Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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sen die unter zeitgenössische Literatur subsumierenden Inhalte engere Bezüge zum aktuellen Deutschland auf. Vom Erscheinungsdatum der Zeitschrift im Oktober 1928 bis Ende 1929 sind zu diesem Themenbereich Rezensionen über Emil Ludwigs „Juli vierzehn“ 1 und Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ 2 erschienen sowie ein Schriftstellerporträt über Thomas Mann. 3 Der französische Autor Léonce Emile spricht Ludwig schlichtweg die Qualifikation eines historisch getreu arbeitenden Schriftstellers ab. Er setze die banalsten Details pathetisch in Szene. Auch in Deutschland wird seine volkstümliche Historienbeschreibung von den konservativen Geschichtswissenschaftlern abgelehnt. 4 Offensichtlich, so stellt Léonce Emile fest, gebe es diesmal „im Osten nichts Neues“. 5 Mit diesem abgewandelten Zitat spielt er auf den gerade erschienenen Anti- Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ an. Er wiederum erhält in Vie int. eine überaus positive Resonanz. Es handele sich bei diesem „bewundernswerten Buch“ um „außergewöhnliche Prosa“. 6 Der französische Rezensent André George stellt dieselbe positive Rezeption des Werkes bei den deutschen wie bei den französischen Lesern fest. Letzteren öffne es den Blick für das übergroße Leiden der deutschen Soldaten. Folgende Bemerkung läßt erkennen, daß die Buchbesprechung in einer christlichen Wochenzeitschrift abgedruckt ist. Obwohl Gott in diesem Roman so gänzlich abwesend sei, habe Remarque doch seine Christenpflicht erfüllt, indem er ihn der menschlichen Verzweiflung widme. Und im Rückbezug auf Léonce Emile korrigiert und bekräftigt George, daß es deshalb sehr wohl etwas Neues gebe, im Osten wie im Westen. 7 André Georges Kommentar über Remarques Buch schlägt eine Brücke zwischen den ehemals verfeindeten Nachbarn Frankreich und Deutschland. Er wird von französischer Seite nicht als Vorwurf aufgefaßt, sondern vielmehr als Aufzeigen des Kriegselends, das auf beiden Seiten unermeßlich war. Diese positive Deutung ist insofern erstaunlich, als es sich um ein Literaturprodukt aus der links gerichteten deutschen Schriftstellerszene handelt. 8 Wie sich im weiteren Verlauf der 30er Jahre in den Literaturbesprechungen zeigen wird, ist die konservative Vie int. den deutschen Linksintellektuellen eher ablehnend gegenüber eingestellt. Warum „Im Westen nichts Neues“ dennoch so wohlwollend aufgenommen wird, 1 Vie int., September 1929, S. 415-416 2 a.a.O., 10.11.1929, S. 357-358 3 a.a.O., S. 585-588 4 Laqueur, a.a.O., S. 248 5 Vie int., Sept. 1929, S. 416 6 a.a.O., 10.10.1929, S. 357 7 a.a.O., S. 358 8 Hermand, Jost und Trommler, Frank: Die Kultur der Weimarer Republik, Nymphenburger Verlagshandlung, München 1978, S. 291 148

liegt an der pazifistischen Botschaft des Werkes 1 , der sich die christliche Vie int. aufgrund ihrer eigenen pazifistischen Gesinnung auf keinen Fall verschließen darf. Ebenfalls positive Werturteile fällt die Zeitschrift über Thomas Mann und seine Arbeit. 2 Sie fühlt sich von der Klarheit und Eleganz seines Stils angezogen, weil diese Eigenschaften auch die französische Literatur kennzeichnen aber seinen deutschen Landsleuten abgehen. 3 Der Verfasser des Artikels, wiederum Albert Garreau, porträtiert den Schriftsteller als einen Bewunderer Preußens: Nordisch und protestantisch. Diese Merkmale, das Preußische, das Nordische und das Protestantische passen nicht in das geistige Weltbild, das Vie int. in Deutschland favorisiert. Das zeigt sich in den Beiträgen, die in den 30er Jahren über die deutsche Literatur erscheinen. Warum Thomas Mann doch auf eine so positive Akzeptanz trifft, hat folgenden Grund: Vie int. attestiert ihm das Bestreben, die deutsche und französische Kultur zusammenfügen zu wollen, wofür „Katholiken und Franzosen ihm dankbar sein müssen“. 4 Die offene Haltung zu einem ideologisch andersdenkenden deutschen Schriftsteller ist von der Entspannungspolitik geprägt, um die sich ab Mitte der 20er Jahre Deutschland und Frankreich bemühen. Dieser Verständigungswille macht sich auch in der Literaturkritik positiv bemerkbar. Ab 1933 gehen die französischen Kommentatoren allerdings zusehends auf Distanz, die bis zur Ablehnung, wenn nicht Mißachtung literarischer Strömungen aus dem Mitte-Links-Spektrum in Deutschland führt. So heißt es beispielsweise 1936, daß „linke Schriftsteller wie Thomas Mann dem neuen Regime Vorschub geleistet“ hätten. 5 Wäre Thomas Mann Politiker, würde er von Vie int. in die liberale Tradition des Großbürgertums eingeordnet. 6 Zieht man in Betracht, daß er Anfang der 20er Jahre die Bewegung der Konservativen Revolution mitträgt 7 , die aus bürgerlich Nationalen besteht und die die Republik zugunsten eines Volksstaates mit mystischem Charakter abschaffen, m.a.W. die Monarchie des Wilhelminischen Staates restaurieren wollen 8 , so stehen diese Bestrebungen augenscheinlich im Widerspruch zu Vie int.: Sie schreibt, Thomas Mann habe in seiner Rede „Von deutscher Republik“ (1923) die Jugend aufgerufen, sich mit dem neuen Regime, also mit der von ihm abgelehnten Republik, zu verbinden. 9 Vie int. schreibt nicht, daß Thomas Mann ab diesem Zeitpunkt dauerhaft die politische Wende zum Republikanismus vollzieht. 10 Hierdurch entsteht ein lückenhaftes, wenn nicht verzerrtes Bild des politisch denkenden Schrift- 1 Hermand/Trommler, a.a.O. 2 Vie int., 10.12.1929, S. 586-588 3 a.a.O., S. 587 4 a.a.O., S. 588 5 a.a.O., Okt./Nov. 1936, S. 160 6 a.a.O., 10.12.1929, S. 588 7 Bullivant, Keith: Aufbruch der Nation. Zur „Konservativen Revolution“, in: ders. (Hrsg.): das literarische Leben in der Weimarer Republik, Scriptor, Königstein/Ts. 1978, S. 32 8 Schumacher, Hans: Mythisierende Tendenzen in der Literatur 1918-1933, in: Rothe, Wolfgang (Hrsg.). Die Deutsche Literatur in der Weimarer Republik, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1974, S. 296 9 Vie int., 10.12.1929, S. 588 10 Schumacher, a.a.O., in: Rothe (Hrsg.): a.a.O., S. 15, 297, 440 und Bürgin, Hans u. Mayer, Hans- Otto: Thomas Mann - Eine Chronik seines Lebens, Fischer, Frankfurt/M. 1980, S. 67-69, 105 149

sen die unter zeitgenössische Literatur subsumierenden Inhalte engere Bezüge zum<br />

aktuellen Deutschland auf.<br />

Vom Erscheinungsdatum <strong>der</strong> Zeitschrift im Oktober <strong>1928</strong> bis Ende 1929 sind zu diesem<br />

Themenbereich Rezensionen über Emil Ludwigs „Juli vierzehn“ 1 und Erich<br />

Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ 2 erschienen sowie ein Schriftstellerporträt<br />

über Thomas Mann. 3<br />

Der französische Autor Léonce Emile spricht Ludwig schlichtweg die Qualifikation<br />

eines historisch getreu arbeitenden Schriftstellers ab. Er setze die banalsten Details<br />

pathetisch in Szene. Auch in Deutschland wird seine volkstümliche Historienbeschreibung<br />

von den konservativen Geschichtswissenschaftlern abgelehnt. 4 Offensichtlich,<br />

so stellt Léonce Emile fest, gebe es diesmal „im Osten nichts Neues“. 5<br />

Mit diesem abgewandelten Zitat spielt er auf den gerade erschienenen Anti-<br />

Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ an. Er wie<strong>der</strong>um erhält in <strong>Vie</strong> int. eine überaus<br />

positive Resonanz. Es handele sich bei diesem „bewun<strong>der</strong>nswerten Buch“ um<br />

„außergewöhnliche Prosa“. 6 Der französische Rezensent André George stellt dieselbe<br />

positive Rezeption des Werkes bei den deutschen wie bei den französischen Lesern<br />

fest. Letzteren öffne es den Blick für das übergroße Leiden <strong>der</strong> deutschen Soldaten.<br />

Folgende Bemerkung läßt erkennen, daß die Buchbesprechung in einer christlichen<br />

Wochenzeitschrift abgedruckt ist. Obwohl Gott in diesem Roman so gänzlich abwesend<br />

sei, habe Remarque doch seine Christenpflicht erfüllt, indem er ihn <strong>der</strong><br />

menschlichen Verzweiflung widme. Und im Rückbezug auf Léonce Emile korrigiert<br />

und bekräftigt George, daß es deshalb sehr wohl etwas Neues gebe, im Osten wie im<br />

Westen. 7<br />

André Georges Kommentar über Remarques Buch schlägt eine Brücke zwischen den<br />

ehemals verfeindeten Nachbarn Frankreich und Deutschland. Er wird von französischer<br />

Seite nicht als Vorwurf aufgefaßt, son<strong>der</strong>n vielmehr als Aufzeigen des<br />

Kriegselends, das auf beiden Seiten unermeßlich war.<br />

<strong>Die</strong>se positive Deutung ist insofern erstaunlich, als es sich um ein Literaturprodukt<br />

aus <strong>der</strong> links gerichteten deutschen Schriftstellerszene handelt. 8 Wie sich im weiteren<br />

Verlauf <strong>der</strong> 30er Jahre in den Literaturbesprechungen zeigen wird, ist die konservative<br />

<strong>Vie</strong> int. den deutschen Linksintellektuellen eher ablehnend gegenüber eingestellt.<br />

Warum „Im Westen nichts Neues“ dennoch so wohlwollend aufgenommen wird,<br />

1 <strong>Vie</strong> int., September 1929, S. 415-416<br />

2 a.a.O., 10.11.1929, S. 357-358<br />

3 a.a.O., S. 585-588<br />

4 Laqueur, a.a.O., S. 248<br />

5 <strong>Vie</strong> int., Sept. 1929, S. 416<br />

6 a.a.O., 10.10.1929, S. 357<br />

7 a.a.O., S. 358<br />

8 Hermand, Jost und Trommler, Frank: <strong>Die</strong> Kultur <strong>der</strong> Weimarer Republik, Nymphenburger Verlagshandlung,<br />

München 1978, S. 291<br />

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