Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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des Staates geführt hat. Er beginnt in der Zeit um 1789. 1 Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen dem Staat und dem Teil des Klerus, der den Verfassungseid nicht ablegen wollte, wurde 1802 verfügt, daß kein kirchlicher Orden mehr Schulen betreiben dürfe. 2 Es sollte jetzt ein staatliches Bildungswesen geben. 3 1850 verschaffte das Gesetz Falloux der katholischen Kirche wieder Einfluß im Sekundarschulbereich. Noch 1871 führten sowohl die Republikaner als auch die katholische Kirche die Niederlage auf die preußische Überlegenheit im Bildungswesen zurück. Die Konsequenz war die Zurückdrängung der kirchlichen Einflüsse aus dem Schulbereich. 4 Ab 1881 setzten die Republikaner unter Regierungschef und Unterrichtsminister Jules Ferry die Schulpflicht, die Unentgeltlichkeit und die Laizität durch. Das Schulsystem wurde jetzt antiklerikal, wenn auch nicht antireligiös. Deshalb brauchte die Kirche eine Entfremdung der Bevölkerung vom Christentum nicht zu befürchten. 5 Anläßlich der Dreyfus-Affäre setzte sich die monarchistisch-nationalistische und auch die antisemitische Linie in der Kirche noch einmal durch. 1898 entstand die Action Française, und auch in der Literatur schlug sich der „renouveau catholique“ nieder: Paul Claudel, Charles Péguy, Francis Jammes und später Georges Bernanos waren seine wichtigsten Vertreter. 6 Nach der Dreyfus-Affäre wurde der Aufschwung der Monarchisten und des Klerus von den Republikanern gestoppt. Sie formierten 1901 die „Radikalsozialistische Partei“ und verhalfen schließlich der laizistischen Idee zum Durchbruch. 7 1905 findet der von Ferry eingeleitete Kirchenkampf durch die endgültige Trennung von Staat und Kirche ein Ende. Die katholischen Orden wurden aus dem öffentlich-rechtlichen Schulwesen nun völlig verdrängt. 8 Bis heute bleiben sie auf den Privatschulbereich beschränkt. 9 Angesichts dieses langen und erbitterten Ringens um das Erziehungswesen ist es nicht verwunderlich, daß die katholische Vie int. keinen anderen Bereich in Deutschland derart leidenschaftlich verfolgt wie das Bildungswesen und die versuchte Ausschaltung katholischen Kultur- und Gedankengutes durch die Nationalsozialisten schärfstens verurteilt. Ein weiterer Grund, warum Vie int. vom Anschluß abrät, ist die französische Angst vor deutschem Machtzuwachs, 10 aus der Frankreich mittels wirtschaftlicher Repressalien das Projekt des deutsch-österreichischen Zollvereins vom März 1931 zum 1 Erbe, Michael: Geschichte Frankreichs von der Großen Revolution bis zur Dritten Republik: 1789- 1884; Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1982, S. 163 2 a.a.O., S. 165 3 a.a.O., S. 166 4 Erbe, M., a.a.O., S. 169 5 a.a.O., S. 170 6 Schmidt, B. u.a. (Hrsg.): Frankreich-Lexikon, I, a.a.O., S. 254 7 Sieburg, Heinz-Otto: Grundzüge der französischen Geschichte, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 3. Aufl., Darmstadt 1984, S. 154 8 Erbe, a.a.O., S. 170 und Sieburg, a.a.O., S. 161 9 Frankreich-Lexikon, a.a.O., S. 263 10 Vie int., Juli-Sept. 1931, S. 262 68

Scheitern brachte. 1 Diesen für die Abkühlung der deutsch-französischen Beziehungen so bedeutenden Vorfall 2 deutet Vie int. aber nur an. Es fällt auf, daß die Zeitschrift häufig beim Leser voraussetzt, daß er das politische Tagesgeschehen kennt. Bei der Schilderung der Entwicklungen in Österreich wird deutlich, daß Vie int. die sich dort verstärkenden autoritären Tendenzen begrüßt. Die Außerkraftsetzung des Nationalrats am 4. März 1933 und die Alleinherrschaft von Dollfuß 3 hätten nichts mit Faschismus zu tun 4 , sondern dienten der Einigung und Stärkung des Landes. 5 Vie int. spricht sich vehement für den Erhalt des um seine Eigenstaatlichkeit ringende Österreich aus. Dabei erscheinen die deutschen Nationalsozialisten, die Terror und Diffamierung verbreiten, als Feinde schlechthin. Sie seien in ihrer Brutalität radikal und hassenswert, stellt Robert d’Harcourt im Juli 1934 fest. 6 Eine solche dezidierte und unzweideutige Stellungnahme ist für die politischen Artikel der Vie int. eine Seltenheit. Seltsam ist allerdings auch die von illusorischem Optimismus getragene Auffassung, daß es trotz aller Bedrohung durch das Reich keine ernstzunehmende Hinwendung zum Hitlertum in Österreich gebe. 7 Diese Annahme trägt in keiner Weise den Ausschreitungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen Rechnung. 8 Wenn Vie int. die politisch wirksamen Kräfte der Jahre 1933 und 1934 beschreibt, nimmt sie ganz klar eine antisozialistische Haltung ein. Sie macht den Sozialisten den Vorwurf, beim Putsch gegen Dollfuß am 25. Juli 1934, bei dem dieser ermordet wurde, als Komplizen der Nationalsozialisten mitgewirkt zu haben, 9 wogegen allerdings die Tatsache spricht, daß die Sozialdemokraten angesichts der sich nach dem Verbot der nationalsozialistischen Partei am 19. Juni 1933 ausbreitenden Gewalt den Anschlußparagraphen aus ihrem Programm strichen 10 und später im Februar 1934 nach einem Aufstand als Partei aufgelöst wurden. 11 Die politisch rechte Einstellung von Vie int. spiegelt nicht die Tendenz der französischen Regierung wider. Diese wird in dieser Zeit, also 1933, aus einem Bündnis von Sozialisten und Radikalen unter dem Ministerpräsidenten Albert Lebrun gebildet. 12 An dieses links regierte Frankreich richtet Vie int. sogar den Appell, Österreich zu 1 Vie int., a.a.O., S. 261 2 Vgl. hierzu Bloch, a.a.O., S. 327 f 3 Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte der Republik Österreich, R. Oldenbourg Verlag, München 1977, S. 199 4 So bewertet es auch Carsten, F.: Im Unterschied zu Italien und Deutschland habe es in Österreich keine breite faschistische Bewegung und keine Übernahme durch eine faschistische Partei gegeben. Dollfuß sei der rechtmäßige Kanzler gewesen; in: ders.: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler; Wilhelm Fink Verlag, München 1977, S. 219 f. Ebenso Nolte, a.a.O., S. 41 5 Vie int., 10.10.1933, S. 98, 99 6 a.a.O.,10.7.1934, S. 85 7 Vie int., Okt.-Dez. 1935, S. 120 8 Benedikt, a.a.O., S. 241, 245 9 Vie int., Okt.-Dez. 1935, S. 116 und 10.10.1933, S. 98 10 Benedikt, a.a.O., S. 203 f 11 a.a.O., S. 218 12 Bloch, a.a.O., S. 379 69

Scheitern brachte. 1 <strong>Die</strong>sen für die Abkühlung <strong>der</strong> deutsch-französischen Beziehungen<br />

so bedeutenden Vorfall 2 deutet <strong>Vie</strong> int. aber nur an. Es fällt auf, daß die Zeitschrift<br />

häufig beim Leser voraussetzt, daß er das politische Tagesgeschehen kennt.<br />

Bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entwicklungen in Österreich wird deutlich, daß <strong>Vie</strong> int. die<br />

sich dort verstärkenden autoritären Tendenzen begrüßt. <strong>Die</strong> Außerkraftsetzung des<br />

Nationalrats am 4. März 1933 und die Alleinherrschaft von Dollfuß 3 hätten nichts<br />

mit Faschismus zu tun 4 , son<strong>der</strong>n dienten <strong>der</strong> Einigung und Stärkung des Landes. 5<br />

<strong>Vie</strong> int. spricht sich vehement für den Erhalt des um seine Eigenstaatlichkeit ringende<br />

Österreich aus. Dabei erscheinen die deutschen Nationalsozialisten, die Terror und<br />

Diffamierung verbreiten, als Feinde schlechthin. Sie seien in ihrer Brutalität radikal<br />

und hassenswert, stellt Robert d’Harcourt im Juli 1934 fest. 6 Eine solche dezidierte<br />

und unzweideutige Stellungnahme ist für die politischen Artikel <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. eine<br />

Seltenheit.<br />

Seltsam ist allerdings auch die von illusorischem Optimismus getragene Auffassung,<br />

daß es trotz aller Bedrohung durch das Reich keine ernstzunehmende Hinwendung<br />

zum Hitlertum in Österreich gebe. 7 <strong>Die</strong>se Annahme trägt in keiner Weise den Ausschreitungen<br />

und bürgerkriegsähnlichen Zuständen Rechnung. 8<br />

Wenn <strong>Vie</strong> int. die politisch wirksamen Kräfte <strong>der</strong> Jahre 1933 und 1934 beschreibt,<br />

nimmt sie ganz klar eine antisozialistische Haltung ein. Sie macht den Sozialisten<br />

den Vorwurf, beim Putsch gegen Dollfuß am 25. Juli 1934, bei dem dieser ermordet<br />

wurde, als Komplizen <strong>der</strong> Nationalsozialisten mitgewirkt zu haben, 9 wogegen allerdings<br />

die Tatsache spricht, daß die Sozialdemokraten angesichts <strong>der</strong> sich nach dem<br />

Verbot <strong>der</strong> nationalsozialistischen Partei am 19. Juni 1933 ausbreitenden Gewalt den<br />

Anschlußparagraphen aus ihrem Programm strichen 10 und später im Februar 1934<br />

nach einem Aufstand als Partei aufgelöst wurden. 11<br />

<strong>Die</strong> politisch rechte Einstellung von <strong>Vie</strong> int. spiegelt nicht die Tendenz <strong>der</strong> französischen<br />

Regierung wi<strong>der</strong>. <strong>Die</strong>se wird in dieser Zeit, also 1933, aus einem Bündnis von<br />

Sozialisten und Radikalen unter dem Ministerpräsidenten Albert Lebrun gebildet. 12<br />

An dieses links regierte Frankreich richtet <strong>Vie</strong> int. sogar den Appell, Österreich zu<br />

1 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 261<br />

2 Vgl. hierzu Bloch, a.a.O., S. 327 f<br />

3 Benedikt, Heinrich (Hrsg.): Geschichte <strong>der</strong> Republik Österreich, R. Oldenbourg Verlag, München<br />

1977, S. 199<br />

4 So bewertet es auch Carsten, F.: Im Unterschied zu Italien und Deutschland habe es in Österreich<br />

keine breite faschistische Bewegung und keine Übernahme durch eine faschistische Partei gegeben.<br />

Dollfuß sei <strong>der</strong> rechtmäßige Kanzler gewesen; in: <strong>der</strong>s.: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu<br />

Hitler; Wilhelm Fink Verlag, München 1977, S. 219 f. Ebenso Nolte, a.a.O., S. 41<br />

5 <strong>Vie</strong> int., 10.10.1933, S. 98, 99<br />

6 a.a.O.,10.7.1934, S. 85<br />

7 <strong>Vie</strong> int., Okt.-Dez. 1935, S. 120<br />

8 Benedikt, a.a.O., S. 241, 245<br />

9 <strong>Vie</strong> int., Okt.-Dez. 1935, S. 116 und 10.10.1933, S. 98<br />

10 Benedikt, a.a.O., S. 203 f<br />

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12 Bloch, a.a.O., S. 379<br />

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