Expeditionen Expeditionen
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V A R I A<br />
Geschichte<br />
Ostafrika<br />
<strong>Expeditionen</strong><br />
mit Badewannen und Champagner<br />
Reiseberichte geben unter anderem Einblick in die medizinischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts.<br />
W<br />
er im 19. Jahrhundert<br />
eine Expedition durch<br />
Teile Schwarzafrikas leiten<br />
und lebend zurückkommen<br />
wollte, um von den<br />
Abenteuern und Gefahren,<br />
aber auch potenziellen wirtschaftlichen<br />
und politischen<br />
Möglichkeiten zu berichten,<br />
ging ein hohes Risiko ein. Die<br />
Sterblichkeitsrate unter den<br />
Europäern lag bei <strong>Expeditionen</strong><br />
an der Westküste oft bei<br />
80 Prozent, und die Reisenden<br />
litten an Fieber, Diarrhöen,<br />
Bronchitiden, Wurm- und<br />
Hautkrankheiten, um nur einige<br />
Widrigkeiten zu nennen.<br />
Die Abbildung zeigt Livingstone, der während einer seiner Fieberattacken<br />
getragen wird.<br />
Entnommen aus: Gianni Guadalupi: Der Nil. Die Geschichte seiner Entdeckung und Eroberung, Karl Müller Verlag, Erlangen, 1997<br />
Auf der Suche nach<br />
Schneebergen<br />
Zur Vorgeschichte: Zur Zeit<br />
der europäischen Depression<br />
(1876 bis 1896) versuchte jeder<br />
Industriestaat Kolonien zu gewinnen,<br />
die als Rohstofflieferant,<br />
Kapitalanlage und Absatzmarkt<br />
sowie der expandierenden<br />
Bevölkerung als Siedlungs-<br />
und Auswanderungsgebiet<br />
dienen konnten. Gleichzeitig<br />
suchten Vertreter aller<br />
sozialen Schichten ideelle Werte<br />
in unterentwickelten Ländern<br />
und verherrlichten das<br />
einfache Leben, das allerdings<br />
nicht zu viele Entbehrungen<br />
haben sollte.<br />
Nach der Rückkehr wurden<br />
Briefe und Tagebücher oder<br />
auch Reiseberichte veröffentlicht.<br />
Diese stellten originelle<br />
Ereignisse und interessante<br />
Begebenheiten dar und wurden<br />
individuell sowie epochenspezifisch<br />
ausgestaltet. Die<br />
teils auch scheinbare Objektivität<br />
untermauerten Karten,<br />
Zahlen und Tabellen. Dabei<br />
faszinierten überwiegend geographische<br />
Entdeckungen; medizinische<br />
und hygienische Informationen<br />
finden sich nur<br />
am Rande.<br />
Obwohl sich seit 1507 Europäer<br />
an den Küsten ärztlich<br />
betätigten, war ihr Wissen<br />
über Tropenkrankheiten gering,<br />
denn sie bauten ihre Erfahrungen<br />
kaum aus und gaben<br />
sie selten an andere weiter.<br />
Viele Kranke bevorzugten<br />
deshalb die einheimischen<br />
Ärzte. Die hohen Verlustraten<br />
auf den <strong>Expeditionen</strong><br />
entstanden überwiegend<br />
durch Fehler bei der Diagnosenstellung<br />
oder Therapie.<br />
Denn der Hauptgegner war<br />
nicht das Klima, wie so lange<br />
geglaubt, sondern die unzureichend<br />
erkannten und erforschten<br />
Krankheiten.<br />
Schnelle, komfortable und<br />
kostengünstige Transporte förderten<br />
die Reisebereitschaft,<br />
verbesserte Verkehrs- und<br />
Nachrichtentechnik sowie die<br />
fortgeschrittene Waffentechnik<br />
mit Hinter- und Mehrladern<br />
verminderten das Risiko,<br />
während der Überfahrt und<br />
der Expedition umzukommen.<br />
Die Pionierarbeit begann entlang<br />
der großen Ströme und<br />
konzentrierte sich zuerst auf<br />
Westafrika, da dort Gerüchte<br />
über das Handelszentrum Timbuktu<br />
existierten. Seit den<br />
50er-Jahren starteten <strong>Expeditionen</strong><br />
von der Ostküste aus,<br />
nachdem Missionare die These<br />
verbreitet hatten, dass sich<br />
im Inneren nicht die erwartete<br />
Wüste, sondern Schneeberge<br />
und Seen befänden. Rekrutiert<br />
wurden überwiegend Offiziere,<br />
Ärzte oder Landwirte,<br />
die sich wegen fehlender Landes-<br />
und Sprachkenntnisse oft<br />
Missionaren und Händlern<br />
anschlossen. Bis 1877 schufen<br />
sie geographische Grundlagen,<br />
danach Zufluchts- und<br />
Ausgangspunkte für speziellere<br />
naturwissenschaftliche<br />
Aufgaben.<br />
Hohes Anforderungsprofil<br />
Ob das Unternehmen allerdings<br />
erfolgreich war, hing von<br />
dem Organisationstalent sowie<br />
den Führungsqualitäten<br />
des Expeditionsleiters ab. Der<br />
deutsche Baron von der<br />
Decken beschreibt 1869 die<br />
Anforderungen an einen wissenschaftlich<br />
Reisenden wie<br />
folgt: „ . . . Er soll bei tropischer<br />
Sonnenhitze täglich 10<br />
bis 15 Seemeilen und mehr<br />
machen, sich mit Führern über<br />
Wegrichtungen, mit den Trägern<br />
ob deren Faulheit zanken,<br />
soll auf dem Marsche rege<br />
sammeln oder einer Messung<br />
halber kleine Abstecher<br />
machen und Berge besteigen,<br />
soll des Abends, wenn er ermüdet<br />
ankommt, sein Tage-<br />
Deutsches Ärzteblatt½Jg. 97½Heft 50½15. Dezember 2000 A 3445
V A R I A<br />
buch schreiben, nachts astronomische<br />
Beobachtungen anstellen<br />
oder solche berechnen<br />
und den zurückgelegten Weg<br />
aufschreiben, außerdem soll<br />
er an Ruheplätzen Nahrungsmittel<br />
einkaufen, das heißt<br />
den in widerwärtigster Weise<br />
feilschenden Leuten ihre Waren<br />
zu möglichst hohen Preisen<br />
abdingen, soll das Völkerleben<br />
beobachten, statistische<br />
Notizen sammeln und Wörterbücher<br />
unbekannter Sprachen<br />
aufzeichnen.“<br />
Bei diesem Anforderungsprofil<br />
war eine strenge Bewerberauswahl<br />
notwendig. Gesucht<br />
wurden körperlich und<br />
geistig gesunde, psychisch stabile<br />
und belastbare Männer<br />
zwischen 21 und 35 Jahren –<br />
Livingstone fiel dabei mit seinen<br />
53 Jahren aus dem Rahmen.<br />
Die wenigsten Reisenden<br />
konnten eine moderne<br />
Ausrüstung, den Transport<br />
und die Expedition vor Ort<br />
selbst finanzieren. Meist unterstützten<br />
die Höfe und später<br />
auch bürgerliche Institutionen<br />
sowie geographische Gesellschaften<br />
den Reisenden.<br />
Konserven aus Europa<br />
In Afrika angekommen, wurden<br />
Träger, Führer, Verpflegung<br />
und Tauschwaren erstanden,<br />
wobei Versorgungsengpässe<br />
durch parallel startende<br />
Konkurrenten besonders<br />
Ende des 19. Jahrhunderts<br />
auftraten. Da die Routen<br />
durch Tsetsegebiete führten<br />
und Lasttiere mit Trypanosomen<br />
infiziert wurden,<br />
waren menschliche Träger<br />
notwendig. Wenn ein Reisender<br />
krank wurde, wurde er<br />
auf Schultern, Eseln, Gestellen,<br />
Hängematten, Betten<br />
oder, wie bei Cameron, in einem<br />
Lehnstuhl befördert. Bei<br />
schlechtem Gesundheitszustand<br />
ließ man ihn einfach<br />
zurück.<br />
Die Probleme und Möglichkeiten<br />
einer angewandten<br />
Expeditionshygiene waren<br />
vielfältig. Obst und Gemüse<br />
wurden geschält, eine Fleischbeschau<br />
und die Wasserprobe<br />
für Eier vorgenommen, andere<br />
Waren auf Beimischungen<br />
durch Wasser und Steine zur<br />
Volumensteigerung kontrolliert.<br />
Dabei wurde der Speiseplan<br />
durch Konserven aus<br />
Europa ergänzt, da die Reisenden<br />
nicht sicher waren, ob<br />
sie afrikanische Landesprodukte<br />
essen könnten, ohne<br />
Schaden zu erleiden.<br />
Schlechte Wasserqualität<br />
Zahlreiche Krankheiten verursachte<br />
die oft schlechte<br />
Wasserqualität. Deshalb wurde<br />
das Wasser teilweise gefiltert<br />
oder abgekocht. Die Destillation<br />
war aufgrund der<br />
sperrigen Geräte auf Reisen<br />
nicht praktikabel. Als kuriose<br />
Alternative ist bekannt, dass<br />
der englische Konsul Fische in<br />
seine Zisterne setzte, um das<br />
Trinkwasser rein zu halten.<br />
Bei Wassermangel wurde<br />
auch schon einmal ein Stein<br />
gelutscht, um zumindest die<br />
Speichelproduktion anzuregen.<br />
Hungersituationen entstanden<br />
unter anderem durch<br />
Angebotsknappheit und geringe<br />
Besiedelungsstruktur.<br />
Die Hygiene der Lager war<br />
durch den Aufenthalt an einem<br />
mehr oder weniger zufällig<br />
erreichten Ort für nur kurze<br />
Zeit in der Regel schwierig.<br />
Obwohl Zelte und Moskitonetze<br />
mitgeführt wurden, zogen<br />
die Idealisten und Romantiker<br />
den freien Himmel<br />
als Dach vor. Eingeborenenhütten<br />
sollten wegen des Ungeziefers<br />
vermieden werden.<br />
Da aber auch den Begleitern<br />
Ungeziefer angelastet wurde,<br />
lagerten einige Reisende mit<br />
Abstand zur Gruppe. In den<br />
Empfehlungsrichtlinien finden<br />
sich Distanzen bis zu einem<br />
Kilometer – umgesetzt<br />
hat dies niemand. In gefährlichen<br />
Regionen schützten zusätzlich<br />
Wachen und Dornenhecken<br />
die Gesellschaft.<br />
Tropenhelme sollten getragen,<br />
helle oder khakifarbige<br />
Stoffe täglich gewechselt werden.<br />
Gamaschen schützten<br />
die Unterschenkel. Dem Europäer<br />
wurde dringend angeraten,<br />
durchnässte Sachen<br />
durch trockene zu ersetzen –<br />
was allerdings schwierig umzusetzen<br />
war, da die Kleiderkisten<br />
in der Regel mit Verspätung<br />
ankamen. Livingstone<br />
reiste mit vier Anzügen,<br />
die fünf Jahre lang hielten;<br />
Thomson benötigte 15 Kisten<br />
persönlicher Ausstattung für<br />
ein Jahr. Die Kleiderpflege<br />
gewährte von der Decken ein<br />
Halbaffe, der die Schaben aus<br />
seiner Kleiderkiste auffraß.<br />
Ob aus hygienischen Gründen<br />
oder um einen kleinen<br />
Luxus zu genießen – zumindest<br />
wurden einige Badewannen<br />
durch Afrika getragen.<br />
Weitere Kuriositäten des<br />
„ideellen einfachen Lebens“<br />
waren Champagner und Zigarren<br />
sowie ein Schachspiel<br />
bei von der Decken. David Livingstone<br />
transportierte Portwein<br />
und Branntwein, setzte<br />
sie aber eher als Medizin<br />
denn als Genussmittel ein.<br />
Die europäischen Erkenntnisse<br />
über die Malaria und die<br />
1880 entdeckten Plasmodien<br />
im Blut Erkrankter führten<br />
nicht zwangsläufig zu besseren<br />
Schutzmaßnahmen. In<br />
Deutschland entstand ein Gelehrtenstreit<br />
unter Anhängern<br />
der Miasmentheorie und<br />
den Verfechtern der neuen<br />
bakteriellen Ära. Chinin, Chininwein,<br />
Chinin in Sherry<br />
oder Brandy wurde neben<br />
Wenn ein Reisender krank wurde,<br />
wurde er auf Schultern, Eseln, Gestellen,<br />
Hängematten oder Betten<br />
befördert. Bei schlechtem Gesundheitszustand<br />
ließ man ihn<br />
einfach zurück.<br />
den altbewährten Methoden<br />
des Schröpfens, der Laxantien<br />
und Brechmittel eingesetzt.<br />
Livingstone entwickelte die<br />
„Livingstone-Rousers“ – das<br />
Resultat seiner seit 1850 mit<br />
Chinin vorgenommenen Experimente.<br />
Viele Hinweise<br />
über die Natur der Malaria<br />
ergeben sich aus den Dokumentationen<br />
der Reisenden.<br />
Cameron schimpfte über<br />
Moskitobisse am Tanganikasee,<br />
während er an Fieber litt,<br />
und beschrieb die unterschiedliche<br />
Anfälligkeit der<br />
Europäer im Vergleich zu den<br />
Einheimischen, wobei der<br />
Schutzfaktor der Sichelzellanämie<br />
erst deutlich später<br />
nachgewiesen wurde.<br />
Schutzmaßnahmen<br />
gegen Malaria<br />
Schutzmaßnahmen gegen die<br />
Malaria blieben über die Jahre<br />
konstant: Nachtluft, Nebel,<br />
Verkühlung und Sümpfe meiden,<br />
geistig und körperlich<br />
rege sein, sich dabei aber<br />
nicht überanstrengen, kräftig<br />
ernähren bei mäßigem Alkoholgenuß,<br />
in höheren Gegenden<br />
wohnen, Moskitonetze<br />
nutzen . . . Die lebenspraktische<br />
Umsetzung hygienischer<br />
Maßnahmen scheiterte an<br />
Nachlässigkeit, Unwissenheit<br />
und tatsächlich fehlenden<br />
Möglichkeiten.<br />
Die Reisenden erwarben<br />
sich nicht nur Ruhm und Ehre,<br />
sondern sie stießen auch auf<br />
Kritik. Schon im 19. Jahrhundert<br />
warf man ihnen vor, die<br />
Kolonialisierung des Schwarzen<br />
Kontinents gefördert und<br />
den Sklavenhandel teilweise<br />
unterstützt zu haben. Tatsächlich<br />
schlossen sich einige Expeditionsleiter<br />
mit Sklavenkarawanen<br />
zusammen, um Träger<br />
oder Schutz zu erhalten.<br />
Von der Decken beschäftigte<br />
auf seiner zweiten Reise Sklaven,<br />
während sich in Europa<br />
seit 1804 eine Antisklavenbewegung<br />
etablierte.<br />
Neben dem Einblick in die<br />
Erforschung Ostafrikas dokumentieren<br />
die Reiseberichte<br />
also auch medizinische Entwicklungen<br />
einer bedeutenden<br />
Phase in der Geschichte.<br />
Dr. med. Sigrid Reitenbach M.A.<br />
A 3446 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 97½Heft 50½15. Dezember 2000