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Ist Gehorsam eine Tugend? 1. Gehorsam gilt ... - Commonweb

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<strong>Gehorsam</strong> auf <strong>Tugend</strong><br />

<strong>Ist</strong> <strong>Gehorsam</strong> <strong>eine</strong> <strong>Tugend</strong>?<br />

<strong>1.</strong> <strong>Gehorsam</strong> <strong>gilt</strong> insbesondere in zahlreichen Ordensgemeinschaften als <strong>eine</strong> der höchsten<br />

<strong>Tugend</strong>en, die höchste <strong>Tugend</strong> <strong>eine</strong>s Mönches gegenüber Gott und s<strong>eine</strong>n Vorgesetzten.<br />

2. <strong>Gehorsam</strong> gegenüber Gott ist gut, weil Gott das summum bonum ist. Wer Gott gehorcht,<br />

ist gut.<br />

3. Wer Gott gehorcht, braucht nicht selber zu urteilen. <strong>Gehorsam</strong> gegen Gott führt zu <strong>eine</strong>r<br />

infantilen Moral.<br />

4. <strong>Gehorsam</strong> gegenüber <strong>eine</strong>m Tyrannen ist ein Laster, weil es <strong>eine</strong>n Mangel an<br />

Selbstachtung zum Ausdruck bringt. Falls Gott allmächtig ist, ist er mehr zu fürchten als<br />

jeder Tyrann. Es ist nicht <strong>eine</strong> Frage der Moral, sondern der Klugheit, sich <strong>eine</strong>m<br />

allmächtigen Herrscher zu unterwerfen. Die Revolte gegen <strong>eine</strong>n allmächtigen Herrscher<br />

hat k<strong>eine</strong> Chance auf Erfolg.<br />

5. Wer <strong>eine</strong>m Tyrannen gehorcht, gehört nicht sich selber, sondern ist Eigentum des<br />

Tyrannen. Es ist ein Laster, nicht sich selber zu gehören.<br />

6. Sich selber zu gehören (self-ownership) ist <strong>eine</strong> <strong>Tugend</strong>. Diese Auffassung vertreten in<br />

der frühen Neuzeit Etienne de la Boëtie (1530-1560) und Montaigne.<br />

7. Nur der „Einzige“ (L’Unique) gehört sich selber. Der Egoismus (die Bevorzugung des<br />

eigenen Lebens und des eigenen Wohls) ist <strong>eine</strong> <strong>Tugend</strong>. (Vgl. Stirner 1844) Stirners<br />

Egoismus ist Ausdruck der Empörung gegen politische Bevormundung. (Vgl. Wolf 2007)<br />

8. Die <strong>Tugend</strong> des Egoismus besteht nicht darin, andere zu beherrschen (domination),<br />

sondern sich selber zu beherrschen (self-command, self-control). Nur jemand, der sich<br />

selber beherrscht, ist „Herr im eigenen Haushalt“.<br />

9. Warum gehorchen die Menschen <strong>eine</strong>m Tyrannen? Die Mechanismen des <strong>Gehorsam</strong>s<br />

liegen zum Teil im Dunkeln und lassen sich nicht vollständig rational erklären. Einige<br />

Faktoren der Unterwerfung sind: falsche naturwidrige Erziehung (niemand ist von Natur<br />

aus Sklave!); Gewohnheit; Identifikation mit dem Herrscher; Feigheit; mangelnde<br />

Kenntnisse der Vorzüge der Freiheit; Furcht vor der eigenen Verantwortung; fehlende<br />

Selbstachtung, Hoffnung auf Privilegien.<br />

10. Wer <strong>eine</strong>m Tyrannen gehorcht, erniedrigt sich selber zum Tier (oder zur „Bestie“); nur<br />

wer s<strong>eine</strong>r Vernunft gehorcht, ist ein Mensch. Menschen, die sich zu ihrem eigenen<br />

Nachteil unterwerfen und kriechen, werfen ihre Menschenwürde weg. Der Mensch ist<br />

charakterisiert durch den aufrechten Gang; die „Bestie“ dagegen kriecht wie <strong>eine</strong><br />

Schlange.<br />

1<strong>1.</strong> <strong>Gehorsam</strong> gegenüber <strong>eine</strong>m Tyrannen ist ein monströses Laster, weil es Komplizenschaft<br />

mit dem größten Unrecht bedeutet. Als Komplize des tyrannischen Systems schädige ich<br />

viele andere.<br />

12. Die Macht des Tyrannen kommt durch den <strong>Gehorsam</strong> s<strong>eine</strong>r Anhänger zustande. Ohne


den <strong>Gehorsam</strong> s<strong>eine</strong>r Untertanen ist der Tyrann wie der Kaiser ohne Kleider: ein<br />

gewöhnlicher Mensch, <strong>eine</strong> zerbrechliche Statue, ein Feuer ohne Brennstoff.<br />

13. Ein Tyrann kann k<strong>eine</strong> Freunde haben. K<strong>eine</strong> Freunde zu haben ist das schlimmste, was<br />

<strong>eine</strong>m Menschen passieren kann. Deshalb ist der Tyrann der unglücklichste Mensch, auch<br />

wenn er es nicht empfindet.<br />

14. Ein Tyrannenknecht und Kriecher mag zufrieden sein mit s<strong>eine</strong>m Schicksal, weil er<br />

vielleicht k<strong>eine</strong> andere Situation kennt und weil er den Geschmack der Freiheit vergessen<br />

hat; doch er ist objektiv betrachtet (oder von außen betrachtet) unglücklich, er leidet, ohne<br />

es vielleicht zu merken, weil er sich selber als freies Wesen „verstümmelt“. Er schädigt<br />

sich selber (harm to self, harmless wrong to self). Diese „Selbstverstümmelung“ ist<br />

symbolischer Natur (das Bild des Menschen, s<strong>eine</strong> Würde wird beschädigt, der aufrechte<br />

Gang eingeschränkt), aber es kann auch Auswirkungen haben auf die Gesundheit oder das<br />

Wohl <strong>eine</strong>r Person.<br />

15. Wer glaubt, dienen zu wollen, belügt sich selber. Niemand will von Natur aus dienen. Die<br />

Selbst-Lüge („mauvaise foi“) ist ein Laster, weil sie die innere Transparenz und<br />

Selbstkontrolle <strong>eine</strong>r Person behindert.<br />

16. Der politische Voluntarismus besagt: Um frei zu sein, brauche ich nur den simplen<br />

Wunsch nach Freiheit zu haben.<br />

17. Das beste Mittel gegen Tyrannei ist Ungehorsam. Deshalb ist Ungehorsam unter diesen<br />

Umständen <strong>eine</strong> <strong>Tugend</strong> und ein wichtiger Beitrag zu <strong>eine</strong>r republikanischen Gesellschaft,<br />

in der die aktive <strong>Tugend</strong> <strong>eine</strong>s jeden freien Bürgers zählt.<br />

18. Mit dem Ungehorsam höre ich auf, dem Feuer der Tyrannei Nahrung zu verschaffen.<br />

Deshalb ist Ungehorsam radikaler als Gewalt oder Tyrannenmord.<br />

19. Zwei Paradoxien des politischen Voluntarismus: 1) Wenn es so einfach ist, frei zu sein,<br />

warum fällt es dann der Mehrheit der Menschen so schwer, Freiheit zu erlangen? Warum<br />

träumen viele Menschen von der Freiheit, ohne sie zu erlangen? – Die Freiheit wünschen<br />

setzt k<strong>eine</strong> höheren geistigen Fähigkeiten voraus. Insofern ist sie einfach. Doch sie setzt<br />

viel Mut und Ausdauer voraus. Insofern ist sie schwierig. 2) Wenn nur einige ungehorsam<br />

sind, machen sie sich lächerlich oder werden als Märtyrer umgebracht. Der Ungehorsam<br />

einiger weniger kann den Tyrannen nicht stürzen, weil er sich auf ein System von<br />

Loyalitäten und ein komplexes System von Günstlingswirtschaft (mit Nepotismus,<br />

Favoritismus und Korruption) stützt. – Der Ungehorsam einiger weniger kann<br />

exemplarisch sein für andere. Ohne Weigerung, Sklave zu sein, gibt es zwar politische<br />

Revolutionen (in denen <strong>eine</strong> ehrgeizige Elite <strong>eine</strong> andere ehrgeizige Elite ersetzt), aber<br />

k<strong>eine</strong> soziale Revolution, in der die Herrschaft und die Hierarchien als solche reduziert<br />

werden.<br />

Literatur:<br />

La Boëtie, Étienne de: Discours de la Servitude Volontaire (les éditions Le Griffon d’argile inc.. 1985<br />

(texte rédigé en 1547)<br />

Stirner, Max (1844): Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig, Neuauflage Reclam, Stuttgart 1974,<br />

1991 etc. (fr. L’Unique et sa Propriété, plusieures éditions)<br />

Wolf, Jean-Claude (2007): Egoismus von unten gegen Bevormundung von oben. Max Stirner neu<br />

gelesen (Stirneriana 30), Verlag Max-Stirner-Archiv Leipzig. Herausgeber: Kurt Fleming.

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