Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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<strong>Die</strong> Abonnentenzahl wird für Mitte <strong>der</strong> 30er Jahre mit 5-6000 angegeben. Das<br />
scheint nicht viel zu sein im Vergleich zur ebenfalls dominikanischen „<strong>Vie</strong> Spirituelle“,<br />
die mit 10000 Exemplaren verlegt wird o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zeitung „Action Française“,<br />
die es in ihrer Hoch-Zeit auf 100000 Exemplare bringt. 1 In Wirklichkeit ist die<br />
Leserzahl höher anzusetzen, weil kirchliche Einrichtungen (Klöster, Seminare)<br />
Sammelbestellungen aufgeben und die <strong>Vie</strong> int. dort von Hand zu Hand geht. Sie will<br />
aber auch Nicht-Katholiken ansprechen, um zu versuchen sie im missionarischen<br />
Sinne für den katholischen Glauben zu gewinnen. 2<br />
Größere finanzielle Probleme hat die Zeitschrift nicht. Sie ist relativ unabhängig,<br />
weil sie in <strong>der</strong> ersten Zeit vom Verkauf <strong>der</strong> „<strong>Vie</strong> spirituelle“ mitprofitieren kann und<br />
weil gelegentliche Spenden sie unterstützen. Darüber hinaus bekommen die dominikanischen<br />
Mitarbeiter kein Gehalt, und das <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en festen Mitarbeiter ist eher<br />
gering. 3<br />
<strong>Die</strong> Existenz <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. fällt in eine bewegte Zeit. Es gibt viele unterschiedliche<br />
Strömungen, die auf die als krisenhaft empfundenen Ereignisse <strong>der</strong> 20er und 30er<br />
Jahre reagieren. Dazu gehört die russische Revolution und die Entstehung des sozialistischen<br />
Rußland, von dem sich z.B. Jules Romains und André Gide angezogen<br />
fühlen; das Aufkommen des Faschismus in Italien und die Machtergreifung Hitlers,<br />
die <strong>der</strong> liberalen Demokratie Frankreichs bzw. dem konservativen Nationalismus ein<br />
neues politisches Modell entgegensetzen; dazu gehört die Weltwirtschaftskrise, die<br />
mit einiger Verzögerung auch in Frankreich durchschlägt, und nicht zuletzt die erzwungene<br />
Auflösung <strong>der</strong> Action Française, die, wie erwähnt, einen großen Teil <strong>der</strong><br />
Katholiken ohne Bezugspunkt läßt. <strong>Die</strong>se politischen und wirtschaftlichen Verunsicherungen<br />
erzeugen bei den jungen Intellektuellen ein Krisenbewußtsein. <strong>Vie</strong>le weigern<br />
sich, die Gesellschaft, in <strong>der</strong> sie leben, zu akzeptieren. Sie schaffen sich ein Forum,<br />
in dem sie zu den Problemen <strong>der</strong> Zeit Stellung nehmen. Je nach Denkrichtung<br />
sind es ganz unterschiedliche Zeitschriften und Manifeste, die dabei entstehen. Aus<br />
<strong>der</strong> sehr reichen Presselandschaft <strong>der</strong> 30er Jahre, aus <strong>der</strong> oben schon Beispiele genannt<br />
wurden, lassen sich folgende hervorheben: „Réaction“ und „Combat“, zwei<br />
eher neo-traditionelle Nachfolgeblätter <strong>der</strong> „Action Française“; „Esprit“, ein traditionell<br />
katholisches und stark von <strong>der</strong> Person Mouniers geprägtes Blatt; „L’Ordre Nouveau“,<br />
ein ebenfalls religiös orientiertes Blatt, das eine Art politischen Katechismus<br />
1 Chebel d’Appollonia, Ariane: L’Extrême-Droite en France. De Maurras à Le Pen, Editions Complexes,<br />
Bruxelles 1988, S. 184. Zum Vergleich: La Croix (quotidien) 100000-280000 Leser; L’Echo de<br />
Paris (quotidien) 155000; Les Etudes (bimensuelle) 3000-13000 von 1927 bis 1936; La <strong>Vie</strong> Catholique<br />
(hebdomadaire) 30000; Gringoire (hebdomadaire) 500000; Sept (hebdomadaire) 100000 Exemplare;<br />
aus: Rémond, René: Les Catholiques, le communisme et les crises 1929-1939, Armand Colin,<br />
Kiosque, Paris 1960, Liste des périodiques.<br />
2 La <strong>Vie</strong> spirituelle, Juli-August <strong>1928</strong>, S. 1. <strong>Die</strong>ser „Christianisme conquérant“ ist eines <strong>der</strong> Hauptmerkmale<br />
des Dominikaner-Ordens. Auf ihn berufen sich die Mitarbeiter <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. häufig. Er geht<br />
auf die mittelalterliche Ketzerbekämpfung zurück, mit <strong>der</strong> die Dominikaner beauftragt waren. Dabei<br />
war ihr wichtigstes Instrument die Inquisition; in: Evangelisches Kirchenlexikon, a.a.O. Weitere verläßliche<br />
Quellen zum geistigen Hintergrund: Mardek, Hubert: Kirchenrecht und -reform in Frankreich,<br />
1975; Moreau-Rendu, Suzanne: Le Couvent Saint-Jacques. Histoire des Dominicains de Paris;<br />
Les Editions du Cerf, Paris 1961.<br />
3 Tranvouez, a.a.O., S. 34<br />
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