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NWZ Göppingen<br />

Göppingen<br />

Der Lotse der Unfallchirurgie geht<br />

Ein Schnitt, der auch einem Chirurgen schwer fällt: Professor Christoph Ulrich, langjähriger Ärztlicher<br />

Direktor und Chefarzt der Unfallchirurgie der Klinik am Eichert, wird am Dienstag in den Ruhestand verabschiedet.<br />

Autor: JOA SCHMID | 30.04.2013<br />

Foto: Giacinto Carlucci Wehmütiger Abschied: Professor Dr. Christoph Ulrich, langjähriger Ärztlicher Direktor und Chefarzt der<br />

Unfallchirurgie an der Göppinger Klinik am Eichert, wird heute in den Ruhestand verabschiedet.<br />

Als begeisterter Hobbysegler weiß Professor Dr. Christoph Ulrich natürlich, wann der Lotse von Bord gehen<br />

muss: Weh tut es trotzdem. Der Mediziner aus Leidenschaft hat die Unfallchirurgie in der Klinik am Eichert als<br />

Oberarzt und seit 1992 als Chefarzt auf einen hervorragenden Stand gebracht. Aus dem Segelboot ist eine veritable<br />

Yacht geworden, die er jetzt altershalber verlassen muss. Entsprechend wehmütig sei ihm <strong>zum</strong>ute, sagt der<br />

65-Jährige und versucht sich durch die Umzugskartons in seinem Büro im Erdgeschoss des Göppinger Krankenhauses<br />

zu kämpfen. Andererseits weiß der Spezialist für Wirbelsäulen-Verletzungen, dass sich die Unfallchirurgie<br />

in unternehmerisch geführten Kliniken nicht rechnet: "Die bringt nur Ruhm und Ehre, aber kein Geld." Deswegen<br />

werde sie zugunsten der Orthopädie zurück gebaut.<br />

Das war am 1. Januar 1987, als der junge Mediziner, als Erster Oberarzt unter Professor Teubner an der Klinik<br />

begonnen hat, genau umgekehrt. Wie seine drei Brüder, die Pfarrer, Lehrer und Psychotherapeut geworden sind,<br />

wollte der Pfarrerssohn, dessen Vater das Diakonische Werk in Stuttgart geleitet hat, einen sozialen Beruf ergreifen.<br />

Nach seinem Studium in Hamburg und Tübingen und der Habilitation an der Ulmer Uniklinik machte sich der<br />

gebürtige Braunschweiger daran, die Unfallchirurgie in Göppingen zu modernisieren. Für jemand, der anfangs im<br />

Operationssaal kollabierte, wenn er Blut gesehen hat, eine erstaunliche Karriere. Gelöst hat er das Problem, wie<br />

die meisten Schwierigkeiten in seinem Leben mit einer Portion Sturheit und eisernem Willen. "Ich habe mir so<br />

lange Operationen angesehen, bis es mir nichts mehr ausgemacht hat", erinnert sich der groß gewachsene Mann<br />

mit einem spitzbübischen Grinsen an sein "therapeutisches Training". Ein Kollege hatte ihn immer aufgefangen,<br />

wenn er bei einer OP umzufallen drohte.<br />

Diese Gefahr besteht nicht mehr. Der Professor gilt als ausgezeichneter Unfallchirurg und besonnener Chefarzt,<br />

den so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Die Faszination daran, wie man einen schwerverletzten Körper nach<br />

einem Unfall medizinisch wieder herstellen kann, ohne dabei den Menschen aus dem Blick zu verlieren, hat er<br />

sich bis heute bewahrt. Dass es ihm gelungen ist, die Methoden der Unfall- und speziell der Wirbelsäulenchirurgie<br />

in Göppingen immer <strong>weiter</strong> zu verbessern, macht ihn stolz. Wie viele Unfallopfer es ihm zu verdanken haben,<br />

dass ihnen eine Querschnittlähmung erspart blieb, weiß keiner.


Anfangs habe man ein bis zwei Patienten pro Woche mit entsprechenden Verletzungen in andere Krankenhäuser<br />

verlegt, "weil wir es selbst nicht konnten". Das sollte sich ändern: Die Zahl der erfolgreich an der Wirbelsäule<br />

operierten Patienten stieg unter seiner Ägide von 0 auf aktuell 400 Fälle pro Jahr.<br />

Dass man das Leid der Unfallopfer und ihrer Angehörigen nicht zu sehr an sich heranlassen darf, gilt unter Ärzten<br />

als Binsenweisheit. Trotzdem passiert es - auch Professor Ulrich. Drei Fälle sind ihm in Erinnerung geblieben. Ein<br />

16-jähriger Junge, der bei einer Treibjagd von seinem Onkel erschossen wurde - "Da habe ich geweint" - ein<br />

junges Mädchen, das von einem Pferd getreten wurde und an der Unfallstelle starb, und ein Mädchen, das nach<br />

einem Sturz vom Pferd wie Samuel Koch vom Hals an querschnittgelähmt war. "Mir ging das sehr nahe, was ich<br />

da gesehen habe." Das war bei seinen Auslandsaufenthalten als Arzt in Krisengebieten, beispielsweise im Nahen<br />

Osten, nicht anders. Trotzdem überwiegen die positiven Erinnerungen. Beispielsweise an das Jahr 1994, als er<br />

als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie in der Göppinger Stadthalle einen Kongress<br />

eröffnete.<br />

Trotz eines Zwölfstundentages ist der engagierte Mediziner als Gerichtsgutachter aktiv. Dass er die deutsche<br />

Sprache und die Kommunikation zu seinen Hobbys zählt, kommt ihm als Mitherausgeber einer internationalen<br />

Zeitschrift für Wirbelsäulenchirurgie zugute.<br />

Zehn Jahre - von 1995 bis 2005 - war er nicht nur der Chefarzt der Unfallchirurgie, sondern auch Ärztlicher Direktor<br />

der Klinik am Eichert, kümmerte sich um Verwaltungsaufgaben und kämpfte "mit einem riesigen Investitionsstau".<br />

Manchmal ist der Freund der gepflegten Ironie auch übers Ziel hinaus geschossen: "Ich habe Leute angegriffen,<br />

die es nicht verdient haben."<br />

Dass bei einem Leben auf der Überholspur die Familie auf der Strecke bleibt, zählt zu den Erfahrungen, die der<br />

Professor nicht noch einmal machen will. Seine erste Ehe wurde geschieden, als die fünf Kinder erwachsen waren.<br />

Mit seiner jetzigen Partnerin, mit der er zwei noch junge Kinder hat, will er es besser machen. Zeit genug hat<br />

er jetzt. Und als begeistertem Skifahrer und als Mensch, der das Reisen wie das Segeln liebt, dürften ihm die<br />

Ideen dafür nicht ausgehen.

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