LANDPARTIE - FAZ.net
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D-45958 April 2013 Nr. 125 1,40 Euro www.hochschulanzeiger.de<br />
Mit dem Colt zum Campus<br />
Bewaff<strong>net</strong>e Studenten an amerikanischen Unis ➻ 17<br />
<strong>LANDPARTIE</strong><br />
Für die Karriere in die Provinz – funktioniert das? ➻ 32<br />
Das sind meine Sachen!<br />
Vier Studenten verraten, was sie besitzen ➻ 20<br />
Anleitung zum glücklichsein<br />
Wie ein Heidelberger Lehrer<br />
ein neues Schulfach erfindet ➻ 26<br />
In Kooperation mit
Titelfoto: plainpicture; Fotos: stefan könig, Christian Burkert; Illustration: Jan Kruse / Human Empire<br />
Impressum<br />
EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
„Hidden Champions“ – so wird eine Gruppe mittelständischer<br />
Unternehmen in Deutschland genannt, für die zwei Dinge<br />
gelten: Sie sind erfolgreich und trotzdem den meisten Leuten<br />
unbekannt. Viele dieser Unternehmen sitzen nicht etwa in Hamburg,<br />
Berlin oder München, sondern in Orten wie Schnega, Haselünne<br />
oder Iserlohn. Wir starten in diesem Heft eine Serie über<br />
Berufsanfänger, die für ihre Karriere in die Provinz gehen. Warum<br />
zwischen Maulwurfshügeln und grasenden Kühen oft die<br />
besten Arbeitgeber zu finden sind, erfahren Sie ab Seite 32.<br />
Einer der vielen Vorteile auf dem Land sind die erschwinglichen<br />
Mieten. Ganz anders ist das in den Großstädten, wo sie oft<br />
die Hälfte oder mehr des monatlichen Budgets auffressen. 812<br />
Euro – so viel hat ein Student im Durchschnitt pro Monat zur Verfügung.<br />
Kein Wunder, dass sich nur 17 Prozent eine eigene Bleibe<br />
leisten können. Der Rest wohnt bei den Eltern oder in WGs<br />
und muss sich darauf beschränken, was wirklich wichtig ist. Was<br />
das ist, erzählen uns vier Studierende ab Seite 20.<br />
Vielleicht liegt es daran, dass ich viele Freunde habe, die<br />
Jura studiert und es trotzdem gehasst haben: Gefühlt ist es das<br />
nervenaufreibendste Studium, das man sich aussuchen kann.<br />
Keiner meiner Kommilitonen aus anderen Fachgebieten hatte<br />
größere Versagensängste. Philipp Mollenhauer kennt diese Gefühle<br />
(Seite 46) und hat deshalb eine Inter<strong>net</strong>seite gegründet:<br />
„Staatsexamen Plan B“. Sie ist besser als jede Beruhigungspille.<br />
<br />
Andreas Tazl<br />
PS: Wir freuen uns übrigens sehr über Ihr Feedback. Hat<br />
Ihnen etwas besonders gut gefallen, oder gibt es ein Thema,<br />
über das Sie gern mehr erfahren wollen? Dann schreiben Sie<br />
uns: redaktion@hochschulanzeiger.de<br />
14 Das geht auch schonend: Wie die Uni Lüneburg<br />
Nachhaltigkeits-Experten ausbildet<br />
32 Tierisch für die Karriere: Was passiert,<br />
wenn man für den Job in die Provinz zieht?<br />
„Ich würde mich mit einer<br />
Schusswaffe wohler fühlen.“<br />
17 Reid Smith ist im Vorstand einer US-<br />
Studenten vereinigung, die für das Recht streitet,<br />
bewaff<strong>net</strong> an die Uni gehen zu dürfen.<br />
Wir hätten da noch ein paar Fragen …<br />
Verlag: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Hellerhofstraße 2–4, 60327 Frankfurt; zugleich ladungsfähige Anschrift für die im Impressum genannten Verantwortlichen und Vertretungsberech tigten Geschäftsführung:<br />
Tobias Trevisan (Sprecher), Dr. Roland Gerschermann RedaK tionsleiter: Andreas Tazl, V. i. S. d. P. Textchef: York Pijahn Verantwortlich für Anzeigen: Andreas Formen (Verlagsgeschäftsführer)<br />
Autoren: Philipp Alvares de Souza Soares, Stefanie Bilen, Jochen Brenner, Franziska Bulban, Serge Debrebant, Daniel Haas, Gabriele Herpell, Daniel Kastner, Constanze Kindel, Gunthild Kupitz, Nadine Lischick, Gabriele Meister,<br />
Katrin Schmiedekampf, Aileen Tiedemann Bildredaktion: Anne Schälike Foto grafen: Jochen Brenner, Christian Burkert, Stefan König, Jenny Lawson, Silke Weinsheimer Illustration: Marie Emmermann /<br />
Skizzomat (S. 26/27), Jan Kruse / Human Empire (S. 2, 14–16), Jindrich Novotny (S. 37, 44), Matthias Seifarth (S. 19, 31) BILDNACHWEIS: Titelfoto: plainpicture; S. 3: Fotos: Stefan König, Christian Burkert; Illustration: Jan Kruse /<br />
Human Empire, S. 4: iStockphoto, S. 6/7: Thinkstock, Getty Images, privat, PR, S. 8–13: Jochen Brenner, S. 14–16: Illustration: Jan Kruse / Human Empire, S. 17: privat, S. 18/19: Getty Images, PR (4); Illustration: Matthias Seifarth,<br />
S. 20–25: Silke Weinsheimer, S. 26/27: Marie Emmermann / Skizzomat, S. 28/29: Jenny Lawson, Metrolit Verlag, S. 30/31: Plainpicture, privat; Illustration: Matthias Seifarth, S. 32–36: Christian Burkert, S. 37: Illustration: Jindrich<br />
Novotny, S. 38/39: Bundesverband der Personalmanager e. V., S. 40–42: Thinkstock (2), dpa/pa (3), iStockphoto (2), PR, S. 44: Illustration: Jindrich Novotny, S. 46: iStockphoto, Frizzi Kurkhaus, privat Layout: Frizzi Kurkhaus<br />
Lektorat: SKH SprachKontor Hamburg GmbH, www.sprachkontor.de Herstellung: Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Kurhessen straße 4–6, 64546 Mörfelden-Walldorf, www.wvd-online.de Vertrieb: Frank furter<br />
Allgemeine Zeitung GmbH Anschrift: Frank furter Allgemeine Zeitung GmbH, Heller hofstraße 2–4, 60327 Frankfurt; Redaktion: Telefon 040 468991133 und 069 75911842; Inter <strong>net</strong>: www.hochschulan zeiger.de Abonnentenservice:<br />
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CAMPUS<br />
6 Meldungen: Taschendieb wird Yale-Professor,<br />
Leih-Laptops aus dem Automaten und ein Anruf in Singapur<br />
8 Requiem für eine Insel: Das Mozart-Orchester von Havanna<br />
14 Schonend beibringen: Warum es sich jetzt lohnt, Nachhaltigkeit zu studieren<br />
17 Schneller ziehen: Die Waffenlobby an amerikanischen Unis<br />
LEBEN<br />
18 Meldungen: Die Rückkehr des Dancefloor-Jazz,<br />
endlich Hip-Hop-Texte verstehen und ein Hirschkopf für Tierschützer<br />
20 Sachen gibt’s: Vier Studierende zeigen,<br />
was sie besitzen, – und verraten, was wirklich wichtig ist<br />
26 Doppelstunde Happiness: Der Erfinder des Schulfaches „Glück“<br />
28 Bloggerqueen mit Riesen-Spleen:<br />
Amerikas erfolgreichste Online-Tagebuchschreiberin geht auf Lesetour<br />
KARRIERE<br />
30 Meldungen: Wie man Computerspieleerfinder wird, wie man sein Studium abbricht<br />
und trotzdem glücklich wird und Tipps gegen Angst im Bewerbungsgespräch<br />
32 Neue Serie „Landpartie“: Was passiert,<br />
wenn man für die Karriere in die Provinz zieht? Wir sind hingefahren<br />
38 Was Quoten bringen: Was sich ändern muss,<br />
damit Frauen einfacher Karriere machen können<br />
40 Hallo Herr Kaiser: 21 Fakten über die Versicherungsbranche<br />
44 Recruiting-Events plus neue Apps für Handy und iPad<br />
46 Mein letztes Mal: Durchs Examen fallen<br />
Foto: istockphoto<br />
HOCHSCHUL<br />
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4
G u n t h i l d K u p i t z<br />
FERNGESPRÄCH<br />
Ein Anruf in<br />
Singapur<br />
„An den Bushaltestellen hier sieht man nur Leute mit<br />
Smartphones oder iPads – das war das Erste, was mir<br />
in Singapur aufgefallen ist. Technisch ist das Land einfach<br />
extrem entwickelt. Auch in der U-Bahn muss man<br />
nur seine Karte auf eine Fläche halten, und schon wird<br />
die entsprechende Strecke registriert und abgebucht.<br />
Und natürlich ist alles super sauber. Anfangs war ich<br />
ein bisschen enttäuscht deshalb. Ich wollte unbedingt<br />
ein Semester meines Psychologiestudiums in Südostasien<br />
verbringen, weil ich zuvor schon in Vietnam und<br />
Indonesien war – die Menschen sind dort fröhlicher<br />
und freier, auch wenn es dafür dreckiger und gefährlicher<br />
ist. In Singapur gibt es überall Hinweisschilder,<br />
was man alles nicht darf, zum Beispiel Kaugummi<br />
kauen. Es wirkt sich schon auf die Atmosphäre aus,<br />
wenn alle Angst haben, Fehler zu machen.<br />
Aber mit der Zeit habe ich Singapur sehr schätzen<br />
gelernt – die Architektur der Stadt ist einfach toll<br />
und der Ehrgeiz der Leute bewundernswert, auch<br />
wenn ich das bei den Studierenden etwas kritisch sehe:<br />
Manche übernachten in der Bibliothek, um bloß keine<br />
Lernzeit zu verlieren und um gute Noten zu bekommen.<br />
Das ist nicht einfach, schließlich bekommen nur<br />
die Besten die Höchstnote A. Man muss also nicht nur<br />
gut sein, sondern besser als die anderen. In Prüfungen<br />
schirmen sich alle ab, damit keiner abschreibt. Ich bin<br />
froh, dass ich diesen Druck als Austauschstudentin<br />
nicht habe. Ich versuche schon, viel und effizient zu<br />
lernen, nehme mir aber zwischendrin auch immer wieder<br />
Zeit zum Reisen. Zum Beispiel war ich auf der Insel<br />
Tioman in Malaysia. Dort ist es einfach wie im Paradies:<br />
Palmen, das blaueste Meer und der weißeste<br />
Sandstrand, den man sich nur vorstellen kann.“<br />
Protokoll: Gabriele Meister<br />
Studium mit Strohhalm:<br />
Nele Langosch, 26, studiert<br />
Psychologie und macht ihr<br />
Auslandsjahr an der National<br />
University of Singapore.<br />
Vorher war sie an der<br />
Humboldt-Uni in Berlin.<br />
Tropen, Skyline –<br />
geht es besser?<br />
Singapur.<br />
„Als ich das Studium<br />
begonnen habe, war das<br />
wie eine Wellness-Therapie.<br />
Es war so entspannend,<br />
endlich halbwegs normale<br />
Menschen zu treffen.“<br />
Kollegah, 29, Rapper<br />
über sein Leben auSSerhalb<br />
der Hip-hop-Welt<br />
Laptop aus dem Automaten<br />
Die graue Metallbox sieht aus,<br />
als würde sie Fahrkarten verkaufen<br />
oder vielleicht beim<br />
Einchecken auf dem Flughafen<br />
helfen. Doch in Wahrheit<br />
spuckt der graue Kasten – kein<br />
Scherz – Laptops aus. In der<br />
Bibliothek der Drexel University<br />
in Philadelphia wurde<br />
gerade das erste Gerät der<br />
Firma „Laptops Anytime“<br />
aufgestellt. Damit können<br />
Studierende auf Knopfdruck<br />
kostenlos eines von<br />
zwölf Apple-MacBooks<br />
ausleihen. Laut Universität<br />
kam die Initiative dazu<br />
vom Vorsitzenden des Studierendenparlamentes,<br />
der<br />
aus Angst vor Überfällen<br />
nachts nicht mit seinem eigenen<br />
teuren Laptop unterwegs<br />
sein wollte. Die Laptops sind mit<br />
einem Universitätsausweis für fünf Stunden kostenlos ausleihbar.<br />
Der ein zige Nachteil: Bei der Rückgabe werden alle Daten von der<br />
Station gelöscht. www.laptopsanytime.com<br />
Fotos: Thinkstock, Getty Images, privat, PR<br />
„Ich habe Albanologie in meiner<br />
Heimat Albanien an der Uni<br />
Tirana studiert. Dort ist das ein<br />
Massenfach. Ich darf trotzdem<br />
von Glück reden, dass ich nach<br />
anderthalb Jahren Wartezeit<br />
überhaupt einen Studienplatz<br />
finden konnte. Studienplätze<br />
waren in den 1980er-Jahren in<br />
meinem damals kommunistisch<br />
orientierten Land sehr knapp; zudem entschieden<br />
andere Instanzen, wer was wo studiert.<br />
An der LMU konnte Albanologie bis zum<br />
Wintersemester 2009/10 im Magister-Studiengang<br />
im Haupt- und im Nebenfach studiert werden<br />
– die einzige Universität in Europa, an der<br />
diese Möglichkeit bestand. Derzeit kann Albanologie<br />
nur als Schwerpunkt gewählt werden: im<br />
Bachelor-Studiengang ‚Allgemeine und Indogermanische<br />
Sprachwissenschaft‘ oder im zum<br />
Wintersemester 2012/13 neu eingerichteten Master-Studiengang<br />
‚Balkanphilologie‘. Schwerpunkte<br />
sind albanische Philologie und Sprachgeschichte,<br />
Literatur, Volkskunde, Kultur- und<br />
Landeskunde sowie Spracherwerb.<br />
Es wird erwartet, dass Studierende bereits in<br />
den ersten vier Semestern durch vier bis sechs Semesterwochenstunden<br />
Sprachunterricht gute<br />
Sprachkenntnisse erwerben, die sie durch Teilnahme<br />
an Sommerkursen in Tirana oder Priština<br />
Meisterdieb wird Yale-Professor<br />
Secret-Service-Agenten die Taschen zu<br />
leeren, ist keine gute Idee. Apollo Robbins<br />
machte es trotzdem – als Unterhaltung<br />
für Jimmy Carter, den ehemaligen<br />
Präsidenten der Vereinigten Staaten.<br />
Robbins verwickelte dessen Bodyguards<br />
in ein Gespräch. Dabei entwendete<br />
er sogar ihre Ausweise. Robbins’ Talent sprach sich<br />
herum. Bald trat der Amerikaner auf der Bühne und im<br />
Fernsehen auf. Professionelle Zauberkünstler halten<br />
Robbins für einen der besten Taschendiebe der Welt.<br />
Auch deshalb, weil er die Leute, die er bestiehlt, vorab<br />
Alle zu mir<br />
Ein Hurra auf die Nischenfächer. Diesmal wirbt Professor<br />
Bardhyl Demiraj für sein FAch: die Albanologie. er unterrichtet<br />
an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).<br />
A L B A N O L O G I E<br />
vertiefen können. Praktika in Albanien<br />
sind ebenfalls möglich –<br />
zum Beispiel an den Universitäten<br />
in Tirana oder Elbasan oder in<br />
einem deutsch-albanischen Medizintechnik-Unternehmen.<br />
Das<br />
Albanische hat in den letzten<br />
zwei Jahrzehnten entscheidend<br />
an Bedeutung gewonnen. Die<br />
Entwicklungen der sozialen und<br />
politischen Lage in der westlichen Balkanregion<br />
und deren ernsthafte Andockmanöver an die europäische<br />
Marktwirtschaft und überhaupt an den<br />
gesamteuropäischen Entwicklungsstrom eröffnen<br />
gerade Geisteswissenschaftlern und Kennern<br />
dieser Region neue Arbeitsperspektiven. Leicht<br />
ist es nicht, eine Stelle zu finden. Die meisten Studierenden<br />
landen in fachnahen Gebieten, zum<br />
Beispiel im Dolmetscher- und Übersetzungsdienst,<br />
aber auch in der Reisebranche, in der sozialen<br />
Arbeit – zum Beispiel beim Flüchtlingswerk –<br />
oder bei sozialen und politischen Organisationen.<br />
Hinzu kommt, dass in Deutschland, Österreich<br />
und der Schweiz heute rund 600.000 albanischsprachige<br />
Arbeitnehmer leben – eine der<br />
größten ethnischen Minderheiten. Albanisch ist<br />
deshalb auch im Rahmen des Deutschunterrichtes<br />
für Ausländer zunehmend wichtig.“<br />
Protokoll: Constanze Kindel<br />
ausdrücklich warnt – und sie dennoch<br />
mühelos um ihre Portemonnaies, Uhren,<br />
Ketten und Ringe erleichtert. Seine Ablenkungsmanöver<br />
sind so geschickt,<br />
dass das Verteidigungsministerium dem<br />
Langfinger eine neue Arbeitsstelle verschaffte:<br />
Der 38-Jährige (auf unserem<br />
Foto rechts) wird außerordentlicher Professor am US-<br />
SOCOM Center of Excellence for Operational Neuroscience<br />
der Yale University. Hier soll Robbins lehren,<br />
wie er seine Opfer überlistet, und zum Verständnis von<br />
Aufmerksamkeit und Täuschung beitragen.<br />
Wie kommt<br />
das da rein?<br />
Im Hier<br />
und Jetzt<br />
Haben Sie eine Minute? Länger wird es nämlich<br />
nicht dauern, diesen Text zu lesen. Er handelt<br />
unter anderem von Sex und Sport, von Bananen,<br />
Lärm und Meditation. Interessiert Sie<br />
nicht? Ach, kommen Sie. Sie können nebenher<br />
doch weiter darüber nachdenken, ob Sie heute<br />
Abend noch ausgehen wollen. Selbst wenn Sie<br />
die Kolumne etwas lustlos zu Ende lesen, werden<br />
Sie sich anschließend zumindest ungefähr<br />
an die Hälfte der Infos erinnern – und damit<br />
mehr wissen als zuvor. Zum Beispiel, dass Forscher<br />
der Harvard University herausgefunden<br />
haben, dass Menschen, die Sex haben, nur zu<br />
30 Prozent mit ihren Gedanken woanders sind.<br />
Ja: nur. Das ist Rekord. Im Durchschnitt sind<br />
wir nämlich zu exakt 46,9 Prozent des Tages<br />
eben nicht bei der Sache, die wir gerade tun –<br />
egal, ob wir an Referaten arbeiten, eine Vorlesung<br />
hören oder Sport treiben.<br />
Sollten Sie sich jedoch darum bemühen,<br />
die restlichen Zeilen mit Neugier zu lesen, werden<br />
Sie danach nicht nur mehr behalten haben.<br />
Beispielsweise, dass Lärm die Konzentration<br />
stört (gilt auch für Nebenbei-Musik). Dass<br />
durch Kurz-Meditationen die Aufmerksamkeit<br />
nachweislich trainiert werden kann. Und dass<br />
das Gehirn durch den Verzehr von Bananen<br />
einen lang anhaltenden Energieschub erhält.<br />
Sie werden nämlich auch das wichtigste Ergebnis<br />
der Studie kennen. Es lautet: Menschen,<br />
die sich im Hier und Jetzt konzentrieren können,<br />
sind glücklicher als Tagträumer – egal,<br />
wie schön ihre Fantasien sind.<br />
HOCHSCHUL<br />
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6<br />
HOCHSCHUL<br />
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7
REQUIEM<br />
FÜR EINE<br />
INSELMozart, Sozialismus und die Liebe<br />
t e x t u n d f o t o s<br />
J o c h e n B r e n n e r<br />
Verfall trifft Revolutions-Romantik:<br />
Che Guevaras Porträt auf der Plaza<br />
de la Revolución in Havanna.<br />
Seit Kubas Regierung Reise-Visa genehmigt,<br />
stellt sich das Land eine einzige Frage:<br />
Dableiben oder in die Welt aufbrechen?<br />
Dies ist die Geschichte zweier junger Musiker,<br />
eines Orchesters und der Hoffnung auf<br />
ein besseres Leben. Dies ist die Geschichte<br />
von Winnie und Luis.
LUIS<br />
Das Orchester ist für die kubanischen<br />
Musiker die Chance ihres<br />
Lebens. IHr Konzert wird live<br />
im ganzen Land übertragen.<br />
Luis (links) würde Kuba am liebsten verlassen.<br />
Rechts: Musikerinnen des Mozart-Orchesters<br />
von Havanna kurz vor dem Auftritt.<br />
Am Tag vor dem großen Konzert erfährt Luis, dass er bald nach<br />
Deutschland fliegen wird. Ein paar Wochen noch, dann wird in Havanna<br />
ein Jumbo mit braun gebrannten Touristen und Luis abheben,<br />
um nach Frankfurt in die deutsche Kälte zu<br />
fliegen. Luis hat Schlagzeug studiert, er ist<br />
27 Jahre alt und hat Kuba noch nie verlassen.<br />
Ein Freund hat ihm den Job in der Tournee-<br />
Band des „Original Cuban Circus“ vermittelt.<br />
Luis braucht jetzt dringend noch eine<br />
warme Jacke. Sein Vater sagt, mit etwas<br />
Glück könne er in den drei Monaten in<br />
Deutschland vielleicht sogar Schnee sehen<br />
und dass die Deutschen dort, wo er mit dem<br />
Zirkus auftritt, die Karibik lieben. In Schwäbisch<br />
Gmünd, Bad Bevensen und Iserlohn.<br />
„Ich habe keine Angst, zu gehen“, sagt Luis.<br />
Am 14. Januar trat auf Kuba überraschend<br />
ein neues Reisegesetz in Kraft. Ohne eine Erlaubnis zu benötigen<br />
und zu günstigeren Preisen sollen die Inselbewohner seither<br />
in alle Länder der Welt reisen dürfen. Doch noch immer ist nicht<br />
klar, welche Länder Kubanern unter welchen Bedingungen überhaupt<br />
Visa erteilen werden. Viele Kubaner bleiben skeptisch, weil<br />
die Regierung aus „Gründen der Verteidigung und der nationalen<br />
Sicherheit“ weiterhin jeden Ausreiseantrag ablehnen kann. Die<br />
Klausel ist eine Machtdemonstration der Castros. Wir bestimmen,<br />
wer geht, sagt sie. So weltoffen sich Kuba dem Besucher präsentiert,<br />
so sehr ist es noch immer durchdrungen vom Staatsverständnis<br />
seines einstigen Diktators. „Meinungsfreiheit“, sagt ein österreichischer<br />
Diplomat, „ist in Kuba ein Fremdwort.“<br />
Sie hat drei Jobs<br />
und arbeitet<br />
sieben Tage<br />
die Woche. Das Geld<br />
reicht trotzdem<br />
kaum zum Leben.<br />
Am Morgen des großen Konzertes sitzen Luis und Winnie in einem<br />
Café in der Altstadt von Havanna zusammen. Ihre Nachnamen<br />
möchten sie lieber nicht in einem Magazin lesen. Wenn Luis über<br />
Deutschland redet, studiert Winnie die Gesichtszüge<br />
ihres Freundes ganz genau – wie<br />
er lächelt und die makellosen Zähne blitzen,<br />
wie seine Augen strahlen und er die Brauen<br />
hochzieht wie nie zuvor. Sie hört ihm schon<br />
lange nicht mehr zu, weiß ja, was Luis sagt.<br />
Dass Deutschland seine Chance ist, dass<br />
Kuba sich nie ändern wird, dass er an einem<br />
Tag im Zirkus so viel verdient wie innerhalb<br />
eines Monats in Kuba. Jeder seiner Sätze<br />
endet mit dem Mantra der Unbeirrbaren:<br />
„Jetzt oder nie!“<br />
Winnie ist 25 Jahre alt, eine ernste junge<br />
Frau, die ihren Körper unter weiten Kapuzenpullis<br />
und Jeans verbirgt. Die dunklen Haare trägt sie streng<br />
nach hinten zum Pferdeschwanz gebunden. Sie hat am Konservatorium<br />
Bratsche studiert, nun repariert sie vormittags gebrauchte<br />
Streichinstrumente bei „Luthiers Sans Frontières“, den „Geigenbauern<br />
ohne Grenzen“. Nachmittags unterrichtet sie Schüler. Dann<br />
ist da noch der Job als Bratschistin im Orquesta Sinfónica Nacional<br />
de Cuba, dem Staatsorchester des Landes. So geht das an sieben<br />
Tagen in der Woche, und trotzdem reicht das Geld kaum zum Leben.<br />
Seit vier Jahren ist sie mit Luis zusammen, einem jungenhaften<br />
Schlagzeuger mit raspelkurzen Haaren, der seit dem Studienabschluss<br />
auch noch als Toningenieur arbeitet. „Wir kommen über<br />
die Runden“, sagt Winnie, „aber es ist schwierig.“ „Es ist eine<br />
Über den Malecón, die Uferpromenade Havannas,<br />
zog Castro mit seinen Soldaten 1959 in Havanna ein.<br />
WINNIE<br />
Winnie (rechts) hängt an ihrer Heimat.<br />
„Wir kommen über die Runden, aber es ist schwierig.“<br />
Wird der Erfolg des Orchesters die Musiker hinaus<br />
in die Welt katapultieren?<br />
HOCHSCHUL<br />
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10
Verfallene Häuser,<br />
Verhaftungen<br />
und trotzdem:<br />
ein bisschen Hoffnung.<br />
Ob es zu einer wirklichen Öffnung Kubas kommt,<br />
ist noch völlig unklar. In den Straßen der Hauptstadt,<br />
wie hier in Alt-Havanna, herrscht Armut.<br />
Hotels wie das „Nacional“, in dem Che Guevara und<br />
Fidel Castro während der Kubakrise ihr Hauptquartier<br />
hatten, sind selten.<br />
Katastrophe“, sagt Luis. „Aber es wird besser“,<br />
sagt Winnie. „Wer nicht ins Ausland geht, hat keine<br />
Zukunft“, sagt Luis. „Aber wir kommen doch<br />
zurecht“, sagt Winnie, „meine Zukunft ist hier in<br />
Kuba.“ Luis schluckt und schweigt. So geht das<br />
jetzt seit Wochen.<br />
Am Abend des großen Konzertes stehen<br />
Winnie und Luis zum ersten Mal seit Wochen wieder<br />
auf derselben Seite. Sie spielen beide im noch<br />
jungen Orchester des Lyceum Mozartiano de La<br />
Habana, dem Klangkörper der ersten Mozart-Gesellschaft<br />
Kubas. Das Geld für ihre Gründung und<br />
für die Gründung des Orchesters stammt aus Europa.<br />
Die EU fördert das Projekt mit fast 400.000<br />
Euro. Mehrere Zehntausend legt der Präsident der<br />
internationalen Stiftung Mozarteum aus Salzburg<br />
obendrauf, der die Idee für das Orchester hatte.<br />
Als der Begrüßungsapplaus verebbt ist und<br />
sich die jungen Musiker setzen, breitet sich Stille<br />
aus im Oratorio de San Felipe Neri. 300 Konzertbesucher<br />
blicken die Musiker an, die Frauen tragen<br />
Abendkleider, die Männer Anzug. Gedämpft<br />
dringt von draußen ein Hupen aus den Altstadtgassen<br />
Havannas in die Kirche. Dann setzen die 80<br />
jungen Kubaner ihre Instrumente an, um die<br />
Ouvertüre zur Zauberflöte zu spielen – Musikerinnen<br />
und Musiker zwischen 18 und 28, die Wolfgang<br />
Amadeus Mozart für ein Konzert lang zum<br />
Kubaner machen.<br />
Den ganzen Tag über haben sie noch die letzten<br />
unklaren Takte geprobt und versucht, ihre Aufregung<br />
mit Üben zu vertreiben. Als sie sich hinter<br />
der Bühne in der Garderobe gegenüberstehen,<br />
geschminkt und herausgeputzt, kitzelt das Adrenalin<br />
aus einigen von ihnen ein irrwitziges Lachen<br />
heraus: Sie freuen sich auf den Beginn einer neuen<br />
Zeit und fürchten im selben Moment, die Chance<br />
zu vermasseln.<br />
Der erste Akkord sitzt, die Ouvertüre läuft gut,<br />
die Holzbläser spielen sauber wie nie in der Probe.<br />
Den ersten Geigen gelingt in den schnellen Passagen<br />
eine Homogenität, die die Zuschauer aufhorchen<br />
lässt. Über dem Konzert des neuen Mozart-<br />
Orchesters aus Havanna liegt der Glanz des Aufbruches.<br />
Als der letzte Satz der Prager Sinfonie von<br />
Mozart verklungen ist, ahnen die Besucher, dass sie<br />
Zeugen davon wurden, wie sich eine junge Musikergeneration<br />
in eine neue Zeit aufmacht.<br />
Die politische Öffnung des Landes spielt der<br />
Stiftung Mozarteum aus Salzburg in die Hände.<br />
Als ihre Gesandten das Mozart-Orchester-Projekt<br />
2008 entwickelten, war die Förderung junger Musiker<br />
nichts weiter als der Versuch, die Musik zum<br />
politisch neutralen Gedankenaustausch zu nutzen<br />
und ein paar Eingeschlossenen mit dem Nötigsten<br />
zu helfen. Wenn die Geiger, Cellisten und Bläser<br />
das Land schon nicht verlassen konnten, sollten sie<br />
wenigstens gemeinsam in einem Orchester musizieren<br />
und sich so als Profimusiker weiterqualifizieren<br />
können. Inzwischen hat das Projekt zwei<br />
Richtungen. Die europäische Klassik ist für die kubanischen Instrumentalisten<br />
die Großchance ihres Lebens. Zum einen spielen sie<br />
in Havanna in einem angesehenen Orchester. Zum anderen können<br />
sie künftig als Gäste in Salzburg und Wien studieren, reisen, lernen,<br />
besser werden. Überall warten gut dotierte Jobs auf sie, wenn sie<br />
nur gut genug spielen. Mozart ist ihr Ticket in eine Welt, die ihren<br />
Eltern verwehrt blieb.<br />
Winnies Vater etwa ist wie seine Tochter Musiker. Ein paar<br />
Mal in seiner Karriere reiste er in die Sowjet union, die der zuverlässige<br />
Finanzier Kubas war. Zeit seines Lebens<br />
regierte Fidel Castro, weshalb sich<br />
der Vater mit seiner Isolation arrangierte.<br />
So machte die Politik Winnie zur Tochter<br />
eines Gefangenen. Der Weltgeist hat ihr<br />
nun die Zellentüren aufgestoßen. „Ich bin<br />
neugierig auf Deutschland“, sagt Luis.<br />
Winnie schweigt dazu.<br />
In der Geschichte Kubas haben immer<br />
wieder Unzufriedene das Land verlassen,<br />
allein zwei Millionen Exil-Kubaner<br />
leben im 140 Kilometer entfernten<br />
Florida. 1965 wurde eine Luftbrücke errichtet,<br />
1980 reisten 125.000 Menschen<br />
über den Hafen Mariel aus, Mitte der 90er-<br />
Jahre entkamen Zehntausende mit selbst<br />
gebauten Flößen der schlimmsten Wirtschaftskrise<br />
des Landes. Doch offiziell<br />
entschied die Regierung, wer reinkommt<br />
und wer geht.<br />
Am 8. Januar dieses Jahres jährte sich<br />
der Einzug des „Máximo Líder“ nach der<br />
Flucht des Diktators Batista zum 54. Mal.<br />
1959 war er über die berühmt gewordene Uferpromenade, den Malecón,<br />
ins Zentrum Havannas vorgedrungen. Seinem nordamerikanischen<br />
Gegner Dwight D. Eisenhower gelang es ebenso wenig wie<br />
den neun nachfolgenden US-Präsidenten, Castro in Havanna zu<br />
stürzen. Die CIA leug<strong>net</strong> inzwischen nicht einmal mehr, 30 Attentate<br />
auf den Diktator verübt zu haben. Es war Fidel selbst, der 2008,<br />
gesundheitlich angeschlagen, seinen Rückzug bekannt gab. Seither<br />
regiert sein fünf Jahre jüngerer Bruder Raúl.<br />
Bei den Wahlen zum kubanischen Volkskongress am 3. Februar<br />
2013, zu denen nur die kommunistische Partei zugelassen war, ließ<br />
sich Fidel dennoch wieder zum Abgeord<strong>net</strong>en wählen. Das Parlament<br />
machte mit seiner Stimme dann auch den Weg für Raúl Castros<br />
zweite Amtszeit frei. Nur 20 Prozent der Kubaner haben überhaupt je<br />
einen anderen als einen Castro an der Staatsspitze erlebt.<br />
Es ist unwahrscheinlich, dass die alten Männer den Kurs ändern.<br />
Jede Öffnung bringt die Gefahr mit sich, die sozialistischen<br />
Grundsätze Kubas zu gefährden. Auf einem Parteikongress Anfang<br />
2012 sagte Raúl Castro, die Legalisierung von Oppositionsgruppen<br />
käme der „Legalisierung der Parteien des Imperialismus“ gleich.<br />
Im Jahr 2012 wurden 6.602 Regimekritiker verhaftet, fast 60 Prozent<br />
mehr als im Jahr zuvor.<br />
Es gibt keine freie Presse, die Zeitungen hetzen täglich gegen die<br />
Vereinigten Staaten. Fernsehen und Radio filtern Informa tionen. Inter<strong>net</strong><br />
gibt es nur in den großen Hotels, kriechend langsam und überteuert.<br />
Auch 2013 leben die Kubaner abgeschnitten von der Wahrheit und unter<br />
der Dauerberieselung revolutionärer Propaganda.<br />
Lange Jahre hindurch war die Sowjetunion Finanzier, heute<br />
hängt Kuba am Tropf des Ölstaates Venezuela. Trotzdem verdienen<br />
Der Weltgeist<br />
hat die Zellentür<br />
aufgestoßen,<br />
und es klingt<br />
beinahe zu schön,<br />
um wahr zu sein:<br />
Vielleicht<br />
rettet Mozart<br />
die Liebe<br />
eines kubanischen<br />
Paares.<br />
die Menschen weit weniger als 1989. In den vergangenen Monaten<br />
wurden deswegen sozialistische Dogmen geopfert und Gewerbelizenzen<br />
an Kleinunternehmer vergeben. Havanna klagt über das fortdauernde<br />
amerikanische Handelsembargo. Verluste in Höhe von<br />
über 100 Milliarden Dollar sollen dadurch im Lauf der vergangenen<br />
fünfzig Jahre entstanden sein. Fidels Revolution hatte allerdings<br />
auch ihre Vorteile: Bildung kostet nichts in Kuba, die Gesundheitsvorsorge<br />
gilt als exzellent, Wohnungen zahlt der Staat.<br />
In den Stunden nach dem großen Konzert liegt der Duft von<br />
Aufbruch in der Luft. Das merken Winnie<br />
und Luis, als sie durch die Straßen von Alt-<br />
Havanna zu einer kleinen Bar schlendern.<br />
Ihr Konzert, das erfahren sie von Passanten,<br />
wurde live und landesweit im Radio übertragen:<br />
die Ouvertüre aus der Zauberflöte<br />
und die Prager Sinfonie, gespielt von jungen<br />
Kubanern, gefördert von europäischen<br />
Kapitalisten und initiiert von österreichischen<br />
Mozart-Enthusiasten. In einem Land,<br />
dessen Bürger zwischen dem Tod und dem<br />
Sozialismus wählen können, ist das eine<br />
kleine Revolution.<br />
In der Nacht nach dem großen Konzert<br />
sitzen Winnie und Luis mit Freunden in<br />
der Bar zusammen, immer neue Mojitos<br />
tauchen auf dem Tresen auf. Luis lacht laut,<br />
Winnie lacht ein bisschen. „Das System<br />
wird sich nicht um 180 Grad drehen“, sagt<br />
er, „aber vielleicht wenden sich ein paar<br />
Dinge zum Guten.“ Sie sagt: „Ich spüre die<br />
Veränderung, und ich will dort sein, wo ich<br />
am meisten lernen kann.“<br />
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ausgerech<strong>net</strong> Mozart, das<br />
Genie aus Salzburg, Winnies Furcht vor der Veränderung mit Luis’<br />
Neugier auf die Welt versöhnen wird. Das Mozart-Orchester, in dem<br />
die beiden spielen, bringt Winnie vorsichtig in Kontakt mit einer<br />
Welt, vor der sie sich im Moment oft noch fürchtet. Und es beweist<br />
Luis, dem Fluchtbereiten, dass sein Land zur Veränderung in der<br />
Lage ist, zur Öffnung sogar. Er wird die Drei-Monats-Tournee mit<br />
dem Zirkus antreten und danach ins Flugzeug zurück nach Havanna<br />
steigen. Dann beginnt die neue Probenphase des Mozart-Orchesters.<br />
Als sie sich spätnachts nach Hause aufmachen, sagt Winnie,<br />
dass sie Luis und seine Neugier auf die Welt ein bisschen bewundert.<br />
Sie will sich die Sommerkurse des Mozarteums in Salzburg wenigstens<br />
einmal ansehen. Und London interessiert sie. Dort gibt es einen<br />
Bratschen-Professor, der ihr eine Menge beibringen könnte, glaubt<br />
Winnie. Luis greift nach ihrer Hand. Sie zieht sie nicht weg.<br />
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12<br />
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13
G u n t h i l d K u p i t z<br />
Ler nen,<br />
WIE<br />
ein bisschen<br />
MAN DIE<br />
WELT<br />
rettet<br />
Firmen, die sich nicht um Nachhaltigkeit kümmern,<br />
können schon mal ihre Abwicklung planen,<br />
glaubt ein Professor der Uni Lüneburg.<br />
Und bringt seinen Studierenden bei, den Pla<strong>net</strong>en<br />
zu schützen und gleichzeitig das Unternehmen<br />
von morgen zu erfinden. Eine von ihnen ist<br />
Friederike Klöckner – ein Treffen.<br />
Illustration: Jan Kruse / Human Empire<br />
Sie hätte nur Ja sagen müssen. Ja zur festen Stelle, Ja zum sicheren<br />
Einkommen, Ja zur Karriere. Dann säße Friederike Klöckner an diesem<br />
Dienstagmorgen in Tübingen in einem Büro, trüge zum dunkelblauen<br />
Hosenanzug eine weiße Bluse und beriete mit gerade mal 24<br />
als Junior Consultant internationale Konzerne wie Sony oder Hewlett-Packard<br />
bei der Umsetzung europäischer Umweltschutzgesetze.<br />
Nach ihrem Wirtschaftsrechtstudium, das sie im Sommer 2011 an der<br />
Dresdener TU mit dem Bachelor und der Note 1,5 abschloss, hatte sie<br />
ein sechsmonatiges Praktikum bei einem Tübinger Beratungsunternehmen<br />
absolviert und anschließend das Angebot auf eine Festanstellung<br />
bekommen. Doch: Sie lehnte ab.<br />
„Ich hatte damals eine kleine Zukunftskrise“, erinnert sich<br />
Klöckner: „Ich konnte und wollte mich nicht festlegen; auch nicht für<br />
ein paar Jahre. Also habe ich intensiv darüber nachgedacht: Wenn ich<br />
arbeite, wo möchte ich arbeiten, und wenn ich studiere, was möchte<br />
ich studieren?“ Nur eines war ihr klar: Ihr Beruf sollte sinnvoll sein<br />
für sie – und nützlich für andere.<br />
Und so sitzt Friederike Klöckner, lange braune Haare, Jeans und<br />
Perlenohrstecker, nun um drei Minuten nach zehn an einem großen<br />
runden Tisch am Fenster der Lüneburger Campus-Mensa – ihr Arbeitsplatz<br />
für die nächsten vier Stunden –, holt aus ihrer weißen Kuriertasche<br />
ein paar mit neongrünem Leuchtstift versehene Ausdrucke heraus<br />
und legt ihr Handy neben einen mit heißem Ingwertee gefüllten Thermosbecher.<br />
Seit September absolviert die heute 24-Jährige den viersemestrigen<br />
Master-Studiengang „Nachhaltigkeitswissenschaft – Sustainability<br />
Science“. Zusammen mit ihren Kommilitonen Felix Czernin<br />
(24) und Haris Sefo (27) will sie noch an der gemeinsamen Präsentation<br />
für das Seminar am Nachmittag feilen. Die Aufgabe: „Erarbeiten<br />
Sie eine Nachhaltigkeitsmarketingstrategie für die Marke Volkswagen.“<br />
Knapp 20 Minuten wird die Gruppe Zeit haben, um 40 Kommilitonen,<br />
vor allem aber den Seminarleiter Professor Stefan Schaltegger,<br />
einen der profiliertesten Köpfe in Deutschland im Bereich Sustainability<br />
Management, von ihren Ideen zu überzeugen.<br />
Die Fakultät Nachhaltigkeit, 2010 an der Leuphana-Universität<br />
gegründet, ist einmalig in Deutschland. Nachhaltigkeit wird hier<br />
interdisziplinär gelehrt – und das bedeutet: Rund 25 Professoren aus<br />
den verschiedensten Fachbereichen wie beispielsweise Chemie, Informatik,<br />
Ökologie, Ethik, Politik, Psychologie, Jura und BWL unterrichten<br />
die Studierenden darin, Themen wie Energiewende, Urbanisierung<br />
und Umweltverschmutzung aus einem ökologischen<br />
Blickwinkel, aber auch aus einem ökonomischen und sozialen zu betrachten.<br />
„Die Kombination aus sowohl naturwissenschaftlicher als<br />
auch humanwissenschaftlicher Perspektive finde ich wirklich genial<br />
an diesem Studiengang“, sagt Friederike Klöckner: „Dieser ganzheitliche<br />
Ansatz bewahrt einen davor, ideologisch zu werden. Weil es<br />
immer darum geht, eine Lösung zu finden, die die unterschiedlichen<br />
Interessen berücksichtigt.“ Seit sie denken könne, setze sie sich mit<br />
dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Also damit, was in den<br />
1980er-Jahren für die Vereinten Nationen in einer noch immer gültigen<br />
Definition als dauerhafte Entwicklung beschrieben wurde, „die<br />
die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne die Bedürfnisse<br />
künftiger Generationen zu gefährden“. Klöckner ist auf einem<br />
Bauernhof im Siegerland aufgewachsen; ihre Eltern haben ihr den<br />
einzig angemessenen Umgang mit der Natur vorgelebt: einen respektvollen.<br />
Dass sie an der Leuphana-Universität nun unter anderem<br />
lernt, wissenschaftliche Studien zu lesen und – „endlich“ – die Zusammenhänge<br />
versteht, wie sich beispielsweise der Klimawandel<br />
auf die Biodiversität auswirkt und ob Fracking, die derzeit viel diskutierte<br />
Gasfördermethode mithilfe von Chemikalien, die Qualität<br />
des Trinkwassers beeinflusst, ist für sie eine wichtige Ergänzung zu<br />
ihrer bisherigen Ausbildung. Eine Ansicht, die auch ihre Kommilitonen<br />
Felix Czernin und Haris Sefo teilen, die beide einen Bachelor<br />
in BWL haben. Denn so interdisziplinär, wie der Studiengang<br />
Nachhaltigkeitswissenschaften angelegt ist, so interdisziplinär ist<br />
auch die Zusammensetzung der Studierenden. Dass das sehr bereichernd<br />
sein kann, haben sie selbst feststellen können, als sie<br />
übungshalber gemeinsam die Nachhaltigkeitsmarketingstrategie<br />
für den Wolfsburger Autobauer entwickelten.<br />
Während in der Mensa mittlerweile fast alle Tische von diskutierenden<br />
Arbeitsgruppen besetzt sind, beginnen die drei um kurz<br />
nach elf mit der ersten von zwei Durchlaufproben ihrer Präsentation.<br />
Friederike übernimmt die Einführung. Stellt die Marke VW vor. Beschreibt<br />
deren technologieorientiertes Nachhaltigkeitsverständnis.<br />
Doch als sie die Zielgruppe mit „der urbane Kunde“ beschreibt, der<br />
flexibel, günstig, sicher und nachhaltig mobil sein möchte, unterbricht<br />
sie Haris und zeigt auf die Uhr: „Du musst dich kurzfassen.<br />
Und langsamer sprechen.“<br />
In den vergangenen drei Monaten hatte sich die Gruppe regelmäßig<br />
getroffen. Sie hatte die Stärken von Volkswagen analysiert<br />
(unter anderem das Know-how) und die Schwächen (unter anderem<br />
der Nachholbedarf bei Elektroautos), sie hatte darüber diskutiert, in<br />
welche Richtung sich das Portfolio des Unternehmens entwickeln<br />
könne, und darüber nachgedacht, was sich optimieren ließe. Und aus<br />
all diesen Punkten hatte die Gruppe ihre Vorschläge erarbeitet, nämlich:<br />
dass das Unternehmen die CO 2<br />
-Emissionen in sämtlichen Modellen<br />
reduzieren sollte statt wie bislang nur in einigen wenigen.<br />
Dass es außerdem eine Führungsrolle im Bereich Elektrofahrzeuge<br />
anstreben sollte. Und dass es sich vor allem langfristig durch ein erweitertes<br />
Carsharing-Konzept – eine Kombination aus der Vermietung<br />
VW-eigener Elektroautos mit der Nutzung anderer Verkehrsmittel<br />
wie Rad, Bus und Bahn mithilfe des Smartphones – von einem<br />
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15
Fahrzeughersteller zu einem Mobilitätsdienstleister<br />
entwickeln sollte. Als die Gruppe ihr Konzept um halb<br />
drei im Seminarraum 121 mit einer PowerPoint-Präsentation<br />
vorstellt, läuft alles glatt: Friederike trägt<br />
ihren Teil souverän und in angemessenem Tempo innerhalb<br />
ihres Zeitrahmens vor; auch die anderen überziehen<br />
nicht. Anschließend stellen die Kommilitonen<br />
ein paar Verständnisfragen. Stefan Schaltegger will noch<br />
etwas über die Kernkompetenzen von VW wissen, und bald<br />
darauf stellt die nächste Gruppe ihre Nachhaltigkeitsstrategie für die<br />
Waschmaschinensparte von AEG vor. Bis abends um neun werden es<br />
neun Gruppen mit neun unterschiedlichen Strategien gewesen sein.<br />
Später wird Schaltegger sagen, dass er an diesem Tag viele innovative<br />
Ideen und Lösungsansätze von den Studierenden gehört habe. „Es sind<br />
hoch motivierte, sehr reflektierte und intelligente Leute – es macht einfach<br />
Spaß mit ihnen.“<br />
Schaltegger ist ein schmaler, drahtiger 49-Jähriger in Jeans und<br />
Sakko. Und obwohl der Wirtschaftswissenschaftler den Lehrstuhl für<br />
Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-Universität seit 1999 innehat<br />
und in Lüneburg lebt, klingt bei ihm noch immer der Sprachduktus<br />
seiner Schweizer Heimat durch. „Es ist wirtschaftlich einfach notwendig,<br />
sich mit Nachhaltigkeit zu befassen. Unternehmen, die das in<br />
Deutschland ignorieren, können sich eigentlich ihrer Abwicklung widmen,<br />
oder?“ Material oder Energie einzusparen sei schließlich nicht nur<br />
ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch.<br />
2004 hat Schaltegger an der Leuphana-Universität mit dem „Center<br />
for Sustainability Management“ eines der weltweit größten Institute<br />
zum Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut, außerdem den allerersten<br />
MBA für Nachhaltigkeitsmanagement eingeführt und mit dem Sustainability<br />
Leadership Forum eine von den Vereinten Nationen ausgezeich<strong>net</strong>e<br />
Diskussionsplattform für engagierte Unternehmen geschaffen, deren<br />
Vertreter sich dreimal im Jahr zu einem Workshop treffen. Und seine Studierenden<br />
lehrt er die Grundlagen der Betriebswirtschaft, damit sie verstehen,<br />
wie Unternehmen funktionieren. „Denn wenn man die Gesellschaft<br />
nachhaltig verändern will, muss man die Unternehmen bewegen.“<br />
Doch Schaltegger will nicht nur theoretische Konzepte vermitteln, sondern<br />
auch immer den Praxisbezug – so wie durch seine Aufgabenstellung<br />
an diesem Dienstag.<br />
Haris Sefo plant, sich nach seinem Abschluss vor allem um den<br />
Bereich nachhaltige Logistik und Transport in einem Unternehmen zu<br />
kümmern. Felix Czernin möchte in die Politik gehen und in einem Ministerium<br />
Gesetzesvorlagen mitentwickeln. „Für viele Konzepte, die<br />
wir entwickeln, fehlen noch die Rahmenbedingungen. Wenn die stimmen,<br />
ziehen auch die Firmen nach.“<br />
Und Friederike Klöckner? Sie hat sich noch nicht<br />
entschieden. Aber seit Beginn ihres Studiums arbeitet<br />
sie jeden Freitag in der Hamburger Unternehmensberatung<br />
pro.mara consulting, die Dax-30-Unternehmen<br />
bei der Entwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategien<br />
hilft. Dort bereitet sie Präsentationen vor, übernimmt Rechercheaufgaben,<br />
analysiert Wettbewerber von Kunden. Friederike mag<br />
den Job. „Man lernt sehr viel, weil man sich ständig in neue Themen<br />
einarbeiten muss. Und vor allem lernt man, sehr effizient zu arbeiten.“<br />
Gut möglich also, dass Klöckner doch noch ihre Berufung in der Beratung<br />
finden wird. Vielleicht aber wird sie auch in der Autobranche anfangen,<br />
denn für den Sommer hat sie eine Zusage für ein Praktikum in<br />
der Abteilung Konzernforschung Umwelt- und Rohstoffanalyse von<br />
VW erhalten. Sicher ist bisher nur dies: dass das Studium sie bereichert<br />
hat. „Natürlich werde ich dadurch nicht die Welt retten, aber vielleicht<br />
doch ein Stück dazu beitragen, sie zu verbessern.“<br />
Nachhaltigkeit studieren<br />
Executive Master in Energy Management. Der 12-monatige berufsbegleitende<br />
EMEM der Wirtschaftshochschule ESCP Europe wird<br />
seit 2012 auch in Berlin angeboten. Das internationale Programm hat<br />
Präsenzzeiten in London, Madrid, Paris und Neu-Delhi. Die Studierenden<br />
werden für Führungsaufgaben in der Energiebranche geschult.<br />
Die Absolventen sollen die führenden Köpfe der Energiewende in<br />
Europa werden. Voraussetzungen sind ein Master-Abschluss und drei<br />
Jahre Berufserfahrung. Kosten: 22.759 Euro. Mehr über den EMEM:<br />
www.escpeurope.eu<br />
Master in Automotive Systems Engineering – Green Technology.<br />
In Kooperation mit der Autoindustrie bietet die Duale Hochschule<br />
Baden-Württemberg einen berufsintegrierten Master-Studiengang<br />
an. Bereits studierte Ingenieure können sich in der Entwicklung<br />
ökologisch nachhaltiger Fahrzeuge und Automobilkomponenten<br />
weiterbilden. Neben einem überdurchschnittlichen Bachelor in Engineering<br />
wird mindestens ein Jahr Berufserfahrung vorausgesetzt.<br />
Das Master-Programm dauert vier Semester und kostet rund 20.700<br />
Euro. Es startet im Oktober 2013. Mehr dazu: www.dhbw.de<br />
Master in Energy Science and Engineering. Seit 2012 können<br />
sich Bachelor-Absolventen ingenieur- oder naturwissenschaftlicher<br />
Fächer an der Technischen Universität in Darmstadt für das neue<br />
Master-Programm in Energy Science and Engineering bewerben.<br />
Innerhalb von vier Semestern erlernen die Studierenden Kompetenzen<br />
u. a. aus der Architektur, aus dem Bauingenieurwesen und aus<br />
der Physik. Der interdisziplinäre Studiengang hat den Schwerpunkt<br />
Energie. Die Absolventen sollen künftig als Selbständige in der<br />
Energieforschung arbeiten – als Berater und Gutachter für Industrie<br />
oder Politik. Für das Studium sind keine Studiengebühren fällig.<br />
Mehr über das Master-Programm: www.ese.tu-darmstadt.de<br />
Master of International Business and Sustainability. Erstmals<br />
zum Wintersemester 2013 können Bachelor-Absolventen mit dem<br />
neuen Master der Universität Hamburg ihre Kompetenzen in der<br />
internationalen Unternehmensführung und im Nachhaltigkeitsmanagement<br />
stärken. Die Studierenden werden sensibilisiert für die<br />
ethischen, ökologischen und sozialen Implikationen ökonomischer<br />
Wertschöpfungsprozesse. Die Intention ist es, diese Kompetenzen<br />
in globalen Konzernen anzuwenden. Das Programm ist auf zwei Jahre<br />
angelegt, die Studienplätze sind auf 60 Personen beschränkt und<br />
kostenfrei. Mehr Infos: www.wiso.uni-hamburg.de/mibas<br />
Master-studium Effiziente Mobilität in der Fahrzeugtechnologie.<br />
An der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik der Hochschule<br />
Karlsruhe können sich Bachelor-Absolventen (Maschinenbau,<br />
Mechatronik, Fahrzeugtechnologie) zum Wintersemester 2013 für<br />
einen dreisemestrigen Master einschreiben. In dem neuen Studiengang<br />
werden Kenntnisse zu effizienten Antriebskonzepten und Elektromobilität<br />
vermittelt. Die Absolventen sollen für die Anforderungen<br />
der Autoindustrie im Hinblick auf E-Mobility gerüstet werden.<br />
Die Studienplätze sind rar: Pro Semester werden nur 15 Personen<br />
aufgenommen. Mehr zum Master in Effizienter Mobilität in der Fahrzeugtechnologie:<br />
www.hs-karlsruhe.de<br />
foto: Privat<br />
Constanze Kindel<br />
Finger<br />
In fünf US-Bundesstaaten dürfen Studierende zurzeit ganz legal Waffen<br />
mit zur Uni bringen: Colorado, Mississippi, Oregon, Utah und Wisconsin.<br />
Der Organisation Students for Concealed Carry (SCC) reicht<br />
das nicht. Die Gruppe, gegründet von einem texanischen Politikwissenschaftsstudenten<br />
als Reaktion auf den Amoklauf an der Virginia<br />
Tech, bei dem der Anglistikstudent Seung-hui Cho im April 2007 32<br />
Menschen erschoss, hat über 36.000 Mitglieder und kämpft für das<br />
Recht auf Waffen auf dem Campus – juristisch mit Klagen, symbolisch<br />
mit regelmäßigen „Empty Holster Protests“, bei denen Studenten demonstrativ<br />
mit leeren Pistolenhalftern<br />
zum Unterricht erscheinen.<br />
Reid Smith studiert Medizin an<br />
der Wayne State University in Detroit,<br />
Michigan, und ist im Vorstand von SCC<br />
als Regionalleiter für den Mittleren<br />
Westen und für Entwicklungsfragen<br />
zuständig.<br />
Einen Tag, nachdem wir dieses Interview<br />
vereinbart haben, sind bei<br />
Schießereien an Colleges in Kentucky<br />
und Missouri drei Menschen getötet<br />
und drei weitere verletzt worden.<br />
Wollen Sie wirklich mehr Waffen<br />
auf dem Campus?<br />
Wenn ich das Pech hätte, mögliches<br />
Opfer eines Amokschützen zu werden,<br />
der auf mich zukommt, würde ich mich sicher mit einer Schusswaffe<br />
wohler fühlen als mit dem Wissen, dass mein Campus eine schusswaffenfreie<br />
Zone ist. Wichtig ist, dass SCC sich nur bemüht, Inhabern<br />
einer „Concealed Pistol License“ (CPL), die sich extrem strengen<br />
Hintergrundüberprüfungen unterzogen und Ausbildungslehrgänge<br />
bestanden haben, zu ermöglichen, ihre Schusswaffen auf einem<br />
College-Campus zu tragen. Diese CPL-Inhaber dürfen fast<br />
überall anders Schusswaffen tragen. SCC glaubt nicht, dass diese<br />
verantwortungsbewussten Erwachsenen gefährlicher werden, wenn<br />
sie eine imaginäre Grenze zum Campus eines Colleges überqueren.<br />
Kriminelle tragen ihre Schusswaffen schon in waffenfreien Zonen –<br />
weil sie Kriminelle sind. Ordentlich ausgebildete Studenten haben<br />
ein Recht darauf, sich gegen die zu verteidigen, die ihnen schaden<br />
wollen, und SCC kämpft dafür, dieses Recht wiederherzustellen.<br />
am Abzug<br />
Die amerikanische Studentengruppe SCC glaubt, dass Pistolen<br />
den Unicampus nicht gefährlicher machen. Sondern sicherer.<br />
Ein Gespräch über Amokläufer und Wohnheime für Waffenfreunde.<br />
Vermutlich auch beim Wandern bewaff<strong>net</strong>: Reid Smith,<br />
Medizinstudent in Detroit, kämpft für das Recht,<br />
mit Pistole in Uniseminare gehen zu dürfen.<br />
Im vergangenen Jahr hat der Oberste Gerichtshof von Colorado<br />
Ihnen Recht gegeben – nach vier Jahren juristischer Auseinandersetzung<br />
haben Sie die University of Colorado so gezwungen,<br />
Schusswaffen auf dem Campus zuzulassen.<br />
Das war ein bahnbrechender Sieg für uns. In vielen Staaten ist das Tragen<br />
von Waffen auf dem Campus für CPL-Inhaber gar nicht verboten.<br />
Aber Colleges nehmen es sich heraus, alle Schusswaffen zu verbieten<br />
– obwohl die gesetzliche Regelung in den Bundesstaaten üblicherweise<br />
so ist, dass niemand anders als die Regierung Schusswaffengesetze<br />
erlassen darf. Diese Regelung haben wir genutzt, um das Verbot von<br />
Schusswaffen auf dem Campus der University of Colorado zu kippen.<br />
Nach dem Urteil hat die University of<br />
Colorado separate Wohnheime für<br />
Waffenträger eingerichtet – für die<br />
sich bislang noch kein einziger der<br />
30.000 Studenten beworben hat. Anscheinend<br />
will außer den Mitgliedern<br />
von SCC niemand eine Waffe mit zur<br />
Uni bringen.<br />
Inhaber einer CP-Lizenz müssen in Colorado<br />
wie in den meisten Staaten mindestens<br />
21 Jahre alt sein. Die große,<br />
große Mehrheit der Colleges in Amerika<br />
macht das Leben in Wohnheimen<br />
nur für Studenten im ersten Studienjahr<br />
zur Bedingung, und die sind normalerweise<br />
18 oder 19 Jahre alt. Die Masse<br />
der Studenten, die 19 oder älter sind,<br />
lebt außerhalb des Unigeländes. Deshalb ist es kein Schock für uns,<br />
dass es keine Bewerber für die Unterbringung gegeben hat.<br />
John Davis, einer der Kläger in dem Fall, wollte seine Ruger-P90-<br />
Pistole auf dem Campus als Schutz tragen, weil er die Uni oft<br />
nachts allein verlässt. Fühlen Sie sich ohne Waffe auch so<br />
schutzlos?<br />
Wenn ich meine private Schusswaffe bei mir tragen dürfte, würde ich<br />
das hauptsächlich wegen meines Weges zum Campus und zurück<br />
machen. Ich muss jeden Tag zu Fuß durch die Innenstadt von Detroit<br />
zur Fakultät oder zum Krankenhaus gehen – oft sehr spät und ohne<br />
eine effektive Möglichkeit zur Selbstverteidigung, weil mir das geltende<br />
Gesetz in Michigan verbietet, meine Waffe in einem Unterrichtsraum<br />
oder im Krankenhaus zu tragen. In der Nähe meiner Wohnung<br />
hat es schon viele Überfälle gegeben. Ein Kommilitone, der im<br />
selben Haus wohnt wie ich, ist vor Kurzem in der Nähe überfallen<br />
worden. Ich habe Angst, dass ich als Nächster dran bin.<br />
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17
Ausgehen IN<br />
Hamburg<br />
drei Produkte,<br />
die wir lieben<br />
Kummerkasten<br />
MaTTHIAS L. VIA MAIL<br />
Auf Stress reagiere ich in letzter Zeit häufig mit Aggression. Meine Kommilitonen bezeichnen<br />
mich schon als Choleriker. Wie lerne ich, meine Aggressionen zu kontrollieren?<br />
Die direkt am Hamburger Uni-Campus gelegene<br />
Pony Bar gehört zu denjenigen Orten, die<br />
man nie wieder verlassen möchte. Weil es dort<br />
aussieht wie in Omas Wohnzimmer, und weil<br />
das selbst ernannte „kleinste Kulturzentrum<br />
Hamburgs“ seiner Umschreibung durchaus<br />
gerecht wird. Von einer studentischen Kulturinitiative<br />
betrieben, steht die Nachwuchsförderung<br />
im Vordergrund. Immer montags gehört<br />
die Bühne neuen Sängern, freitags präsentieren<br />
sich bei der Open-Mic-Session Nachwuchs-Comedians,<br />
und im Hinterzimmer sind<br />
wechselnde Ausstellungen junger Künstler zu<br />
sehen. Der Eintritt ist frei. Wer es hingegen<br />
typisch hamburgisch will, geht am besten auf<br />
ein Matjesbrötchen und ein Astra in den<br />
Schellfischposten. Hamburgs älteste Seemannskneipe,<br />
heute Drehort von Ina Müllers<br />
Musik- und Talksendung „Inas Nacht“, war<br />
einst Haltestelle der vom Fischmarkt nach<br />
Altona führenden Hafenbahn. Und dann? In<br />
den Mojo Club, von dem wir hier jetzt mal<br />
behaupten: der beste Club der Stadt. In den<br />
90er-Jahren war er die erste Adresse für<br />
Dancefloor-Jazz, jetzt wurde er wiedereröff<strong>net</strong>.<br />
Schon das Betreten ist ein Erlebnis: Durch<br />
zwei in den Straßenboden eingelassene Klappen<br />
geht es in den unterirdischen, minimalistischen<br />
Neubau, wo wie einst zu Dancefloor-<br />
Jazz getanzt wird. Klingt retro, ist es auch. Die<br />
Musikanlage macht allerdings den besten<br />
Sound von St. Pauli.<br />
Pony Bar<br />
Allende-Platz 1, 20146 Hamburg<br />
www.ponybar.com<br />
Zum Schellfischposten<br />
Carsten-Rehder-Straße 62, 22767 Hamburg<br />
www.schellfischposten.de<br />
Mojo Club<br />
Reeperbahn 1, 20359 Hamburg<br />
www.mojo.de<br />
von nadine lischick<br />
Der Instagram-Diaprojektor<br />
Sie wollen Ihren Freunden die Fotos aus<br />
dem letzten Urlaub zeigen, haben die Bilder<br />
aber nur auf dem iPhone? Macht nix, denn<br />
der Brite Benjamin Redford hat nun den<br />
Diaprojektor für Smartphones erfunden.<br />
Der „Projecteo“ ist gerade mal so groß wie<br />
eine Streichholzschachtel. Per App können<br />
Nutzer bis zu neun selbst geknipste Bilder<br />
auf ein 35-mm-Filmrädchen übertragen lassen,<br />
die der batterie betriebene Projektor<br />
mithilfe von LEDs an die Wand wirft. Preis:<br />
30 Dollar (ca. 24 Euro) inklusive des ersten<br />
Filmrädchens, das man per Post geschickt<br />
bekommt. Der Projektor ist laut Hersteller<br />
ab April erhältlich. getprojecteo.com<br />
Pony Bar neben der Uni.<br />
Hirschkopf für Veganer<br />
Dass manche Leute sich echte Hirschköpfe an die<br />
Wand hängen, fanden wir schon immer seltsam.<br />
Dieser hier ist, wie man sieht: aus Pappe. Niemand<br />
musste dafür seinen Kopf abgeben, alles bestens.<br />
Die Einzelteile steckt man als 3-D-Puzzle selbst<br />
zusammen. Für Großwildjäger gibt es übrigens<br />
auch Elefanten- und Nashorntrophäen. 85 Euro.<br />
urbanoutfitters.de/decorative-accessories/wallart/icat/wallart<br />
Auf Weltrekordkurs<br />
Bei den Olympischen Spielen in London sah man ihn<br />
überall, den Marathon- und Joggingschuh Nike Flyknit.<br />
Dies ist der Nike Flyknit Lunar1+. Die Produktbeschreibung<br />
liest sich wie das Handbuch einer<br />
Mondlandefähre. Wir machen es kurz: Er sieht super<br />
aus und ist superbequem. 159,95 Euro. nike.de<br />
fotos: Getty Images, PR (4); Illustration: Matthias Seifarth<br />
Dazu ist es zunächst einmal wichtig, herauszufinden, auf<br />
welchen Ursachen die Aggressionen beruhen. Generell sind<br />
Aggressionen etwas sehr Vernünftiges, Gesundes. Sie sind<br />
unsere Art, mit Bedrohungen und Gefahr umzugehen. Wenn<br />
wir ein Pfau wären, würden wir unsere Federn aufstellen. Katzen<br />
stellen ihre Haare auf. Ist die Bedrohung allerdings selbst<br />
gemacht, dann ist sie für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar<br />
und wird negativ bewertet. Wenn ich zum Beispiel<br />
den Anspruch an mich selbst habe, meine Hausarbeiten fertig<br />
zu bekommen, aber gleichzeitig jeden Tag eine Stunde vegan<br />
kochen will und noch zwei andere Projekte laufen habe, führt<br />
Diplom-Psychologe<br />
Jens Hendrik Maier<br />
das Scheitern an diesen Ansprüchen oft zu Frustration. Und<br />
wenn ich dafür keinen Ausgleich finde, kann es passieren, dass<br />
sich diese Anspannung impulsiv auf meine Umwelt entlädt.<br />
Die Trennung zwischen den eigenen Gefühlen und dem Handeln<br />
kann man lernen, aber es dauert oft eine Weile. Für seine<br />
Gefühle Worte zu finden und sich anderen zu öffnen, führt oft<br />
schon zu einer emotionalen Entlastung. Auch Meditation kann<br />
helfen – und Sport. Ein paarmal in den Sandsack hauen. Oder<br />
einfach mal in eine Zitrone beißen. Wenn die Aggressionen allerdings<br />
zu gewalttätigem oder destruktivem Verhalten führen,<br />
sollte man sich Hilfe holen.<br />
„Von den fünf wichtigsten Dingen<br />
im Leben kommt Gesundheit an erster<br />
Stelle, Bildung und Wissen an zweiter<br />
und Wohlstand an dritter. Die<br />
anderen zwei habe ich vergessen.“<br />
Chuck Berry, 86, Musiker<br />
Alles verstanden?<br />
Vom Studenten zum Millionär – so heißen die schönen Legenden, die das digitale<br />
Zeitalter möglich macht. Und drei Yale-Absolventen haben es mal wieder und dabei<br />
scheinbar mühelos geschafft. „Rap Genius“ heißt die Crowdsourcing-Website, die<br />
Mahbod Moghadam, Ilan Zechory und Tom Lehman entwickelt haben. Hier kann<br />
nach Art von Wikipedia jeder Rap-Fan und mittlerweile auch Rapper höchstselbst<br />
Texte und bestimmte Slang-Ausdrücke erklären und versteckte Botschaften oder Metaphern<br />
im Text interpretieren. Inzwischen wurden mehr als eine halbe Million Zeilen<br />
in einem Dutzend Sprachen erläutert. Das Prinzip sei ein Wegweiser für die Zukunft<br />
des Inter<strong>net</strong>s, findet der Inter<strong>net</strong>investor Marc Andreessen, der mit seiner Investmentfirma<br />
Andreessen Horowitz 15 Millionen Dollar in das Start-up gesteckt hat. Denn<br />
genauso gut ließen sich neben Rap auch Texte jeder Art von Literatur interpretieren –<br />
vom Gesetz bis zur Bibel gäbe es schier unendliche Möglichkeiten. rapgenius.com<br />
oder www.rapgeniusdeutschland.com<br />
HOCHSCHUL<br />
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18<br />
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19
A i l e e n T i e d e m a n n<br />
Das sind meine Sachen<br />
Wer studiert, erweitert seinen Horizont. Zum Leben hat der Großteil<br />
der deutschen Studierenden jedoch nur wenige Quadratmeter Platz.<br />
Die meisten von ihnen wohnen in einem WG-Zimmer und müssen<br />
sich auf das beschränken, was ihnen wirklich wichtig ist.<br />
Was das ist, erzählen sie hier.<br />
Die eigene Masche<br />
Diese Jacke? Hat sich Johanna<br />
selbst gestrickt.<br />
fotos: Silke Weinsheimer<br />
Schuhe in allen Variationen<br />
Johanna besitzt insgesamt 50 Paar, auf dem<br />
Foto sieht man ihre Lieblingsmodelle.<br />
zu bunt? Gibt’s nicht<br />
Die Nagellack-Sammlung<br />
von Johanna.<br />
Johanna Mozdzen (21)<br />
aus Bad Bevensen studiert im vierten<br />
Semester Gebärdensprachdolmetschen<br />
in Hamburg und wohnt auf 21 Quadratmetern<br />
in einer 3er-WG.<br />
„Ich mag es gern bunt. Ich kleide mich<br />
farbenfroh, lackiere mir die Fingernägel<br />
und trage auffällige Ohrringe – das gibt<br />
mir das Gefühl, lebendig zu sein. Ich besitze<br />
zwar 50 Paar Schuhe, verfalle aber<br />
sonst nur selten in einen Shoppingrausch.<br />
Lieber beschränke ich mich auf ein Kleidungsstück,<br />
das nachhaltig und fair produziert<br />
ist und eine gute Qualität hat. Dafür<br />
gebe ich gern mehr Geld aus – genauso<br />
wie für teure Wolle, aus der ich mir selbst<br />
Mützen und Pullover stricke. Luxus bedeutet<br />
für mich, mir Lebensmittel aus dem<br />
Biomarkt zu kaufen oder mit meinem<br />
grünen Rucksack auf Reisen zu gehen.<br />
Demnächst fahre ich nach Istanbul zum<br />
Couchsurfing – nicht nur, weil das günstiger<br />
ist als ein Hotel, sondern weil ich die<br />
Menschen und die Kultur des Landes<br />
besser kennenlernen will. Ich bekomme<br />
Bafög und arbeite nebenbei als Kassiererin<br />
im Kiosk des HSV-Stadions und als Hostess<br />
auf Messen. Von dem Geld gönne ich<br />
mir einmal im Monat einen Besuch in einem<br />
guten vegetarischen Restaurant zusammen<br />
mit meinen Mitbewohnerinnen,<br />
und beim Feiern gebe ich meist nicht mehr<br />
als zehn Euro Eintritt aus. Mein Ziel ist es<br />
nicht, reich zu werden, sondern sorgenfrei<br />
leben zu können und einen Beruf auszuüben,<br />
der mich ausfüllt. Ich hoffe auf das<br />
Glück der Ausgeglichenheit.“<br />
50 Bücher, 120 Schallplatten, ein Bett, ein Schreibtisch<br />
und ein paar Lieblingsklamotten – viel mehr braucht<br />
Alejandro Dalenz aus Berlin nicht zum Leben. „Mir<br />
reicht das Nötigste“, sagt der 25-jährige Student der<br />
Agrarwissenschaften, der auf 19 Quadratmetern in einer<br />
2er-WG lebt. Ein Lebensstil, der sich gut mit dem<br />
vereinbaren lässt, was Studierenden durchschnittlich<br />
im Monat an Geld zur Verfügung steht. 812 Euro sind<br />
das laut der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen<br />
Studentenwerkes. Die Hälfte davon geht allein für<br />
Miete und Lebensmittel drauf, der Rest für Lehrmaterial,<br />
Gesundheitsversicherung und Transportmittel. Für<br />
Inter<strong>net</strong> und Handy bleiben im Schnitt 35 Euro und<br />
zum Shoppen 50 Euro pro Monat übrig. Wer nebenbei<br />
noch feiern, reisen und seine Schuh- oder Schallplattensammlung<br />
erweitern will, muss kreativ sein und an<br />
anderer Stelle sparen; sich wie Franka Ismer und Elisa<br />
Voigt aus Berlin zu zweit ein WG-Zimmer teilen, Möbel<br />
auf dem Flohmarkt kaufen oder abends lieber mit<br />
seinen Freunden Bier vom Spätkauf trinken statt<br />
Drinks im Club. Ein Auto besitzt keiner der Studierenden<br />
in dieser Geschichte, was den neuesten Zahlen entspricht,<br />
nach denen es von Jahr zu Jahr immer weniger<br />
Hochschüler mit eigenem Pkw gibt. 1991 hatte noch<br />
die Hälfte von ihnen ein Auto, 2009 sind es nur noch 34<br />
Prozent. Dafür steigen die Ausgaben für die Miete von<br />
Jahr zu Jahr. Am teuersten studiert es sich derzeit mit<br />
durchschnittlich 348 Euro Miete pro Monat in München,<br />
dicht gefolgt von Hamburg (345 Euro) und Köln<br />
(333 Euro). Bei solchen Preisen ist es kein Wunder,<br />
dass rund ein Viertel aller Studierenden bei den Eltern<br />
wohnen bleibt und sich nur 17 Prozent eine eigene<br />
Bleibe leisten können. Die Hälfte aller Hochschüler<br />
teilt sich die Wohnung entweder mit Freunden oder mit<br />
dem Partner, und zwölf Prozent leben im Wohnheim.<br />
Doch auch wer sich außerhalb von „Hotel Mama“ sein<br />
eigenes Reich geschaffen hat, ist meist noch längst<br />
nicht unabhängig von seinen Eltern. Fast 90 Prozent<br />
aller Hochschulbesucher werden von ihren Eltern mit<br />
durchschnittlich 445 Euro monatlich unterstützt, womit<br />
Mama und Papa nach wie vor die wichtigste Finanzierungsquelle<br />
der Hochschüler sind. Ob das Studium<br />
ein täglicher Kampf aus Jobben und Lernen ist oder<br />
eine angenehme Symbiose aus Uni und Freizeit, hängt<br />
in Deutschland stark von der sozialen Herkunft eines<br />
Studierenden ab. Je wohlhabender die Familie ist, desto<br />
höher fällt auch der Zuschuss aus, mit dem die Eltern<br />
ihren Kindern das Studium erleichtern. „22 Prozent der<br />
Studierenden haben mehr als 1.000 Euro im Monat zur<br />
Verfügung, ein Viertel weniger als 600 Euro. Das ist<br />
eine sehr deutliche Spreizung“, so Stefan Grob, Sprecher<br />
des Deutschen Studentenwerkes.<br />
Johanna Mozdzen aus Hamburg weiß ihr Glück<br />
zu schätzen: Ihre Eltern greifen ihr beim Studium finanziell<br />
unter die Arme. „Ich fühle mich privilegiert, das<br />
tun zu können, was ich will“, sagt die angehende Gebärdensprachdolmetscherin.<br />
„Luxus ist für mich nicht materieller<br />
Art, sondern in einer tollen WG zu leben, in der<br />
sich alle gut verstehen, und eine Familie zu haben, die<br />
mir immer den Rücken stärkt.“ Und so spricht sie auch<br />
für die anderen Studierenden aus dieser Geschichte, denen<br />
es allen nicht darum geht, sich mit Statussymbolen<br />
zu umgeben, sondern mit Dingen, die einen persönlichen<br />
Wert für sie haben. Mit Erinnerungsstücken an besondere<br />
Momente, Geschenken und Fotos von Freunden<br />
oder noch besser: den besten Freunden selbst. Franka<br />
Ismer hat für ihre Mitbewohnerin Elisa gern ihren<br />
Kleiderschrank auf den Flur gestellt, damit die beiden in<br />
einem Zimmer wohnen können. Viel besitzen die beiden<br />
Berliner Studentinnen nicht, aber dafür lässt ihr Leben<br />
viel Raum für Freiheiten. Ein Auslandsemester?<br />
Eine spontane Reise in den Semesterferien? Das ist alles<br />
kein Problem, wenn die Besitztümer in wenige Umzugskartons<br />
passen. Ihr Leben ist in Bewegung und<br />
kann keinen unnötigen Ballast gebrauchen. Genauso<br />
wie das von Alejandro: „In einem vollgestellten Zimmer<br />
würde ich mich eingeengt fühlen“, sagt der Wahlberliner.<br />
„Ich bin jung und will flexibel sein.“<br />
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21
Das Lama-Poster erinnert<br />
ihn an seine Wurzeln<br />
und seine zweite Heimat: Bolivien.<br />
Musik statt möbel<br />
Alejandro füllt sein WG-Zimmer lieber<br />
mit Hip-Hop als mit teuren Möbeln.<br />
Zum Beispiel mit Songs von den<br />
Beginnern aus seiner Heimatstadt Hamburg.<br />
Alejandro Dalenz (25)<br />
aus Hamburg studiert im dritten<br />
Semester Agrarwissenschaften<br />
an der Humboldt-Universität<br />
in Berlin. Er lebt auf 19 Quadratmetern<br />
in einer 2er-WG.<br />
Auf seinem Synthesizer<br />
experimentiert der ehemalige Orchestermusiker<br />
mit elektronischer Musik.<br />
„Bei einem Brand in meiner Wohnung<br />
würde ich als Erstes mein<br />
Cello retten. Die Nachbarin meiner<br />
Eltern hat es mir geschenkt,<br />
als ich noch in einem Orchester<br />
gespielt habe. Es hat ihrem Mann<br />
gehört, der schon im Zweiten<br />
Weltkrieg darauf gespielt hat.<br />
Ansonsten mache ich mir nicht<br />
viel aus wertvollen Besitztümern.<br />
Mein Regal habe ich mir aus einer<br />
Malerleiter für zwei Euro vom<br />
Flohmarkt gebaut, und in meinem<br />
Schrank liegen nur drei Paar<br />
Jeans, zehn Pullover und nicht<br />
mehr als 20 T-Shirts. Wichtig sind<br />
mir vernünftige Lautsprecherboxen,<br />
damit ich meine Musik schön<br />
laut aufdrehen kann. Ich besitze<br />
120 Schallplatten, darunter viel<br />
Hip-Hop, Noise-Rock, Funk, Soul<br />
und Electro. Wenn ich etwas lese,<br />
dann hauptsächlich Sachbücher,<br />
weil mir Romane zu realitätsfern<br />
sind. Ich habe ungefähr 50 Bücher<br />
über Umweltthemen, über die<br />
RAF und über die Globalisierung.<br />
Mein Smartphone habe ich schon<br />
seit vier Jahren; es funktioniert<br />
kaum noch. Wenn mein Vertrag<br />
ausläuft, dann kaufe ich mir wieder<br />
ein normales Handy, weil ich<br />
unterwegs gut auf Facebook und<br />
E-Mails verzichten kann. Insgesamt<br />
komme ich gut mit meinem<br />
Geld aus – und bin meinen Eltern<br />
dankbar, dass sie mein Studium<br />
finanzieren.“<br />
Zwei Paar Turnschuhe<br />
zum Wechseln, eines hat er an,<br />
das muss reichen.
Elisa Voigt (27)<br />
Franka Ismer (27)<br />
aus Bad Düben bei Leipzig studiert<br />
im dritten Semester Psychologie an<br />
der International Psychoanalytic<br />
University in Berlin und teilt sich<br />
mit Franka Ismer ein 18 Quadratmeter<br />
großes Zimmer in einer 6er-WG.<br />
aus Cottbus studiert im dritten<br />
Semester Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation<br />
in Berlin.<br />
Sie teilt sich mit Elisa Voigt ein<br />
18 Quadratmeter großes Zimmer<br />
in einer 6er-WG.<br />
„Ich bin kein Zimmermensch.<br />
Ich brauche immer viele Leute um<br />
mich, bin meistens in der Küche<br />
und kann mich sowieso fast überall<br />
wohlfühlen. Franka und ich<br />
verbringen eh unsere gesamte<br />
Zeit miteinander, sodass es für<br />
uns absolut sinnvoll ist, in einem<br />
Zimmer zu schlafen. So sparen<br />
wir Miete, und ich habe genug<br />
Geld übrig, um spontan zu verreisen,<br />
im Biomarkt zu shoppen oder<br />
mir immer wieder neue blaue und<br />
graue Stoffschuhe zu kaufen, von<br />
denen ich unverhältnismäßig<br />
viele besitze. Mein Geld verdiene<br />
ich als studentische Hilfskraft an<br />
der School of Design Thinking an<br />
der Uni Potsdam. Ich besitze ein<br />
MacBook und ein Smartphone,<br />
aber den größten Wert haben für<br />
mich Dinge, zu denen ich einen<br />
persönlichen Bezug habe. Zum<br />
Beispiel mein gelber Nachttisch,<br />
den mir eine Freundin gebaut<br />
und zum Geburtstag geschenkt<br />
hat – oder der Schal, den mir<br />
Franka mit ihrer Nähmaschine<br />
genäht hat.“<br />
Wer sich ein Zimmer teilt, muss sich auf<br />
das Nötigste beschränken – für Elisas Stoffschuhsammlung<br />
ist trotzdem noch genug Platz.<br />
Fotos von Freunden<br />
zieren die Wände.<br />
„Materieller Besitz hat keine große<br />
Bedeutung für mich. Viel wichtiger<br />
ist mir, immer jemanden<br />
zum Quatschen in der Nähe zu<br />
haben. Ich teile mir gern ein Zimmer<br />
mit Elisa, auch wenn ich mich<br />
deshalb auf das Nötigste beschränken<br />
muss. Unsere Betten<br />
dominieren das Zimmer und sind<br />
eine Art Kommunikationsplattform<br />
in der WG. Mehr passt kaum<br />
rein in unser gemeinsames Reich,<br />
außer ein paar Pflanzen, meinen<br />
200 Büchern, einer Nähmaschine<br />
und einem Kleiderschrank. Alles,<br />
was wir besitzen, hat in irgendeiner<br />
Form einen emotionalen Wert.<br />
An der Wand hängt eine Girlande<br />
mit Fotos von Freunden, und unsere<br />
Möbel sind Fundstücke vom<br />
Flohmarkt oder Geschenke von<br />
Freunden. Pro Monat zahlen wir<br />
zusammen nur 315 Euro Miete –<br />
das hat den entscheidenden Vorteil,<br />
dass wir keine Jobs annehmen<br />
müssen, die uns nicht gefallen.<br />
Obwohl ich mich gut einschränken<br />
kann, bin ich bei einer<br />
Sache maßlos: Ich besitze 50 Kleider<br />
und kaufe ständig neue dazu.“<br />
Mit ihrer Nähmaschine<br />
näht sich Franka Laptoptaschen<br />
und Leggins.
G a b r i e l e H e r p e l l<br />
Anleitung zum<br />
Glücklichsein<br />
Verlockend, nicht wahr? Was wäre, wenn es wirklich jemanden<br />
gäbe, der weiß, wie das geht? Offen, positiv, zufrieden und mit<br />
sich im Reinen sein. Ein Besuch bei einem Mann, der kein<br />
Guru sein will, sondern Lehrer-Ausbilder. Und der<br />
dabei ist, einem ganzen Dorf beizubringen, wie man<br />
ein freudvolles Leben führt.<br />
illustration:<br />
Marie Emmermann /<br />
Skizzomat<br />
➽ Der Philosophenweg in Heidelberg wurde berühmt, weil verliebte Studierende<br />
ihn gern entlang spazierten und mit Blick auf den Neckar flirteten. Steil schwingt<br />
er sich bergauf, auf der linken Seite die Fakultät für Physik der Heidelberger Universität,<br />
rechts die Nummer sechs: In dem dunkelroten Haus lebt und arbeitet<br />
Ernst Fritz-Schubert. Der Mann, 63 Jahre alt, klein, sportlich, graublonder<br />
Schnauzbart, Polohemd, ehemaliger Lehrer und Schuldirektor, ein Energiebündel.<br />
Heute sieht er etwas zerknittert aus, hat noch einen leichten Jetlag, ist erst am<br />
Vorabend von einer Bildungskonferenz in Südkorea zurückgekehrt. Solche Einladungen<br />
erhält er jetzt häufig, weil er vor fünf Jahren ein Schulfach erfunden hat,<br />
wie es bis dahin keines gab: Glück. Mittlerweile wird Glück an über hundert<br />
Schulen im deutschsprachigen Raum unterrichtet. Ernst Fritz-Schubert hat nach<br />
25 Jahren als Lehrer den Schuldienst verlassen – „es war toll, aber plötzlich gab es<br />
neue Perspektiven“ – und ein Institut zur Persönlichkeitsentwicklung gegründet.<br />
Dort therapiert er Jugendliche mit Schulproblemen. Bildet Lehrer aus, die<br />
Glück in ihren Fächerkanon aufnehmen möchten. Und, dieses Jahr erstmalig,<br />
Grundschullehrer und Erzieher. Ganz schön stressig, seufzt Ernst Fritz-Schubert.<br />
Und strahlt. Er liebt sein Leben. Glück ist, sagt er, abhängig von der Einstellung<br />
und der Haltung jedes Einzelnen. So verspüren die meisten Leute in der<br />
Woche weniger Lebensfreude als am Wochenende. Obwohl sie am Wochenende<br />
oft langweiligere Dinge tun als unter der Woche, wenn sie arbeiten. Aber sie empfinden<br />
Arbeit, egal was sie beinhaltet, als Pflicht. Das schmälert ihr Vergnügen.<br />
Müsste es aber nicht. Die ersten Schüler, die am Unterrichtsfach Glück in Heidelberg<br />
teilnahmen, fühlten sich später, das ergab eine Auswertung, wohler in der<br />
Gruppe, betrachteten Schule positiver und empfanden mehr Lebenssinn.<br />
Kann man Glück lernen?<br />
Ernst Fritz-Schubert: Ja. Ich lerne, dass ich mein Leben selbst gestalten kann, in<br />
meinem Rahmen natürlich. Ich kann etwas tun, damit ich mich heute ein bisschen<br />
besser fühle als gestern. Ich kann gerechter werden, mal die Klappe nicht so aufreißen.<br />
Gewissenhaft sein, nicht so nachlässig. Lächeln. Es gibt keine absoluten Ziele,<br />
nur individuelle.<br />
Was genau machen Sie im Schulfach Glück?<br />
Die Schüler sagen: „Das, was wir in Ethik erklärt bekommen, üben wir in Glück.“<br />
Und was sagen Sie?<br />
Der Unterricht hilft, lebensfähig zu werden. Er versucht, auf eine Reihe von Fragen<br />
einzugehen: Wie muss ich mich entwickeln, als unvollkommenes menschliches<br />
Wesen? Was sind meine Haltungen, meine Einstellungen? Was sind die<br />
Faktoren für ein gelingendes Leben? Kann ich da etwas beeinflussen?<br />
Glück liegt manchmal allerdings außerhalb der eigenen Macht.<br />
Natürlich. Mir kommt es gerade darauf an, die weniger glücklichen Augenblicke in<br />
diesen Glücksbegriff zu integrieren. Wie in einem Meer: Es gibt Wellen, und es gibt<br />
Wellentäler. Beides zusammen macht unsere Lebensfreude aus. Mit beidem umzugehen,<br />
muss ich lernen.<br />
Ist Glück denn das richtige Wort? Ist der Charakter von Glück nicht gerade,<br />
dass es flüchtig und nicht festzuhalten ist?<br />
Es gibt das subjektive Glück, das sich auf den Moment bezieht, und es gibt das habituelle.<br />
Da geht es um den Weg. Um das Erblühen. Der Glücksmoment ist das eine,<br />
die Fülle des Lebens das andere. Vielleicht ist Lebenskunst auch ein guter Begriff.<br />
➻ Das wird jetzt etwas philosophisch. Fritz-Schubert springt auf, läuft zu seinem<br />
Schreibtisch, winkt, klickt einen Film am Computer an. Fünf oder sechs Schüler<br />
stehen auf einer Holzplatte, die auf einer Kugel liegt. Die anderen sitzen im Kreis<br />
drum herum. Es ist eine 9. Klasse, neu zusammengestellt, die Jugendlichen kommen<br />
von der Hauptschule und möchten einen mittleren Bildungsabschluss machen.<br />
Sie haben einmal in der Woche Glück, Doppelstunde. Der Lehrer ist Ernst<br />
Fritz-Schubert, der Film wurde an seiner ehemaligen Schule während seines Unterrichts<br />
gedreht. Die Schüler müssen sich so auf der Platte formieren, dass sie im<br />
Gleichgewicht bleibt und nicht kippt. Sie halten sich aneinander fest, reißen sich<br />
wieder los, albern herum, reden durcheinander, machen Späßchen. Gleichzeitig<br />
stellen sie fest, dass man die Schweren in die Mitte stellen muss und die Leichten<br />
nach außen, dann kann man sich besser bewegen. Sie sollen Rollen spielen, Familienmitglieder:<br />
Mann und Frau, Kind, Großmutter. Noch mehr Späßchen: „Oh, hat<br />
der Vater ’ne Neue?“ – „Wer soll denn die Neue sein?“ Gekicher, Gerangel. Fritz-<br />
Schubert fragt: „Wie ist denn jetzt das Gleichgewicht? Wie ist das, wenn dauernd<br />
Leute dazukommen? Oder weggehen?“ Ein Schüler, der nicht auf der Platte steht,<br />
denkt angestrengt nach, es arbeitet in ihm. Dann entschließt er sich, zu reden. „Wenn<br />
der Sohn auszieht, ist die Familie aus dem Gleichgewicht, weil die Mutter es vielleicht<br />
nicht will. Es gibt Streit. Aber irgendwann lässt sie ihn in eine eigene Wohnung<br />
ziehen und gewöhnt sich daran, das Leben ohne ihren Sohn zu führen.“ Fritz-<br />
Schubert, in seinem Arbeitszimmer, strahlt. „Mutig, oder?“, sagt er. „Der hatte große<br />
Probleme in seiner Familie.“<br />
Im Film strahlt Fritz-Schubert auch. Und fragt: „Was ist nötig, wenn der Sohn<br />
auszieht?“ – „Sie muss sich bewegen“, sagt der Junge und zeigt auf die Mutter. Das<br />
Mädchen, das die Mutter spielt, rückt weiter in die Mitte. Die Platte, die schief gestanden<br />
hat, ist wieder gerade. Dann fragt Fritz-Schubert, im Film, ob das Spaß gemacht<br />
hat. Die Schüler nicken. „Warum“, fragt er weiter. Einer sagt: „Weil es in der<br />
Gruppe war. Weil wir uns gegenseitig geholfen haben. Das kann man auch im Alltag<br />
benutzen: Man kann der Mutter helfen, wenn der Vater sie verlässt.“<br />
Ernst Fritz-Schubert: Sehen Sie? Die Schüler erleben etwas. Und sie fühlen etwas.<br />
Dann erst kommt die Frage, ob sie etwas daraus lernen können, für ihren Alltag.<br />
Was hat Sie auf die Idee für dieses Fach gebracht?<br />
Meine Lieblingsbeschäftigung war immer genau das, was vielen Lehrern gar keinen<br />
Spaß macht: zu ergründen, warum einzelne Schüler Mist bauen. Sich verweigern.<br />
Ständig fehlen. Es gibt ja einen Grund fürs Unglücklichsein. Ich wollte den<br />
Schülern helfen, aus den Schwierigkeiten herauszufinden. Und habe oft gehört:<br />
„Sie waren der Einzige, der mir je etwas zugetraut hat.“ Stellen Sie sich vor, wie<br />
groß da die Sehnsucht ist.<br />
Macht Schule prinzipiell unglücklich?<br />
Das Prinzip von Schule ist, belehren zu wollen. Mit einer ganz geringen Nachhaltigkeit<br />
übrigens. Wir sind alle dazu ausgebildet worden, als Fehlerfahnder zu<br />
arbeiten. Wir sollten eigentlich Schatzsucher sein. Das Fahnden nach Fehlern ist<br />
keine böse Absicht, das hängt mit unserer Wissenschaftsgläubigkeit zusammen.<br />
Fehler ausschließen zu wollen, ist ja auch richtig. Aber wenn wir das Fehlerausschlussprinzip<br />
zu sehr perfektionieren, suchen wir nur noch Fehler. Daraus<br />
resultiert der von Eltern oft gehörte Satz: „Ihr Kind macht keine Probleme.“ Ja,<br />
Gott sei Dank. Aber ist das positiv?<br />
Wie sollte es sein?<br />
Kinder wollen sich bilden und die Welt erobern und einen Platz in ihr finden. Sie<br />
wollen aber fragen und suchen und keinen Platz zugewiesen bekommen. Kurz<br />
gesagt: Lehrer dürfen keine Fächer unterrichten, sondern Menschen.<br />
Hat Schule die Aufgabe, zu erziehen?<br />
Schule hat die Aufgabe, den Beziehungsradius eines Schülers zu erweitern. Ihm<br />
eine Beziehung über Kind–Mutter, Kinder–Vater–Mutter, Kind–Freunde hinaus<br />
anzubieten. Und Schule muss ein Korrektiv sein.<br />
➼ Fritz-Schuberts Handy läutet, Klingelton Kuhglocken. Eine Kollegin ist dran, die<br />
gerade mit ihm zusammen an einem Happiness-Institut für Coca-Cola herumdenkt.<br />
Beim nächsten Anruf geht es um einen 8.000-Seelen-Ort im Schwarzwald, der sich<br />
dem Gemeindeglück unter Fritz-Schuberts Anleitung verschrieben hat. Veränderungen<br />
im Kleinen, die Großes bewirken können. Dass die Kassiererin im Supermarkt die<br />
Ware mal nicht mit unbewegtem Gesicht übers Band zieht, sondern „Guten Tag“ sagt<br />
und lächelt. Freundlichkeit, Achtsamkeit, ein bisschen Wärme – man kann viel erreichen,<br />
sagt Fritz-Schubert, wenn man in Kontakt tritt zu den Menschen. Sich interessiert<br />
für andere. Interesse heißt ja: unter anderen sein. Es geht also hoch her im Leben<br />
des Herrn Fritz-Schubert, seit er das Fach Glück entwickelt hat: Schwarzwald;<br />
Coca-Cola; und Südkorea. Ein Thema der internationalen Bildungskonferenz in<br />
Seoul, zu der er eingeladen war, waren die Probleme des südkoreanischen Bildungssystems:<br />
Mobbing, Suizide, alarmierende Zahlen. Sie sind dort, sagt Fritz-<br />
Schubert, schon eine Stufe weiter als wir: noch mehr Wettbewerb, noch mehr<br />
Leistungsprinzip. Und wenn Aufsteigen erwartet wird, sagt er, muss man sich<br />
dem System unterwerfen. Muss man lavieren, unehrlich sein, unauthentisch. Sich<br />
auffällig verhalten, um Aufmerksamkeit zu bekommen: genügend „Likes“ auf<br />
Facebook. Eine Menge unglückliche, extrem gestresste Schüler also, und das<br />
Glücksfach soll dabei helfen, dass sie als Persönlichkeiten dennoch reifen können.<br />
Und in ihrem Leben wieder einen Sinn sehen.<br />
Fritz-Schubert, studierter Ökonom und Jurist, ist selbst einer, der sich ständig<br />
entwickelt. Ursprünglich waren seine Unterrichtsfächer BWL und VWL. Später<br />
machte er eine Lehrerfortbildung, um auch Ethik lehren zu können. Das Fach kam<br />
seinem Wunsch, den Schülern mehr als Wissen zu vermitteln, schon ziemlich nah.<br />
Dann entdeckte er die systemische Therapie, die nicht in der Vergangenheit wühlt,<br />
sondern in die Zukunft blickt und lösungsorientiert vorgeht. Er ließ sich zum Therapeuten<br />
schulen. Und läuft zum Ausgleich Marathon und fährt Radrennen. Unter Fritz-<br />
Schuberts Anleitung und der anderer Experten lernen Lehrer, das Fach Glück zu unterrichten.<br />
Ein Wochenende im Monat, ein Jahr lang, für 2.400 Euro, dann können sie<br />
das Fach als Wahlfach an der Schule anbieten, an der sie unterrichten. Die meisten<br />
Lehrer, die zu Fritz-Schubert kommen, sind schon eine Weile im Beruf und ratlos,<br />
frustriert, ausgebrannt.<br />
Auf der Website des Fritz-Schubert-Institutes schreibt eine von ihnen, dass ihr<br />
Beruf und ihr Leben wieder einen Sinn bekommen haben, seit sie Glück unterrichtet.<br />
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26<br />
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27
V o n D a n i e l H a a s<br />
Krasse Ticks,<br />
viele Klicks<br />
Jenny Lawson ist der Superstar der amerikanischen Bloggerszene, Millionen lesen<br />
ihr Web-Tagebuch im Netz. Ausgerech<strong>net</strong> so jemand hat massive Angst vor Menschen –<br />
und muss jetzt auch noch auf Lesereise gehen.<br />
Wer glaubt, die eigene Kindheit sei schlimm<br />
gewesen, sollte sich Folgendes fragen: Musste<br />
ich Einkaufstüten als Schuhe tragen? War das<br />
Leitungswasser zu Hause mit Radon vergiftet?<br />
Sagte meine Mutter, als man sie darauf ansprach:<br />
„Kein Problem, die Kids würden das<br />
gar nicht runterkriegen, so giftig ist das!“? Hat<br />
mein Vater Gürteltiere im Wald gefangen, um<br />
mit ihnen professionelle Rennen zu veranstalten?<br />
Waren unsere Haustiere Truthähne? Und<br />
verfolgten sie mich auf dem Weg zur Schule?<br />
Willkommen in der Welt von Jenny<br />
Lawson, 38, der erfolgreichsten Bloggerin<br />
Amerikas. Ihr Leben in Wall, einem texanischen<br />
200-Seelen-Kaff, ist mittlerweile Allgemeingut<br />
der Netzgemeinde, rund drei Millionen<br />
Klicks verzeich<strong>net</strong> ihre Website<br />
thebloggess.com jeden Monat. Die Anekdoten<br />
dieser schrägen Biografie sind so beliebt,<br />
dass auch die Buchverlage Schlange standen.<br />
Letztes Jahr erschien Lawsons Debüt auf Papier.<br />
„Let’s Pretend This Never Hap pened“<br />
schoss aus dem Stand auf Platz zwei der Sachbuchbestseller-Liste<br />
der New York Times,<br />
jetzt erscheint das Buch beim neu gegründeten<br />
Verlag Metrolit in Berlin.<br />
So kann man noch mal die einzelnen Stationen<br />
einer Vita nachvollziehen, die sich Woody<br />
Allen ausgedacht haben könnte – nach dem Konsum sehr vieler Horrorfilme.<br />
Das Aufwachsen mit einem Tierpräparator als Vater („Ich<br />
habe immer allen erzählt, er wäre Waffenhändler, weil das spannender<br />
klang“), die schreckliche Highschool-Zeit („Ich war das einzige Gothic-Mädchen,<br />
es war wie ein Auftritt von Jethro aus ‚Die Beverly Hillbillies<br />
sind los‘ in einem Video von The Cure, nur das genaue Gegenteil“),<br />
die Verlobung mit Victor, mit dem sie bis heute verheiratet ist. „In<br />
der Junior High habe ich viel von Danielle Steele gelesen. Deshalb<br />
fotos: Jenny Lawson / Metrolit Verlag<br />
Lawsons Vater war Tierpräparator, auch<br />
die Tochter sammelt Vierbeiner. Diese<br />
Katze ist noch am Leben.<br />
habe ich mir immer vorgestellt, ich würde am<br />
Tag meiner Verlobung nackt sein, nur von Rosenblüten<br />
bedeckt, und mit dem Bruder des<br />
Mannes schlafen, der mich entführt hat.“ So<br />
klingt Romantik, wenn Lawson sie durchs Säurebad<br />
ihrer Neurosen zieht.<br />
Victor gehört zum festen Personal der hanebüchenen<br />
Storys. Gemeinsam zieht man ein<br />
Töchterchen groß, Hailey, sieben Jahre alt. Sie ist<br />
auch der Grund, warum Lawson mit dem Schreiben<br />
anfing. „Aufgrund der vielen Antidepressiva<br />
leide ich an Gedächtnisschwächen. Ich wollte,<br />
dass meine Tochter später erfährt, warum ich so<br />
geworden bin“, schreibt Lawson, die grundsätzlich<br />
keine persönlichen Interviews gibt, auf eine<br />
Mail des F. A. Z. Hochschulanzeigers.<br />
Es klingt wie ein Witz, ist aber vollkommen<br />
ernst gemeint: Amerikas erfolgreichste<br />
Netzautorin leidet seit ihrer Jugend an Depressionen,<br />
Angstzuständen und Zwangsstörungen.<br />
Und genau diese Pathologie nutzt sie für<br />
ihren rasanten, höchst skurrilen, zutiefst<br />
menschlichen Humor.<br />
Die Leser verehren sie für diese radikale<br />
Offenheit. Psychisch Kranke schreiben ihr<br />
Fanmails zu Tausenden, Selbstmordgefährdete<br />
bedanken sich bei ihr, weil sie sich nicht<br />
mehr allein fühlen. In Lawson haben sie eine<br />
Verbündete, die das eigene Leid mit grimmigem Witz pariert. Dass<br />
die Autorin nun aufgrund des immensen Erfolges Lesereisen absolvieren<br />
muss, ist selbst schon eine zynische Pointe. Wie schafft sie<br />
denn die Auftritte bei all den Ängsten? „Mit einer Masse Tabletten.“<br />
Und wie ist es, wenn man Leuten begeg<strong>net</strong>, die so ziemlich alles<br />
über einen wissen? „Die sind ja meistens genauso schüchtern<br />
wie ich, klammern sich an ihrem Drink fest und hoffen, dass alles<br />
schnell vorbeigeht.“<br />
Das Buch ord<strong>net</strong> Lawsons Krisenberichte zu einer losen Autobiografie,<br />
der mäandernde Stil der Blogeinträge bleibt erhalten. Man<br />
kann den Text deshalb an jeder Stelle aufschlagen und staunen über<br />
das tragikomische Potenzial des dysfunktionalen Alltages. Zum Beispiel<br />
die Post-its, mit denen die Autorin ihren Mann traktiert – ein<br />
Bravourstück über Obsession. Zettel 1: „Lieber Victor, dieses Badehandtuch<br />
war nass und du hast es auf dem Boden liegen lassen. Ich<br />
bin ziemlich sicher, dass sich Tuberkulose auf diesem Weg ausbreitet.<br />
Ich schreibe das alles in meinem Blog für den Fall, dass ich wegen<br />
deiner Nachlässigkeit sterben muss.“ Zettel 2: „Warum kannst du<br />
leere Pizzaschachteln nicht einfach wegwerfen, wenn du die Pizza<br />
gegessen hast? Hast du eine Art Krankheit, von der ich nichts weiß<br />
und die bewirkt, dass du leere Pizzaschachteln nicht siehst?“ Zettel 3:<br />
„Okay, mir fällt gerade ein, ich habe die Schachtel stehen lassen. Ich<br />
lasse den Zettel trotzdem hängen, dann kannst du etwas lernen.<br />
Schlimm, schlimm, Victor.“<br />
Ob sich alle Geschichten wirklich eins zu eins zugetragen haben,<br />
ist fraglich. „A Mostly True Memoir“ – weitgehend wahre Erinnerungen<br />
– ist der Untertitel des englischen Originals (die deutsche<br />
Ausgabe verzichtet auf den Vermerk). Damit sichern sich Verlag<br />
und Autorin gegen mögliche Rechtstreitigkeiten ab. In Amerika<br />
nimmt man es seit dem Buchskandal um James Frey, der sich 2003<br />
eine Drogenkarriere zusammenfantasierte, sehr genau mit den Fakten.<br />
„Vor allem aber würde ich nie etwas schreiben, das ich nicht<br />
auch laut zu meiner Oma sagen würde“, steht in Lawsons Mail.<br />
„Zum Glück ist meine Oma ziemlich cool.“<br />
Tragisch, komisch: Das Buch sei eigentlich<br />
für ihre Tochter Hailey, sagt Jenny<br />
Lawson. Damit das Kind später mal<br />
versteht, was die Mischung aus Kleinstadt<br />
und Depressionen so aus einem macht …<br />
Jenny Lawson. The Bloggess:<br />
„Das ist nicht wahr, oder?“,<br />
Metrolit Verlag, 360 S., 19,99 Euro.<br />
HOCHSCHUL<br />
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28
ARRIERE<br />
Supersatz<br />
„Ich wollte immer<br />
nur Sachen ausprobieren<br />
– nur hat<br />
das Erste sofort<br />
geklappt. Konnte ja<br />
keiner wissen.“<br />
Lena Meyer-Landrut,<br />
21, Sängerin<br />
headhunter-Talk<br />
WIE HABEN SIE DAS GEMACHT?<br />
Dr. Robert Winterhalter ist seit fast zehn Jahren Personalberater im Executive-Search<br />
und kümmert sich bei TRANSEARCH International um den<br />
Handel und die Konsumgüterindustrie.<br />
Der Handel ist mit seinen vielen unterschiedlichen Märkten und Produktportfolios ein sehr komplexes Betätigungsfeld<br />
geworden. In operativen Führungspositionen ist daher großes Fachwissen gefragt, und die Studienfächer<br />
definieren, in welchem Segment man startet. Bevor man sich in seinen Studienschwerpunkten<br />
festlegt, sollte man sich also selbst klarmachen, wohin man möchte: ins Marketing, zu den Human Resources,<br />
zur Supply-Chain oder den direkten vertrieblichen Weg über die Ladengeschäfte suchen?<br />
Anschließend geht es darum, ein Unternehmen mit der passenden Kultur zu finden. Da hilft es oft<br />
schon, sich die Websites anzuschauen, die Schlagworte ernst zu nehmen und sich zu fragen, welche davon<br />
einem selbst wichtig wären. Oder man ruft einfach in der Personalabteilung an und hakt nach. Wer zum<br />
Beispiel gern international arbeiten möchte, muss sich gezielt bei solchen Unternehmen bewerben. Normalerweise<br />
sind die deutschen genossenschaftlichen Handelsketten noch immer eher national verwurzelt,<br />
da sind Auslandssemester und interkulturelle Kompetenzen vordergründig nicht von so großer Bedeutung<br />
wie in anderen Branchen.<br />
Neben den unabdingbaren Soft- und Führungsskills gewinnen Komplexitätsmanagement und übergreifende<br />
Wertschöpfungsbetrachtungen immer mehr an Bedeutung. Auch Programmierer und Datenspezialisten<br />
finden im Handel ein spannendes Betätigungsfeld – denn „Big Data“ und elektronische Datenanalyse<br />
spielen künftig eine sehr wichtige Rolle.<br />
BEWERBUNGSCOACH<br />
Wie bekomme ich<br />
meine Angst in<br />
Bewerbungsgesprächen<br />
in den Griff?<br />
Eigentlich ist Angst unser Freund. Sie schützt uns, warnt uns vor<br />
Gefahr, sichert unser Überleben. Angst macht uns wachsamer und<br />
reaktionsschneller. Sie sorgt dafür, dass wir uns gut vorbereiten und<br />
nicht zu leichtfertig handeln – und meist verfliegt sie in einem Vorstellungsgespräch<br />
nach wenigen Minuten. Bei dieser normalen Angst<br />
hilft es oft, sie kurz anzusprechen. Wer im Gespräch einfach sagt<br />
„Im Moment bin ich sehr aufgeregt“, der zeigt, dass er sich selbst<br />
gut kennt und auch mit kleinen Schwächen natürlich umgeht. Es<br />
gibt aber auch eine andere Art von Angst. Eine, die uns nächtelang<br />
nicht schlafen lässt, bei der das Herz rast und der Magen brennt. Der<br />
Körper reagiert, als sei er in Lebensgefahr, als kämpfe er mit einem<br />
Raubtier – dabei geht es doch nur um einen Job oder ein Praktikum.<br />
Natürlich wird das in Vorstellungsgesprächen zum Problem. Denn<br />
wer die ganze Zeit innerlich mit einem Löwen ringt, vergisst jede<br />
Vorbereitung. Das ist eine Art Über reaktion der Psyche, sozusagen<br />
eine falsche Verknüpfung. In diesem Fall hilft professionelle<br />
Unterstützung. Oft reichen drei Termine aus, das falsche Verhältnis<br />
zwischen Angst und Situation aufzulösen. Das funktioniert tatsächlich<br />
ein bisschen wie am Computer: Während der Sitzungen wird<br />
die falsche Verbindung gelöscht, als würde man ein über flüssiges<br />
Verknüpfungssymbol auf seinem Desktop entfernen. Und der Button<br />
„Raubtier“ ist weg …<br />
Martina Rehberg-Rechtenbach ist Bewerbungscoach mit dem Schwerpunkt<br />
Akademikerberatung. In jeder Ausgabe klärt sie eine der vielen Fragen<br />
auf dem Weg zwischen Annonce und Vorstellungsgespräch.<br />
Meister<br />
statt Master<br />
Man kann sich vorstellen, wie an einem<br />
Schreibtisch in einem Büro in Münster diese<br />
Idee entstanden ist: wie jemand zwei rote<br />
Kringel um die Zahl der Bachelor-Studenten<br />
gemacht hat, die jedes Jahr ihr Studium abbrechen<br />
(jeder dritte), und um die Zahl der<br />
offenen Lehrstellen in deutschen Handwerksbetrieben:<br />
15.000. Aus diesen beiden<br />
Zahlen ist das Projekt „Und morgen Meister“<br />
entstanden, mit dem in Münster Arbeitsagentur<br />
und Handwerkskammer kooperieren,<br />
um Studi en ab brecher aus dem Hörsaal in<br />
Handwerksberufe zu vermitteln. Auch bundesweit<br />
wirbt das Handwerk mit der Initiative<br />
„Karriereprogramm Handwerk“ um Studi en abbrecher<br />
sowie mit dem Versprechen auf eine verkürzte<br />
Ausbildungszeit, dank der man es innerhalb<br />
von nur drei Jahren zum Meister bringen<br />
kann. www.karriereprogramm-handwerk.de<br />
Praktikum in SpielefiRma<br />
Praktikum in Werbeagentur<br />
Designstudium<br />
Selbständiger Gamedesigner<br />
Frankfurt<br />
Darmstadt<br />
Köln<br />
Köln<br />
Krystian Majewski, 30, arbeitet als Computer spielentwickler.<br />
Sein Erfolg verdankt er unter anderem: einem digitalen Autounfall<br />
Spiele entwickeln ist meine Art, mich auszudrücken. Ich habe schon als<br />
Kind viel am Computer gespielt, meine Eltern haben sich damals immer<br />
Sorgen gemacht. Sie meinten, ich sollte lieber mal rausgehen.<br />
Nach dem Abi habe ich zwei Praktika gemacht, eines bei einem kleinen<br />
Computerspielentwickler und eines bei einer Werbeagentur. Das war<br />
eine sehr lehrreiche Zeit. Ich dachte zum Beispiel immer, um etwas mit<br />
Computerspielen machen zu können, müsste man Programmierer werden.<br />
Aber Programmierer sind oft nur die ausführende Hand, die Entscheidungen<br />
treffen andere. Ich kann jedem nur empfehlen, in verschiedene Bereiche<br />
hineinzuschnuppern, um rauszufinden, was man will.<br />
2003 habe ich an der Fachhochschule Köln angefangen, Design zu studieren<br />
– das klang vielseitig. Viele der neueren Gaming-Studiengänge sind nur<br />
auf die Bedürfnisse der Industrie ausgerichtet, das finde ich eher einengend.<br />
protokoll: Franziska Bulban<br />
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH habe ich das Konzept des Cologne<br />
Game Labs mitgestaltet und zum Studienabschluss das Spiel „Trauma“<br />
als Diplomarbeit entwickelt. Darin geht es um eine junge Frau, die von<br />
einem Autounfall traumatisiert wurde und jetzt versucht, ihre Erinnerungen<br />
zu entschlüsseln. Eigentlich wollte ich was ganz Einfaches, Kleines machen,<br />
aber das Projekt ist immer weiter gewachsen. Am Ende hat es fast drei<br />
Jahre gedauert. Aber der Aufwand hat sich gelohnt – letztes Jahr wurde ich<br />
mit dem Deutschen Entwicklerpreis und einem deutschen Computerspielpreis<br />
ausgezeich<strong>net</strong>. Das war eine große Ehre. Jetzt mache ich mich als Entwickler<br />
selbständig. Es ist einfach ein tolles Gefühl, etwas zu entwickeln, es<br />
langsam wachsen zu sehen. Und am Ende hält man sein eigenes Computerspiel<br />
in den Händen, an dem man alles selbst gemacht hat, von der Spielmechanik<br />
bis zum Design der Hülle.<br />
fotos: Plainpicture, privat; Illustration: Matthias Seifarth<br />
Zahnfeen der Zukunft<br />
Der Zahnarzt der Zukunft hält vielleicht statt eines Bohrers einen Laser in der Hand<br />
und lacht nur über das altmodische Bleaching verfärbter Zähne. Wer weiß? Fest<br />
steht: Der Zahnarzt der Zukunft ist in den meisten Fällen – weiblich. Schon heute<br />
dominieren Frauen die Vorlesungen und Seminare an den zahnmedizinischen<br />
Fakultäten. Spätestens mit dem Staatsexamen 2017 wird es in Deutschland mehr<br />
Zahnärztinnen als Zahnärzte geben, das prognostiziert die Studie des Institutes der<br />
Deutschen Zahnärzte. Bis zum Jahr 2030 werden rund 70 Prozent aller Zahnarztpraxen<br />
in den Händen von Frauen liegen. Deutschlandweit werden 43.000 Frauen dann<br />
18.000 Männern gegenüberstehen. „Gender Switch“ heißt das, wenn in einem Berufsstand<br />
die Geschlechtermehrheit wechselt. Ein Grund für die steigende Zahl von<br />
Zahnärztinnen ist, dass mehr Mädchen (36 Prozent) als Jungen (28 Prozent) die<br />
Schule mit dem Abitur abschließen und sie beim Numerus clausus im Durchschnitt<br />
eine ganze Note vor ihren männlichen Mitstreitern liegen. Hinzu kommt, dass der<br />
Job extrem flexibel ist: Zahnärztinnen können in Teilzeit arbeiten, sich eine Stelle<br />
teilen. The choice is hers.<br />
HOCHSCHUL<br />
ANZEIGER<br />
30<br />
HOCHSCHUL<br />
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31
Unsere<br />
neue Serie<br />
über Jobs in<br />
der Provinz.<br />
No. 1<br />
Landpartie<br />
WEIT<br />
draussen<br />
Kein Starbucks, kein Bahnhof, nicht<br />
mal permanenter Handyempfang.<br />
Jens Jurgeleit ist nach dem Studium<br />
für den Job umgezogen. Von der Stadt<br />
in die Provinz. Kann das gut gehen?<br />
„Ihr könnt mich gern besuchen“,<br />
sagt er über eine knisternde Telefonleitung.<br />
Haben wir gemacht.<br />
K a t r i n S c h m i e d e k a m p f<br />
fotos: Christian Burkert<br />
Ferien auf dem Bauernhof?<br />
Nein, das ist für immer: Biologe Jens Jurgeleit<br />
arbeitet in einem Pflanzenlabor im Wendland.<br />
Das neue Leben von Jens Jurgeleit begann morgens<br />
um halb acht mit einer Fahrt übers Land. Es war Anfang<br />
Mai und die Sonne schien, als er seinen schwarzen<br />
Golf an Wiesen voller Maulwurfshügel und grasenden<br />
Kühen vorbeisteuerte. Er fuhr durch Alleen,<br />
durchquerte ein Waldstück und erreichte schließlich<br />
ein gelbes Ortsschild mit der Aufschrift „Solkau, Gemeinde<br />
Schnega“ im Wendland. Ein paar Minuten<br />
später parkte er den Wagen vor einem alten Bauernhaus<br />
– und klingelte bei seinem neuen Arbeitgeber,<br />
dem Institut für Pflanzenkultur.<br />
Jens Jurgeleit hatte einen hervorragenden Abschluss<br />
gemacht: Mit einer Note von 1,1 in Biologie<br />
hätte er überall anfangen können. Gleich nach dem<br />
Ende seines Studiums bekam er ein Job- und Promotionsangebot<br />
vom Helmholtz-Zentrum in Braunschweig.<br />
Doch der 1,90 Meter große Mann mit den<br />
dunkelblonden Haaren lehnte ab. „Natürlich wäre das<br />
ein toller Arbeitgeber gewesen“, sagt er. Was ihn störte:<br />
wie das Dissertationsstudium dort abläuft, dass es<br />
einen Stundenplan gibt und Seminare, die man besuchen<br />
muss. Er sehnte sich nach Freiraum.<br />
Und noch etwas anderes spielte bei seiner Entscheidung,<br />
aufs Land zu ziehen, eine große Rolle: die<br />
Liebe. Am Ende seines Studiums hatte er auf einer Party<br />
einen Mann kennengelernt, und es war schnell klar,<br />
dass die beiden einander sehr mochten. Schon bald besuchte<br />
Jurgeleit seinen neuen Freund im Wendland.<br />
„Da erlebte ich diese bombastische Region zum ersten<br />
Mal und war sofort begeistert von den alten Fachwerkhäusern,<br />
den freundlichen, alternativen Menschen<br />
und von der Weite, die einen hier umgibt“, erzählt er,<br />
und seine Stimme klingt dabei weich. Man spürt, dass<br />
er sich damals nicht nur in den Mann aus der Gegend<br />
verliebte. Sondern auch in die Gegend selbst.
Jens Jurgeleit in seinem Labor, in dem Pflanzen geklont werden. Nach einem kurzen Praktikum wurde er sofort Assistent der Geschäftsführung.<br />
Man kann die Stille hören, die feuchten Wiesen riechen. Manchmal tuckert ein Traktor vorbei. Das war’s.<br />
lem mittelständische Unternehmen haben Schwierigkeiten,<br />
neue Mitarbeiter mit einer abgeschlossenen<br />
Berufsausbildung zu finden. Nach Angaben des<br />
Bundeswirtschaftsministeriums gibt es allein bei<br />
Berufen mit MINT-Abschlüssen – also bei Mathematikern,<br />
Informatikern, Naturwissenschaftlern und<br />
Technikern – mehr als 100.000 offene Stellen. Warum<br />
insbesondere Mittelständler häufig vergeblich<br />
um Fachkräfte kämpfen, hat vor allem zwei Gründe:<br />
Im Vergleich zu großen Konzernen sind sie weniger<br />
bekannt. Und ihre Firmen standorte sind für Berufseinsteiger<br />
meist nicht gerade verlockend – weil sie in<br />
Schnega, Haselünne oder Iserlohn liegen und nicht in<br />
Hamburg, Berlin oder München, wo die meisten unter<br />
30-Jährigen am liebsten leben möchten. „Von<br />
meinen Kommilitonen ist niemand aufs Land gezogen“,<br />
sagt Jens Jurgeleit. Er kann sich noch gut an die<br />
verständnislosen Blicke der anderen erinnern, als er<br />
ihnen von seinen Plänen erzählte. Dabei können gerade<br />
die kleineren Firmen in der Provinz die besten<br />
Arbeitgeber für Einsteiger sein: In einem mittelständischen<br />
Betrieb kann man schneller aufsteigen, weil<br />
Jens Jurgeleit begann, sich nach Arbeitgebern im<br />
Wendland umzuschauen. Es war seine Mutter, die<br />
ihn schließlich auf die Idee brachte, die Inter<strong>net</strong>seite<br />
des Institutes für Pflanzenkultur anzuklicken – eines<br />
mittelständischen Unternehmens, das Pflanzen produziert,<br />
indem es Klone von ihnen herstellt. Insgesamt<br />
40 Mitarbeiter arbeiten hier, im Sommer sind es<br />
mehr als 60, dann gibt es auf den Feldern und in den<br />
Gewächshäusern am meisten zu tun.<br />
Gemeinsam mit seinem Freund kam Jurgeleit<br />
eines Samstags nach Schnega, um sich das Unternehmen<br />
anzuschauen. Hinter einer roten Backsteinmauer<br />
sah er ein altes, efeubewachsenes Fachwerkhaus<br />
mit der Inschrift „Anno 1833“. Er hinterließ<br />
seinen Namen. Wenig später verschickte er eine Initiativbewerbung<br />
an das Institut und bekam einen<br />
Praktikumsplatz angeboten. Ein paar Monate später<br />
wurde er als Assistent der Geschäftsführung eingestellt.<br />
Ein knappes Jahr ist das jetzt her.<br />
Arbeiten in der Provinz – etliche Firmen versuchen,<br />
Berufseinsteigern genau das schmackhaft zu<br />
machen. Doch so sehr sie sich auch bemühen: Vor ales<br />
nicht so viele Hierarchie-Stufen gibt wie bei einem<br />
Konzern-Riesen. Die Entscheidungswege sind<br />
kürzer, neue Ideen haben eine größere Chance, umgesetzt<br />
zu werden – und auch die Be reitschaft der<br />
Chefs, einen Mitarbeiter gezielt zu fördern, ist oft<br />
größer. Für Jens Jurgeleit steht zum Beispiel schon<br />
fest, dass er für drei Monate nach Portugal geht –<br />
er soll dort ein Forschungsprojekt vorantreiben.<br />
Der 26-Jährige steht in einem Nebengebäude<br />
des alten Resthofes, in dem sich das molekularbiologische<br />
Labor verbirgt. Er hat sich einen weißen Kittel<br />
übergezogen und trägt blaue Gummihandschuhe.<br />
Vorsichtig öff<strong>net</strong> er eine rot umrandete Schublade,<br />
holt eine Kiste mit einer gelartigen Substanz heraus<br />
und packt den Inhalt in einen roten Apparat. „Ich untersuche<br />
die Pflanzen, die wir hier produzieren“, erklärt<br />
er. Mithilfe einer künstlichen chemischen Reaktion<br />
will er ausgewählte DNA-Abschnitte vermehren.<br />
Die Zeiten, in denen er sich selbst ein wenig<br />
spöttisch „die linke Hand der Chefinnen“ nannte,<br />
weil er vieles noch nicht wusste und das Gefühl hatte,<br />
eher im Weg rumzustehen als zu helfen, sind lange<br />
vorbei. Fachlich kannte er<br />
sich gut aus – aber vor allem<br />
von der Geschäftsführung<br />
hatte er am Anfang keine Ahnung.<br />
„Das war ein ziemlicher<br />
Sprung ins kalte Wasser, aber<br />
ich hab’s überlebt“, sagt er<br />
und lacht.<br />
Innerhalb der Firma<br />
Karriere zu machen – die<br />
Chancen stehen für Jens Jurgeleit<br />
eher schlecht. Denn<br />
abgesehen von der Chefin<br />
und ihrer Stellvertreterin gibt<br />
es keine weiteren Hierarchie-Ebenen – also auch keine<br />
Jobs, in die man aufsteigen kann. „Aber wenn man<br />
überlegt, dass ich gerade erst von der Uni komme und<br />
hier im Management und im Controlling mithelfe,<br />
Projektanträge schreibe und außerdem noch im Labor<br />
arbeite, kann man das schon als steilen Aufstieg<br />
bezeichnen“, findet er. Hier hat er die Möglichkeit,<br />
vieles auszuprobieren. Manchmal fühlt er sich wie<br />
Mittelständische<br />
Unternehmen auf<br />
dem Land suchen<br />
Menschen genau<br />
wie ihn: jung,<br />
Akademiker,<br />
Berufseinsteiger.<br />
MacGyver, weil er sich selbst<br />
überlegen muss, wie er ein<br />
Projekt in die Tat umsetzen<br />
kann. Die Firma wächst stetig<br />
und soll vielleicht schon<br />
bald in ein größeres Gebäude<br />
umziehen – doch die technische<br />
Ausstattung ist nicht so<br />
üppig wie in einem Forschungsinstitut<br />
an der Uni,<br />
manches muss man sich<br />
selbst zusammenbasteln.<br />
Den ehrgeizigen Biologen,<br />
der gern als Wissenschaftler<br />
Karriere machen möchte, hat das selbständiger gemacht.<br />
Wenn er versucht, Forschungsanträge genehmigt<br />
zu bekommen, erledigt er die Arbeit, die an der<br />
Uni sonst von Professoren gemacht wird.<br />
Jens Jurgeleit zieht seinen Kittel aus und läuft<br />
über den mit Kopfsteinpflaster befestigten Innenhof<br />
des alten Bauernhauses. Die Luft riecht nach feuchter<br />
Erde und Moos. Drüben, in der kleinen Küche im<br />
Hauptgebäude, packt er ein paar belegte Brote aus und<br />
setzt sich an den Tisch. Nach dem Abitur hat er zuerst<br />
ein Jahr lang in Dresden Mechatronik studiert und ist<br />
dann für ein Biologiestudium nach Braunschweig gewechselt.<br />
Der Druck an der Uni war groß, auch der,<br />
den er sich selbst machte: Er verkürzte sein Studium<br />
um ein Semester und nahm sich vor, als einer der Besten<br />
abzuschließen. Eine Prüfung jagte die nächste. Er<br />
hatte das Gefühl, immer unter Strom zu stehen, für ein<br />
Privatleben war kaum Zeit. „Es ist nicht so, dass ich<br />
hier auf dem Land weniger arbeite, im Gegenteil“, sagt<br />
er. Doch das Leben hat eine andere Geschwindigkeit.<br />
„Die Leute sind entspannter.“ Wenn jemand weg<br />
muss, weil seine Ziege ein Junges bekommt, hat jeder<br />
Verständnis. Ein anderer übernimmt dann die Arbeit –<br />
oder sie wird später nachgeholt.<br />
Um 16.30 Uhr hat er Feierabend. Wieder tritt er<br />
hinaus in den Hof. Er winkt den Kollegen und steigt<br />
in seinen Golf. Sein Heimweg führt ihn an Stoppelfeldern<br />
und Wäldern, Kuhtränken und alten Bauernhäusern<br />
vorbei. Zwischendurch muss Jens Jurgeleit<br />
rechts ranfahren, weil ihm ein Trecker entgegen-<br />
HOCHSCHUL<br />
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34<br />
HOCHSCHUL<br />
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35
Champions<br />
der Provinz<br />
Sich auf den Weg machen, zurück in<br />
die Großstadt. Nein, ganz im Gegenteil:<br />
Jens Jurgeleit will lieber einen alten Bauernhof<br />
kaufen, noch weiter raus aufs Land.<br />
Ohne diese Firmen würden Satelliten<br />
nicht fliegen, Hunde weglaufen, und<br />
das Auto wäre auch dauernd dreckig.<br />
Ein Lageplan.<br />
Text: Philipp Alvares de Souza Soares<br />
Illustration: Jindrich Novotny<br />
Bremen<br />
Hamburg<br />
flexi – Bogdahn International<br />
GmbH & Co. KG<br />
Bargteheide<br />
1973 wurde bei flexi die Roll-Hundeleine<br />
erfunden. 50.000 Stück werden pro<br />
Tag hergestellt. Jahresumsatz: 50 Mio.<br />
Euro. www.flexi.de<br />
Berlin<br />
kommt. Eine halbe Stunde später ist er zu Hause.<br />
Er lebt im 30 Kilometer entfernten Lüchow – einer<br />
Kleinstadt im Wendland mit rund 9.500 Einwohnern.<br />
„Wir zahlen 500 Euro Miete im Monat“, sagt<br />
Jens Jurgeleit und schließt die Tür der 110-Quadratmeter-Wohnung<br />
in einer alten gelben Jugendstilvilla<br />
auf, in der er gemeinsam mit seinem<br />
Freund lebt. Ein Preis, für den man in Hamburg,<br />
Frankfurt oder München mit sehr viel Glück eine<br />
sehr kleine Einzimmerwohnung bekommt. Allerdings:<br />
Kein Starbucks, kein Saturn, kein Apple-<br />
Store, das kleine Städtchen mit den Fachwerkhäuschen<br />
hat keinen eigenen Bahnhof, so weit<br />
draußen hat nicht einmal das Handy permanent<br />
Empfang. Stört ihn das? Nein, er mag es, dass die<br />
Leute einander grüßen, dass man schneller ins Gespräch<br />
kommt als anderswo. Obwohl er erst seit<br />
einem knappen Jahr im Wendland lebt, hat er einen<br />
großen Freundeskreis. Die Gruppe, mit der er sich<br />
häufig trifft, besteht aus 30 Leuten. Dumme Sprüche,<br />
weil er schwul ist, hat er hier noch nie gehört.<br />
Wenig später sitzt Jens Jurgeleit in seinem<br />
Stammrestaurant „Wendel“. Jägerschnitzel und<br />
Pommes. Er würde gern später einmal als Dozent<br />
an der Uni arbeiten, sagt er. So wie seine Chefin,<br />
die Vorlesungen an der Hochschule Hannover hält.<br />
Das bedeute aber nicht, dass er aus dem Wendland<br />
wegziehen werde. Im Gegenteil: Er träumt davon,<br />
einen alten Resthof zu kaufen. Das 9.000-Einwohner-Städtchen<br />
Lüchow ist ihm eigentlich noch zu<br />
groß. Am liebsten würde er richtig weit draußen<br />
wohnen, richtig im Grünen, richtig auf dem Land.<br />
HOCHSCHUL<br />
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36<br />
Tetra GmbH<br />
Melle<br />
Die Firma erfand das Flockenfutter für<br />
Fische, hat 800 Mitarbeiter und ist Weltmarktführer<br />
der Aquaristikbranche.<br />
www.tetra.<strong>net</strong><br />
Köln<br />
BARTEC GmbH<br />
Bad Mergentheim<br />
1975 erfand BARTEC einen Sicherheitsschalter<br />
für Tankstellen – heute ist<br />
die Firma Weltmarktführer für Sicherheitstechnik,<br />
zum Beispiel in der Öl- und<br />
Chemieindustrie. 1.400 Mitarbeiter, 50<br />
Mio. Euro Jahresumsatz.<br />
www.bartec.de<br />
Adolf Würth GmbH & Co. KG<br />
Künzelsau-Gaisbach<br />
In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl<br />
der Mitarbeiter von 42.000 auf 62.000,<br />
die Schrauben, Zangen, Dübel herstellen.<br />
www.wuerth.de<br />
Frankfurt<br />
Stuttgart<br />
Tesat-Spacecom GmbH & Co. KG<br />
Backnang<br />
1.250 Mitarbeiter stellen Bauteile für Satelliten<br />
her, zum Beispiel Hochleistungsverstärker.<br />
www.tesat.de<br />
Hannover<br />
Viessmann<br />
Allendorf (Eder)<br />
Seit 1917 stellt die Firma Heizungen<br />
her, aber auch Blockheizkraftwerke und<br />
Biogasanlagen. Die Energiewende lässt<br />
das Geschäft boomen. Allein 2011 stieg<br />
der Umsatz um acht Prozent auf 1,9 Mrd.<br />
Euro. 10.000 Mitarbeiter weltweit.<br />
www.viessmann.de<br />
Nürnberg<br />
München<br />
Leipzig<br />
Bader GmbH & Co. KG<br />
Göppingen<br />
Hier entsteht das Leder für die Autositze<br />
der S-Klasse von Mercedes und der 7er<br />
von BMW. 6.800 Mitarbeiter, Weltmarktführer<br />
für Automobilleder.<br />
www.badergmbh.de<br />
MEKRA Lang GmbH & Co. KG<br />
Fürth<br />
Acht Millionen Außenspiegel für Lkws,<br />
Busse, Traktoren baut MEKRA jedes<br />
Jahr. 1.800 Mitarbeiter an 15 Standorten.<br />
www.mekra.de<br />
Bauerfeind AG<br />
Zeulenroda-Triebes<br />
Bandagen, orthopädische Einlagen – die<br />
Dinge, die eine alternde Gesellschaft<br />
braucht. Sie alle werden von Bauerfeind<br />
hergestellt. 2.000 Mitarbeiter, Jahresumsatz:<br />
300 Mio. Euro.<br />
www.bauerfeind.com<br />
Josef Gartner GmbH<br />
Gundelfingen<br />
Das New Yorker Museum of Modern<br />
Art, die Deutsche-Bank-Zentrale in<br />
Frankfurt am Main – die Fassaden beider<br />
Gebäude stammen vom Weltmarktführer<br />
Gartner. www.josef-gartner.de<br />
WashTec AG<br />
Augsburg<br />
1962 wurde hier die erste vollautomatische<br />
Autowaschanlage erfunden. 1.600<br />
Mitarbeiter, 300 Mio. Euro Jahresumsatz.<br />
www.washtec.de
qqqqqw<br />
V O N S t e f a n i e B i l e n<br />
Faule Männer, schlechte Kitas<br />
Damit Frauen genauso Karriere machen können wie Männer, reichen Quotenregelungen<br />
nicht. Was aber muss passieren? Ein Gespräch mit Deutschlands wichtigstem<br />
Personalexperten Joachim Sauer über Hausarbeit und Praktika in Männerjobs.<br />
Herr Sauer: Frauenquote – ja oder nein?<br />
Der Bundesverband der Personalmanager hat schon vor gut zwei<br />
Jahren eine klare Position zu dieser Frage bezogen. Wir fordern eine<br />
flexible Quote, weil es in den verschiedenen Branchen große Unterschiede<br />
in Bezug auf den Anteil der weiblichen Beschäftigten gibt. In<br />
der Stahlbranche findet man einen ganz anderen Frauenanteil vor als<br />
etwa im öffentlichen Sektor.<br />
Familienministerin Kristina Schröder hat die Flexi-Quote voriges<br />
Jahr eingeführt und dafür viel Kritik einstecken müssen. Hat Sie das<br />
überrascht?<br />
Nein, sie wurde ja von zwei Gruppen kritisiert: von denjenigen, die<br />
eine Quote grundsätzlich ablehnen, und von denjenigen, die lieber eine<br />
starre Quote für die Vorstandsposten gehabt hätten. Die Wirtschaft ist<br />
in einigen Bereichen nach wie vor noch recht männerdominiert. Dass<br />
Männer von der flexiblen Quote teilweise nicht begeistert sind, überrascht<br />
mich daher nicht.<br />
Bei der Flexi-Quote dürfen Unternehmen selbst festlegen, wie hoch<br />
ihr Frauenanteil an der Spitze sein soll. Die Dax-30-Unternehmen<br />
handeln danach und veröffentlichen ihre Fortschritte regelmäßig.<br />
Doch das ist nur ein winziger Ausschnitt der deutschen Wirtschaft.<br />
Wie kann die Flexi-Quote helfen, damit sich auch im breiten Mittelstand<br />
etwas tut?<br />
An diesem Thema kommt niemand mehr vorbei. Wir brauchen mehr<br />
Frauen, um den Fachkräftemangel zu verhindern. Auch kleine Unternehmen<br />
befinden sich im Sog der Entwicklung.<br />
Bei Frauen im Mittelbau liegt das Problem nicht unbedingt daran,<br />
dass niemand aufsteigen will, sondern darum, dass viele es nicht<br />
können. Mit einer Familie ist ein Vollzeitjob mit Sitzungen am späten<br />
Abend schwer zu vereinbaren …<br />
Dieser Aspekt fehlt tatsächlich in der deutschen Debatte: Wenn Frauen<br />
und Männer im Berufsleben gleichberechtigt sein wollen, müssen sie<br />
es auch bei der Kindererziehung sein. Und bei der Hausarbeit. Aber ein<br />
Teil der Männer entzieht sich noch immer den häuslichen Pflichten.<br />
Wenn sich das nicht ändert, werden weiter die Männer Karriere machen<br />
– weil Frauen dann allein bleiben mit der Doppelbelastung und schlicht<br />
nicht präsent sind, wenn Karriere gemacht wird.<br />
Der Gehaltsunterschied in Partnerschaften ist häufig ein Grund, warum<br />
Frauen Teilzeit arbeiten und Männer nicht …<br />
Hierfür gibt es mehrere Gründe: Ältere Frauen sind zum Teil schlechter<br />
ausgebildet; zudem arbeiten Frauen in Berufen, deren Wertschöpfung<br />
nicht so hoch ist, oder sie tun sich zum Teil schwerer in Gehaltsverhandlungen,<br />
daher ist ihre Bezahlung niedriger. Oder aber die Löhne<br />
sind nicht gerecht, also für Männer und Frauen nicht gleich. Das ist<br />
nicht hinnehmbar und muss geändert werden. Doch es gibt Beispiele,<br />
die zeigen, dass nicht der geringe Verdienst der Grund für die geringe<br />
Anzahl von Frauen in Führungspositionen ist. Das Deutsche Institut<br />
für Wirtschaftsforschung hat kürzlich Zahlen aus dem Finanzsektor<br />
veröffentlicht. Hier werden oft gute Gehälter gezahlt, und der Anteil<br />
der weiblichen Beschäftigten liegt bei 50 Prozent. Trotzdem sind sie<br />
in Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Das sollte sich ändern.<br />
Noch mal zurück zur Haus- und Familienarbeit: Haben Sie Vorschläge,<br />
wie dieses Rollenverständnis zu drehen ist?<br />
Frauen, mit denen ich darüber spreche, sind sofort für die Idee zu gewinnen<br />
…<br />
Das glaube ich – aber was ist mit dem anderen Geschlecht?<br />
Das hat in vielen Fällen mit Bequemlichkeit zu tun. Männer sind nicht<br />
unbedingt unzufrieden mit der Situation, dass ihre Frau ihnen den Rücken<br />
freihält.<br />
Frauen, die in diesen Zeiten einen Vorstandsjob übernehmen, stehen<br />
im Rampenlicht. Wenn sie aufgeben, wie etwa Angelika Dammann<br />
2011 bei SAP, ist der Spott der Herren groß. Andere Frauen<br />
werden belächelt, weil sie die angeblich soften Ressorts übertragen<br />
bekommen. Zu Recht?<br />
Das ist eine unfaire und manchmal auch feindselige Diskussion. Es<br />
gibt keine empirische Untersuchung, die belegt, dass Frauen nur aufgrund<br />
eines Hypes an die Spitze gespült wurden und die entsprechende<br />
Leistung nicht erbringen. Sie machen ihren Job – und tun im Übrigen<br />
noch etwas für das Betriebsklima. Wenn Frauen dabei sind, ändert sich<br />
das Benehmen in Männerzirkeln zum Positiven. Aber darauf sollen sie<br />
selbstredend nicht reduziert werden. Alle Top-Managerinnen, die ich<br />
kenne, sei es Margret Suckale von BASF oder Elke Strathmann von<br />
Continental, machen einen ausgezeich<strong>net</strong>en Job.<br />
Wenn Unternehmen ausschließlich auf eine Quote für den Vorstand<br />
setzen, ändert sich noch längst nichts in den anderen Hierarchie-<br />
Ebenen. Sie haben daher bei Airbus, Ihrem vorigen Arbeitgeber, eine<br />
Quote für Auszubildende eingeführt. Mit welchem Erfolg?<br />
Unser Ziel war es, den Frauenanteil im Ausbildungsbereich der gewerblich-technischen<br />
Berufe zu steigern. Das betrifft die Ausbildungsberufe<br />
und das duale Studium der Ingenieurwissenschaftler. Am Standort<br />
in Hamburg konnte der Frauenanteil bei diesen Berufsanfängern<br />
binnen eines Jahres von 13 auf 20 Prozent gesteigert werden. Aber diese<br />
Ergebnisse waren nur möglich, weil Airbus schon lange mit Gymnasien<br />
und Stadtteilschulen kooperiert, Projekttage organisiert,<br />
Wettbewerbe initiiert und Mädchen-Praktika anbietet.<br />
Die Generation, die aktuell ins Berufsleben eintritt, erwartet<br />
eine funktionierende Work-Life-Balance von<br />
ihrem Arbeitgeber. Müssen sich Unternehmen nicht<br />
zuletzt deshalb umstellen und familienfreundliche Arbeitsbedingungen<br />
schaffen?<br />
Dank der „Generation Y“ wird sich einiges ändern, aber<br />
es ist trotzdem noch Luft nach oben. Ein Beispiel: die<br />
zweimonatige Elternzeit, die manche Männer jetzt nehmen.<br />
Im Grunde gleicht dies nur einem Gastbeitrag zur<br />
Betreuung eines Babys.<br />
Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass es in den<br />
vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gegeben hat.<br />
In den 1950er- und teilweise auch in den 1960er-Jahren waren<br />
die Beschäftigten im Arbeitsmarkt fast ausschließlich<br />
männlich. Heute sind Frauen und Männer zu gleichen Anteilen<br />
vertreten. Bei den öffentlichen Einrichtungen ändert<br />
sich etwas, Kitas und Ganztagsschulen werden ausgebaut.<br />
Reicht das?<br />
Nein, das reicht nicht – schon gar nicht, wenn die Qualität<br />
der Betreuung hinter der Quantität zurücksteht. Und es gibt<br />
neben dem Kita-Thema noch die Frage nach der Vorschulund<br />
Schul-Versorgung. Was nützt ein Ganztags-Kitaplatz,<br />
wenn das Schulkind um 13 Uhr zu Hause vor der Tür steht,<br />
weil die Ganztagsschulen nicht flächendeckend ausgebaut<br />
werden? Ganz zu schweigen von den 13 Wochen Schulferien.<br />
Bei solchen Rahmenbedingungen wird automatisch<br />
ein Elternteil diskriminiert. Häufig die Frauen.<br />
Joachim Sauer ist Präsident des Bundesverbandes der Personalmanager.<br />
Er gilt als einer der profiliertesten Personalmanager<br />
in Deutschland. Sauer ist Geschäftsführer<br />
Personal im Bereich Emissions Control Technologies<br />
beim Automobilzulie ferer Faurecia.<br />
Foto: Bundesverband der Personalmanager e. V.<br />
HOCHSCHUL<br />
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38
21 Fakten über die versicherungsBranche<br />
Ist hier jemand Arzt?<br />
Laut Arbeitgeberverband der Versicherungswirtschaft<br />
(AGV) beschäftigen<br />
die deutschen Versicherungsunternehmen<br />
gut 215.000 Menschen (Stand:<br />
Ende 2012). Trotz Finanzkrise ist diese<br />
Zahl kaum gesunken, die Nachfrage<br />
nach Hochschulabsolventen steigt sogar.<br />
Gesucht werden Risikomanager,<br />
Controller, Kundenberater und Produktentwickler.<br />
Um einzusteigen, muss<br />
man nicht unbedingt Jura oder BWL<br />
studiert haben: Als Schadensgutachter<br />
kommen auch Physiker und Ingenieure<br />
infrage, private Krankenversicherungen<br />
beschäftigen auch Mediziner.<br />
VON Daniel Kastner<br />
Quizshows versichern sich für den Fall, dass jemand die Million gewinnt,<br />
Kafka bewarb sich als Policen-Verkäufer, und wie viel man als Kunde zahlt,<br />
kommt auch aufs Sternzeichen an. Willkommen in der Versicherungsbranche!<br />
Hallo Herr …<br />
… Kaiser! Richtig. Er war die Frau Antje der Versicherungsbranche:<br />
„Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer“ verkörperte<br />
seit 1972 in der TV-Werbung den Ver sicherer zum<br />
Anfassen, bevor der Konzern 2009 in der ERGO aufging.<br />
Drei Schauspieler schlüpften in die Rolle des Herrn Kaiser<br />
– zuletzt Nick Wilder, der heute auf dem ZDF-Traumschiff<br />
einen Arzt spielt.<br />
Das zahlt die Versicherung Das höchste Einstiegsgehalt erreicht ein Nischenberuf:<br />
Die Unternehmen reißen sich um Versicherungsmathematiker, sogenannte Aktuare,<br />
die neue Tarife erfinden und durchrechnen – und zahlen ihnen laut Staufenbiel Institut<br />
durchschnittlich 51.000 Euro im ersten Jahr. Weniger exotische Berufe bringen es<br />
je nach Tarifgruppe auf bis zu 30.000 Euro.<br />
Upps!<br />
Das Haus selbst abfackeln und die Versicherungssumme kassieren – „warme<br />
Sanierung“ heißt diese Form des Versicherungsbetruges in der Branche. Gut zehn<br />
Prozent aller Schadensfälle sind laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />
vermutlich fingiert, besonders anfällig seien private Haftpflicht-,<br />
Hausrat- und Kfz-Versicherungen.<br />
Jungfrau<br />
mit Blechschaden<br />
Alter, Beruf, Adresse, Familienstand,<br />
Automarke – aus bis zu 50<br />
Parametern errechnen Kfz-Versicherungen<br />
ihre Tarife. Kein<br />
Witz: Manche britischen Versicherer<br />
berücksichtigen auch das<br />
Sternzeichen ihrer Kunden. Und<br />
eine Erhebung im Auftrag des<br />
US-Versicherers Allstate ergab<br />
2011: Jungfrau-Geborene bauen<br />
die meisten Unfälle.<br />
Im<br />
nächsten<br />
Level<br />
Sogar ins Videospiel hat es die Versicherungsbranche<br />
geschafft: In „Animal Crossing“ (Nintendo DS) kann<br />
sich der Spieler für 3.000 „Sternis“ gegen Unfälle versichern.<br />
Wenn er stürzt oder wenn ihn Bienen stechen,<br />
bekommt er am nächsten Tag Post von der Versicherung,<br />
die ihm 100 „Sternis“ auszahlt.<br />
das milliarden-geschäft<br />
Wer ist eigentlich der Größte? Kommt darauf an, wie man rech<strong>net</strong>. Gängigster<br />
Maßstab sind die „gebuchten Bruttobeiträge“, also das, was die<br />
Kunden in ihre laufenden Verträge einzahlen. Mit Abstand größter Lebensversicherer<br />
war demnach 2011 die Allianz, die 14,8 Milliarden Euro<br />
einspielte – weit vor R+V und AachenMünchener, die je auf knapp über<br />
vier Milliarden kamen. Auch bei den Schadensversicherern führte die Allianz<br />
mit fast neun Milliarden; die zweitplatzierte AXA nahm 3,5 Milliarden<br />
ein. Bei den privaten Krankenversicherern lag 2011 die DKV knapp<br />
vor der Debeka in Führung (4,9 vs. 4,86 Milliarden).<br />
Fürs Update einfach<br />
fallen lassen<br />
Kaputte Brillen landen besonders oft als Schadensmeldung bei<br />
der Haftpflichtversicherung. Stutzig macht die Versicherer,<br />
dass besonders viele Smartphones genau dann den Geist aufgeben,<br />
wenn ein neues Modell auf den Markt kommt. Und vor jeder<br />
Fußball-WM gehen plötzlich reihenweise Fernseher kaputt.<br />
Planschen mit der Ergo<br />
Neunmal die gesamte<br />
Bundesrepublik<br />
„Milliardengeschäft“ ist noch untertrieben:<br />
Im Jahr 2011 schlossen die<br />
deutschen Lebensversicherer über<br />
sechs Millionen Neuver träge im Wert<br />
von 237,5 Milliarden Euro ab. Der<br />
Gesamtwert aller laufenden Lebensversicherungsverträge<br />
liegt bei<br />
schwindelerregenden 2,6 Billionen<br />
Euro – das ist fast neunmal so viel,<br />
wie der Bund in einem Jahr ausgibt.<br />
Die ERGO-Gruppe pries sich 2010 in ihrer Werbekampagne als kumpelhafter,<br />
transparenter Versicherer. Dann wurde bekannt: Die ERGO-Tochter Hamburg-<br />
Mannheimer hatte besonders verdienten Mitarbeitern Lustreisen nach Budapest<br />
spendiert – und Prostituierte gleich dazu. Die Krisen-PR missglückte: ERGO ließ<br />
wissen, die Reise sei als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt worden, die Teilnehmer<br />
müssten sie als „geldwerten Vorteil“ nachversteuern.<br />
Durch die Wüste<br />
Der babylonische König Hammurabi soll schon um 1750 vor<br />
Christus in seiner Gesetzessammlung „Codex Hammurabi“<br />
eine Karawanenversicherung verfügt haben. In Keilschrift<br />
ließ er auf einer Stele fest halten, wer welchen Anteil am Schaden<br />
bezahlt, falls die Karawane überfallen wird. Die Stelen<br />
stehen heute im Pariser Louvre.<br />
Sturm und Riesenwelle Hurrikan<br />
Katrina verwüstete 2005<br />
New Orleans und hält seither mit<br />
75 Milliarden Dollar den Rekord<br />
als größter Versicherungsschaden<br />
aller Zeiten. Auf Platz zwei<br />
folgen das Erdbeben und der Tsunami,<br />
die den Fukushima-GAU auslösten, mit 35 Milliarden.<br />
Platz drei belegt Hurrikan Andrew von 1992, Platz<br />
vier die Anschläge vom 11. September. Auf der Liste des<br />
Rückversicherers Swiss Re fehlt übrigens der Tsunami, der<br />
Ende 2004 die An rainerstaaten des Indischen Ozeans<br />
heimsuchte – weil dort schlicht kaum etwas versichert war.<br />
Fotos: Thinkstock (2), dpa/pa (3), istockphoto (2), PR<br />
HOCHSCHUL<br />
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40
Bierfass in Flammen<br />
Als älteste Schadensversicherung der Welt gilt die 1676 eingerichtete Hamburger<br />
Feuerkasse. Die wiederum war abgekupfert von der Gemeinschaftskasse<br />
der Hamburger Brauereizunft, in die alle Zunftmitglieder einzahlten und aus der<br />
Geld floss, wenn eine Brauerei abbrannte – solche Fonds waren bei den Zünften<br />
und Gilden jahrhundertelang üblich.<br />
Molto gut versichert<br />
Fachbegriffe wie „Assekuranz“ und „Police“ haben wahrscheinlich<br />
italie nische Wurzeln: Schon im Mittelalter sicherten<br />
Kaufleute in Venedig und Genua ihre Schiffe und Waren<br />
finan ziell ab.<br />
Sicherheits-City<br />
München ist Deutschlands<br />
Versicherungshauptstadt:<br />
Laut einer Erhebung der<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
arbeiteten dort Ende 2011<br />
knapp 33.000 Menschen in<br />
der Versicherungsbranche.<br />
Platz zwei und drei belegen<br />
Köln und Hamburg. Bei den<br />
Bundesländern führt Nordrhein-Westfalen<br />
vor Bayern.<br />
Die Wahlkampf-Waffe<br />
Die einen preisen sie als soziale Errungenschaft,<br />
die anderen schmähen sie<br />
als Standortnachteil: die Sozialversicherung.<br />
Eingeführt hat sie ausgerech<strong>net</strong><br />
Otto von Bismarck – 1883 die Kranken-,<br />
1884 die Unfall- und 1889 die<br />
Rentenversicherung. Dabei war der<br />
Eiserne Kanzler kein Arbeiterfreund,<br />
sondern wollte die Sozialdemokraten<br />
kleinhalten. Es nützte nichts: Bei den<br />
Reichstagswahlen 1890 wurde die spätere<br />
SPD stärkste Kraft.<br />
Einer zahlt immer Auch eine Versicherung muss sich versichern. Dafür gibt es Rückversicherungen<br />
wie die Munich Re oder die Swiss Re. Wenn Versicherungen nach Großbränden oder Naturkatastrophen<br />
Schäden in Millionen- oder gar Milliardenhöhe ersetzen müssen, greifen sie auf die Rückversicherer<br />
zurück. Die können sich übrigens ihrerseits auch wieder rückversichern.<br />
Kollege Kafka<br />
Das einzige deutsche Versicherungsmuseum<br />
steht in Gotha – dort, wo einst<br />
die Gothaer Versicherung residierte. Das<br />
Museum ist stolz auf ein Relief im Treppenhaus,<br />
das die drei Stufen im Leben<br />
eines Versicherten zeigen soll – und auf<br />
Franz Kafkas Bewerbung um einen Job<br />
bei der Generali in Prag von 1907.<br />
Ich mach Schluss<br />
Eine kleine Zahl birgt Sprengkraft für Versicherungen<br />
und Kunden: 4,3 Prozent der Lebensversicherungen wurden<br />
2011 vorzeitig storniert. Das klingt nach wenig – doch<br />
wenn man bedenkt, dass eine Lebensversicherung 30 bis<br />
40 Jahre läuft und jedes Jahr gut vier Prozent der Kunden<br />
abspringen, ergeben sich ganz andere Werte: „Etwa 75<br />
Prozent der Lebensversicherungsnehmer kündigen vor<br />
der Ausschüttung“, sagt der Bund der Versicherten.<br />
Über den Wolken Je größer ein Versicherungskonzern, desto imposanter<br />
sein Firmensitz: Die amerikanische MetLife residiert in Manhattan im<br />
fast 250 Meter hohen MetLife Building, die Londoner Filiale der Swiss Re in<br />
„The Gherkin“, Norman Fosters als „Gürkchen“ verspottetem Wolkenkratzer.<br />
Die Schenkel-<br />
Prämie<br />
Versichern kann man so ziemlich<br />
alles: Pianisten versichern ihre<br />
Finger, Fußballklubs versichern<br />
sich gegen Aufstiege (weil sie<br />
dann in bessere Stadien investieren<br />
müssen) und Pokalsiege<br />
(weil dann Siegprämien für die<br />
Spieler fällig werden), Quizshows<br />
dagegen, dass ein Kandidat<br />
tatsächlich die Million abräumt.<br />
Der Elektrohersteller<br />
Braun ver sicherte Heidi Klums<br />
Beine für 1,6 Millionen Euro.<br />
HOCHSCHUL<br />
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42
Recruiting-Events von April bis Mai 2013<br />
Karrieretag,<br />
FH Südwestfalen, Soest<br />
Der Karrieretag an der FH Südwestfalen wächst<br />
und wächst: Für die sechste Ausgabe haben sich<br />
über 140 Aussteller angemeldet, darunter auch<br />
zahlreiche Großkonzerne wie Amazon und<br />
ThyssenKrupp sowie die Bundeswehr.<br />
Wann: 04.04.2013, 10 bis 16 Uhr<br />
Wo: Campus der FH Südwestfalen<br />
Mehr: www.karrieretag-soest.de<br />
Bremen<br />
Hamburg<br />
Stellenwerk, Hamburg<br />
Die Jobmesse der Hamburger Hochschulen<br />
richtet sich an Studierende und Absolventen<br />
aller Fachrichtungen. 70 Aussteller sind vor<br />
Ort, dazu gibt es Fachvorträge, Bewerbungsmappenchecks<br />
und Jobwalls.<br />
Wann: 14. und 15.05.2013, 10 bis 17 Uhr<br />
Wo: Hauptgebäude der Uni Hamburg<br />
Mehr: www.stellenwerk-hamburg.de<br />
CONTACT, Heidelberg<br />
Die in den Räumen des Deutschen Krebsforschungszentrums<br />
stattfindende Contact-<br />
Messe richtet sich vor allem an Mediziner<br />
und Naturwissenschaftler. Neben Ausstellern<br />
aus der Biotech- und Pharmabranche<br />
präsentieren sich auch ausgewählte Consultingfirmen<br />
und Wissenschaftsverlage.<br />
Wann: 23.04.2013, 10 bis 17.30 Uhr<br />
Wo: Kommunikationszentrum des DKFZ<br />
Mehr: http://contact2013.info<br />
Köln<br />
Frankfurt<br />
Hannover<br />
Leipzig<br />
Berlin<br />
connecticum, Berlin<br />
Eine der weltweit größten Jobmessen für<br />
Studierende und Absolventen: Mehr als 350<br />
renommierte Unternehmen aus Deutschland,<br />
Europa und Asien tummeln sich drei<br />
Tage lang in den alten Hangars des Tempelhofer<br />
Flughafens. Tipp zur Vorbereitung:<br />
online das kostenlose Infopaket anfordern.<br />
Wann: 23. bis 25.04.2013, 10 bis 17 Uhr<br />
Wo: Flughafen Tempelhof, Hangar 5, 6 und 7<br />
Mehr: www.connecticum.de<br />
careers4engineers<br />
automotive, Stuttgart<br />
Für angehende Ingenieure ist die careers4-<br />
engineers automotive ein Muss. Hier präsentiert<br />
sich die Automobilindustrie, von Daimler über<br />
BMW bis hin zu Hyundai. Interessant für Frauen:<br />
In einem Round-Table-Gespräch wird über<br />
Karrierechancen von Ingenieurinnen diskutiert.<br />
Wann: 27.04.2013, 10 bis 16 Uhr<br />
Wo: Messe Stuttgart<br />
Mehr: www.careers4engineers.de<br />
Stuttgart<br />
Nürnberg<br />
München<br />
Kubri, München<br />
Für alle, die es ins Ausland zieht: Die europäischarabische<br />
Karriere- und Bildungsmesse legt<br />
einen besonderen Fokus auf die Länder Nordafrikas,<br />
des Nahen Ostens und der Golfregion. Rahmenprogramm<br />
rund um die arabische Welt.<br />
Wann: 24. und 25.05.2013, 9 bis 18 Uhr<br />
Wo: TU München – Campus Garching<br />
Mehr: www.kubri.eu<br />
Illustration: Jindrich Novotny<br />
APPS für Job und Examen<br />
Jurion Basis<br />
(iPhone, iPad)<br />
900 grundlegende<br />
Bundesgesetze, 1.800 landesrechtliche<br />
Vorschriften, 95.000<br />
Urteile an Bundesgerichten –<br />
die App aus dem Fachverlag<br />
Wolters Kluwer ist ein mächtiges<br />
Tool für Juristen. Und gratis<br />
ist sie auch. Da lässt es sich<br />
verschmerzen, dass Urteile der<br />
Untergerichte nicht erfasst<br />
sind und man zwar nach Begriffen,<br />
aber nicht nach Aktenzeichen<br />
suchen kann.<br />
http://blog.strafrecht.jurion.<br />
de/jurion-basis<br />
https://itunes.apple.com<br />
Yocoy<br />
(iPhone, iPad,<br />
Android)<br />
Dieser Audio-Sprachführer ist<br />
ein Kommunikationsassistent<br />
für Deutsch-Chinesisch und<br />
Chinesisch-Deutsch. Das Gegenüber<br />
bekommt mithilfe der<br />
App Worte, aber auch ganze<br />
Sätze vorgelesen. Das Programm<br />
funktioniert ganz ohne<br />
Inter<strong>net</strong>verbindung, arbeitet<br />
mit insgesamt 100.000 Wörtern,<br />
deren Aussprache von Linguisten<br />
überprüft wurde. Die Basis-<br />
App ist kostenlos.<br />
https://itunes.apple.com<br />
www.yocoy.com<br />
HOCHSCHUL<br />
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44
mein letztes mal<br />
Philipp Mollenhauer, 30<br />
vorname, name, Alter<br />
Jurist, endlich mit Abschluss und eigener Inter<strong>net</strong>seite „Staatsexamen Plan B“<br />
beruf<br />
Berlin<br />
ort<br />
Das erste Jura-Examen bestehen – egal, wie lange es dauert<br />
mein entschluss<br />
Während meines Studiums hatte ich eine Wohnung, von der<br />
aus man den Briefkasten genau im Blick hatte. Mir war klar:<br />
Wenn der Briefträger einen kleinen Umschlag bringt, habe ich<br />
mein Examen bestanden, ein großes Kuvert bedeutet, dass ich<br />
durchgefallen bin. Weil man dann die Anmeldeformulare zurückgeschickt<br />
bekommt. Am Anfang hat mir mein Jurastudium<br />
Spaß gemacht. Vor allem Strafrecht fand ich spannend. Ich<br />
habe zügig studiert und hatte alle Scheine in der Regelstudienzeit<br />
zusammen. Deshalb habe ich mich für den Freischuss angemeldet.<br />
Eigentlich kann man das erste juristische Staatsexamen<br />
in Deutschland nur zweimal schreiben. Der Freischuss ist<br />
noch ein zusätzlicher dritter Versuch, der nicht gezählt wird,<br />
wenn man ihn nicht besteht.<br />
Insgeheim habe ich gehofft, dass es gleich auf Anhieb<br />
klappt. Ich war aber trotzdem nicht am Boden zerstört, als mehrere<br />
Wochen später ein großer Umschlag bei mir ankam, mit<br />
dem klar war, dass ich durchgefallen bin. Ich habe den Freischuss<br />
vor allem als Übung gesehen, mit der ich mich auf den<br />
ersten richtigen Examensversuch vorbereiten kann. Für diesen<br />
Versuch habe ich mich dann ein Jahr später angemeldet. Wieder<br />
musste ich innerhalb von zehn Tagen insgesamt sieben fünfstündige<br />
Klausuren schreiben. Diesmal war ich schon sehr aufgeregt,<br />
habe gehofft, dass es geklappt hat. Wieder habe ich aus<br />
dem Fenster gestarrt und auf den Briefträger gewartet. Als er<br />
mir schließlich einen großen Umschlag brachte, war ich total<br />
enttäuscht. Es hatte nur ganz knapp nicht gereicht: 0,05 Punkte<br />
haben mir damals gefehlt. Noch einmal habe ich mir ein Jahr<br />
Vorbereitungszeit gegeben. Ich habe täglich gelernt, auch<br />
samstags und sonntags saß ich in der Bibliothek. Zwischendurch<br />
bin ich zum Ausgleich mit Freunden bergsteigen gegangen.<br />
Doch je näher der zweite und letzte Examensversuch<br />
rückte, desto schlechter ging es mir. Ich hatte Angst, wieder eine<br />
HOCHSCHUL<br />
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46<br />
Niederlage zu erleben. Spätestens nach den Klausuren war mir<br />
klar: O. K., das war jetzt der letzte Versuch, das muss gepasst haben<br />
– denn was mache ich sonst? Wieder habe ich auf den Briefträger<br />
gewartet. Schließlich brachte er mir den verdammten großen<br />
Umschlag, mit dem feststand: durchgefallen. Für mich ist<br />
damals eine Welt zusammengebrochen. Ich hatte keinen Abschluss<br />
und durfte in Deutschland nie wieder Examen schreiben.<br />
Ich habe dann schnell angefangen, nach Alternativen zu<br />
suchen. Ich wollte nicht auf einen Teil meines Lebens zurückschauen<br />
und denken: abgebrochen. Von meiner Universität kam<br />
keine Hilfe – und im Inter<strong>net</strong> standen nur Dinge wie: „Du bist zu<br />
dumm für Jura.“ Ein Freund meines Vaters hat mir schließlich<br />
den Tipp gegeben, es in Österreich zu probieren. Das war für<br />
mich eine super Lösung, weil man dort einen gleichwertigen Abschluss<br />
bekommen kann – mit der Option, das Referendariat in<br />
Deutschland zu machen. Und ich musste nicht einmal nach Österreich<br />
ziehen, sondern konnte die Vorlesungen per Livestream<br />
verfolgen. In den ersten zwei Semestern kam dann der Erfolg<br />
zurück. Ich habe Klausuren bestanden und gute Noten bekommen.<br />
Das hat mir Sicherheit gegeben. Nach vier Semestern habe<br />
ich mich für die Diplomprüfungen angemeldet. Diesmal konnte<br />
ich die Ergebnisse danach im Inter<strong>net</strong> abrufen. Als bei mir stand<br />
„Prüfung bestanden, der Abschluss wird erteilt“, ist mir ein riesiger<br />
Stein vom Herzen gefallen. Es hat ein wenig gedauert, bis ich<br />
verstanden habe, dass ich nicht mehr jeden Tag in die Bibliothek<br />
fahren und lernen muss.<br />
Inzwischen habe ich eine Inter<strong>net</strong>seite namens „Staatsexamen<br />
Plan B“ (www.staatsexamen-planb.de) gegründet,<br />
um andere zu beraten, die in einer ähnlichen Situation sind wie<br />
ich damals. Denn nur, weil man durchs Examen fällt, ist man<br />
noch lange nicht ungeeig<strong>net</strong> für Jura. Ich bin das beste Beispiel<br />
dafür, dass es doch klappen kann.<br />
Protokoll: Katrin Schmiedekampf, foto: privat, istockphoto, frizzi kurkhaus