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LANDPARTIE - FAZ.net

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D-45958 April 2013 Nr. 125 1,40 Euro www.hochschulanzeiger.de<br />

Mit dem Colt zum Campus<br />

Bewaff<strong>net</strong>e Studenten an amerikanischen Unis ➻ 17<br />

<strong>LANDPARTIE</strong><br />

Für die Karriere in die Provinz – funktioniert das? ➻ 32<br />

Das sind meine Sachen!<br />

Vier Studenten verraten, was sie besitzen ➻ 20<br />

Anleitung zum glücklichsein<br />

Wie ein Heidelberger Lehrer<br />

ein neues Schulfach erfindet ➻ 26<br />

In Kooperation mit


Titelfoto: plainpicture; Fotos: stefan könig, Christian Burkert; Illustration: Jan Kruse / Human Empire<br />

Impressum<br />

EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

„Hidden Champions“ – so wird eine Gruppe mittelständischer<br />

Unternehmen in Deutschland genannt, für die zwei Dinge<br />

gelten: Sie sind erfolgreich und trotzdem den meisten Leuten<br />

unbekannt. Viele dieser Unternehmen sitzen nicht etwa in Hamburg,<br />

Berlin oder München, sondern in Orten wie Schnega, Haselünne<br />

oder Iserlohn. Wir starten in diesem Heft eine Serie über<br />

Berufsanfänger, die für ihre Karriere in die Provinz gehen. Warum<br />

zwischen Maulwurfshügeln und grasenden Kühen oft die<br />

besten Arbeitgeber zu finden sind, erfahren Sie ab Seite 32.<br />

Einer der vielen Vorteile auf dem Land sind die erschwinglichen<br />

Mieten. Ganz anders ist das in den Großstädten, wo sie oft<br />

die Hälfte oder mehr des monatlichen Budgets auffressen. 812<br />

Euro – so viel hat ein Student im Durchschnitt pro Monat zur Verfügung.<br />

Kein Wunder, dass sich nur 17 Prozent eine eigene Bleibe<br />

leisten können. Der Rest wohnt bei den Eltern oder in WGs<br />

und muss sich darauf beschränken, was wirklich wichtig ist. Was<br />

das ist, erzählen uns vier Studierende ab Seite 20.<br />

Vielleicht liegt es daran, dass ich viele Freunde habe, die<br />

Jura studiert und es trotzdem gehasst haben: Gefühlt ist es das<br />

nervenaufreibendste Studium, das man sich aussuchen kann.<br />

Keiner meiner Kommilitonen aus anderen Fachgebieten hatte<br />

größere Versagensängste. Philipp Mollenhauer kennt diese Gefühle<br />

(Seite 46) und hat deshalb eine Inter<strong>net</strong>seite gegründet:<br />

„Staatsexamen Plan B“. Sie ist besser als jede Beruhigungspille.<br />

<br />

Andreas Tazl<br />

PS: Wir freuen uns übrigens sehr über Ihr Feedback. Hat<br />

Ihnen etwas besonders gut gefallen, oder gibt es ein Thema,<br />

über das Sie gern mehr erfahren wollen? Dann schreiben Sie<br />

uns: redaktion@hochschulanzeiger.de<br />

14 Das geht auch schonend: Wie die Uni Lüneburg<br />

Nachhaltigkeits-Experten ausbildet<br />

32 Tierisch für die Karriere: Was passiert,<br />

wenn man für den Job in die Provinz zieht?<br />

„Ich würde mich mit einer<br />

Schusswaffe wohler fühlen.“<br />

17 Reid Smith ist im Vorstand einer US-<br />

Studenten vereinigung, die für das Recht streitet,<br />

bewaff<strong>net</strong> an die Uni gehen zu dürfen.<br />

Wir hätten da noch ein paar Fragen …<br />

Verlag: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Hellerhofstraße 2–4, 60327 Frankfurt; zugleich ladungsfähige Anschrift für die im Impressum genannten Verantwortlichen und Vertretungsberech tigten Geschäftsführung:<br />

Tobias Trevisan (Sprecher), Dr. Roland Gerschermann RedaK tionsleiter: Andreas Tazl, V. i. S. d. P. Textchef: York Pijahn Verantwortlich für Anzeigen: Andreas Formen (Verlagsgeschäftsführer)<br />

Autoren: Philipp Alvares de Souza Soares, Stefanie Bilen, Jochen Brenner, Franziska Bulban, Serge Debrebant, Daniel Haas, Gabriele Herpell, Daniel Kastner, Constanze Kindel, Gunthild Kupitz, Nadine Lischick, Gabriele Meister,<br />

Katrin Schmiedekampf, Aileen Tiedemann Bildredaktion: Anne Schälike Foto grafen: Jochen Brenner, Christian Burkert, Stefan König, Jenny Lawson, Silke Weinsheimer Illustration: Marie Emmermann /<br />

Skizzomat (S. 26/27), Jan Kruse / Human Empire (S. 2, 14–16), Jindrich Novotny (S. 37, 44), Matthias Seifarth (S. 19, 31) BILDNACHWEIS: Titelfoto: plainpicture; S. 3: Fotos: Stefan König, Christian Burkert; Illustration: Jan Kruse /<br />

Human Empire, S. 4: iStockphoto, S. 6/7: Thinkstock, Getty Images, privat, PR, S. 8–13: Jochen Brenner, S. 14–16: Illustration: Jan Kruse / Human Empire, S. 17: privat, S. 18/19: Getty Images, PR (4); Illustration: Matthias Seifarth,<br />

S. 20–25: Silke Weinsheimer, S. 26/27: Marie Emmermann / Skizzomat, S. 28/29: Jenny Lawson, Metrolit Verlag, S. 30/31: Plainpicture, privat; Illustration: Matthias Seifarth, S. 32–36: Christian Burkert, S. 37: Illustration: Jindrich<br />

Novotny, S. 38/39: Bundesverband der Personalmanager e. V., S. 40–42: Thinkstock (2), dpa/pa (3), iStockphoto (2), PR, S. 44: Illustration: Jindrich Novotny, S. 46: iStockphoto, Frizzi Kurkhaus, privat Layout: Frizzi Kurkhaus<br />

Lektorat: SKH SprachKontor Hamburg GmbH, www.sprachkontor.de Herstellung: Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Kurhessen straße 4–6, 64546 Mörfelden-Walldorf, www.wvd-online.de Vertrieb: Frank furter<br />

Allgemeine Zeitung GmbH Anschrift: Frank furter Allgemeine Zeitung GmbH, Heller hofstraße 2–4, 60327 Frankfurt; Redaktion: Telefon 040 468991133 und 069 75911842; Inter <strong>net</strong>: www.hochschulan zeiger.de Abonnentenservice:<br />

Telefon 0180 25252 (6 Cent pro Anruf aus dem deutschen Fest<strong>net</strong>z, Mobilfunkhöchstpreis 42 Cent) Anzeigen: Telefon 069 7591-3400; E-Mail stellenmarkt@faz.de. Der F. A. Z. Hochschulanzeiger erscheint sechsmal im<br />

Jahr. Alle in ihm enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Ein willigung des Verlages nicht zulässig. Preise für das Abonnement<br />

des F. A. Z. Hochschulanzeigers bei sechs Ausgaben pro Jahr: Inland und Ausland 8,40 Euro inkl. Ver sandkosten und MwSt., Lieferung im Abonnement im Inland nur gegen Bankeinzug des Zeitungsbezugsgeldes möglich.<br />

Studierende erhalten den F. A. Z. Hochschulanzeiger im Rahmen ihres vergünstigten F. A. Z. Studentenabonnements nach Erscheinen der neuen Ausgabe automatisch per Post. Abonnementskündigungen sind mit einer Frist von<br />

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<strong>FAZ</strong>IT-Stiftung Gemeinnützige Verlagsgesellschaft mbH, Frankfurter All gemeine Zeitung GmbH, Werner D’Inka, Berthold Kohler, Günther Nonnenmacher, Frank Schirrmacher, Holger Steltzner.


CAMPUS<br />

6 Meldungen: Taschendieb wird Yale-Professor,<br />

Leih-Laptops aus dem Automaten und ein Anruf in Singapur<br />

8 Requiem für eine Insel: Das Mozart-Orchester von Havanna<br />

14 Schonend beibringen: Warum es sich jetzt lohnt, Nachhaltigkeit zu studieren<br />

17 Schneller ziehen: Die Waffenlobby an amerikanischen Unis<br />

LEBEN<br />

18 Meldungen: Die Rückkehr des Dancefloor-Jazz,<br />

endlich Hip-Hop-Texte verstehen und ein Hirschkopf für Tierschützer<br />

20 Sachen gibt’s: Vier Studierende zeigen,<br />

was sie besitzen, – und verraten, was wirklich wichtig ist<br />

26 Doppelstunde Happiness: Der Erfinder des Schulfaches „Glück“<br />

28 Bloggerqueen mit Riesen-Spleen:<br />

Amerikas erfolgreichste Online-Tagebuchschreiberin geht auf Lesetour<br />

KARRIERE<br />

30 Meldungen: Wie man Computerspieleerfinder wird, wie man sein Studium abbricht<br />

und trotzdem glücklich wird und Tipps gegen Angst im Bewerbungsgespräch<br />

32 Neue Serie „Landpartie“: Was passiert,<br />

wenn man für die Karriere in die Provinz zieht? Wir sind hingefahren<br />

38 Was Quoten bringen: Was sich ändern muss,<br />

damit Frauen einfacher Karriere machen können<br />

40 Hallo Herr Kaiser: 21 Fakten über die Versicherungsbranche<br />

44 Recruiting-Events plus neue Apps für Handy und iPad<br />

46 Mein letztes Mal: Durchs Examen fallen<br />

Foto: istockphoto<br />

HOCHSCHUL<br />

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4


G u n t h i l d K u p i t z<br />

FERNGESPRÄCH<br />

Ein Anruf in<br />

Singapur<br />

„An den Bushaltestellen hier sieht man nur Leute mit<br />

Smartphones oder iPads – das war das Erste, was mir<br />

in Singapur aufgefallen ist. Technisch ist das Land einfach<br />

extrem entwickelt. Auch in der U-Bahn muss man<br />

nur seine Karte auf eine Fläche halten, und schon wird<br />

die entsprechende Strecke registriert und abgebucht.<br />

Und natürlich ist alles super sauber. Anfangs war ich<br />

ein bisschen enttäuscht deshalb. Ich wollte unbedingt<br />

ein Semester meines Psychologiestudiums in Südostasien<br />

verbringen, weil ich zuvor schon in Vietnam und<br />

Indonesien war – die Menschen sind dort fröhlicher<br />

und freier, auch wenn es dafür dreckiger und gefährlicher<br />

ist. In Singapur gibt es überall Hinweisschilder,<br />

was man alles nicht darf, zum Beispiel Kaugummi<br />

kauen. Es wirkt sich schon auf die Atmosphäre aus,<br />

wenn alle Angst haben, Fehler zu machen.<br />

Aber mit der Zeit habe ich Singapur sehr schätzen<br />

gelernt – die Architektur der Stadt ist einfach toll<br />

und der Ehrgeiz der Leute bewundernswert, auch<br />

wenn ich das bei den Studierenden etwas kritisch sehe:<br />

Manche übernachten in der Bibliothek, um bloß keine<br />

Lernzeit zu verlieren und um gute Noten zu bekommen.<br />

Das ist nicht einfach, schließlich bekommen nur<br />

die Besten die Höchstnote A. Man muss also nicht nur<br />

gut sein, sondern besser als die anderen. In Prüfungen<br />

schirmen sich alle ab, damit keiner abschreibt. Ich bin<br />

froh, dass ich diesen Druck als Austauschstudentin<br />

nicht habe. Ich versuche schon, viel und effizient zu<br />

lernen, nehme mir aber zwischendrin auch immer wieder<br />

Zeit zum Reisen. Zum Beispiel war ich auf der Insel<br />

Tioman in Malaysia. Dort ist es einfach wie im Paradies:<br />

Palmen, das blaueste Meer und der weißeste<br />

Sandstrand, den man sich nur vorstellen kann.“<br />

Protokoll: Gabriele Meister<br />

Studium mit Strohhalm:<br />

Nele Langosch, 26, studiert<br />

Psychologie und macht ihr<br />

Auslandsjahr an der National<br />

University of Singapore.<br />

Vorher war sie an der<br />

Humboldt-Uni in Berlin.<br />

Tropen, Skyline –<br />

geht es besser?<br />

Singapur.<br />

„Als ich das Studium<br />

begonnen habe, war das<br />

wie eine Wellness-Therapie.<br />

Es war so entspannend,<br />

endlich halbwegs normale<br />

Menschen zu treffen.“<br />

Kollegah, 29, Rapper<br />

über sein Leben auSSerhalb<br />

der Hip-hop-Welt<br />

Laptop aus dem Automaten<br />

Die graue Metallbox sieht aus,<br />

als würde sie Fahrkarten verkaufen<br />

oder vielleicht beim<br />

Einchecken auf dem Flughafen<br />

helfen. Doch in Wahrheit<br />

spuckt der graue Kasten – kein<br />

Scherz – Laptops aus. In der<br />

Bibliothek der Drexel University<br />

in Philadelphia wurde<br />

gerade das erste Gerät der<br />

Firma „Laptops Anytime“<br />

aufgestellt. Damit können<br />

Studierende auf Knopfdruck<br />

kostenlos eines von<br />

zwölf Apple-MacBooks<br />

ausleihen. Laut Universität<br />

kam die Initiative dazu<br />

vom Vorsitzenden des Studierendenparlamentes,<br />

der<br />

aus Angst vor Überfällen<br />

nachts nicht mit seinem eigenen<br />

teuren Laptop unterwegs<br />

sein wollte. Die Laptops sind mit<br />

einem Universitätsausweis für fünf Stunden kostenlos ausleihbar.<br />

Der ein zige Nachteil: Bei der Rückgabe werden alle Daten von der<br />

Station gelöscht. www.laptopsanytime.com<br />

Fotos: Thinkstock, Getty Images, privat, PR<br />

„Ich habe Albanologie in meiner<br />

Heimat Albanien an der Uni<br />

Tirana studiert. Dort ist das ein<br />

Massenfach. Ich darf trotzdem<br />

von Glück reden, dass ich nach<br />

anderthalb Jahren Wartezeit<br />

überhaupt einen Studienplatz<br />

finden konnte. Studienplätze<br />

waren in den 1980er-Jahren in<br />

meinem damals kommunistisch<br />

orientierten Land sehr knapp; zudem entschieden<br />

andere Instanzen, wer was wo studiert.<br />

An der LMU konnte Albanologie bis zum<br />

Wintersemester 2009/10 im Magister-Studiengang<br />

im Haupt- und im Nebenfach studiert werden<br />

– die einzige Universität in Europa, an der<br />

diese Möglichkeit bestand. Derzeit kann Albanologie<br />

nur als Schwerpunkt gewählt werden: im<br />

Bachelor-Studiengang ‚Allgemeine und Indogermanische<br />

Sprachwissenschaft‘ oder im zum<br />

Wintersemester 2012/13 neu eingerichteten Master-Studiengang<br />

‚Balkanphilologie‘. Schwerpunkte<br />

sind albanische Philologie und Sprachgeschichte,<br />

Literatur, Volkskunde, Kultur- und<br />

Landeskunde sowie Spracherwerb.<br />

Es wird erwartet, dass Studierende bereits in<br />

den ersten vier Semestern durch vier bis sechs Semesterwochenstunden<br />

Sprachunterricht gute<br />

Sprachkenntnisse erwerben, die sie durch Teilnahme<br />

an Sommerkursen in Tirana oder Priština<br />

Meisterdieb wird Yale-Professor<br />

Secret-Service-Agenten die Taschen zu<br />

leeren, ist keine gute Idee. Apollo Robbins<br />

machte es trotzdem – als Unterhaltung<br />

für Jimmy Carter, den ehemaligen<br />

Präsidenten der Vereinigten Staaten.<br />

Robbins verwickelte dessen Bodyguards<br />

in ein Gespräch. Dabei entwendete<br />

er sogar ihre Ausweise. Robbins’ Talent sprach sich<br />

herum. Bald trat der Amerikaner auf der Bühne und im<br />

Fernsehen auf. Professionelle Zauberkünstler halten<br />

Robbins für einen der besten Taschendiebe der Welt.<br />

Auch deshalb, weil er die Leute, die er bestiehlt, vorab<br />

Alle zu mir<br />

Ein Hurra auf die Nischenfächer. Diesmal wirbt Professor<br />

Bardhyl Demiraj für sein FAch: die Albanologie. er unterrichtet<br />

an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).<br />

A L B A N O L O G I E<br />

vertiefen können. Praktika in Albanien<br />

sind ebenfalls möglich –<br />

zum Beispiel an den Universitäten<br />

in Tirana oder Elbasan oder in<br />

einem deutsch-albanischen Medizintechnik-Unternehmen.<br />

Das<br />

Albanische hat in den letzten<br />

zwei Jahrzehnten entscheidend<br />

an Bedeutung gewonnen. Die<br />

Entwicklungen der sozialen und<br />

politischen Lage in der westlichen Balkanregion<br />

und deren ernsthafte Andockmanöver an die europäische<br />

Marktwirtschaft und überhaupt an den<br />

gesamteuropäischen Entwicklungsstrom eröffnen<br />

gerade Geisteswissenschaftlern und Kennern<br />

dieser Region neue Arbeitsperspektiven. Leicht<br />

ist es nicht, eine Stelle zu finden. Die meisten Studierenden<br />

landen in fachnahen Gebieten, zum<br />

Beispiel im Dolmetscher- und Übersetzungsdienst,<br />

aber auch in der Reisebranche, in der sozialen<br />

Arbeit – zum Beispiel beim Flüchtlingswerk –<br />

oder bei sozialen und politischen Organisationen.<br />

Hinzu kommt, dass in Deutschland, Österreich<br />

und der Schweiz heute rund 600.000 albanischsprachige<br />

Arbeitnehmer leben – eine der<br />

größten ethnischen Minderheiten. Albanisch ist<br />

deshalb auch im Rahmen des Deutschunterrichtes<br />

für Ausländer zunehmend wichtig.“<br />

Protokoll: Constanze Kindel<br />

ausdrücklich warnt – und sie dennoch<br />

mühelos um ihre Portemonnaies, Uhren,<br />

Ketten und Ringe erleichtert. Seine Ablenkungsmanöver<br />

sind so geschickt,<br />

dass das Verteidigungsministerium dem<br />

Langfinger eine neue Arbeitsstelle verschaffte:<br />

Der 38-Jährige (auf unserem<br />

Foto rechts) wird außerordentlicher Professor am US-<br />

SOCOM Center of Excellence for Operational Neuroscience<br />

der Yale University. Hier soll Robbins lehren,<br />

wie er seine Opfer überlistet, und zum Verständnis von<br />

Aufmerksamkeit und Täuschung beitragen.<br />

Wie kommt<br />

das da rein?<br />

Im Hier<br />

und Jetzt<br />

Haben Sie eine Minute? Länger wird es nämlich<br />

nicht dauern, diesen Text zu lesen. Er handelt<br />

unter anderem von Sex und Sport, von Bananen,<br />

Lärm und Meditation. Interessiert Sie<br />

nicht? Ach, kommen Sie. Sie können nebenher<br />

doch weiter darüber nachdenken, ob Sie heute<br />

Abend noch ausgehen wollen. Selbst wenn Sie<br />

die Kolumne etwas lustlos zu Ende lesen, werden<br />

Sie sich anschließend zumindest ungefähr<br />

an die Hälfte der Infos erinnern – und damit<br />

mehr wissen als zuvor. Zum Beispiel, dass Forscher<br />

der Harvard University herausgefunden<br />

haben, dass Menschen, die Sex haben, nur zu<br />

30 Prozent mit ihren Gedanken woanders sind.<br />

Ja: nur. Das ist Rekord. Im Durchschnitt sind<br />

wir nämlich zu exakt 46,9 Prozent des Tages<br />

eben nicht bei der Sache, die wir gerade tun –<br />

egal, ob wir an Referaten arbeiten, eine Vorlesung<br />

hören oder Sport treiben.<br />

Sollten Sie sich jedoch darum bemühen,<br />

die restlichen Zeilen mit Neugier zu lesen, werden<br />

Sie danach nicht nur mehr behalten haben.<br />

Beispielsweise, dass Lärm die Konzentration<br />

stört (gilt auch für Nebenbei-Musik). Dass<br />

durch Kurz-Meditationen die Aufmerksamkeit<br />

nachweislich trainiert werden kann. Und dass<br />

das Gehirn durch den Verzehr von Bananen<br />

einen lang anhaltenden Energieschub erhält.<br />

Sie werden nämlich auch das wichtigste Ergebnis<br />

der Studie kennen. Es lautet: Menschen,<br />

die sich im Hier und Jetzt konzentrieren können,<br />

sind glücklicher als Tagträumer – egal,<br />

wie schön ihre Fantasien sind.<br />

HOCHSCHUL<br />

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6<br />

HOCHSCHUL<br />

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7


REQUIEM<br />

FÜR EINE<br />

INSELMozart, Sozialismus und die Liebe<br />

t e x t u n d f o t o s<br />

J o c h e n B r e n n e r<br />

Verfall trifft Revolutions-Romantik:<br />

Che Guevaras Porträt auf der Plaza<br />

de la Revolución in Havanna.<br />

Seit Kubas Regierung Reise-Visa genehmigt,<br />

stellt sich das Land eine einzige Frage:<br />

Dableiben oder in die Welt aufbrechen?<br />

Dies ist die Geschichte zweier junger Musiker,<br />

eines Orchesters und der Hoffnung auf<br />

ein besseres Leben. Dies ist die Geschichte<br />

von Winnie und Luis.


LUIS<br />

Das Orchester ist für die kubanischen<br />

Musiker die Chance ihres<br />

Lebens. IHr Konzert wird live<br />

im ganzen Land übertragen.<br />

Luis (links) würde Kuba am liebsten verlassen.<br />

Rechts: Musikerinnen des Mozart-Orchesters<br />

von Havanna kurz vor dem Auftritt.<br />

Am Tag vor dem großen Konzert erfährt Luis, dass er bald nach<br />

Deutschland fliegen wird. Ein paar Wochen noch, dann wird in Havanna<br />

ein Jumbo mit braun gebrannten Touristen und Luis abheben,<br />

um nach Frankfurt in die deutsche Kälte zu<br />

fliegen. Luis hat Schlagzeug studiert, er ist<br />

27 Jahre alt und hat Kuba noch nie verlassen.<br />

Ein Freund hat ihm den Job in der Tournee-<br />

Band des „Original Cuban Circus“ vermittelt.<br />

Luis braucht jetzt dringend noch eine<br />

warme Jacke. Sein Vater sagt, mit etwas<br />

Glück könne er in den drei Monaten in<br />

Deutschland vielleicht sogar Schnee sehen<br />

und dass die Deutschen dort, wo er mit dem<br />

Zirkus auftritt, die Karibik lieben. In Schwäbisch<br />

Gmünd, Bad Bevensen und Iserlohn.<br />

„Ich habe keine Angst, zu gehen“, sagt Luis.<br />

Am 14. Januar trat auf Kuba überraschend<br />

ein neues Reisegesetz in Kraft. Ohne eine Erlaubnis zu benötigen<br />

und zu günstigeren Preisen sollen die Inselbewohner seither<br />

in alle Länder der Welt reisen dürfen. Doch noch immer ist nicht<br />

klar, welche Länder Kubanern unter welchen Bedingungen überhaupt<br />

Visa erteilen werden. Viele Kubaner bleiben skeptisch, weil<br />

die Regierung aus „Gründen der Verteidigung und der nationalen<br />

Sicherheit“ weiterhin jeden Ausreiseantrag ablehnen kann. Die<br />

Klausel ist eine Machtdemonstration der Castros. Wir bestimmen,<br />

wer geht, sagt sie. So weltoffen sich Kuba dem Besucher präsentiert,<br />

so sehr ist es noch immer durchdrungen vom Staatsverständnis<br />

seines einstigen Diktators. „Meinungsfreiheit“, sagt ein österreichischer<br />

Diplomat, „ist in Kuba ein Fremdwort.“<br />

Sie hat drei Jobs<br />

und arbeitet<br />

sieben Tage<br />

die Woche. Das Geld<br />

reicht trotzdem<br />

kaum zum Leben.<br />

Am Morgen des großen Konzertes sitzen Luis und Winnie in einem<br />

Café in der Altstadt von Havanna zusammen. Ihre Nachnamen<br />

möchten sie lieber nicht in einem Magazin lesen. Wenn Luis über<br />

Deutschland redet, studiert Winnie die Gesichtszüge<br />

ihres Freundes ganz genau – wie<br />

er lächelt und die makellosen Zähne blitzen,<br />

wie seine Augen strahlen und er die Brauen<br />

hochzieht wie nie zuvor. Sie hört ihm schon<br />

lange nicht mehr zu, weiß ja, was Luis sagt.<br />

Dass Deutschland seine Chance ist, dass<br />

Kuba sich nie ändern wird, dass er an einem<br />

Tag im Zirkus so viel verdient wie innerhalb<br />

eines Monats in Kuba. Jeder seiner Sätze<br />

endet mit dem Mantra der Unbeirrbaren:<br />

„Jetzt oder nie!“<br />

Winnie ist 25 Jahre alt, eine ernste junge<br />

Frau, die ihren Körper unter weiten Kapuzenpullis<br />

und Jeans verbirgt. Die dunklen Haare trägt sie streng<br />

nach hinten zum Pferdeschwanz gebunden. Sie hat am Konservatorium<br />

Bratsche studiert, nun repariert sie vormittags gebrauchte<br />

Streichinstrumente bei „Luthiers Sans Frontières“, den „Geigenbauern<br />

ohne Grenzen“. Nachmittags unterrichtet sie Schüler. Dann<br />

ist da noch der Job als Bratschistin im Orquesta Sinfónica Nacional<br />

de Cuba, dem Staatsorchester des Landes. So geht das an sieben<br />

Tagen in der Woche, und trotzdem reicht das Geld kaum zum Leben.<br />

Seit vier Jahren ist sie mit Luis zusammen, einem jungenhaften<br />

Schlagzeuger mit raspelkurzen Haaren, der seit dem Studienabschluss<br />

auch noch als Toningenieur arbeitet. „Wir kommen über<br />

die Runden“, sagt Winnie, „aber es ist schwierig.“ „Es ist eine<br />

Über den Malecón, die Uferpromenade Havannas,<br />

zog Castro mit seinen Soldaten 1959 in Havanna ein.<br />

WINNIE<br />

Winnie (rechts) hängt an ihrer Heimat.<br />

„Wir kommen über die Runden, aber es ist schwierig.“<br />

Wird der Erfolg des Orchesters die Musiker hinaus<br />

in die Welt katapultieren?<br />

HOCHSCHUL<br />

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10


Verfallene Häuser,<br />

Verhaftungen<br />

und trotzdem:<br />

ein bisschen Hoffnung.<br />

Ob es zu einer wirklichen Öffnung Kubas kommt,<br />

ist noch völlig unklar. In den Straßen der Hauptstadt,<br />

wie hier in Alt-Havanna, herrscht Armut.<br />

Hotels wie das „Nacional“, in dem Che Guevara und<br />

Fidel Castro während der Kubakrise ihr Hauptquartier<br />

hatten, sind selten.<br />

Katastrophe“, sagt Luis. „Aber es wird besser“,<br />

sagt Winnie. „Wer nicht ins Ausland geht, hat keine<br />

Zukunft“, sagt Luis. „Aber wir kommen doch<br />

zurecht“, sagt Winnie, „meine Zukunft ist hier in<br />

Kuba.“ Luis schluckt und schweigt. So geht das<br />

jetzt seit Wochen.<br />

Am Abend des großen Konzertes stehen<br />

Winnie und Luis zum ersten Mal seit Wochen wieder<br />

auf derselben Seite. Sie spielen beide im noch<br />

jungen Orchester des Lyceum Mozartiano de La<br />

Habana, dem Klangkörper der ersten Mozart-Gesellschaft<br />

Kubas. Das Geld für ihre Gründung und<br />

für die Gründung des Orchesters stammt aus Europa.<br />

Die EU fördert das Projekt mit fast 400.000<br />

Euro. Mehrere Zehntausend legt der Präsident der<br />

internationalen Stiftung Mozarteum aus Salzburg<br />

obendrauf, der die Idee für das Orchester hatte.<br />

Als der Begrüßungsapplaus verebbt ist und<br />

sich die jungen Musiker setzen, breitet sich Stille<br />

aus im Oratorio de San Felipe Neri. 300 Konzertbesucher<br />

blicken die Musiker an, die Frauen tragen<br />

Abendkleider, die Männer Anzug. Gedämpft<br />

dringt von draußen ein Hupen aus den Altstadtgassen<br />

Havannas in die Kirche. Dann setzen die 80<br />

jungen Kubaner ihre Instrumente an, um die<br />

Ouvertüre zur Zauberflöte zu spielen – Musikerinnen<br />

und Musiker zwischen 18 und 28, die Wolfgang<br />

Amadeus Mozart für ein Konzert lang zum<br />

Kubaner machen.<br />

Den ganzen Tag über haben sie noch die letzten<br />

unklaren Takte geprobt und versucht, ihre Aufregung<br />

mit Üben zu vertreiben. Als sie sich hinter<br />

der Bühne in der Garderobe gegenüberstehen,<br />

geschminkt und herausgeputzt, kitzelt das Adrenalin<br />

aus einigen von ihnen ein irrwitziges Lachen<br />

heraus: Sie freuen sich auf den Beginn einer neuen<br />

Zeit und fürchten im selben Moment, die Chance<br />

zu vermasseln.<br />

Der erste Akkord sitzt, die Ouvertüre läuft gut,<br />

die Holzbläser spielen sauber wie nie in der Probe.<br />

Den ersten Geigen gelingt in den schnellen Passagen<br />

eine Homogenität, die die Zuschauer aufhorchen<br />

lässt. Über dem Konzert des neuen Mozart-<br />

Orchesters aus Havanna liegt der Glanz des Aufbruches.<br />

Als der letzte Satz der Prager Sinfonie von<br />

Mozart verklungen ist, ahnen die Besucher, dass sie<br />

Zeugen davon wurden, wie sich eine junge Musikergeneration<br />

in eine neue Zeit aufmacht.<br />

Die politische Öffnung des Landes spielt der<br />

Stiftung Mozarteum aus Salzburg in die Hände.<br />

Als ihre Gesandten das Mozart-Orchester-Projekt<br />

2008 entwickelten, war die Förderung junger Musiker<br />

nichts weiter als der Versuch, die Musik zum<br />

politisch neutralen Gedankenaustausch zu nutzen<br />

und ein paar Eingeschlossenen mit dem Nötigsten<br />

zu helfen. Wenn die Geiger, Cellisten und Bläser<br />

das Land schon nicht verlassen konnten, sollten sie<br />

wenigstens gemeinsam in einem Orchester musizieren<br />

und sich so als Profimusiker weiterqualifizieren<br />

können. Inzwischen hat das Projekt zwei<br />

Richtungen. Die europäische Klassik ist für die kubanischen Instrumentalisten<br />

die Großchance ihres Lebens. Zum einen spielen sie<br />

in Havanna in einem angesehenen Orchester. Zum anderen können<br />

sie künftig als Gäste in Salzburg und Wien studieren, reisen, lernen,<br />

besser werden. Überall warten gut dotierte Jobs auf sie, wenn sie<br />

nur gut genug spielen. Mozart ist ihr Ticket in eine Welt, die ihren<br />

Eltern verwehrt blieb.<br />

Winnies Vater etwa ist wie seine Tochter Musiker. Ein paar<br />

Mal in seiner Karriere reiste er in die Sowjet union, die der zuverlässige<br />

Finanzier Kubas war. Zeit seines Lebens<br />

regierte Fidel Castro, weshalb sich<br />

der Vater mit seiner Isolation arrangierte.<br />

So machte die Politik Winnie zur Tochter<br />

eines Gefangenen. Der Weltgeist hat ihr<br />

nun die Zellentüren aufgestoßen. „Ich bin<br />

neugierig auf Deutschland“, sagt Luis.<br />

Winnie schweigt dazu.<br />

In der Geschichte Kubas haben immer<br />

wieder Unzufriedene das Land verlassen,<br />

allein zwei Millionen Exil-Kubaner<br />

leben im 140 Kilometer entfernten<br />

Florida. 1965 wurde eine Luftbrücke errichtet,<br />

1980 reisten 125.000 Menschen<br />

über den Hafen Mariel aus, Mitte der 90er-<br />

Jahre entkamen Zehntausende mit selbst<br />

gebauten Flößen der schlimmsten Wirtschaftskrise<br />

des Landes. Doch offiziell<br />

entschied die Regierung, wer reinkommt<br />

und wer geht.<br />

Am 8. Januar dieses Jahres jährte sich<br />

der Einzug des „Máximo Líder“ nach der<br />

Flucht des Diktators Batista zum 54. Mal.<br />

1959 war er über die berühmt gewordene Uferpromenade, den Malecón,<br />

ins Zentrum Havannas vorgedrungen. Seinem nordamerikanischen<br />

Gegner Dwight D. Eisenhower gelang es ebenso wenig wie<br />

den neun nachfolgenden US-Präsidenten, Castro in Havanna zu<br />

stürzen. Die CIA leug<strong>net</strong> inzwischen nicht einmal mehr, 30 Attentate<br />

auf den Diktator verübt zu haben. Es war Fidel selbst, der 2008,<br />

gesundheitlich angeschlagen, seinen Rückzug bekannt gab. Seither<br />

regiert sein fünf Jahre jüngerer Bruder Raúl.<br />

Bei den Wahlen zum kubanischen Volkskongress am 3. Februar<br />

2013, zu denen nur die kommunistische Partei zugelassen war, ließ<br />

sich Fidel dennoch wieder zum Abgeord<strong>net</strong>en wählen. Das Parlament<br />

machte mit seiner Stimme dann auch den Weg für Raúl Castros<br />

zweite Amtszeit frei. Nur 20 Prozent der Kubaner haben überhaupt je<br />

einen anderen als einen Castro an der Staatsspitze erlebt.<br />

Es ist unwahrscheinlich, dass die alten Männer den Kurs ändern.<br />

Jede Öffnung bringt die Gefahr mit sich, die sozialistischen<br />

Grundsätze Kubas zu gefährden. Auf einem Parteikongress Anfang<br />

2012 sagte Raúl Castro, die Legalisierung von Oppositionsgruppen<br />

käme der „Legalisierung der Parteien des Imperialismus“ gleich.<br />

Im Jahr 2012 wurden 6.602 Regimekritiker verhaftet, fast 60 Prozent<br />

mehr als im Jahr zuvor.<br />

Es gibt keine freie Presse, die Zeitungen hetzen täglich gegen die<br />

Vereinigten Staaten. Fernsehen und Radio filtern Informa tionen. Inter<strong>net</strong><br />

gibt es nur in den großen Hotels, kriechend langsam und überteuert.<br />

Auch 2013 leben die Kubaner abgeschnitten von der Wahrheit und unter<br />

der Dauerberieselung revolutionärer Propaganda.<br />

Lange Jahre hindurch war die Sowjetunion Finanzier, heute<br />

hängt Kuba am Tropf des Ölstaates Venezuela. Trotzdem verdienen<br />

Der Weltgeist<br />

hat die Zellentür<br />

aufgestoßen,<br />

und es klingt<br />

beinahe zu schön,<br />

um wahr zu sein:<br />

Vielleicht<br />

rettet Mozart<br />

die Liebe<br />

eines kubanischen<br />

Paares.<br />

die Menschen weit weniger als 1989. In den vergangenen Monaten<br />

wurden deswegen sozialistische Dogmen geopfert und Gewerbelizenzen<br />

an Kleinunternehmer vergeben. Havanna klagt über das fortdauernde<br />

amerikanische Handelsembargo. Verluste in Höhe von<br />

über 100 Milliarden Dollar sollen dadurch im Lauf der vergangenen<br />

fünfzig Jahre entstanden sein. Fidels Revolution hatte allerdings<br />

auch ihre Vorteile: Bildung kostet nichts in Kuba, die Gesundheitsvorsorge<br />

gilt als exzellent, Wohnungen zahlt der Staat.<br />

In den Stunden nach dem großen Konzert liegt der Duft von<br />

Aufbruch in der Luft. Das merken Winnie<br />

und Luis, als sie durch die Straßen von Alt-<br />

Havanna zu einer kleinen Bar schlendern.<br />

Ihr Konzert, das erfahren sie von Passanten,<br />

wurde live und landesweit im Radio übertragen:<br />

die Ouvertüre aus der Zauberflöte<br />

und die Prager Sinfonie, gespielt von jungen<br />

Kubanern, gefördert von europäischen<br />

Kapitalisten und initiiert von österreichischen<br />

Mozart-Enthusiasten. In einem Land,<br />

dessen Bürger zwischen dem Tod und dem<br />

Sozialismus wählen können, ist das eine<br />

kleine Revolution.<br />

In der Nacht nach dem großen Konzert<br />

sitzen Winnie und Luis mit Freunden in<br />

der Bar zusammen, immer neue Mojitos<br />

tauchen auf dem Tresen auf. Luis lacht laut,<br />

Winnie lacht ein bisschen. „Das System<br />

wird sich nicht um 180 Grad drehen“, sagt<br />

er, „aber vielleicht wenden sich ein paar<br />

Dinge zum Guten.“ Sie sagt: „Ich spüre die<br />

Veränderung, und ich will dort sein, wo ich<br />

am meisten lernen kann.“<br />

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ausgerech<strong>net</strong> Mozart, das<br />

Genie aus Salzburg, Winnies Furcht vor der Veränderung mit Luis’<br />

Neugier auf die Welt versöhnen wird. Das Mozart-Orchester, in dem<br />

die beiden spielen, bringt Winnie vorsichtig in Kontakt mit einer<br />

Welt, vor der sie sich im Moment oft noch fürchtet. Und es beweist<br />

Luis, dem Fluchtbereiten, dass sein Land zur Veränderung in der<br />

Lage ist, zur Öffnung sogar. Er wird die Drei-Monats-Tournee mit<br />

dem Zirkus antreten und danach ins Flugzeug zurück nach Havanna<br />

steigen. Dann beginnt die neue Probenphase des Mozart-Orchesters.<br />

Als sie sich spätnachts nach Hause aufmachen, sagt Winnie,<br />

dass sie Luis und seine Neugier auf die Welt ein bisschen bewundert.<br />

Sie will sich die Sommerkurse des Mozarteums in Salzburg wenigstens<br />

einmal ansehen. Und London interessiert sie. Dort gibt es einen<br />

Bratschen-Professor, der ihr eine Menge beibringen könnte, glaubt<br />

Winnie. Luis greift nach ihrer Hand. Sie zieht sie nicht weg.<br />

HOCHSCHUL<br />

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13


G u n t h i l d K u p i t z<br />

Ler nen,<br />

WIE<br />

ein bisschen<br />

MAN DIE<br />

WELT<br />

rettet<br />

Firmen, die sich nicht um Nachhaltigkeit kümmern,<br />

können schon mal ihre Abwicklung planen,<br />

glaubt ein Professor der Uni Lüneburg.<br />

Und bringt seinen Studierenden bei, den Pla<strong>net</strong>en<br />

zu schützen und gleichzeitig das Unternehmen<br />

von morgen zu erfinden. Eine von ihnen ist<br />

Friederike Klöckner – ein Treffen.<br />

Illustration: Jan Kruse / Human Empire<br />

Sie hätte nur Ja sagen müssen. Ja zur festen Stelle, Ja zum sicheren<br />

Einkommen, Ja zur Karriere. Dann säße Friederike Klöckner an diesem<br />

Dienstagmorgen in Tübingen in einem Büro, trüge zum dunkelblauen<br />

Hosenanzug eine weiße Bluse und beriete mit gerade mal 24<br />

als Junior Consultant internationale Konzerne wie Sony oder Hewlett-Packard<br />

bei der Umsetzung europäischer Umweltschutzgesetze.<br />

Nach ihrem Wirtschaftsrechtstudium, das sie im Sommer 2011 an der<br />

Dresdener TU mit dem Bachelor und der Note 1,5 abschloss, hatte sie<br />

ein sechsmonatiges Praktikum bei einem Tübinger Beratungsunternehmen<br />

absolviert und anschließend das Angebot auf eine Festanstellung<br />

bekommen. Doch: Sie lehnte ab.<br />

„Ich hatte damals eine kleine Zukunftskrise“, erinnert sich<br />

Klöckner: „Ich konnte und wollte mich nicht festlegen; auch nicht für<br />

ein paar Jahre. Also habe ich intensiv darüber nachgedacht: Wenn ich<br />

arbeite, wo möchte ich arbeiten, und wenn ich studiere, was möchte<br />

ich studieren?“ Nur eines war ihr klar: Ihr Beruf sollte sinnvoll sein<br />

für sie – und nützlich für andere.<br />

Und so sitzt Friederike Klöckner, lange braune Haare, Jeans und<br />

Perlenohrstecker, nun um drei Minuten nach zehn an einem großen<br />

runden Tisch am Fenster der Lüneburger Campus-Mensa – ihr Arbeitsplatz<br />

für die nächsten vier Stunden –, holt aus ihrer weißen Kuriertasche<br />

ein paar mit neongrünem Leuchtstift versehene Ausdrucke heraus<br />

und legt ihr Handy neben einen mit heißem Ingwertee gefüllten Thermosbecher.<br />

Seit September absolviert die heute 24-Jährige den viersemestrigen<br />

Master-Studiengang „Nachhaltigkeitswissenschaft – Sustainability<br />

Science“. Zusammen mit ihren Kommilitonen Felix Czernin<br />

(24) und Haris Sefo (27) will sie noch an der gemeinsamen Präsentation<br />

für das Seminar am Nachmittag feilen. Die Aufgabe: „Erarbeiten<br />

Sie eine Nachhaltigkeitsmarketingstrategie für die Marke Volkswagen.“<br />

Knapp 20 Minuten wird die Gruppe Zeit haben, um 40 Kommilitonen,<br />

vor allem aber den Seminarleiter Professor Stefan Schaltegger,<br />

einen der profiliertesten Köpfe in Deutschland im Bereich Sustainability<br />

Management, von ihren Ideen zu überzeugen.<br />

Die Fakultät Nachhaltigkeit, 2010 an der Leuphana-Universität<br />

gegründet, ist einmalig in Deutschland. Nachhaltigkeit wird hier<br />

interdisziplinär gelehrt – und das bedeutet: Rund 25 Professoren aus<br />

den verschiedensten Fachbereichen wie beispielsweise Chemie, Informatik,<br />

Ökologie, Ethik, Politik, Psychologie, Jura und BWL unterrichten<br />

die Studierenden darin, Themen wie Energiewende, Urbanisierung<br />

und Umweltverschmutzung aus einem ökologischen<br />

Blickwinkel, aber auch aus einem ökonomischen und sozialen zu betrachten.<br />

„Die Kombination aus sowohl naturwissenschaftlicher als<br />

auch humanwissenschaftlicher Perspektive finde ich wirklich genial<br />

an diesem Studiengang“, sagt Friederike Klöckner: „Dieser ganzheitliche<br />

Ansatz bewahrt einen davor, ideologisch zu werden. Weil es<br />

immer darum geht, eine Lösung zu finden, die die unterschiedlichen<br />

Interessen berücksichtigt.“ Seit sie denken könne, setze sie sich mit<br />

dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Also damit, was in den<br />

1980er-Jahren für die Vereinten Nationen in einer noch immer gültigen<br />

Definition als dauerhafte Entwicklung beschrieben wurde, „die<br />

die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne die Bedürfnisse<br />

künftiger Generationen zu gefährden“. Klöckner ist auf einem<br />

Bauernhof im Siegerland aufgewachsen; ihre Eltern haben ihr den<br />

einzig angemessenen Umgang mit der Natur vorgelebt: einen respektvollen.<br />

Dass sie an der Leuphana-Universität nun unter anderem<br />

lernt, wissenschaftliche Studien zu lesen und – „endlich“ – die Zusammenhänge<br />

versteht, wie sich beispielsweise der Klimawandel<br />

auf die Biodiversität auswirkt und ob Fracking, die derzeit viel diskutierte<br />

Gasfördermethode mithilfe von Chemikalien, die Qualität<br />

des Trinkwassers beeinflusst, ist für sie eine wichtige Ergänzung zu<br />

ihrer bisherigen Ausbildung. Eine Ansicht, die auch ihre Kommilitonen<br />

Felix Czernin und Haris Sefo teilen, die beide einen Bachelor<br />

in BWL haben. Denn so interdisziplinär, wie der Studiengang<br />

Nachhaltigkeitswissenschaften angelegt ist, so interdisziplinär ist<br />

auch die Zusammensetzung der Studierenden. Dass das sehr bereichernd<br />

sein kann, haben sie selbst feststellen können, als sie<br />

übungshalber gemeinsam die Nachhaltigkeitsmarketingstrategie<br />

für den Wolfsburger Autobauer entwickelten.<br />

Während in der Mensa mittlerweile fast alle Tische von diskutierenden<br />

Arbeitsgruppen besetzt sind, beginnen die drei um kurz<br />

nach elf mit der ersten von zwei Durchlaufproben ihrer Präsentation.<br />

Friederike übernimmt die Einführung. Stellt die Marke VW vor. Beschreibt<br />

deren technologieorientiertes Nachhaltigkeitsverständnis.<br />

Doch als sie die Zielgruppe mit „der urbane Kunde“ beschreibt, der<br />

flexibel, günstig, sicher und nachhaltig mobil sein möchte, unterbricht<br />

sie Haris und zeigt auf die Uhr: „Du musst dich kurzfassen.<br />

Und langsamer sprechen.“<br />

In den vergangenen drei Monaten hatte sich die Gruppe regelmäßig<br />

getroffen. Sie hatte die Stärken von Volkswagen analysiert<br />

(unter anderem das Know-how) und die Schwächen (unter anderem<br />

der Nachholbedarf bei Elektroautos), sie hatte darüber diskutiert, in<br />

welche Richtung sich das Portfolio des Unternehmens entwickeln<br />

könne, und darüber nachgedacht, was sich optimieren ließe. Und aus<br />

all diesen Punkten hatte die Gruppe ihre Vorschläge erarbeitet, nämlich:<br />

dass das Unternehmen die CO 2<br />

-Emissionen in sämtlichen Modellen<br />

reduzieren sollte statt wie bislang nur in einigen wenigen.<br />

Dass es außerdem eine Führungsrolle im Bereich Elektrofahrzeuge<br />

anstreben sollte. Und dass es sich vor allem langfristig durch ein erweitertes<br />

Carsharing-Konzept – eine Kombination aus der Vermietung<br />

VW-eigener Elektroautos mit der Nutzung anderer Verkehrsmittel<br />

wie Rad, Bus und Bahn mithilfe des Smartphones – von einem<br />

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14<br />

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15


Fahrzeughersteller zu einem Mobilitätsdienstleister<br />

entwickeln sollte. Als die Gruppe ihr Konzept um halb<br />

drei im Seminarraum 121 mit einer PowerPoint-Präsentation<br />

vorstellt, läuft alles glatt: Friederike trägt<br />

ihren Teil souverän und in angemessenem Tempo innerhalb<br />

ihres Zeitrahmens vor; auch die anderen überziehen<br />

nicht. Anschließend stellen die Kommilitonen<br />

ein paar Verständnisfragen. Stefan Schaltegger will noch<br />

etwas über die Kernkompetenzen von VW wissen, und bald<br />

darauf stellt die nächste Gruppe ihre Nachhaltigkeitsstrategie für die<br />

Waschmaschinensparte von AEG vor. Bis abends um neun werden es<br />

neun Gruppen mit neun unterschiedlichen Strategien gewesen sein.<br />

Später wird Schaltegger sagen, dass er an diesem Tag viele innovative<br />

Ideen und Lösungsansätze von den Studierenden gehört habe. „Es sind<br />

hoch motivierte, sehr reflektierte und intelligente Leute – es macht einfach<br />

Spaß mit ihnen.“<br />

Schaltegger ist ein schmaler, drahtiger 49-Jähriger in Jeans und<br />

Sakko. Und obwohl der Wirtschaftswissenschaftler den Lehrstuhl für<br />

Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-Universität seit 1999 innehat<br />

und in Lüneburg lebt, klingt bei ihm noch immer der Sprachduktus<br />

seiner Schweizer Heimat durch. „Es ist wirtschaftlich einfach notwendig,<br />

sich mit Nachhaltigkeit zu befassen. Unternehmen, die das in<br />

Deutschland ignorieren, können sich eigentlich ihrer Abwicklung widmen,<br />

oder?“ Material oder Energie einzusparen sei schließlich nicht nur<br />

ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch.<br />

2004 hat Schaltegger an der Leuphana-Universität mit dem „Center<br />

for Sustainability Management“ eines der weltweit größten Institute<br />

zum Nachhaltigkeitsmanagement aufgebaut, außerdem den allerersten<br />

MBA für Nachhaltigkeitsmanagement eingeführt und mit dem Sustainability<br />

Leadership Forum eine von den Vereinten Nationen ausgezeich<strong>net</strong>e<br />

Diskussionsplattform für engagierte Unternehmen geschaffen, deren<br />

Vertreter sich dreimal im Jahr zu einem Workshop treffen. Und seine Studierenden<br />

lehrt er die Grundlagen der Betriebswirtschaft, damit sie verstehen,<br />

wie Unternehmen funktionieren. „Denn wenn man die Gesellschaft<br />

nachhaltig verändern will, muss man die Unternehmen bewegen.“<br />

Doch Schaltegger will nicht nur theoretische Konzepte vermitteln, sondern<br />

auch immer den Praxisbezug – so wie durch seine Aufgabenstellung<br />

an diesem Dienstag.<br />

Haris Sefo plant, sich nach seinem Abschluss vor allem um den<br />

Bereich nachhaltige Logistik und Transport in einem Unternehmen zu<br />

kümmern. Felix Czernin möchte in die Politik gehen und in einem Ministerium<br />

Gesetzesvorlagen mitentwickeln. „Für viele Konzepte, die<br />

wir entwickeln, fehlen noch die Rahmenbedingungen. Wenn die stimmen,<br />

ziehen auch die Firmen nach.“<br />

Und Friederike Klöckner? Sie hat sich noch nicht<br />

entschieden. Aber seit Beginn ihres Studiums arbeitet<br />

sie jeden Freitag in der Hamburger Unternehmensberatung<br />

pro.mara consulting, die Dax-30-Unternehmen<br />

bei der Entwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategien<br />

hilft. Dort bereitet sie Präsentationen vor, übernimmt Rechercheaufgaben,<br />

analysiert Wettbewerber von Kunden. Friederike mag<br />

den Job. „Man lernt sehr viel, weil man sich ständig in neue Themen<br />

einarbeiten muss. Und vor allem lernt man, sehr effizient zu arbeiten.“<br />

Gut möglich also, dass Klöckner doch noch ihre Berufung in der Beratung<br />

finden wird. Vielleicht aber wird sie auch in der Autobranche anfangen,<br />

denn für den Sommer hat sie eine Zusage für ein Praktikum in<br />

der Abteilung Konzernforschung Umwelt- und Rohstoffanalyse von<br />

VW erhalten. Sicher ist bisher nur dies: dass das Studium sie bereichert<br />

hat. „Natürlich werde ich dadurch nicht die Welt retten, aber vielleicht<br />

doch ein Stück dazu beitragen, sie zu verbessern.“<br />

Nachhaltigkeit studieren<br />

Executive Master in Energy Management. Der 12-monatige berufsbegleitende<br />

EMEM der Wirtschaftshochschule ESCP Europe wird<br />

seit 2012 auch in Berlin angeboten. Das internationale Programm hat<br />

Präsenzzeiten in London, Madrid, Paris und Neu-Delhi. Die Studierenden<br />

werden für Führungsaufgaben in der Energiebranche geschult.<br />

Die Absolventen sollen die führenden Köpfe der Energiewende in<br />

Europa werden. Voraussetzungen sind ein Master-Abschluss und drei<br />

Jahre Berufserfahrung. Kosten: 22.759 Euro. Mehr über den EMEM:<br />

www.escpeurope.eu<br />

Master in Automotive Systems Engineering – Green Technology.<br />

In Kooperation mit der Autoindustrie bietet die Duale Hochschule<br />

Baden-Württemberg einen berufsintegrierten Master-Studiengang<br />

an. Bereits studierte Ingenieure können sich in der Entwicklung<br />

ökologisch nachhaltiger Fahrzeuge und Automobilkomponenten<br />

weiterbilden. Neben einem überdurchschnittlichen Bachelor in Engineering<br />

wird mindestens ein Jahr Berufserfahrung vorausgesetzt.<br />

Das Master-Programm dauert vier Semester und kostet rund 20.700<br />

Euro. Es startet im Oktober 2013. Mehr dazu: www.dhbw.de<br />

Master in Energy Science and Engineering. Seit 2012 können<br />

sich Bachelor-Absolventen ingenieur- oder naturwissenschaftlicher<br />

Fächer an der Technischen Universität in Darmstadt für das neue<br />

Master-Programm in Energy Science and Engineering bewerben.<br />

Innerhalb von vier Semestern erlernen die Studierenden Kompetenzen<br />

u. a. aus der Architektur, aus dem Bauingenieurwesen und aus<br />

der Physik. Der interdisziplinäre Studiengang hat den Schwerpunkt<br />

Energie. Die Absolventen sollen künftig als Selbständige in der<br />

Energieforschung arbeiten – als Berater und Gutachter für Industrie<br />

oder Politik. Für das Studium sind keine Studiengebühren fällig.<br />

Mehr über das Master-Programm: www.ese.tu-darmstadt.de<br />

Master of International Business and Sustainability. Erstmals<br />

zum Wintersemester 2013 können Bachelor-Absolventen mit dem<br />

neuen Master der Universität Hamburg ihre Kompetenzen in der<br />

internationalen Unternehmensführung und im Nachhaltigkeitsmanagement<br />

stärken. Die Studierenden werden sensibilisiert für die<br />

ethischen, ökologischen und sozialen Implikationen ökonomischer<br />

Wertschöpfungsprozesse. Die Intention ist es, diese Kompetenzen<br />

in globalen Konzernen anzuwenden. Das Programm ist auf zwei Jahre<br />

angelegt, die Studienplätze sind auf 60 Personen beschränkt und<br />

kostenfrei. Mehr Infos: www.wiso.uni-hamburg.de/mibas<br />

Master-studium Effiziente Mobilität in der Fahrzeugtechnologie.<br />

An der Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik der Hochschule<br />

Karlsruhe können sich Bachelor-Absolventen (Maschinenbau,<br />

Mechatronik, Fahrzeugtechnologie) zum Wintersemester 2013 für<br />

einen dreisemestrigen Master einschreiben. In dem neuen Studiengang<br />

werden Kenntnisse zu effizienten Antriebskonzepten und Elektromobilität<br />

vermittelt. Die Absolventen sollen für die Anforderungen<br />

der Autoindustrie im Hinblick auf E-Mobility gerüstet werden.<br />

Die Studienplätze sind rar: Pro Semester werden nur 15 Personen<br />

aufgenommen. Mehr zum Master in Effizienter Mobilität in der Fahrzeugtechnologie:<br />

www.hs-karlsruhe.de<br />

foto: Privat<br />

Constanze Kindel<br />

Finger<br />

In fünf US-Bundesstaaten dürfen Studierende zurzeit ganz legal Waffen<br />

mit zur Uni bringen: Colorado, Mississippi, Oregon, Utah und Wisconsin.<br />

Der Organisation Students for Concealed Carry (SCC) reicht<br />

das nicht. Die Gruppe, gegründet von einem texanischen Politikwissenschaftsstudenten<br />

als Reaktion auf den Amoklauf an der Virginia<br />

Tech, bei dem der Anglistikstudent Seung-hui Cho im April 2007 32<br />

Menschen erschoss, hat über 36.000 Mitglieder und kämpft für das<br />

Recht auf Waffen auf dem Campus – juristisch mit Klagen, symbolisch<br />

mit regelmäßigen „Empty Holster Protests“, bei denen Studenten demonstrativ<br />

mit leeren Pistolenhalftern<br />

zum Unterricht erscheinen.<br />

Reid Smith studiert Medizin an<br />

der Wayne State University in Detroit,<br />

Michigan, und ist im Vorstand von SCC<br />

als Regionalleiter für den Mittleren<br />

Westen und für Entwicklungsfragen<br />

zuständig.<br />

Einen Tag, nachdem wir dieses Interview<br />

vereinbart haben, sind bei<br />

Schießereien an Colleges in Kentucky<br />

und Missouri drei Menschen getötet<br />

und drei weitere verletzt worden.<br />

Wollen Sie wirklich mehr Waffen<br />

auf dem Campus?<br />

Wenn ich das Pech hätte, mögliches<br />

Opfer eines Amokschützen zu werden,<br />

der auf mich zukommt, würde ich mich sicher mit einer Schusswaffe<br />

wohler fühlen als mit dem Wissen, dass mein Campus eine schusswaffenfreie<br />

Zone ist. Wichtig ist, dass SCC sich nur bemüht, Inhabern<br />

einer „Concealed Pistol License“ (CPL), die sich extrem strengen<br />

Hintergrundüberprüfungen unterzogen und Ausbildungslehrgänge<br />

bestanden haben, zu ermöglichen, ihre Schusswaffen auf einem<br />

College-Campus zu tragen. Diese CPL-Inhaber dürfen fast<br />

überall anders Schusswaffen tragen. SCC glaubt nicht, dass diese<br />

verantwortungsbewussten Erwachsenen gefährlicher werden, wenn<br />

sie eine imaginäre Grenze zum Campus eines Colleges überqueren.<br />

Kriminelle tragen ihre Schusswaffen schon in waffenfreien Zonen –<br />

weil sie Kriminelle sind. Ordentlich ausgebildete Studenten haben<br />

ein Recht darauf, sich gegen die zu verteidigen, die ihnen schaden<br />

wollen, und SCC kämpft dafür, dieses Recht wiederherzustellen.<br />

am Abzug<br />

Die amerikanische Studentengruppe SCC glaubt, dass Pistolen<br />

den Unicampus nicht gefährlicher machen. Sondern sicherer.<br />

Ein Gespräch über Amokläufer und Wohnheime für Waffenfreunde.<br />

Vermutlich auch beim Wandern bewaff<strong>net</strong>: Reid Smith,<br />

Medizinstudent in Detroit, kämpft für das Recht,<br />

mit Pistole in Uniseminare gehen zu dürfen.<br />

Im vergangenen Jahr hat der Oberste Gerichtshof von Colorado<br />

Ihnen Recht gegeben – nach vier Jahren juristischer Auseinandersetzung<br />

haben Sie die University of Colorado so gezwungen,<br />

Schusswaffen auf dem Campus zuzulassen.<br />

Das war ein bahnbrechender Sieg für uns. In vielen Staaten ist das Tragen<br />

von Waffen auf dem Campus für CPL-Inhaber gar nicht verboten.<br />

Aber Colleges nehmen es sich heraus, alle Schusswaffen zu verbieten<br />

– obwohl die gesetzliche Regelung in den Bundesstaaten üblicherweise<br />

so ist, dass niemand anders als die Regierung Schusswaffengesetze<br />

erlassen darf. Diese Regelung haben wir genutzt, um das Verbot von<br />

Schusswaffen auf dem Campus der University of Colorado zu kippen.<br />

Nach dem Urteil hat die University of<br />

Colorado separate Wohnheime für<br />

Waffenträger eingerichtet – für die<br />

sich bislang noch kein einziger der<br />

30.000 Studenten beworben hat. Anscheinend<br />

will außer den Mitgliedern<br />

von SCC niemand eine Waffe mit zur<br />

Uni bringen.<br />

Inhaber einer CP-Lizenz müssen in Colorado<br />

wie in den meisten Staaten mindestens<br />

21 Jahre alt sein. Die große,<br />

große Mehrheit der Colleges in Amerika<br />

macht das Leben in Wohnheimen<br />

nur für Studenten im ersten Studienjahr<br />

zur Bedingung, und die sind normalerweise<br />

18 oder 19 Jahre alt. Die Masse<br />

der Studenten, die 19 oder älter sind,<br />

lebt außerhalb des Unigeländes. Deshalb ist es kein Schock für uns,<br />

dass es keine Bewerber für die Unterbringung gegeben hat.<br />

John Davis, einer der Kläger in dem Fall, wollte seine Ruger-P90-<br />

Pistole auf dem Campus als Schutz tragen, weil er die Uni oft<br />

nachts allein verlässt. Fühlen Sie sich ohne Waffe auch so<br />

schutzlos?<br />

Wenn ich meine private Schusswaffe bei mir tragen dürfte, würde ich<br />

das hauptsächlich wegen meines Weges zum Campus und zurück<br />

machen. Ich muss jeden Tag zu Fuß durch die Innenstadt von Detroit<br />

zur Fakultät oder zum Krankenhaus gehen – oft sehr spät und ohne<br />

eine effektive Möglichkeit zur Selbstverteidigung, weil mir das geltende<br />

Gesetz in Michigan verbietet, meine Waffe in einem Unterrichtsraum<br />

oder im Krankenhaus zu tragen. In der Nähe meiner Wohnung<br />

hat es schon viele Überfälle gegeben. Ein Kommilitone, der im<br />

selben Haus wohnt wie ich, ist vor Kurzem in der Nähe überfallen<br />

worden. Ich habe Angst, dass ich als Nächster dran bin.<br />

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Ausgehen IN<br />

Hamburg<br />

drei Produkte,<br />

die wir lieben<br />

Kummerkasten<br />

MaTTHIAS L. VIA MAIL<br />

Auf Stress reagiere ich in letzter Zeit häufig mit Aggression. Meine Kommilitonen bezeichnen<br />

mich schon als Choleriker. Wie lerne ich, meine Aggressionen zu kontrollieren?<br />

Die direkt am Hamburger Uni-Campus gelegene<br />

Pony Bar gehört zu denjenigen Orten, die<br />

man nie wieder verlassen möchte. Weil es dort<br />

aussieht wie in Omas Wohnzimmer, und weil<br />

das selbst ernannte „kleinste Kulturzentrum<br />

Hamburgs“ seiner Umschreibung durchaus<br />

gerecht wird. Von einer studentischen Kulturinitiative<br />

betrieben, steht die Nachwuchsförderung<br />

im Vordergrund. Immer montags gehört<br />

die Bühne neuen Sängern, freitags präsentieren<br />

sich bei der Open-Mic-Session Nachwuchs-Comedians,<br />

und im Hinterzimmer sind<br />

wechselnde Ausstellungen junger Künstler zu<br />

sehen. Der Eintritt ist frei. Wer es hingegen<br />

typisch hamburgisch will, geht am besten auf<br />

ein Matjesbrötchen und ein Astra in den<br />

Schellfischposten. Hamburgs älteste Seemannskneipe,<br />

heute Drehort von Ina Müllers<br />

Musik- und Talksendung „Inas Nacht“, war<br />

einst Haltestelle der vom Fischmarkt nach<br />

Altona führenden Hafenbahn. Und dann? In<br />

den Mojo Club, von dem wir hier jetzt mal<br />

behaupten: der beste Club der Stadt. In den<br />

90er-Jahren war er die erste Adresse für<br />

Dancefloor-Jazz, jetzt wurde er wiedereröff<strong>net</strong>.<br />

Schon das Betreten ist ein Erlebnis: Durch<br />

zwei in den Straßenboden eingelassene Klappen<br />

geht es in den unterirdischen, minimalistischen<br />

Neubau, wo wie einst zu Dancefloor-<br />

Jazz getanzt wird. Klingt retro, ist es auch. Die<br />

Musikanlage macht allerdings den besten<br />

Sound von St. Pauli.<br />

Pony Bar<br />

Allende-Platz 1, 20146 Hamburg<br />

www.ponybar.com<br />

Zum Schellfischposten<br />

Carsten-Rehder-Straße 62, 22767 Hamburg<br />

www.schellfischposten.de<br />

Mojo Club<br />

Reeperbahn 1, 20359 Hamburg<br />

www.mojo.de<br />

von nadine lischick<br />

Der Instagram-Diaprojektor<br />

Sie wollen Ihren Freunden die Fotos aus<br />

dem letzten Urlaub zeigen, haben die Bilder<br />

aber nur auf dem iPhone? Macht nix, denn<br />

der Brite Benjamin Redford hat nun den<br />

Diaprojektor für Smartphones erfunden.<br />

Der „Projecteo“ ist gerade mal so groß wie<br />

eine Streichholzschachtel. Per App können<br />

Nutzer bis zu neun selbst geknipste Bilder<br />

auf ein 35-mm-Filmrädchen übertragen lassen,<br />

die der batterie betriebene Projektor<br />

mithilfe von LEDs an die Wand wirft. Preis:<br />

30 Dollar (ca. 24 Euro) inklusive des ersten<br />

Filmrädchens, das man per Post geschickt<br />

bekommt. Der Projektor ist laut Hersteller<br />

ab April erhältlich. getprojecteo.com<br />

Pony Bar neben der Uni.<br />

Hirschkopf für Veganer<br />

Dass manche Leute sich echte Hirschköpfe an die<br />

Wand hängen, fanden wir schon immer seltsam.<br />

Dieser hier ist, wie man sieht: aus Pappe. Niemand<br />

musste dafür seinen Kopf abgeben, alles bestens.<br />

Die Einzelteile steckt man als 3-D-Puzzle selbst<br />

zusammen. Für Großwildjäger gibt es übrigens<br />

auch Elefanten- und Nashorntrophäen. 85 Euro.<br />

urbanoutfitters.de/decorative-accessories/wallart/icat/wallart<br />

Auf Weltrekordkurs<br />

Bei den Olympischen Spielen in London sah man ihn<br />

überall, den Marathon- und Joggingschuh Nike Flyknit.<br />

Dies ist der Nike Flyknit Lunar1+. Die Produktbeschreibung<br />

liest sich wie das Handbuch einer<br />

Mondlandefähre. Wir machen es kurz: Er sieht super<br />

aus und ist superbequem. 159,95 Euro. nike.de<br />

fotos: Getty Images, PR (4); Illustration: Matthias Seifarth<br />

Dazu ist es zunächst einmal wichtig, herauszufinden, auf<br />

welchen Ursachen die Aggressionen beruhen. Generell sind<br />

Aggressionen etwas sehr Vernünftiges, Gesundes. Sie sind<br />

unsere Art, mit Bedrohungen und Gefahr umzugehen. Wenn<br />

wir ein Pfau wären, würden wir unsere Federn aufstellen. Katzen<br />

stellen ihre Haare auf. Ist die Bedrohung allerdings selbst<br />

gemacht, dann ist sie für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar<br />

und wird negativ bewertet. Wenn ich zum Beispiel<br />

den Anspruch an mich selbst habe, meine Hausarbeiten fertig<br />

zu bekommen, aber gleichzeitig jeden Tag eine Stunde vegan<br />

kochen will und noch zwei andere Projekte laufen habe, führt<br />

Diplom-Psychologe<br />

Jens Hendrik Maier<br />

das Scheitern an diesen Ansprüchen oft zu Frustration. Und<br />

wenn ich dafür keinen Ausgleich finde, kann es passieren, dass<br />

sich diese Anspannung impulsiv auf meine Umwelt entlädt.<br />

Die Trennung zwischen den eigenen Gefühlen und dem Handeln<br />

kann man lernen, aber es dauert oft eine Weile. Für seine<br />

Gefühle Worte zu finden und sich anderen zu öffnen, führt oft<br />

schon zu einer emotionalen Entlastung. Auch Meditation kann<br />

helfen – und Sport. Ein paarmal in den Sandsack hauen. Oder<br />

einfach mal in eine Zitrone beißen. Wenn die Aggressionen allerdings<br />

zu gewalttätigem oder destruktivem Verhalten führen,<br />

sollte man sich Hilfe holen.<br />

„Von den fünf wichtigsten Dingen<br />

im Leben kommt Gesundheit an erster<br />

Stelle, Bildung und Wissen an zweiter<br />

und Wohlstand an dritter. Die<br />

anderen zwei habe ich vergessen.“<br />

Chuck Berry, 86, Musiker<br />

Alles verstanden?<br />

Vom Studenten zum Millionär – so heißen die schönen Legenden, die das digitale<br />

Zeitalter möglich macht. Und drei Yale-Absolventen haben es mal wieder und dabei<br />

scheinbar mühelos geschafft. „Rap Genius“ heißt die Crowdsourcing-Website, die<br />

Mahbod Moghadam, Ilan Zechory und Tom Lehman entwickelt haben. Hier kann<br />

nach Art von Wikipedia jeder Rap-Fan und mittlerweile auch Rapper höchstselbst<br />

Texte und bestimmte Slang-Ausdrücke erklären und versteckte Botschaften oder Metaphern<br />

im Text interpretieren. Inzwischen wurden mehr als eine halbe Million Zeilen<br />

in einem Dutzend Sprachen erläutert. Das Prinzip sei ein Wegweiser für die Zukunft<br />

des Inter<strong>net</strong>s, findet der Inter<strong>net</strong>investor Marc Andreessen, der mit seiner Investmentfirma<br />

Andreessen Horowitz 15 Millionen Dollar in das Start-up gesteckt hat. Denn<br />

genauso gut ließen sich neben Rap auch Texte jeder Art von Literatur interpretieren –<br />

vom Gesetz bis zur Bibel gäbe es schier unendliche Möglichkeiten. rapgenius.com<br />

oder www.rapgeniusdeutschland.com<br />

HOCHSCHUL<br />

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18<br />

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19


A i l e e n T i e d e m a n n<br />

Das sind meine Sachen<br />

Wer studiert, erweitert seinen Horizont. Zum Leben hat der Großteil<br />

der deutschen Studierenden jedoch nur wenige Quadratmeter Platz.<br />

Die meisten von ihnen wohnen in einem WG-Zimmer und müssen<br />

sich auf das beschränken, was ihnen wirklich wichtig ist.<br />

Was das ist, erzählen sie hier.<br />

Die eigene Masche<br />

Diese Jacke? Hat sich Johanna<br />

selbst gestrickt.<br />

fotos: Silke Weinsheimer<br />

Schuhe in allen Variationen<br />

Johanna besitzt insgesamt 50 Paar, auf dem<br />

Foto sieht man ihre Lieblingsmodelle.<br />

zu bunt? Gibt’s nicht<br />

Die Nagellack-Sammlung<br />

von Johanna.<br />

Johanna Mozdzen (21)<br />

aus Bad Bevensen studiert im vierten<br />

Semester Gebärdensprachdolmetschen<br />

in Hamburg und wohnt auf 21 Quadratmetern<br />

in einer 3er-WG.<br />

„Ich mag es gern bunt. Ich kleide mich<br />

farbenfroh, lackiere mir die Fingernägel<br />

und trage auffällige Ohrringe – das gibt<br />

mir das Gefühl, lebendig zu sein. Ich besitze<br />

zwar 50 Paar Schuhe, verfalle aber<br />

sonst nur selten in einen Shoppingrausch.<br />

Lieber beschränke ich mich auf ein Kleidungsstück,<br />

das nachhaltig und fair produziert<br />

ist und eine gute Qualität hat. Dafür<br />

gebe ich gern mehr Geld aus – genauso<br />

wie für teure Wolle, aus der ich mir selbst<br />

Mützen und Pullover stricke. Luxus bedeutet<br />

für mich, mir Lebensmittel aus dem<br />

Biomarkt zu kaufen oder mit meinem<br />

grünen Rucksack auf Reisen zu gehen.<br />

Demnächst fahre ich nach Istanbul zum<br />

Couchsurfing – nicht nur, weil das günstiger<br />

ist als ein Hotel, sondern weil ich die<br />

Menschen und die Kultur des Landes<br />

besser kennenlernen will. Ich bekomme<br />

Bafög und arbeite nebenbei als Kassiererin<br />

im Kiosk des HSV-Stadions und als Hostess<br />

auf Messen. Von dem Geld gönne ich<br />

mir einmal im Monat einen Besuch in einem<br />

guten vegetarischen Restaurant zusammen<br />

mit meinen Mitbewohnerinnen,<br />

und beim Feiern gebe ich meist nicht mehr<br />

als zehn Euro Eintritt aus. Mein Ziel ist es<br />

nicht, reich zu werden, sondern sorgenfrei<br />

leben zu können und einen Beruf auszuüben,<br />

der mich ausfüllt. Ich hoffe auf das<br />

Glück der Ausgeglichenheit.“<br />

50 Bücher, 120 Schallplatten, ein Bett, ein Schreibtisch<br />

und ein paar Lieblingsklamotten – viel mehr braucht<br />

Alejandro Dalenz aus Berlin nicht zum Leben. „Mir<br />

reicht das Nötigste“, sagt der 25-jährige Student der<br />

Agrarwissenschaften, der auf 19 Quadratmetern in einer<br />

2er-WG lebt. Ein Lebensstil, der sich gut mit dem<br />

vereinbaren lässt, was Studierenden durchschnittlich<br />

im Monat an Geld zur Verfügung steht. 812 Euro sind<br />

das laut der aktuellen Sozialerhebung des Deutschen<br />

Studentenwerkes. Die Hälfte davon geht allein für<br />

Miete und Lebensmittel drauf, der Rest für Lehrmaterial,<br />

Gesundheitsversicherung und Transportmittel. Für<br />

Inter<strong>net</strong> und Handy bleiben im Schnitt 35 Euro und<br />

zum Shoppen 50 Euro pro Monat übrig. Wer nebenbei<br />

noch feiern, reisen und seine Schuh- oder Schallplattensammlung<br />

erweitern will, muss kreativ sein und an<br />

anderer Stelle sparen; sich wie Franka Ismer und Elisa<br />

Voigt aus Berlin zu zweit ein WG-Zimmer teilen, Möbel<br />

auf dem Flohmarkt kaufen oder abends lieber mit<br />

seinen Freunden Bier vom Spätkauf trinken statt<br />

Drinks im Club. Ein Auto besitzt keiner der Studierenden<br />

in dieser Geschichte, was den neuesten Zahlen entspricht,<br />

nach denen es von Jahr zu Jahr immer weniger<br />

Hochschüler mit eigenem Pkw gibt. 1991 hatte noch<br />

die Hälfte von ihnen ein Auto, 2009 sind es nur noch 34<br />

Prozent. Dafür steigen die Ausgaben für die Miete von<br />

Jahr zu Jahr. Am teuersten studiert es sich derzeit mit<br />

durchschnittlich 348 Euro Miete pro Monat in München,<br />

dicht gefolgt von Hamburg (345 Euro) und Köln<br />

(333 Euro). Bei solchen Preisen ist es kein Wunder,<br />

dass rund ein Viertel aller Studierenden bei den Eltern<br />

wohnen bleibt und sich nur 17 Prozent eine eigene<br />

Bleibe leisten können. Die Hälfte aller Hochschüler<br />

teilt sich die Wohnung entweder mit Freunden oder mit<br />

dem Partner, und zwölf Prozent leben im Wohnheim.<br />

Doch auch wer sich außerhalb von „Hotel Mama“ sein<br />

eigenes Reich geschaffen hat, ist meist noch längst<br />

nicht unabhängig von seinen Eltern. Fast 90 Prozent<br />

aller Hochschulbesucher werden von ihren Eltern mit<br />

durchschnittlich 445 Euro monatlich unterstützt, womit<br />

Mama und Papa nach wie vor die wichtigste Finanzierungsquelle<br />

der Hochschüler sind. Ob das Studium<br />

ein täglicher Kampf aus Jobben und Lernen ist oder<br />

eine angenehme Symbiose aus Uni und Freizeit, hängt<br />

in Deutschland stark von der sozialen Herkunft eines<br />

Studierenden ab. Je wohlhabender die Familie ist, desto<br />

höher fällt auch der Zuschuss aus, mit dem die Eltern<br />

ihren Kindern das Studium erleichtern. „22 Prozent der<br />

Studierenden haben mehr als 1.000 Euro im Monat zur<br />

Verfügung, ein Viertel weniger als 600 Euro. Das ist<br />

eine sehr deutliche Spreizung“, so Stefan Grob, Sprecher<br />

des Deutschen Studentenwerkes.<br />

Johanna Mozdzen aus Hamburg weiß ihr Glück<br />

zu schätzen: Ihre Eltern greifen ihr beim Studium finanziell<br />

unter die Arme. „Ich fühle mich privilegiert, das<br />

tun zu können, was ich will“, sagt die angehende Gebärdensprachdolmetscherin.<br />

„Luxus ist für mich nicht materieller<br />

Art, sondern in einer tollen WG zu leben, in der<br />

sich alle gut verstehen, und eine Familie zu haben, die<br />

mir immer den Rücken stärkt.“ Und so spricht sie auch<br />

für die anderen Studierenden aus dieser Geschichte, denen<br />

es allen nicht darum geht, sich mit Statussymbolen<br />

zu umgeben, sondern mit Dingen, die einen persönlichen<br />

Wert für sie haben. Mit Erinnerungsstücken an besondere<br />

Momente, Geschenken und Fotos von Freunden<br />

oder noch besser: den besten Freunden selbst. Franka<br />

Ismer hat für ihre Mitbewohnerin Elisa gern ihren<br />

Kleiderschrank auf den Flur gestellt, damit die beiden in<br />

einem Zimmer wohnen können. Viel besitzen die beiden<br />

Berliner Studentinnen nicht, aber dafür lässt ihr Leben<br />

viel Raum für Freiheiten. Ein Auslandsemester?<br />

Eine spontane Reise in den Semesterferien? Das ist alles<br />

kein Problem, wenn die Besitztümer in wenige Umzugskartons<br />

passen. Ihr Leben ist in Bewegung und<br />

kann keinen unnötigen Ballast gebrauchen. Genauso<br />

wie das von Alejandro: „In einem vollgestellten Zimmer<br />

würde ich mich eingeengt fühlen“, sagt der Wahlberliner.<br />

„Ich bin jung und will flexibel sein.“<br />

HOCHSCHUL<br />

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21


Das Lama-Poster erinnert<br />

ihn an seine Wurzeln<br />

und seine zweite Heimat: Bolivien.<br />

Musik statt möbel<br />

Alejandro füllt sein WG-Zimmer lieber<br />

mit Hip-Hop als mit teuren Möbeln.<br />

Zum Beispiel mit Songs von den<br />

Beginnern aus seiner Heimatstadt Hamburg.<br />

Alejandro Dalenz (25)<br />

aus Hamburg studiert im dritten<br />

Semester Agrarwissenschaften<br />

an der Humboldt-Universität<br />

in Berlin. Er lebt auf 19 Quadratmetern<br />

in einer 2er-WG.<br />

Auf seinem Synthesizer<br />

experimentiert der ehemalige Orchestermusiker<br />

mit elektronischer Musik.<br />

„Bei einem Brand in meiner Wohnung<br />

würde ich als Erstes mein<br />

Cello retten. Die Nachbarin meiner<br />

Eltern hat es mir geschenkt,<br />

als ich noch in einem Orchester<br />

gespielt habe. Es hat ihrem Mann<br />

gehört, der schon im Zweiten<br />

Weltkrieg darauf gespielt hat.<br />

Ansonsten mache ich mir nicht<br />

viel aus wertvollen Besitztümern.<br />

Mein Regal habe ich mir aus einer<br />

Malerleiter für zwei Euro vom<br />

Flohmarkt gebaut, und in meinem<br />

Schrank liegen nur drei Paar<br />

Jeans, zehn Pullover und nicht<br />

mehr als 20 T-Shirts. Wichtig sind<br />

mir vernünftige Lautsprecherboxen,<br />

damit ich meine Musik schön<br />

laut aufdrehen kann. Ich besitze<br />

120 Schallplatten, darunter viel<br />

Hip-Hop, Noise-Rock, Funk, Soul<br />

und Electro. Wenn ich etwas lese,<br />

dann hauptsächlich Sachbücher,<br />

weil mir Romane zu realitätsfern<br />

sind. Ich habe ungefähr 50 Bücher<br />

über Umweltthemen, über die<br />

RAF und über die Globalisierung.<br />

Mein Smartphone habe ich schon<br />

seit vier Jahren; es funktioniert<br />

kaum noch. Wenn mein Vertrag<br />

ausläuft, dann kaufe ich mir wieder<br />

ein normales Handy, weil ich<br />

unterwegs gut auf Facebook und<br />

E-Mails verzichten kann. Insgesamt<br />

komme ich gut mit meinem<br />

Geld aus – und bin meinen Eltern<br />

dankbar, dass sie mein Studium<br />

finanzieren.“<br />

Zwei Paar Turnschuhe<br />

zum Wechseln, eines hat er an,<br />

das muss reichen.


Elisa Voigt (27)<br />

Franka Ismer (27)<br />

aus Bad Düben bei Leipzig studiert<br />

im dritten Semester Psychologie an<br />

der International Psychoanalytic<br />

University in Berlin und teilt sich<br />

mit Franka Ismer ein 18 Quadratmeter<br />

großes Zimmer in einer 6er-WG.<br />

aus Cottbus studiert im dritten<br />

Semester Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation<br />

in Berlin.<br />

Sie teilt sich mit Elisa Voigt ein<br />

18 Quadratmeter großes Zimmer<br />

in einer 6er-WG.<br />

„Ich bin kein Zimmermensch.<br />

Ich brauche immer viele Leute um<br />

mich, bin meistens in der Küche<br />

und kann mich sowieso fast überall<br />

wohlfühlen. Franka und ich<br />

verbringen eh unsere gesamte<br />

Zeit miteinander, sodass es für<br />

uns absolut sinnvoll ist, in einem<br />

Zimmer zu schlafen. So sparen<br />

wir Miete, und ich habe genug<br />

Geld übrig, um spontan zu verreisen,<br />

im Biomarkt zu shoppen oder<br />

mir immer wieder neue blaue und<br />

graue Stoffschuhe zu kaufen, von<br />

denen ich unverhältnismäßig<br />

viele besitze. Mein Geld verdiene<br />

ich als studentische Hilfskraft an<br />

der School of Design Thinking an<br />

der Uni Potsdam. Ich besitze ein<br />

MacBook und ein Smartphone,<br />

aber den größten Wert haben für<br />

mich Dinge, zu denen ich einen<br />

persönlichen Bezug habe. Zum<br />

Beispiel mein gelber Nachttisch,<br />

den mir eine Freundin gebaut<br />

und zum Geburtstag geschenkt<br />

hat – oder der Schal, den mir<br />

Franka mit ihrer Nähmaschine<br />

genäht hat.“<br />

Wer sich ein Zimmer teilt, muss sich auf<br />

das Nötigste beschränken – für Elisas Stoffschuhsammlung<br />

ist trotzdem noch genug Platz.<br />

Fotos von Freunden<br />

zieren die Wände.<br />

„Materieller Besitz hat keine große<br />

Bedeutung für mich. Viel wichtiger<br />

ist mir, immer jemanden<br />

zum Quatschen in der Nähe zu<br />

haben. Ich teile mir gern ein Zimmer<br />

mit Elisa, auch wenn ich mich<br />

deshalb auf das Nötigste beschränken<br />

muss. Unsere Betten<br />

dominieren das Zimmer und sind<br />

eine Art Kommunikationsplattform<br />

in der WG. Mehr passt kaum<br />

rein in unser gemeinsames Reich,<br />

außer ein paar Pflanzen, meinen<br />

200 Büchern, einer Nähmaschine<br />

und einem Kleiderschrank. Alles,<br />

was wir besitzen, hat in irgendeiner<br />

Form einen emotionalen Wert.<br />

An der Wand hängt eine Girlande<br />

mit Fotos von Freunden, und unsere<br />

Möbel sind Fundstücke vom<br />

Flohmarkt oder Geschenke von<br />

Freunden. Pro Monat zahlen wir<br />

zusammen nur 315 Euro Miete –<br />

das hat den entscheidenden Vorteil,<br />

dass wir keine Jobs annehmen<br />

müssen, die uns nicht gefallen.<br />

Obwohl ich mich gut einschränken<br />

kann, bin ich bei einer<br />

Sache maßlos: Ich besitze 50 Kleider<br />

und kaufe ständig neue dazu.“<br />

Mit ihrer Nähmaschine<br />

näht sich Franka Laptoptaschen<br />

und Leggins.


G a b r i e l e H e r p e l l<br />

Anleitung zum<br />

Glücklichsein<br />

Verlockend, nicht wahr? Was wäre, wenn es wirklich jemanden<br />

gäbe, der weiß, wie das geht? Offen, positiv, zufrieden und mit<br />

sich im Reinen sein. Ein Besuch bei einem Mann, der kein<br />

Guru sein will, sondern Lehrer-Ausbilder. Und der<br />

dabei ist, einem ganzen Dorf beizubringen, wie man<br />

ein freudvolles Leben führt.<br />

illustration:<br />

Marie Emmermann /<br />

Skizzomat<br />

➽ Der Philosophenweg in Heidelberg wurde berühmt, weil verliebte Studierende<br />

ihn gern entlang spazierten und mit Blick auf den Neckar flirteten. Steil schwingt<br />

er sich bergauf, auf der linken Seite die Fakultät für Physik der Heidelberger Universität,<br />

rechts die Nummer sechs: In dem dunkelroten Haus lebt und arbeitet<br />

Ernst Fritz-Schubert. Der Mann, 63 Jahre alt, klein, sportlich, graublonder<br />

Schnauzbart, Polohemd, ehemaliger Lehrer und Schuldirektor, ein Energiebündel.<br />

Heute sieht er etwas zerknittert aus, hat noch einen leichten Jetlag, ist erst am<br />

Vorabend von einer Bildungskonferenz in Südkorea zurückgekehrt. Solche Einladungen<br />

erhält er jetzt häufig, weil er vor fünf Jahren ein Schulfach erfunden hat,<br />

wie es bis dahin keines gab: Glück. Mittlerweile wird Glück an über hundert<br />

Schulen im deutschsprachigen Raum unterrichtet. Ernst Fritz-Schubert hat nach<br />

25 Jahren als Lehrer den Schuldienst verlassen – „es war toll, aber plötzlich gab es<br />

neue Perspektiven“ – und ein Institut zur Persönlichkeitsentwicklung gegründet.<br />

Dort therapiert er Jugendliche mit Schulproblemen. Bildet Lehrer aus, die<br />

Glück in ihren Fächerkanon aufnehmen möchten. Und, dieses Jahr erstmalig,<br />

Grundschullehrer und Erzieher. Ganz schön stressig, seufzt Ernst Fritz-Schubert.<br />

Und strahlt. Er liebt sein Leben. Glück ist, sagt er, abhängig von der Einstellung<br />

und der Haltung jedes Einzelnen. So verspüren die meisten Leute in der<br />

Woche weniger Lebensfreude als am Wochenende. Obwohl sie am Wochenende<br />

oft langweiligere Dinge tun als unter der Woche, wenn sie arbeiten. Aber sie empfinden<br />

Arbeit, egal was sie beinhaltet, als Pflicht. Das schmälert ihr Vergnügen.<br />

Müsste es aber nicht. Die ersten Schüler, die am Unterrichtsfach Glück in Heidelberg<br />

teilnahmen, fühlten sich später, das ergab eine Auswertung, wohler in der<br />

Gruppe, betrachteten Schule positiver und empfanden mehr Lebenssinn.<br />

Kann man Glück lernen?<br />

Ernst Fritz-Schubert: Ja. Ich lerne, dass ich mein Leben selbst gestalten kann, in<br />

meinem Rahmen natürlich. Ich kann etwas tun, damit ich mich heute ein bisschen<br />

besser fühle als gestern. Ich kann gerechter werden, mal die Klappe nicht so aufreißen.<br />

Gewissenhaft sein, nicht so nachlässig. Lächeln. Es gibt keine absoluten Ziele,<br />

nur individuelle.<br />

Was genau machen Sie im Schulfach Glück?<br />

Die Schüler sagen: „Das, was wir in Ethik erklärt bekommen, üben wir in Glück.“<br />

Und was sagen Sie?<br />

Der Unterricht hilft, lebensfähig zu werden. Er versucht, auf eine Reihe von Fragen<br />

einzugehen: Wie muss ich mich entwickeln, als unvollkommenes menschliches<br />

Wesen? Was sind meine Haltungen, meine Einstellungen? Was sind die<br />

Faktoren für ein gelingendes Leben? Kann ich da etwas beeinflussen?<br />

Glück liegt manchmal allerdings außerhalb der eigenen Macht.<br />

Natürlich. Mir kommt es gerade darauf an, die weniger glücklichen Augenblicke in<br />

diesen Glücksbegriff zu integrieren. Wie in einem Meer: Es gibt Wellen, und es gibt<br />

Wellentäler. Beides zusammen macht unsere Lebensfreude aus. Mit beidem umzugehen,<br />

muss ich lernen.<br />

Ist Glück denn das richtige Wort? Ist der Charakter von Glück nicht gerade,<br />

dass es flüchtig und nicht festzuhalten ist?<br />

Es gibt das subjektive Glück, das sich auf den Moment bezieht, und es gibt das habituelle.<br />

Da geht es um den Weg. Um das Erblühen. Der Glücksmoment ist das eine,<br />

die Fülle des Lebens das andere. Vielleicht ist Lebenskunst auch ein guter Begriff.<br />

➻ Das wird jetzt etwas philosophisch. Fritz-Schubert springt auf, läuft zu seinem<br />

Schreibtisch, winkt, klickt einen Film am Computer an. Fünf oder sechs Schüler<br />

stehen auf einer Holzplatte, die auf einer Kugel liegt. Die anderen sitzen im Kreis<br />

drum herum. Es ist eine 9. Klasse, neu zusammengestellt, die Jugendlichen kommen<br />

von der Hauptschule und möchten einen mittleren Bildungsabschluss machen.<br />

Sie haben einmal in der Woche Glück, Doppelstunde. Der Lehrer ist Ernst<br />

Fritz-Schubert, der Film wurde an seiner ehemaligen Schule während seines Unterrichts<br />

gedreht. Die Schüler müssen sich so auf der Platte formieren, dass sie im<br />

Gleichgewicht bleibt und nicht kippt. Sie halten sich aneinander fest, reißen sich<br />

wieder los, albern herum, reden durcheinander, machen Späßchen. Gleichzeitig<br />

stellen sie fest, dass man die Schweren in die Mitte stellen muss und die Leichten<br />

nach außen, dann kann man sich besser bewegen. Sie sollen Rollen spielen, Familienmitglieder:<br />

Mann und Frau, Kind, Großmutter. Noch mehr Späßchen: „Oh, hat<br />

der Vater ’ne Neue?“ – „Wer soll denn die Neue sein?“ Gekicher, Gerangel. Fritz-<br />

Schubert fragt: „Wie ist denn jetzt das Gleichgewicht? Wie ist das, wenn dauernd<br />

Leute dazukommen? Oder weggehen?“ Ein Schüler, der nicht auf der Platte steht,<br />

denkt angestrengt nach, es arbeitet in ihm. Dann entschließt er sich, zu reden. „Wenn<br />

der Sohn auszieht, ist die Familie aus dem Gleichgewicht, weil die Mutter es vielleicht<br />

nicht will. Es gibt Streit. Aber irgendwann lässt sie ihn in eine eigene Wohnung<br />

ziehen und gewöhnt sich daran, das Leben ohne ihren Sohn zu führen.“ Fritz-<br />

Schubert, in seinem Arbeitszimmer, strahlt. „Mutig, oder?“, sagt er. „Der hatte große<br />

Probleme in seiner Familie.“<br />

Im Film strahlt Fritz-Schubert auch. Und fragt: „Was ist nötig, wenn der Sohn<br />

auszieht?“ – „Sie muss sich bewegen“, sagt der Junge und zeigt auf die Mutter. Das<br />

Mädchen, das die Mutter spielt, rückt weiter in die Mitte. Die Platte, die schief gestanden<br />

hat, ist wieder gerade. Dann fragt Fritz-Schubert, im Film, ob das Spaß gemacht<br />

hat. Die Schüler nicken. „Warum“, fragt er weiter. Einer sagt: „Weil es in der<br />

Gruppe war. Weil wir uns gegenseitig geholfen haben. Das kann man auch im Alltag<br />

benutzen: Man kann der Mutter helfen, wenn der Vater sie verlässt.“<br />

Ernst Fritz-Schubert: Sehen Sie? Die Schüler erleben etwas. Und sie fühlen etwas.<br />

Dann erst kommt die Frage, ob sie etwas daraus lernen können, für ihren Alltag.<br />

Was hat Sie auf die Idee für dieses Fach gebracht?<br />

Meine Lieblingsbeschäftigung war immer genau das, was vielen Lehrern gar keinen<br />

Spaß macht: zu ergründen, warum einzelne Schüler Mist bauen. Sich verweigern.<br />

Ständig fehlen. Es gibt ja einen Grund fürs Unglücklichsein. Ich wollte den<br />

Schülern helfen, aus den Schwierigkeiten herauszufinden. Und habe oft gehört:<br />

„Sie waren der Einzige, der mir je etwas zugetraut hat.“ Stellen Sie sich vor, wie<br />

groß da die Sehnsucht ist.<br />

Macht Schule prinzipiell unglücklich?<br />

Das Prinzip von Schule ist, belehren zu wollen. Mit einer ganz geringen Nachhaltigkeit<br />

übrigens. Wir sind alle dazu ausgebildet worden, als Fehlerfahnder zu<br />

arbeiten. Wir sollten eigentlich Schatzsucher sein. Das Fahnden nach Fehlern ist<br />

keine böse Absicht, das hängt mit unserer Wissenschaftsgläubigkeit zusammen.<br />

Fehler ausschließen zu wollen, ist ja auch richtig. Aber wenn wir das Fehlerausschlussprinzip<br />

zu sehr perfektionieren, suchen wir nur noch Fehler. Daraus<br />

resultiert der von Eltern oft gehörte Satz: „Ihr Kind macht keine Probleme.“ Ja,<br />

Gott sei Dank. Aber ist das positiv?<br />

Wie sollte es sein?<br />

Kinder wollen sich bilden und die Welt erobern und einen Platz in ihr finden. Sie<br />

wollen aber fragen und suchen und keinen Platz zugewiesen bekommen. Kurz<br />

gesagt: Lehrer dürfen keine Fächer unterrichten, sondern Menschen.<br />

Hat Schule die Aufgabe, zu erziehen?<br />

Schule hat die Aufgabe, den Beziehungsradius eines Schülers zu erweitern. Ihm<br />

eine Beziehung über Kind–Mutter, Kinder–Vater–Mutter, Kind–Freunde hinaus<br />

anzubieten. Und Schule muss ein Korrektiv sein.<br />

➼ Fritz-Schuberts Handy läutet, Klingelton Kuhglocken. Eine Kollegin ist dran, die<br />

gerade mit ihm zusammen an einem Happiness-Institut für Coca-Cola herumdenkt.<br />

Beim nächsten Anruf geht es um einen 8.000-Seelen-Ort im Schwarzwald, der sich<br />

dem Gemeindeglück unter Fritz-Schuberts Anleitung verschrieben hat. Veränderungen<br />

im Kleinen, die Großes bewirken können. Dass die Kassiererin im Supermarkt die<br />

Ware mal nicht mit unbewegtem Gesicht übers Band zieht, sondern „Guten Tag“ sagt<br />

und lächelt. Freundlichkeit, Achtsamkeit, ein bisschen Wärme – man kann viel erreichen,<br />

sagt Fritz-Schubert, wenn man in Kontakt tritt zu den Menschen. Sich interessiert<br />

für andere. Interesse heißt ja: unter anderen sein. Es geht also hoch her im Leben<br />

des Herrn Fritz-Schubert, seit er das Fach Glück entwickelt hat: Schwarzwald;<br />

Coca-Cola; und Südkorea. Ein Thema der internationalen Bildungskonferenz in<br />

Seoul, zu der er eingeladen war, waren die Probleme des südkoreanischen Bildungssystems:<br />

Mobbing, Suizide, alarmierende Zahlen. Sie sind dort, sagt Fritz-<br />

Schubert, schon eine Stufe weiter als wir: noch mehr Wettbewerb, noch mehr<br />

Leistungsprinzip. Und wenn Aufsteigen erwartet wird, sagt er, muss man sich<br />

dem System unterwerfen. Muss man lavieren, unehrlich sein, unauthentisch. Sich<br />

auffällig verhalten, um Aufmerksamkeit zu bekommen: genügend „Likes“ auf<br />

Facebook. Eine Menge unglückliche, extrem gestresste Schüler also, und das<br />

Glücksfach soll dabei helfen, dass sie als Persönlichkeiten dennoch reifen können.<br />

Und in ihrem Leben wieder einen Sinn sehen.<br />

Fritz-Schubert, studierter Ökonom und Jurist, ist selbst einer, der sich ständig<br />

entwickelt. Ursprünglich waren seine Unterrichtsfächer BWL und VWL. Später<br />

machte er eine Lehrerfortbildung, um auch Ethik lehren zu können. Das Fach kam<br />

seinem Wunsch, den Schülern mehr als Wissen zu vermitteln, schon ziemlich nah.<br />

Dann entdeckte er die systemische Therapie, die nicht in der Vergangenheit wühlt,<br />

sondern in die Zukunft blickt und lösungsorientiert vorgeht. Er ließ sich zum Therapeuten<br />

schulen. Und läuft zum Ausgleich Marathon und fährt Radrennen. Unter Fritz-<br />

Schuberts Anleitung und der anderer Experten lernen Lehrer, das Fach Glück zu unterrichten.<br />

Ein Wochenende im Monat, ein Jahr lang, für 2.400 Euro, dann können sie<br />

das Fach als Wahlfach an der Schule anbieten, an der sie unterrichten. Die meisten<br />

Lehrer, die zu Fritz-Schubert kommen, sind schon eine Weile im Beruf und ratlos,<br />

frustriert, ausgebrannt.<br />

Auf der Website des Fritz-Schubert-Institutes schreibt eine von ihnen, dass ihr<br />

Beruf und ihr Leben wieder einen Sinn bekommen haben, seit sie Glück unterrichtet.<br />

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V o n D a n i e l H a a s<br />

Krasse Ticks,<br />

viele Klicks<br />

Jenny Lawson ist der Superstar der amerikanischen Bloggerszene, Millionen lesen<br />

ihr Web-Tagebuch im Netz. Ausgerech<strong>net</strong> so jemand hat massive Angst vor Menschen –<br />

und muss jetzt auch noch auf Lesereise gehen.<br />

Wer glaubt, die eigene Kindheit sei schlimm<br />

gewesen, sollte sich Folgendes fragen: Musste<br />

ich Einkaufstüten als Schuhe tragen? War das<br />

Leitungswasser zu Hause mit Radon vergiftet?<br />

Sagte meine Mutter, als man sie darauf ansprach:<br />

„Kein Problem, die Kids würden das<br />

gar nicht runterkriegen, so giftig ist das!“? Hat<br />

mein Vater Gürteltiere im Wald gefangen, um<br />

mit ihnen professionelle Rennen zu veranstalten?<br />

Waren unsere Haustiere Truthähne? Und<br />

verfolgten sie mich auf dem Weg zur Schule?<br />

Willkommen in der Welt von Jenny<br />

Lawson, 38, der erfolgreichsten Bloggerin<br />

Amerikas. Ihr Leben in Wall, einem texanischen<br />

200-Seelen-Kaff, ist mittlerweile Allgemeingut<br />

der Netzgemeinde, rund drei Millionen<br />

Klicks verzeich<strong>net</strong> ihre Website<br />

thebloggess.com jeden Monat. Die Anekdoten<br />

dieser schrägen Biografie sind so beliebt,<br />

dass auch die Buchverlage Schlange standen.<br />

Letztes Jahr erschien Lawsons Debüt auf Papier.<br />

„Let’s Pretend This Never Hap pened“<br />

schoss aus dem Stand auf Platz zwei der Sachbuchbestseller-Liste<br />

der New York Times,<br />

jetzt erscheint das Buch beim neu gegründeten<br />

Verlag Metrolit in Berlin.<br />

So kann man noch mal die einzelnen Stationen<br />

einer Vita nachvollziehen, die sich Woody<br />

Allen ausgedacht haben könnte – nach dem Konsum sehr vieler Horrorfilme.<br />

Das Aufwachsen mit einem Tierpräparator als Vater („Ich<br />

habe immer allen erzählt, er wäre Waffenhändler, weil das spannender<br />

klang“), die schreckliche Highschool-Zeit („Ich war das einzige Gothic-Mädchen,<br />

es war wie ein Auftritt von Jethro aus ‚Die Beverly Hillbillies<br />

sind los‘ in einem Video von The Cure, nur das genaue Gegenteil“),<br />

die Verlobung mit Victor, mit dem sie bis heute verheiratet ist. „In<br />

der Junior High habe ich viel von Danielle Steele gelesen. Deshalb<br />

fotos: Jenny Lawson / Metrolit Verlag<br />

Lawsons Vater war Tierpräparator, auch<br />

die Tochter sammelt Vierbeiner. Diese<br />

Katze ist noch am Leben.<br />

habe ich mir immer vorgestellt, ich würde am<br />

Tag meiner Verlobung nackt sein, nur von Rosenblüten<br />

bedeckt, und mit dem Bruder des<br />

Mannes schlafen, der mich entführt hat.“ So<br />

klingt Romantik, wenn Lawson sie durchs Säurebad<br />

ihrer Neurosen zieht.<br />

Victor gehört zum festen Personal der hanebüchenen<br />

Storys. Gemeinsam zieht man ein<br />

Töchterchen groß, Hailey, sieben Jahre alt. Sie ist<br />

auch der Grund, warum Lawson mit dem Schreiben<br />

anfing. „Aufgrund der vielen Antidepressiva<br />

leide ich an Gedächtnisschwächen. Ich wollte,<br />

dass meine Tochter später erfährt, warum ich so<br />

geworden bin“, schreibt Lawson, die grundsätzlich<br />

keine persönlichen Interviews gibt, auf eine<br />

Mail des F. A. Z. Hochschulanzeigers.<br />

Es klingt wie ein Witz, ist aber vollkommen<br />

ernst gemeint: Amerikas erfolgreichste<br />

Netzautorin leidet seit ihrer Jugend an Depressionen,<br />

Angstzuständen und Zwangsstörungen.<br />

Und genau diese Pathologie nutzt sie für<br />

ihren rasanten, höchst skurrilen, zutiefst<br />

menschlichen Humor.<br />

Die Leser verehren sie für diese radikale<br />

Offenheit. Psychisch Kranke schreiben ihr<br />

Fanmails zu Tausenden, Selbstmordgefährdete<br />

bedanken sich bei ihr, weil sie sich nicht<br />

mehr allein fühlen. In Lawson haben sie eine<br />

Verbündete, die das eigene Leid mit grimmigem Witz pariert. Dass<br />

die Autorin nun aufgrund des immensen Erfolges Lesereisen absolvieren<br />

muss, ist selbst schon eine zynische Pointe. Wie schafft sie<br />

denn die Auftritte bei all den Ängsten? „Mit einer Masse Tabletten.“<br />

Und wie ist es, wenn man Leuten begeg<strong>net</strong>, die so ziemlich alles<br />

über einen wissen? „Die sind ja meistens genauso schüchtern<br />

wie ich, klammern sich an ihrem Drink fest und hoffen, dass alles<br />

schnell vorbeigeht.“<br />

Das Buch ord<strong>net</strong> Lawsons Krisenberichte zu einer losen Autobiografie,<br />

der mäandernde Stil der Blogeinträge bleibt erhalten. Man<br />

kann den Text deshalb an jeder Stelle aufschlagen und staunen über<br />

das tragikomische Potenzial des dysfunktionalen Alltages. Zum Beispiel<br />

die Post-its, mit denen die Autorin ihren Mann traktiert – ein<br />

Bravourstück über Obsession. Zettel 1: „Lieber Victor, dieses Badehandtuch<br />

war nass und du hast es auf dem Boden liegen lassen. Ich<br />

bin ziemlich sicher, dass sich Tuberkulose auf diesem Weg ausbreitet.<br />

Ich schreibe das alles in meinem Blog für den Fall, dass ich wegen<br />

deiner Nachlässigkeit sterben muss.“ Zettel 2: „Warum kannst du<br />

leere Pizzaschachteln nicht einfach wegwerfen, wenn du die Pizza<br />

gegessen hast? Hast du eine Art Krankheit, von der ich nichts weiß<br />

und die bewirkt, dass du leere Pizzaschachteln nicht siehst?“ Zettel 3:<br />

„Okay, mir fällt gerade ein, ich habe die Schachtel stehen lassen. Ich<br />

lasse den Zettel trotzdem hängen, dann kannst du etwas lernen.<br />

Schlimm, schlimm, Victor.“<br />

Ob sich alle Geschichten wirklich eins zu eins zugetragen haben,<br />

ist fraglich. „A Mostly True Memoir“ – weitgehend wahre Erinnerungen<br />

– ist der Untertitel des englischen Originals (die deutsche<br />

Ausgabe verzichtet auf den Vermerk). Damit sichern sich Verlag<br />

und Autorin gegen mögliche Rechtstreitigkeiten ab. In Amerika<br />

nimmt man es seit dem Buchskandal um James Frey, der sich 2003<br />

eine Drogenkarriere zusammenfantasierte, sehr genau mit den Fakten.<br />

„Vor allem aber würde ich nie etwas schreiben, das ich nicht<br />

auch laut zu meiner Oma sagen würde“, steht in Lawsons Mail.<br />

„Zum Glück ist meine Oma ziemlich cool.“<br />

Tragisch, komisch: Das Buch sei eigentlich<br />

für ihre Tochter Hailey, sagt Jenny<br />

Lawson. Damit das Kind später mal<br />

versteht, was die Mischung aus Kleinstadt<br />

und Depressionen so aus einem macht …<br />

Jenny Lawson. The Bloggess:<br />

„Das ist nicht wahr, oder?“,<br />

Metrolit Verlag, 360 S., 19,99 Euro.<br />

HOCHSCHUL<br />

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28


ARRIERE<br />

Supersatz<br />

„Ich wollte immer<br />

nur Sachen ausprobieren<br />

– nur hat<br />

das Erste sofort<br />

geklappt. Konnte ja<br />

keiner wissen.“<br />

Lena Meyer-Landrut,<br />

21, Sängerin<br />

headhunter-Talk<br />

WIE HABEN SIE DAS GEMACHT?<br />

Dr. Robert Winterhalter ist seit fast zehn Jahren Personalberater im Executive-Search<br />

und kümmert sich bei TRANSEARCH International um den<br />

Handel und die Konsumgüterindustrie.<br />

Der Handel ist mit seinen vielen unterschiedlichen Märkten und Produktportfolios ein sehr komplexes Betätigungsfeld<br />

geworden. In operativen Führungspositionen ist daher großes Fachwissen gefragt, und die Studienfächer<br />

definieren, in welchem Segment man startet. Bevor man sich in seinen Studienschwerpunkten<br />

festlegt, sollte man sich also selbst klarmachen, wohin man möchte: ins Marketing, zu den Human Resources,<br />

zur Supply-Chain oder den direkten vertrieblichen Weg über die Ladengeschäfte suchen?<br />

Anschließend geht es darum, ein Unternehmen mit der passenden Kultur zu finden. Da hilft es oft<br />

schon, sich die Websites anzuschauen, die Schlagworte ernst zu nehmen und sich zu fragen, welche davon<br />

einem selbst wichtig wären. Oder man ruft einfach in der Personalabteilung an und hakt nach. Wer zum<br />

Beispiel gern international arbeiten möchte, muss sich gezielt bei solchen Unternehmen bewerben. Normalerweise<br />

sind die deutschen genossenschaftlichen Handelsketten noch immer eher national verwurzelt,<br />

da sind Auslandssemester und interkulturelle Kompetenzen vordergründig nicht von so großer Bedeutung<br />

wie in anderen Branchen.<br />

Neben den unabdingbaren Soft- und Führungsskills gewinnen Komplexitätsmanagement und übergreifende<br />

Wertschöpfungsbetrachtungen immer mehr an Bedeutung. Auch Programmierer und Datenspezialisten<br />

finden im Handel ein spannendes Betätigungsfeld – denn „Big Data“ und elektronische Datenanalyse<br />

spielen künftig eine sehr wichtige Rolle.<br />

BEWERBUNGSCOACH<br />

Wie bekomme ich<br />

meine Angst in<br />

Bewerbungsgesprächen<br />

in den Griff?<br />

Eigentlich ist Angst unser Freund. Sie schützt uns, warnt uns vor<br />

Gefahr, sichert unser Überleben. Angst macht uns wachsamer und<br />

reaktionsschneller. Sie sorgt dafür, dass wir uns gut vorbereiten und<br />

nicht zu leichtfertig handeln – und meist verfliegt sie in einem Vorstellungsgespräch<br />

nach wenigen Minuten. Bei dieser normalen Angst<br />

hilft es oft, sie kurz anzusprechen. Wer im Gespräch einfach sagt<br />

„Im Moment bin ich sehr aufgeregt“, der zeigt, dass er sich selbst<br />

gut kennt und auch mit kleinen Schwächen natürlich umgeht. Es<br />

gibt aber auch eine andere Art von Angst. Eine, die uns nächtelang<br />

nicht schlafen lässt, bei der das Herz rast und der Magen brennt. Der<br />

Körper reagiert, als sei er in Lebensgefahr, als kämpfe er mit einem<br />

Raubtier – dabei geht es doch nur um einen Job oder ein Praktikum.<br />

Natürlich wird das in Vorstellungsgesprächen zum Problem. Denn<br />

wer die ganze Zeit innerlich mit einem Löwen ringt, vergisst jede<br />

Vorbereitung. Das ist eine Art Über reaktion der Psyche, sozusagen<br />

eine falsche Verknüpfung. In diesem Fall hilft professionelle<br />

Unterstützung. Oft reichen drei Termine aus, das falsche Verhältnis<br />

zwischen Angst und Situation aufzulösen. Das funktioniert tatsächlich<br />

ein bisschen wie am Computer: Während der Sitzungen wird<br />

die falsche Verbindung gelöscht, als würde man ein über flüssiges<br />

Verknüpfungssymbol auf seinem Desktop entfernen. Und der Button<br />

„Raubtier“ ist weg …<br />

Martina Rehberg-Rechtenbach ist Bewerbungscoach mit dem Schwerpunkt<br />

Akademikerberatung. In jeder Ausgabe klärt sie eine der vielen Fragen<br />

auf dem Weg zwischen Annonce und Vorstellungsgespräch.<br />

Meister<br />

statt Master<br />

Man kann sich vorstellen, wie an einem<br />

Schreibtisch in einem Büro in Münster diese<br />

Idee entstanden ist: wie jemand zwei rote<br />

Kringel um die Zahl der Bachelor-Studenten<br />

gemacht hat, die jedes Jahr ihr Studium abbrechen<br />

(jeder dritte), und um die Zahl der<br />

offenen Lehrstellen in deutschen Handwerksbetrieben:<br />

15.000. Aus diesen beiden<br />

Zahlen ist das Projekt „Und morgen Meister“<br />

entstanden, mit dem in Münster Arbeitsagentur<br />

und Handwerkskammer kooperieren,<br />

um Studi en ab brecher aus dem Hörsaal in<br />

Handwerksberufe zu vermitteln. Auch bundesweit<br />

wirbt das Handwerk mit der Initiative<br />

„Karriereprogramm Handwerk“ um Studi en abbrecher<br />

sowie mit dem Versprechen auf eine verkürzte<br />

Ausbildungszeit, dank der man es innerhalb<br />

von nur drei Jahren zum Meister bringen<br />

kann. www.karriereprogramm-handwerk.de<br />

Praktikum in SpielefiRma<br />

Praktikum in Werbeagentur<br />

Designstudium<br />

Selbständiger Gamedesigner<br />

Frankfurt<br />

Darmstadt<br />

Köln<br />

Köln<br />

Krystian Majewski, 30, arbeitet als Computer spielentwickler.<br />

Sein Erfolg verdankt er unter anderem: einem digitalen Autounfall<br />

Spiele entwickeln ist meine Art, mich auszudrücken. Ich habe schon als<br />

Kind viel am Computer gespielt, meine Eltern haben sich damals immer<br />

Sorgen gemacht. Sie meinten, ich sollte lieber mal rausgehen.<br />

Nach dem Abi habe ich zwei Praktika gemacht, eines bei einem kleinen<br />

Computerspielentwickler und eines bei einer Werbeagentur. Das war<br />

eine sehr lehrreiche Zeit. Ich dachte zum Beispiel immer, um etwas mit<br />

Computerspielen machen zu können, müsste man Programmierer werden.<br />

Aber Programmierer sind oft nur die ausführende Hand, die Entscheidungen<br />

treffen andere. Ich kann jedem nur empfehlen, in verschiedene Bereiche<br />

hineinzuschnuppern, um rauszufinden, was man will.<br />

2003 habe ich an der Fachhochschule Köln angefangen, Design zu studieren<br />

– das klang vielseitig. Viele der neueren Gaming-Studiengänge sind nur<br />

auf die Bedürfnisse der Industrie ausgerichtet, das finde ich eher einengend.<br />

protokoll: Franziska Bulban<br />

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH habe ich das Konzept des Cologne<br />

Game Labs mitgestaltet und zum Studienabschluss das Spiel „Trauma“<br />

als Diplomarbeit entwickelt. Darin geht es um eine junge Frau, die von<br />

einem Autounfall traumatisiert wurde und jetzt versucht, ihre Erinnerungen<br />

zu entschlüsseln. Eigentlich wollte ich was ganz Einfaches, Kleines machen,<br />

aber das Projekt ist immer weiter gewachsen. Am Ende hat es fast drei<br />

Jahre gedauert. Aber der Aufwand hat sich gelohnt – letztes Jahr wurde ich<br />

mit dem Deutschen Entwicklerpreis und einem deutschen Computerspielpreis<br />

ausgezeich<strong>net</strong>. Das war eine große Ehre. Jetzt mache ich mich als Entwickler<br />

selbständig. Es ist einfach ein tolles Gefühl, etwas zu entwickeln, es<br />

langsam wachsen zu sehen. Und am Ende hält man sein eigenes Computerspiel<br />

in den Händen, an dem man alles selbst gemacht hat, von der Spielmechanik<br />

bis zum Design der Hülle.<br />

fotos: Plainpicture, privat; Illustration: Matthias Seifarth<br />

Zahnfeen der Zukunft<br />

Der Zahnarzt der Zukunft hält vielleicht statt eines Bohrers einen Laser in der Hand<br />

und lacht nur über das altmodische Bleaching verfärbter Zähne. Wer weiß? Fest<br />

steht: Der Zahnarzt der Zukunft ist in den meisten Fällen – weiblich. Schon heute<br />

dominieren Frauen die Vorlesungen und Seminare an den zahnmedizinischen<br />

Fakultäten. Spätestens mit dem Staatsexamen 2017 wird es in Deutschland mehr<br />

Zahnärztinnen als Zahnärzte geben, das prognostiziert die Studie des Institutes der<br />

Deutschen Zahnärzte. Bis zum Jahr 2030 werden rund 70 Prozent aller Zahnarztpraxen<br />

in den Händen von Frauen liegen. Deutschlandweit werden 43.000 Frauen dann<br />

18.000 Männern gegenüberstehen. „Gender Switch“ heißt das, wenn in einem Berufsstand<br />

die Geschlechtermehrheit wechselt. Ein Grund für die steigende Zahl von<br />

Zahnärztinnen ist, dass mehr Mädchen (36 Prozent) als Jungen (28 Prozent) die<br />

Schule mit dem Abitur abschließen und sie beim Numerus clausus im Durchschnitt<br />

eine ganze Note vor ihren männlichen Mitstreitern liegen. Hinzu kommt, dass der<br />

Job extrem flexibel ist: Zahnärztinnen können in Teilzeit arbeiten, sich eine Stelle<br />

teilen. The choice is hers.<br />

HOCHSCHUL<br />

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30<br />

HOCHSCHUL<br />

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31


Unsere<br />

neue Serie<br />

über Jobs in<br />

der Provinz.<br />

No. 1<br />

Landpartie<br />

WEIT<br />

draussen<br />

Kein Starbucks, kein Bahnhof, nicht<br />

mal permanenter Handyempfang.<br />

Jens Jurgeleit ist nach dem Studium<br />

für den Job umgezogen. Von der Stadt<br />

in die Provinz. Kann das gut gehen?<br />

„Ihr könnt mich gern besuchen“,<br />

sagt er über eine knisternde Telefonleitung.<br />

Haben wir gemacht.<br />

K a t r i n S c h m i e d e k a m p f<br />

fotos: Christian Burkert<br />

Ferien auf dem Bauernhof?<br />

Nein, das ist für immer: Biologe Jens Jurgeleit<br />

arbeitet in einem Pflanzenlabor im Wendland.<br />

Das neue Leben von Jens Jurgeleit begann morgens<br />

um halb acht mit einer Fahrt übers Land. Es war Anfang<br />

Mai und die Sonne schien, als er seinen schwarzen<br />

Golf an Wiesen voller Maulwurfshügel und grasenden<br />

Kühen vorbeisteuerte. Er fuhr durch Alleen,<br />

durchquerte ein Waldstück und erreichte schließlich<br />

ein gelbes Ortsschild mit der Aufschrift „Solkau, Gemeinde<br />

Schnega“ im Wendland. Ein paar Minuten<br />

später parkte er den Wagen vor einem alten Bauernhaus<br />

– und klingelte bei seinem neuen Arbeitgeber,<br />

dem Institut für Pflanzenkultur.<br />

Jens Jurgeleit hatte einen hervorragenden Abschluss<br />

gemacht: Mit einer Note von 1,1 in Biologie<br />

hätte er überall anfangen können. Gleich nach dem<br />

Ende seines Studiums bekam er ein Job- und Promotionsangebot<br />

vom Helmholtz-Zentrum in Braunschweig.<br />

Doch der 1,90 Meter große Mann mit den<br />

dunkelblonden Haaren lehnte ab. „Natürlich wäre das<br />

ein toller Arbeitgeber gewesen“, sagt er. Was ihn störte:<br />

wie das Dissertationsstudium dort abläuft, dass es<br />

einen Stundenplan gibt und Seminare, die man besuchen<br />

muss. Er sehnte sich nach Freiraum.<br />

Und noch etwas anderes spielte bei seiner Entscheidung,<br />

aufs Land zu ziehen, eine große Rolle: die<br />

Liebe. Am Ende seines Studiums hatte er auf einer Party<br />

einen Mann kennengelernt, und es war schnell klar,<br />

dass die beiden einander sehr mochten. Schon bald besuchte<br />

Jurgeleit seinen neuen Freund im Wendland.<br />

„Da erlebte ich diese bombastische Region zum ersten<br />

Mal und war sofort begeistert von den alten Fachwerkhäusern,<br />

den freundlichen, alternativen Menschen<br />

und von der Weite, die einen hier umgibt“, erzählt er,<br />

und seine Stimme klingt dabei weich. Man spürt, dass<br />

er sich damals nicht nur in den Mann aus der Gegend<br />

verliebte. Sondern auch in die Gegend selbst.


Jens Jurgeleit in seinem Labor, in dem Pflanzen geklont werden. Nach einem kurzen Praktikum wurde er sofort Assistent der Geschäftsführung.<br />

Man kann die Stille hören, die feuchten Wiesen riechen. Manchmal tuckert ein Traktor vorbei. Das war’s.<br />

lem mittelständische Unternehmen haben Schwierigkeiten,<br />

neue Mitarbeiter mit einer abgeschlossenen<br />

Berufsausbildung zu finden. Nach Angaben des<br />

Bundeswirtschaftsministeriums gibt es allein bei<br />

Berufen mit MINT-Abschlüssen – also bei Mathematikern,<br />

Informatikern, Naturwissenschaftlern und<br />

Technikern – mehr als 100.000 offene Stellen. Warum<br />

insbesondere Mittelständler häufig vergeblich<br />

um Fachkräfte kämpfen, hat vor allem zwei Gründe:<br />

Im Vergleich zu großen Konzernen sind sie weniger<br />

bekannt. Und ihre Firmen standorte sind für Berufseinsteiger<br />

meist nicht gerade verlockend – weil sie in<br />

Schnega, Haselünne oder Iserlohn liegen und nicht in<br />

Hamburg, Berlin oder München, wo die meisten unter<br />

30-Jährigen am liebsten leben möchten. „Von<br />

meinen Kommilitonen ist niemand aufs Land gezogen“,<br />

sagt Jens Jurgeleit. Er kann sich noch gut an die<br />

verständnislosen Blicke der anderen erinnern, als er<br />

ihnen von seinen Plänen erzählte. Dabei können gerade<br />

die kleineren Firmen in der Provinz die besten<br />

Arbeitgeber für Einsteiger sein: In einem mittelständischen<br />

Betrieb kann man schneller aufsteigen, weil<br />

Jens Jurgeleit begann, sich nach Arbeitgebern im<br />

Wendland umzuschauen. Es war seine Mutter, die<br />

ihn schließlich auf die Idee brachte, die Inter<strong>net</strong>seite<br />

des Institutes für Pflanzenkultur anzuklicken – eines<br />

mittelständischen Unternehmens, das Pflanzen produziert,<br />

indem es Klone von ihnen herstellt. Insgesamt<br />

40 Mitarbeiter arbeiten hier, im Sommer sind es<br />

mehr als 60, dann gibt es auf den Feldern und in den<br />

Gewächshäusern am meisten zu tun.<br />

Gemeinsam mit seinem Freund kam Jurgeleit<br />

eines Samstags nach Schnega, um sich das Unternehmen<br />

anzuschauen. Hinter einer roten Backsteinmauer<br />

sah er ein altes, efeubewachsenes Fachwerkhaus<br />

mit der Inschrift „Anno 1833“. Er hinterließ<br />

seinen Namen. Wenig später verschickte er eine Initiativbewerbung<br />

an das Institut und bekam einen<br />

Praktikumsplatz angeboten. Ein paar Monate später<br />

wurde er als Assistent der Geschäftsführung eingestellt.<br />

Ein knappes Jahr ist das jetzt her.<br />

Arbeiten in der Provinz – etliche Firmen versuchen,<br />

Berufseinsteigern genau das schmackhaft zu<br />

machen. Doch so sehr sie sich auch bemühen: Vor ales<br />

nicht so viele Hierarchie-Stufen gibt wie bei einem<br />

Konzern-Riesen. Die Entscheidungswege sind<br />

kürzer, neue Ideen haben eine größere Chance, umgesetzt<br />

zu werden – und auch die Be reitschaft der<br />

Chefs, einen Mitarbeiter gezielt zu fördern, ist oft<br />

größer. Für Jens Jurgeleit steht zum Beispiel schon<br />

fest, dass er für drei Monate nach Portugal geht –<br />

er soll dort ein Forschungsprojekt vorantreiben.<br />

Der 26-Jährige steht in einem Nebengebäude<br />

des alten Resthofes, in dem sich das molekularbiologische<br />

Labor verbirgt. Er hat sich einen weißen Kittel<br />

übergezogen und trägt blaue Gummihandschuhe.<br />

Vorsichtig öff<strong>net</strong> er eine rot umrandete Schublade,<br />

holt eine Kiste mit einer gelartigen Substanz heraus<br />

und packt den Inhalt in einen roten Apparat. „Ich untersuche<br />

die Pflanzen, die wir hier produzieren“, erklärt<br />

er. Mithilfe einer künstlichen chemischen Reaktion<br />

will er ausgewählte DNA-Abschnitte vermehren.<br />

Die Zeiten, in denen er sich selbst ein wenig<br />

spöttisch „die linke Hand der Chefinnen“ nannte,<br />

weil er vieles noch nicht wusste und das Gefühl hatte,<br />

eher im Weg rumzustehen als zu helfen, sind lange<br />

vorbei. Fachlich kannte er<br />

sich gut aus – aber vor allem<br />

von der Geschäftsführung<br />

hatte er am Anfang keine Ahnung.<br />

„Das war ein ziemlicher<br />

Sprung ins kalte Wasser, aber<br />

ich hab’s überlebt“, sagt er<br />

und lacht.<br />

Innerhalb der Firma<br />

Karriere zu machen – die<br />

Chancen stehen für Jens Jurgeleit<br />

eher schlecht. Denn<br />

abgesehen von der Chefin<br />

und ihrer Stellvertreterin gibt<br />

es keine weiteren Hierarchie-Ebenen – also auch keine<br />

Jobs, in die man aufsteigen kann. „Aber wenn man<br />

überlegt, dass ich gerade erst von der Uni komme und<br />

hier im Management und im Controlling mithelfe,<br />

Projektanträge schreibe und außerdem noch im Labor<br />

arbeite, kann man das schon als steilen Aufstieg<br />

bezeichnen“, findet er. Hier hat er die Möglichkeit,<br />

vieles auszuprobieren. Manchmal fühlt er sich wie<br />

Mittelständische<br />

Unternehmen auf<br />

dem Land suchen<br />

Menschen genau<br />

wie ihn: jung,<br />

Akademiker,<br />

Berufseinsteiger.<br />

MacGyver, weil er sich selbst<br />

überlegen muss, wie er ein<br />

Projekt in die Tat umsetzen<br />

kann. Die Firma wächst stetig<br />

und soll vielleicht schon<br />

bald in ein größeres Gebäude<br />

umziehen – doch die technische<br />

Ausstattung ist nicht so<br />

üppig wie in einem Forschungsinstitut<br />

an der Uni,<br />

manches muss man sich<br />

selbst zusammenbasteln.<br />

Den ehrgeizigen Biologen,<br />

der gern als Wissenschaftler<br />

Karriere machen möchte, hat das selbständiger gemacht.<br />

Wenn er versucht, Forschungsanträge genehmigt<br />

zu bekommen, erledigt er die Arbeit, die an der<br />

Uni sonst von Professoren gemacht wird.<br />

Jens Jurgeleit zieht seinen Kittel aus und läuft<br />

über den mit Kopfsteinpflaster befestigten Innenhof<br />

des alten Bauernhauses. Die Luft riecht nach feuchter<br />

Erde und Moos. Drüben, in der kleinen Küche im<br />

Hauptgebäude, packt er ein paar belegte Brote aus und<br />

setzt sich an den Tisch. Nach dem Abitur hat er zuerst<br />

ein Jahr lang in Dresden Mechatronik studiert und ist<br />

dann für ein Biologiestudium nach Braunschweig gewechselt.<br />

Der Druck an der Uni war groß, auch der,<br />

den er sich selbst machte: Er verkürzte sein Studium<br />

um ein Semester und nahm sich vor, als einer der Besten<br />

abzuschließen. Eine Prüfung jagte die nächste. Er<br />

hatte das Gefühl, immer unter Strom zu stehen, für ein<br />

Privatleben war kaum Zeit. „Es ist nicht so, dass ich<br />

hier auf dem Land weniger arbeite, im Gegenteil“, sagt<br />

er. Doch das Leben hat eine andere Geschwindigkeit.<br />

„Die Leute sind entspannter.“ Wenn jemand weg<br />

muss, weil seine Ziege ein Junges bekommt, hat jeder<br />

Verständnis. Ein anderer übernimmt dann die Arbeit –<br />

oder sie wird später nachgeholt.<br />

Um 16.30 Uhr hat er Feierabend. Wieder tritt er<br />

hinaus in den Hof. Er winkt den Kollegen und steigt<br />

in seinen Golf. Sein Heimweg führt ihn an Stoppelfeldern<br />

und Wäldern, Kuhtränken und alten Bauernhäusern<br />

vorbei. Zwischendurch muss Jens Jurgeleit<br />

rechts ranfahren, weil ihm ein Trecker entgegen-<br />

HOCHSCHUL<br />

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34<br />

HOCHSCHUL<br />

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35


Champions<br />

der Provinz<br />

Sich auf den Weg machen, zurück in<br />

die Großstadt. Nein, ganz im Gegenteil:<br />

Jens Jurgeleit will lieber einen alten Bauernhof<br />

kaufen, noch weiter raus aufs Land.<br />

Ohne diese Firmen würden Satelliten<br />

nicht fliegen, Hunde weglaufen, und<br />

das Auto wäre auch dauernd dreckig.<br />

Ein Lageplan.<br />

Text: Philipp Alvares de Souza Soares<br />

Illustration: Jindrich Novotny<br />

Bremen<br />

Hamburg<br />

flexi – Bogdahn International<br />

GmbH & Co. KG<br />

Bargteheide<br />

1973 wurde bei flexi die Roll-Hundeleine<br />

erfunden. 50.000 Stück werden pro<br />

Tag hergestellt. Jahresumsatz: 50 Mio.<br />

Euro. www.flexi.de<br />

Berlin<br />

kommt. Eine halbe Stunde später ist er zu Hause.<br />

Er lebt im 30 Kilometer entfernten Lüchow – einer<br />

Kleinstadt im Wendland mit rund 9.500 Einwohnern.<br />

„Wir zahlen 500 Euro Miete im Monat“, sagt<br />

Jens Jurgeleit und schließt die Tür der 110-Quadratmeter-Wohnung<br />

in einer alten gelben Jugendstilvilla<br />

auf, in der er gemeinsam mit seinem<br />

Freund lebt. Ein Preis, für den man in Hamburg,<br />

Frankfurt oder München mit sehr viel Glück eine<br />

sehr kleine Einzimmerwohnung bekommt. Allerdings:<br />

Kein Starbucks, kein Saturn, kein Apple-<br />

Store, das kleine Städtchen mit den Fachwerkhäuschen<br />

hat keinen eigenen Bahnhof, so weit<br />

draußen hat nicht einmal das Handy permanent<br />

Empfang. Stört ihn das? Nein, er mag es, dass die<br />

Leute einander grüßen, dass man schneller ins Gespräch<br />

kommt als anderswo. Obwohl er erst seit<br />

einem knappen Jahr im Wendland lebt, hat er einen<br />

großen Freundeskreis. Die Gruppe, mit der er sich<br />

häufig trifft, besteht aus 30 Leuten. Dumme Sprüche,<br />

weil er schwul ist, hat er hier noch nie gehört.<br />

Wenig später sitzt Jens Jurgeleit in seinem<br />

Stammrestaurant „Wendel“. Jägerschnitzel und<br />

Pommes. Er würde gern später einmal als Dozent<br />

an der Uni arbeiten, sagt er. So wie seine Chefin,<br />

die Vorlesungen an der Hochschule Hannover hält.<br />

Das bedeute aber nicht, dass er aus dem Wendland<br />

wegziehen werde. Im Gegenteil: Er träumt davon,<br />

einen alten Resthof zu kaufen. Das 9.000-Einwohner-Städtchen<br />

Lüchow ist ihm eigentlich noch zu<br />

groß. Am liebsten würde er richtig weit draußen<br />

wohnen, richtig im Grünen, richtig auf dem Land.<br />

HOCHSCHUL<br />

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36<br />

Tetra GmbH<br />

Melle<br />

Die Firma erfand das Flockenfutter für<br />

Fische, hat 800 Mitarbeiter und ist Weltmarktführer<br />

der Aquaristikbranche.<br />

www.tetra.<strong>net</strong><br />

Köln<br />

BARTEC GmbH<br />

Bad Mergentheim<br />

1975 erfand BARTEC einen Sicherheitsschalter<br />

für Tankstellen – heute ist<br />

die Firma Weltmarktführer für Sicherheitstechnik,<br />

zum Beispiel in der Öl- und<br />

Chemieindustrie. 1.400 Mitarbeiter, 50<br />

Mio. Euro Jahresumsatz.<br />

www.bartec.de<br />

Adolf Würth GmbH & Co. KG<br />

Künzelsau-Gaisbach<br />

In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl<br />

der Mitarbeiter von 42.000 auf 62.000,<br />

die Schrauben, Zangen, Dübel herstellen.<br />

www.wuerth.de<br />

Frankfurt<br />

Stuttgart<br />

Tesat-Spacecom GmbH & Co. KG<br />

Backnang<br />

1.250 Mitarbeiter stellen Bauteile für Satelliten<br />

her, zum Beispiel Hochleistungsverstärker.<br />

www.tesat.de<br />

Hannover<br />

Viessmann<br />

Allendorf (Eder)<br />

Seit 1917 stellt die Firma Heizungen<br />

her, aber auch Blockheizkraftwerke und<br />

Biogasanlagen. Die Energiewende lässt<br />

das Geschäft boomen. Allein 2011 stieg<br />

der Umsatz um acht Prozent auf 1,9 Mrd.<br />

Euro. 10.000 Mitarbeiter weltweit.<br />

www.viessmann.de<br />

Nürnberg<br />

München<br />

Leipzig<br />

Bader GmbH & Co. KG<br />

Göppingen<br />

Hier entsteht das Leder für die Autositze<br />

der S-Klasse von Mercedes und der 7er<br />

von BMW. 6.800 Mitarbeiter, Weltmarktführer<br />

für Automobilleder.<br />

www.badergmbh.de<br />

MEKRA Lang GmbH & Co. KG<br />

Fürth<br />

Acht Millionen Außenspiegel für Lkws,<br />

Busse, Traktoren baut MEKRA jedes<br />

Jahr. 1.800 Mitarbeiter an 15 Standorten.<br />

www.mekra.de<br />

Bauerfeind AG<br />

Zeulenroda-Triebes<br />

Bandagen, orthopädische Einlagen – die<br />

Dinge, die eine alternde Gesellschaft<br />

braucht. Sie alle werden von Bauerfeind<br />

hergestellt. 2.000 Mitarbeiter, Jahresumsatz:<br />

300 Mio. Euro.<br />

www.bauerfeind.com<br />

Josef Gartner GmbH<br />

Gundelfingen<br />

Das New Yorker Museum of Modern<br />

Art, die Deutsche-Bank-Zentrale in<br />

Frankfurt am Main – die Fassaden beider<br />

Gebäude stammen vom Weltmarktführer<br />

Gartner. www.josef-gartner.de<br />

WashTec AG<br />

Augsburg<br />

1962 wurde hier die erste vollautomatische<br />

Autowaschanlage erfunden. 1.600<br />

Mitarbeiter, 300 Mio. Euro Jahresumsatz.<br />

www.washtec.de


qqqqqw<br />

V O N S t e f a n i e B i l e n<br />

Faule Männer, schlechte Kitas<br />

Damit Frauen genauso Karriere machen können wie Männer, reichen Quotenregelungen<br />

nicht. Was aber muss passieren? Ein Gespräch mit Deutschlands wichtigstem<br />

Personalexperten Joachim Sauer über Hausarbeit und Praktika in Männerjobs.<br />

Herr Sauer: Frauenquote – ja oder nein?<br />

Der Bundesverband der Personalmanager hat schon vor gut zwei<br />

Jahren eine klare Position zu dieser Frage bezogen. Wir fordern eine<br />

flexible Quote, weil es in den verschiedenen Branchen große Unterschiede<br />

in Bezug auf den Anteil der weiblichen Beschäftigten gibt. In<br />

der Stahlbranche findet man einen ganz anderen Frauenanteil vor als<br />

etwa im öffentlichen Sektor.<br />

Familienministerin Kristina Schröder hat die Flexi-Quote voriges<br />

Jahr eingeführt und dafür viel Kritik einstecken müssen. Hat Sie das<br />

überrascht?<br />

Nein, sie wurde ja von zwei Gruppen kritisiert: von denjenigen, die<br />

eine Quote grundsätzlich ablehnen, und von denjenigen, die lieber eine<br />

starre Quote für die Vorstandsposten gehabt hätten. Die Wirtschaft ist<br />

in einigen Bereichen nach wie vor noch recht männerdominiert. Dass<br />

Männer von der flexiblen Quote teilweise nicht begeistert sind, überrascht<br />

mich daher nicht.<br />

Bei der Flexi-Quote dürfen Unternehmen selbst festlegen, wie hoch<br />

ihr Frauenanteil an der Spitze sein soll. Die Dax-30-Unternehmen<br />

handeln danach und veröffentlichen ihre Fortschritte regelmäßig.<br />

Doch das ist nur ein winziger Ausschnitt der deutschen Wirtschaft.<br />

Wie kann die Flexi-Quote helfen, damit sich auch im breiten Mittelstand<br />

etwas tut?<br />

An diesem Thema kommt niemand mehr vorbei. Wir brauchen mehr<br />

Frauen, um den Fachkräftemangel zu verhindern. Auch kleine Unternehmen<br />

befinden sich im Sog der Entwicklung.<br />

Bei Frauen im Mittelbau liegt das Problem nicht unbedingt daran,<br />

dass niemand aufsteigen will, sondern darum, dass viele es nicht<br />

können. Mit einer Familie ist ein Vollzeitjob mit Sitzungen am späten<br />

Abend schwer zu vereinbaren …<br />

Dieser Aspekt fehlt tatsächlich in der deutschen Debatte: Wenn Frauen<br />

und Männer im Berufsleben gleichberechtigt sein wollen, müssen sie<br />

es auch bei der Kindererziehung sein. Und bei der Hausarbeit. Aber ein<br />

Teil der Männer entzieht sich noch immer den häuslichen Pflichten.<br />

Wenn sich das nicht ändert, werden weiter die Männer Karriere machen<br />

– weil Frauen dann allein bleiben mit der Doppelbelastung und schlicht<br />

nicht präsent sind, wenn Karriere gemacht wird.<br />

Der Gehaltsunterschied in Partnerschaften ist häufig ein Grund, warum<br />

Frauen Teilzeit arbeiten und Männer nicht …<br />

Hierfür gibt es mehrere Gründe: Ältere Frauen sind zum Teil schlechter<br />

ausgebildet; zudem arbeiten Frauen in Berufen, deren Wertschöpfung<br />

nicht so hoch ist, oder sie tun sich zum Teil schwerer in Gehaltsverhandlungen,<br />

daher ist ihre Bezahlung niedriger. Oder aber die Löhne<br />

sind nicht gerecht, also für Männer und Frauen nicht gleich. Das ist<br />

nicht hinnehmbar und muss geändert werden. Doch es gibt Beispiele,<br />

die zeigen, dass nicht der geringe Verdienst der Grund für die geringe<br />

Anzahl von Frauen in Führungspositionen ist. Das Deutsche Institut<br />

für Wirtschaftsforschung hat kürzlich Zahlen aus dem Finanzsektor<br />

veröffentlicht. Hier werden oft gute Gehälter gezahlt, und der Anteil<br />

der weiblichen Beschäftigten liegt bei 50 Prozent. Trotzdem sind sie<br />

in Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Das sollte sich ändern.<br />

Noch mal zurück zur Haus- und Familienarbeit: Haben Sie Vorschläge,<br />

wie dieses Rollenverständnis zu drehen ist?<br />

Frauen, mit denen ich darüber spreche, sind sofort für die Idee zu gewinnen<br />

…<br />

Das glaube ich – aber was ist mit dem anderen Geschlecht?<br />

Das hat in vielen Fällen mit Bequemlichkeit zu tun. Männer sind nicht<br />

unbedingt unzufrieden mit der Situation, dass ihre Frau ihnen den Rücken<br />

freihält.<br />

Frauen, die in diesen Zeiten einen Vorstandsjob übernehmen, stehen<br />

im Rampenlicht. Wenn sie aufgeben, wie etwa Angelika Dammann<br />

2011 bei SAP, ist der Spott der Herren groß. Andere Frauen<br />

werden belächelt, weil sie die angeblich soften Ressorts übertragen<br />

bekommen. Zu Recht?<br />

Das ist eine unfaire und manchmal auch feindselige Diskussion. Es<br />

gibt keine empirische Untersuchung, die belegt, dass Frauen nur aufgrund<br />

eines Hypes an die Spitze gespült wurden und die entsprechende<br />

Leistung nicht erbringen. Sie machen ihren Job – und tun im Übrigen<br />

noch etwas für das Betriebsklima. Wenn Frauen dabei sind, ändert sich<br />

das Benehmen in Männerzirkeln zum Positiven. Aber darauf sollen sie<br />

selbstredend nicht reduziert werden. Alle Top-Managerinnen, die ich<br />

kenne, sei es Margret Suckale von BASF oder Elke Strathmann von<br />

Continental, machen einen ausgezeich<strong>net</strong>en Job.<br />

Wenn Unternehmen ausschließlich auf eine Quote für den Vorstand<br />

setzen, ändert sich noch längst nichts in den anderen Hierarchie-<br />

Ebenen. Sie haben daher bei Airbus, Ihrem vorigen Arbeitgeber, eine<br />

Quote für Auszubildende eingeführt. Mit welchem Erfolg?<br />

Unser Ziel war es, den Frauenanteil im Ausbildungsbereich der gewerblich-technischen<br />

Berufe zu steigern. Das betrifft die Ausbildungsberufe<br />

und das duale Studium der Ingenieurwissenschaftler. Am Standort<br />

in Hamburg konnte der Frauenanteil bei diesen Berufsanfängern<br />

binnen eines Jahres von 13 auf 20 Prozent gesteigert werden. Aber diese<br />

Ergebnisse waren nur möglich, weil Airbus schon lange mit Gymnasien<br />

und Stadtteilschulen kooperiert, Projekttage organisiert,<br />

Wettbewerbe initiiert und Mädchen-Praktika anbietet.<br />

Die Generation, die aktuell ins Berufsleben eintritt, erwartet<br />

eine funktionierende Work-Life-Balance von<br />

ihrem Arbeitgeber. Müssen sich Unternehmen nicht<br />

zuletzt deshalb umstellen und familienfreundliche Arbeitsbedingungen<br />

schaffen?<br />

Dank der „Generation Y“ wird sich einiges ändern, aber<br />

es ist trotzdem noch Luft nach oben. Ein Beispiel: die<br />

zweimonatige Elternzeit, die manche Männer jetzt nehmen.<br />

Im Grunde gleicht dies nur einem Gastbeitrag zur<br />

Betreuung eines Babys.<br />

Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass es in den<br />

vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gegeben hat.<br />

In den 1950er- und teilweise auch in den 1960er-Jahren waren<br />

die Beschäftigten im Arbeitsmarkt fast ausschließlich<br />

männlich. Heute sind Frauen und Männer zu gleichen Anteilen<br />

vertreten. Bei den öffentlichen Einrichtungen ändert<br />

sich etwas, Kitas und Ganztagsschulen werden ausgebaut.<br />

Reicht das?<br />

Nein, das reicht nicht – schon gar nicht, wenn die Qualität<br />

der Betreuung hinter der Quantität zurücksteht. Und es gibt<br />

neben dem Kita-Thema noch die Frage nach der Vorschulund<br />

Schul-Versorgung. Was nützt ein Ganztags-Kitaplatz,<br />

wenn das Schulkind um 13 Uhr zu Hause vor der Tür steht,<br />

weil die Ganztagsschulen nicht flächendeckend ausgebaut<br />

werden? Ganz zu schweigen von den 13 Wochen Schulferien.<br />

Bei solchen Rahmenbedingungen wird automatisch<br />

ein Elternteil diskriminiert. Häufig die Frauen.<br />

Joachim Sauer ist Präsident des Bundesverbandes der Personalmanager.<br />

Er gilt als einer der profiliertesten Personalmanager<br />

in Deutschland. Sauer ist Geschäftsführer<br />

Personal im Bereich Emissions Control Technologies<br />

beim Automobilzulie ferer Faurecia.<br />

Foto: Bundesverband der Personalmanager e. V.<br />

HOCHSCHUL<br />

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38


21 Fakten über die versicherungsBranche<br />

Ist hier jemand Arzt?<br />

Laut Arbeitgeberverband der Versicherungswirtschaft<br />

(AGV) beschäftigen<br />

die deutschen Versicherungsunternehmen<br />

gut 215.000 Menschen (Stand:<br />

Ende 2012). Trotz Finanzkrise ist diese<br />

Zahl kaum gesunken, die Nachfrage<br />

nach Hochschulabsolventen steigt sogar.<br />

Gesucht werden Risikomanager,<br />

Controller, Kundenberater und Produktentwickler.<br />

Um einzusteigen, muss<br />

man nicht unbedingt Jura oder BWL<br />

studiert haben: Als Schadensgutachter<br />

kommen auch Physiker und Ingenieure<br />

infrage, private Krankenversicherungen<br />

beschäftigen auch Mediziner.<br />

VON Daniel Kastner<br />

Quizshows versichern sich für den Fall, dass jemand die Million gewinnt,<br />

Kafka bewarb sich als Policen-Verkäufer, und wie viel man als Kunde zahlt,<br />

kommt auch aufs Sternzeichen an. Willkommen in der Versicherungsbranche!<br />

Hallo Herr …<br />

… Kaiser! Richtig. Er war die Frau Antje der Versicherungsbranche:<br />

„Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer“ verkörperte<br />

seit 1972 in der TV-Werbung den Ver sicherer zum<br />

Anfassen, bevor der Konzern 2009 in der ERGO aufging.<br />

Drei Schauspieler schlüpften in die Rolle des Herrn Kaiser<br />

– zuletzt Nick Wilder, der heute auf dem ZDF-Traumschiff<br />

einen Arzt spielt.<br />

Das zahlt die Versicherung Das höchste Einstiegsgehalt erreicht ein Nischenberuf:<br />

Die Unternehmen reißen sich um Versicherungsmathematiker, sogenannte Aktuare,<br />

die neue Tarife erfinden und durchrechnen – und zahlen ihnen laut Staufenbiel Institut<br />

durchschnittlich 51.000 Euro im ersten Jahr. Weniger exotische Berufe bringen es<br />

je nach Tarifgruppe auf bis zu 30.000 Euro.<br />

Upps!<br />

Das Haus selbst abfackeln und die Versicherungssumme kassieren – „warme<br />

Sanierung“ heißt diese Form des Versicherungsbetruges in der Branche. Gut zehn<br />

Prozent aller Schadensfälle sind laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />

vermutlich fingiert, besonders anfällig seien private Haftpflicht-,<br />

Hausrat- und Kfz-Versicherungen.<br />

Jungfrau<br />

mit Blechschaden<br />

Alter, Beruf, Adresse, Familienstand,<br />

Automarke – aus bis zu 50<br />

Parametern errechnen Kfz-Versicherungen<br />

ihre Tarife. Kein<br />

Witz: Manche britischen Versicherer<br />

berücksichtigen auch das<br />

Sternzeichen ihrer Kunden. Und<br />

eine Erhebung im Auftrag des<br />

US-Versicherers Allstate ergab<br />

2011: Jungfrau-Geborene bauen<br />

die meisten Unfälle.<br />

Im<br />

nächsten<br />

Level<br />

Sogar ins Videospiel hat es die Versicherungsbranche<br />

geschafft: In „Animal Crossing“ (Nintendo DS) kann<br />

sich der Spieler für 3.000 „Sternis“ gegen Unfälle versichern.<br />

Wenn er stürzt oder wenn ihn Bienen stechen,<br />

bekommt er am nächsten Tag Post von der Versicherung,<br />

die ihm 100 „Sternis“ auszahlt.<br />

das milliarden-geschäft<br />

Wer ist eigentlich der Größte? Kommt darauf an, wie man rech<strong>net</strong>. Gängigster<br />

Maßstab sind die „gebuchten Bruttobeiträge“, also das, was die<br />

Kunden in ihre laufenden Verträge einzahlen. Mit Abstand größter Lebensversicherer<br />

war demnach 2011 die Allianz, die 14,8 Milliarden Euro<br />

einspielte – weit vor R+V und AachenMünchener, die je auf knapp über<br />

vier Milliarden kamen. Auch bei den Schadensversicherern führte die Allianz<br />

mit fast neun Milliarden; die zweitplatzierte AXA nahm 3,5 Milliarden<br />

ein. Bei den privaten Krankenversicherern lag 2011 die DKV knapp<br />

vor der Debeka in Führung (4,9 vs. 4,86 Milliarden).<br />

Fürs Update einfach<br />

fallen lassen<br />

Kaputte Brillen landen besonders oft als Schadensmeldung bei<br />

der Haftpflichtversicherung. Stutzig macht die Versicherer,<br />

dass besonders viele Smartphones genau dann den Geist aufgeben,<br />

wenn ein neues Modell auf den Markt kommt. Und vor jeder<br />

Fußball-WM gehen plötzlich reihenweise Fernseher kaputt.<br />

Planschen mit der Ergo<br />

Neunmal die gesamte<br />

Bundesrepublik<br />

„Milliardengeschäft“ ist noch untertrieben:<br />

Im Jahr 2011 schlossen die<br />

deutschen Lebensversicherer über<br />

sechs Millionen Neuver träge im Wert<br />

von 237,5 Milliarden Euro ab. Der<br />

Gesamtwert aller laufenden Lebensversicherungsverträge<br />

liegt bei<br />

schwindelerregenden 2,6 Billionen<br />

Euro – das ist fast neunmal so viel,<br />

wie der Bund in einem Jahr ausgibt.<br />

Die ERGO-Gruppe pries sich 2010 in ihrer Werbekampagne als kumpelhafter,<br />

transparenter Versicherer. Dann wurde bekannt: Die ERGO-Tochter Hamburg-<br />

Mannheimer hatte besonders verdienten Mitarbeitern Lustreisen nach Budapest<br />

spendiert – und Prostituierte gleich dazu. Die Krisen-PR missglückte: ERGO ließ<br />

wissen, die Reise sei als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt worden, die Teilnehmer<br />

müssten sie als „geldwerten Vorteil“ nachversteuern.<br />

Durch die Wüste<br />

Der babylonische König Hammurabi soll schon um 1750 vor<br />

Christus in seiner Gesetzessammlung „Codex Hammurabi“<br />

eine Karawanenversicherung verfügt haben. In Keilschrift<br />

ließ er auf einer Stele fest halten, wer welchen Anteil am Schaden<br />

bezahlt, falls die Karawane überfallen wird. Die Stelen<br />

stehen heute im Pariser Louvre.<br />

Sturm und Riesenwelle Hurrikan<br />

Katrina verwüstete 2005<br />

New Orleans und hält seither mit<br />

75 Milliarden Dollar den Rekord<br />

als größter Versicherungsschaden<br />

aller Zeiten. Auf Platz zwei<br />

folgen das Erdbeben und der Tsunami,<br />

die den Fukushima-GAU auslösten, mit 35 Milliarden.<br />

Platz drei belegt Hurrikan Andrew von 1992, Platz<br />

vier die Anschläge vom 11. September. Auf der Liste des<br />

Rückversicherers Swiss Re fehlt übrigens der Tsunami, der<br />

Ende 2004 die An rainerstaaten des Indischen Ozeans<br />

heimsuchte – weil dort schlicht kaum etwas versichert war.<br />

Fotos: Thinkstock (2), dpa/pa (3), istockphoto (2), PR<br />

HOCHSCHUL<br />

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40


Bierfass in Flammen<br />

Als älteste Schadensversicherung der Welt gilt die 1676 eingerichtete Hamburger<br />

Feuerkasse. Die wiederum war abgekupfert von der Gemeinschaftskasse<br />

der Hamburger Brauereizunft, in die alle Zunftmitglieder einzahlten und aus der<br />

Geld floss, wenn eine Brauerei abbrannte – solche Fonds waren bei den Zünften<br />

und Gilden jahrhundertelang üblich.<br />

Molto gut versichert<br />

Fachbegriffe wie „Assekuranz“ und „Police“ haben wahrscheinlich<br />

italie nische Wurzeln: Schon im Mittelalter sicherten<br />

Kaufleute in Venedig und Genua ihre Schiffe und Waren<br />

finan ziell ab.<br />

Sicherheits-City<br />

München ist Deutschlands<br />

Versicherungshauptstadt:<br />

Laut einer Erhebung der<br />

Bundesagentur für Arbeit<br />

arbeiteten dort Ende 2011<br />

knapp 33.000 Menschen in<br />

der Versicherungsbranche.<br />

Platz zwei und drei belegen<br />

Köln und Hamburg. Bei den<br />

Bundesländern führt Nordrhein-Westfalen<br />

vor Bayern.<br />

Die Wahlkampf-Waffe<br />

Die einen preisen sie als soziale Errungenschaft,<br />

die anderen schmähen sie<br />

als Standortnachteil: die Sozialversicherung.<br />

Eingeführt hat sie ausgerech<strong>net</strong><br />

Otto von Bismarck – 1883 die Kranken-,<br />

1884 die Unfall- und 1889 die<br />

Rentenversicherung. Dabei war der<br />

Eiserne Kanzler kein Arbeiterfreund,<br />

sondern wollte die Sozialdemokraten<br />

kleinhalten. Es nützte nichts: Bei den<br />

Reichstagswahlen 1890 wurde die spätere<br />

SPD stärkste Kraft.<br />

Einer zahlt immer Auch eine Versicherung muss sich versichern. Dafür gibt es Rückversicherungen<br />

wie die Munich Re oder die Swiss Re. Wenn Versicherungen nach Großbränden oder Naturkatastrophen<br />

Schäden in Millionen- oder gar Milliardenhöhe ersetzen müssen, greifen sie auf die Rückversicherer<br />

zurück. Die können sich übrigens ihrerseits auch wieder rückversichern.<br />

Kollege Kafka<br />

Das einzige deutsche Versicherungsmuseum<br />

steht in Gotha – dort, wo einst<br />

die Gothaer Versicherung residierte. Das<br />

Museum ist stolz auf ein Relief im Treppenhaus,<br />

das die drei Stufen im Leben<br />

eines Versicherten zeigen soll – und auf<br />

Franz Kafkas Bewerbung um einen Job<br />

bei der Generali in Prag von 1907.<br />

Ich mach Schluss<br />

Eine kleine Zahl birgt Sprengkraft für Versicherungen<br />

und Kunden: 4,3 Prozent der Lebensversicherungen wurden<br />

2011 vorzeitig storniert. Das klingt nach wenig – doch<br />

wenn man bedenkt, dass eine Lebensversicherung 30 bis<br />

40 Jahre läuft und jedes Jahr gut vier Prozent der Kunden<br />

abspringen, ergeben sich ganz andere Werte: „Etwa 75<br />

Prozent der Lebensversicherungsnehmer kündigen vor<br />

der Ausschüttung“, sagt der Bund der Versicherten.<br />

Über den Wolken Je größer ein Versicherungskonzern, desto imposanter<br />

sein Firmensitz: Die amerikanische MetLife residiert in Manhattan im<br />

fast 250 Meter hohen MetLife Building, die Londoner Filiale der Swiss Re in<br />

„The Gherkin“, Norman Fosters als „Gürkchen“ verspottetem Wolkenkratzer.<br />

Die Schenkel-<br />

Prämie<br />

Versichern kann man so ziemlich<br />

alles: Pianisten versichern ihre<br />

Finger, Fußballklubs versichern<br />

sich gegen Aufstiege (weil sie<br />

dann in bessere Stadien investieren<br />

müssen) und Pokalsiege<br />

(weil dann Siegprämien für die<br />

Spieler fällig werden), Quizshows<br />

dagegen, dass ein Kandidat<br />

tatsächlich die Million abräumt.<br />

Der Elektrohersteller<br />

Braun ver sicherte Heidi Klums<br />

Beine für 1,6 Millionen Euro.<br />

HOCHSCHUL<br />

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42


Recruiting-Events von April bis Mai 2013<br />

Karrieretag,<br />

FH Südwestfalen, Soest<br />

Der Karrieretag an der FH Südwestfalen wächst<br />

und wächst: Für die sechste Ausgabe haben sich<br />

über 140 Aussteller angemeldet, darunter auch<br />

zahlreiche Großkonzerne wie Amazon und<br />

ThyssenKrupp sowie die Bundeswehr.<br />

Wann: 04.04.2013, 10 bis 16 Uhr<br />

Wo: Campus der FH Südwestfalen<br />

Mehr: www.karrieretag-soest.de<br />

Bremen<br />

Hamburg<br />

Stellenwerk, Hamburg<br />

Die Jobmesse der Hamburger Hochschulen<br />

richtet sich an Studierende und Absolventen<br />

aller Fachrichtungen. 70 Aussteller sind vor<br />

Ort, dazu gibt es Fachvorträge, Bewerbungsmappenchecks<br />

und Jobwalls.<br />

Wann: 14. und 15.05.2013, 10 bis 17 Uhr<br />

Wo: Hauptgebäude der Uni Hamburg<br />

Mehr: www.stellenwerk-hamburg.de<br />

CONTACT, Heidelberg<br />

Die in den Räumen des Deutschen Krebsforschungszentrums<br />

stattfindende Contact-<br />

Messe richtet sich vor allem an Mediziner<br />

und Naturwissenschaftler. Neben Ausstellern<br />

aus der Biotech- und Pharmabranche<br />

präsentieren sich auch ausgewählte Consultingfirmen<br />

und Wissenschaftsverlage.<br />

Wann: 23.04.2013, 10 bis 17.30 Uhr<br />

Wo: Kommunikationszentrum des DKFZ<br />

Mehr: http://contact2013.info<br />

Köln<br />

Frankfurt<br />

Hannover<br />

Leipzig<br />

Berlin<br />

connecticum, Berlin<br />

Eine der weltweit größten Jobmessen für<br />

Studierende und Absolventen: Mehr als 350<br />

renommierte Unternehmen aus Deutschland,<br />

Europa und Asien tummeln sich drei<br />

Tage lang in den alten Hangars des Tempelhofer<br />

Flughafens. Tipp zur Vorbereitung:<br />

online das kostenlose Infopaket anfordern.<br />

Wann: 23. bis 25.04.2013, 10 bis 17 Uhr<br />

Wo: Flughafen Tempelhof, Hangar 5, 6 und 7<br />

Mehr: www.connecticum.de<br />

careers4engineers<br />

automotive, Stuttgart<br />

Für angehende Ingenieure ist die careers4-<br />

engineers automotive ein Muss. Hier präsentiert<br />

sich die Automobilindustrie, von Daimler über<br />

BMW bis hin zu Hyundai. Interessant für Frauen:<br />

In einem Round-Table-Gespräch wird über<br />

Karrierechancen von Ingenieurinnen diskutiert.<br />

Wann: 27.04.2013, 10 bis 16 Uhr<br />

Wo: Messe Stuttgart<br />

Mehr: www.careers4engineers.de<br />

Stuttgart<br />

Nürnberg<br />

München<br />

Kubri, München<br />

Für alle, die es ins Ausland zieht: Die europäischarabische<br />

Karriere- und Bildungsmesse legt<br />

einen besonderen Fokus auf die Länder Nordafrikas,<br />

des Nahen Ostens und der Golfregion. Rahmenprogramm<br />

rund um die arabische Welt.<br />

Wann: 24. und 25.05.2013, 9 bis 18 Uhr<br />

Wo: TU München – Campus Garching<br />

Mehr: www.kubri.eu<br />

Illustration: Jindrich Novotny<br />

APPS für Job und Examen<br />

Jurion Basis<br />

(iPhone, iPad)<br />

900 grundlegende<br />

Bundesgesetze, 1.800 landesrechtliche<br />

Vorschriften, 95.000<br />

Urteile an Bundesgerichten –<br />

die App aus dem Fachverlag<br />

Wolters Kluwer ist ein mächtiges<br />

Tool für Juristen. Und gratis<br />

ist sie auch. Da lässt es sich<br />

verschmerzen, dass Urteile der<br />

Untergerichte nicht erfasst<br />

sind und man zwar nach Begriffen,<br />

aber nicht nach Aktenzeichen<br />

suchen kann.<br />

http://blog.strafrecht.jurion.<br />

de/jurion-basis<br />

https://itunes.apple.com<br />

Yocoy<br />

(iPhone, iPad,<br />

Android)<br />

Dieser Audio-Sprachführer ist<br />

ein Kommunikationsassistent<br />

für Deutsch-Chinesisch und<br />

Chinesisch-Deutsch. Das Gegenüber<br />

bekommt mithilfe der<br />

App Worte, aber auch ganze<br />

Sätze vorgelesen. Das Programm<br />

funktioniert ganz ohne<br />

Inter<strong>net</strong>verbindung, arbeitet<br />

mit insgesamt 100.000 Wörtern,<br />

deren Aussprache von Linguisten<br />

überprüft wurde. Die Basis-<br />

App ist kostenlos.<br />

https://itunes.apple.com<br />

www.yocoy.com<br />

HOCHSCHUL<br />

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44


mein letztes mal<br />

Philipp Mollenhauer, 30<br />

vorname, name, Alter<br />

Jurist, endlich mit Abschluss und eigener Inter<strong>net</strong>seite „Staatsexamen Plan B“<br />

beruf<br />

Berlin<br />

ort<br />

Das erste Jura-Examen bestehen – egal, wie lange es dauert<br />

mein entschluss<br />

Während meines Studiums hatte ich eine Wohnung, von der<br />

aus man den Briefkasten genau im Blick hatte. Mir war klar:<br />

Wenn der Briefträger einen kleinen Umschlag bringt, habe ich<br />

mein Examen bestanden, ein großes Kuvert bedeutet, dass ich<br />

durchgefallen bin. Weil man dann die Anmeldeformulare zurückgeschickt<br />

bekommt. Am Anfang hat mir mein Jurastudium<br />

Spaß gemacht. Vor allem Strafrecht fand ich spannend. Ich<br />

habe zügig studiert und hatte alle Scheine in der Regelstudienzeit<br />

zusammen. Deshalb habe ich mich für den Freischuss angemeldet.<br />

Eigentlich kann man das erste juristische Staatsexamen<br />

in Deutschland nur zweimal schreiben. Der Freischuss ist<br />

noch ein zusätzlicher dritter Versuch, der nicht gezählt wird,<br />

wenn man ihn nicht besteht.<br />

Insgeheim habe ich gehofft, dass es gleich auf Anhieb<br />

klappt. Ich war aber trotzdem nicht am Boden zerstört, als mehrere<br />

Wochen später ein großer Umschlag bei mir ankam, mit<br />

dem klar war, dass ich durchgefallen bin. Ich habe den Freischuss<br />

vor allem als Übung gesehen, mit der ich mich auf den<br />

ersten richtigen Examensversuch vorbereiten kann. Für diesen<br />

Versuch habe ich mich dann ein Jahr später angemeldet. Wieder<br />

musste ich innerhalb von zehn Tagen insgesamt sieben fünfstündige<br />

Klausuren schreiben. Diesmal war ich schon sehr aufgeregt,<br />

habe gehofft, dass es geklappt hat. Wieder habe ich aus<br />

dem Fenster gestarrt und auf den Briefträger gewartet. Als er<br />

mir schließlich einen großen Umschlag brachte, war ich total<br />

enttäuscht. Es hatte nur ganz knapp nicht gereicht: 0,05 Punkte<br />

haben mir damals gefehlt. Noch einmal habe ich mir ein Jahr<br />

Vorbereitungszeit gegeben. Ich habe täglich gelernt, auch<br />

samstags und sonntags saß ich in der Bibliothek. Zwischendurch<br />

bin ich zum Ausgleich mit Freunden bergsteigen gegangen.<br />

Doch je näher der zweite und letzte Examensversuch<br />

rückte, desto schlechter ging es mir. Ich hatte Angst, wieder eine<br />

HOCHSCHUL<br />

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46<br />

Niederlage zu erleben. Spätestens nach den Klausuren war mir<br />

klar: O. K., das war jetzt der letzte Versuch, das muss gepasst haben<br />

– denn was mache ich sonst? Wieder habe ich auf den Briefträger<br />

gewartet. Schließlich brachte er mir den verdammten großen<br />

Umschlag, mit dem feststand: durchgefallen. Für mich ist<br />

damals eine Welt zusammengebrochen. Ich hatte keinen Abschluss<br />

und durfte in Deutschland nie wieder Examen schreiben.<br />

Ich habe dann schnell angefangen, nach Alternativen zu<br />

suchen. Ich wollte nicht auf einen Teil meines Lebens zurückschauen<br />

und denken: abgebrochen. Von meiner Universität kam<br />

keine Hilfe – und im Inter<strong>net</strong> standen nur Dinge wie: „Du bist zu<br />

dumm für Jura.“ Ein Freund meines Vaters hat mir schließlich<br />

den Tipp gegeben, es in Österreich zu probieren. Das war für<br />

mich eine super Lösung, weil man dort einen gleichwertigen Abschluss<br />

bekommen kann – mit der Option, das Referendariat in<br />

Deutschland zu machen. Und ich musste nicht einmal nach Österreich<br />

ziehen, sondern konnte die Vorlesungen per Livestream<br />

verfolgen. In den ersten zwei Semestern kam dann der Erfolg<br />

zurück. Ich habe Klausuren bestanden und gute Noten bekommen.<br />

Das hat mir Sicherheit gegeben. Nach vier Semestern habe<br />

ich mich für die Diplomprüfungen angemeldet. Diesmal konnte<br />

ich die Ergebnisse danach im Inter<strong>net</strong> abrufen. Als bei mir stand<br />

„Prüfung bestanden, der Abschluss wird erteilt“, ist mir ein riesiger<br />

Stein vom Herzen gefallen. Es hat ein wenig gedauert, bis ich<br />

verstanden habe, dass ich nicht mehr jeden Tag in die Bibliothek<br />

fahren und lernen muss.<br />

Inzwischen habe ich eine Inter<strong>net</strong>seite namens „Staatsexamen<br />

Plan B“ (www.staatsexamen-planb.de) gegründet,<br />

um andere zu beraten, die in einer ähnlichen Situation sind wie<br />

ich damals. Denn nur, weil man durchs Examen fällt, ist man<br />

noch lange nicht ungeeig<strong>net</strong> für Jura. Ich bin das beste Beispiel<br />

dafür, dass es doch klappen kann.<br />

Protokoll: Katrin Schmiedekampf, foto: privat, istockphoto, frizzi kurkhaus

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