Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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<strong>Die</strong> deutsche Innenpolitik im Spiegel <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> intellectuelle<br />
Von einer kontinuierlichen Beobachtung <strong>der</strong> innenpolitischen Ereignisse in Deutschland<br />
kann im Berichterstattungszeitraum nicht die Rede sein. Innenpolitik, so <strong>der</strong><br />
Eindruck, den <strong>Vie</strong> int. vermittelt, wird höchstens noch bis Anfang 1934 gemacht und<br />
dann ist Schluß. Im Überblick läßt sich in den nicht allzu zahlreichen Artikeln jedoch<br />
eine gewisse Kohärenz entdecken.<br />
Welches Deutschlandbild dabei entsteht, soll im folgenden dargelegt werden.<br />
Der Untergang <strong>der</strong> parlamentarischen Demokratie<br />
Erst knapp drei Jahre nach ihrer ersten Ausgabe <strong>1928</strong> bringt <strong>Vie</strong> int. einen Artikel,<br />
<strong>der</strong> sich ausschließlich auf die Innenpolitik des Nachbarlandes bezieht. Vorher standen<br />
an<strong>der</strong>e Themen im Vor<strong>der</strong>grund; weniger politische als philosophischliterarische.<br />
In den bis dahin auch schon zahlreichen Beiträgen zur Katholischen Frage<br />
wurden allerdings auch innenpolitische Aspekte angesprochen.<br />
Ein eindringliches Tableau <strong>der</strong> deutschen Parteienlandschaft zeichnet im Sept. 31<br />
Waldemar Gurian. 1 Er sieht das politische Leben in Deutschland zu Beginn <strong>der</strong> 30er<br />
Jahre ganz von <strong>der</strong> „katastrophalen Wirtschaftskrise“ bestimmt. 2 Gemäß ihrer jeweiligen<br />
Reaktion auf die wirtschaftliche Lage unterscheidet Gurian vier große politische<br />
Strömungen. <strong>Die</strong>s seien rechts die Nationalsozialisten unter Hitler und Hugenberg,<br />
die im Young-Plan 3 eine Versklavung Deutschlands sehen, <strong>der</strong> die parlamentarische<br />
Demokratie mit ihrem gefälligen Entgegenkommen gegenüber dem Ausland<br />
noch Vorschub leiste. Deshalb, so Gurian, wollen sie das System stürzen und nutzen<br />
die Krise demagogisch aus, indem sie dem internationalen Marxismus die Schuld<br />
daran geben. 4<br />
In <strong>der</strong> Mitte sieht Gurian vor allem die Zentrumspartei mit Brüning an <strong>der</strong> Spitze. Ihr<br />
gilt seine ganze Sympathie. Gurian gibt zu, daß die Reparationslast zu hoch und die<br />
Verpflichtungen des Young-Plans 5 für Deutschland unerträglich sind. Er zeigt großes<br />
Verständnis für die deutschen Probleme.<br />
Weiter links sieht er die Sozialdemokratie unter Braun, die den Angriffen und Umsturzversuchen<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten ausgesetzt sei, die sie <strong>der</strong> Schwäche und des<br />
nationalen Verrats bezichtigen.<br />
1 Er schreibt im Beobachtungszeitraum nur einmal über Deutschland. Seine biographischen Daten sind<br />
unbekannt.<br />
2 <strong>Vie</strong> int., Juli-September 1931, S. 418. Dazu im Kapitel „Wirtschaft und Soziales“ mehr. Es ist zu<br />
berücksichtigen, daß die Politik auch dieser Jahre untrennbar mit <strong>der</strong> Wirtschaft und <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
verbunden ist.<br />
3 5. September 1929; vgl. Gebhardt, a.a.O.; S. 150, 151, 159. Gurian schreibt nichts über die Regelungen<br />
dieses Vertragswerks. Er setzt sie wahrscheinlich bei seinen Lesern als bekannt voraus. Er berichtet<br />
nur kurz über die Reaktion <strong>der</strong> Hitler-Anhänger.<br />
4 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 418-419<br />
5 a.a.O., S. 419<br />
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