Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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wird zwischen den Zeilen deutlich. Aber da sich <strong>Vie</strong> int. als Sprachrohr des Vatikans<br />
versteht 1 , stellt sie sich <strong>der</strong> Papstentscheidung natürlich nicht entgegen. Auch sie<br />
findet es normal, daß die beiden deutschen Bischöfe nationalistische Gefühle predigen,<br />
auch wenn sie damit zum Anschluß an ein „undemokratisches“ und „neopaganistisches<br />
Regime“ beitragen. 2 <strong>Die</strong> Neutralität des Papstes, die keine ist, hängt mit dem<br />
Reichskonkordat zusammen, in dem sich Hitler und Pius XI. 1933 zur gegenseitigen<br />
Nichteinmischung verpflichteten. 3 <strong>Die</strong>se Erklärung <strong>der</strong> Nichteinmischung des Papstes<br />
im Saarland wird aber meines Wissens in <strong>der</strong> Sekundärliteratur nicht explizit<br />
formuliert. Zieht man in Betracht, daß <strong>der</strong> Vatikan <strong>der</strong> erste Staat war, <strong>der</strong> das Dritte<br />
Reich nach <strong>der</strong> Machtergreifung Hitlers diplomatisch anerkannte, so liegt <strong>der</strong> Schluß<br />
nahe, daß <strong>der</strong> Papst die nationalsozialistischen Anschlußbestrebungen im Saargebiet<br />
akzeptierte.<br />
So germanophil Jean de Pange auch sein mag, in <strong>der</strong> Beurteilung des kirchenpolitischen<br />
Machtkampfes vor <strong>der</strong> Saarabstimmung zeigt er die Zurückhaltung wie sie für<br />
<strong>Vie</strong> int. charakteristisch ist.<br />
Daß <strong>der</strong> territorialpolitische Aspekt aber auch eine Rolle spielt, wird in den auf die<br />
Wahl unmittelbar folgenden Leitartikeln deutlich. <strong>Vie</strong> int. wird konkret. Sie zeigt sich<br />
jetzt, im Nachhinein, sogar „erfreut“ darüber, daß nur 2124 Saarlän<strong>der</strong> (0,4%) für<br />
Frankreich stimmten 4 gegenüber 477119 (90,8%) für Deutschland. 5 Und das aus folgenden<br />
Gründen: Erstens, so argumentiert sie, sei das an Bevölkerungszahl und Fläche<br />
kleine Saarland sowieso nicht die Schwierigkeiten wert, die die Einglie<strong>der</strong>ung<br />
eines irredenten Gebietes mit sich brächte. 6 Das wäre viel zu „unbequem“ geworden.<br />
7 Zweitens wirft <strong>Vie</strong> int. <strong>der</strong> französischen Regierung vor, mit ihrer Wahlwerbung<br />
„Saarlän<strong>der</strong> wählt Frankreich“ sich doch noch im letzten Moment eingemischt<br />
und dabei eine Illusion von Freiheit geweckt zu haben, die es nicht mehr gegeben<br />
habe.<br />
<strong>Vie</strong> int. nimmt die Saarabstimmung zum Anlaß, kritisch über den innenpolitischen<br />
Zustand Frankreichs zu reflektieren. <strong>Die</strong> Saarlän<strong>der</strong> hätten geradezu gut daran getan,<br />
nicht das in Anarchie versinkende Frankreich mit seinen Finanzskandalen und unbeständigen<br />
Regierungen zu wählen. Hitler erscheint da als das kleinere Übel. 8 <strong>Die</strong>se<br />
Ansicht deckt sich mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> französischen Rechten. Obwohl aus Tradition germanophob,<br />
beginnt diese ab 1934/35 9 in Hitler-Deutschland ein Beispiel für Wirksamkeit<br />
und Ordnung zu sehen. 10<br />
1 Lettre de la Tour-Maubourg, Mai 1937, S. 19, 20<br />
2 <strong>Vie</strong> int., 25.1.1935, S. 264<br />
3 Volk, Ludwig: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1972, S.<br />
125-127; vgl. ausführlich, in dieser Arbeit das Kapitel „Kirchenpolitik“<br />
4 <strong>Vie</strong> int., 25.1.1935, S. 235, 263-265<br />
5 Für den status quo sprachen sich 46613 (8,8%) Stimmen aus; in: Von zur Mühlen, Patrick: „Schlagt<br />
Hitler an <strong>der</strong> Saar!“ Abstimmungskampf, Emigration und Wi<strong>der</strong>stand im Saargebiet, 1933-1935;<br />
Verlag Neue Gesellschaft GmbH, Bonn 1979, S. 228<br />
6 <strong>Vie</strong> int., 25.1.1935, S. 235<br />
7 10.2.1935, S. 419<br />
8 <strong>Vie</strong> int., 25.1.1935, S. 235, 236<br />
9 Winock: L’esprit de Munich, in <strong>der</strong>s.: Les Années trente, a.a.O., S. 120<br />
10 Bloch, a.a.O., S. 385, 386<br />
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