Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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das Verhalten Frankreichs, obwohl es wegen der Kohlegruben großes wirtschaftliches Interesse am Saargebiet hat 1 , als „loyal und zurückhaltend“. 2 Diese Wortwahl deutet auf eine Zustimmung zur eher passiven französischen Saar- Politik. Sie besteht seit Ende 1934 in einer aus Opportunismus betriebenen Annäherung an Deutschland. 3 Die Politik des neuen Außenministers Laval ist das Gegenteil dessen, was sein Vorgänger Barthou anstrebte. Dieser hatte die Hitler-Gefahr für Frankreich schon Anfang der 30er Jahre erkannt und wollte sie mittels eines umfassenden europäischen Vertragssystems bannen. Laval dagegen macht Konzessionen, um einen deutsch-französischen Konflikt zu vermeiden. Deshalb verzichtet er auf französische Propaganda an der Saar und versucht auch nicht, den nationalsozialistischen Druck auf die Wähler zu unterbinden. 4 Den nimmt Vie int. auch ganz emotionslos hin: „ ... des regrets seraient superflus ...“ 5 Bis kurz vor der Abstimmung verhält sich die Zeitschrift abwartend. Sie bezieht keine klare Position; sie sagt nicht, welches Ergebnis sie wünscht. Ob das Saargebiet an Deutschland zurückkehrt, ob der status quo unter der Völkerbund-Kommission aufrechterhalten oder ob es Frankreich angegliedert wird, scheint für Vie int. zunächst auch nur zweitrangig. Von ausschlaggebender Bedeutung ist für sie das Schicksal des Klerus und der Katholiken. Darüber klärt Jean de Pange die Vie int.-Leser auf. Er gilt als derjenige französische Katholik, der sich in den 20er und 30er Jahren am intensivsten für die Annäherung deutscher und französischer Intellektueller und Katholiken engagiert hat. 6 Und auch in der Saarfrage befürwortet er, aber nur andeutungsweise, daß man Zugeständnisse an Hitler machen müsse. 7 Die beständen z.B. darin, die Bildung eines eigenen apostolischen Vikariats und die Loslösung des Saargebietes von den Diözesen Trier und Speyer zu verhindern. 8 Damit vertritt de Pange dieselbe Meinung wie der hitlerfreundliche und deutsch-nationale Trierer Bischof Bornewasser, der durch diese Abtrennung Machtverlust befürchtet, und er hat auch dieselbe Position wie der Vatikan, der zur Beibehaltung des status quo tendiert. 9 Nach der Abstimmung rechtfertigt die Zeitschrift die Neutralität des Papstes damit, daß er die Wähler nicht beeinflussen wollte; denn ein kirchliches Votum hätte vielleicht zu einer den Interessen Hitlers zuwiderlaufenden Verselbständigung des Saargebietes geführt. Außerdem habe der Papst die patriotische Hoffnung der beiden Bischöfe auf Einheit der deutschen Nation akzeptieren wollen. 10 Daß dadurch der Papst die Seite der Nationalsozialisten unterstützt, die das Saarland zurückholen wollen, 1 Vie int., 25.12.1934, S. 440; vgl. hierzu auch Fischer, Per: Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich. Politische Entwicklung von 1945-1959; Alfred Metzner Verlag, Berlin 1959, S. 24 2 Vie int., 10.9.1934. S. 462 3 Poidevin/Bariéty, a.a.O., S. 384 4 Bloch, a.a.O., S. 420, 440, 441, 444, 445 5 Vie int. 25.1.1935, S. 263 6 Delbreil, a.a.O., S. 186 f und Elisabeth du Reau: Jean de Pange, a.a.O. 7 Vie int. 25.12.1934, S. 458-464 8 a.a.O., S. 461 9 a.a.O., S. 459 10 Vie int., 10.2.1935, S. 420 54

wird zwischen den Zeilen deutlich. Aber da sich Vie int. als Sprachrohr des Vatikans versteht 1 , stellt sie sich der Papstentscheidung natürlich nicht entgegen. Auch sie findet es normal, daß die beiden deutschen Bischöfe nationalistische Gefühle predigen, auch wenn sie damit zum Anschluß an ein „undemokratisches“ und „neopaganistisches Regime“ beitragen. 2 Die Neutralität des Papstes, die keine ist, hängt mit dem Reichskonkordat zusammen, in dem sich Hitler und Pius XI. 1933 zur gegenseitigen Nichteinmischung verpflichteten. 3 Diese Erklärung der Nichteinmischung des Papstes im Saarland wird aber meines Wissens in der Sekundärliteratur nicht explizit formuliert. Zieht man in Betracht, daß der Vatikan der erste Staat war, der das Dritte Reich nach der Machtergreifung Hitlers diplomatisch anerkannte, so liegt der Schluß nahe, daß der Papst die nationalsozialistischen Anschlußbestrebungen im Saargebiet akzeptierte. So germanophil Jean de Pange auch sein mag, in der Beurteilung des kirchenpolitischen Machtkampfes vor der Saarabstimmung zeigt er die Zurückhaltung wie sie für Vie int. charakteristisch ist. Daß der territorialpolitische Aspekt aber auch eine Rolle spielt, wird in den auf die Wahl unmittelbar folgenden Leitartikeln deutlich. Vie int. wird konkret. Sie zeigt sich jetzt, im Nachhinein, sogar „erfreut“ darüber, daß nur 2124 Saarländer (0,4%) für Frankreich stimmten 4 gegenüber 477119 (90,8%) für Deutschland. 5 Und das aus folgenden Gründen: Erstens, so argumentiert sie, sei das an Bevölkerungszahl und Fläche kleine Saarland sowieso nicht die Schwierigkeiten wert, die die Eingliederung eines irredenten Gebietes mit sich brächte. 6 Das wäre viel zu „unbequem“ geworden. 7 Zweitens wirft Vie int. der französischen Regierung vor, mit ihrer Wahlwerbung „Saarländer wählt Frankreich“ sich doch noch im letzten Moment eingemischt und dabei eine Illusion von Freiheit geweckt zu haben, die es nicht mehr gegeben habe. Vie int. nimmt die Saarabstimmung zum Anlaß, kritisch über den innenpolitischen Zustand Frankreichs zu reflektieren. Die Saarländer hätten geradezu gut daran getan, nicht das in Anarchie versinkende Frankreich mit seinen Finanzskandalen und unbeständigen Regierungen zu wählen. Hitler erscheint da als das kleinere Übel. 8 Diese Ansicht deckt sich mit der der französischen Rechten. Obwohl aus Tradition germanophob, beginnt diese ab 1934/35 9 in Hitler-Deutschland ein Beispiel für Wirksamkeit und Ordnung zu sehen. 10 1 Lettre de la Tour-Maubourg, Mai 1937, S. 19, 20 2 Vie int., 25.1.1935, S. 264 3 Volk, Ludwig: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1972, S. 125-127; vgl. ausführlich, in dieser Arbeit das Kapitel „Kirchenpolitik“ 4 Vie int., 25.1.1935, S. 235, 263-265 5 Für den status quo sprachen sich 46613 (8,8%) Stimmen aus; in: Von zur Mühlen, Patrick: „Schlagt Hitler an der Saar!“ Abstimmungskampf, Emigration und Widerstand im Saargebiet, 1933-1935; Verlag Neue Gesellschaft GmbH, Bonn 1979, S. 228 6 Vie int., 25.1.1935, S. 235 7 10.2.1935, S. 419 8 Vie int., 25.1.1935, S. 235, 236 9 Winock: L’esprit de Munich, in ders.: Les Années trente, a.a.O., S. 120 10 Bloch, a.a.O., S. 385, 386 55

das Verhalten Frankreichs, obwohl es wegen <strong>der</strong> Kohlegruben großes wirtschaftliches<br />

Interesse am Saargebiet hat 1 , als „loyal und zurückhaltend“. 2<br />

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Politik. Sie besteht seit Ende 1934 in einer aus Opportunismus betriebenen Annäherung<br />

an Deutschland. 3 <strong>Die</strong> Politik des neuen Außenministers Laval ist das Gegenteil<br />

dessen, was sein Vorgänger Barthou anstrebte. <strong>Die</strong>ser hatte die Hitler-Gefahr für<br />

Frankreich schon Anfang <strong>der</strong> 30er Jahre erkannt und wollte sie mittels eines umfassenden<br />

europäischen Vertragssystems bannen. Laval dagegen macht Konzessionen,<br />

um einen deutsch-französischen Konflikt zu vermeiden. Deshalb verzichtet er auf<br />

französische Propaganda an <strong>der</strong> Saar und versucht auch nicht, den nationalsozialistischen<br />

Druck auf die Wähler zu unterbinden. 4 Den nimmt <strong>Vie</strong> int. auch ganz emotionslos<br />

hin: „ ... des regrets seraient superflus ...“ 5<br />

Bis kurz vor <strong>der</strong> Abstimmung verhält sich die Zeitschrift abwartend. Sie bezieht keine<br />

klare Position; sie sagt nicht, welches Ergebnis sie wünscht. Ob das Saargebiet an<br />

Deutschland zurückkehrt, ob <strong>der</strong> status quo unter <strong>der</strong> Völkerbund-Kommission aufrechterhalten<br />

o<strong>der</strong> ob es Frankreich angeglie<strong>der</strong>t wird, scheint für <strong>Vie</strong> int. zunächst<br />

auch nur zweitrangig. Von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung ist für sie das Schicksal des<br />

Klerus und <strong>der</strong> Katholiken.<br />

Darüber klärt Jean de Pange die <strong>Vie</strong> int.-Leser auf. Er gilt als <strong>der</strong>jenige französische<br />

Katholik, <strong>der</strong> sich in den 20er und 30er Jahren am intensivsten für die Annäherung<br />

deutscher und französischer Intellektueller und Katholiken engagiert hat. 6 Und auch<br />

in <strong>der</strong> Saarfrage befürwortet er, aber nur andeutungsweise, daß man Zugeständnisse<br />

an Hitler machen müsse. 7 <strong>Die</strong> beständen z.B. darin, die Bildung eines eigenen apostolischen<br />

Vikariats und die Loslösung des Saargebietes von den Diözesen Trier und<br />

Speyer zu verhin<strong>der</strong>n. 8 Damit vertritt de Pange dieselbe Meinung wie <strong>der</strong> hitlerfreundliche<br />

und deutsch-nationale Trierer Bischof Bornewasser, <strong>der</strong> durch diese Abtrennung<br />

Machtverlust befürchtet, und er hat auch dieselbe Position wie <strong>der</strong> Vatikan,<br />

<strong>der</strong> zur Beibehaltung des status quo tendiert. 9<br />

Nach <strong>der</strong> Abstimmung rechtfertigt die Zeitschrift die Neutralität des Papstes damit,<br />

daß er die Wähler nicht beeinflussen wollte; denn ein kirchliches Votum hätte vielleicht<br />

zu einer den Interessen Hitlers zuwi<strong>der</strong>laufenden Verselbständigung des Saargebietes<br />

geführt. Außerdem habe <strong>der</strong> Papst die patriotische Hoffnung <strong>der</strong> beiden Bischöfe<br />

auf Einheit <strong>der</strong> deutschen Nation akzeptieren wollen. 10 Daß dadurch <strong>der</strong> Papst<br />

die Seite <strong>der</strong> Nationalsozialisten unterstützt, die das Saarland zurückholen wollen,<br />

1 <strong>Vie</strong> int., 25.12.1934, S. 440; vgl. hierzu auch Fischer, Per: <strong>Die</strong> Saar zwischen Deutschland und<br />

Frankreich. Politische Entwicklung von 1945-1959; Alfred Metzner Verlag, Berlin 1959, S. 24<br />

2 <strong>Vie</strong> int., 10.9.1934. S. 462<br />

3 Poidevin/Bariéty, a.a.O., S. 384<br />

4 Bloch, a.a.O., S. 420, 440, 441, 444, 445<br />

5 <strong>Vie</strong> int. 25.1.1935, S. 263<br />

6 Delbreil, a.a.O., S. 186 f und Elisabeth du Reau: Jean de Pange, a.a.O.<br />

7 <strong>Vie</strong> int. 25.12.1934, S. 458-464<br />

8 a.a.O., S. 461<br />

9 a.a.O., S. 459<br />

10 <strong>Vie</strong> int., 10.2.1935, S. 420<br />

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