Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Nur eine Übereinstimmung gibt es in diesem deutsch-französischen Streit: Beide<br />
Redner wollen, daß ein Schlußstrich unter den Krieg gezogen wird. Aber damit hat<br />
die Annäherung auch schon ihr Ende. Vorschläge zur Verständigung werden mit gegenseitigen<br />
Vorwürfen und Unterstellungen, wie z.B. <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e habe ja sowieso<br />
kein Interesse an einem Zusammenwirken 1 , wie<strong>der</strong> zunichte gemacht. So will <strong>der</strong><br />
Franzose an seinen Zollschranken festhalten 2 , und den deutschen Vorschlag für ein<br />
gemeinsames Direktorium, in dem beide Län<strong>der</strong> ihre Politik mit dem Ziel <strong>der</strong> Friedenssicherung<br />
aufeinan<strong>der</strong> abstimmen, lehnt er ab:<br />
Parce que <strong>der</strong>rière vos conceptions, nous reconnaissons trop bien une vieillerie<br />
qui déjà amoncela des ruines dans le monde: votre hégémonie européenne est<br />
un camouflage du pangermanisme. 3<br />
Nichtvergessene Klischees und Vorurteile über den Nachbarn brechen wie<strong>der</strong> auf<br />
und verhin<strong>der</strong>n das Aufeinan<strong>der</strong>zugehen. Der Deutsche gibt zu, Pangermanist zu sein<br />
in dem Maße wie <strong>der</strong> Franzose Chauvinist sei. Warum solle nicht eine paneuropäische<br />
o<strong>der</strong> panpazifistische Bewegung entstehen, fragt <strong>der</strong> Deutsche.<br />
Unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> doppelzüngigen Außenpolitik des Dritten Reiches ist<br />
auch dieser Vorschlag einer paneuropäischen o<strong>der</strong> panpazifistischen Struktur zu<br />
werten. Deutschland ergreift nach außen hin die Initiative zur Friedenssicherung, um<br />
im Inneren in Ruhe aufrüsten zu können. Der paneuropäische Gedanke muß<br />
die Reparationsleistungen nicht aufbringen können. Frankreich verweigert Wirtschaftshilfe, weil es<br />
nicht an deutsche Gegenleistung glaubt. Ein circulus vitiosus. Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Franzosen gibt<br />
Deutschland keine ausreichenden Garantien; es sei nicht vertrauenswürdig und nicht kreditwürdig;<br />
<strong>Vie</strong> int., 10.10.1933, S. 75-79.<br />
1 a.a.O., S. 84<br />
2 a.a.O., S. 74<br />
3 <strong>Vie</strong> int., 10.10.1933, S. 90, 91. Der deutsche Vorschlag für ein Europäisches Direktorium ist tatsächlich<br />
nicht so uneigennützig. Genauso wie die früheren deutschen Regierungen verlangt das nationalsozialistische<br />
Regime die Anerkennung Deutschlands als gleichberechtigte Großmacht. Darin wird es<br />
unterstützt von England und Italien. Mussolini, den <strong>der</strong> Aufstieg Hitlers beunruhigt, schlägt einen<br />
<strong>Vie</strong>rmächte-Pakt vor. Ziel ist es, Frankreich zu Konzessionen an Deutschland und somit zu einer<br />
friedlichen Revision <strong>der</strong> Verträge von 1919 zu bewegen. Im Hinterkopf hat Mussolini natürlich auch<br />
eine Revision <strong>der</strong> Grenzen im Donauraum und die deutschen territorialen Ansprüche gegenüber Polen.<br />
Frankreich lehnt selbstverständlich ab. An einem gleichberechtigten, wie<strong>der</strong>erstarkenden deutschen<br />
Nachbarn kann ihm nicht gelegen sein. Das ist <strong>der</strong> eine Grund. Der an<strong>der</strong>e ist Frankreichs<br />
Bündnisverpflichtung gegenüber Polen und <strong>der</strong> Tschechoslowakei, Län<strong>der</strong>, die bei Inkrafttreten des<br />
Paktes Gebietsverluste hinnehmen müßten. Das läßt Frankreich nicht zu. Der <strong>Vie</strong>rer-Pakt wird nicht<br />
ratifiziert. (Vgl. Bloch, a.a.O., S. 437. Duroselle sieht die Hauptbedeutung des Paktes eher in <strong>der</strong><br />
französisch-italienischen Annäherung als Gegengewicht zum germanisch-angelsächsischen Block; in:<br />
<strong>der</strong>s., a.a.O., S. 70-75. Gebhardt, a.a.O., S. 218. Poidevin/Bariéty, a.a.O., S. 380, 381. Zur weiteren<br />
Kennzeichnung <strong>der</strong> außenpolitischen Zusammenhänge, siehe Kapitel: „Außenpolitik“.)<br />
Frankreich hat eine wichtige Chance in <strong>der</strong> Verständigungspolitik mit Deutschland vertan. Darüber<br />
hinaus hat es mit <strong>der</strong> Ablehnung des Directoire ein wirksames Kontrollsystem zur Begrenzung <strong>der</strong><br />
deutschen Wie<strong>der</strong>aufrüstung aus <strong>der</strong> Hand gegeben. <strong>Die</strong> Zustimmung Deutschlands für ein Europäisches<br />
Direktorium ist auch deshalb scheinheilig, weil Hitler die ganze Macht will und sich nicht in<br />
ein Friedens- o<strong>der</strong> gar Kontrollsystem einfügen lassen will. Für sein Revisions- und Rüstungsprogramm<br />
ist es aber wichtig, die Friedensstimmung in Europa so lang wie möglich zu erhalten. (Vgl.<br />
Poidevin/Bariéty, a.a.O., S. 379.)<br />
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