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Grundzüge der Genetik bei der Risikoprüfung in der ... - Scor

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Focus<br />

November 2013<br />

<strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lebensversicherung


Alle Rechte vorbehalten. Weitergabe und Vervielfältigung dieser Publikation o<strong>der</strong> von Teilen daraus s<strong>in</strong>d ohne die ausdrückliche Genehmigung<br />

des Herausgebers nicht gestattet. SCOR ist nach Kräften bemüht, für die Richtigkeit <strong>der</strong> zur Verfügung gestellten Informationen zu sorgen.<br />

E<strong>in</strong>e Haftung im Fall von ungenauen, unrichtigen o<strong>der</strong> unvollständigen Informationen ist jedoch ausgeschlossen.<br />

Bildnachweis © Th<strong>in</strong>kstock.


Inhalt<br />

Vorstellung 4<br />

E<strong>in</strong>führung 7<br />

• Kapitel 1 8<br />

Grundlegende Konzepte 8<br />

• Kapitel 2 14<br />

<strong>Genetik</strong> und ihre Bedeutung für Gesundheit und Krankheit 14<br />

• Kapitel 3 17<br />

Gentest 17<br />

• Kapitel 4 19<br />

Gentherapie 19<br />

• Kapitel 5 20<br />

Auswirkungen auf die Versicherungsmediz<strong>in</strong> 20<br />

Schlussfolgerung 23<br />

Glossar genetischer fachterm<strong>in</strong>i 24


Vorstellung<br />

F&E Zentrum für Mediz<strong>in</strong>ische Risiko- und Leistungsprüfung<br />

E<strong>in</strong>e Möglichkeit für Versicherer Risiken entscheidend zu kontrollieren, ist die<br />

Auswahl <strong>der</strong> Antragssteller. Unser F&E Zentrum für mediz<strong>in</strong>ische Risiko- und<br />

Leistungsprüfung leitet unsere Risikoselektion und Akzeptpolitik und stellt ihre<br />

Umsetzung <strong>in</strong> allen Geschäftsbereichen <strong>der</strong> SCOR Global Life sicher. Des Weiteren<br />

verfolgt das F&E Zentrum mediz<strong>in</strong>ische Entdeckungen und Fortschritte sehr<br />

aufmerksam und schätzt <strong>der</strong>en Auswirkungen auf die Versicherungsbranche<br />

e<strong>in</strong>. Es führt Analysen zu Schadenursachen und -umständen durch und überprüft<br />

die E<strong>in</strong>haltung von E<strong>in</strong>schätzungsrichtl<strong>in</strong>ien.<br />

Doktor John Ifor Evans<br />

Doktor John Ifor Evans ist Kardiologe und ehemaliger Attaché Consultant (Belegsarzt mit öffentlichen Sprechstunden)<br />

<strong>der</strong> Pariser Krankenhäuser (Hôpitaux de Paris) und Partner <strong>der</strong> Ärztegeme<strong>in</strong>schaft Groupe Médical Masséna<br />

<strong>in</strong> Paris. Er absoliverte se<strong>in</strong> M.B. B.Ch. an <strong>der</strong> Welsh National School of Medic<strong>in</strong>e (Cardiff, UK). Er ist assoziiertes<br />

Mitglied <strong>der</strong> Europäischen Gesellschaft für Kardiologie und Vollmitglied <strong>der</strong> Französischen Gesellschaft für Kardiologie.<br />

Er stieß im Jahre 1993 zu SCOR Global Life als Mediz<strong>in</strong>ischer Leiter <strong>der</strong> Gesellschaft (Associate Medical<br />

Director) und ist assoziiertes Mitglied sowohl <strong>der</strong> American Academy of Insurance Medic<strong>in</strong>e (Amerikanischen Akademie<br />

für Versicherungsmediz<strong>in</strong>) als auch <strong>der</strong> <strong>der</strong> Association des Médec<strong>in</strong>s Conseils en Assurance des Personnes<br />

(Vere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> französischen Vertrauensärzte für die Personenversicherung) seit 1997.<br />

SCOR Global Life und die Assmann-Stiftung für Prävention <strong>in</strong>itiierten im Jahre<br />

2006 e<strong>in</strong>e langjährige Kooperation im Bereich <strong>der</strong> Herz- und Gefäßkrankheiten.<br />

Diese Zusammenar<strong>bei</strong>t sollte die beson<strong>der</strong>e Risikoselektions-Expertise<br />

von SCOR im Bereich <strong>der</strong> kardiovaskulären Erkrankungen stärken, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

durch e<strong>in</strong>en evidenzbasierten Rechner für kardiovaskuläre Risikofaktoren<br />

anhand e<strong>in</strong>er Analyse <strong>der</strong> PROCAM-Studie; das geistige Eigentum <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Daten, die <strong>in</strong> diesen Rechner e<strong>in</strong>geflossen s<strong>in</strong>d, steht Herrn Professor<br />

Assmann als Studienleiter von PROCAM zu. Diese Partnerschaft dient ebenfalls<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung weiterer wissenschaftlicher Projekte, wie <strong>bei</strong>spielsweise <strong>der</strong><br />

Redaktion dieser Broschüre über die Grundlagen <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> für Lebensversicherungs-Un<strong>der</strong>writer.<br />

4 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


„Vorbeugen ist besser als heilen“. Der För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Forschung und <strong>der</strong> Aufklärung<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeit im Bereich <strong>der</strong> Prävention hat sich die Assmann-Stiftung<br />

für Prävention zum Ziel gesetzt. Prävention und Gesundheitsför<strong>der</strong>ung verbessern<br />

Gesundheit, Lebensqualität, Mobilität und Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Menschen.<br />

Durch die Entdeckung von Frühstadien e<strong>in</strong>er Erkrankung, z. B. durch<br />

Gesundheits-Check-ups, Herz<strong>in</strong>farkt-Tests o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Vorsorgeuntersuchungen<br />

sowie durch Frühtherapie kann die Lebenserwartung <strong>bei</strong> vielen Menschen<br />

erheblich verlängert werden.<br />

Professor Assmann<br />

Professor Assmann ist <strong>der</strong> Vorstandsvorsitzende <strong>der</strong> Assmann-Stiftung für Prävention. Er ist Absolvent des Royal<br />

College of Physicians, Mitglied <strong>der</strong> Leopold<strong>in</strong>a, Exekutivdirektor <strong>der</strong> International Task Force for Prevention of<br />

Coronary Heart Disease (Internationalen Ar<strong>bei</strong>tsgruppe für die Verhütung <strong>der</strong> koronaren Herzerkrankung) und<br />

Ehrenmitglied <strong>der</strong> Amerikanischen Ärztevere<strong>in</strong>igung (American Association of Physicians). Professor Assmann ist<br />

zudem Ehrenmitglied <strong>der</strong> Atherosclerosis Society (Atherosklerose-Gesellschaft) <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Türkei und Polen und<br />

Vizevorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> European Society of Cardiovascular Prevention (Europäischen Gesellschaft für kardiovaskuläre<br />

Prävention ). Weitere bedeutende ärztliche und wissenschaftliche Mandate, die ihm übertragen wurden, lauten<br />

Vorsitz <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Arterioskleroseforschung, Vorsitz <strong>der</strong> International Task Force for Prevention<br />

of Coronary Heart Disease (Internationalen Ar<strong>bei</strong>tsgruppe für die Verhütung <strong>der</strong> koronaren Herzerkrankung) und<br />

Vorsitz <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Laboratoriumsmediz<strong>in</strong>. Professor Assmann promovierte <strong>in</strong> Mediz<strong>in</strong> an <strong>der</strong><br />

Universität Düsseldorf. Se<strong>in</strong>e postdoktorale Ausbildung <strong>bei</strong>nhaltete drei Jahre Ar<strong>bei</strong>t mit Donald Fredrickson am<br />

Amerikanischen Herz- und Lungen-Institut (National Heart and Lung Institute), Bethesda. 1977 wurde Professor<br />

Assmann zum Leiter des Zentrallabors <strong>der</strong> Universität Münster <strong>in</strong> Deutschland und später zum Leiter des Instituts<br />

für Kl<strong>in</strong>ische Chemie und Laboratoriumsmediz<strong>in</strong> sowie des Instituts für Arterioskleroseforschung <strong>der</strong> Universität<br />

Münster ernannt. Professor Assmann ist zudem Studienleiter <strong>der</strong> im Jahre 1979 <strong>in</strong>itiierten Prospective Cardiovascular<br />

Münster Study (PROCAM). Die PROCAM-Studie ist die europaweit größte prospektive Studie zur Beurteilung<br />

kardiovaskulärer Risikofaktoren mit bislang über 50.000 Studienteilnehmern. Professor Assmanns maßgebende<br />

Forschungsschwerpunkte s<strong>in</strong>d Lipoprote<strong>in</strong>e, Fett-Transport und -Stoffwechsel, mediz<strong>in</strong>ische <strong>Genetik</strong>, Biotechnologien,<br />

akademische, <strong>in</strong>dustrielle und epidemiologische Aspekte <strong>der</strong> Atherosklerose.Im Zuge se<strong>in</strong>er Karriere erhielt<br />

Professor Gerd Assmann zahlreiche akademische Ehrungen, darunter den He<strong>in</strong>rich-Wieland-Preis, den Morgagni-<br />

Preis und den Preis für herausragende Leistungen für se<strong>in</strong>e Beiträge zur Atheroskleroseforschung im Rahmen des<br />

Internationalen Symposiums <strong>der</strong> International Atherosclerosis Society. Professor Assmann publizierte <strong>in</strong>sgesamt<br />

über 1.000 Forschungsartikel und Berichte <strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Fachzeitschriften.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 5


Vorstellung<br />

Profesor Paul Cullen<br />

Professor Paul Cullen ist Facharzt für Innere Mediz<strong>in</strong> und Kl<strong>in</strong>ische Chemie. Er promovierte <strong>in</strong> Mediz<strong>in</strong> am University<br />

College <strong>in</strong> Dubl<strong>in</strong> im Jahre 1983. Nach kürzeren Aufenthalten an <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>ischen Hochschule <strong>in</strong> Hannover,<br />

Deutschland und am Hammersmith Hospital <strong>in</strong> London stieß er 1992 zum Institut für Arterioskleroseforschung <strong>der</strong><br />

Universität Münster. Seitdem konzentriert sich se<strong>in</strong>e Forschung auf die Entstehung von Makrophagen-Schaumzellen<br />

und die Regulierung <strong>der</strong> Genexpression im Zuge dieses Prozesses. Zuvor hatte Professor Cullen e<strong>in</strong>e Forschungsgruppe<br />

am Institut für Arterioskleroseforschung geleitet. Zudem war er Grün<strong>der</strong> und Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Ogham GmbH, e<strong>in</strong>er auf die Entwicklung von DNA-Arrays für mediz<strong>in</strong>ische Diagnosen spezialisierten Firma.<br />

Derzeit ist Professor Cullen <strong>der</strong> Leiter e<strong>in</strong>es privaten Diagnostiklabors.<br />

Profesor Udo Seedorf<br />

Professor Udo Seedorf ist Kuratoriumsmitglied <strong>der</strong> Assmann-Stiftung für Prävention. Er studierte Biochemie und<br />

promovierte an <strong>der</strong> Universität Konstanz <strong>in</strong> Deutschland. Anschließend diente er als Forschungsbeauftragter an <strong>der</strong><br />

Harvard Medical School <strong>in</strong> Boston, USA, und als Senior-Wissenschaftler am Institut für Arterioskleroseforschung<br />

<strong>der</strong> Universität Münster <strong>in</strong> Deutschland. 2004 wurde er zum Professor für Molekularbiologie und Biochemie an <strong>der</strong><br />

Universitätskl<strong>in</strong>ik von Hamburg-Eppendorf <strong>in</strong> Deutschland ernannt. 2006 wurde er zum Leiter e<strong>in</strong>er Forschungsgruppe<br />

am Leibniz-Institut für Arterioskleroseforschung <strong>der</strong> Universität Münster ernannt. Im Laufe se<strong>in</strong>er Karriere<br />

hat sich Professor Seedorf mit dem Studium mendelscher und komplexer genetischer Erkrankungen des Feststoffwechsels<br />

und <strong>der</strong> Risikofaktoren von Herzerkrankungen befasst. Professor Seedorf wirkte mit an genomweiten<br />

Assoziationsstudien und genomweiten sogenannten Quantitative Trait Locus (QTL) -Analysen von koronaren Herzkrankheiten<br />

und Myokard<strong>in</strong>farkt, Schlaganfall, Diabetes, Hypertonie, Body mass <strong>in</strong>dex (BMI), Blutfett-, Lipoprote<strong>in</strong><br />

(a)- und Biomarker-Spiegeln (z. B. von Homocyste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> e<strong>in</strong> bekannter Risikofaktor für Herz- und Gefäßerkrankungen<br />

ist) mit. Professor Seedorf ist Mitglied des Steuerungsausschusses <strong>der</strong> PROCARDIS-Studie und wirkte an <strong>der</strong><br />

PROCAM-Studie mit.<br />

6 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


E<strong>in</strong>führung<br />

Wenn die erste Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts als „Ära <strong>der</strong> Physik“ gilt, so kann<br />

die zweite Hälfte als die „Ära <strong>der</strong> Biologie“ bezeichnet werden. Alle Lebewesen<br />

setzen sich aus Zellen zusammen und seit den 50er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

wurden Entdeckungen im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Zusammensetzung von<br />

Zellen auf molekularer Ebene gemacht und damit, wie diese Moleküle über e<strong>in</strong><br />

ganzes Leben h<strong>in</strong>weg mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong>teragieren.<br />

Die vielleicht bedeutendste Entdeckung dieser Zeit war die Enträtselung <strong>der</strong><br />

Struktur <strong>der</strong> Desoxyribonukle<strong>in</strong>säure (DNA), auch bekannt als das „Molekül des<br />

Lebens“. Seitdem haben die <strong>Genetik</strong> und verwandte Diszipl<strong>in</strong>en wie zum Beispiel<br />

die „Gentechnik“ und das „Klonen“ E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die Populärkultur gehalten und<br />

solche Begriffe werden oftmals leichtfertig <strong>in</strong> den Medien sowie auch im allgeme<strong>in</strong>en<br />

Sprachgebrauch verwendet, ohne dass man auf wissenschaftliche Genauigkeit<br />

bedacht wäre. Das Ergebnis dieser Tatsache ist, dass die Öffentlichkeit oft<br />

nur über e<strong>in</strong> sehr beschränktes Wissen im Bereich <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> verfügt und eher<br />

dazu tendiert, <strong>Genetik</strong> mit etwas Mysteriösem, Schicksalhaftem zu assoziieren.<br />

Mit dieser Broschüre wird die Absicht verfolgt, dem Leser e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>in</strong> die Themenbereiche Gene und genetische Prozesse <strong>bei</strong> Menschen an die<br />

Hand zu geben sowie e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick davon zu vermitteln, welche Implikationen<br />

dieses sich rasch weiterentwickelnde Wissenschaftsgebiet für die Versicherungsbranche<br />

haben könnte. Wir hoffen, dass es uns gel<strong>in</strong>gen wird, Antworten auf<br />

die folgenden Fragen zu geben:<br />

• Was bedeutet „Vererbung“ und was s<strong>in</strong>d eigentlich Gene? Wie wirken sich Gene auf<br />

uns aus? Legen me<strong>in</strong>e Gene me<strong>in</strong> Schicksal fest? Was bedeutet es, wenn man sagt, dass<br />

jemand, <strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er bestimmten Krankheit leidet „e<strong>in</strong> bestimmtes Gen trägt“? Wenn<br />

ich das für e<strong>in</strong>e bestimmte Krankheit typische „Gen trage“, bedeutet das, dass ich mit<br />

Sicherheit an dieser Krankheit erkranken werde? Wie werden Gentests verwendet und<br />

s<strong>in</strong>d sie dafür geeignet, häufig auftretende Erkrankungen wie Herz<strong>in</strong>farkt und Schlaganfall<br />

zu prognostizieren? Wenn me<strong>in</strong> genetisch bed<strong>in</strong>gtes Risiko, an e<strong>in</strong>er bestimmten<br />

Krankheit zu erkranken groß ist, gibt es dann irgendetwas, das ich unternehmen<br />

könnte, um dieses Risiko zu verr<strong>in</strong>gern?<br />

• Und <strong>in</strong> Bezug auf die Versicherungsbranche: Wären Gentests nützlich für das Abschließen<br />

von Versicherungen? Und, falls ja, sollte dies erlaubt se<strong>in</strong>? Sollten Menschen,<br />

die wissen, dass sie e<strong>in</strong> genetisches Risiko tragen, an e<strong>in</strong>er bestimmten Krankheit zu<br />

erkranken, verpflichtet se<strong>in</strong>, dieses Risiko offen zu legen, bevor sie e<strong>in</strong>e Versicherungspolice<br />

abschließen? Wie sehen die aktuell gültigen Regelungen zu Gentests <strong>in</strong> <strong>der</strong> Versicherungsmediz<strong>in</strong><br />

aus?<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Aspekt auf diesem Gebiet ist die „genetische Son<strong>der</strong>stellung“,<br />

e<strong>in</strong> Konzept, nach dem genetische Informationen ihrer Natur nach e<strong>in</strong>zigartig<br />

s<strong>in</strong>d, mit denen man auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Art und Weise umgehen muss als mit<br />

an<strong>der</strong>en Formen personenbezogener o<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischer Daten. Die Genomik<br />

wendet <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Risikoprognose e<strong>in</strong>e neue Technologie an, erbr<strong>in</strong>gt jedoch nicht<br />

notwendigerweise Informationen, die sich grundlegend von an<strong>der</strong>en Prädiktoren<br />

unterscheiden, wie sie gewöhnlich im Bereich des Gesundheitswesens verwendet<br />

werden. Mit dieser Broschüre möchten wir e<strong>in</strong>en Großteil des Rätsels<br />

auflösen, welches das Gebiet <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> gegenwärtig umgibt und den Lesern<br />

deutlich machen, dass sich Gentests gar nicht so sehr von biochemischen Tests,<br />

Röntgenuntersuchungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Diagnose,<br />

die es schon seit langer Zeit gibt, unterscheiden.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 7


1<br />

Grundlegende Konzepte<br />

Varianten <strong>der</strong> gewöhnlichen Gartenerbse vor, sammelte<br />

und kultivierte dann diese hybriden Samen und die <strong>der</strong><br />

folgenden Generation.<br />

A<br />

Vererbung<br />

Lassen Sie uns mit dem ganz Offensichtlichen beg<strong>in</strong>nen:<br />

In <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Lebewesen ähneln Nachkommen ihren<br />

Eltern. Dies beruht auf zweierlei Tatsachen. Zum e<strong>in</strong>en<br />

gehören die Nachkommen sowohl zur gleichen Spezies<br />

als auch zur gleichen Rasse wie ihre Eltern: Wenn sich e<strong>in</strong><br />

männlicher und e<strong>in</strong> weiblicher Cocker-Spaniel paaren,<br />

werden die Welpen immer Cocker-Spaniel-Welpen se<strong>in</strong>.<br />

Zum zweiten tendieren Nachkommen <strong>in</strong>nerhalb dieser<br />

Spezies und Rasse dazu, zahlreiche Merkmale ihrer Eltern<br />

aufzuweisen: Wenn Ihre Mutter und Ihr Vater überdurchschnittlich<br />

groß s<strong>in</strong>d, ist es wahrsche<strong>in</strong>lich, dass auch Sie<br />

überdurchschnittlich groß s<strong>in</strong>d. Diesen Prozess <strong>der</strong> Übertragung<br />

spezifischer Merkmale von Eltern auf ihre Nachkommen<br />

bezeichnet man als Vererbung.<br />

Seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Zivilisation wurden Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Vererbungslehre gemacht, die die Grundlage <strong>der</strong> selektiven<br />

Zucht bildete, die zur Entwicklung von Nutzpflanzen<br />

und domestizierten Tieren führte. Es dauerte jedoch<br />

noch bis <strong>in</strong> die Mitte des neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts bis<br />

Charles Darw<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Werk „Über die Entstehung <strong>der</strong><br />

Arten“ veröffentlichte, <strong>in</strong> dem die Übertragung variabler<br />

Faktoren von e<strong>in</strong>er Generation auf die nächste<br />

detailliert beschrieben wurde. Darw<strong>in</strong> war <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass sich alle Spezies aus e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Vorfahren<br />

durch natürliche Selektion <strong>der</strong> bestangepassten Individuen<br />

entwickeln.<br />

Von Darw<strong>in</strong>s Schriften <strong>in</strong>spiriert, formulierte e<strong>in</strong> August<strong>in</strong>ermönch<br />

namens Gregor Mendel mehrere grundlegende<br />

Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> Vererbung auf <strong>der</strong> Basis e<strong>in</strong>er Reihe<br />

von Pflanzenzuchtexperimenten, die er im Garten se<strong>in</strong>es<br />

Klosters <strong>in</strong> Brno (Tschechien) durchführte. Mit <strong>der</strong> Geduld,<br />

die wohl nur e<strong>in</strong> Mönch aufbr<strong>in</strong>gen kann, nahm Mendel<br />

die akribische, manuelle Kreuzbestäubung mehrerer<br />

Da<strong>bei</strong> machte Mendel zahlreiche fundamentale Beobachtungen<br />

<strong>in</strong> Bezug auf die Vererbung. Er stellte fest,<br />

dass jedes Individuum zwei Faktoren für jede beobachtete<br />

physische Eigenschaft <strong>in</strong> sich trägt und dass die<br />

„mütterliche“ und die „väterliche“ Pflanze jeweils e<strong>in</strong>en<br />

dieser <strong>bei</strong>den Faktoren auf das „K<strong>in</strong>d“ überträgt. O<strong>der</strong>,<br />

um es an<strong>der</strong>s auszudrücken: Die Merkmale trennen sich,<br />

um die Keimzellen zu bilden. Bei <strong>der</strong> Befruchtung wird<br />

von <strong>bei</strong>den Eltern je 1 Merkmal vererbt. Daher tragen<br />

die Nachkommen zwei Merkmale für jede Eigenschaft.<br />

Als Mendel zum Beispiel re<strong>in</strong>rassige, große Erbsenpflanzen<br />

mit re<strong>in</strong>rassigen, kle<strong>in</strong>en Erbsenpflanzen kreuzte,<br />

beobachtete er, dass alle „Nachkommen“ dieser Pflanzen<br />

große Pflanzen waren. Er zog daraus die Schlussfolgerung,<br />

dass es für die Eigenschaft GRÖßE e<strong>in</strong> Merkmal<br />

gibt, das e<strong>in</strong>en Code für hochgewachsene Pflanzen<br />

darstellt und e<strong>in</strong>en Code für kle<strong>in</strong>e Pflanzen und dass<br />

die Nachkommen e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>en Faktor von <strong>bei</strong>den<br />

Elternpflanzen geerbt hatten. Er beobachtete des Weiteren,<br />

dass <strong>bei</strong> Mischung mehrerer Merkmale <strong>der</strong> Faktor<br />

für große Pflanzen gegenüber dem für kle<strong>in</strong>e Pflanzen<br />

dom<strong>in</strong>ant war, so dass alle Nachwuchspflanzen <strong>der</strong> ersten<br />

Generation HOCH gewachsen waren.<br />

Um diese Beobachtungen zu vere<strong>in</strong>fachen, verwenden<br />

<strong>Genetik</strong>er heute den ersten Buchstaben des dom<strong>in</strong>anten<br />

Merkmals. So ist zum Beispiel, wenn die Größe das<br />

dom<strong>in</strong>ante Merkmal für hochgewachsene Pflanzen ist,<br />

<strong>der</strong> Großbuchstabe „T“ („T“ für englisch tall) die für<br />

dieses Merkmal verwendete Abkürzung, während <strong>der</strong><br />

Kle<strong>in</strong>buchstabe „t“ (rezessiv) für das Merkmal für niedrig<br />

gewachsene Pflanzen steht. Auf diese Weise können<br />

wir die drei grundlegenden Mendelschen Vererbungsgesetze<br />

mit e<strong>in</strong>er gewissen E<strong>in</strong>fachheit beschreiben.<br />

Das erste Mendelsche Gesetz besagt, dass die Kreuzung<br />

re<strong>in</strong>rassiger großer Erbsenpflanzen (T-T) und re<strong>in</strong>rassiger<br />

kle<strong>in</strong>er Erbsenpflanzen (t-t) dazu führt, dass alle Nachfolgepflanzen,<br />

den Faktor T von dem e<strong>in</strong>en und den Faktor<br />

t von dem an<strong>der</strong>en Elternteil erben, so dass sie alle e<strong>in</strong>en<br />

Größencode T-t aufweisen und somit alle großgewachsen<br />

s<strong>in</strong>d (Phänotyp), da T <strong>der</strong> dom<strong>in</strong>ante Faktor ist.<br />

Hoch gewachsener Elternteil „T-T“: Separierung <strong>der</strong> Faktoren<br />

T<br />

T<br />

Hoch<br />

(TT)<br />

x<br />

Niedrig<br />

(tt)<br />

Alle Nachkommen s<strong>in</strong>d groß<br />

(Tt)<br />

Niedrig gewachsener<br />

Elternteil „t-t“<br />

t<br />

t<br />

T-t<br />

T-t<br />

T-t<br />

T-t<br />

Alle<br />

Nachkommen T-t<br />

8 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


Das zweite Mendelsche Gesetz beruht auf <strong>der</strong> Beobachtung,<br />

dass wenn zwei Hybride <strong>der</strong> ersten Generation<br />

gekreuzt werden (zwei Pflanzen mit dem Phänotyp<br />

„hochgewachsen“ und dem Genotyp „T-t“) die<br />

Nachkommen sowohl groß als auch kle<strong>in</strong> se<strong>in</strong> können,<br />

wodurch nachgewiesen ist, dass <strong>der</strong> Faktor für die<br />

Eigenschaft „kle<strong>in</strong>“ <strong>bei</strong> diesen Pflanzen <strong>der</strong> zweiten<br />

Generation – wenn auch nur verdeckt – <strong>in</strong> <strong>der</strong> Elternpflanze<br />

vorhanden gewesen se<strong>in</strong> muss.<br />

Hochgewachsene Hybridelternpflanze „T-t“<br />

T<br />

t<br />

Hochgewachsene<br />

Hybridelternpflanze „T-t“<br />

T<br />

T-T<br />

T-t<br />

Hoch<br />

(TT)<br />

x<br />

Hoch<br />

(Tt)<br />

Hoch<br />

(TT)<br />

Hoch<br />

(Tt)<br />

Hoch<br />

(Tt)<br />

Niedrig<br />

(tt)<br />

t<br />

T-t<br />

t-t<br />

In dieser Situation s<strong>in</strong>d immer dreiviertel <strong>der</strong> Nachkommen<br />

großgewachsen, da sie den dom<strong>in</strong>anten Faktor<br />

T (Genotyp „T-t“ o<strong>der</strong> „T-T“) <strong>in</strong> sich tragen, während<br />

e<strong>in</strong> Viertel kle<strong>in</strong> ist, da sie nur den rezessiven Faktor t<br />

aufweisen (Genotyp „t-t“). Mendel stellte fest, dass die<br />

Höhe <strong>der</strong> niedrigen Nachkommen <strong>der</strong> <strong>bei</strong>den großen<br />

Hybriden <strong>der</strong> Höhe ihrer niedrigen Elternpflanzen entsprach.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten, die Eigenschaft „niedrig“<br />

hatte sich während des Übertragungsprozesses nicht<br />

geän<strong>der</strong>t. Die <strong>bei</strong>den Faktoren hatten sich während <strong>der</strong><br />

Bildung <strong>der</strong> Gameten unabhängig aufgespalten.<br />

Schließlich beobachtete Mendel, dass codierte Faktoren<br />

für unterschiedliche Merkmale, wie zum Beispiel<br />

Größe und Farbe, ebenfalls unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

vererbt werden und folglich handelt se<strong>in</strong> drittes Gesetz<br />

von <strong>der</strong> Übertragung solcher verschiedenartiger Merkmale.<br />

ist das Cytosol und die Flüssigkeit <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Organellen<br />

und des Kerns.<br />

Vakuole<br />

Zytoplasma<br />

Nukleus<br />

Endoplasmatisches<br />

Retikulum<br />

Mitochondrium<br />

Zellmembran<br />

B<br />

„Chromosomen – unsere Erbträger“<br />

Als Mendels bahnbrechende Ar<strong>bei</strong>t im frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

endlich anerkannt wurde, standen den Wissenschaftlern<br />

leistungsstärkere Mikroskope zur Verfügung,<br />

die es ihnen ermöglichten, die Zellstruktur und<br />

-teilung <strong>bei</strong> Pflanzen und Tieren detaillierter zu untersuchen.<br />

Man erkannte, dass das Innere <strong>der</strong> Zellen aus<br />

e<strong>in</strong>em Zellkern und Cytoplasma besteht. Der Zellkern<br />

ist die kugelförmige o<strong>der</strong> ovale Struktur im Zentrum<br />

<strong>der</strong> Zelle. Das Cytoplasma ist <strong>der</strong> Bereich außerhalb des<br />

Kerns, <strong>der</strong> Zellorganellen und Cytosol o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e cytoplasmatische<br />

Lösung enthält. Intrazelluläre Flüssigkeit<br />

Da das Kernmaterial ruhen<strong>der</strong> Zellen den verwendeten<br />

Farbstoff absorbierte, entschieden die Wissenschaftler,<br />

dieses Material Chromat<strong>in</strong> zu nennen (aus dem<br />

griechischen Wort für Farbe „chroma“). Als sich die<br />

Zellen zu teilen begannen – e<strong>in</strong> Prozess, <strong>der</strong> „Mitose“<br />

genannt wird – kondensierte das Chromat<strong>in</strong> <strong>in</strong> dicke,<br />

stäbchenförmige Gebilde, die wir heute als Chromosomen<br />

kennen. Man fand heraus, dass es sich <strong>bei</strong> diesen<br />

Strukturen um die Träger <strong>der</strong> „Erbfaktoren“ aus<br />

Mendels Ar<strong>bei</strong>ten handelte. Beim Menschen hat e<strong>in</strong>e<br />

Zelle normalerweise 23 Chromosomenpaare, also <strong>in</strong>sgesamt<br />

46 Chromosomen. Zweiundzwanzig dieser<br />

Paare, die Autosomen, sehen <strong>bei</strong> Männern und Frauen<br />

gleich aus. Das 23. Paar, die geschlechtsbestimmenden<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 9


Kapitel 1 Grundlegende Konzepte<br />

Chromosomen, s<strong>in</strong>d jedoch <strong>bei</strong> Männern und Frauen<br />

unterschiedlich. Bei Frauen f<strong>in</strong>den sich zwei Kopien des<br />

X-Chromosoms, während <strong>bei</strong> Männern e<strong>in</strong> X- und e<strong>in</strong><br />

Y-Chromosom vorhanden s<strong>in</strong>d, über die das Geschlecht<br />

def<strong>in</strong>iert wird.<br />

Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist die primäre<br />

Reproduktionsform für e<strong>in</strong>zellige Organismen wie Bakterien<br />

und kann kurzfristige Vorteile haben, wenn e<strong>in</strong><br />

rasches Wachstum <strong>der</strong> Population <strong>in</strong> stabilen Umgebungen<br />

wichtig ist.<br />

6<br />

1<br />

7<br />

2<br />

3<br />

8<br />

9<br />

10<br />

4<br />

11<br />

5<br />

12<br />

Höhere Lebewesen wie etwa Tiere benötigen Artenvielfalt,<br />

um <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage zu se<strong>in</strong>, sich an die Umweltverän<strong>der</strong>ungen<br />

anzupassen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie leben. Daher pflanzen<br />

sie sich auf geschlechtlichem Wege fort, <strong>in</strong>dem sie die<br />

vielfältigen Erbmerkmale zweier verschiedener Individuen<br />

komb<strong>in</strong>ieren. Spezialisierte Zellen <strong>in</strong> dieser beson<strong>der</strong>en<br />

Form <strong>der</strong> geschlechtlichen Fortpflanzung – die<br />

so genannten Gameten (männliche Samenzellen und<br />

weibliche Eizellen) werden im Wege e<strong>in</strong>es separaten<br />

Prozesses <strong>der</strong> Zellteilung, die als Meiose bezeichnet<br />

wird, gebildet.<br />

13<br />

19<br />

Autosome<br />

14<br />

20<br />

15<br />

Geschlechtschromosomen<br />

Die Wissenschaftler beobachteten, wie sich diese Zellen<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Teilung längs <strong>in</strong> zwei Hälften aufspalteten und<br />

dass jede Hälfte (o<strong>der</strong> Chromatid) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> <strong>bei</strong>den<br />

neu gebildeten Zellen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gezogen wurde, wonach<br />

sie sich wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Chromat<strong>in</strong> auflösten.<br />

Das Ergebnis sah so aus, dass jede neue Zelle die gleiche<br />

Anzahl an Chromosomen wie die Elternzelle sowie das<br />

gleiche Kernmaterial aufwies. Diese Art <strong>der</strong> Reproduktion<br />

wird als ungeschlechtlich bezeichnet und führt zum<br />

Klonen <strong>der</strong> ursprünglichen Zelle.<br />

16<br />

21 22<br />

17<br />

X<br />

18<br />

Y<br />

Die Meiose ist e<strong>in</strong> zweistufiger Prozess <strong>der</strong> Zellteilung.<br />

Zunächst richten sich ähnlich wie <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Mitose Chromatidpaare<br />

aus; es können jedoch <strong>in</strong> diesem Stadium<br />

Teile des Chromosoms ausgetauscht werden, e<strong>in</strong> Prozess<br />

<strong>der</strong> als „Cross<strong>in</strong>g-over“ bezeichnet wird, so dass die daraus<br />

resultierenden Gene bereits e<strong>in</strong>e gewisse genetische<br />

Verschiedenartigkeit aufweisen.<br />

Anstatt sich zu duplizieren, teilen sich die Chromosome<br />

im zweiten Stadium <strong>der</strong> Meiose und migrieren <strong>in</strong>dividuell<br />

<strong>in</strong> die Zellen, die später zu Gameten werden. Aus diesem<br />

Grunde werden Gameten auch als haploide Zellen<br />

bezeichnet, und wenn männliche und weibliche Gameten<br />

zusammenkommen, um e<strong>in</strong>en neuen Organismus zu<br />

reproduzieren, entsteht e<strong>in</strong>e neue Zelle mit diploidem<br />

Chromosomensatz.<br />

Auf diese Weise ermöglicht es die geschlechtliche Fortpflanzung,<br />

genetische Merkmale des weiblichen und<br />

des männlichen Elternteils zu mischen und e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige<br />

Vielfalt von Chromosomenmaterial <strong>bei</strong> <strong>der</strong> nachfolgenden<br />

Generation zu erzeugen.<br />

Mitose<br />

Elternzelle<br />

Meiose<br />

Elternzelle<br />

DNA-Replikation<br />

DNA-Replikation<br />

2 Tochterzellen<br />

2 Tochterzellen<br />

4 Tochterzellen<br />

10 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


C<br />

Die Entdeckung von DNA und Genen<br />

Wie kamen wir von den Chromosomen, den Trägern von<br />

Erbmerkmalen, zur DNA o<strong>der</strong>, um den vollen Namen zu<br />

nennen, zur Desoxyribonukle<strong>in</strong>säure? Wissenschaftler<br />

haben <strong>in</strong>zwischen festgestellt, dass Chromat<strong>in</strong> tatsächlich<br />

DNA ist und Chromosome ihre verdichtete Form<br />

darstellen. Diese Er<strong>bei</strong>nheiten <strong>in</strong> lebenden Organismen<br />

werden als Gene bezeichnet.<br />

Chromosomen<br />

Nukleus<br />

Zelle<br />

DNA<br />

Gene<br />

Im Jahre 1953 vollendeten Watson und Crick die Forschungen<br />

vieler an<strong>der</strong>er Wissenschaftler <strong>in</strong>dem sie die<br />

Struktur <strong>der</strong> DNA als „Erbmolekül“ enträtselten und<br />

herausfanden, dass Gene typischerweise von zusammenhängenden<br />

DNA-Sequenzen dargestellt werden,<br />

die als komplette E<strong>in</strong>heiten von e<strong>in</strong>er Generation auf<br />

die nächste übertragen werden.<br />

Die vielleicht e<strong>in</strong>fachste Art, sich e<strong>in</strong> Bild von <strong>der</strong> Struktur<br />

<strong>der</strong> DNA zu machen, ist die Vorstellung e<strong>in</strong>er Art spiralförmigen<br />

Treppe o<strong>der</strong> Leiter. Das strukturelle Rückgrat<br />

<strong>der</strong> Leiter besteht aus e<strong>in</strong>em Zuckerpolymer und Phosphatgruppen<br />

und ihre Sprossen o<strong>der</strong> Treppen bestehen<br />

aus vier Molekülen, den so genannten Nukle<strong>in</strong>basen.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 11


Kapitel 1 Grundlegende Konzepte<br />

Die Symmetrie <strong>der</strong> DNA lässt sich mit Hilfe <strong>der</strong> Tatsache<br />

erklären, dass jedes Molekül, beziehungsweise jede<br />

Base sich immer auf dieselbe Art und Weise komb<strong>in</strong>ieren:<br />

Aden<strong>in</strong> b<strong>in</strong>det an Thym<strong>in</strong> und Cytos<strong>in</strong> b<strong>in</strong>det an<br />

Guan<strong>in</strong>.<br />

Die Abfolge dieser vier Buchstaben (A, C, T und G) ist<br />

die Blaupause je<strong>der</strong> <strong>der</strong> unzähligen Lebensformen auf<br />

unserem Planeten, von e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen Bakterium bis<br />

h<strong>in</strong> zum mächtigen Wal. Im Jahre 1998 wurde im Rahmen<br />

des so genannten Humangenomprojektes erstmals<br />

die komplette DNA-Sequenz e<strong>in</strong>es Menschen entschlüsselt.<br />

Um sich e<strong>in</strong> Bild <strong>der</strong> menschlichen DNA zu machen, stelle<br />

man sich 3 Milliarden Buchstaben vor (das menschliche<br />

Genom), die zu 23.000 Büchern (die Gene) gehören, die<br />

auf 23 Regale (die Chromosomen) aufgeteilt s<strong>in</strong>d.<br />

D<br />

Genetische Variabilität<br />

Vererbung ist für das Vorhandense<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer<br />

Merkmale von Eltern und K<strong>in</strong>d verantwortlich. Dennoch<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Spezies ke<strong>in</strong>e zwei Individuen<br />

identisch. Diese Vielfalt ist sowohl auf genetische Unterschiede<br />

zwischen den Individuen als auch auf unterschiedliche<br />

exogene E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong> ihrem Umfeld, <strong>in</strong> dem<br />

sie sich entwickelt haben, zurückzuführen. Im Moment<br />

konzentrieren wir uns auf die genetische Vielfalt, von<br />

<strong>der</strong> es heißt, dass sie <strong>der</strong> Vererbung geschuldet ist. Wie<br />

wir eben erwähnt haben, enthält <strong>der</strong> menschliche genetische<br />

Code (Genom) etwa 3 Milliarden „Buchstaben“,<br />

die aus den Nukle<strong>in</strong>basenpaaren bestehen. E<strong>in</strong>ige dieser<br />

Buchstabensequenzen s<strong>in</strong>d unverän<strong>der</strong>lich, wie zum<br />

Beispiel diejenigen, die die Enzyme kodieren, die für<br />

das Überleben e<strong>in</strong>es Organismus von entscheiden<strong>der</strong><br />

Bedeutung s<strong>in</strong>d. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

legen nahe, dass sich von den 3 Milliarden Buchstaben<br />

des Genoms etwa 3 Millionen (0,1%) zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Individuen unterscheiden, von denen wie<strong>der</strong>um<br />

etwa zehntausend <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Regionen des Genoms<br />

liegen, die die Gene enthalten.<br />

Diese Unterschiede bilden neben e<strong>in</strong>er Anzahl ger<strong>in</strong>gerer<br />

Variationen, wie zum Beispiel Wie<strong>der</strong>holungen<br />

o<strong>der</strong> Deletion von Genarealen, die Grundlage <strong>der</strong> Verschiedenheit<br />

aller Menschen. Es mag erstaunen, dass<br />

diese ger<strong>in</strong>ge genetische Variabilität auf molekularer<br />

Ebene ausreichend ersche<strong>in</strong>t, um für die <strong>bei</strong> Menschen<br />

zu beobachtende Vielfalt verantwortlich zu se<strong>in</strong>. Aber<br />

diese kle<strong>in</strong>en Unterschiede haben große Auswirkungen.<br />

So ist etwa das menschliche Genom zu circa 99% mit<br />

dem unseres nächsten Verwandten im Tierreich, dem<br />

Schimpansen, identisch.<br />

Wie oben bereits dargestellt, kann man sich Gene, e<strong>in</strong>fach<br />

ausgedrückt, als DNA-Abschnitte auf e<strong>in</strong>em Chromosom<br />

vorstellen. Während <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen die e<strong>in</strong>fache<br />

Beziehung Gen/ Merkmal tatsächlich gegeben<br />

ist, s<strong>in</strong>d die meisten Merkmale komplexer und werden<br />

von multiplen, <strong>in</strong>teragierenden Genen <strong>in</strong>nerhalb von<br />

und zwischen Organismen gesteuert. Interaktionen<br />

zwischen genetischen Netzwerken und die Kommunikation<br />

<strong>der</strong> Zellen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> können ebenso zu<br />

erblichen Variationen führen, die e<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> vielfältigen<br />

Entwicklungsmechanismen zugrunde liegen können.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist die Situation komplexer, da die<br />

meisten Gene nicht von e<strong>in</strong>em durchgängigen DNA-<br />

Abschnitt codiert werden, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> verschiedene Sektionen<br />

aufgebrochen werden. Diese DNA-Sequenzen,<br />

die abgelesen und decodiert werden sollen, werden als<br />

„Exons“ bezeichnet, während man die <strong>in</strong>tervenierenden<br />

Sequenzen „Introns“ nennt. Etwas weniger als e<strong>in</strong><br />

Drittel des menschlichen Genoms wird auf diese Weise<br />

zur Codierung von Genen verwendet. Die Funktion <strong>der</strong><br />

verbleibenden zwei Drittel ist zur Zeit noch nicht vollständig<br />

bekannt und bildet den Fokus <strong>in</strong>tensiven Forschungs<strong>in</strong>teresses.<br />

Gen-Struktur<br />

12 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


E<br />

Moleküle und Prote<strong>in</strong>e<br />

Die <strong>in</strong>nerhalb aller lebenden Zellen bef<strong>in</strong>dlichen molekularen<br />

Strukturen, die nahezu alle chemischen Reaktionen<br />

durchführen, werden als Enzyme bezeichnet<br />

und bestehen ihrerseits hauptsächlich aus Prote<strong>in</strong>en.<br />

Des weiteren bilden Prote<strong>in</strong>e die strukturellen Komponenten<br />

<strong>der</strong> Zelle. An<strong>der</strong>e spielen z. B. e<strong>in</strong>e Rolle <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Signalgebung <strong>bei</strong>m transduktalen Transport sowie <strong>der</strong><br />

Ablesesteuerung von Genen, e<strong>in</strong> Prozess, <strong>der</strong> als Genexpression<br />

bezeichnet wird. Prote<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d daher die wichtigsten<br />

molekularen Komponenten <strong>der</strong> Zelle.<br />

Was genau s<strong>in</strong>d also Prote<strong>in</strong>e? Prote<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d Moleküle,<br />

die aus 22 separaten chemischen Bauste<strong>in</strong>en bestehen,<br />

die man Am<strong>in</strong>osäuren nennt. Diese Bauste<strong>in</strong>e haben<br />

alle unterschiedliche chemische Eigenschaften, so dass<br />

die daraus resultierenden Prote<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e nahezu endlose<br />

Breite an Eigenschaften besitzen. E<strong>in</strong>ige Prote<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d<br />

sehr kräftig, wie zum Beispiel Prote<strong>in</strong>e, die Bestandteil<br />

von Seide und Sp<strong>in</strong>nennetzen s<strong>in</strong>d und im Verhältnis<br />

zum Gewicht vergleichsweise deutlich stärker als Stahl<br />

s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>ige Prote<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d elastisch und wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

können als molekulare Motoren agieren, <strong>in</strong>dem sie<br />

Komponenten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle bewegen o<strong>der</strong> es Muskeln<br />

erlauben, sich zu kontrahieren.<br />

Wie oben bereits erwähnt, katalysiert e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Gruppe von Prote<strong>in</strong>en – die Enzyme – chemische Reaktionen<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er jeden Zelle und steuert somit<br />

<strong>der</strong>en Reaktionen. Nach <strong>der</strong> Entschlüsselung <strong>der</strong> DNA-<br />

Struktur erweiterte e<strong>in</strong>e zusätzliche Erkenntnis unser<br />

Wissen darüber, wie die DNA selbst bestimmte Prote<strong>in</strong>e<br />

kodiert. Es stellte sich heraus, dass DNA-Sequenzen, die<br />

aus drei Buchstaben bestehen – sogenannte „Tripletts“ –<br />

für jede Am<strong>in</strong>osäure kodieren. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es<br />

e<strong>in</strong>ige Am<strong>in</strong>osäuren, die von mehr als e<strong>in</strong>em Triplett<br />

kodiert werden und weiter gibt es Tripletts, die für „hier<br />

Ablesung beg<strong>in</strong>nen“ und „hier Ablesung beenden“ auf<br />

dem DNA-Molekül kodieren.<br />

Konkret heißt dies, dass die <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Zelle vorhandene<br />

DNA im Zellkern dicht verpackt ist. Wenn e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Gen abgelesen werden soll, wird <strong>der</strong> Abschnitt <strong>der</strong><br />

DNA, <strong>der</strong> das Gen enthält, entpackt und von e<strong>in</strong>em speziellen,<br />

RNA-Polymerase genannten Molekül abgelesen.<br />

Die DNA wird nicht direkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Prote<strong>in</strong> transformiert,<br />

son<strong>der</strong>n sie wird zunächst wie e<strong>in</strong>e Art Spiegelbild <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Sekundärmolekül kopiert, das als RNA o<strong>der</strong> Ribonukle<strong>in</strong>säure<br />

bezeichnet wird. RNA ist chemisch gesehen<br />

<strong>der</strong> DNA sehr ähnlich, ist jedoch weitaus „<strong>in</strong>stabiler“.<br />

Da<strong>bei</strong> handelt es sich um e<strong>in</strong>e positive Eigenschaft, denn<br />

das bedeutet, dass e<strong>in</strong>e RNA-„Botschaft“ <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

Zelle sehr schnell abgebaut werden kann, nachdem sie<br />

abgelesen wurde, wodurch verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wird, dass sie <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Zelle verbleibt.<br />

Sobald diese Boten- o<strong>der</strong> „Messenger-RNA-Moleküle“<br />

(mRNAs) sich aus dem Kern <strong>in</strong> den Zellkörper (Cytoplasma)<br />

bewegen, werden sie <strong>in</strong> sogenannten Ribosomen<br />

weiterverar<strong>bei</strong>tet. Während die mRNA sich durch<br />

diese molekularen „Fabriken“ h<strong>in</strong>durchbewegt, legen<br />

kont<strong>in</strong>uierlich kle<strong>in</strong>e „shuttle“ an o<strong>der</strong> ab, von denen<br />

jede die Am<strong>in</strong>osäure transportiert, die dem jeweiligen<br />

RNA-Triplett entspricht.<br />

Diese Transportvehikel bestehen ebenfalls aus RNA, <strong>in</strong><br />

diesem Fall jedoch werden sie als Transfer-RNA bezeichnet.<br />

In dem als „Translation“ bezeichneten Prozess werden<br />

Prote<strong>in</strong>e so Bauste<strong>in</strong> für Bauste<strong>in</strong> <strong>in</strong> den Ribosomen<br />

gebildet.<br />

Zusammenfassend halten wir fest, dass das menschliche<br />

Genom etwa 23.000 verschiedene Gene enthält. Früher<br />

wurde angenommen, dass jedes Gen für e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes<br />

Prote<strong>in</strong> kodiert. Experimentelle und computergestützte<br />

Erkenntnisse belegen, dass viele Gene durchschnittlich<br />

drei verschiedene Prote<strong>in</strong>e und sogar zehn Prote<strong>in</strong>produkte<br />

produzieren.<br />

DNA<br />

Prote<strong>in</strong><br />

Am<strong>in</strong>osäurekette<br />

mRNA<br />

Zellkern<br />

Zytoplasma<br />

Ribosom<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 13


2<br />

<strong>Genetik</strong> und ihre Bedeutung für Gesundheit<br />

und Krankheit<br />

B<br />

Genetische Erkrankungen<br />

Gene spielen <strong>in</strong> so gut wie allen Prozessen, die im<br />

menschlichen Organismus stattf<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>e Rolle. Sie<br />

legen nicht nur sichtbare Merkmale, wie zum Beispiel<br />

die Haar- o<strong>der</strong> Augenfarbe fest, son<strong>der</strong>n auch Merkmale<br />

wie die Blutgruppe e<strong>in</strong>es Menschen o<strong>der</strong> se<strong>in</strong> Risiko, an<br />

e<strong>in</strong>er bestimmten Krankheit zu erkranken. Tatsächlich<br />

werden alle Krankheiten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Maße<br />

von Genen und ihren Variationen bee<strong>in</strong>flusst.<br />

1<br />

Genetisch bed<strong>in</strong>gte Erkrankungen<br />

Bei e<strong>in</strong>er genetischen Störung handelt es sich um e<strong>in</strong>e<br />

Erkrankung, die von e<strong>in</strong>er spezifischen Genvariante<br />

e<strong>in</strong>es Individuums verursacht wird. Die DNA-Varianten,<br />

die genetische Krankheiten verursachen, treten <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Formen auf: von e<strong>in</strong>er Punktmutation <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Gen über multiple Varianten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

def<strong>in</strong>ierten Satz mehrerer Gene bis h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Deletion<br />

o<strong>der</strong> Insertion kompletter Chromosomen. Je nach<br />

Art <strong>der</strong> Mutation werden genetische Störungen grob <strong>in</strong><br />

vier verschiedene Gruppen e<strong>in</strong>geteilt: chromosomale,<br />

monogene, mitochondriale und polygene Erkrankungen.<br />

A<br />

Chromosomale Erkrankungen<br />

Chromosomale Erkrankungen treten auf, wenn e<strong>in</strong><br />

komplettes Chromosom o<strong>der</strong> große Segmente e<strong>in</strong>es<br />

Chromosoms fehlen, dupliziert o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig verän<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

Diese chromosomalen Anomalien s<strong>in</strong>d üblicherweise<br />

das Ergebnis e<strong>in</strong>es Zellteilungsfehlers nach <strong>der</strong> Meiose<br />

o<strong>der</strong> Mitose <strong>in</strong> den Keimzellen. Beim Screen<strong>in</strong>g Neugeborener<br />

wird <strong>bei</strong> etwa e<strong>in</strong>em von zweihun<strong>der</strong>t Säugl<strong>in</strong>gen<br />

diese Art <strong>der</strong> chromosomalen Anomalität entdeckt.<br />

E<strong>in</strong>ige dieser Neugeborenen sche<strong>in</strong>en unauffällig, aber<br />

<strong>bei</strong> den meisten f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiges, oft ernsthaftes<br />

Krankheitsbild. E<strong>in</strong> bekanntes Beispiel für e<strong>in</strong>e<br />

chromosomale Erkrankung ist das Down-Syndrom, auch<br />

bekannt unter <strong>der</strong> Bezeichnung Trisomie 21, da <strong>bei</strong><br />

e<strong>in</strong>em Individuum mit dem Down-Syndrom drei statt<br />

zwei Kopien des Chromosoms 21 vorhanden s<strong>in</strong>d.<br />

Genetische Erkrankungen, die das Ergebnis ger<strong>in</strong>gfügiger<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Gen s<strong>in</strong>d, werden<br />

als monogene Erkrankungen bezeichnet. Wenn sich die<br />

Mutation auf den Autosomen (die 22 nicht geschlechtsbestimmenden<br />

Chromosomen) bef<strong>in</strong>det, folgt <strong>der</strong> Erbgang<br />

den zuvor beschriebenen Mendelschen Gesetzen.<br />

Rezessive Gene verursachen Krankheiten nur <strong>bei</strong> homozygoten<br />

Genotypen (d. h. <strong>bei</strong>de Allele s<strong>in</strong>d Träger <strong>der</strong><br />

Mutation) und niemals <strong>bei</strong> heterozygoten Genotypen.<br />

Autosomal-rezessive Erbkrankheiten s<strong>in</strong>d <strong>bei</strong>spielsweise<br />

die Sichelzellenanämie und die zystische Fibrose. Beide<br />

Eltern müssen heterozygote Träger <strong>der</strong> Krankheit se<strong>in</strong><br />

und das Risiko, dass die <strong>bei</strong>den Krankheitsallele vererbt<br />

werden, liegt <strong>bei</strong> 1:4. Wenn <strong>bei</strong>de Eltern heterozygote<br />

Träger <strong>der</strong> Krankheit s<strong>in</strong>d beträgt das Übertragungsrisiko<br />

<strong>bei</strong><strong>der</strong> Allele 1:4.<br />

A<br />

a<br />

A<br />

AA<br />

Aa<br />

a<br />

Aa<br />

aa<br />

Wenn <strong>bei</strong>de Elternteile Träger des rezessiven Allels e<strong>in</strong>e Krankheit s<strong>in</strong>d,<br />

sieht die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Krankheit erben, wie<br />

folgt aus:<br />

25% erkranken<br />

50% s<strong>in</strong>d gesunde Träger<br />

25% erkranken nicht und sich auch ke<strong>in</strong>e Träger<br />

Bei autosomal-dom<strong>in</strong>anten Erbleiden wird das Merkmal<br />

auch dann sichtbar, wenn die betroffenen Individuen<br />

heterozygot s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> nur e<strong>in</strong>e Kopie des mutierten<br />

Allels aufweisen. Dies ist etwa <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Hunt<strong>in</strong>gton-<br />

Krankheit <strong>der</strong> Fall. Wenn e<strong>in</strong> Elternteil e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zelne<br />

Kopie des mutierten Gens hat, wird er o<strong>der</strong> sie nicht nur<br />

von dieser Krankheit betroffen, son<strong>der</strong>n darüber h<strong>in</strong>aus<br />

liegt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass die Krankheit an die<br />

Nachkommen weitergegeben wird, <strong>bei</strong> 1:2.<br />

14 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


a<br />

a<br />

A<br />

Aa<br />

Aa<br />

a<br />

aa<br />

aa<br />

Wenn nur e<strong>in</strong> Elternteil e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Kopie e<strong>in</strong>es (dom<strong>in</strong>anten) Allels für<br />

e<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ante Krankheit trägt, liegt die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> diese Krankheit erben, <strong>bei</strong> 50 Prozent und dass sie völlig gesund<br />

s<strong>in</strong>d ebenfalls <strong>bei</strong> 50 Prozent.<br />

E<strong>in</strong>ige Krankheiten werden auf den Geschlechtschromosomen<br />

übertragen. Die Hämophilie, e<strong>in</strong>e Blutger<strong>in</strong>nungsstörung<br />

aufgrund e<strong>in</strong>es Faktor VIII-Mangels, wird<br />

von e<strong>in</strong>em defekten Gen auf dem X-Chromosom verursacht.<br />

Es handelt sich um e<strong>in</strong>e X-chromosomal gebundene<br />

rezessive Störung.<br />

Bei männlichen Nachkommen, <strong>der</strong>en Mutter Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Krankheit ist liegt das Risiko, von <strong>der</strong> Krankheit betroffen<br />

zu se<strong>in</strong> <strong>bei</strong> 1:2, weil sie das Y-Chromosom vom Vater<br />

und e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> X-Chromosome von <strong>der</strong> Mutter erhalten.<br />

Lei<strong>der</strong> trägt das Y-Chromosom die meisten <strong>der</strong> Gene des<br />

X-Chromosoms nicht und kann daher den männlichen<br />

Nachkommen nicht schützen. Weibliche Nachkommen<br />

e<strong>in</strong>es normalen Vaters und e<strong>in</strong>er Mutter als Träger<strong>in</strong><br />

haben e<strong>in</strong>e Chance von 1:2, normal zu se<strong>in</strong> und von 1:2,<br />

selbst Träger<strong>in</strong> <strong>der</strong> Krankheit, aber von <strong>der</strong> Krankheit<br />

nicht selbst betroffen zu se<strong>in</strong> (sie haben e<strong>in</strong> normales<br />

X-Chromosom, das sie schützt).<br />

Obwohl relativ selten, s<strong>in</strong>d weltweit Millionen von<br />

Menschen von monogen verursachten Erbkrankheiten<br />

betroffen; Wissenschaftler gehen davon aus, dass<br />

mehr als 10.000 menschliche Erkrankungen auf e<strong>in</strong>e<br />

monogene Ursache zurückzuführen s<strong>in</strong>d. Die Gesamtprävalenz<br />

aller monogenen Erkrankungen zusammen<br />

liegt <strong>bei</strong> circa 1 von 100 Neugeborenen. Die beson<strong>der</strong>en<br />

Anomalien, die mit monogenen Erbkrankheiten assoziiert<br />

werden, hängen von <strong>der</strong> betroffenen Genfunktion<br />

ab und somit führen e<strong>in</strong>ige monogene Störungen<br />

zu auffälligen Manifestationen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Geburt, die <strong>der</strong><br />

lebenslangen mediz<strong>in</strong>ischen Betreuung bedürfen, während<br />

an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um weniger ernsthafte Konsequenzen<br />

nach sich ziehen und kl<strong>in</strong>isch relevante Symptome<br />

erst später im Verlaufe des Lebens auftreten. Bekannte<br />

Beispiele für monogene Störungen s<strong>in</strong>d die zystische<br />

Fibrose, die Sichelzellenanämie sowie die familiäre<br />

Hypercholester<strong>in</strong>ämie.<br />

C<br />

Mitochondrischen Erkrankungen<br />

Bei den mitochondrialen Erkrankungen handelt es sich<br />

um selten auftretende Störungen, die von vererbten o<strong>der</strong><br />

spontanen Mutationen <strong>in</strong> nicht-chromosomaler DNA verursacht<br />

werden, d. h. von DNA, die sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> von<br />

Mitochondrien genannten, extranukleären subzellulären<br />

Organellen bef<strong>in</strong>det. Diese selten auftretenden Störungen<br />

können zu e<strong>in</strong>er ganzen Reihe von Anomalien führen,<br />

wie zum Beispiel ger<strong>in</strong>gem Wachstum, Probleme<br />

<strong>bei</strong>m Hören und Sehen, Verlust <strong>der</strong> muskulären Koord<strong>in</strong>ation,<br />

Muskelschwäche, Lernschwächen, Demenz und<br />

Herzkrankheiten. Obwohl die präzise Verbreitung mitochondrialer<br />

Störungen unbekannt ist, wird geschätzt,<br />

dass <strong>in</strong> Europa etwa 1 von 10.000 Erwachsenen an e<strong>in</strong>er<br />

mitochondrialen Störung leiden könnte.<br />

Pfeile zeigen auf die betroffenen Individuen<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 15


Kapitel 2 <strong>Genetik</strong> und ihre Bedeutung für Gesundheit und Krankheit<br />

D<br />

Polygene Störungen<br />

Polygene Störungen s<strong>in</strong>d multifaktorielle Störungen<br />

und werden daher oft auch als „komplexe Störungen“<br />

bezeichnet, da sie das Zusammenwirken mehrerer Gene<br />

darstellen. Sie werden häufig mit umweltbezogenen<br />

Ursachen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht. Beispiele multifaktorieller<br />

Störungen s<strong>in</strong>d etwa Diabetes, Bluthochdruck,<br />

Krebs, Asthma, Epilepsie, manische Depressionen, Schizophrenie<br />

und Herzkrankheiten.<br />

E<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Eigenschaft dieser Störungen besteht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass das Vererbungsrisiko e<strong>in</strong>er Krankheit<br />

im Vergleich mit monogenen Störungen ger<strong>in</strong>ger<br />

ist. So leiden etwa weniger als 5% <strong>der</strong> Blutsverwandten<br />

von Diabetikern ebenfalls an dieser Krankheit. Das ist<br />

e<strong>in</strong> deutlich ger<strong>in</strong>gerer Anteil als <strong>der</strong> <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>er monogenen<br />

Störung, wie z. B. <strong>der</strong> zystischen Fibrose. Der Grund<br />

für diesen Unterschied besteht dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e polygene<br />

Störung wie Diabetes nur dann durchkommt, wenn e<strong>in</strong><br />

bestimmter Satz an Varianten mehrerer Gene zusammenkommt.<br />

Wichtig ist festzuhalten, dass die Penetranz von<br />

umweltbezogenen Faktoren abhängt, wie zum Beispiel<br />

e<strong>in</strong>er schlechten Ernährung o<strong>der</strong> Bewegungsarmut. Aus<br />

diesem Grund wird davon ausgegangen, dass es im gesunden<br />

Zustand e<strong>in</strong> Gleichgewicht von Genvarianten und<br />

umweltbezogenen Faktoren mit positiven wie negativen<br />

Auswirkungen gibt. Wenn zu viele negative Faktoren – ob<br />

genetisch bed<strong>in</strong>gt o<strong>der</strong> umweltbezogen – vorhanden s<strong>in</strong>d,<br />

verschiebt sich das Gleichgewicht <strong>in</strong> Richtung Krankheit.<br />

Die Resultate umfangreicher Zwill<strong>in</strong>gs- und Adoptionsstudien<br />

ergaben, dass genetische Variationen etwa<br />

25% bis 50% des Risikos für die meisten polygenen Störungen<br />

ausmachen und dass das verbleibende Risiko<br />

auf umweltbezogene Ursachen zurückzuführen ist. So<br />

wurde zum Beispiel geschätzt, dass 40% des Risikos<br />

an e<strong>in</strong>er koronaren Herzkrankheit zu erkranken genetisch<br />

bed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d. Neuere technologische Fortschritte<br />

im Bereich <strong>der</strong> DNA-Array-Technologie und <strong>der</strong> Gensequenzierung<br />

haben es ermöglicht, zahlreiche genetische<br />

Varianten im menschlichen Genom zu identifizieren,<br />

die sich auf das Risiko polygener Störungen auswirken.<br />

Bei <strong>der</strong> koronaren Herzkrankheit zum Beispiel wurden<br />

diese Varianten <strong>bei</strong> 28 Genen gefunden.<br />

Während die genauen Mechanismen, die zu e<strong>in</strong>em<br />

erhöhten koronaren Herzerkrankungsrisiko führen, für<br />

die meisten dieser Varianten noch nicht geklärt s<strong>in</strong>d, ist<br />

etwa e<strong>in</strong> Drittel durch die bekannten Risikofaktoren zu<br />

erklären, wie zum Beispiel LDL-Cholester<strong>in</strong>, Rauchverhalten,<br />

Lipoprote<strong>in</strong> (a)-Spiegel sowie Blutdruck, und<br />

diese Faktoren erklären – zum<strong>in</strong>dest teilweise – ihren<br />

Zusammenhang mit dem Risiko, an <strong>der</strong> koronaren Herzkrankheit<br />

zu erkranken.<br />

Genomweite Assoziationsstudien wurden kürzlich dazu<br />

verwendet, genetische Varianten zu identifizieren, die<br />

sich auf das Risiko e<strong>in</strong>er koronaren Herzkrankheit <strong>bei</strong>m<br />

Menschen auswirken. Diese Varianten befanden sich<br />

an 28 Genloci auf bestimmten Chromosomen. Bei etwa<br />

e<strong>in</strong>em Drittel (9 von 28) aller bekannten genetischen<br />

Varianten, die sich auf das Risiko e<strong>in</strong>er koronaren Herzkrankheit<br />

auswirken, konnte nachgewiesen werden,<br />

dass sie e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf bekannte Risikofaktoren für<br />

die koronare Herzkrankheit haben.<br />

Locus Gen Prote<strong>in</strong> ><br />

1p13 SORT1 Sortil<strong>in</strong><br />

1p34 PCSK9 Proprote<strong>in</strong>-Convertase,<br />

Subtilis<strong>in</strong>/Kex<strong>in</strong> Typ 9<br />

6q27 LPA Apolipoprote<strong>in</strong> (a)<br />

9q34 AB0 AB0 Gen<br />

10q23 LIPA Lysosomal Lipase A<br />

10q24 CYP17A1 Steroid-17-Alfa-Monooxygenase<br />

11q23 APOA5-A4-C3-A1 Apolipoprote<strong>in</strong>e A5, A4, C3, A1<br />

15q25 ADAMTS7 Dis<strong>in</strong>tegr<strong>in</strong> Metalloprote<strong>in</strong>ase mit<br />

Thrombospond<strong>in</strong>-Motiv 7<br />

19p13 LDLR LDL-Rezeptor<br />

Auswirkung auf:<br />

LDL-Cholester<strong>in</strong><br />

LDL-Cholester<strong>in</strong><br />

Lipoprote<strong>in</strong> (a)<br />

LDL-Cholester<strong>in</strong><br />

Cholester<strong>in</strong>ester & Triglyceride<br />

Blutdruck<br />

HDL-Cholester<strong>in</strong> & LDL-Cholester<strong>in</strong><br />

Rauchverhalten<br />

LDL-Cholester<strong>in</strong><br />

16 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


3<br />

Gentest<br />

A<br />

Def<strong>in</strong>ition und Formen von Gentests<br />

E<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition von Gentest ist „die Analyse von Chromosomen<br />

(DNA), Prote<strong>in</strong>en und bestimmter Metaboliten<br />

zur Entdeckung erblicher, krankheitsbezogener<br />

Genotypen, Mutationen, Phänotypen o<strong>der</strong> Karyotypen<br />

für kl<strong>in</strong>ische Zwecke“. Seit Jahren wird <strong>bei</strong> Neugeborenen<br />

e<strong>in</strong> Screen<strong>in</strong>g zur Entdeckung von Phenylketonurie<br />

durchgeführt, e<strong>in</strong>er Erbkrankheit, die zu schweren Hirnfunktionsstörungen<br />

führen kann. Diagnostische Tests<br />

werden zur Detektierung spezifischer genetischer Veranlagungen<br />

verwendet, wie zum Beispiel <strong>bei</strong> bestimmten<br />

Formen <strong>der</strong> Kardiomyopathie, wenn aufgrund<br />

grenzwertig auffälliger Befunde o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>er positiven<br />

Familiengeschichte e<strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> Verdacht<br />

besteht. Als Gentests werden auch DNA-basierte Tests<br />

bezeichnet, die durchgeführt werden, um genetische<br />

Störungen durch die direkte Untersuchung des DNA-<br />

Moleküls selbst zu diagnostizieren.<br />

Prädiktive Tests werden durchgeführt, um Genmutationen<br />

zu identifizieren, die sich erst nach <strong>der</strong> Geburt<br />

manifestieren, oft auch erst später im Leben. Diese Tests<br />

können solchen Menschen dienen, <strong>bei</strong> denen e<strong>in</strong> Familienmitglied<br />

e<strong>in</strong>e Erbkrankheit hat, die jedoch zum Zeitpunkt<br />

des Tests ke<strong>in</strong>e Symptome <strong>der</strong> Krankheit zeigen.<br />

Prädiktive Tests können Mutationen aufdecken, die das<br />

Erkrankungsrisiko e<strong>in</strong>er Person erhöhen, bestimmte<br />

Krankheiten zu entwicklen, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>ige<br />

Krebserkrankungen. So hat jemand mit e<strong>in</strong>er BRCA1<br />

Mutation e<strong>in</strong> 65%iges kumulatives Risiko an Brustkrebs<br />

zu erkranken. Hämochromatose ist e<strong>in</strong>e weitere Erkrankung,<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Mutation des HFE-Gens auf Chromosom<br />

6 e<strong>in</strong>e Eisenüberladung verursacht. Die Ergebnisse<br />

prädiktiver und präsymptomatischer Tests können Informationen<br />

über das Erkrankungsrisiko e<strong>in</strong>er Person aufdecken,<br />

und <strong>bei</strong> Entscheidungen über die mediz<strong>in</strong>ische<br />

Behandlung hilfreich se<strong>in</strong>.<br />

Um die Frage zu beantworten, ob e<strong>in</strong>ige dieser neu<br />

identifizierten Genvarianten für die Prädiktion koronarer<br />

Herzkrankheiten nützlich s<strong>in</strong>d, entwickelte die<br />

CARDIoGRAM-Studie (e<strong>in</strong>e umfangreiche <strong>in</strong>ternationale<br />

Studie zur Identifizierung von Genvarianten, die<br />

das Erkrankungsrisiko für KHK erhöhen) vor kurzer Zeit<br />

e<strong>in</strong>en gewichteten Genotyp-<strong>Scor</strong>e <strong>der</strong> 23 <strong>der</strong> 28 Genvarianten<br />

umfasst. Es wurde gezeigt, dass <strong>bei</strong> denjenigen,<br />

die zum oberen Zehntel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Genotyp-<strong>Scor</strong>e-Verteilung<br />

gehörten, das durchschnittliche Risiko drei Mal so<br />

hoch war wie <strong>bei</strong> denen des unteren Zehntels. Diese<br />

Resultate s<strong>in</strong>d ermutigend, da sie die Anwendbarkeit<br />

<strong>der</strong> prädiktiven Diagnostik mit genetischen Markern<br />

stützen. Es muss jedoch darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden,<br />

dass im Vergleich dazu die Risikorechner, die sich ausschließlich<br />

auf traditionelle Risikofaktoren stützen – wie<br />

etwa <strong>der</strong> PROCAM-Gesundheitstest – e<strong>in</strong>e um mehr als<br />

das Zehnfache größere Vorhersagekraft besitzen. Ob<br />

die Komb<strong>in</strong>ation von Genotyp<strong>in</strong>formationen mit Testergebnissen,<br />

die sich ausschließlich auf herkömmliche Risikofaktoren<br />

stützen, zu e<strong>in</strong>er signifikanten Verbesserung<br />

führen könnte, bleibt abzuwarten.<br />

Wichtig ist, dass die Summe aller neu identifizierten<br />

Genvarianten nur etwa 10% des gesamten angenommenen<br />

erblich bed<strong>in</strong>gten Risikos, an e<strong>in</strong>er koronaren<br />

Herzkrankheit zu erkranken, ausmacht. E<strong>in</strong> plausibler<br />

Grund für diesen ger<strong>in</strong>gen Anteil mag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache<br />

liegen, dass die bisher angewandten Verfahren nur<br />

die weit verbreiteten Varianten entdecken können.<br />

Daher wird zur Zeit davon ausgegangen, dass es viele<br />

weitere Varianten geben kann, die alle relativ selten<br />

auftreten und e<strong>in</strong>en weitaus größeren E<strong>in</strong>fluss auf das<br />

Risiko haben als gewöhnliche Varianten. Zukünftige<br />

Studien zielen darauf ab, solche selteneren Varianten<br />

durch hochentwickelte Sequenzierungsmethoden zu<br />

entdecken, die e<strong>in</strong>e groß angelegte Sequenzierung des<br />

gesamten menschlichen Genoms ermöglichen (Sequenzierung<br />

<strong>der</strong> nächsten Generation).<br />

Angesichts dieser E<strong>in</strong>schränkungen ersche<strong>in</strong>en Diagnosen<br />

e<strong>in</strong>er KHK aufgrund prädiktiver Gentests zurzeit<br />

noch verfrüht zu se<strong>in</strong>. Dasselbe gilt für an<strong>der</strong>e polygene<br />

Krankheiten wie Diabetes, Hypertonus, Krebs, Asthma,<br />

Epilepsie, manische Depression und Schizophrenie, da<br />

die bekannten Genvarianten zurzeit nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />

Teil des gesamten erblichen Risikos erklären können.<br />

B<br />

Wie werden Gentests durchgeführt?<br />

Genvarianten können mittels e<strong>in</strong>er Reihe verschiedener<br />

Methoden entdeckt werden, die sich je nach <strong>der</strong><br />

Komplexität <strong>der</strong> generierten Daten und den Kosten<br />

vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> unterscheiden. Derzeit gibt es drei „Best-<br />

Practice-Techniken“, die <strong>in</strong> Genlaboren häufig zum E<strong>in</strong>satz<br />

kommen:<br />

• E<strong>in</strong>e kostengünstige und technisch e<strong>in</strong>fache Methode<br />

zur Entdeckung von Genvarianten umfasst die Realtime<br />

PCR (Deskription), e<strong>in</strong>e leistungsstarke Screen<strong>in</strong>g-Methode,<br />

die angewendet wird, um e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge<br />

Anzahl von Genvarianten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Anzahl von<br />

Proben zu entdecken. Die Interpretation <strong>der</strong> Daten ist<br />

relativ e<strong>in</strong>fach, da nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Anzahl von bekannten<br />

und vermutlich relevanten Varianten festgestellt<br />

werden kann.<br />

• Im Gegensatz dazu erlauben High-Density-DNA-<br />

Arrays die gleichzeitige Bestimmung von bis zu<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 17


Kapitel 3 Gentest<br />

1.000.000 Genvarianten <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Individuum.<br />

Es wurden bestimmte DNA-Arrays entwickelt,<br />

um bis zu 50.000 Genvarianten zu entdecken, die für<br />

verschiedene Störungen, wie zum Beispiel e<strong>in</strong>e kardiovaskuläre<br />

Erkrankung, relevant se<strong>in</strong> können.<br />

• Drittens wurden kürzlich hocheffiziente DNA-Sequenzierungstechniken<br />

entwickelt (Sequenzierung <strong>der</strong><br />

nächsten Generation), die e<strong>in</strong>e Sequenzierung des<br />

gesamten menschlichen Genoms <strong>in</strong> großem Stile<br />

erlauben.<br />

High-Density DNA-Arrays und die Sequenzierung <strong>der</strong><br />

nächsten Generation erzeugen typischerweise riesige<br />

Datenmengen, wo <strong>bei</strong> je<strong>der</strong> Untersuchung Hun<strong>der</strong>ttausende<br />

von Genvarianten entdeckt werden können.<br />

Aktuell ist es jedoch unmöglich, die Auswirkungen <strong>der</strong><br />

meisten dieser Varianten <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Erkrankungsrisiko umfassend vorherzusagen o<strong>der</strong> zu<br />

quantifizieren.<br />

Heute setzen Wissenschaftler neuartige und hocheffiziente<br />

Techniken <strong>der</strong> funktionellen Genomik, <strong>der</strong> Proteomik<br />

und Metabolomik e<strong>in</strong>, um die funktionellen<br />

Defekte zu erklären, die von Genvarianten verursacht<br />

werden.<br />

Das Ziel ist es zu verstehen, wie Genvarianten metabolische<br />

Prozesse verän<strong>der</strong>n, um <strong>in</strong> Zukunft Strategien e<strong>in</strong>er<br />

„personalisierten“ Mediz<strong>in</strong> zu entwickeln, e<strong>in</strong>em neuen<br />

Konzept, <strong>bei</strong> dem das Wissen über genetische Merkmale<br />

des <strong>in</strong>dividuellen Patienten <strong>in</strong> die therapeutischen Entscheidungen<br />

e<strong>in</strong>fließt.<br />

Es besteht die Hoffnung, dass solche gezielten Therapien<br />

weniger Nebenwirkungen haben und effektiver<br />

s<strong>in</strong>d als heutige Therapien, die häufig höchst unspezifisch<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

18 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


4<br />

Gentherapie<br />

E<strong>in</strong> für die Zukunft vielversprechen<strong>der</strong> Ansatz zur<br />

Behandlung genetischer Erkrankungen <strong>bei</strong>m Menschen<br />

ist die Gentherapie. Da<strong>bei</strong> handelt es sich um e<strong>in</strong>e<br />

Methode, <strong>bei</strong> <strong>der</strong> das nicht vorhandene o<strong>der</strong> defekte<br />

Gen o<strong>der</strong> die nicht vorhandene o<strong>der</strong> fehlerhafte DNA-<br />

Sequenz durch e<strong>in</strong> funktionierendes Gen ersetzt wird,<br />

so dass <strong>der</strong> Körper das korrekte Enzym o<strong>der</strong> Prote<strong>in</strong> produzieren<br />

und somit die Krankheit heilen o<strong>der</strong> verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

kann, die von <strong>der</strong> genetischen Störung verursacht<br />

worden wäre. Dazu benötigt das gesunde Gen e<strong>in</strong>en<br />

Transportweg zum Kern <strong>der</strong> Zelle, wo sich die Chromosomen<br />

und die DNA bef<strong>in</strong>den. Viren bieten sich dafür<br />

an, da sie <strong>in</strong> Zellen im Rahmen des natürlichen Infektionsprozesses<br />

e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen.<br />

Zu diesem Therapiekonzept <strong>der</strong> Gentherapie bleiben<br />

viele H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse und e<strong>in</strong>ige offene Fragen bestehen.<br />

Virale Vektoren müssen sorgfältig kontrolliert werden,<br />

um zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass sich <strong>der</strong> Patient mit e<strong>in</strong>em Virus<br />

<strong>in</strong>fiziert. E<strong>in</strong>ige Retroviren können <strong>in</strong> gesunde Zellen<br />

e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong>en natürliche, biologische Prozesse stören<br />

und möglicherweise an<strong>der</strong>e Krankheiten verursachen.<br />

An<strong>der</strong>e Viren, wie Adenoviren werden eventuell<br />

erkannt und vom Immunsystem zerstört, so dass ihre<br />

therapeutische Wirkung nur von kurzer Dauer wäre. Es<br />

ist schwierig, die Genexpression so aufrechtzuerhalten,<br />

dass sie ihre Funktion nach dem Transport ordnungsgemäß<br />

erfüllt. Daher kann es erfor<strong>der</strong>lich werden, dass<br />

e<strong>in</strong>ige Therapien häufig wie<strong>der</strong>holt werden müssen, um<br />

langfristig wirksam zu se<strong>in</strong>.<br />

Ethische Bedenken im Zusammenhang mit dem E<strong>in</strong>satz<br />

und den Auswirkungen von Gentherapien wurden<br />

sowohl von Wissenschaftlern als auch von Laien geäußert.<br />

Da wir <strong>bei</strong>spielsweise zuerst noch mehr über die<br />

tatsächliche Funktionsweise dieser Gene und ihre langfristige<br />

Wirkung lernen müssen, ist es da ethisch vertretbar,<br />

dass wir diese Therapien an Menschen testen,<br />

obwohl sie möglicherweise desaströse Nebenwirkungen<br />

haben könnten? E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e strittige Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Gentherapie ist die nicht zur Gesundung dienende<br />

Manipulation von Genen, um Merkmale menschlicher<br />

Nachkommen zu steuern. So könnte etwa e<strong>in</strong> Gen e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden, das dafür sorgen soll, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

nicht glatzköpfig wird, e<strong>in</strong> ansche<strong>in</strong>end harmloses Ziel.<br />

Was aber, wenn e<strong>in</strong>e genetische Manipulation mit <strong>der</strong><br />

Absicht vorgenommen werden würde, die Hautfarbe<br />

zu verän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> attraktives Aussehen sicherzustellen?<br />

Wenn e<strong>in</strong> Gen entdeckt werden würde, das die<br />

Intelligenz ungeborener K<strong>in</strong><strong>der</strong> steigern könnte, hätten<br />

dann alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft Zugang zu dieser<br />

Technologie o<strong>der</strong> wäre diese Technologie so teuer, dass<br />

nur die Eliten sie sich leisten könnten?<br />

Faktor VIII<br />

Prote<strong>in</strong>e<br />

Faktor VIII<br />

kodifizierende DNA<br />

Virus das das Faktor VIII<br />

Gen transportiert<br />

Kern<br />

Menschliche Zelle<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 19


5<br />

Auswirkungen auf die<br />

Versicherungsmediz<strong>in</strong><br />

Bei Patienten mit e<strong>in</strong>er ausgeprägten genetischen<br />

Veranlagung für chronische Krankheiten kommt es<br />

normalerweise sehr viel früher zu kl<strong>in</strong>isch relevanten<br />

Komplikationen und die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, frühzeitig<br />

zu sterben ist höher als <strong>bei</strong> Patienten ohne e<strong>in</strong>e solche<br />

genetische Prädisposition. Wie bereits oben erwähnt,<br />

tragen genetische Varianten <strong>in</strong> erheblichem Maße zu<br />

den meisten chronischen Krankheiten <strong>bei</strong> und die prädiktive<br />

genetische Diagnostik kann, wenn auch heute<br />

noch nicht möglich, <strong>in</strong> naher Zukunft durchaus realisierbar<br />

se<strong>in</strong>. Für e<strong>in</strong> Versicherungsunternehmen ist es wichtig,<br />

das Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitsrisiko für Versicherungsfälle<br />

abschätzen zu können. Umstände, die die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

von Versicherungsfällen erhöhen könnten, müssen<br />

theoretisch <strong>in</strong> Betracht gezogen werden und zu<br />

e<strong>in</strong>er höheren Versicherungsprämie führen. So zahlen<br />

zum Beispiel ältere Menschen normalerweise deutlich<br />

höhere Prämien für Lebensversicherungen als jüngere<br />

Leute, da die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass ältere Menschen<br />

eher als jüngere Menschen sterben, größer ist. Analog<br />

dazu müssten Menschen mit e<strong>in</strong>er Erbkrankheit o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>er genetischen Prädisposition, die zu e<strong>in</strong>er kürzeren<br />

Lebensdauer und zu mehr Versicherungsfällen im Verlauf<br />

führt, theoretisch ebenfalls höhere Prämien zahlen<br />

als genetisch gesunde Menschen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus stellen genetische Erkrankungen e<strong>in</strong>e<br />

erhebliche Belastung nicht nur für die Patienten und<br />

<strong>der</strong>en Familien dar, son<strong>der</strong>n auch für das Gesundheitssystem.<br />

Es wird geschätzt, dass es <strong>bei</strong> 15% aller Krebserkrankungen<br />

e<strong>in</strong>e vererbte Suszeptibilität gibt und<br />

dass m<strong>in</strong>destens 10% <strong>der</strong> chronischen Erkrankungen,<br />

wie zum Beispiel Herzleiden, Diabetes und Arthritis,<br />

die <strong>in</strong> den adulten Populationen auftreten, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit e<strong>in</strong>er signifikanten genetischen Komponente<br />

zu sehen s<strong>in</strong>d. Die Kosten für e<strong>in</strong>e lebenslange Pflege<br />

hängen vom jeweiligen Zustand ab; diese Kosten s<strong>in</strong>d<br />

jedoch im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel signifikant höher. Während zum Beispiel<br />

die Kosten für die Pflege e<strong>in</strong>es Patienten mit Down-<br />

Syndrom etwa $ 500.000 betragen, können die Kosten<br />

für e<strong>in</strong>en Patienten mit zystischer Fibrose $ 1.000.000<br />

überschreiten. Man kann erwarten, dass neu entwickelte<br />

Behandlungen, wie die Enzymersatztherapien,<br />

für die Behandlung lysosomaler Krankheiten <strong>in</strong> Zukunft<br />

zu weiteren Kostensteigerungen führen können. Diese<br />

Faktoren wirken sich signifikant auf den Gesundheitsund<br />

Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeitsversicherungsschutz aus.<br />

A<br />

Auswirkungen e<strong>in</strong>er Informationsasymmetrie<br />

genetischer Informationen zwischen<br />

Versicherern und Versicherten<br />

Zu den grundlegenden gesetzlichen Versicherungspr<strong>in</strong>zipien<br />

gehört auch, dass zwischen dem Versicherten und<br />

dem Versicherer e<strong>in</strong> Verhältnis besteht, das auf Treu und<br />

Glauben, Ehrlichkeit und Fairness beruht und dass wesentliche<br />

Tatbestände offengelegt werden müssen, bevor es<br />

zu e<strong>in</strong>em Abschluss kommt. Wenn es um genetische Fragen<br />

geht, so bewerten die bestehenden ethischen und<br />

gesetzlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen den Schutz <strong>in</strong>dividueller<br />

genetischer Daten höher als das Interesse <strong>der</strong> Versicherungsgesellschaften,<br />

alle wesentlichen Tatbestände und<br />

somit auch genetische Daten berücksichtigen zu können,<br />

bevor e<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlicher Versicherungsvertrag zustande<br />

kommt. Diese Situation kann theoretisch <strong>bei</strong> Personen,<br />

die darüber <strong>in</strong>formiert wurden, dass sie e<strong>in</strong>e Erbkrankheit<br />

haben, zu e<strong>in</strong>em „moral hazard“ führen. Sie könnten<br />

versucht se<strong>in</strong>, nicht offenbarte, erhöhte Ereignisrisiken zu<br />

den ger<strong>in</strong>gen Prämien zu versichern, die typischerweise<br />

für risikofreie Personen gelten. Da es Versicherungsunternehmen<br />

nicht gestattet ist, Gentests durchzuführen<br />

und die Verpflichtung zur Offenlegung zuvor erhaltener<br />

Gentestresultate gesetzlich e<strong>in</strong>geschränkt und vage formuliert<br />

ist, kann es zu e<strong>in</strong>er Informationsasymmetrie zwischen<br />

Versicherern und Versicherten kommen.<br />

E<strong>in</strong>e solche Informationsasymmetrie kann möglicherweise<br />

ernsthafte Konsequenzen für Versicherer und<br />

Versicherte nach sich ziehen. Dennoch würde es nur<br />

dann bedeutende f<strong>in</strong>anzielle Auswirkungen nach sich<br />

ziehen, wenn Personen mit positivem Gentest wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

häufiger e<strong>in</strong>e Versicherung abschließen und<br />

dass solche Personen mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit auch<br />

e<strong>in</strong>e höhere Versicherungsdeckung wünschen.<br />

B<br />

Ethischer und gesetzlicher Rahmen von Gentests<br />

In den letzten Jahren s<strong>in</strong>d ethische Standards erar<strong>bei</strong>tet<br />

worden, an die man sich <strong>bei</strong>m Umgang mit genetischen<br />

Fragen halten muss:<br />

• Mit <strong>in</strong>dividuellen genetischen Daten muss auf verantwortliche<br />

Art und Weise umgegangen werden und es<br />

s<strong>in</strong>d Maßnahmen zu ergreifen, die e<strong>in</strong> hohes Maß an<br />

Datenschutz sicherstellen.<br />

• Prädiktive Gentests s<strong>in</strong>d nur auf Wunsch e<strong>in</strong>es Patienten/<strong>in</strong><br />

erlaubt und müssen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em/ihrem Interesse<br />

liegen.<br />

• Prädiktive Gentests s<strong>in</strong>d nur dann zulässig, wenn e<strong>in</strong>e<br />

Krankheit mit großer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit vorhergesagt<br />

werden kann und wenn diese Krankheit effektiv<br />

behandelt und vermieden werden kann.<br />

20 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


• Gentests müssen immer mit e<strong>in</strong>er geeigneten fachlichen,<br />

<strong>in</strong>dividuellen Beratung e<strong>in</strong>hergehen.<br />

• Individuen dürfen auf ke<strong>in</strong>en Fall aufgrund ihrer speziellen<br />

genetischen Merkmale benachteiligt werden.<br />

Im Jahre 1989 verabschiedete die Europäische Union<br />

e<strong>in</strong>e Resolution, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> vollständiges Verwendungsverbot<br />

von Gentests im Zusammenhang mit Versicherungsfragen<br />

beschrieben wurde. Die Charta <strong>der</strong><br />

Grundrechte verbietet e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung auf <strong>der</strong><br />

Basis genetischer Merkmale. Derselbe Grundsatz wird<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Konvention des Europarates vertreten. Hier wird<br />

jede Form <strong>der</strong> Diskrim<strong>in</strong>ierung auf <strong>der</strong> Grundlage des<br />

genetischen Erbgutes sowie die Durchführung prädiktiver<br />

Tests aus an<strong>der</strong>en Gründen als denen <strong>der</strong> gesundheitsbezogenen<br />

Forschung ausdrücklich verboten.<br />

Dies gilt selbst dann, wenn die betroffene Person ihre<br />

Zustimmung dazu erteilt hat. Es ist Versicherungsgesellschaften<br />

untersagt, Gentests <strong>bei</strong> Personen, die e<strong>in</strong>en<br />

Versicherungsschutz beantragen, durchzuführen und<br />

<strong>bei</strong> Personen auf <strong>der</strong> Grundlage ihres Genoms unterschiedliche<br />

Bewertungen vorzunehmen.<br />

E<strong>in</strong>ige Län<strong>der</strong> haben es Versicherungsgesellschaften<br />

gesetzlich untersagt, Gentests zu verwenden. Dies gilt<br />

für Belgien, Dänemark und Frankreich. E<strong>in</strong> solches Vorgehen<br />

führt zu def<strong>in</strong>itorischen Problemen <strong>in</strong> Bezug auf<br />

das, was genetische Informationen eigentlich ausmacht<br />

und was e<strong>in</strong> Gentest eigentlich ist.<br />

Die Entscheidung für freiwillige Moratorien h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> Verwendung von Gentests war die von e<strong>in</strong>er großen<br />

Mehrheit getragene Reaktion <strong>der</strong> Versicherungsbranche.<br />

Der Grund dafür besteht dar<strong>in</strong>, dass es nur sehr<br />

wenige relevante und präzise Gentests gibt. Moratorien<br />

s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong> unbegrenzt o<strong>der</strong> aber sie gelten für e<strong>in</strong>e<br />

begrenzte Anzahl von Jahren o<strong>der</strong> für Versicherungspolicen<br />

unterhalb e<strong>in</strong>er bestimmten Summe (wie z. B. im<br />

Vere<strong>in</strong>igten Königreich).<br />

An<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> haben e<strong>in</strong>en Mittelweg gewählt und<br />

die Verwendung genetischer Anfälligkeitstest nur dann<br />

gestattet, wenn e<strong>in</strong> bestimmter Grad <strong>der</strong> Versicherbarkeit<br />

überschritten wird und zusätzlich die Zustimmung<br />

<strong>der</strong> betroffenen Person vorliegt. Diese Regelung gilt <strong>in</strong><br />

den Nie<strong>der</strong>landen und <strong>in</strong> Schweden. Der Reiz e<strong>in</strong>er Summengrenzenregelung<br />

für Versicherer besteht dar<strong>in</strong>, dass<br />

sie die Auswirkungen e<strong>in</strong>er adversen Selektion reduziert,<br />

<strong>in</strong>dem sie es dem Versicherten gestattet, e<strong>in</strong> gutes<br />

Geschäft zu machen o<strong>der</strong> die Risiken zu übertragen,<br />

jedoch nur <strong>in</strong>nerhalb def<strong>in</strong>ierter f<strong>in</strong>anzieller Limits.<br />

Das Vere<strong>in</strong>igte Königreich ist e<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>e Selbstbestimmungsverfügung<br />

bezüglich <strong>der</strong> Verwendung genetischer<br />

Informationen durch die Versicherungsbranche. Es<br />

gibt jedoch offensichtliche Probleme, wenn man sich auf<br />

die Selbstverpflichtung verlässt – wenn es nämlich ke<strong>in</strong>e<br />

externen Sanktionen gibt, die e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>anziell mächtigen<br />

Institution auferlegt werden. Seit Oktober 2001 ist die<br />

Selbstverpflichtung bezüglich genetischer Daten <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Moratorium verwandelt worden. In Deutschland werden<br />

genetische Untersuchungen im „Gendiagnostikgesetz“<br />

(GenDG) geregelt und <strong>in</strong> Österreich und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz<br />

gelten im Großen und Ganzen ähnliche Gesetze. Die<br />

wichtigsten Regelungen des deutschen Gesetzes:<br />

• Nur speziell zertifizierten Labors ist es gestattet, genetische<br />

Untersuchungen durchzuführen (<strong>in</strong> Deutschland<br />

ist e<strong>in</strong>e ISO 17025-Zertifizierung erfor<strong>der</strong>lich).<br />

• Prädiktive Gentests dürfen nur von auf den Bereich<br />

<strong>der</strong> Humangenetik spezialisierten Ärzten o<strong>der</strong> von<br />

an<strong>der</strong>en Ärzten, die e<strong>in</strong>e Weiterbildung im Bereich<br />

<strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> absolviert haben, durchgeführt werden.<br />

• Für jede Untersuchung muss e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>verständniserklärung<br />

vorliegen und dokumentiert werden.<br />

• Der Patient hat e<strong>in</strong> Recht, die Untersuchungsergebnisse<br />

zu erfahren. Er o<strong>der</strong> sie kann sich jedoch auch<br />

dazu entscheiden, nicht entsprechend <strong>in</strong>formiert zu<br />

werden (<strong>in</strong>formationelle Selbstbestimmung).<br />

• Für genetische Untersuchungen zur Abstammungsfeststellung<br />

gelten Son<strong>der</strong>regelungen.<br />

• Ar<strong>bei</strong>tgebern ist es nicht gestattet, nach den Ergebnissen<br />

von genetischen Untersuchungen zu fragen o<strong>der</strong><br />

genetische Untersuchungen durchzuführen.<br />

• Versicherungsgesellschaften ist es vor dem Abschluss<br />

von Versicherungen nicht gestattet, nach den Ergebnissen<br />

von genetischen Untersuchungen zu fragen<br />

o<strong>der</strong> genetische Untersuchungen durchzuführen. E<strong>in</strong>e<br />

Ausnahme gilt für Lebensversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen<br />

und Pflegeversicherungen,<br />

wenn die Versicherungssumme e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>malbetrag<br />

von 300.000 Euro o<strong>der</strong> jährliche Zahlungen von 30.000<br />

Euro überschreitet. In solchen Fällen ist <strong>der</strong> Antragsteller<br />

verpflichtet, den Versicherer vor dem Abschluss<br />

e<strong>in</strong>er Versicherung über die Ergebnisse e<strong>in</strong>er genetischen<br />

Untersuchung <strong>in</strong> Kenntnis zu setzen.<br />

Im Vere<strong>in</strong>igten Königreich führte die Association of<br />

British Insurers (ABI) und das Staatsm<strong>in</strong>isterium für<br />

Gesundheit e<strong>in</strong> freiwilliges Moratorium h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

Verwendung prädiktiver genetischer Untersuchungen<br />

durch Versicherer e<strong>in</strong>. Dieses Moratorium bedeutet, dass<br />

die Ergebnisse e<strong>in</strong>er prädiktiven genetischen Untersuchung<br />

nicht die Möglichkeit bee<strong>in</strong>trächtigen darf, jedwede<br />

Art von Versicherung abzuschließen, außer von<br />

Lebensversicherungen mit mehr als £ 500.000. Wenn<br />

dieser Betrag überschritten wird, werden Versicherer<br />

ke<strong>in</strong>e nachteiligen prädiktiven genetischen Untersuchungsergebnisse<br />

verwenden, wenn <strong>der</strong> Test nicht ausdrücklich<br />

vom Staat genehmigt wird. Nur etwa 3% aller<br />

existierenden Policen liegen über dieser Grenze. Der<br />

e<strong>in</strong>zige genehmigte Test bezieht sich auf die Hunt<strong>in</strong>gton-Krankheit.<br />

Ursprünglich war vorgesehen, dass das<br />

Moratorium im Jahre 2011 beendet werden sollte. Im<br />

Jahre 2008 wurde es dann bis zum Jahr 2014 und kürzlich<br />

bis 2017 verlängert. Das Moratorium soll 2014 wie<strong>der</strong><br />

überprüft werden.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 21


Kapitel 5 Auswirkungen auf die Versicherungsmediz<strong>in</strong><br />

In Irland darf e<strong>in</strong> Versicherer nach den Vorschriften des<br />

Teils 4 des Schwerbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>tengesetzes von 2005 die<br />

Resultate e<strong>in</strong>er genetischen Untersuchung we<strong>der</strong> verlangen<br />

noch berücksichtigen noch solche Ergebnisse<br />

verar<strong>bei</strong>ten. Dies bezieht sich sowohl auf positive als<br />

auch auf negative Untersuchungsergebnisse. Gemäß<br />

<strong>der</strong> Gesetzgebung darf e<strong>in</strong> Versicherer negative Testergebnisse<br />

selbst dann nicht verwenden, wenn jemand,<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Versicherung abschließen will, darum bittet.<br />

In den Vere<strong>in</strong>igten Staaten untersagt <strong>der</strong> Genetic Information<br />

Nondiscrim<strong>in</strong>ation Act (GINA) im Falle <strong>der</strong> Krankenversicherung<br />

e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

von Informationen, die aus genetischen Untersuchungen<br />

stammen; Lebens-, Ar<strong>bei</strong>tsunfähigkeits- und Langzeitpflegeversicherungen<br />

s<strong>in</strong>d davon jedoch nicht betroffen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus schützt GINA ke<strong>in</strong>e Symptomträger.<br />

Genetische Untersuchungen im Bereich des Lebensversicherungsgeschäfts<br />

<strong>in</strong> Australien und Asien werden von<br />

Grundsatzprogrammen und Standards geregelt, die von<br />

<strong>der</strong> Investment and F<strong>in</strong>ancial Services Association (IFSA)<br />

und dem F<strong>in</strong>ancial Services Council (FSC) im Dezember<br />

2005 herausgegeben wurden. Dieser Standard gilt für<br />

alle IFSA-Mitglie<strong>der</strong>, die e<strong>in</strong>e registrierte Lebensversicherungsgesellschaft<br />

s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Tochtergesellschaft<br />

haben, die e<strong>in</strong>e Lebensversicherungsgesellschaft ist. Alle<br />

von <strong>der</strong> APRA (Australian Prudential regulation Authority)<br />

registrierten Lebensversicherungsgesellschaften,<br />

die ke<strong>in</strong> IFSA- Mitglied s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d dazu aufgefor<strong>der</strong>t, sich<br />

an diesen Standard zu halten.<br />

Mitglie<strong>der</strong> dieser Vere<strong>in</strong>igung haben vere<strong>in</strong>bart, sich an<br />

e<strong>in</strong> Standarddokument zu halten, das unter an<strong>der</strong>em vorsieht,<br />

dass Personen, die e<strong>in</strong>e Versicherung abschließen<br />

wollen, nicht dazu aufgefor<strong>der</strong>t werden dürfen, sich e<strong>in</strong>er<br />

genetischen Untersuchung zu unterziehen. Die Ergebnisse<br />

bereits vorher erfolgter Untersuchungen müssen dem Versicherungsunternehmen<br />

jedoch vorgelegt werden.<br />

Diese Daten dürfen nicht für die Bewertung an<strong>der</strong>er<br />

Familienmitglie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> für die Preisbildung <strong>bei</strong> Vorzugsprodukten<br />

verwendet werden; sie können jedoch für die<br />

E<strong>in</strong>schätzung des Risikos des Antragstellers verwendet<br />

werden. Alle solche Entscheidungen müssen vollständig<br />

dokumentiert und dem Antragsteller auf Anfrage zur<br />

Verfügung gestellt werden. E<strong>in</strong> sicheres und effizientes,<br />

<strong>in</strong>ternes Streitschlichtungssystem muss vorhanden se<strong>in</strong>,<br />

um mit Beschwerden umzugehen, die sich auf Versicherungen<br />

beziehen, <strong>bei</strong> denen genetische Untersuchungen<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Antworten auf Beschwerden müssen<br />

e<strong>in</strong>en Bezug auf die den Antragstellern zur Verfügung<br />

stehenden Rechtsmittel enthalten.<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igung haben vere<strong>in</strong>bart, die von<br />

<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igung anonymisierten Daten regelmäßig zu<br />

erfassen und solche Daten <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Öffentlichkeit<br />

zugänglich zu machen, um zukünftige Forschungs<strong>in</strong>itiativen<br />

zu unterstützen.<br />

Trotz <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung dieses Standards hat die Human<br />

Genetics Society of Australien und Asien im Februar<br />

2008 e<strong>in</strong> Statement über genetische Untersuchungen<br />

und Lebensversicherungen <strong>in</strong> Australien abgegeben,<br />

<strong>in</strong> dem die Branche dazu aufgefor<strong>der</strong>t wird, e<strong>in</strong> Moratorium<br />

bezüglich <strong>der</strong> Verwendung prädiktiver, genetischer<br />

Untersuchungen umzusetzen, bis bessere versicherungsmathematische<br />

Schätzungen <strong>der</strong> Auswirkung<br />

solcher Daten auf e<strong>in</strong>e nachteilige Selektion zur Verfügung<br />

stehen. Darüber h<strong>in</strong>aus wird gesagt, dass die<br />

Gesellschaft die E<strong>in</strong>führung von gesetzlichen Vorschriften<br />

unterstützt, die darauf abzielen, Individuen und<br />

<strong>der</strong>en Familien vor Verstößen gegen ihre Privatsphäre<br />

zu schützen sowie vor Diskrim<strong>in</strong>ierung, die daraus entsteht,<br />

dass auf prädiktive, genetische Daten zugegriffen<br />

wird und solche Daten missbraucht werden. Bis heute<br />

s<strong>in</strong>d solche gesetzlichen Vorschriften jedoch noch nicht<br />

verabschiedet worden.<br />

Aber ist e<strong>in</strong>e genetische Untersuchung e<strong>in</strong> legitimes,<br />

versicherungsmathematisch solides Mittel <strong>der</strong> Risikobewertung?<br />

Zurzeit gibt es über das Internet e<strong>in</strong> großes Angebot an<br />

Gentests als kommerzieller Service, <strong>der</strong> sich direkt an den<br />

Verbraucher wendet (so genannte „direct-to-consumer“<br />

o<strong>der</strong> DTC-Tests). Dieser Service stellt e<strong>in</strong> unkontrollbares<br />

Mittel für nahezu jeden dar, an persönliche genetische<br />

Daten zu gelangen. Die angebotenen Tests stehen aber<br />

nur selten – wenn überhaupt – auf e<strong>in</strong>er wissenschaftlich<br />

soliden Basis. Ihre Sensibilität und Genauigkeit <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Ermittlung des Erkrankungsrisikos s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong><br />

äußerst ger<strong>in</strong>g o<strong>der</strong> gar nicht vorhanden und ihre analytische<br />

Aussagekraft ist häufig sehr ger<strong>in</strong>g. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus werden die Ergebnisse nur selten von fachlichem<br />

Rat begleitet. Daher stellen dieses Tests aktuell ke<strong>in</strong>e<br />

Bedrohung für Versicherungsgesellschaften dar, da sie<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er signifikanten Informationsasymmetrie<br />

h<strong>in</strong>sichtlich Krankheitsdisposition und dem Risiko steigen<strong>der</strong><br />

Ansprüche an Versicherungen führten.<br />

Obwohl genetische Untersuchungen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Diagnose<br />

vieler monogener Krankheiten e<strong>in</strong> Rout<strong>in</strong>evorgang<br />

geworden s<strong>in</strong>d, treten diese Krankheiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl<br />

sehr selten auf und für ihre Diagnose s<strong>in</strong>d genetische<br />

Untersuchungen nicht unbed<strong>in</strong>gt erfor<strong>der</strong>lich, da<br />

die weitaus größte Zahl <strong>der</strong> Krankheiten durch traditionelle<br />

Weise auf <strong>der</strong> Grundlage kl<strong>in</strong>ischer Mittel diagnostiziert<br />

werden kann.<br />

Polygene Krankheiten, wie etwa die koronare Herzkrankheit,<br />

Krebs o<strong>der</strong> Schlaganfall, werden durch komplexe<br />

Interaktionen zwischen Genen und Umwelte<strong>in</strong>flüssen<br />

verursacht. Obwohl <strong>in</strong> letzter Zeit e<strong>in</strong>e große Anzahl an<br />

risikomodulierenden Genvarianten identifiziert wurde,<br />

s<strong>in</strong>d ihre Auswirkungen auf Risiken zusammengenommen<br />

zu ger<strong>in</strong>g, als dass man sie für die Prognose von<br />

Ereignisrisiken gebrauchen könnte. Traditionelle Risikorechner<br />

wie zum Beispiel <strong>der</strong> PROCAM-Gesundheitstest,<br />

<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e genetischen Untersuchungen erfor<strong>der</strong>t, s<strong>in</strong>d<br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Vorhersage kardiovaskulärer Ereignisse im Vergleich<br />

zu allen <strong>der</strong>zeit existierenden Risikobewertungsmethoden,<br />

die sich auf genetische Untersuchungen<br />

stützen, deutlich sensibler und genauer.<br />

22 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


Schlussfolgerung<br />

Gentests haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt praktisch ke<strong>in</strong>e größere Auswirkung<br />

für die Versicherungsmediz<strong>in</strong>. Obwohl sie gesetzlich und ethisch verankert<br />

s<strong>in</strong>d, treffen Gentests zurzeit auf e<strong>in</strong>en starken Wi<strong>der</strong>stand. Ihr potenzieller<br />

Nutzen ist gegenwärtig allenfalls begrenzt.<br />

Die Frage lautet jedoch nicht, ob prädiktive, genetische Untersuchungen so<br />

verbessert werden können, dass sie e<strong>in</strong>en für die Praxis relevanten Reifegrad<br />

erreichen, son<strong>der</strong>n vielmehr wann das passieren wird. Schließlich kann man<br />

davon ausgehen, dass Gentests e<strong>in</strong> wichtiges Werkzeug für die risikoadäquate<br />

Bewertung <strong>bei</strong> e<strong>in</strong>er großen Anzahl von häufig auftretenden und schweren<br />

Krankheiten se<strong>in</strong> werden.<br />

Sobald dies <strong>der</strong> Fall ist, benötigt <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitige gesetzliche Rahmen, <strong>der</strong> die Verwendung<br />

von Gentests durch Versicherungsgesellschaften bis zu bestimmten<br />

Summengrenzen untersagt, e<strong>in</strong>e Anpassung.<br />

Ansonsten ist e<strong>in</strong>e erheblich Informationsasymmetrie zwischen Versicherern<br />

und Versicherten zu erwarten, was sicherlich erhebliche negative Konsequenzen<br />

für die gesamte Versicherungsbranche mit sich br<strong>in</strong>gen würde.<br />

Zurzeit sollten Versicherer die Daten aus <strong>der</strong> Forschung auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

<strong>Genetik</strong> genauestens im Auge behalten und alle neuen Entwicklungen aufmerksam<br />

verfolgen.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 23


Glossar genetischer fachterm<strong>in</strong>i<br />

Cytoplasma<br />

Substanz <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Zelle, aber außerhalb des Zellkerns, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich<br />

verschiedene Zellorganellen bef<strong>in</strong>den.<br />

A Allele<br />

Alternative Formen o<strong>der</strong> Varianten e<strong>in</strong>es Gens. Die Allele für e<strong>in</strong><br />

Merkmal besetzen den gleichen Locus o<strong>der</strong> die gleiche Position auf<br />

homologen Chromosomen und s<strong>in</strong>d somit für dasselbe Merkmal<br />

zuständig. Da sie jedoch unterschiedlich s<strong>in</strong>d, kann ihre Wirkung zu<br />

unterschiedlichen Ausprägungen e<strong>in</strong>es solchen Merkmals führen.<br />

Am<strong>in</strong>osäuren<br />

20 Moleküle, die e<strong>in</strong>e Am<strong>in</strong>o- sowie e<strong>in</strong>e Carbonylgruppe enthalten<br />

und die geme<strong>in</strong>sam die Bauste<strong>in</strong>e von Prote<strong>in</strong>en bilden.<br />

Autosomen<br />

Nicht geschlechtsbestimmende Chromosomen. Bei Menschen f<strong>in</strong>den<br />

sich 22 Paare homologer, autosomaler Chromosomen und e<strong>in</strong> Paar<br />

geschlechtsbestimmen<strong>der</strong> Chromosomen (X- und Y-Chromosomen).<br />

B Basenpaar<br />

E<strong>in</strong> Satz zweier zusammengehaltener Nukleotide auf e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

gegenüberliegenden DNA-Strängen. Adenos<strong>in</strong> und Thym<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d das<br />

e<strong>in</strong>e Basenpaar, während Cytos<strong>in</strong> und Guan<strong>in</strong> das Zweite bilden.<br />

Blend<strong>in</strong>g-Theorie<br />

E<strong>in</strong>e aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t stammende nicht korrekte Theorie<br />

über die Vererbung von Eigenschaften. Sie g<strong>in</strong>g davon aus, dass sich<br />

vererbte Merkmale von Generation zu Generation vermischen. Mit<br />

se<strong>in</strong>en Kreuzungsexperimenten <strong>bei</strong> Pflanzen gelang es Gregor Mendel,<br />

diese Theorie zu wi<strong>der</strong>legen.<br />

C Chromatid<br />

E<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> zwei identische DNA-Kopien, <strong>in</strong> die sich das Chromosom <strong>bei</strong><br />

<strong>der</strong> Mitose teilt und mit ihren Zentromeren verbunden s<strong>in</strong>d. Nach <strong>der</strong><br />

Zellteilung, werden die Stränge Tochterchromosomen genannt.<br />

Chromosom<br />

E<strong>in</strong>e stäbchenförmige Struktur eng verpackter DNA, die sich <strong>in</strong> den<br />

Zellkernen von Pflanzen und Tieren bef<strong>in</strong>det. Menschen haben 46<br />

Chromosomen <strong>in</strong> je<strong>der</strong> somatischen Zelle und 23 <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Geschlechtso<strong>der</strong><br />

Keimzelle.<br />

Clon<strong>in</strong>g<br />

Der für die Herstellung genetisch identischer Kopien e<strong>in</strong>es Organismus<br />

verwendete Vorgang.<br />

D Diploid<br />

Die meisten tierischen Zellen s<strong>in</strong>d diploid; das bedeutet, dass ihre<br />

Chromosomen <strong>in</strong> homologen Paaren vorkommen. E<strong>in</strong>e somatische<br />

Zelle des Menschen enthält 46 Chromosomen, also 23 homologe<br />

Chromosomenpaare.<br />

DNA<br />

Desoxyribonukle<strong>in</strong>säure, e<strong>in</strong> großes, organisches Molekül, das<br />

den genetischen Code für die Synthese von Prote<strong>in</strong>en speichert.<br />

DNA besteht aus, Zucker, Phosphaten und Basen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Molekularstruktur <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Doppelhelix angeordnet s<strong>in</strong>d. DNA-<br />

Segmente auf Chromosomen entsprechen bestimmten Genen.<br />

Dom<strong>in</strong>antes Allel<br />

E<strong>in</strong> Allel, das das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es rezessiven Merkmals<br />

im Phänotyp verbirgt. Dom<strong>in</strong>ante Allele für e<strong>in</strong> Merkmal treten<br />

normalerweise <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, wenn e<strong>in</strong> Individuum dom<strong>in</strong>ant<br />

homozygot o<strong>der</strong> heterozygot ist.<br />

E Expressivität<br />

Die Expressivität ist das Maß dafür, <strong>in</strong>wieweit e<strong>in</strong> Genotyp se<strong>in</strong>en<br />

phänotypischen Ausdruck f<strong>in</strong>det. Variable Expressivität ist e<strong>in</strong><br />

Phänomen verschiedener phänotypischer Ersche<strong>in</strong>ungsbil<strong>der</strong> desselben<br />

mutierten Allels <strong>bei</strong> verschiedenen Individuen.<br />

G Gamet<br />

Die Geschlechtszelle e<strong>in</strong>es Organismus, die die Hälfte <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />

<strong>der</strong> Chromosomen enthält.<br />

Gen<br />

Die fundamentale Er<strong>bei</strong>nheit : e<strong>in</strong> Abschnitt e<strong>in</strong>es Chromosoms o<strong>der</strong><br />

DNA-Stranges, <strong>der</strong> für e<strong>in</strong>e RNA-Kette codiert, die e<strong>in</strong>e Funktion im<br />

Organismus hat.<br />

Genmarker<br />

Marker für e<strong>in</strong> bestimmtes Gen, entwe<strong>der</strong> feststellbare Merkmale, die<br />

zusammen mit dem Gen vererbt werden o<strong>der</strong> charakteristische DNA-<br />

Segmente.<br />

Genkartierung<br />

Der Prozess <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Positionen von Genen auf e<strong>in</strong>em<br />

Chromosom und des Abstandes zwischen ihnen.<br />

Gentherapie<br />

Die Behandlung e<strong>in</strong>er Krankheit durch Ersetzung o<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von<br />

nicht funktionierenden Genen.<br />

24 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


<strong>Genetik</strong><br />

Die wissenschaftliche Vererbungslehre.<br />

Gentest<br />

Die Def<strong>in</strong>ition des National Human Genome Research Institute lautet:<br />

„Die Analyse von Chromosomen (D N A) Prote<strong>in</strong>en und bestimmten<br />

Metaboliten zur Entdeckung erblicher, krankheitsbezogener Genotypen,<br />

Mutationen, Phänotypen o<strong>der</strong> Karyotypen für kl<strong>in</strong>ische Zwecke.“<br />

Solche Zwecke s<strong>in</strong>d zum Beispiel die Vorhersage e<strong>in</strong>es Krankheitsrisikos<br />

und die Erstellung e<strong>in</strong>er pränatalen und kl<strong>in</strong>ischen Diagnose o<strong>der</strong><br />

Prognose.<br />

Genom<br />

Das gesamte genetische Material <strong>der</strong> Chromosomen e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Organismus.<br />

Genomkarte<br />

E<strong>in</strong>e Karte, die die Anordnung von Genen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er DNA-Marker<br />

auf den Chromosomen zeigt.<br />

Genotyp<br />

Das Erbgut e<strong>in</strong>es Individuums.<br />

Genotypische Heterogenität<br />

Genetische Variabilität unter Individuen mit ähnlichen Phänotypen.<br />

Genotyp-Phänotyp-Plastizität<br />

Das Konzept, wonach die Verb<strong>in</strong>dung von Genotyp und Phänotyp<br />

e<strong>in</strong>er breiten Variabilität mit bislang e<strong>in</strong>geschränkter Vorhersehbarkeit<br />

unterliegt.<br />

Geschlechtschromosomen<br />

Chromosomen, die das Geschlecht e<strong>in</strong>es Organismus festlegen. Frauen<br />

verfügen über zwei X-Chromosomen ; Männer haben dagegen je e<strong>in</strong><br />

X-Chromosom und e<strong>in</strong> Y-Chromosom.<br />

H Haploid<br />

Die Anzahl von Chromosomen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Keimzelle e<strong>in</strong>es Individuums.<br />

Während <strong>der</strong> Meiose wird die Anzahl <strong>der</strong> Chromosomen diploi<strong>der</strong><br />

Geschlechtszellenvorläufer durch die zufallsbed<strong>in</strong>gte „Auswahl“ e<strong>in</strong>es<br />

homologen Chromosoms halbiert, was zu haploiden Gameten führt.<br />

Helix<br />

E<strong>in</strong>e gewundene Struktur, ähnlich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Spirale; das DNA-Molekül<br />

besitzt die Form e<strong>in</strong>er Doppelhelix, das heißt zwei Spiralen, die sich<br />

ume<strong>in</strong>an<strong>der</strong> w<strong>in</strong>den.<br />

Heterozygot<br />

E<strong>in</strong> aus zwei verschiedenen Allelen e<strong>in</strong>es Gens für e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Merkmal (Aa) bestehen<strong>der</strong> Genotyp.<br />

Homolog<br />

Homologe Chromosomen s<strong>in</strong>d Chromosomenpaare von etwa gleicher<br />

Länge und Zentromerposition mit Genen für die gleiche Eigenschaft<br />

o<strong>der</strong> das gleiche Merkmal an den entsprechenden Loci.<br />

Homozygot<br />

Beide Chromosomen e<strong>in</strong>es homologen Chromosomenpaars haben<br />

das gleiche Allel am selben Locus. Homozygot bezeichnet ebenso<br />

e<strong>in</strong>en Genotyp, <strong>der</strong> aus zwei identischen Allelen e<strong>in</strong>es Gens für<br />

e<strong>in</strong> bestimmtes Merkmal besteht. E<strong>in</strong> Individuum kann homozygot<br />

dom<strong>in</strong>ant (AA) o<strong>der</strong> homozygot rezessiv (aa) se<strong>in</strong>. Individuen, die<br />

<strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> Merkmal homozygot s<strong>in</strong>d, werden als Homozygote<br />

bezeichnet.<br />

Humangenomprojekt (HGP)<br />

Internationales Forschungsprojekt zur Identifizierung und Kartierung<br />

aller Gene des menschlichen Körpers.<br />

Hybride<br />

Nachkommen, die das Ergebnis <strong>der</strong> Paarung zweier genetisch<br />

unterschiedlicher Typen von Elternteilen s<strong>in</strong>d – Gegensatz zu re<strong>in</strong>rassig.<br />

K Katalysatoren<br />

Katalysatoren s<strong>in</strong>d Stoffe, die die Geschw<strong>in</strong>digkeit e<strong>in</strong>er chemischen<br />

Reaktion erhöht, ohne <strong>bei</strong> dieser Reaktion selbst verbraucht zu<br />

werden. In <strong>der</strong> Praxis ist die Geschw<strong>in</strong>digkeit <strong>der</strong> meisten chemischen<br />

Reaktionen, die <strong>in</strong> lebenden Zellen stattf<strong>in</strong>den, so ger<strong>in</strong>g, dass man<br />

sie vernachlässigen kann. Nur <strong>bei</strong> Vorhandense<strong>in</strong> enzymatischer<br />

Katalysatoren wird die Reaktion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Maße beschleunigt, dass sie<br />

als signifikant angesehen werden kann. Es ist nichts Ungewöhnliches,<br />

dass da<strong>bei</strong> e<strong>in</strong>e Geschw<strong>in</strong>digkeit erreicht wird, die mehrere Tausend<br />

Mal über <strong>der</strong> Basel<strong>in</strong>e liegt. Faktisch bedeutet dies, dass Enzyme als<br />

molekulare „Schalter“ agieren, die chemische Reaktionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zelle<br />

aktivieren können.<br />

L Locus (Plural: Loci)<br />

Der Standort e<strong>in</strong>es Gens o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er signifikanten DNA-Sequenz auf<br />

e<strong>in</strong>em Chromosom.<br />

M Meiose<br />

Die Teilung <strong>der</strong> genetischen Informationen <strong>in</strong> reproduktiven Zellen,<br />

die dazu führt, dass die Anzahl <strong>der</strong> Chromosomen somatischer Zellen<br />

halbiert wird.<br />

Mendelsche Vererbungslehre<br />

Vererbungsmuster, die mit e<strong>in</strong>fachen Regeln <strong>der</strong> Dom<strong>in</strong>anz und<br />

Rezessivität von Genen erklärt werden können.<br />

Menschliches Genom<br />

Die Gesamtheit <strong>der</strong> Gene, die erfor<strong>der</strong>lich s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en Menschen zu<br />

erzeugen.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 25


Glossar genetischer fachterm<strong>in</strong>i<br />

Merkmal<br />

Physische Eigenschaft e<strong>in</strong>es Organismus, festgelegt durch e<strong>in</strong> Gen.<br />

Mitochondrien<br />

„Zellkraftwerke“, die sich im Cytoplasma von Zellen bef<strong>in</strong>den, die<br />

e<strong>in</strong>en Großteil des Adenos<strong>in</strong>triphosphates (ATP) erzeugt, das als<br />

Energiequelle verwendet wird. Obwohl <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> DNA e<strong>in</strong>er<br />

Zelle <strong>in</strong> ihrem Kern enthalten ist, hat das Mitochondrium se<strong>in</strong>e eigene,<br />

unabhängige DNA, die <strong>der</strong> von Bakterien <strong>in</strong> erheblichem Maße ähnelt.<br />

Mitochondriale DNA<br />

Mitochondrien werden primär über die mütterliche L<strong>in</strong>ie vererbt.<br />

Typischerweise trägt e<strong>in</strong> Spermium Mitochondrien <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schwanz<br />

als Energiequelle für se<strong>in</strong>e lange Reise zur Eizelle. Wenn sich das<br />

Spermium <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Befruchtung an das Ei anhaftet, fällt <strong>der</strong> Schwanz<br />

ab, so dass die Mitochondrien, die <strong>der</strong> neue Organismus erhält, nur<br />

aus dem Ei <strong>der</strong> Mutter stammen. An<strong>der</strong>s als <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Kern-DNA wird<br />

mitochondriale DNA nicht <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Generation gemischt, so dass<br />

angenommen werden kann, dass sie sich weniger schnell verän<strong>der</strong>t,<br />

was für die Erforschung <strong>der</strong> menschlichen Evolution von Nutzen ist.<br />

Molekül<br />

E<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation aus Atomen sowie <strong>der</strong> grundlegende Bauste<strong>in</strong> von<br />

DNA und RNA. Jedes Molekül hat se<strong>in</strong>e eigene Form und b<strong>in</strong>det sich<br />

nur an bestimmte an<strong>der</strong>e Moleküle, um die DNA-Helix zu bilden.<br />

Mutation<br />

Verän<strong>der</strong>ung im genetischen Code, die neue Allele e<strong>in</strong>es Gens<br />

hervorbr<strong>in</strong>gt. Solche Verän<strong>der</strong>ungen können aus umweltbezogenen<br />

Gründen o<strong>der</strong> über längere Zeiträume h<strong>in</strong>weg im Rahmen <strong>der</strong><br />

Evolution auftreten.<br />

N Nukleotide<br />

DNA o<strong>der</strong> RNA-E<strong>in</strong>heiten, bestehend aus e<strong>in</strong>er chemischen Base plus<br />

e<strong>in</strong>em Phosphat-Molekül und e<strong>in</strong>em Zucker-Molekül.<br />

Nucleus<br />

Der Kern e<strong>in</strong>er Zelle, <strong>in</strong> dem sich die gesamte, <strong>in</strong> Chromosomen<br />

verpackte DNA bef<strong>in</strong>det.<br />

P Penetranz<br />

E<strong>in</strong> und dieselbe Mutation f<strong>in</strong>det nicht <strong>bei</strong> allen Individuen, die sie<br />

tragen, ihren Ausdruck; wenn sie zum Ausdruck kommt, geschieht dies<br />

nicht immer auf die gleiche Art und Weise. Penetranz misst den Anteil<br />

e<strong>in</strong>er Population von Individuen, die e<strong>in</strong> krankheitsverursachendes<br />

Allel tragen und den dazugehörigen Krankheitsphänotyp<br />

aufweisen. Expressivität misst das Maß, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Genotyp se<strong>in</strong>en<br />

phänotypischen Ausdruck f<strong>in</strong>det. Darüber h<strong>in</strong>aus lassen sich sowohl<br />

Penetranz als auch Expressivität verschiedener Krankheiten teilweise<br />

durch die Wirkung von Genmodifikatoren erklären.<br />

Phänotyp<br />

Ererbte beobachtbare o<strong>der</strong> auff<strong>in</strong>dbare genotypische Merkmale e<strong>in</strong>es<br />

Organismus.<br />

Phänotypische Heterogenität<br />

Phänotypische Variabilität unter Individuen mit ähnlichen Genotypen.<br />

Polymerase-Kettenreaktion<br />

E<strong>in</strong>e Gentechnik, die dazu verwendet wird, DNA-Segmente<br />

millionenfach zu vervielfältigen; diese Technik wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forensik<br />

sowie <strong>bei</strong> chemischen und biologischen Experimenten e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Proband<br />

Das erste Individuum e<strong>in</strong>er Familie, das e<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>ische Krankheit<br />

entwickelt, die manchmal auch als <strong>der</strong> Indexfall bezeichnet wird.<br />

Prote<strong>in</strong><br />

E<strong>in</strong>e Kette von Am<strong>in</strong>osäuren; Beispiele hierfür s<strong>in</strong>d etwa Hormone,<br />

Enzyme und Antikörper.<br />

R Rezessives Allel<br />

E<strong>in</strong> Allel, das im Phänotyp durch das Vorhandense<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es dom<strong>in</strong>anten<br />

Allels verborgen bleibt. Rezessive Allele f<strong>in</strong>den im Phänotyp ihren<br />

Ausdruck, wenn <strong>der</strong> Genotyp homozygot-rezessiv ist (aa).<br />

Ribosome<br />

E<strong>in</strong>e Organelle, die Prote<strong>in</strong> <strong>in</strong> Zellen produziert.<br />

RNA<br />

Ribonukle<strong>in</strong>säure, ähnlich <strong>der</strong> DNA, abgesehen davon, dass sie Ribose<br />

anstelle des Desoxiribosezuckers enthält und Uracil anstelle von Thym<strong>in</strong><br />

als Stickstoffbase.<br />

S Somatische Zellen<br />

Alle Körperzellen mit Ausnahme <strong>der</strong> Keimzellen.<br />

T Träger<br />

E<strong>in</strong> Individuum, das <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong> Merkmal, das nur im Phänotyp<br />

homozygot-rezessiver Individuen auftritt, heterozygot ist. Häufig<br />

weisen Träger ke<strong>in</strong>erlei Anzeichen des Merkmals auf, können es jedoch<br />

an ihre Nachkommen weitergeben. Dies ist <strong>bei</strong>spielsweise <strong>der</strong> Fall <strong>bei</strong><br />

Frauen, die Träger<strong>in</strong>nen des Gens für Hämophilie s<strong>in</strong>d, selbst aber nicht<br />

daran leiden.<br />

U Unvollständige Penetranz<br />

Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Allel nur dann se<strong>in</strong>en Ausdruck f<strong>in</strong>det, wenn<br />

gewisse Faktoren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt vorhanden s<strong>in</strong>d. Die Auslösung<br />

von erblichem Diabetes durch Adipositas und möglichen starken<br />

emotionalen Stress ist hier e<strong>in</strong> Beispiel.<br />

26 November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung


V Variable Expression<br />

Variabilität <strong>bei</strong> den beobachtbaren Charakteristika <strong>bei</strong> Trägern e<strong>in</strong>er<br />

identischen Mutation.<br />

Variable Penetranz<br />

Variabilität des Anteils von genotypisch identischen Individuen, die die<br />

Krankheit im Phänotyp aufweisen.<br />

X X-gebunden<br />

Bezieht sich auf e<strong>in</strong> Gen, das auf e<strong>in</strong>em X-Geschlechtschromosom<br />

getragen wird. E<strong>in</strong> typisches Beispiel hierfür ist die Hämophilie.<br />

Z Zentromer<br />

E<strong>in</strong> Zentromer ist e<strong>in</strong> DNA-Bereich, <strong>der</strong> typischerweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe<br />

<strong>der</strong> Mitte e<strong>in</strong>es Chromosoms zu f<strong>in</strong>den ist, wo zwei identische<br />

Schwesterchromatide am engsten <strong>in</strong> Kontakt stehen.<br />

Zygote<br />

E<strong>in</strong> „befruchtetes“ Ovum. Genauer gesagt, handelt es sich da<strong>bei</strong><br />

um e<strong>in</strong>e Zelle, die gebildet wird, wenn e<strong>in</strong> Spermium und e<strong>in</strong> Ovum<br />

ihre Chromosomen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Empfängnis mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> komb<strong>in</strong>ieren.<br />

E<strong>in</strong>e Zygote enthält die gesamte Chromosomenausstattung (<strong>bei</strong>m<br />

Menschen 46) und hat das Potenzial zur Entwicklung e<strong>in</strong>es gesamten<br />

Organismus.<br />

November 2013 <strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung 27


<strong>Grundzüge</strong> <strong>der</strong> <strong>Genetik</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Risikoprüfung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung<br />

Autoren<br />

SCOR Global Life<br />

Assmann-Stiftung für Prävention<br />

Redaktion<br />

Gilles Meyer<br />

life@scor.com<br />

© 2013 – ISSN: 1959-7703<br />

SCOR Global Life SE<br />

Societas Europaea mit e<strong>in</strong>em Grundkapital von 274.540.000 EUR<br />

5, avenue Kléber<br />

75795 Paris Cedex 16 – France<br />

RCS Paris 433 935 558<br />

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