Marcel Kolvenbach - Heinz-Kühn-Stiftung
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<strong>Marcel</strong> <strong>Kolvenbach</strong><br />
Peru<br />
lässt gerade so viel Platz, dass sich der modern aussehende Reisebus auf<br />
Lastwagenchassis millimeterweise durch die Enge zwängen kann. Das seit<br />
Tagen immergleiche Bild macht mir vielleicht zum ersten Mal deutlich,<br />
was „Entwicklungsland“ heißt: Subsistenzwirtschaft von Menschen, die<br />
geographisch und politisch abgeschnitten vom Rest der Welt irgendwo<br />
überleben. Zeitweise gar nicht mal schlechter als in einer Großstadt, mit<br />
frischer Luft, weiten Blicken, Tieren und dem besten Essen, aber eben doch<br />
reduziert auf das animalische Überleben und dessen Fortpflanzung. Es fehlt<br />
der Kulturüberschuss der Hochkulturen...<br />
Nach 48 Stunden unterwegs und über 30 Stunden ununterbrochen in<br />
Bussen mit halbgeöffneten Fenstern, durch die mal der Diesel ungefiltert,<br />
dann wieder der eiskalte Wind die Mitfahrer heimsucht, endlich am<br />
frühen Morgen des dritten Tages Ankunft in Cusco. Noch schlaftrunken<br />
laufe ich ungläubig über einen herausgeputzten „Plaza de Armas“, an<br />
dem die internationale Touristen-Schickeria entlangschlendert. Sie sind<br />
mit dem Flugzeug angereist, kommen ausgeschlafen aus dem Luxushotel<br />
im Ort, einem umgewandelten Kloster mit bezauberndem Innenhof und<br />
Galerierundgang, wo man ab 250 Dollar nächtigen kann und mit Sauerstoff<br />
aus der Flasche versorgt wird, wenn einem die Höhe zu schaffen macht.<br />
Es ist meine zweite Begegnung mit der Stadt, die als Ausgangspunkt<br />
für eine Fahrt mit dem Zug zum Macchu Pichu, der heiligen Inka-Stätte<br />
und dem touristischen Aushängeschild Perus einlädt. So faszinierend die<br />
Blicke über die grünen Zuckerhutberge sind und so sehr die alten Mauern<br />
– zwischen denen zu Zeiten der Inkas Jungfrauen für blutige Opferfeste<br />
„gehalten“ wurden – bis heute eine schauerliche Magie ausstrahlen, mein<br />
Besuch hatte ein anderes Ziel.<br />
4.2 Spurlos verschwunden<br />
Das erste Mal war ich vor vier Jahren in Cusco, um für die ARD einen<br />
Film über einen Zug zu drehen, der die schicken Touristen aus der Stadt zum<br />
Machu Picchu bringt. Früh morgens gegen fünf Uhr geht der erste Zug, mit<br />
Luxusklasse und Speisewagen. Eine romantische Reise im Stile des Orient-<br />
Express. Zwei Stunden später transportiert ein weiterer Zug Rucksack-<br />
Touristen in der „Holzklasse“ und Einheimische, die aber nur mitfahren,<br />
wenn sie etwas zu verkaufen haben. „Choclo con queso“, gekochter Mais mit<br />
Käse, „Mate de coca“, Kokablättertee, und verschiedene belegte Brötchen<br />
verkaufen sie. Sie springen auf den fahrenden Zug auf und wieder ab,<br />
klettern während der Fahrt außen am Zug entlang von Abteil zu Abteil, um<br />
hin und wieder in die schwindelnde Tiefe zu stürzen und sich ein Bein oder<br />
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