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Sozialisation - Kolloquium: Theorie und Praxis einer reflexiven ...

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Propädeutikum Soziologie:<br />

Soziologische Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

<strong>Sozialisation</strong>:<br />

Der Weg in die Gesellschaft<br />

(...<strong>und</strong> auch aus ihr heraus...)<br />

apl. Prof. Dr. Jens Luedtke<br />

Institut für Gesellschafts- <strong>und</strong> Politikanalyse<br />

Goethe-Universität Frankfurt


Was ist <strong>Sozialisation</strong>?<br />

• Mitgliedwerdung in Gruppen/Gesellschaft<br />

<strong>und</strong><br />

• produktive Auseinandersetzung mit sozialer/dinglicher Umwelt<br />

• zentrale Frage: wie wird der Mensch handlungsfähig?<br />

• Prozess<br />

– Soziabilisierung<br />

• Weltvertrauen, Weltverständnis<br />

• eigene Persönlichkeit<br />

– Enkulturation<br />

• kulturspezifische Normen <strong>und</strong> Werte<br />

– “sek<strong>und</strong>äre soziale Fixierung”<br />

• Vorbereitung auf Positionsübernahme<br />

Quelle: Scherr 2000; Hurrelmann/Ulich 2002; Hurrelmann 2002; Claessens 1979)


1. Warum ist <strong>Sozialisation</strong> ein Thema?


Warum ist „<strong>Sozialisation</strong>“ ein Thema?<br />

• Annahme menschlicher Besonderheit: „Wie ist Mensch möglich“?<br />

– anthropozentrisches statt theozentrisches Weltbild<br />

– Frage nach Autonomie, Selbst-/Weltgestaltung<br />

– „nach-metaphysisch“, empirisch-analytisch, beobachtend, kausal<br />

• keine Frage mehr nach „Geist“<br />

• anthropologisch-soziologische Ausgangsannahmen<br />

– Exzentrizität: Mensch = „sich aufgegeben“: Sinn-/Selbstfindung (Plessner)<br />

• Stabilisierung/Objektivation durch Äußeres: Kultur<br />

– Weltoffenheit <strong>und</strong> Instinktarmut: Ordnungssysteme/Institutionen (Gehlen)<br />

• Mensch: kulturfähig + kulturabhängig; Grenze gegen Offenheit<br />

– Veränderung von Triebzielen durch Kulturentwicklung: Zivilisation (Elias)<br />

• innengeleitete Selbst-/Affektkontrolle durch Modernisierung<br />

– „Selbst“/Identität: durch <strong>Sozialisation</strong>sprozess (Mead)<br />

• symbolgeleitete Kommunikation, I-/Me-Dialektik<br />

– Treffen von Mensch <strong>und</strong> Gesellschaft in der Rolle (Dahrendorf)<br />

• Vorbereitung auf Rollenübernahmen nötig


Der „okzidentale Sonderweg“<br />

• Bildungssystem/Bildung: externe Rahmenbedingungen/Akteure<br />

– politisches System/staatliche Verfasstheit<br />

– Wirtschaftssystem<br />

– technologische Entwicklung (neue Qualifikationen)<br />

– Rationalisierungsgrad der Herrschaft (Bürokratisierung)<br />

– Haltung zur Welt/zum Menschen (Weltflucht/Weltbeeinflussung?)<br />

– damit: Prozess der Modernisierung<br />

• Okzidentaler Sonderweg<br />

– Basis: anthropozentrisches Menschenbild<br />

• damit: „Arbeit am Menschen“ sinnhaft<br />

– Institutionalisierung/Verstetigung in Bildungssystemen<br />

– Bildungswesen: Dienstleistungsorganisation<br />

• Sicherung der Teilhabe an Gesellschaft<br />

• Element des rechtsförmigen Wohlfahrtsstaats<br />

• Förderung der individuellen Entwicklung<br />

• Förderung der gesellschaftlichen Integration<br />

5<br />

Quelle: Fend (2007: 229 ff.)


2. Was ist <strong>Sozialisation</strong>?


Was ist <strong>Sozialisation</strong>?<br />

• weder “pessimistische Anthropologie” (homo hominem lupus)<br />

• noch soziale Prägung (Umweltdeterminismus)<br />

• sondern: aktive Auseinandersetzung<br />

– “produktiv realitätsverarbeitendes Subjekt” (Hurrelmann/ Ulich 2002: 9)<br />

– durch Teilnahme an sprachlich vermittelten Handlungsvollzügen<br />

(Scherr 2000: 53)<br />

• darüber:<br />

– Erwerb von Handlungskompetenzen<br />

• funktionale Integration<br />

– Erkennen/Anwendungen geteilter Bedeutungen<br />

• kulturelle Integration<br />

– Beitrag zur Identitätsbildung<br />

Quellen: Hurrelmann 2002; Hurrelmann/Ulich 2002; Scherr 2000;


Was ist <strong>Sozialisation</strong>?<br />

• <strong>Sozialisation</strong>: Aufgabe <strong>und</strong> Leistung<br />

– subjektive Aufgabe: Handlungskompetenzen erwerben/herstellen<br />

– Leistung der Institutionen: „Einüben“ der nachwachsenden Generation<br />

"Es gibt nicht ‚die‘ <strong>Sozialisation</strong>, sondern es gibt lediglich sozialisationstheoretische<br />

Fragestellungen, die aus <strong>einer</strong> Problematisierung<br />

des Mitgliedwerdens hervorgehen" (Hurrelmann/Ulich 1991, S. 7).<br />

• aktive/produktive Verarbeitung von äußerer/innerer Umwelt<br />

– Eigenleistung des Subjekts<br />

– Rahmen: Körper/Psyche<br />

– Rahmen: soziale Umwelt<br />

Quelle: Hurrelmann 2002; Hurrelmann/Ulich 1991


Dimensionen der <strong>Sozialisation</strong><br />

• Personalität<br />

– gesellschaftliche Bestimmtheit (Rollen, Normen, Werte)<br />

• Individualität<br />

– gesellschaftlich ermöglicht<br />

– was macht den Einzelnen einzigartig?<br />

– Interpretation objektiver Bedingungen<br />

– Selbstbild <strong>und</strong> Identität (Mead 1991)<br />

• Subjektivität<br />

– Sprach-, Handlungs- <strong>und</strong> Selbstbestimmungsfähigkeit<br />

Quelle: Scherr 2000; Mead 1991


Ansatzpunkt „Subjekt“<br />

• Subjekt:<br />

– aktiver, tätiger Mensch<br />

– historische <strong>und</strong> soziale Beziehungen<br />

– „soziale Subjekte“: auch Gruppen, Institutionen<br />

• steht in Verhältnis zur Umwelt<br />

– sozial (Subjekte) <strong>und</strong> materiell (Objekte)<br />

– Wechselwirkungen<br />

– Interpretationsleistung<br />

– Einfluss des Geschaffenen (Institutionen) auf das Subjekt<br />

• Subjekt: produktive Auseinandersetzung mit Umwelt<br />

– Eigenleistung/Aufgabe des Subjekts (Hurrelmann 2002)<br />

• gestiegener Eigenanteil des Subjekts (Geulen 2002)<br />

– Rahmen: Körper/Psyche, soziale/materielle Umwelt<br />

– Subjekt = Ergebnis der <strong>Sozialisation</strong> (Geulen 2002)


<strong>Sozialisation</strong> als produktive Verarbeitung von<br />

innerer <strong>und</strong> äußerer Realität<br />

Quelle: Hurrelmann 2002: 505


Ziel: Identität<br />

• Identität: „Erleben des Sich-selbst Gleichseins“ (Hurrelmann 2002:<br />

99)<br />

– nur innerhalb des Gesellschaftlichen!<br />

• Identität “besitzt [man] immer nur in bestimmten Situationen <strong>und</strong><br />

unter anderen, die sie anerkennen” (Krappmann 1978: 35)<br />

• Basis: Körper<br />

– Körper: Produkt des Sozialen (Körpergestaltung)<br />

– Habitus (Bourdieu 1979): inkorporiertes Kapital<br />

• Soziale <strong>und</strong> persönliche Identität (Goffman 1991)<br />

• Identität: Dialektik von „I“ <strong>und</strong> „me“ (vgl. Mead 1991)<br />

– einheitliche Identität: „Gesellschaft hereinholen“ (Mead 1991)<br />

– Teilnahme am arbeitsteilig organisierten Prozess<br />

• Identitätsbalance: Schein-Normalität / Schein-Einzigartigkeit (vgl.<br />

Krappmann 1993)


Abgrenzung zu anderen Begriffen<br />

Bildung<br />

• Unterbegriff von <strong>Sozialisation</strong><br />

• „normative Zielsetzung des <strong>Sozialisation</strong>sprozesses” (Hurrelmann 2002: 502)<br />

– Selbstentfaltung <strong>und</strong> Selbstbestimmung<br />

– durch Auseinandersetzung mit Umwelt<br />

– was ist dazu aus Sicht der Gesellschaft nötig?<br />

Erziehung<br />

• Unterbegriff von <strong>Sozialisation</strong>: zielgerichteter/bewusster Einfluss auf Bildungsprozess<br />

– normative Dimension<br />

• Ausschnitt der Persönlichkeitsentwicklung<br />

Enkulturation<br />

• Unterbegriff von <strong>Sozialisation</strong><br />

• erlernen kultureller Überlieferungen der Gesellschaft (Sprache, Verhaltensmuster)<br />

• oft unbewusst in Interaktionen, ab Geburt<br />

Quelle: Hurrelmann 2002


3. Der normative Rahmen


Normativer Rahmen: gesellschaftliche<br />

Entwicklungsaufgaben (nach Havighurst)


Abschnitte der <strong>Sozialisation</strong><br />

• Primäre <strong>Sozialisation</strong><br />

– Mitgliedwerdung in Kindheit<br />

– Institution: Familie<br />

• Sek<strong>und</strong>äre <strong>Sozialisation</strong><br />

– Erwerb der Kompetenzen für neue Ausschnitte<br />

– späte Kindheit/Jugend<br />

– Vorbereitung auf Übernahme funktionaler Rollen (vgl. Parsons 1968)<br />

– Institution: Schule<br />

• Tertiäre <strong>Sozialisation</strong><br />

– Erwerb konkreter Kompetenzen für eine Berufsrolle<br />

– Jugend/Postadoleszenz<br />

– Institution: Betrieb, höhere Bildungseinrichtung<br />

• Quartäre <strong>Sozialisation</strong><br />

– Anpassung bestehender Kompetenzen<br />

– Erwachsenenalter<br />

– lebenslanges Lernen


… Hurra, wir werden Rollenspieler!<br />

„Die Soziologie hat es mit dem Menschen im Angesicht<br />

der ärgerlichen Tatsache der Gesellschaft zu tun“<br />

(Dahrendorf 1974: 18).<br />

„Am Schnittpunkt des Einzelnen <strong>und</strong> der Gesellschaft<br />

steht homo sociologicus, der Mensch als Träger sozial<br />

vorgeformter Rollen“ (Dahrendorf 1974: 20).


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Zwang<br />

“Die so genannte <strong>Sozialisation</strong> besteht (...) darin, die Individuen dazu zu<br />

bringen, etwas freiwillig zu tun, was sie nach den Regeln der Gesellschaft<br />

tun müssen” (Bauman 2000: 36).<br />

„ (…) so liegt es auf der Hand, dass die ganze Erziehung in <strong>einer</strong><br />

ununterbrochenen Bemühung besteht, dem Kind eine gewisse Art zu<br />

sehen, zu fühlen <strong>und</strong> zu handeln aufzuerlegen, zu der es spontan nicht<br />

gekommen wäre“ (Durkheim 1975: 108).


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Zwang<br />

• Macht <strong>und</strong> Herrschaft<br />

– (anerkannte) Willensdurchsetzung des Sozialisierenden<br />

– Macht/Zwang = generalisiertes Kommunikationsmedium (Parsons 1980)<br />

• Zielerreichung (G-Funktion) sichern!<br />

• Integration erzwingen<br />

– Primäre <strong>Sozialisation</strong>: Problem „Gewalt in der Erziehung“!<br />

• Disziplinierung (Foucault 1994)<br />

– Ziel: der „gelehrige“, disziplinierte Körper<br />

„aus einem formlosen Teig, aus einem untauglichen Körper macht man die<br />

Maschine, deren man bedarf“ (Foucault 1979: 173).<br />

– Kontrolle/Platzierung von Körpern im Raum (Spacing, Keim 2003)<br />

– Vorschreiben von Handlungen zu bestimmten Zeiten<br />

• Soziale Kontrolle (Lucke 2002)


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Pflicht<br />

• Rollenspiel = Pflichterfüllung<br />

– normatives Paradigma<br />

– Gr<strong>und</strong>lage: Gesellschaft<br />

– Bereich der Moral = Bereich der Pflicht (vgl. Durkheim 1985)<br />

• gesellschaftliche Umwelt: „objektiver“ Rahmen<br />

– fait social (Durkheim 1975)<br />

– Regeln/Pflichten: existieren außerhalb der Person (1975: 105)<br />

• Dualität Assoziation/ Kooperation (vs. Utilitaristen) (Durkheim 1988)<br />

– Individualität: aus kollektivem Leben<br />

– nur so: Individualität nicht gesellschaftszersetzend<br />

• „ordentliches“ Gesellschaftsmitglied = „ordentlicher“ Rollenspieler<br />

• in <strong>Sozialisation</strong>:<br />

– Fähigkeiten <strong>und</strong> Einstellung für die Übernahme <strong>einer</strong> „gesellschaftlich<br />

sinnvolle Funktion“ (vgl. Parsons 1968)


Wandel der <strong>Sozialisation</strong><br />

• <strong>Sozialisation</strong>, Selbstsozialisation, Selbstorganisation<br />

• Wandel der Familie<br />

– Rahmenbedingungen: Haushaltsgröße, -struktur, Lebensform<br />

– Erziehungsziele: Eigenständigkeit, individuelle Förderung<br />

– Erziehungsstile: permissiver, elterliche Beratungs-/Gesprächsfähigkeit<br />

– Umgang der Generationen<br />

• Kinder/Jugendliche: zunehmende Verantwortung für Lebensweg<br />

• Eltern/Erzieher: nur unterstützende Funktion (Verbindlichkeitsverlust)<br />

• Verhältnis Eltern/Kinder: Respekt, Partnerschaftlichkeit<br />

• Pluralisierung der <strong>Sozialisation</strong>sagenten<br />

– Peergroups, Medien, Konsum-/Werbe-/Unterhaltungsindustrie


4. Selbstsozialisation statt<br />

<strong>Sozialisation</strong>?


Selbstsozialisation?<br />

• Jugendphase: eigenständige Lebensphase statt Statuspassage<br />

• „Selbstsozialisation”<br />

– aus Systemtheorie (siehe: Luhmann 1984)<br />

– Eigentätigkeit der Subjekte<br />

– relativ unabhängig von „Fremdsozialisation”<br />

– eigenständig:<br />

• Bedeutungszuschreibung zur Umwelt<br />

• Entwickeln von Handlungsstrategien<br />

• eigene Handlungslogik<br />

• Zielformulierung<br />

• denn: Bedeutungsverlust traditioneller Instanzen<br />

– Pluralisierung von <strong>Sozialisation</strong>sagenten<br />

– „neue“ <strong>Sozialisation</strong>sagenten<br />

– Veränderung der Lebensphasen<br />

• Erosion der „Normalbiographien“<br />

Quelle: Zinnecker 2002; Mansel/Hurrelmann 2003


<strong>Sozialisation</strong> im Wandel<br />

• „gelingende <strong>Sozialisation</strong>” > verinnerlichte soziale Strukturen<br />

• Behauptung von Subjektivität/Identität<br />

– dazu: produktive Auseinandersetzung mit Strukturen<br />

– <strong>und</strong>: Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten (Rollen)<br />

• role-making! (Mead 1991)<br />

• Effekte aus dem makrostrukturellen sozialen Wandel<br />

– frühere biologische Reifung<br />

– früherer Einfluss der Peers<br />

– schnellere Entwertung des Wissens Älterer<br />

– steigende Spielräume zur Selbstbestimmung<br />

• relativer Kontrollverlust der Elterngeneration<br />

• früher kulturelle Autonomie<br />

• früher soziale Autonomie<br />

– mehr reflexive Selbstkontrolle nötig


<strong>Sozialisation</strong> im Wandel<br />

• Selbstorganisation <strong>und</strong> Selbstfindung im Jugendalter vorverlagert<br />

(Hurrelmann 2002: 157)<br />

• gestiegener Eigenanteil des Subjekts (Geulen 2002)<br />

• aber: gesellschaftliche Bedingungen beibehalten<br />

– Subjekt-Umwelt-Interaktion: Interpretation<br />

– Reaktion der Umwelt: sozialisatorische Wirkung<br />

– Umwelt: ausschnitthaft<br />

• Einfluss des Subjekts: Selektivität<br />

• Steuerung eigener <strong>Sozialisation</strong><br />

• Realitätsveränderung: sozialisatorisch<br />

• Gestaltbarkeit äußerer Bedingungen?<br />

– Macht, Kompetenzen, Ressourcen (Mansel/Hurrelmannn 2003)


Selbstsozialisation?<br />

• mehr „Eigensinn” <strong>und</strong> „Eigenaktivität” in <strong>Sozialisation</strong><br />

– Strukturfunktionalismus: Rollenbezug, Fremdbestimmtheit<br />

– Kinder (kollektiv) aktiv: Persönlichkeitsentwicklung<br />

– Ideal: selbstbestimmte Subjekte<br />

– daher Konzeptänderung: „Selbstsozialisation” (Zinnecker 2002)<br />

– Anpassen des <strong>Sozialisation</strong>sbegriffs an Forschungsstand<br />

• Problem: Subjektbegriff im <strong>Sozialisation</strong>sdiskurs<br />

– eingeführt ohne Persönlichkeits- <strong>und</strong> Handlungstheorie (Geulen 2002:<br />

187)<br />

– wäre bei „Selbstsozialisation” vorausgesetzt<br />

– aber: ist erst Ergebnis der <strong>Sozialisation</strong>!<br />

• KEIN Verzicht auf <strong>Sozialisation</strong>sbegriff!<br />

– sonst: Aktor = Alleinverantwortung für Defizite<br />

– Selbst: Reparaturinstanz


… oder „Selbstorganisation”?<br />

• <strong>Sozialisation</strong>skonzept beibehalten! (Hurrelmann 2002) …<br />

– Persönlichkeitsentwicklung: nicht im gesellschaftsfreien Raum<br />

– Leistung des Selbst, da Zwang zum Einlassen auf Sozialität<br />

(Krappmann 2002)<br />

– Dialektik von Selbst/Anderem (Krappmann 2002)<br />

– daher: sozialstrukturelle Seite<br />

• … aber erhöhte Eigenleistungen der Subjekte einbeziehen!<br />

– Individualisierung<br />

– aktive Lebensgestaltung/Biographieplanung<br />

– Biographieformung: Eigenleistung<br />

– Umgang mit pluralen Lebenswelten<br />

– produktive Bewältigung: Flexibilität


… oder „Selbstorganisation”?<br />

• Selbstorganisation<br />

– schwerer planbarer Lebenslauf<br />

– Systeme: Rollenbezug<br />

– Subjektleistung: Übersetzen in „biographisch sinnvollen Lebenslauf”<br />

(Schwinn 2001)<br />

– dazu: mehr Partizipation<br />

• „Bürgerrechte” von Kindern/Jugendlichen<br />

• Erwachsene: höhere Anforderungen<br />

– fließender Übergang in Erwachsenenstatus<br />

– Biographieplanung der Geschlechter<br />

– Erwerbs-/Privatbiographie


5. <strong>Sozialisation</strong>: mit Körper!


Soziologie = körperlos!?<br />

• „Körperblindheit“ der Soziologie (Hübner-Funk 2003)<br />

– „dualistisches Erbe“ der Philosophie: Leib vs. Seele, Trieb vs. Vernunft<br />

– <strong>Sozialisation</strong>: Zivilisierung des Körperlichen, Triebhaften<br />

• Zivilisationstheorie (Elias 1991)<br />

– damit: Integration in gesellschaftliche Gemeinschaft (vgl. Parsons 1973)<br />

• Soziologie: „übersozialisiertes Modell“ des (heranwachsenden)<br />

Rollenträgers (vgl. Hübner-Funk 2003: 71)<br />

– Konstruktion der (Erwachsenen-)Gesellschaft<br />

• Wandel: Ges<strong>und</strong>heits-, Sexualitätsforschung<br />

– Zusammenhang mit Armutsforschung, Geschlechterforschung


Körperbezug<br />

• Körper = gestalteter Körper = kultureller Körper<br />

– Körperpraxis = kulturelle <strong>Praxis</strong><br />

• Schmuck, Gestaltung, Kleidung<br />

– Adaption/Verarbeitung von Bilderwelten<br />

– geschmückter Körper = „erweitertes Ich“<br />

• eine „ausgedehntere Sphäre (…), die wir mit unserer Persönlichkeit<br />

füllen“ (Simmel 1992: 421).<br />

• Dokumentation von Zugehörigkeit<br />

– Körper: Möglichkeit zur Bewältigung von Unsicherheit<br />

– Äußeres: Ausdruck körperlicher Teilhabe<br />

– erinnert Träger an den Rahmen<br />

• Demonstration von Individualität<br />

– Proben neuer Ausdrucksformen


Körperbezug<br />

• Körper = Basis für Identität<br />

– Körper: Produkt des Sozialen (Körpergestaltung)<br />

– Habitus (Bourdieu 1979): inkorporiertes Kapital<br />

• Vermittlung zwischen Struktur <strong>und</strong> <strong>Praxis</strong><br />

• Ausdruck der Stellung in Ungleichheitshierarchie<br />

• gestalteter Körper = Zeichen<br />

– sichtbarer Ausdruck innerer Haltungen: soziale Informationen (Goffman<br />

1991)<br />

– macht auf (scheinbar) dahinter Stehendes aufmerksam<br />

• stabile Zuschreibung von Verhalten zu wahrgenommenen Körpern<br />

– soziale Bewertung von Körpern<br />

– askriptive Merkmale: Männer, Migranten, Jugendliche<br />

• Zuschreiben von Verhalten: tendenziell Zuschreiben von Identität<br />

– Erwartung eines sozialen Seins


Körperbezug<br />

• Inszenierung des Körpers<br />

– Oberfläche: Tätowierungen (Lobstädt 2005)<br />

• Individualitätszeichen<br />

• Distiktions-/Dazugehörigkeitsmerkmal<br />

• Prestigesymbol<br />

• Stigma<br />

– Äußeres: Frisuren, Kleidung, Körperschmuck (z. B. Piercing)<br />

– Gestaltung: Sport, Lebensstil<br />

• risikoreicher Lebensstil<br />

– Darstellung vor „kompetentem“ Publikum (Schulze 1990)<br />

• Integration in Eigengruppe/Teilkultur<br />

• Distinktion<br />

• Körperliche Gewalt: Rückgeworfensein auf Körper<br />

– Körper = zentrales Kapital für Identitätsbildung<br />

– durch Gewalt: Muster wird verstärkt<br />

– für Täter <strong>und</strong> Opfer (vgl. Trotha 1997)


Entwicklungsaufgaben (nach Havighurst)


Bewältigung von Veränderungen<br />

• Körperliche Veränderung = Anpassungsleistung (vgl. Höfer 2000)<br />

– Auseinandersetzung mit Körperaneignung<br />

• Belastungen durch Entwicklungsaufgaben<br />

– Soziale Beziehungen (Gleichaltrige)<br />

• Peers: sozialisierende Funktion, stabilisierend, fördern Individualität<br />

• aber: keine Garantie auf Zukunftsperspektive<br />

– Ablösung von Herkunftsfamilie<br />

• früher im Lebenslauf, Komplikationen möglich<br />

– Entwicklung <strong>einer</strong> Erwerbsperspektive<br />

• mehr Wettbewerb um günstige Ausgangsposition<br />

• guter Schulabschluss = keine Beschäftigungsgarantie<br />

• bio-psychozoziales Modell der Bewältigung (Hurrelmann)<br />

– Lebenslage – Belastungen – Bewältigungsprozess<br />

– ges<strong>und</strong>e Persönlichkeit/psychische Störung, Krankheit, Drogen<br />

Quelle: Höfer 2000


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Körper<br />

• Kindheit <strong>und</strong> Körper<br />

– Kontrolle über den Körper, Teil der „Inbesitznahme“<br />

„um williges Organ <strong>und</strong> beseeltes Mittel (…) zu sein, muss er erst vom<br />

ihm [dem Geist] in Besitz genommen werden“ (Hegel 1989: 111)<br />

– Ansatz zur „Zivilisierung“ des Körpers: „Über-Ich“ – „Es“<br />

• Jugend <strong>und</strong> Körper<br />

– Rahmenbedingung: körperliche Reifung<br />

– Rahmenbedingung: gesellschaftliche Haltung zum Körper(einsatz)<br />

– Rahmenbedingung: gesellschaftliche Haltung zur Jugend<br />

• Erwachsenengesellschaft: „Fernhalten“ von Jugend


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Körper<br />

• Jugend <strong>und</strong> Körper:<br />

– Verhältnis zu körperlicher Veränderung/Geschlechtsreife<br />

• Rahmen: Schönheitsideale, Leistungsnormen<br />

– Umgang mit Sexualität<br />

• Rahmen: Tabus, Sanktionen, Anreize<br />

– Identität: Geschlechtsidentität<br />

• Kontakte zu (Geschlechts-)Partnern<br />

• Pubertät: Prozess körperlicher Veränderungen<br />

– „pubertas“ = Geschlechtsreife, „Mannbarkeit“<br />

– sek<strong>und</strong>äre/tertiäre Geschlechtsmerkmale, Längenwachstum, Stimme<br />

• Vorverlegung/Beschleunigung (Ernährung)<br />

• Streckung des Verlaufs<br />

– Verunsicherung <strong>und</strong> Neuformierung des Körper-Bewusstseins<br />

• Menarche, Brustwachstum, Pollution<br />

– Auslöser von Verhaltensänderungen


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Körper<br />

• Jugend = „Körperjugend“ (Frohmann 2003)<br />

– Veränderung des Körperbildes (sek<strong>und</strong>äre Geschlechtsmerkmale)<br />

– Selbstreflexion: altersabhängig<br />

• 7. Klasse: Haare<br />

• 9. Klasse: Körperkraft, Körpergewicht<br />

• Körpermodellierung<br />

– Geschlechtsidentität<br />

• Körperpraxis<br />

– Demonstration des Selbst vor Publikum<br />

– Herausforderung (Sport, „Action“)<br />

– Virtuell (PC, TV)<br />

• Körper: Artikulationsform in fragmentierter Gesellschaft<br />

– steigende Bedeutung als Mittel der Identitätsfindung


Körperbearbeitung<br />

• Mittel: Sport, Ernährung, Oberflächengestaltung<br />

– Wichtig: Sichtbarkeit; signifikante Symbole<br />

• Individualitätszeichen<br />

– Darstellung des Selbst<br />

– kann dem Körper anhaften (Tätowierung)<br />

• Distiktions-/Dazugehörigkeitsmerkmal<br />

– Mühe, Aufwand<br />

– Integration <strong>und</strong> Abgrenzung<br />

• Prestigesymbol<br />

– „erweitertes Ich“ (Simmel 1992)<br />

• Stigma<br />

– Ausdruck diskreditierter Praktiken<br />

Quelle: Löbstädt 2005; Simmel 1992


Risikoverhalten<br />

• Riskante Körperpraktiken (Raithel 2002)<br />

– Ernährungsfehlverhalten<br />

– übermäßiger Drogenumgang<br />

– Bewegungsmangel<br />

– Risikosport<br />

– ungeschütztes Sexualverhalten<br />

– lautes Musikhören<br />

– risikoreiches Verkehrsverhalten<br />

– delinquentes Risikoverhalten<br />

• Risikoverhalten: Hintergründe (dazu Groenemeyer 2001)<br />

– Sozial strukturiert: Lebensweise, Beziehungsmuster, <strong>Sozialisation</strong><br />

– Risikokulturen: Handlungsoptionen für die Identitätsbildung<br />

– „doing gender“


<strong>Sozialisation</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

• Ges<strong>und</strong>heit: „Zustand völligen körperlichen, seelischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Wohlbefindens <strong>und</strong> nicht nur als das Freisein von Krankheit <strong>und</strong><br />

Gebrechen“ (WHO 1946)<br />

• Ges<strong>und</strong>heit des Individuums (Parsons):<br />

– optimale Leistungsfähigkeit<br />

– damit: gutes Erfüllen von Rollen<br />

– damit: Zusammenhang mit <strong>Sozialisation</strong><br />

• aber: Ges<strong>und</strong>heit zugleich Produkt der <strong>Sozialisation</strong><br />

– Familie, Peers, Medien, Schule


Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

• 1/8 der 11-15-Jährigen: chronische Erkrankung<br />

• ca. die Hälfte: behandlungsbedürftige Verletzung im letzten Jahr<br />

• 2/5 der Mädchen/gut 1/3 der Jungen: Allergien<br />

• 1/5 der Jugendlichen: psychische Beeinträchtigungen<br />

– 6% psychisch auffällig, 1/8 grenzwertig auffällig<br />

– besonders untere Wohlstandsschichten<br />

• 1/10: keine soziale Akzeptanz durch Gleichaltrige


Problem Körpergewicht<br />

• KIGGS (Kinder- <strong>und</strong> Jugendges<strong>und</strong>heitssurvey)<br />

– 2003-2006, Alter: 0-17, b<strong>und</strong>esrepräsentativ, N= 17.641<br />

• BMI (Körpergröße in m²/Gewicht)<br />

– < 18: Untergewicht, < 25: Normalgewicht, < 30: (leichtes) Übergewicht<br />

– 30- < 40: Adipositas I, 40 u. mehr: Adipositas 2<br />

• Kinder/Jugendliche: Perzentilwerte <strong>einer</strong> Referenzpopulation<br />

– Übergewicht: BMI > 90%-Perzentil der BMI-Verteilung<br />

– Adopositas: BMI > 97%-Perzentil der BMI-Verteilung<br />

– dazu: Referenzwerte Kromeyer-Hauschild<br />

• Ergebnisse (3-17-Jährige):<br />

– 8,8% Übergewicht + 6,3% Adipositas<br />

– 78% Normalgewicht, 7% (stark) untergewichtig<br />

– BMI-Anstieg seit 1985<br />

Quelle: Kurth/Schaffrath Rosario 2007


Risikogruppen<br />

• Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

– besonders bei Kindern (7-10): Anteil (1/10) doppelt so groß<br />

– Angleichung bei 14-17-Jährigen<br />

• niedriger Sozialstatus der Familie<br />

– um Faktor 3-4 größer als bei hohem Sozialstatus<br />

– 7-10 J.: 1/10 gg. 3%, 11-13 J.: 1/8 gg, 4%, 14-17 J.: 1/7 gg. 5,4%<br />

• Mutter mit Adipositas<br />

– 3-6 J.: >= 30: 9,5%, < 25: 1,7%; 11-13 J:

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