Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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gerecht 1 . Tatsächlich hat es eine Vielzahl philosophischer Schulen gegeben 2 ; diese im Verständnis von Vie int. darzustellen und in ihrem geistesgeschichtlichen Kontext zu verifizieren, bietet sich als Forschungsgegenstand für die philosophische Disziplin an. Weitere Beiträge porträtieren kenntnisreich Leben und Werk der zeitgenössischen deutschen Philosophen Peter Wust 3 , Max Scheler 4 , Broder Christiansen 5 und Theodor Haecker. 6 Aber sie tragen nur mit wenigen Ausnahmen zur Erhellung des Deutschlandbildes und zur Charakterisierung des deutschen Wesens aus französischer Sicht bei. So heißt es beispielsweise, die Deutschen seien empfindsam, und ihre Vorstellungskraft besäße Tiefe und Reichtum. 7 Ihr Wesen sei so lange mit dem Kantschen Idealismus eins gewesen bis dieser infolge „des von seinen eigenen Irrtümern niedergeschmetterten Deutschtums“ 8 durch eine Philosophie realistischerer Prägung, der Phänomenologie Husserls, abgelöst wurde. Diese systematische Aufdeckung und Beschreibung wirklicher und möglicher Phänomene wird von Vie int. nicht akzeptiert. 9 Die Zeitschrift vertritt einen christlichen Realismus, der die Erkennbarkeit der Außenwelt nur als durch Gott gelenkt behauptet. 10 Deshalb bespricht sie in erster Linie diejenigen Philosophen, die sich mit dem Katholizismus und dem christlichen Glauben auseinandersetzen. Sie bekundet ein reges Interesse an der deutschen Philosophie und ihren Ideenträgern. Das läßt die Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der die Artikel verfaßt wurden, erkennen. Über die vergangene und gegenwärtige Geistesgeschichte hinaus aber geben sie keinerlei Hinweise auf die gesellschaftspolitischen Veränderungen, die sich während der Zeit ihrer Veröffentlichung vollziehen. Ähnlich verhält es sich mit den Goethe und Schiller gewidmeten Aufsätzen. Die zwei Goethe-Beiträge erscheinen anläßlich der Gedenkfeiern in Paris zum hundertsten Todestag des Dichters. 11 Sie können im Tenor gar nicht gegensätzlicher sein. Der eine, von Albert Garreau, kritisiert an Goethes Werk die fehlende Durchdringung mit katholischem Geist 12 , weshalb der jetzige Kult um ihn abgöttischer Verehrung und Blasphemie gleichkäme. 13 Seine Goethe-Biographie liest sich wie die Geschichte 1 „Die Krise der Philosophie war tiefgreifend.“ „Gegen Ende der Weimarer Zeit herrscht in der deutschen Philosophie Verwirrung.“ „Sie zeigt Symptome der Erschöpfung“; in: Laqueur, Walter: Weimar - Die Kultur der Republik, Ullstein, Frankfurt a.M., Berlin 1976, S. 255, 259, 260 2 Laqueur, a.a.O., S. 255-260 und Vie int., Juli-Aug. 1929, S. 71-82 3 Vie int., 10.5.1930, S. 226, 233 4 a.a.O., Oktober 1928, S. 112-122; Februar 1929, S. 234-246; 25.3.1935, S. 510-514 5 a.a.O., 10.9.1937, S. 251-266 6 a.a.O., 25.4.1934, S. 330 und 25.3.1938, S. 470-477 7 a.a.O:, 10.5.1930, S. 234 8 a.a.O., Okt.- Sept. 1932, S. 413 9 a.a.O., S. 414 10 a.a.O. 11 a.a.O., 10.6.1932, S. 330-334 und S. 335-352 12 Vie int., 10.6.1932, S. 332 13 a.a.O., S. 331 146

eines oberflächlichen Lebemannes. Albert Garreau legt streng religiöse Maßstäbe an, vor denen Goethes Schriften nicht bestehen. Vom genauen Gegenteil zeugt die Flut von Veröffentlichungen, die das Centenaire in Frankreich hervorgerufen hat. 1 In einem sehr positiven literaturhistorischen Beitrag würdigt André George „die universelle Bedeutung des germanischen Meisters“. 2 Seine mystischen Krisen belegten, daß er nicht der Anti-Christ war, für den er gewöhnlich gehalten wird. 3 Daß es möglich ist, so unterschiedliche Auffassungen in einer Zeitschrift zu veröffentlichen, verdeutlicht, daß Vie int. sich um eine gewisse pluralistische Meinungswiedergabe bemüht. Allerdings kann sie sich aufgrund ihrer konfessionellen Gebundenheit auch bei doktrinär so unverfänglichen Themen wie der Literatur der Deutschen Klassik nicht von ihrer christlich-katholischen Sicht freimachen. So kritisiert auch der am katholischen Institut in Paris tätige Germanistikprofessor Robert d’Harcourt Goethes Anthropomorphismus und seine „Entfernung vom Kreuz“ als die Schattenseiten dieses „hervorragenden Geistes“. 4 Der Artikel über Schiller 5 ist die Besprechung eines Buches desselben Autors, Robert d’Harcourt. Es handelt von der Jugend des deutschen Dichters und Dramatikers. Den Beitrag verfaßt Albert Garreau, der mehrfach als Rezensent deutscher Literatur oder ihr gewidmeter Werke hervortritt. Hierbei handelt es sich weniger um eine kritische Stellungnahme als um eine Wiedergabe dessen, was d’Harcourt schreibt. Es sei allen Franzosen anempfohlen, die die deutsche Seele verstehen wollen. Allein, der Leser erfährt kaum etwas darüber, es sei denn, er bezöge Leben und Einstellung des einzelnen Menschen Schiller auf die Gesamtheit des deutschen Volkes. Dann allerdings lebt es in Protestantismus und strenger Disziplin einerseits und ohne Maß und Ordnung andererseits. 6 Schillers Don Juan sei der „deutsche Jüngling“ schlechthin. Er verkörpere die deutsche Seele, die von Unruhe, innerer Verfügbarkeit („disponibilité“) und von unbestimmtem aber unerschütterlichem Streben gekennzeichnet ist. 7 Diese Charakterisierung vermittelt beinahe den Eindruck, als sei sie nicht nur auf die Deutschen des 18. Jahrhunderts bezogen, sondern ganz gegenwärtig auf die lebenden Zeitgenossen. Dieser Artikel ist ein unpolitischer Beitrag zu Deutschland, aber er würdigt einen auch in Frankreich bekannten deutschen Dichter und damit das Volk, aus dessen Mitte er stammt. Zeitgenössische Literatur 1928-1940 Waren die Beiträge zur Philosophie und Goethe-Schiller-Interpretation weitgehend unpolitisch und wenig qualifizierend für das Deutschlandbild der 30er Jahre, so wei- 1 Vie int., 10.6.1932, S. 335-352 2 a.a.O., S. 335, 338 3 a.a.O., S. 351 4 a.a.O., Okt.-Dez. 1935, S. 523 5 a.a.O., März 1929, S. 546-552 6 a.a.O., S. 547 7 a.a.O., S. 551 147

eines oberflächlichen Lebemannes. Albert Garreau legt streng religiöse Maßstäbe an,<br />

vor denen Goethes Schriften nicht bestehen.<br />

Vom genauen Gegenteil zeugt die Flut von Veröffentlichungen, die das Centenaire in<br />

Frankreich hervorgerufen hat. 1 In einem sehr positiven literaturhistorischen Beitrag<br />

würdigt André George „die universelle Bedeutung des germanischen Meisters“. 2<br />

Seine mystischen Krisen belegten, daß er nicht <strong>der</strong> Anti-Christ war, für den er gewöhnlich<br />

gehalten wird. 3 Daß es möglich ist, so unterschiedliche Auffassungen in<br />

einer Zeitschrift zu veröffentlichen, verdeutlicht, daß <strong>Vie</strong> int. sich um eine gewisse<br />

pluralistische Meinungswie<strong>der</strong>gabe bemüht. Allerdings kann sie sich aufgrund ihrer<br />

konfessionellen Gebundenheit auch bei doktrinär so unverfänglichen Themen wie <strong>der</strong><br />

Literatur <strong>der</strong> Deutschen Klassik nicht von ihrer christlich-katholischen Sicht freimachen.<br />

So kritisiert auch <strong>der</strong> am katholischen Institut in Paris tätige Germanistikprofessor<br />

Robert d’Harcourt Goethes Anthropomorphismus und seine „Entfernung vom<br />

Kreuz“ als die Schattenseiten dieses „hervorragenden Geistes“. 4<br />

Der Artikel über Schiller 5 ist die Besprechung eines Buches desselben Autors, Robert<br />

d’Harcourt. Es handelt von <strong>der</strong> Jugend des deutschen Dichters und Dramatikers. Den<br />

Beitrag verfaßt Albert Garreau, <strong>der</strong> mehrfach als Rezensent deutscher Literatur o<strong>der</strong><br />

ihr gewidmeter Werke hervortritt. Hierbei handelt es sich weniger um eine kritische<br />

Stellungnahme als um eine Wie<strong>der</strong>gabe dessen, was d’Harcourt schreibt. Es sei allen<br />

Franzosen anempfohlen, die die deutsche Seele verstehen wollen. Allein, <strong>der</strong> Leser<br />

erfährt kaum etwas darüber, es sei denn, er bezöge Leben und Einstellung des einzelnen<br />

Menschen Schiller auf die Gesamtheit des deutschen Volkes. Dann allerdings<br />

lebt es in Protestantismus und strenger Disziplin einerseits und ohne Maß und Ordnung<br />

an<strong>der</strong>erseits. 6 Schillers Don Juan sei <strong>der</strong> „deutsche Jüngling“ schlechthin. Er<br />

verkörpere die deutsche Seele, die von Unruhe, innerer Verfügbarkeit („disponibilité“)<br />

und von unbestimmtem aber unerschütterlichem Streben gekennzeichnet ist. 7<br />

<strong>Die</strong>se Charakterisierung vermittelt beinahe den Eindruck, als sei sie nicht nur auf die<br />

Deutschen des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts bezogen, son<strong>der</strong>n ganz gegenwärtig auf die lebenden<br />

Zeitgenossen. <strong>Die</strong>ser Artikel ist ein unpolitischer Beitrag zu Deutschland, aber er<br />

würdigt einen auch in Frankreich bekannten deutschen Dichter und damit das Volk,<br />

aus dessen Mitte er stammt.<br />

Zeitgenössische Literatur <strong>1928</strong>-<strong>1940</strong><br />

Waren die Beiträge zur Philosophie und Goethe-Schiller-Interpretation weitgehend<br />

unpolitisch und wenig qualifizierend für das Deutschlandbild <strong>der</strong> 30er Jahre, so wei-<br />

1 <strong>Vie</strong> int., 10.6.1932, S. 335-352<br />

2 a.a.O., S. 335, 338<br />

3 a.a.O., S. 351<br />

4 a.a.O., Okt.-Dez. 1935, S. 523<br />

5 a.a.O., März 1929, S. 546-552<br />

6 a.a.O., S. 547<br />

7 a.a.O., S. 551<br />

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