Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Ein Jahr später werden die innenpolitischen Maßnahmen negativ bewertet. Hitler<br />
wird als Anstreicher unterschätzt, <strong>der</strong> sich zwischen außenpolitischen Notwendigkeiten<br />
und Machtkämpfen im Inneren zerreißt. <strong>Vie</strong> int. sieht Hitler am Ende. <strong>Die</strong><br />
deutsche Propagandamaschinerie hilft aber, ein geschöntes Selbstbildnis zu entwerfen.<br />
<strong>Die</strong> einigende Scheinwelt <strong>der</strong> Propaganda durchschaut <strong>Vie</strong> int., dem Glanz <strong>der</strong><br />
Wehrmacht verfällt sie tatsächlich.<br />
Es zeigt sich, daß <strong>Vie</strong> int., auch was die Innenpolitik in Deutschland betrifft, gut informiert<br />
ist. Ihre Einschätzung <strong>der</strong> innenpolitischen Ereignisse ist zutreffend und<br />
realistisch. Weitblickend erkennt sie die Auswirkungen <strong>der</strong> Machtergreifung für das<br />
Innere wie für die äußeren Beziehungen. Sie spürt, daß Frankreich von Deutschland<br />
nichts Gutes zu erwarten hat.<br />
Sie schreibt aber nicht über alles, was in Deutschland innenpolitisch wichtig ist. Das<br />
mag damit zusammenhängen, daß z.B. ihr nahestehende Organisationen dabei eine<br />
unrühmliche Rolle spielen, wie das Zentrum beim Ermächtigungsgesetz, o<strong>der</strong> daß es<br />
gegen Juden und Kommunisten geht, wie beim Reichstagsbrand. Über die Gleichschaltung<br />
<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>parlamente schreibt sie verspätet, dafür aber umso enthusiastischer.<br />
Der neue deutsche Einheitsgedanke wird verherrlicht und Frankreich als Vorbild<br />
hingestellt. <strong>Die</strong> wahre Bedeutung, nämlich die Machtbeschneidung <strong>der</strong> Regionalregierungen,<br />
wird verkannt.<br />
<strong>Die</strong> innenpolitischen Ereignisse in Deutschland werden nicht einheitlich bewertet. Je<br />
nach Autor und Thema werden sie mal hell, freundlich und als vorbildhaft dargestellt,<br />
mal als abschreckend und brutal. <strong>Die</strong> innenpolitische Berichterstattung ist etwas<br />
dispers, aber gut fundiert.<br />
Sie hängt für <strong>Vie</strong> int. eng mit den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in<br />
Deutschland zusammen. Ihr Urteil muß vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Wirtschafts- und<br />
Sozialpolitik Frankreichs in den 30er Jahren gesehen werden.<br />
Den rein wirtschaftlichen und sozialen Vorgängen in Deutschland steht <strong>Vie</strong> int. seit<br />
<strong>der</strong> Machtergreifung Hitlers durchweg positiv gegenüber. <strong>Die</strong> Ansätze von Sozialisierung<br />
werden bemerkt und mit Zurückhaltung behandelt. Das Fehlen marxistischer<br />
o<strong>der</strong> kommunistischer Tendenzen wird als beruhigend empfunden. <strong>Die</strong> Unterstützung<br />
von Arbeitern, Bauern und sozial Schwachen wird gutgeheißen. Auf das Ausson<strong>der</strong>n<br />
„untauglicher“ Bürger, die aus dem sozialen Netz gedrängt werden, geht <strong>Vie</strong><br />
int. jedoch mit keinem Wort ein.<br />
Sie stimmt dem Schutz des Privateigentums zu und <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Unternehmerinitiative.<br />
Zum nationalsozialistischen Konzept paßt, daß die Zeitschrift gegen<br />
den ungebremsten Wirtschaftskapitalismus ist, wie es ihn bis zu Beginn <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise<br />
1929 gab. Deshalb gefällt ihr <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ate Kapitalismus des Dritten<br />
Reiches. <strong>Die</strong> nationalsozialistische Ideologie durchdringt zwar jeden Betrieb und jede<br />
Organisation, aber das findet sie nicht abträglich. Der Maßstab des Erfolgs ist die<br />
Auflösung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit.<br />
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