Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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<strong>Die</strong> „Hitler-Theologie“ 1 ruft die Oppositionsbewegung des Pfarrernotbundes hervor.<br />
Zur selben Zeit spaltet sich ein noch radikalerer Flügel von den Deutschen Christen<br />
ab: <strong>Die</strong> Artgemäße Deutsche Glaubensbewegung. Als sie am 13. November 1933 im<br />
Berliner Sportpalast ihre extremen For<strong>der</strong>ungen verkündet (Abschaffung des Alten<br />
Testaments, sofortige Anwendung des Arierparagraphen, Erziehung zum Heldenkult),<br />
protestiert in ganz Deutschland <strong>der</strong> Pfarrernotbund gegen diese Attacken auf<br />
Evangelium und Glaubensbekenntnis. Eine starke Austrittswelle aus <strong>der</strong> Glaubensbewegung<br />
sowie die Abdankung des Reichsbischofs waren die Folge.<br />
<strong>Die</strong> französische Interpretation erkennt in diesen Ereignissen einen tieferen Sinn. Das<br />
Wesentliche <strong>der</strong> Doktrin <strong>der</strong> Deutschen Christen bestehe in <strong>der</strong> Anwendung des totalitären<br />
Prinzips auf die Kirche. Der Zusammenschluß <strong>der</strong> evangelischen Kirchen sei<br />
nicht von einem inneren, dem Geist <strong>der</strong> Kirche entsprechenden Prozeß ausgelöst<br />
worden, son<strong>der</strong>n von äußeren Vorgängen, die mehr politischer als kirchlicher Natur<br />
seien. Klépinine empfindet bei dem Spektakel im Sportpalast die Spannung, die sich<br />
zwischen dem Staat und dem inneren Wesen <strong>der</strong> Kirche manifestiert. Da hätten viele<br />
Deutsche Christen gemerkt, daß sie trotz <strong>der</strong> Behauptung, die gesamte Kirche zu repräsentieren,<br />
bzw. die Kirche überhaupt zu sein, in Wirklichkeit nur eine interne<br />
Gruppierung sind und daß infolge dessen die auf politischem Gebiet so überaus erfolgreiche<br />
totalitäre Doktrin im kirchlichen Bereich versagt hätte. Von daher auch die<br />
Austritte ganzer Organisationen und zahlreicher Einzelpersonen. 2 Zu diesem Zeitpunkt<br />
vermag Klépinine das En<strong>der</strong>gebnis des Kampfes noch nicht vorherzusagen,<br />
aber er hält ihn von großer Tragweite für die deutsche protestantische Kirche. 3<br />
Der französische Leser erhält auf diesen wenigen Seiten eine historisch nachvollziehbare<br />
Detailanalyse, die einen äußerst informativen Einblick in die divergierende<br />
Entwicklung innerhalb des Protestantismus seit <strong>der</strong> Machtergreifung Hitlers erlaubt.<br />
Der um engagierte Sachlichkeit bemühte Tenor ist weit entfernt von den teilweise<br />
mit Schmähungen und Deutschenhaß beladenen Artikeln zur katholischen Frage.<br />
Lei<strong>der</strong> setzt <strong>Vie</strong> int. in den kommenden Jahren die Berichterstattung nicht fort. Der<br />
Leser bekommt aus dieser Zeitschrift keine Kommentare über die Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
zwischen <strong>der</strong> Kirchenpartei <strong>der</strong> Deutschen Christen und <strong>der</strong> sich aus dem<br />
Pfarrernotbund entwickelnden Bekennenden Kirche, die schließlich 1935 zur Amtseinsetzung<br />
Hanns Kerrls als Minister für kirchliche Angelegenheiten 4 und 1937 zur<br />
Auflösung <strong>der</strong> Kirchenausschüsse führt. 5 Insofern bleibt das die protestantische Kirche<br />
im Dritten Reich betreffende Deutschlandbild zwar vorgezeichnet aber unvollendet.<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 25.12.1933, S. 359<br />
2 a.a.O., S. 384, 385<br />
3 a.a.O., S. 385<br />
4 siehe Kapitel: „Katholische Frage“<br />
5 Beuys, a.a.O., S. 544, 545<br />
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