Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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te, unter allen Umständen eine bewaffnete Auseinandersetzung zu verhindern. Er findet deshalb den Vorwurf gegen die Regierung, sie sei pro-bolschewistisch bzw. faschistisch, unberechtigt. Nous avons préféré employer tous les moyens pour empêcher cette agression de se produire. 1 Zu Recht wirft er Deutschland Vertragsbruch vor durch den Flottenpakt mit England. 2 Der Leser merkt, daß sich Tolédano der Schwäche des französischen Bündnissystems bewußt ist. Umso mehr insistiert er: „... jusqu’au bout [...] nous voulons la paix par la conciliation.“ Und: „Sécurité, leit-motiv de la France [...]“ 3 Er will nicht wahrhaben, daß sich England Deutschland zuwendet. Im Gegenteil: Er fordert gegenseitige Sicherheit durch lückenlose Vertragstreue. 4 Deren Überwachung erhofft er sich ganz stark vom Völkerbund 5 , obwohl er vorher von dessen Wirkungslosigkeit überzeugt war. Mit Entsetzen sieht er den italienischäthiopischen Konflikt. Er wünscht inständig, dem Völkerbund möge es gelingen, diese Katastrophe abzuwenden. 6 Tolédano hofft also auf Konfliktvermeidung. Er führt sein christliches Gewissen gegen die italienische Aggression an 7 , dennoch verurteilt er sie nicht. Er steht vielmehr auf der Seite Italiens, wie es zur Zeit typisch ist für die französische Rechte. 8 Er hat sogar Mitleid mit Mussolini, weil er bei der Entscheidung für oder gegen die Invasion „terriblement seul“ sei. 9 Ein paar Monate später ist Tolédano soweit, daß er das „Werk Mussolinis in Afrika“ lobt. 10 So zeigen seine außenpolitischen Artikel, daß das Gründungspostulat der Vie int. „Catholique d’abord - Politique après“ 11 bei Tolédano nicht ganz zum Tragen kommt. Damit ist die außenpolitische Berichterstattung über Deutschland zunächst beendet. Acht Monate erscheinen keine Aufsätze mehr, die sich speziell mit diesem Thema befassen. Von einem Desinteresse an Deutschland kann dennoch nicht die Rede sein, denn in jeder Ausgabe der Vie int. erscheinen durchschnittlich zwei umfangreiche Artikel zu Deutschland. 1 Vie int., a.a.O., S. 684 2 a.a.O. 3 a.a.O., S. 683 4 a.a.O., S. 685 5 a.a.O. 6 a.a.O., S. 686 7 Vie int., 25.9.1935, S. 686, 687 8 Bloch, a.a.O., S. 449 9 Vie int., a.a.O., S. 687 10 Vie int., 25.7.-25.8.1936, S. 266 11 vgl. Lettre de la Tour-Maubourg, Mai 1937, a.a.O., S. 12 60

Frage der Bündnisse und deutsche Machtausdehnung In der Sommerausgabe 1936 erfährt der Leser vom Wunsch Deutschlands, in den Völkerbund zurückzukehren. René Dagallier, der sich nur dieses eine Mal in Vie int. zu Wort meldet, weist darauf hin, daß Hitler sein Rückkehrangebot in eben dem Moment macht, wo er mit seinem Einmarsch in das Rheinland den Locarno-Pakt verletzt hat. Und er findet gut, daß der Völkerbund auf dieses Ansinnen mit Zurückhaltung reagiert. 1 Dagallier vermutet allerdings, daß England eine Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund befürworten würde. 2 Er selbst sieht die Gefahr, daß Deutschland, wenn es Mitglied wäre, Entscheidungen des Völkerbundes blockieren könnte und letztlich nur seine „imperialistischen Bestrebungen“ durch den Völkerbund abgesegnet sehen will. 3 Trotz dieser Einwände ist Dagallier für die Reintegration in die Völkergemeinschaft. Denn die Gefahr, die von einem politisch isolierten und stark gerüsteten Deutschland ausgeht, sei am besten durch Verhandlungen und Einbettung in ein Netz von Verpflichtungen zu bannen. 4 In dem Maße, wie die deutsche Rüstungsproduktion in Gang kommt, beschäftigt in Frankreich die Geschichte der deutschen Armee Schriftsteller und Journalisten. Einer von ihnen ist Robert Pitrou. Er stellt in Vie int. die paramilitärische Ausbildung der Jugend durch die Nazis als beispielhaft für Frankreich hin. Benoist-Méchin, der spätere Kollaborateur, teilt Pitrous Ansicht. Er bezeichnet die deutsche Reichswehr als das Rückgrat der Nation. 5 Am Beispiel des preußischen Offiziers läßt Benoist- Méchin generalisierend das Bild des dienenden, militaristischen Deutschen entstehen. Dieser halte mit seinem Gehorsam den Staat aufrecht. Er ordne sich gern einem Kommando unter und erliege der Verführung durch die Uniform 6 - ein spätestens seit 1870 gängiges Klischee. 7 Robert Pitrou schlägt nicht den Bogen zur aktuellen deutschen Aufrüstung. Er deutet mit keinem Wort an, daß diese Armee, die er stark und diszipliniert findet, eine breite Öffentlichkeit in Frankreich ängstigt. Das läßt darauf schließen, daß er die Bedrohung durch Deutschland entweder nicht fühlt oder sie nicht wahrhaben will, obwohl er die Veränderungen in der deutschen Gesellschaft des Dritten Reiches recht gut erkennt. Anders als Robert Pitrou und Benoist-Méchin ist ein Großteil der Franzosen von pazifistischen Gefühlen getragen. Hierzu zählen auch zahlreiche Katholiken, die sich bis in die Mitte der 30er Jahre dem Friedenserhalt verschrieben haben. Sie kommen natürlich in Vie int. zu Wort und setzen der Zeitschrift ihren Stempel auf. Doch wie 1 Vie int., Juni/Juli 1936, S. 82 2 a.a.O. 3 a.a.O., S. 84 4 a.a.O. 5 Vie int., Dezember/Januar 1936/37, S. 88-93 6 a.a.O., S. 89 7 zur militärischen Färbung des französischen Deutschlandbildes vgl. auch: Reichel, Edward: Das Preußenbild in der französischen Literatur des 19. Und 20. Jahrhunderts, in: französisch heute 4, 1986, S. 419-432 61

Frage <strong>der</strong> Bündnisse und deutsche Machtausdehnung<br />

In <strong>der</strong> Sommerausgabe 1936 erfährt <strong>der</strong> Leser vom Wunsch Deutschlands, in den<br />

Völkerbund zurückzukehren. René Dagallier, <strong>der</strong> sich nur dieses eine Mal in <strong>Vie</strong> int.<br />

zu Wort meldet, weist darauf hin, daß Hitler sein Rückkehrangebot in eben dem<br />

Moment macht, wo er mit seinem Einmarsch in das Rheinland den Locarno-Pakt<br />

verletzt hat. Und er findet gut, daß <strong>der</strong> Völkerbund auf dieses Ansinnen mit Zurückhaltung<br />

reagiert. 1<br />

Dagallier vermutet allerdings, daß England eine Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund<br />

befürworten würde. 2 Er selbst sieht die Gefahr, daß Deutschland, wenn es<br />

Mitglied wäre, Entscheidungen des Völkerbundes blockieren könnte und letztlich nur<br />

seine „imperialistischen Bestrebungen“ durch den Völkerbund abgesegnet sehen<br />

will. 3 Trotz dieser Einwände ist Dagallier für die Reintegration in die Völkergemeinschaft.<br />

Denn die Gefahr, die von einem politisch isolierten und stark gerüsteten<br />

Deutschland ausgeht, sei am besten durch Verhandlungen und Einbettung in ein Netz<br />

von Verpflichtungen zu bannen. 4<br />

In dem Maße, wie die deutsche Rüstungsproduktion in Gang kommt, beschäftigt in<br />

Frankreich die Geschichte <strong>der</strong> deutschen Armee Schriftsteller und Journalisten. Einer<br />

von ihnen ist Robert Pitrou. Er stellt in <strong>Vie</strong> int. die paramilitärische Ausbildung <strong>der</strong><br />

Jugend durch die Nazis als beispielhaft für Frankreich hin. Benoist-Méchin, <strong>der</strong> spätere<br />

Kollaborateur, teilt Pitrous Ansicht. Er bezeichnet die deutsche Reichswehr als<br />

das Rückgrat <strong>der</strong> Nation. 5 Am Beispiel des preußischen Offiziers läßt Benoist-<br />

Méchin generalisierend das Bild des dienenden, militaristischen Deutschen entstehen.<br />

<strong>Die</strong>ser halte mit seinem Gehorsam den Staat aufrecht. Er ordne sich gern einem<br />

Kommando unter und erliege <strong>der</strong> Verführung durch die Uniform 6 - ein spätestens seit<br />

1870 gängiges Klischee. 7 Robert Pitrou schlägt nicht den Bogen zur aktuellen deutschen<br />

Aufrüstung. Er deutet mit keinem Wort an, daß diese Armee, die er stark und<br />

diszipliniert findet, eine breite Öffentlichkeit in Frankreich ängstigt. Das läßt darauf<br />

schließen, daß er die Bedrohung durch Deutschland entwe<strong>der</strong> nicht fühlt o<strong>der</strong> sie<br />

nicht wahrhaben will, obwohl er die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft<br />

des Dritten Reiches recht gut erkennt.<br />

An<strong>der</strong>s als Robert Pitrou und Benoist-Méchin ist ein Großteil <strong>der</strong> Franzosen von pazifistischen<br />

Gefühlen getragen. Hierzu zählen auch zahlreiche Katholiken, die sich<br />

bis in die Mitte <strong>der</strong> 30er Jahre dem Friedenserhalt verschrieben haben. Sie kommen<br />

natürlich in <strong>Vie</strong> int. zu Wort und setzen <strong>der</strong> Zeitschrift ihren Stempel auf. Doch wie<br />

1 <strong>Vie</strong> int., Juni/Juli 1936, S. 82<br />

2 a.a.O.<br />

3 a.a.O., S. 84<br />

4 a.a.O.<br />

5 <strong>Vie</strong> int., Dezember/Januar 1936/37, S. 88-93<br />

6 a.a.O., S. 89<br />

7 zur militärischen Färbung des französischen Deutschlandbildes vgl. auch: Reichel, Edward: Das<br />

Preußenbild in <strong>der</strong> französischen Literatur des 19. Und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, in: französisch heute 4,<br />

1986, S. 419-432<br />

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