. […] Nee, da ist gar nichts mehr. Und das wird noch schlimmer. <strong>Das</strong> ist die letzte<br />
Möglichkeit, dass die Leute hier auf´s <strong>Dorf</strong> kommen mit ihren Autos. Hier geht´s nur noch<br />
um den Bus. Bus, Bus, Bus… Jeder Arztbesuch is hier ´ne Katastrophe.«<br />
»<strong>Das</strong> heißt, es gibt hier eine generelle Unterversorgung?«<br />
»Ja… total! Da macht ooch keener was auf den Dörfern hier.«<br />
»Schätzen Sie auch die Beziehung zum <strong>Verkäufer</strong>? Ist diese hier enger?«<br />
»Na, auf jeden Fall. Wenn man sich im Supermarkt oder so mit jemandem unterhalten<br />
will… Erstens ham die gar keene Zeit, weil die nur im Stress sind dorte. Und außerdem:<br />
Wenn ich Montag da rein komme, dann weiß ich ganz genau, das Zeug, was ich brauche,<br />
steht dorte. Da brauch ich 10 Minuten und hab´ mein Gelumpe zusammen. Wenn ich aber<br />
Freitag reinkomme und geh wieder dorthin, wo´s gewesen is´, dann ham die alles wieder<br />
umgebaut. <strong>Das</strong> is´n ganz bestimmtes Prinzip.<br />
Die Leute, die dort immer einkaufen, die wissen ganz genau: dort is´ mein Regal, da ist das.<br />
Die Leute sollen gucken. Die sollen auch mal da hingucken, wo se sonst nich´ hingucken.<br />
Also brauch ich schon wieder eine ausdauernde Zeit, um das zu suchen, was ich ham will.<br />
Hat alles sein Gutes und sein Schlechtes. Aber hier (Tepenhof) bin ich zufrieden.<br />
Ich weeß, wenn der Wagen kommt. Dann sind wir hier.<br />
Und da weeß ich, was wir zu holen ham. Und da ist der Film erledigt.«
Abb.:<br />
Am Ortsausgang hält Brigitte<br />
jeden Montag um 11:45 Uhr<br />
am Haus von Familie Mai.<br />
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Abb.:<br />
Einer von Vielen - gesehen auf der<br />
Verkaufstour<br />
Vom scheinbar gutgehenden<br />
Konsum mit Lebensmitteln und<br />
Industriewaren zur geschlossenen<br />
kaum besuchten Einkaufsruine<br />
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Frau Ruben (80), Naundörfchen<br />
»Wie finden Sie die Versorgung auf dem Land?«<br />
»Sehr gut!«<br />
»Sehr gut?« frage ich erstaunt.<br />
»Ja! Da kommen doch die Auto´s. Was will man mehr? Man hat Auto – man kann doch<br />
hinfahren, wo man will.«<br />
»Sind sie denn noch mobil?« »Ja.«<br />
»Sie fahren noch Auto? »Ja.«<br />
»Echt? »Ja.«<br />
»Oh, das ist aber eine Seltenheit. <strong>Das</strong> heißt, wenn die <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> wegfallen<br />
würden, wäre das momentan für Sie kein Nachteil?«<br />
»Nö, wir und hier die...« Sie zeigt auf die Nachbargrundstücke.<br />
»Wir sind eine Gemeinschaft. Wir helfen uns gegenseitig. Die Nachbarn sind einmalig.<br />
Sowas gibt’s gar nicht mehr – in keinem <strong>Dorf</strong>. Außer hier in dem kleinen Naundörfchen.«<br />
Da rührt aber jemand die Werbetrommel, denke ich. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob sie<br />
es ernst meinte oder das der Versuch war, den allgemeinen Eindruck der Städter vom Land<br />
zu korrigieren.<br />
»Kaufen Sie beim Tepenhof komplett Ihren Wocheneinkauf ein oder die kleinen Sachen?<br />
»Nein. Was man halt noch so brauch. Wofür man nich extra noch rumkarren will.«
Abb. links:<br />
Am Transporter finden sich auch stets<br />
Dinge, die nicht auf dem Einkaufszettel<br />
stehen. Sehr beliebt sind die Salate und<br />
Wurstwaren von regionalen Firmen.<br />
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Abb. rechts:<br />
den wöchentlichen Angebotszettel<br />
bekommen die Kunden immer gleich mit<br />
in den Einkaufskorb<br />
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Frau Jurisch (75), Naundörfchen<br />
Während ich noch mit der älteren Frau spreche, ist Brigitte schon eine „Station“ weiter<br />
gefahren. Diese liegt ein paar hundert Meter entfernt. Als ich ihr zu Fuß folge, sehe ich sie<br />
schon von weitem mit der nächsten Kundin.<br />
Es scheint, die beiden wären im Moment die Einzigen im <strong>Dorf</strong>. Es ist niemand sonst auf<br />
den Straßen oder auf den Grundstücken zu sehen. Es ist auch ungewöhnlich ruhig für einen<br />
Städter. Man hört lediglich einen Hund in der Ferne bellen.<br />
Die Kundin am Wagen hat schon erfahren, dass ich Befragungen durchführe und willigt ein,<br />
bevor ich etwas sagen kann: »Geht glei´ los, junger Mann!«
»Sind Sie mit der Versorgung auf dem Land zufrieden?«<br />
»Na ja […] Bei uns kommen ja mittwochs 3, 4 Autos. Mittwochs kommt der Bäcker, der<br />
Fleischer, Fisch... und Gemüse.«<br />
»Aber alle von außerhalb!« »Alle in ´nem Auto.«<br />
»Wenn die nicht da wären, wäre die Versorgung schon eingeschränkt, oder?«<br />
»Ja, wenn ich mal was Außergewöhnliches brauche, da hab ich meine Tochter. Die fährt da<br />
auch schon mal mit mir – die kommt immer mittwochs ma zu mir. Und wenn ich dann was<br />
Wichtiges brauche, was es halt nicht in jedem Laden gibt, fahren wir halt mal nach<br />
Nünchritz oder ma zum Praktiker nach Zeithain. Aber im Großen und Ganzen sind wa<br />
schon zufrieden.«<br />
»Können Sie sich ausmalen, was passiert, wenn die <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> wegfallen? <strong>Das</strong> ist<br />
ja eventuell auch eine finanzielle Frage, da…« . Sie fällt mir ins Wort.<br />
»Na ja, ´ne Geldfrage wär´s nicht. Ich sag mal, wenn ich in Supermarkt renne, da krieg ich’s<br />
schon ein bissl billiger – alles.«<br />
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»Aber es gibt ja 2 Seiten! So zum Beispiel auch die <strong>Verkäufer</strong>, die überlegen: ab wann ist es<br />
nicht mehr rentabel, aufs <strong>Dorf</strong> raus zu fahren!?«<br />
»<strong>Das</strong> gloob ich nicht, dass das mal kommt. Hä?« Sie schaut Brigitte fragend an.<br />
»Gucken se mal: die Autos kamen schon zu DDR – Zeiten zu uns. Die Viere. Der Tepenhof<br />
ooch. Da kam erst so´n Mann…«<br />
Brigitte: »Der Tepenhof kam erst nach der Wende.« »Nee!« sagt Frau Jurisch entrüstet.<br />
»Den Tepenhof gibt’s erst seit der Wende, gute Frau.« sagt Brigitte ganz bestimmt.<br />
»Na da muss es aber gleich nach der Wende gewesen sein. Denn wir haben da den<br />
Schuppen weggerissen. […] Die Anderen sind ja schon zu DDR – Zeiten gekommen.«<br />
»<strong>Das</strong> ist ja ein interessanter Aspekt. Man ist also schon seit mehreren Jahrzehnten auf<br />
<strong>mobile</strong> <strong>Verkäufer</strong> angewiesen.«<br />
»Ja. […] Nö, wir hatten früher ´nen kleenen Konsum. Da unten. «Sie zeigt auf eine Ruine<br />
im Orts“kern“. »<strong>Das</strong> war mal ´ne Gaststätte gewesen. Da haben wa auch das Notwendigste<br />
gekriegt. <strong>Das</strong> wurde aber halt auch alles zugemacht. Da hatten wa dann noch ´nen Laden<br />
im Nachbarort. Da konnte man dann auch noch ma mit Fahrrad hinfahren.«
»Aber der hat dann auch zugemacht.« Sie zählt einige Läden auf, die zugemacht haben.<br />
»Also wir sind schon drauf angewiesen. Also, ich will mal sagen: die jüngeren Leute, die<br />
ham ja alle Auto. Die setzen sich ins Auto und fahren. Aber wir Älteren… wir sind<br />
eigentlich drauf angewiesen. Aber ich bin zufrieden. Und vor allem: ich hab´s ja bequem.<br />
Bei mir hält´s vor der Türe.«<br />
»Schätzen Sie auch die Beziehung zum <strong>Verkäufer</strong>?«<br />
»Ja. Oh doch. <strong>Das</strong> muss ich sagen. <strong>Das</strong> macht viel aus. Wenn jetzt einer dahinter steht, der<br />
immer muffelig ist, na dann sagen se auch:<br />
Sie können mich mal gerne ham. Nich wahr?« Sie schaut zu Brigitte. »Wir sind eigentlich<br />
zufrieden. Na, wenn das mal wegfällt, wird´s schwer für uns. <strong>Das</strong> tät mir sehr schwer fallen.<br />
<strong>Das</strong> war ja schon mal so, ne?« zu Brigitte. »<strong>Das</strong>s sie es wegfallen lassen wollten, nich<br />
wahr!? Dann ging´s aber doch wieder, ne? Weil sich viele beschwert haben. Meistens die<br />
älteren Leute.«<br />
Brigitte richtet das Wort an mich: »Also nich das wir die Tour oder so […] das lag am<br />
Betrieb. Der war fast zu.«<br />
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»Ach so!?« hakt Frau Jurisch nach.<br />
»Na, ich lass doch keene Kunden wegfallen! Da brauchen se keene Angst zu haben.«<br />
sagt Brigitte und beginnt zu lachen.<br />
Daraufhin setzt Frau Jurisch wieder ein: »Nu,… und zu DDR – Zeiten, da war´s mal so:<br />
Die hielten da hinten immer da oben an der Ecke mit Ihren Autos und da wollten se dann…<br />
also da wollte die Gemeinde Geld haben.« Brigitte nickt und bestätigt das.<br />
»Für das, dass die Autos hier standen. Und da ham dann die Bischoffs hier drüben – die<br />
haben ´nen großen Hof – da haben die gesagt: ihr könnt alle Viere bei uns reinfahren.«<br />
»Also anstatt froh zu sein, dass es eine Versorgung für die <strong>Dorf</strong>bew<strong>ohne</strong>r gibt, wollte man<br />
noch zusätzlich kassieren?«<br />
»Ja, und da sind sie dann in den Hof rein und da konnten die keen Geld verlangen, ne wahr.<br />
Die Leute haben denen das ja gestattet. Da wollten die Steuern haben.«<br />
»Standgebühren! wirft Brigitte ein.<br />
»<strong>Das</strong> is ´ne halbe Stunde, wo die da sind. Wartet mal ab, das wird alles noch viel schlimmer.<br />
Heute nehmen se doch für alles Geld.«<br />
Dieser Satz ist der Beginn eines längeren Gesprächs über Geld, Politik und Wirtschaft.
40<br />
Frau Lindner, Tepenhof - Chefin vor Ort<br />
Als wir wieder zur alten Halle in Leuben - Schleinitz zurückkehren, habe ich<br />
das Glück, Frau Lindner noch anzutreffen. Ich hoffe nach den Eindrücken des Tages<br />
auch noch von ihr einige Informationen zu bekommen. Darüberhinaus erinnere ich mich<br />
an eine riesige und interessante Karte, die ich am Morgen an der Wand sah.<br />
Also trete ich erneut in ihr Büro. Leider scheint sie momentan beschäftigt zu sein und ist<br />
dementsprechend kurz angebunden.<br />
»Ab wann ist ein <strong>Dorf</strong> rentabel? Wer entscheidet, welche Dörfer angefahren werden? Gibt es<br />
einen Zeitpunkt, wo gesagt wird: so und so viele Kunden müssen am Ort sein?«<br />
»Nee, eigentlich nich. <strong>Das</strong> wurde damals aufgeteilt. Die Touren für alle. Und nun machen wir<br />
noch Werbung und sowas. Dann fährt dann jemand raus und tut hier solche Handzettel<br />
austeilen.«<br />
»Rufen die Kunden dann bei Ihnen an und teilen mit, was sie brauchen?«<br />
»Nö. Die (die Fahrer) fahren eigentlich nur hin und verkaufen.<br />
Wir haben zwar Leute, die rufen jetzt an. Die, die nicht raus können. In Döbeln wohnt<br />
zum Beispiel jemand im 4. Stock. Und da rufen die dann an und sagen: „das, das, das und<br />
das brauchen wir.“ Und dann tut der Herr Bauer das alles fertig machen, rechnet das im<br />
Auto aus und geht da hoch. Aber viele kommen halt einfach ans Auto und tun dann dorte<br />
einkaufen. Wie beim Tante Emma – Laden.<br />
Und im Frühjahr / Sommer, wenn die Leute wieder rausgehen in Garten, da kriegste se<br />
natürlich eher als im Winter. Da kannste mit denen auch mal reden auf der Straße und<br />
Ware anbieten. Eener oder Zwee´e bleiben immer ma hängen.«<br />
»<strong>Das</strong> denke ich. Haben Sie eventuell eine Firmenbroschüre zum Mitnehmen?«<br />
»Nee. Sowas haben wir nich.«<br />
»Und warum ist Ihre Internetseite down? Über diese wollte ich mit Ihnen in Kontakt treten.«<br />
»Nö. Schön ewig ist die so. Da hat unserer Tepe noch nix dran gemacht.«<br />
»Ist der Tepenhof als <strong>mobile</strong>r <strong>Verkäufer</strong>, der Einzige in der Region?«<br />
»Nö. Da gibt´s noch mehrere. Da gibt´s noch Einzelne, die diesen Zweig bedienen.
Abb.:<br />
Tourenpläne gibt es bei der<br />
Tepenhof GmbH nicht digital<br />
sondern noch sehr anschaulich auf<br />
einer riesigen Leinwand.<br />
Fotografiert im Büro<br />
von Frau Lindner<br />
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Schlussgedanke<br />
Die Nahversorgung im ländlichen Raum ist sehr eingeschränkt.<br />
<strong>Das</strong> konnte ich hautnah erleben und in mehreren Gesprächen erfahren.<br />
Allerdings haben sich die dortigen Menschen angepasst.<br />
Viele sind schon jahrzehntelang auf den <strong>mobile</strong>n <strong>Verkäufer</strong> angewiesen.<br />
Sie planen ihren Einkauf genauer und wissen, was sie in der Woche benötigen oder<br />
kompensieren das Fehlen einer Einkaufsstätte mit Nachbarschaftshilfe.<br />
Der Satz, den ich an diesem Tag am häufigsten von den Kunden gehört habe, lautete:<br />
»Aber so bin ich eigentlich zufrieden.«