Marcel Kolvenbach - Heinz-Kühn-Stiftung
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<strong>Marcel</strong> <strong>Kolvenbach</strong><br />
Peru<br />
3. Huancavelica<br />
3.1 Die vergessenen Menschen im Hinterland<br />
Amerikanische Touristen nehmen von Lima aus das Flugzeug nach Cusco<br />
und freuen sich schon auf den romantischen Inka-Trail zum Machu Picchu,<br />
den obligatorischen Koka-Tee und die Weiterfahrt im luxuriösen Zug zum<br />
Titicaca-See. Sie tun gut daran, soviel ist sicher.<br />
Die ganze Nacht sind wir unterwegs, eingeklemmt zwischen Gepäck<br />
und Menschen, umdudelt von einem monoton scheppernden Hit der<br />
erfolgreichsten Schlagersängerin des Landes: Dina Paucar, die es schafft,<br />
ganze Fußballstadien zu füllen, mit ihren Fans, die das Konzert zum Anlass<br />
für ein fröhliches Besäufnis nehmen. Sie selber ist das Phänomen einer<br />
neuen Sozialstruktur. Die meisten Menschen in Peru leben als landflüchtige<br />
Stadtmigranten in den staubigen Stadträndern und träumen von einem<br />
besseren Leben. Die lokalen Kulturen und Dialekte vermischen sich zu<br />
einer urbanen Kultur, die das harte Leben der Berge zu einer Flucht und<br />
Traumwelt verklärt, die in Dianas Liedern zum Ausdruck kommt. Weil<br />
sie aus Lima stammt, wie alle anderen Stadtmigranten indigene Wurzeln<br />
hat und den Huayno, die Musik der indigenen Bevölkerung in den Bergen<br />
„neu erfunden“ hat, kann sie im ganzen Land gehört werden und wird von<br />
allen verstanden. Die Kälte und der Dieselruß kriechen in den Bus, der sich<br />
im Schwarz der Nacht die Berge hinauf und wieder herunterschraubt und<br />
irgendetwas sagt mir, dass es besser ist, nicht zu sehen, wie der Weg unter<br />
uns aussieht.<br />
HUANCAYO. Im staubigen Warteraum des privaten Busunternehmens,<br />
brüllt ein unscharfer Fernseher von einem Holzbalken hängend, gleich unter<br />
dem Wellblechdach, die Morgennachrichten. Unter anderem die Meldung,<br />
dass von den Bergen stürzende Reisebusse in Peru in diesem Jahr schon 70<br />
Menschen das Leben gekostet haben. Ich bin mir sicher, das gefährlichste<br />
dieser Reise werden die Straßen sein, nicht die Terroristen... doch bevor<br />
ich den Gedanken zu Ende denke, jubelt es aus dem Fernseher: das zweite<br />
Tor, das Claudio Pizarro für Bayern München gegen Wolfsburg geschossen<br />
hat. Ein bisschen juble ich mit und gerne würde ich aufspringen und der<br />
wartenden Menge zujubeln, der spielt für uns, Deutschland, da komme ich<br />
her...<br />
Der Bus nach Huancavelica, der Hauptstadt des gleichnamigen<br />
„Departamentos“, soll um 8:45 Uhr abfahren. Inzwischen hat sich der<br />
Parkplatz gefüllt. Dreiräder und Karren liefern Menschen an mit Bergen<br />
von Säcken, gefüllt mit Kartoffeln, Möhren, Kisten mit Obst, Säcken mit<br />
Zement, Baustoffe, Metallrohre, Lampen, ja ganze Wohnungseinrichtungen.<br />
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