Forum 3 - Personalkonzept HMA
Forum 3 - Personalkonzept HMA
Forum 3 - Personalkonzept HMA
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Anke Maikranz-Boenig<br />
Besondere Einrichtungen benötigen besondere Mitarbeiter!!!!!!<br />
Die jahrelange Arbeit und die Erfahrungen im Bereich der Gerontopsychiatrie<br />
haben gezeigt, dass die besten baulichen Voraussetzungen allein nicht garantieren,<br />
dass sich Menschen zu Hause fühlen, sondern, dass dies überwiegend<br />
von den Mitarbeitern abhängig ist.<br />
Das Bewohnerklientel von Haus Mutter Anna besteht aus Menschen mit Demenz<br />
und Menschen mit anderen gerontopsychiatrischen Erkrankungen. Unser<br />
Ziel ist es, Menschen auch bei weit fortgeschrittenen Stadien dieses<br />
Krankheitskomplexes ein lebenswertes zu Hause in einer beschützten Umgebung<br />
zu bieten.<br />
Die Menschen leben in insgesamt fünf Zwölfer-Gruppen, die völlig autonom<br />
ihren Alltag gestalten. Jede Gruppe hat ihre eigene, sehr unterschiedliche<br />
Dynamik.<br />
Bei der Auswahl der Mitarbeiter haben wir klare Erwartungen definiert. Neben<br />
der Fachlichkeit müssen die Bewerber im Bereich der sozialen Kompetenz<br />
überzeugen. Damit verbinden wir folgende Elemente<br />
• Innere Ruhe und Gelassenheit<br />
• Ungezwungenheit in der Kontaktaufnahme<br />
• Professionelle Einstellung zu Nähe und Distanz<br />
• Denken und Handeln in Teamzusammenhängen<br />
Die Haupterwartung ist jedoch die, dass es einem Mitarbeiter gelingt, in den<br />
Schuhen eines Menschen mit Demenz zu stehen. Dies ermitteln wir durch<br />
konkrete Fragen. Dieser Anspruch wird an jeden Bewerber gestellt, unabhängig<br />
davon, in welcher Abteilung oder in welcher Funktion er arbeiten wird.<br />
Die Anzahl der entsprechenden Bewerbungen ist seit bestehen der Einrichtung<br />
ungewöhnlich hoch.<br />
Menschen mit Demenz benötigen die Mitarbeiter um sich wohl fühlen zu können.<br />
Eine Objektpflege, in denen die Bewohner stören und zum Beispiel aus<br />
den Dienstzimmern verwiesen werden, sind als Maßnahmen in dieser<br />
Betreuungsform abzulehnen.<br />
Es fällt vielen Mitarbeitern schwer, barrierefrei zu pflegen und sich nicht, zum<br />
Beispiel durch weiße Dienstkleidung, vom Bewohner zu distanzieren.<br />
Bewerber mit erkennbarem Helfersyndrom oder Menschen die durch ihr auftreten<br />
den Eindruck vermitteln dass sie gern Macht ausüben, werden in Haus<br />
Mutter Anna nicht beschäftigt.<br />
Es ist eine bekannte Gegebenheit, dass in vielen sozialen Berufen einzelne<br />
Mitarbeiter beschäftigt sind, die ihren Aufgaben nicht gewachsen sind und zu<br />
Überreaktionen gegenüber den Bewohnern neigen. Viele Leitungskräfte<br />
scheuen sich, dies zu thematisieren.
Auch mir fällt es nicht leicht, mich von Mitarbeitern zu trennen. Es wird jedoch<br />
sehr einfach, wenn man das Bewohnerwohl vor das Mitarbeiterwohl stellt.<br />
Dann wird schnell klar, welcher Weg zu gehen ist.<br />
In <strong>HMA</strong> ist trotz, oder gerade wegen klarer Linien, die Fluktuation auffallend<br />
gering. Fast alle Bewerber arbeiten vor ihrem Einstieg zur Probe.<br />
Im Gegenzug zu diesen Erwartungen bieten die Führungskräfte eine Personalbetreuung,<br />
die, genau wie das Betreuungskonzept, auf dem personenzentrierten<br />
Ansatz nach Tom Kitwood aufgebaut ist.<br />
Dieser beschreibt immer wieder, dass Menschen gewisse Grundbedürfnisse<br />
haben, die in der Demenz über die Betreuungspersonen erfüllt werden sollten.<br />
In den letzten Jahren stellte ich immer mehr fest, dass diese Grundbedürfnisse<br />
auch in der Personalführung Berücksichtigung finden sollten. Dazu<br />
gehören unter anderem Dinge wie Empathie und Echtheit.<br />
In Haus Mutter Anna sind die Mitarbeiter-Strukturen klar und gradlinig. Es gibt<br />
keine unnötigen Schnittstellen. Dies spart Arbeitszeit und unnötige Besprechungen.<br />
Das Arbeiten in einem solchen System erfordert absolut transparentes und<br />
vertrauensvolles Miteinander, vor allem auf der Führungsebene.<br />
Einige Beispiele soll dies verdeutlichen:<br />
Die PDL ist gleichzeitig: stellv. EL, QMB, Beschwerdemanagerin, Leitung des<br />
sozialen Dienstes, Ansprechpartnerin der Haustechnik.<br />
Dies lässt vermuten, dass dies nur auf dem Konzeptpapier funktioniert.<br />
Aber wir haben damit positive Erfahrungen.<br />
Das Personal-Konzept in Haus Mutter Anna basiert drauf, dass alle Mitarbeiter<br />
in der Führungsebene vielfältige Aufgaben übernehmen können. So können<br />
zum Beispiel die Hauswirtschaftsleiterin oder die Mitarbeiterin der Verwaltung<br />
umfassende Informationen über das Pflegekonzept an Angehörige<br />
vermitteln. Im Gegenzug können die PDL, die stellv. PDL und der Mitarbeiter<br />
des SD eine Heimaufnahme vollständig abwickeln und dabei auch detaillierte<br />
Angaben über die hauswirtschaftliche Versorgung oder die Verwaltungsabläufe<br />
machen.<br />
Dies funktioniert nur durch einen sehr kollegialen Umgang. In diesem Modell<br />
ist nicht vorgesehen, das einzelne nur auf die in ihrer Stellenbeschreibung<br />
festgelegten Tätigkeiten pochen, sondern gemeinsam, für die Steuerung der<br />
Einrichtung verantwortlich sind. In Urlaubs- oder Krankheitssituationen ist es<br />
zum Beispiel üblich, dass die Hauswirtschaftsleitung oder der Mitarbeiter des<br />
sozialen Dienstes als erste Ansprechpartner für die Pflegemitarbeiter benannt<br />
werden. Der Austausch ist intensiv und erfolgreich.<br />
Die Mitarbeiterinnen der Hauswirtschaft und Raumpflege sind in die Teams
der Wohngruppe integriert. Es gibt keine Fremdfirma, mit wechselnden Mitarbeitern.<br />
(es stellt sich übrigens immer weiter heraus, dass dies nicht mehr<br />
Geld kostet). Die Hauswirtschaftsleiterin ist eng in die Konzeptgestaltungen<br />
mit einbezogen. Empfindlichkeiten zwischen den Bereichen Pflege und<br />
Hauswirtschaft treten auch durch diese enge Zusammenarbeit nicht auf.<br />
Unsere Raumpflegerinnen sind in der Lage völlig entspannt zu reagieren,<br />
wenn Ihnen ihre Putzwagen abgeräumt werden. Auch eine immer wieder<br />
notwendige Anpassung ihrer Arbeitzeiten wird gelassen aufgenommen, da<br />
klar ist, dass die Bewohner unseren Rhythmus bestimmen dürfen und nicht<br />
umgekehrt.<br />
Trotz des herausfordernden Klientels ist es sehr erfreulich, dass sich die Gespräche<br />
der Hauswirtschaftsmitarbeiter wesentlich mit den bereichspezifischen<br />
Aufgaben beschäftigen. Verhaltensformen der Bewohner werden verstanden,<br />
auch wenn sie den Arbeitsablauf blockieren.<br />
Die Arbeitszeiten der Mitarbeiter werden ausschließlich im Rahmen von<br />
Wohngruppenbesprechungen definiert und verändert.<br />
Sie ergeben sich stets aus veränderten Bewohnersituationen. Als PDL/WBL<br />
geben wir vor, wie viel Arbeitsstunden aktuell verplant werden dürfen und die<br />
Gruppe legt fest, wie diese eingeteilt werden. (ein Grund für eine Arbeitszeit<br />
Veränderung kann zum Beispiel eine Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus<br />
einzelner Bewohner sein.)<br />
Im Gegenzug zu den Ansprüchen der Bewohner gelingt es, viele private<br />
Wünsche der Kollegen zu berücksichtigen. Hier ist ein Geben und Nehmen<br />
entstanden, dass von allen Beteiligten getragen wird.<br />
In <strong>HMA</strong> gibt es kein Nachtdienst-Team. Dadurch ist umfangreich vermieden,<br />
dass Informationen über die Bewohner nicht bekannt sind. Eine individuelle,<br />
bewohnerorientierte Begleitung und Versorgung ist sichergestellt.<br />
Die Hauptbasis für eine positive Umsetzung dieses<br />
ungewöhnlichen Modells ist jedoch, dass die Grundhaltung<br />
den Bewohnern gegenüber bei den Mitgliedern<br />
der Führungsebene identisch ist.<br />
Dieses Modell überträgt sich auch in die einzelnen Wohngruppen.<br />
Die Mitarbeiter arbeiten in einem hohen Maße eigenverantwortlich.<br />
Es wird erwartet, dass sie Aufgaben und Abläufe der pflegerischen Maßnahmen,<br />
der psycho-sozialen Betreuung, der hauswirtschaftlichen Versorgung<br />
und der Beschäftigung umfassend überblicke, planen und auswerten.<br />
Dabei gelingt es durch empathisches und zeitnahes Reagieren, den Einzelnen<br />
nicht allein zu lassen.<br />
Es ist Gang und Gäbe, dass die WBL/PDL nachts angerufen werden, wenn<br />
es besondere Situationen mit herausforderndem Verhalten gibt.
Bei monatlich stattfindenden Fallbesprechungen werden auch die persönlichen<br />
Gefühle der Mitarbeiter mit aufgegriffen, ohne dass der Charakter einer<br />
Selbsthilfegruppe entsteht.<br />
(Beispiel: Eine Angehörige beschimpfte aufgrund eines fehlenden Kleidungsstückes<br />
eine Mitarbeiterin derart unangemessen, dass die Kollegin in der<br />
Fallbesprechung offen weinte und sagte: Mich hat noch nie ein Mensch so<br />
angeschrieen wie diese Frau! Gemeinsam legte die Gruppe fest, wie in solchen<br />
Situationen reagiert werden sollte).<br />
Einmal monatlich findet ein durch die PDL gesteuerter Workshop für alle Mitarbeiter<br />
der Wohngruppen und des SD statt. Dieser Workshop dient dazu, die<br />
Pflegedokumentation zu überarbeiten und sich dabei mit den Kollegen zu beraten.<br />
Dabei entsteht meist ein individueller Austausch, bei dem auch die persönlichen<br />
Sorgen und Nöte Gehör finden und nicht nur die Bewohnerbelange.<br />
Es ist nach meiner persönlichen Einschätzung ein nicht zu unterschätzender<br />
positiver Effekt, wenn sich die PDL umfassend in den Ansprüchen die sie an<br />
die Mitarbeiterinnen stellt, auskennt.<br />
Es ist sehr ungünstig, Dinge von den Mitarbeitern einzufordern, die von den<br />
Führungskräften nicht beherrscht werden.<br />
Dies gilt vor allem im Bereich der professionellen Kommunikation gegenüber<br />
den Bewohnern, aber auch gegenüber den Mitarbeitern. Die fachliche Umsetzung<br />
aller MDK Richtlinien müssen von der PDL vorgelebt werden.<br />
Ich habe gelernt, dass die Kollegen in Haus Mutter Anna das Hauptziel haben,<br />
ihren Job gut zu machen. Mehr kann man als PDL nicht geschenkt bekommen.<br />
Ich schaffe im Gegenzug entspannte Arbeitsbedingungen.<br />
Als kleine Anerkennungen gehen wir in <strong>HMA</strong> ungewöhnliche Wege. Neben<br />
der ständigen Ansprechbarkeit der Führungsebene, schafften es<br />
die WBL, PDL und HWL im vergangenen Winter, für jeden Mitarbeiter ein individuelles,<br />
kleines Weihnachtsgeschenk zu besorgen. Dies kam sehr gut an<br />
und bedeutet dem Einzelnen mehr, als ein Betriebsausflug, oder eine Belobigung<br />
in der Mitarbeiterzeitung.<br />
In Haus Mutter Anna wird den Mitarbeitern deutlich mehr abverlangt, als in<br />
anderen Einrichtungen. Nicht nur das Klientel fordert eine umfassende Beziehungsarbeit,<br />
auch die Angehörigen haben teilweise sehr hohe Ansprüche.<br />
Ich möchte Frau Sowinski zitieren. Sie verglich die Angehörigen in den Hausund<br />
Wohngemeinschaften mit den Eltern von Waldorff-Kindern. Diese Angehörigen<br />
erwarten professionelle und fachlich fundierte Antworten auf ihre<br />
Fragen.<br />
Dabei ist es unwichtig, ob die Mitarbeiter gerade eine wichtige Aufgabe erledigen<br />
müssen. In solchen Momenten ist es eine große Hilfe, dass auch die<br />
Präsenzkräfte oder die Kollegen des SD umfassende Antworten geben können<br />
und der Focus nicht allein auf die Pflegekraft gerichtet ist.<br />
Es gab in zwei Jahren <strong>HMA</strong> keine einzige Beschwerde darüber, dass Kolle-
gen eine Frage nicht beantworten konnten. (Beispiel: keiner weiß Bescheid).<br />
Die WBL/PDL betreuen die Angehörigen eng mit.<br />
Angehörige werden generell sehr eng eingebunden und binden uns auch<br />
sehr häufig eng in ihre Familiengeschichte mit ein.<br />
Als der Ehemann einer Bewohnerin an einem Krebsleiden erkrankte ermöglichten<br />
die Mitarbeiter, dass dieser zu Hause von seiner Ehefrau Abschied<br />
nehmen konnte. Er hatte über viele Jahre seine Ehefrau tgl. besucht und hatte<br />
einen engen Kontakt zu den Mitarbeitern.<br />
Seine Frau, die sich seit Jahren im schweren Stadium einer Demenz befindet,<br />
wurde mehrfach mit unserem Bus zu ihm gebracht und die ganze Familie<br />
nahm Abschied.<br />
Dabei brachten die Mitarbeiter ihre seelsorgerischen Fähigkeiten im Rahmen<br />
einer Sterbebegleitung zum Einsatz. An einem Menschen, der nie in Haus<br />
Mutter Anna wohnte.<br />
Eine solche Aufgabe leisten nur Kollegen, die zu einer Beziehungsarbeit in<br />
der Lage sind.<br />
Vermutlich wird das Pflegeversicherungsgesetz dies nicht finanzieren und<br />
eine solche Tätigkeit in keiner Stellenbeschreibung zu finden sein. Aber dies<br />
ist genau das, was ich meine.<br />
Es ist eine klare Erkenntnis, dass Teams die sich gut betreut und liebevoll<br />
respektiert fühlen, ihre Bewohner auch auf diese Art pflegen.<br />
Die größte Anerkennung erhielten wir in den letzten Monaten dadurch, dass<br />
wir bei sieben Verstorbenen BewohnerInnen eine Danksagung in der Tageszeitung<br />
erhielten. Dabei wurde unter anderem erwähnt, dass die Würde des<br />
Menschen das höchste Gut der Mitarbeiter darstellt. Da würde ich doch sagen:<br />
Konzept gelungen!!!!<br />
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch den ganz persönlichen Leitsatz von mir<br />
als PDL vorstellen. Ich lese ihn jeden Morgen, um zu vermeiden, mich im<br />
rahmen aller Anforderungen die von außen am mich gestellt werden, zu verbiegen.<br />
Den Charakter eines Menschen erkennt man dann,<br />
wenn er Vorgesetzter geworden ist<br />
Erich Maria Remarque