Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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des Jungvolks und der Hitler-Jugend“ spricht und von den „schönen, rosafarbenen Wangen und den strammen Waden der Mädchen“. Er schämt sich für die „alberne Aufmachung der Pariser Arbeiterin“, wenn er sie mit den „defilierenden deutschen Mädchen in den braunen Kostümen“ vergleicht. 1 Gemeinschaftsgefühl und Herrschaft der Natur erwecken „natürliche Instinkte“. 2 Positiv betrachtet, verringern diese die „sexuellen Schranken“. 3 Andererseits bedeutet ihre „Vergöttlichung die bewußte Bejahung eines neuen biologischen Paganismus“ 4 ; der habe bereits praktische Auswirkungen, mißbilligt Viveyrol. Die Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen würden z.B. im Arbeitsdienst derart gefördert, daß die dortige „spezielle Geburtenrate einen hohen Prozentsatz an den 200 000 Geburten des Jahres 1934“ gehabt habe. 5 Eine erstaunliche Feststellung angesichts der Tatsache, daß der Reichsarbeitsdienst per Gesetz erst am 22.6.1935 eingeführt wurde. 6 Leider erschwert der synonyme Gebrauch der Worte „camp de travail“ und „Arbeitsdienst“ die Interpretation. Der Zusammenhang, in dem die Begriffe auftreten, nämlich Jugendbewegung der Wandervögel und Hitler-Jugend, läßt den Schluß zu, daß Viveyrol mit „camp de travail“ nicht die Arbeitslager für „Straffällige“ (sprich: KZ), sondern das von Jungen und Mädchen für das Wohl der Gemeinschaft abzuleistende Pflichtjahr meint. In dieser die Gemeinschaft fördernden Einrichtung des Arbeitsdienstes kommen, laut Vie int., die deutschen Wesensmerkmale Treue, Gehorsam und Ergebenheit zum Tragen. Der Deutsche erschaffe auch gern etwas. In seiner „selbstlosen Arbeitsauffassung“ sei er dazu fähig zu arbeiten, ohne an Gewinn zu denken. 7 Eher negativ scheinen sich auf das schöpferische Individuum Gehorsam und Unterwürfigkeit unter das Schicksal auszuwirken. So fasse z.B. der Arbeitslose seine Entlassung als Befehl auf, demzufolge er sich keine andere Beschäftigung suchen dürfe. 8 Das ist ein Arbeitslosenphlegma, das in konsterniert-vorwurfsvollem Ton beschrieben wird. Doch kennzeichnet ja auch Dynamik das deutsche Wesen. Sie erzeuge einen „Aufschwung auf dem Weg zur nationalen Bewußtseinsbildung“. 9 Zur Wiederfindung seines Nationalgefühls sei dem Deutschen die Wehrpflicht unentbehrlich. Sieburg beschreibt sie als „une sorte d’éthique dépourvue de toutes tendances utilitaires“. 10 So fühle der Deutsche militärisch, ohne im politischen Sinne Militarist zu sein. Zu den Wesensmerkmalen, die die Deutschen aus französischer Sicht für die nationalsozialistische Weltanschauung empfänglich machen, gehört ihr vermeintliches 1 Vie int., 10.4.1935, S. 134 2 a.a.O. 3 a.a.O., Jan.-März 1932, S. 138 4 a.a.O., 10.4.1935, S. 134 5 a.a.O.; zur allgemeinen Bevölkerungsdynamik im Dritten Reich, vgl. hier das Kapitel „Wirtschaftsund Sozialpolitik“ 6 Gebhardt, a.a.O., S. 204 7 Vie int., 10.9.1933, S. 434 8 a.a.O., 25.4.1933, S. 267 9 a.a.O., 10.9.1933, S. 434 10 a.a.O., S. 430 186

„rassistisches Credo“. 1 Sie glaubten nämlich an die Vorherbestimmtheit ihrer Rasse. Dabei, so differenziert Viveyrol, sei weniger der biologische Aspekt als der der Volksgesundheit ausschlaggebend. Er stellt fest, daß die Sorge um die Hygiene in Deutschland wahrhaft mystische Ausmaße annimmt. 2 Die hier vorgestellten Zusammenhänge bilden ein Spektrum, innerhalb dessen die Meinungen der französischen Beobachter zwischen Ablehnung und Anerkennung alternieren. Unbehagen lösen das Mystische, Mythenhafte und Kultische aus. Diese Begriffe tauchen häufig auf. Sie bezeichnen Seinsbereiche, die der auf dem antiken Ideal der Vernunft basierenden französischen Mentalität verschlossen sind. Angst schwebt zwischen den Zeilen, wenn von dem Kraftpotential die Rede ist, das die Gemeinschaftsorganisationen ausstrahlen und von dem man befürchtet, daß es sich einmal gegen Frankreich richten könnte. Furcht wird regelrecht durch Bemerkungen erzeugt wie, es sei ihre Grundeinstellung, die die Deutschen heute gefährlich mache, und sie würden von ehrgeizigen Anführern dazu angestachelt, eine drohende Haltung Frankreich gegenüber einzunehmen. 3 Neid erwecken das soziale Netz der Fürsorge, die Gesundheit des Volkes und das frische Aussehen der Jugend. Frankreich schneidet dabei aus der Sicht der Zeitschrift nicht so gut ab. Kaum auf Zustimmung stößt die als militärisch empfundene Ausrichtung der Jugendorganisationen. Die vermeintlich freizügigen Sitten im Arbeitsdienst lehnt die katholische Vie int. rundweg ab - auch wenn sie der Geburtensteigerung Vorschub leisten. Durchaus freundlich wird schließlich vor 1933 die nationale Bewußtseinswerdung der Deutschen aufgenommen und sogar als nachahmenswert die Verwirklichung des Rassenideals. Rückblick und Bewertung Die nationalsozialistische Ideologie wird schon im November 1932 in ihrer Tragweite richtig erfaßt. Sie sagt den Katholiken den Kampf an, es wird einen Kulturkampf geben. Vie int. kritisiert die neue Ideologie, weil sie die Partei zum Staatsgebilde und dieses zum Gott erhebt. Sie steht fassungslos vor der Selbstzerstörung der liberalen bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland. Das Nazitum sei kein dummer Jungenstreich, sondern ein totalitäres System. Im Mai 1934 taucht erstmals die Kritik an der „déchristianisation“ durch die Nazi-Ideologie auf. Sie ist ein Topos bis zum Ende der Berichterstattung 1940. Die Ablehnung der christlichen Werte wird als be- 1 Vie int., 10.4.1935, S. 132 2 a.a.O., Jan.-März 1932, S. 140; a.a.O., 10.4.1935, S. 133 3 a.a.O., 25.4.1933, S. 266 187

„rassistisches Credo“. 1 Sie glaubten nämlich an die Vorherbestimmtheit ihrer Rasse.<br />

Dabei, so differenziert Viveyrol, sei weniger <strong>der</strong> biologische Aspekt als <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Volksgesundheit ausschlaggebend. Er stellt fest, daß die Sorge um die Hygiene in<br />

Deutschland wahrhaft mystische Ausmaße annimmt. 2<br />

<strong>Die</strong> hier vorgestellten Zusammenhänge bilden ein Spektrum, innerhalb dessen die<br />

Meinungen <strong>der</strong> französischen Beobachter zwischen Ablehnung und Anerkennung<br />

alternieren.<br />

Unbehagen lösen das Mystische, Mythenhafte und Kultische aus. <strong>Die</strong>se Begriffe tauchen<br />

häufig auf. Sie bezeichnen Seinsbereiche, die <strong>der</strong> auf dem antiken Ideal <strong>der</strong><br />

Vernunft basierenden französischen Mentalität verschlossen sind.<br />

Angst schwebt zwischen den Zeilen, wenn von dem Kraftpotential die Rede ist, das<br />

die Gemeinschaftsorganisationen ausstrahlen und von dem man befürchtet, daß es<br />

sich einmal gegen Frankreich richten könnte. Furcht wird regelrecht durch Bemerkungen<br />

erzeugt wie, es sei ihre Grundeinstellung, die die Deutschen heute gefährlich<br />

mache, und sie würden von ehrgeizigen Anführern dazu angestachelt, eine drohende<br />

Haltung Frankreich gegenüber einzunehmen. 3<br />

Neid erwecken das soziale Netz <strong>der</strong> Fürsorge, die Gesundheit des Volkes und das<br />

frische Aussehen <strong>der</strong> Jugend. Frankreich schneidet dabei aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Zeitschrift<br />

nicht so gut ab.<br />

Kaum auf Zustimmung stößt die als militärisch empfundene Ausrichtung <strong>der</strong> Jugendorganisationen.<br />

<strong>Die</strong> vermeintlich freizügigen Sitten im Arbeitsdienst lehnt die<br />

katholische <strong>Vie</strong> int. rundweg ab - auch wenn sie <strong>der</strong> Geburtensteigerung Vorschub<br />

leisten.<br />

Durchaus freundlich wird schließlich vor 1933 die nationale Bewußtseinswerdung<br />

<strong>der</strong> Deutschen aufgenommen und sogar als nachahmenswert die Verwirklichung des<br />

Rassenideals.<br />

Rückblick und Bewertung<br />

<strong>Die</strong> nationalsozialistische Ideologie wird schon im November 1932 in ihrer Tragweite<br />

richtig erfaßt. Sie sagt den Katholiken den Kampf an, es wird einen Kulturkampf<br />

geben. <strong>Vie</strong> int. kritisiert die neue Ideologie, weil sie die Partei zum Staatsgebilde<br />

und dieses zum Gott erhebt. Sie steht fassungslos vor <strong>der</strong> Selbstzerstörung <strong>der</strong><br />

liberalen bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland. Das Nazitum sei kein dummer<br />

Jungenstreich, son<strong>der</strong>n ein totalitäres System. Im Mai 1934 taucht erstmals die Kritik<br />

an <strong>der</strong> „déchristianisation“ durch die Nazi-Ideologie auf. Sie ist ein Topos bis zum<br />

Ende <strong>der</strong> Berichterstattung <strong>1940</strong>. <strong>Die</strong> Ablehnung <strong>der</strong> christlichen Werte wird als be-<br />

1 <strong>Vie</strong> int., 10.4.1935, S. 132<br />

2 a.a.O., Jan.-März 1932, S. 140; a.a.O., 10.4.1935, S. 133<br />

3 a.a.O., 25.4.1933, S. 266<br />

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