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Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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in, daß <strong>Vie</strong> int. dem christlichen Glauben an Gott verbunden ist und deshalb ein auf<br />

vagen heidnischen Mythen beruhendes Schrifttum ablehnt.<br />

Jedoch konzediert die Zeitschrift, daß eine literarische Epoche ohne Mythologie undenkbar<br />

sei. 1 Unter diesem Blickwinkel ist die positive Resonanz, die das Leben und<br />

Werk des symbolistischen Lyrikers Stefan George auslöst, zu verstehen. <strong>Vie</strong> int.<br />

deutet an, daß sich gewisse Ideologeme <strong>der</strong> Gesellschaftspolitik des Dritten Reiches<br />

auf sein poetisches Schaffen zurückführen lassen, dessen Höhepunkt aber immerhin<br />

schon um die Jahrhun<strong>der</strong>twende lag. So hätte z.B. <strong>der</strong> Dichterzirkel, <strong>der</strong> so genannte<br />

„Kreis“, den er um sich schuf, eine Vorahnung auf den Gemeinschaftskult des Dritten<br />

Reiches und <strong>der</strong> Ordensburgen gegeben. 2 <strong>Die</strong> Mitglie<strong>der</strong> ergingen sich in esoterischem<br />

Mystizismus. Sie verherrlichten die männliche Freundschaft, das heldenhafte<br />

Opfer und die „beglückende Unterordnung unter die Befehle von oben“. 3<br />

<strong>Die</strong> Suche nach Mythen war nicht auf den elitären Zirkel um George beschränkt,<br />

son<strong>der</strong>n ist eine Erscheinung jener Epoche. Wie es bereits weiter oben und auch in<br />

den Kapiteln „Jugen<strong>der</strong>ziehung“ und „Deutschlandeindrücke“ anklingt, erschüttern<br />

in den 20er Jahren Inflation und Wirtschaftskrise die bis dahin für allgemeinverbindlich<br />

und universell gehaltenen Wertbegriffe. 4 <strong>Die</strong> Gegenwart ist ihrer früheren Leitbil<strong>der</strong><br />

beraubt. Für ihre geistige Bewältigung wird auf Mythen zurückgegriffen. <strong>Die</strong><br />

Mythensuche spielt den autoritären und völkisch-nationalen Strömungen in die Hände<br />

und hilft auf diese Weise mit, den Nationalsozialismus vorzubereiten. Sie gipfelt<br />

im politischen Bereich auf <strong>der</strong> völkischen Rechten in Alfred Rosenbergs Buch „Der<br />

Mythos des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts“ (<strong>1928</strong>). 5<br />

<strong>Die</strong> Atmosphäre des George-Kreises hatte auch etwas sektenhaft Heiliges; genauso<br />

wie die Feierlichkeiten <strong>der</strong> Nationalsozialisten, z.B. das Julfest, die Sonnenwendfeiern<br />

o<strong>der</strong> die Parteitage einen Hauch von Entrücktheit und Mysterium besaßen. 6 <strong>Vie</strong><br />

int. macht George dafür verantwortlich, daß sich das gegenwärtige Regime auf seine<br />

oben beschriebenen Dogmen berufen kann. 7<br />

Dabei wird seine Vorreiterschaft für die Nazi-Ideologie 8 bei weitem nicht negativ<br />

bewertet. Im Gegenteil: <strong>Vie</strong> int. schreibt dem Lyriker eine große Bedeutung für die<br />

geistige Einheit des deutschen Volkes zu. 9 Den Mythos <strong>der</strong> Einheit verfolge<br />

Deutschland seit <strong>der</strong> Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation.<br />

Ihn zu verwirklichen, schien George gelungen zu sein. Er sei zum Dichter <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

geworden. 10 Als solcher stößt er bei <strong>Vie</strong> int., wie gezeigt, nicht auf<br />

1 <strong>Vie</strong> int., 25.5.1938, S. 128<br />

2 a.a.O., S. 119<br />

3 a.a.O., 25.4.1934, S. 333<br />

4 z.B. Freiheit des Individuums, Menschenrechte, Völkerrecht, Legitimation des Gewinnstrebens; aus:<br />

Dröge, Christoph: Pierre Viénots „deutsche Ungewißheiten“, Dokumente, 1.1990, S. 42<br />

5 Hermand/Trommler, a.a.O., S. 155<br />

6 vgl. dazu Vondung, a.a.O., S. 190-197; <strong>Vie</strong> int., 10.10.1934, S. 171-173<br />

7 <strong>Vie</strong> int., 25.4.1934, S. 334 und 25.5.1938, S. 132, 133<br />

8 Bullivant: Aufbruch <strong>der</strong> Nation, in: <strong>der</strong>s. (Hrsg.), a.a.O., S. 41<br />

9 <strong>Vie</strong> int., 25.5.1938, S. 131. Zum „geistigen Führerdenken“ Georges, vgl. Hermand /Trommler,<br />

a.a.O., S. 154<br />

10 <strong>Vie</strong> int., 25.5.1938, S. 119, 125<br />

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