DIE SERENGETI DES NORDENS - Zoologische Gesellschaft Frankfurt
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SCHWERPUNKTTHEMA | KASACHSTAN<br />
Foto: Steffen Zuther, ACBK<br />
<strong>DIE</strong><br />
<strong>SERENGETI</strong><br />
<strong>DES</strong><br />
<strong>NORDENS</strong><br />
In den Weiten der kasachischen Steppen setzt sich die ZGF für die Erhaltung der<br />
letzten unberührten Grasländer Eurasiens mit ihrer einmaligen Fauna und Flora<br />
ein. Die ersten Erfolge können sich sehen lassen.<br />
Von Steffen Zuther<br />
12<br />
ZGF GORILLA | AUSGABE 3/2012
SCHWERPUNKTTHEMA | KASACHSTAN<br />
Kasachstan ist das neuntgrößte Land der Erde. Es liegt<br />
im Zentrum des eurasischen Kontinents, ist ein bedeutender<br />
Rohstofflieferant und Weizenexporteur und ist mit<br />
außergewöhnlichen Naturschätzen ausgestattet. Und dennoch<br />
kennen dieses Land wohl die wenigsten. Kasachstan<br />
ist einer der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, der<br />
größte in Zentralasien, und seit 1991 unabhängig. Nach<br />
den schwierigen 90er-Jahren hat sich eine sehr positive<br />
und rasante wirtschaftliche Entwicklung eingestellt, die<br />
das Land zu dem pulsierenden Staat gemacht hat, der er<br />
heute ist.<br />
Kasachstan hat vor allem eines zu bieten: Weite. Auf über<br />
2,7 Millionen Quadratkilometern (das ist mehr als 7-mal<br />
so groß wie Deutschland) wohnen gerade einmal etwas<br />
mehr als 16 Millionen Einwohner (das ist etwa ein Fünftel<br />
der Einwohnerzahl Deutschlands). So kommt es, dass<br />
von einem Ort zum anderen erhebliche Strecken zurückzulegen<br />
sind. Der wohl östlichste Zipfel Europas findet<br />
sich in Kasachstan. Ganz im Westen fließt der Fluss Ural<br />
durch das Land und sorgt dafür, dass Kasachstan sowohl<br />
in Europa als auch in Asien liegt. Auch politisch wird es<br />
oft als östlicher Außenposten Europas gesehen.<br />
Naturräumlich liegt das Land in den kontinentalen Trockengebieten<br />
Eurasiens. Im nördlichen Bereich findet<br />
man Steppen mit einzelnen Waldinseln, weiter südlich<br />
Halbwüsten und Wüsten, am südlichen und östlichen<br />
Rand auch Gebirge. Landwirtschaftlich genutzt wird vor<br />
allem der Nordteil. Die fruchtbaren Böden der Steppengebiete<br />
brachten in den 50er-Jahren die Herrscher des<br />
Sowjetsystems in Moskau auf die Idee, Kasachstan zur<br />
Kornkammer des Landes auszubauen. Im Zuge der Neulandkampagne<br />
wurden daraufhin riesige Flächen zu Acker<br />
umgepflügt. Wo im Süden das Klima zu trocken für den<br />
Weizen war, wurde die Viehwirtschaft vorangetrieben.<br />
DAS ENDE DER SOWJETZEIT – EINE CHANCE<br />
FÜR <strong>DIE</strong> NATUR<br />
In dieser dramatischen Situation begann die ZGF, sich<br />
vor etwa zehn Jahren zu engagieren, um die durch die<br />
sowjetische Ausbeutung und das postsowjetische Chaos<br />
gebeutelten Steppenlebensräume zu schützen und wiederherzustellen.<br />
Bis dahin wurden Grasländer weltweit<br />
vom Naturschutz vernachlässigt, was man daran sieht,<br />
dass im Vergleich zu anderen Lebensräumen nur relativ<br />
wenige Flächen unter Schutz stehen. In Kasachstan findet<br />
man noch weite, natürliche Steppengebiete am südlichen<br />
Rand der Steppenzone, weshalb diesem Land eine<br />
besondere Bedeutung bei der Erhaltung der temperaten<br />
Grasländer zukommt, die anderenorts durch Nutzung<br />
komplett umgeformt oder zerstört wurden.<br />
ZEHN JAHRE SAIGASCHUTZ<br />
Seit 2002 ist nun die ZGF in Zentralkasachstan aktiv<br />
und unterstützte zunächst konkrete Maßnahmen zum<br />
Schutz der Saiga-Antilope vor Wilderei. 2005 formte die<br />
ZGF maßgeblich die Altyn Dala Conservation Initiative<br />
(ADCI). Diese Initiative ist ein groß angelegtes Naturschutzprogramm,<br />
das von der Regierung Kasachstans mit<br />
initiiert wurde und von der ZGF und der Royal Society for<br />
the Protection of Birds (RSPB) unterstützt wird. Vor Ort<br />
werden alle Aktivitäten durch eine lokale Partnerorganisation<br />
umgesetzt, die Association for the Conservation<br />
of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK), die mittlerweile<br />
der größte Naturschutzverband Kasachstans ist. Die Ziele<br />
von ADCI sind ambitioniert: Mehrere Millionen Hektar<br />
Schutzgebiet sollen neu entstehen und miteinander vernetzt<br />
werden. Bedrohte Arten sollen in ihrer Bestandszahl<br />
wieder anwachsen und ausgestorbene Arten sogar<br />
Foto: Klaus Nigge<br />
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durchlebten<br />
die Kasachstaner schwierige Jahre. Die Versorgung mit<br />
Lebensmitteln, Energie, Heizmaterial und anderen lebenswichtigen<br />
Gütern brach teils oder gänzlich zusammen.<br />
Aus entlegenen Gebieten zogen sich die Menschen wieder<br />
zurück in die größeren Städte, was allerdings der Natur<br />
die Chance gab, nach der Ausbeutung in der Sowjet zeit<br />
verlorene Regionen zurückzuerobern.<br />
Eine Schlüsselart der Steppen und Halbwüsten Kasachstans<br />
ist die Saiga-Antilope. Sie durchstreifte zur Sowjetzeit<br />
in riesigen Herden die kasachischen Grasländer und<br />
wurde sogar jagdlich genutzt, mit beträchtlichen jährlichen<br />
Abschüssen. Bis zu eine Million Tiere lebten in<br />
Kasachstan. Als nach dem Ende des Sowjetregimes jegliche<br />
Jagdkontrolle wegfiel, nutzen die Menschen die Saiga<br />
als Fleischquelle, aber auch zum Gelderwerb, weil das<br />
Horn der Männchen teuer über die nun offene Grenze<br />
nach China verkauft werden konnte, wo es in der traditionellen<br />
Medizin Anwendung findet. Dies führte dazu,<br />
dass die Bestände um mehr als 95 % zurückgingen, so<br />
dass die Saiga-Antilope heute den Status einer stark bedrohten<br />
Tierart hat.<br />
Wegen ihrer Hörner werden die Saiga-Männchen wieder zunehmend<br />
von Wilderern gejagt.<br />
ZGF GORILLA | AUSGABE 3/2012 13
SCHWERPUNKTTHEMA | KASACHSTAN<br />
wieder eingeführt werden. Breit gefächerte Forschungsarbeiten<br />
sollen alle Komponenten der Steppenökosysteme<br />
berücksichtigen. Die Bevölkerung vor Ort soll<br />
intensiv miteinbezogen werden, um einerseits ihre Unterstützung<br />
sicherzustellen und sie andererseits vom Wildern<br />
abzuhalten.<br />
Das Projektgebiet liegt in Zentralkasachstan im Bereich<br />
der historischen Verbreitung der Betpak-Dala-Population<br />
der Saiga, die am stärksten unter der Wilderei gelitten<br />
hat. Das Gebiet ist etwa so groß wie Frankreich.<br />
Hier gibt es noch wirklich wilde Steppengebiete fast<br />
ohne menschliche Einflüsse, in denen man weitere interessante<br />
Arten wie den Steppenwolf, den Schakal, den<br />
Mönchsgeier, die Zwergtrappe, den Steppenkiebitz und<br />
die Mohrenlerche in großer Anzahl finden kann. Viel zu<br />
tun also im Rahmen dieser Naturschutzinitiative, die zunächst<br />
auf zehn Jahre angelegt ist.<br />
ALTYN DALA CONSERVATION INITIATIVE (ADCI)<br />
Im Jahr 2005 schlossen sich kasachische und internationale Organisationen, darunter die kasachischen Naturschutzbehörden,<br />
ACBK, ZGF, die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und der WWF International (Partner bis 2008) zusammen und<br />
initiierten ein großangelegtes Programm zum Schutz von Steppe und Halbwüste, die Altyn Dala Conservation Initiative (ADCI).<br />
Als Projektgebiet wurde das Verbreitungsgebiet der einst größten Saiga-Population, der „Betpak-Dala“-Population, in Zentralkasachstan<br />
ausgewählt. ADCI hat sich zum Ziel gesetzt:<br />
neue Schutzgebiete in den Steppen und Halbwüsten<br />
Kasachstans einzurichten<br />
die Wilderei auf die Saiga-Antilopen zu bekämpfen<br />
die Bewohner der Projektregion, vor allem die Kinder, über<br />
die Bedeutung des Lebensraumes Steppe und Halbwüste<br />
zu informieren und für dessen Schutz zu sensibilisieren<br />
durch eine Verbesserung der Zählmethoden für die Saiga-<br />
Antilopen genaue Informationen über die tatsächliche<br />
Populationsgröße zu bekommen<br />
zu prüfen, ob nicht noch mehr in der Steppe und Halbwüste<br />
vorkommende Wildtiere, wie Przewalski-Pferde und Wildesel,<br />
auch dort wieder angesiedelt werden können<br />
ADCI wird unterstützt von:<br />
PROJEKTGEBIET VON ADCI MIT SCHUTZGEBIETEN<br />
Russische<br />
Föderation<br />
Kostanay<br />
ADCI-Projektgebiet<br />
Astana<br />
Karaganda<br />
Zapovednik (höchste<br />
Schutzkategorie, Naturschutzgebiet)<br />
Naturreservat<br />
Kaspisches<br />
Meer<br />
Kasachstan<br />
Zhezkasgan<br />
Zakaznik (Schutzgebiet<br />
mit Naturschutzmanagement)<br />
geschützte Zone<br />
Aral-<br />
See<br />
Usbekistan<br />
Almaty<br />
geplantes Naturreservat<br />
Seen<br />
0 100 200 300 400 km<br />
14 ZGF GORILLA | AUSGABE 3/2012
SCHWERPUNKTTHEMA | KASACHSTAN<br />
ENTWICKLUNG <strong>DES</strong> SAIGA-BESTANDS IN BETPAK-DALA<br />
Anzahl<br />
Tiere<br />
500.000<br />
400.000<br />
300.000<br />
200.000<br />
100.000<br />
Keine genauen Daten<br />
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
Ab Mitte der 90er-Jahre brach die Saigapolulation in Betpak-Dala aufgrund übermäßiger Jagd rasant zusammen.<br />
Die Schutzmaßnahmen der letzen zehn Jahre greifen nun und der Bestand erholt sich langsam.<br />
Doch die Bedingungen für die Umsetzung unserer Ziele<br />
sind günstig: Die Natur hat nun eine Chance zur Rehabilitierung,<br />
nachdem der in dieser trockenen Region unwirtschaftliche<br />
Weizenanbau nahezu zum Erliegen kam.<br />
Infolgedessen wurden viele zur Sowjetzeit aufgebaute<br />
Dörfer aufgegeben. Auch ist die kasachische Regierung<br />
ein sehr engagierter Partner, immer offen für Kooperationen<br />
und gewillt, ihren internationalen Verpflichtungen<br />
im Biodiversitätsschutz nachzukommen. Und wir haben<br />
auch schon einiges erreicht: Schutzgebiete mit einer<br />
Größe von mehr als 1,3 Millionen Hektar, die die zentralen<br />
Lebensräume der Saiga-Antilope mit einschließen,<br />
sind bereits zur Ausweisung vorgesehen. Gleichzeitig<br />
wird zurzeit die Unterschutzstellung von Wanderkorridoren<br />
zwischen den Schutzgebieten geplant. Ein umfangreiches<br />
Monitoringsystem konnte bereits aufgebaut<br />
werden, nur so kann der Erfolg unserer Projektarbeit<br />
auch gemessen werden. Zudem konnten Saigas mit Satellitenhalsbändern<br />
ausgestattet werden, was uns erlaubt,<br />
ihre Wanderungen aus der Distanz zu verfolgen. Diese Informationen<br />
werden genutzt, um die Patrouillen der staatlichen<br />
Ranger zu planen, was die Effektivität ihrer Arbeit<br />
ungemein erhöht. Die Betpak-Dala-Population der Saiga-<br />
Antilopen konnte sich mittlerweile von dem Zusammenbruch<br />
erholen und ihre Anzahl ist auf über 100.000 Tiere<br />
gestiegen. Umfangreiche Forschungen an den Pflanzen<br />
und Tieren des Projektgebietes sorgen für ein besseres<br />
Verständnis der ökologischen Zusammenhänge und liefern<br />
die Grundlage für unsere Naturschutzmaßnahmen.<br />
Viele Menschen in den Dörfern im Projektgebiet sind bereits<br />
mit der ADCI und ihren Zielen vertraut und unterstützen<br />
unsere Vorhaben.<br />
Mit der gestiegenen Anzahl an Saigas sind wir der Vision<br />
einer „Serengeti des Nordens“ bereits viel näher, als man<br />
das vor einigen Jahren noch hätte erwarten können. Der<br />
Vision einer Steppe, die voller Leben ist, mit großen Herden<br />
von Huftieren, die grasend über die Ebenen ziehen,<br />
und einem funktionierenden Grasland-Ökosystem, wie<br />
es einmal war. Saigas kann man schon jetzt wieder zu<br />
Tausenden beobachten, in Zukunft sollen sich Przewalski-Pferde<br />
und auch Kulane – wilde Esel – dazugesellen.<br />
Die <strong>Zoologische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>Frankfurt</strong> unterstützt die<br />
Verwirklichung dieser Vision finanziell und hilft dabei,<br />
zusätzliche Finanzmittel zu gewinnen. Aber auch fachlich<br />
berät die ZGF die ADCI, etwa mit ihren Erfahrungen<br />
aus der tansanischen Serengeti und ihren Kontakten in<br />
Deutschland.<br />
Diese Unterstützung ist wichtig. Die gestiegene Anzahl an<br />
Saigas hat auch Wilderer angelockt, die wieder verstärkt<br />
aktiv sind und viele Saigaböcke schießen, um an deren<br />
Horn zu gelangen. Gleichzeitig werden die Saigas seit einigen<br />
Jahren von mysteriösen Massensterben heimgesucht.<br />
In den letzten beiden Jahren traten derartige Fälle<br />
in Westkasachstan auf, in diesem Jahr in der Betpak-Dala.<br />
Wenn wir die generell positive Entwicklung der Saigas<br />
nicht zu sehr gefährden wollen, ist es wichtig, dass wir<br />
uns hier weiter engagieren. Die Wilderei muss effektiv<br />
bekämpft werden und die Gründe für die Massensterben<br />
müssen so bald wie möglich aufgeklärt werden.<br />
Durch die Partnerschaft innerhalb der ADCI besteht die<br />
Chance, die letzten wirklich wilden Grasländer Eurasiens<br />
zu bewahren bzw. sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand<br />
zu versetzen – und letztlich die Serengeti des Nordens<br />
wieder aufleben zu lassen.<br />
-------------<br />
Steffen Zuther ist Project Advisor, Experte für GIS und Forschung<br />
der Altyn Dala Conservation Initiative, Association<br />
for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan<br />
(ACBK). Diese Position wird vom Centrum für internationale<br />
Migration (CIM) mitgetragen.<br />
ZGF GORILLA | AUSGABE 3/2012<br />
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