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IDA aktuell gekürzt - Deutsches Zentrum für Altersfragen

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Wohnraum- und Wohnumfeldgestaltung<br />

im demografischen Wandel<br />

Elke Pahl-Weber behandelt im Beitrag<br />

„Wohnen bleiben – ein Plädoyer <strong>für</strong> Wohnen<br />

und Quartiersleben im Alter“ die räumlichen<br />

Dimensionen ‚sorgender Gemeinschaften‘.<br />

Uta-Stock-Gruber und Christoph Jensen<br />

stellen ein Stadtumbauprojekt der Studierenden<br />

A. Glaß, I. Graf und H. Schramm „Gemeinsam<br />

altern. Zusammen jung bleiben“<br />

vor, das den 1. Preis des Wettbewerbs<br />

‚Altersgerecht Bauen und Wohnen –<br />

Barrierefrei, quartierbezogen, integrativ‘<br />

gewann. Maria Weigand behandelt das<br />

Thema „Zu Hause daheim – der bayerische<br />

Weg“ und veranschaulicht verschiedene<br />

Handlungsfelder des seniorenpolitischen<br />

Gesamtkonzepts <strong>für</strong> Bayern.<br />

informationsdienst<br />

altersfragen<br />

ISSN 1614-3566<br />

A 20690E<br />

Heft 05, September / Oktober 2013<br />

40. Jahrgang<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Zentrum</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Altersfragen</strong><br />

05


2<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

3 Wohnraum- und Wohnumfeldgestaltung<br />

im demografischen Wandel<br />

Cornelia Au und Doris Sowarka<br />

Aus der Altersforschung<br />

6 Wohnen bleiben – ein Plädoyer <strong>für</strong><br />

Wohnen und Quartiersleben im Alter<br />

Elke Pahl-Weber<br />

12 Kurzinformationen aus der Altersforschung<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

14 Gemeinsam altern. Zusammen jung<br />

bleiben<br />

Uta Stock-Gruber und Christoph Jensen<br />

20 Zu Hause daheim – der bayerische Weg<br />

Maria Weigand<br />

25 Kurzinformationen aus Politik und<br />

Praxis der Altenhilfe<br />

27<br />

Aus dem Deutschen <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Altersfragen</strong><br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Altersfragen</strong><br />

Manfred-von-Richthofen-Straße 2<br />

12101 Berlin<br />

Telefon (030) 260 74 00, Fax (030) 785 43 50<br />

DZA im Internet:<br />

www.dza.de<br />

Presserechtlich verantwortlich:<br />

Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer<br />

Redaktion:<br />

Cornelia Au und Dr. Doris Sowarka<br />

ida@dza.de<br />

Gestaltung und Satz:<br />

Mathias Knigge (grauwert, Hamburg)<br />

Kai Dieterich (morgen, Berlin)<br />

Druck:<br />

Fatamorgana Verlag, Berlin<br />

Der Informationsdienst erscheint zweimonatlich.<br />

Bestellungen sind nur im Jahresabonnement<br />

möglich. Jahresbezugspreis<br />

25,– EURO einschließlich Versandkosten;<br />

Kündigung mit vierteljährlicher Frist zum<br />

Ende des Kalenderjahres. Bezug durch das<br />

DZA. Der Abdruck von Artikeln, Grafiken<br />

oder Auszügen ist bei Nennung der Quelle<br />

erlaubt. Das DZA wird institutionell gefördert<br />

vom Bundesministerium <strong>für</strong> Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend.<br />

ISSN 1614-3566<br />

Inhalt<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


3<br />

Wohnraum- und Wohnumfeldgestaltung im demografischen<br />

Wandel<br />

Cornelia Au und Doris Sowarka<br />

Selbstständiges Leben zu Hause bis ins<br />

höhere Alter auch bei gesundheitlichen Einschränkungen<br />

ist ein ausgeprägter Wunsch<br />

der meisten älteren Menschen und aus vielen<br />

Studien bekannt. In einer repräsentativen<br />

Umfrage unter Mietern und Eigentümern<br />

ab 50 Jahren (TNS Emnid 2011) danach befragt,<br />

in welcher Wohnform die 50-Jährigen<br />

und älteren im Alter von 70 Jahren wohnen<br />

wollen (bzw. die über 70-Jährigen danach<br />

befragt, wie sie im Alter von 70 Jahren gewohnt<br />

haben), bevorzugen zwei Drittel der<br />

Befragten ein eigenständiges Leben in<br />

einer gewöhnlichen Wohnung oder im Haus.<br />

Da<strong>für</strong> werden Hilfeleistungen (Pflege, Hausarbeit,<br />

u.a.) als wichtig erachtet.<br />

Die Realisierung dieser Präferenz umfasst<br />

viele Dimensionen und ist an vielfältige<br />

Voraussetzungen gebunden: bauliche Anforderungen<br />

an altersgerechte Wohnungen<br />

einerseits und weitgehend barrierefreie<br />

Wohnumfelder mit guter – auch sozialer –<br />

Infrastruktur und Hilfsangeboten <strong>für</strong> Haushalt<br />

und Pflege. Der demografische Wandel<br />

mit stetig steigenden Anteilen an älteren<br />

Menschen und einer durchschnittlich sinkenden<br />

Bevölkerungszahl, ist <strong>für</strong> die Akteure<br />

der Stadt- und Gemeindeentwicklung, der<br />

Wohnungspolitik, <strong>für</strong> die Wohnungseigentümer<br />

und den Wohnungsmarkt und Dienstleister<br />

eine große Herausforderung.<br />

In einem Gutachten durch das KDA wird festgestellt<br />

(BMVBS 2011, S. 27), dass 93 %<br />

der älteren Menschen, die 65 Jahre und älter<br />

sind, in „normalen“ Wohnungen leben. Aus<br />

den Analysen der Repräsentativbefragung<br />

von Seniorenhaushalten und Sonderauswertungen<br />

zum Alterssurvey (2. Welle 2002) sowie<br />

Sozio-ökonomischen Panel (SOEP 2006)<br />

ließ sich zeigen, dass ältere Menschen vor<br />

allem in älteren Wohnungen leben, häufig<br />

sehr lange dort wohnen und im höheren Alter<br />

eine geringe Umzugsbereitschaft haben<br />

(BMVBS 2011, S. 29f.). Die Befragungsergebnisse<br />

zeigen, dass die von Älteren genutzten<br />

Wohnein heiten i.d.R. <strong>für</strong> das Alter<br />

nicht geeignet sind, v.a. wenn sie sich in älterer<br />

Bausubstanz befinden und zwischenzeitlich<br />

keine altersgerechten Anpassungsmaßnahmen<br />

durchgeführt wurden. Der Begriff<br />

„altersgerechte Wohnung“ umfasste<br />

„nicht nur eine weit gehend barrierefreie / -reduzierte<br />

Wohnung, sondern auch ein barrierefreies<br />

/ -reduziertes Wohnumfeld, die ortsnahe<br />

Verfügbarkeit wesentlicher Infrastruktureinrichtungen<br />

sowie soziale und pflegerische<br />

Unterstützungsangebote“ (ebd., S. 25).<br />

Häufige Barrieren in den Seniorenhaushalten<br />

liegen im Überwinden von Treppenstufen<br />

beim Zugang zum Haus bzw. Zugang zur<br />

Wohnung, Treppenstufen und Schwellen innerhalb<br />

der Wohnung und des Zugangs zu<br />

Außenbereichen (Balkon, Terrasse, Garten)<br />

und in der Ausstattungsqualität der Sanitäranlagen<br />

(zu geringe Türbreite des Badezimmers<br />

und der Bewegungsflächen im Bad,<br />

barrierefreie / -reduzierte Nutzung von WC<br />

und Waschgelegenheiten (ebd., S. 34f)). Lediglich<br />

5,2 % der Seniorenhaushalte leben in<br />

Wohnungen, die nach den festgelegten Mindeststandards<br />

sowohl innerhalb als auch<br />

beim Zugang keine (erheblichen) Barrieren<br />

haben (S. 40). Für diese Gruppe von Wohnungen<br />

und Gebäuden seien individuelle<br />

Wohnanpassungen bei Bedarf lohnend, weil<br />

sie mit geringem Aufwand durchgeführt werden<br />

können und hier<strong>für</strong> auch Wohnberatung<br />

geeignet sein kann. Nur 7 % der Älteren mit<br />

Bewegungseinschränkungen leben in barrierefreien<br />

/ -reduzierten Wohnungen. Der<br />

altersgerechte Umbau- und Anpassungsbedarf<br />

im Wohnungsbestand <strong>für</strong> ein selbstständiges<br />

Leben im Alter ist sehr groß,<br />

selbst, wenn nur der quan titative Bedarf einzelner<br />

Zielgruppen (Personen mit Mobilitätseinschränkungen)<br />

in den kommenden<br />

Jahren betrachtet wird (ca. 2,5 Mio. Wohnungen,<br />

S. 53).<br />

Editorial<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


4<br />

Endnoten:<br />

Ein ähnlich hoher Anpassungsbedarf wurde<br />

<strong>für</strong> das Wohnumfeld und die Infrastruktur<br />

ermittelt. Ca. zwei Drittel der Befragten ab<br />

60 Jahre gaben an, in Randlagen oder in<br />

Lagen außerhalb von Ortschaften zu wohnen;<br />

nur 7 % lebten in einem Ortskern und 31%<br />

in <strong>Zentrum</strong>snähe. Die Infra- und Versorgungsstruktur<br />

der Wohnlage wurde zudem als<br />

unzureichend eingeschätzt (öffentliche Verkehrsmittel,<br />

medizinische Einrichtungen<br />

und / oder Einkaufsmöglichkeiten <strong>für</strong> den täglichen<br />

Bedarf). Aus dem Gutachten geht hervor,<br />

dass die Bereitstellung altersgerechter<br />

Wohnungen und Verbesserungen des Wohnumfelds<br />

keine isolierte Aufgabe des Wohnungsbaus<br />

und der Wohnungspolitik sind,<br />

sondern auch städtebauliche Anforderungen<br />

verstärkt zu berücksichtigen sind.<br />

Zunehmend werden auch gemeinschaftliche<br />

Wohnformen als Alternative <strong>für</strong> eine Institutionalisierung<br />

erprobt. Projekten des gemeinschaftlichen<br />

Wohnens zeichnen sich dadurch<br />

aus, dass die Bewohner- / innen gemeinsame<br />

Ziele und Motivationen teilen und sich durch<br />

den Zusammenschluss einen gegenseitigen<br />

Nutzen erhoffen (vgl. Fedrowitz u. Matzke<br />

2013). In der Regel bewohnt jeder Haushalt<br />

eine abgeschlossene Wohnung, Gemeinschaftsbereiche<br />

ergänzen den privaten<br />

Wohnraum, die Zusammensetzung der Gruppe<br />

ist selbst gewählt, die Projekte sind<br />

selbstorganisiert, die Regeln des Zusammenlebens<br />

werden von der Gruppe festgelegt,<br />

die Bewohner-/innen unterstützen sich gegenseitig.<br />

Es handelt sich um „normales<br />

Wohnen“ mit einem „Mehr“ an selbstorganisierter<br />

Gemeinschaft, die durch zusätzlich<br />

nutzbare Gemeinschaftsflächen und eventuell<br />

entsprechende Architekturkonzepte unterstützt<br />

wird (vgl. ebd.) Die Projekte lassen<br />

sich unterteilen in Hausgemeinschaften,<br />

Siedlungsgemeinschaften, Wohngemeinschaften,<br />

nachbarschaftliches Wohnen<br />

im Quartier, virtuelle Wohngemeinschaften.<br />

Es kann davon ausgegangen werden, dass<br />

altersgerechter Wohnraum und ein barrierefreies<br />

Wohnumfeld allein nicht ausreichend<br />

sind, um den Verbleib im Haushalt zu gewährleisten,<br />

sondern die Umsetzung von „vernetztem<br />

Wohnen im Quartier“ als Zusammenspiel<br />

von Wohnung / Wohnumfeld, Nahversorgung,<br />

medizinischer Versorgung, sozialen<br />

Kontakten und Begegnungsmöglichkeiten<br />

dazu beitragen kann, Institutionalisierungen<br />

zu vermeiden. Konzepte quartiersnaher<br />

Versorgung beruhen auf einem Welfare-Mix<br />

unter Einbeziehung von Angehörigen, Freunden,<br />

professionellen Diensten und bürgerschaftlich<br />

Engagierten (vgl. Heinze 2013).<br />

1 www.bmfsfj.de/<br />

BMFSFJ/Aeltere-<br />

Menschen/zuhause- imalter.html<br />

2 www.serviceportal-<br />

zuhause-im-alter.de<br />

3 www.bbsr.bund.de/<br />

BBSR/DE/Veroeffentlichungen/Ablage_<br />

Meldungen/AltersgerechtUmbauen.html<br />

Auch altengerechte Assistenzsysteme (AAL)<br />

können dazu beitragen, die Wohnsituation<br />

zum Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu<br />

verbessern. Hierzu zählen z.B. Hausnotrufsysteme<br />

<strong>für</strong> chronisch kranke oder altersbedingt<br />

beeinträchtigte Menschen, die in einer<br />

Notsituation das Telefon zum Notruf nicht<br />

rechtzeitig erreichen würden, Anwendungen<br />

der Telemedizin, Sturzsensoren, etc. (vgl.<br />

Heinze 2013).<br />

Unter den Politikfeldern des Bundesministeriums<br />

<strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und<br />

Jugend (BMFSFJ) hat das Wohnen im Alter<br />

einen bedeutenden Stellenwert 1 und war<br />

das Schwerpunktthema des Zweiten Altenberichts<br />

(Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode,<br />

Drucksache 13 / 11175 v. 23.06.98).<br />

In dem Bericht wurden die Wohn- und Lebenssituation<br />

älterer Menschen und die Veränderungen<br />

im Zuge der demographischen<br />

Entwicklung um fassend dargestellt. Ferner<br />

wurde die Bedeutung von Wohnung und<br />

Wohnumfeld als eine wesentliche Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> ein möglichst selbständiges Leben<br />

im Alter aufgezeigt, und es wurde verdeutlicht,<br />

in welcher Vielfalt das Wohnen von der<br />

sozialen Strukturpolitik beeinflusst wird<br />

(ebd., S. 4). Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen,<br />

dass <strong>für</strong> das selbstständige<br />

Wohnen im Alter auf den persönlichen Bedarf<br />

abgestimmte Hilfen und Betreuungsleistungen<br />

sowie ein flächendeckendes Beratungsangebot<br />

erforderlich ist. Das Wohnen<br />

im Alter ist bis in die Gegenwart hinein ein<br />

bedeutendes Ziel vielfältiger Projekte und<br />

Initiativen des BMFSFJ. 2 Zu den neueren Förderprogrammen<br />

zählen „Anlaufstellen <strong>für</strong><br />

ältere Menschen“, „Wohnen <strong>für</strong> (Mehr-)Generationen“<br />

und Förderhinweise <strong>für</strong> Modernisierungsmaßnahmen<br />

zur Beseitigung oder<br />

Verringerung von Barrieren in bestehenden<br />

Wohnungen im Rahmen des KfW-Programms<br />

„Altersgerecht umbauen“ 3 . In einem<br />

engen thematischen Zusammenhang<br />

steht der Wettbewerb des Bundesministeri-<br />

Editorial<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


5<br />

ums <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

und der Bundesarchitektenkammer<br />

„Altersgerecht Bauen und Wohnen – Barrierefrei,<br />

quartierbezogen, integrativ“. Auch der<br />

7. Altenbericht zum Thema „Sorge und Mitverantwortung<br />

in der Kommune – Aufbau<br />

und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“<br />

wird sich u.a. mit der Bedeutung des<br />

lokalen Umfelds <strong>für</strong> die Qualität des Lebens<br />

im Alter befassen.<br />

Das Heft konzentriert sich auf ausgewählte<br />

Dimensionen des Handlungsfeldes:<br />

Der Beitrag „Zu Hause daheim – der bayerische<br />

Weg“ von Maria Weigand behandelt<br />

das seniorenpolitische Gesamtkonzept von<br />

Bayern, das den Grundsatz „ambulant vor<br />

stationär“ unter Einbeziehung der Lebenswelt<br />

älterer Menschen und der notwendigen<br />

Versorgungsstrukturen sowie neuer Wohnund<br />

Pflegeformen umsetzen will. Ausgewählte<br />

Umsetzungsstrategien, wie bürgerschaftliche<br />

Nachbarschaftshilfen, Betreutes<br />

Wohnen zu Hause, Seniorengenossenschaften,<br />

Quartierskonzepte und alternative<br />

Wohnformen, werden vorgestellt.<br />

4 www.serviceportalzuhause-im-alter.de/<br />

preisverleihungwettbewerb.html<br />

Elke Pahl-Weber thematisiert in ihrem Beitrag<br />

„Wohnen bleiben – ein Plädoyer <strong>für</strong> Wohnen<br />

und Quartiersleben im Alter“ die räumlichen<br />

Dimensionen „sorgender Gemeinschaften“.<br />

Die Berücksichtigung der Heterogenität der<br />

Regionen, die Schaffung möglichst barrierefreien<br />

Wohnraums sowie die Ausstattung<br />

des Quartiers als Lebensraum mit ergänzender<br />

Infrastruktur sind die grundlegenden Bausteine<br />

<strong>für</strong> einen Hilfemix verschiedener Akteure,<br />

der hilfebedürftigen Menschen den<br />

Verbleib und die Teilhabe im angestammten<br />

Wohnumfeld ermöglichen können.<br />

Uta Stock-Gruber und Christoph Jensen stellen<br />

in ihrem Beitrag „Gemeinsam altern.<br />

Zusammen jung bleiben“ ein Studierendenprojekt<br />

vor, das den 1. Preis des Wettbewerbs<br />

des Bundesministeriums <strong>für</strong> Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend und der Bundesarchitektenkammer<br />

„Altersgerecht<br />

Bauen und Wohnen – Barrierefrei, quartierbezogen,<br />

integrativ“ 4 gewann. Die<br />

Studentinnen Antonia Glaß, Isabel Graf und<br />

Hannah Schramm entwickelten ein Konzept<br />

<strong>für</strong> die mögliche Umgestaltung eines<br />

Münchner Quartiers. Bei dem Bausteinsystem<br />

mit den Modulen Versorgung, Privatsphäre<br />

und Kommunikation spielen die Gestaltung<br />

des öffentlichen Raums als vernetzende<br />

Struktur verschiedener räumlicher<br />

Setzungen sowie differenzierte Abstufungen<br />

zwischen privaten und gemeinschaftlichen<br />

Freiräumen die wesentliche Rolle <strong>für</strong> ein<br />

Wohnumfeld, das Gemeinschaft fördert.<br />

Literatur:<br />

Bundesministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau und Stadtentwicklung<br />

(BMVBS) (2011) (Hrsg.). Wohnen im Alter.<br />

Marktprozesse und wohnungspolitischer Handlungsbedarf.<br />

Forschungen Heft 147<br />

Bundesministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau und Stadtentwicklung<br />

(BMVBS) (Hrsg.) (2013): Altersgerecht umbauen<br />

– Mehr Lebensqualität durch weniger Barrieren.<br />

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache<br />

13/11175 v. 23.06.98, http://dip21.bundestag.de/<br />

dip21/btd/13/111/1311175.pdf<br />

Heinze, R. G. (2013): Altengerechtes Wohnen: Aktuelle<br />

Situation, Rahmenbedingungen und neue Strukturen.<br />

In: Bundesinstitut <strong>für</strong> Bau-, Stadt- und Raumforschung.<br />

Wohnen im Alter, Informationen zur Raumentwicklung,<br />

Heft 2.2013<br />

Fedrowitz, M. u. Matzke, S. (2013): Das gemeinschaftliche<br />

Wohnen <strong>für</strong> Ältere. In: Bundesinstitut <strong>für</strong> Bau-,<br />

Stadt- und Raumforschung. Wohnen im Alter,<br />

Informationen zur Raumentwicklung, Heft 2.2013<br />

TSN Emnid (2011): www.bfw-bund.de/uploads/media/<br />

Emnid_Wohnw%C3%BCnsche_im_Alter_-_Pressemappe.pdf<br />

Editorial<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


6<br />

Wohnen bleiben – ein Plädoyer <strong>für</strong> Wohnen und Quartiersleben<br />

im Alter<br />

Elke Pahl-Weber<br />

Die demografische Entwicklung in Deutschland<br />

weist eine Tendenz auf, die mit<br />

den Schlagworten weniger, älter, bunter beschrieben<br />

wird.<br />

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes<br />

(2012) zeigen, dass die Größe der Gesamtbevölkerung<br />

abnehmen wird, obwohl die<br />

Zahl der zuwandernden Menschen und ihr<br />

Anteil an der Gesamtbevölkerung sicher<br />

ansteigen wird, auch wenn Zuwanderungen<br />

angesichts globaler Entwicklungen und<br />

im Süden Europas liegender Krisengebiete<br />

sich nicht sicher abschätzen lassen.<br />

Zugleich steigt die Lebenserwartung kontinuierlich.<br />

Ein Vergleich zwischen 1960<br />

und der Prognose <strong>für</strong> 2060 zeigt, dass die<br />

Lebenserwartung eines 60-jährigen Mannes<br />

von durchschnittlich 15,5 Jahren auf 26,6<br />

Jahre steigt, also ein Alter von 75,5 Jahren<br />

bzw. 86,6 Jahren erwartet wird und die<br />

Lebenserwartung einer 60-jährigen Frau von<br />

18,5 Jahren auf 30,1 Jahre steigt. Innerhalb<br />

von hundert Jahren nimmt damit die Lebenserwartung<br />

um durchschnittlich 22,7 Jahre<br />

pro Mensch zu, das bedeutet in jedem Jahr<br />

eine Steigerung der zu erwartenden Lebenszeit<br />

einer 60-jährigen Person um knapp<br />

3 Monate. In der Folge wird der prozentuale<br />

Anteil der über 60-Jährigen von 17,4 % im<br />

Jahr 1960 auf 39,2 % im Jahr 2060 ansteigen.<br />

Dann wird auf jeden über 60-jährigen Menschen<br />

nur noch gut ein Mensch (1,14) im<br />

Alter zwischen 20 und 60 Jahren kommen,<br />

das ist ca. dreimal weniger als 1960. Das<br />

sind nur Zahlen, aber sie können einen Anhaltspunkt<br />

da<strong>für</strong> geben, wie sich die Verhältnisse<br />

zwischen den Altersgruppen verschieben.<br />

Heute, im Jahr 2013, ist von dem<br />

betrachteten Zeitraum gut die Hälfte verstrichen<br />

und die Tendenz entspricht der Prognose.<br />

Eine homogene Gruppe sind die Über-<br />

60-Jährigen nicht, sie sind differenziert, so<br />

wie die gesamte Bevölkerung, haben verschiedene<br />

Haushaltsformen und Lebensstile,<br />

unterschiedliche Einkommen, Werthaltungen<br />

und Perspektiven.<br />

Aber eines doch machen diese einfachen<br />

Zahlen deutlich: wenn die Gruppe der Über-<br />

60-Jährigen einen so großen Anteil an der<br />

Gesellschaft ausmachen wird, dann wird die<br />

Gruppe der Unter-60-Jährigen nicht allein<br />

<strong>für</strong> die alternden Generationen sorgen können.<br />

Das klappt schon allein von der Zahl<br />

her nicht. Und so leuchtet die Idee von der<br />

„sorgenden Gemeinschaft“, in der jede(r)<br />

– seinen / ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten<br />

entsprechend und unabhängig vom<br />

Alter – <strong>für</strong> die Gemeinschaft sorgt, sofort<br />

ein. Angesichts der Herausforderungen des<br />

selbstständigen Wohnens im Alter und der<br />

Pflege hochaltriger Personen kann die „sorgende<br />

Gemeinschaft“ eine Möglichkeit sein,<br />

neben den Familien- und Verwandtschaftsnetz<br />

werken das Zusammenwirken von Angehörigen,<br />

Freunden, Professionellen und<br />

bürgerschaftlich Engagierten, eine umfassende<br />

Versorgung älterer Menschen <strong>für</strong> die<br />

Zukunft herzustellen.<br />

Organisiert auf kommunaler / lokaler Ebene<br />

können diese „sorgenden Gemeinschaften“<br />

nicht nur Aufgabe sein, sondern durch ihre<br />

Netzwerkbildung präventive Wirkung entfalten,<br />

Lebensqualität steigern und Lust am<br />

Leben erhalten oder fördern. Die Bedingungen,<br />

unter denen dies gelingen kann, sind<br />

generell, aber auch bezogen auf den jeweiligen<br />

Ort, sorgfältig zu überlegen und abzuwägen,<br />

um eine Überforderung zu vermeiden<br />

und neben dem „ob“ auch das „wie“, die<br />

Qualität des „Kümmerns-um“ im Blick zu behalten.<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


7<br />

Der „Generationenvertrag“, der ja eigentlich<br />

die Grundlage der Rentenversicherung<br />

darstellt und bis heute Grundlage <strong>für</strong> die Versorgung<br />

im Alter ist, muss auf neue stabile<br />

Beine gestellt werden, nicht nur in Bezug auf<br />

die Rentenzahlung, vielmehr noch in Bezug<br />

auf die Sicherung eines menschenwürdigen<br />

Lebens, auch in der Phase des hohen Alters.<br />

Insoweit ist die „sorgende Gemeinschaft“<br />

kein Leitbild <strong>für</strong> die Versorgung älterer und<br />

alter Menschen, sondern eher ein Auftrag<br />

<strong>für</strong> die Entwicklung einer neuen Generationenpolitik.<br />

Die räumlichen Dimensionen sorgender<br />

Gemeinschaften<br />

Die demografische Entwicklung in Deutschland<br />

hat eine starke räumliche Komponente.<br />

Dies veranschaulicht Abbildung 1.<br />

Heterogenität der Regionen als räumliche<br />

Dimension sorgender Gemeinschaften<br />

Die Prognosen zur Entwicklung der Bevölkerungszahlen<br />

zeigen deutlich, dass es sehr<br />

unterschiedlich dicht besiedelte Räume gibt:<br />

Wir sehen zeitgleich Wachstum und<br />

Schrumpfung in unterschiedlichen Gebieten,<br />

wobei der Unterschied zwischen den<br />

einzelnen Kreisen durchaus eine Spanne bis<br />

über 20 % betragen kann. Dabei sind die<br />

neuen Bundesländer stärker von Schrumpfung<br />

betroffen als die alten Bundesländer;<br />

Wachstum konzentriert sich in den südlichen<br />

Regionen und den Regionen um Hamburg,<br />

Berlin und Bremen, wobei einzelne Orte bereits<br />

heute stark ansteigende Bevölkerungszahlen<br />

aufgrund von Wanderungsbewegungen<br />

verzeichnen.<br />

Abbildung 1: Regionale Komponente des demografischen Wandels in Deutschland<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


8<br />

Endnoten:<br />

www.bundesregierung.<br />

de/Webs/Breg/DE/Themen/Demografiestrategie/Artikel/Anlagen/<br />

demografiestrategielangfassung.pdf?blob=<br />

publication File&v=2,<br />

Zugriff am 29.10.2013<br />

Neben den Bevölkerungszahlen zeigen auch<br />

die Lebensstile und Haushaltsformen sehr<br />

unterschiedliche Entwicklungen. So machen<br />

Ehepaare mit Kindern noch immer die Mehrheit<br />

der Lebensformen in Deutschland aus;<br />

in Westdeutschland mit knapp 60 %, in Ostdeutschland<br />

mit gut 50 % (Statistisches<br />

Bundesamt 2013a), wobei sich insgesamt in<br />

den vergangenen ca. 15 Jahren diese<br />

Lebensform mit ca. 30 % Abnahme deutlich<br />

verringert hat (Statistisches Bundesamt<br />

2013b) und die größere Anzahl dieser Lebensform<br />

sich im Süden findet. Deutlich angestiegen<br />

ist dagegen die Zahl der Alleinlebenden<br />

auf insgesamt knapp 30 % (Statistisches<br />

Bundesamt, 2013c), wobei in einigen<br />

Großstädten in Deutschland die Anzahl der<br />

Einpersonenhaushalte bereits bei über 50 %<br />

liegt. Die Zahl der Haushalte mit 3 und 4 Personen<br />

nimmt in der absoluten Anzahl zwar<br />

in den letzten 20 Jahren nicht stark ab, ihr<br />

Anteil an der Gesamtsumme der Haushalte<br />

sinkt aber, weil die Anzahl der Haushalte<br />

vor allem wegen der starken Zunahme von<br />

Ein- und Zweipersonenhaushalten wächst.<br />

Die erste räumliche Dimension sorgender<br />

Gemeinschaften ist vor diesem Hintergrund<br />

die der Regionen, die mit sehr unterschiedlichen<br />

Ausgangslagen konfrontiert sind.<br />

Ein generell gültiges Demografiekonzept<br />

kann deshalb nicht tragen. Die unterschiedlichen<br />

Ausgangslagen in den Regionen erfordern<br />

eine Rahmensetzung, die je nach Erfordernis<br />

unterschiedlich umgesetzt werden<br />

muss. Die Demografiestrategie der Bundesregierung<br />

unter dem Leitsatz „Jedes Alter<br />

zählt“ hat sich dieser Anforderung gestellt<br />

(Bundesministerium des Innern 1 ).<br />

Dazu gehört auch das Ziel, die Familie als<br />

Gemeinschaft zu stärken und ein selbstbestimmtes<br />

Leben im Alter zu ermöglichen,<br />

unter Beachtung der Aktivierung von Wissen<br />

und Erfahrung Älterer, sowie die Ermöglichung<br />

eines langen, selbstbestimmten Lebens<br />

in der gewohnten Umgebung. Ziel<br />

ist es auch, die Lebensqualität in ländlichen<br />

Räumen zu verbessern und durch integrative<br />

Planungspolitik zur Verbesserung der Wohnsituation<br />

im ländlichen Raum beizutragen.<br />

Gerade die sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen<br />

in sehr dünn besiedelten<br />

ländlichen Räumen und sehr schnell wachsenden<br />

städtischen Räumen sind aber<br />

so verschieden, dass die Ausgestaltung der<br />

Konzepte unterschiedlich und entsprechend<br />

angepasst sein muss.<br />

Lebensstile regionalisieren sich zunehmend,<br />

Ausgangspunkt da<strong>für</strong> bleibt aber der Lebensort<br />

im engeren Sinne – die Wohnung,<br />

das Gebäude, das Haus – und der Lebensort<br />

im städtebaulichen Sinne – das Quartier,<br />

der Stadtteil, das Dorf, die Siedlung. Beides<br />

sind die weiteren räumlichen Dimensionen<br />

sorgender Gemeinschaften.<br />

Wohnung als räumliche Dimension<br />

sorgender Gemeinschaften<br />

Die zweite räumliche Dimension sorgender<br />

Gemeinschaften ist die Wohnung. Ausschlaggebend<br />

ist dabei die Wahl des Wohnortes.<br />

Bei den Menschen im Alter über 65<br />

Jahre zeigt sich, dass 93 % in ihren Wohnungen<br />

leben, nur 7 % leben in Sonderwohnformen,<br />

wie Heimen (4 %), betreutem Wohnen<br />

(2 %) und Altenwohnungen (1 %) (BMVBS<br />

2011). Die große Mehrheit lebt in Wohnungen,<br />

die sie oftmals über viele Jahre bewohnt,<br />

häufig über mehrere Lebens phasen<br />

hinweg, etwa der Familienphase, während<br />

der Erwerbstätigkeit, während<br />

des Ruhestandes, nach der Familienphase<br />

und nicht zuletzt als Einpersonenhaushalt.<br />

Die Wohnung und das Wohnumfeld sind bekannt<br />

und vertraut, auch wenn sie sich über<br />

die Jahre hinweg verändern; es besteht eine<br />

Vernetzung von Menschen in ihrer individuellen<br />

Wohnung und in ihrem Wohnumfeld und<br />

Wohnquartier. Und nicht zuletzt gibt diese<br />

Vernetzung die Chance <strong>für</strong> den Aufbau einer<br />

gelingenden sorgenden Gemeinschaft.<br />

Dies wird daran deutlich, dass auch die<br />

Pflegebedürftigen überwiegend in der<br />

„normalen“ Wohnung leben; knapp 65 %<br />

leben in der Wohnung, gut 35 % in Heimen<br />

(BMVBS 2011).<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


9<br />

Die Wohnungen bringen allerdings heute<br />

nicht die notwendigen Voraussetzungen mit,<br />

um auch bei Einschränkungen der Mobilität<br />

im höheren Alter noch adäquater Wohnort zu<br />

sein. Die vom BMVBS (2011) veröffentlichte<br />

Studie zum Wohnen im Alter informiert auf<br />

der Grundlage durchgeführter Befragungen<br />

und Primärerhebungen über Barrieren, die zu<br />

überwinden sind:<br />

––<br />

die Zahl der Stockwerke erfordert die Überwindung<br />

von Treppen durch Fahrstühle, ein<br />

großer Teil der 65-Jährigen lebt im ersten<br />

oder zweiten Stockwerk;<br />

––<br />

Treppenstufen sind beim Hauszugang und<br />

innerhalb von Wohnungen zu überwinden;<br />

––<br />

die Ausstattung der Sanitärräume wird hinsichtlich<br />

der Türbreiten und notwendigen<br />

Bewegungsfläche in vielen Fällen als zu<br />

klein empfunden (nach BMVBS 2011).<br />

Neben den physischen Barrieren gibt es<br />

auch finanzielle und materielle; so lebt etwa<br />

die Hälfte der Menschen über 65 Jahre in<br />

Mietwohnungen. Bei den zunehmenden gebrochenen<br />

Erwerbsbiographien ist künftig<br />

mit einer Abnahme des Einkommens in<br />

Haushalten Älterer zu rechnen, deshalb ist<br />

die Miethöhe neben der Zugänglichkeit ein<br />

Kriterium da<strong>für</strong>, dass auch künftig Menschen<br />

in ihren Wohnungen bleiben können, wenn<br />

sie älter werden und das Einkommen sinkt.<br />

Wohnen bleiben mit Unterstützung sorgender<br />

Gemeinschaften setzt ein Zusammenwirken<br />

von baulichen Strategien mit Strategien<br />

zur Bildung sorgender Gemeinschaften<br />

voraus. Der Umbau von Gebäuden und Wohnungen<br />

ist wiederum nicht allein ein Thema<br />

bezüglich der alternden Bevölkerung, vielmehr<br />

ist ein großer Teil der erforderlichen<br />

baulichen Anpassungsmaßnahmen auch <strong>für</strong><br />

andere Nutzergruppen ideal. Generationengerechtigkeit<br />

kann eine Leitlinie sein: was<br />

heute <strong>für</strong> ältere Menschen richtig ist, ist<br />

morgen <strong>für</strong> junge Familien gut und umgekehrt.<br />

Hier ist eine ressortübergreifende Initiative<br />

zur systematischen Verbindung baulicher<br />

und anderer Maßnahmen zur Förderung<br />

des Aufbaus sorgender Gemeinschaften<br />

wünschenswert.<br />

Das Quartier als räumliche Dimension<br />

sorgender Gemeinschaften<br />

Die dritte räumliche Dimension sorgender<br />

Gemeinschaften liegt im Quartier oder im<br />

städtebaulichen Umfeld. Deutlich ist, dass<br />

die Anpassungen an den demografischen<br />

Wandel nicht allein mit Maßnahmen der Barrierefreiheit<br />

erreicht werden können. Im<br />

Blick steht nicht nur die einzelne Wohnung,<br />

sondern das gesamte Quartier unter der<br />

Fragestellung: „Was nützt eine barrierefreie<br />

Wohnung, wenn diese nicht erreichbar ist<br />

und ergänzende Infrastruktur im Quartier<br />

fehlt?“<br />

Sowohl in der Bestandsentwicklung als auch<br />

im Wohnungsneubau sind Konzepte, die ein<br />

ausdifferenziertes Wohnangebot schaffen,<br />

<strong>für</strong> den Aufbau unterstützender Nachbarschaftsstrukturen<br />

am erfolgreichsten. Dabei<br />

können künftig gemeinschaftliche und nachbarschaftliche<br />

Wohnprojekte ihre Qualitäten<br />

<strong>für</strong> ältere Menschen deutlich sichtbarer<br />

machen: in Mehrgenerationen-Projekten<br />

können ältere Bewohner aktiv an der Gemeinschaft<br />

teilnehmen und damit können<br />

die Projekte auch bauliches Leitmotiv <strong>für</strong><br />

den Aufbau sorgender Gemeinschaften sein,<br />

obwohl ihr Anteil an den Wohnformen heute<br />

noch eher gering ist.<br />

In einem Seminar zu Bestandsentwicklung<br />

in meinem Fachgebiet am Institut <strong>für</strong> Stadtund<br />

Regionalplanung der Technischen<br />

Universität Berlin haben im vergangenen<br />

Semester Masterstudierende untersucht,<br />

in welchen Ausprägungen sich die räumliche<br />

Dimension des städtebaulichen Umfelds<br />

heute in Stadtquartieren <strong>für</strong> das Leben älterer<br />

Menschen umsetzt. Der Blick richtete<br />

sich in erster Linie auf Wohnungsunternehmen<br />

mit größeren Wohnungsbeständen<br />

in Berlin, Bremen, Schwerin und München,<br />

zudem wurde das Bielefelder Modell untersucht.<br />

Im Ergebnis zeigt sich, dass in den meisten<br />

Beispielen eine enge Verknüpfung von Stadtentwicklung<br />

und generationengerechten<br />

Entwicklungen gegeben war. Dabei funktionierte<br />

das Städtebauförderprogramm der<br />

sozialen Stadt häufig als Initiator oder notwendiger<br />

formeller Rahmen. Der integrierte<br />

Ansatz des Programms ermöglichte die<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


10<br />

Verknüpfung baulicher Erneuerungsmaßnahmen<br />

mit gemeinschaftsorientierten<br />

Angeboten. Nachbarschaftszentren, die mit<br />

ehrenamtlichem Engagement betrieben<br />

werden und ggf. über von den Gesellschaften<br />

gegründete gemeinnützige Einrichtungen<br />

organisiert werden, geben bereits ein<br />

konkretes Bild davon, wie sich die sorgende<br />

Gemeinschaft im Quartier ausgestalten<br />

kann.<br />

Im Quartier bestehen allerdings – ähnlich<br />

wie in der Wohnung – Voraussetzungen, die<br />

<strong>für</strong> den gelingenden Aufbau der sorgenden<br />

Gemeinschaft erfüllt werden müssen. Dabei<br />

ist Erreichbarkeit / Barrierefreiheit im Quartier<br />

eines der zentralen Themen, das eng mit<br />

Mobilität verbunden ist. Der Anpassungsbedarf<br />

<strong>für</strong> Straßen und ÖPNV macht den<br />

größten Finanzaufwand <strong>für</strong> die erforderlichen<br />

Maßnahmen aus und ist deutlich größer<br />

als die <strong>für</strong> den Umbau von Wohnungen<br />

aufzuwendenden Mittel. Abbildung 2 gibt<br />

eine Übersicht zum Bedarf der infrastrukturellen<br />

Mittel.<br />

Fazit<br />

„Sorgende Gemeinschaft“ kann vor dem<br />

Hintergrund der beschriebenen Entwicklungstendenzen<br />

viel mehr sein als eine<br />

„Notlösung“, weil eine ausschließlich professionelle<br />

Betreuung <strong>für</strong> die Zuhause<br />

lebenden älteren und alten Menschen nicht<br />

möglich ist; sie kann zu einem Leitbild<br />

werden, das zum Zusammenhalt der Gesellschaft<br />

und zur Stärkung nachbarschaftlicher<br />

Gemeinschaft führt.<br />

Die räumliche Dimension ist ein konstitutiver<br />

Faktor <strong>für</strong> eine Strategieentwicklung zu ihrer<br />

Implementierung. Bei den stark unterschiedlich<br />

geprägten regionalen Voraussetzungen<br />

wird eine Differenzierung notwendig sein.<br />

Insbesondere mit Blick auf die sehr unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen schnell wachsender<br />

urbaner Räume und schrumpfender<br />

ländlicher Räume sind sehr unterschiedliche<br />

Konzepte erforderlich.<br />

Abbildung 2: Investitionsbedarf <strong>für</strong> eine altengerechte Anpassung von Infrastruktur<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


11<br />

Die räumlichen Voraussetzungen wurden<br />

hier zunächst mit Blick auf die physischen<br />

Voraussetzungen beschrieben, obwohl sich<br />

Raum erst durch das Zusammenwirken<br />

der physischen und sozialen Komponenten<br />

bildet. Der gesamte Bereich der räumlichen<br />

Dimension sorgender Gemeinschaften einschließlich<br />

des Teils der gesellschaftlichen<br />

Themen, die ihm zuzurechnen sind, ist hier<br />

nicht angesprochen, obwohl eine integrierte<br />

Betrachtung erforderlich ist.<br />

Das grundgesetzlich verankerte Prinzip der<br />

Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse<br />

wird in jüngeren wissenschaftlichen Debatten<br />

auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit<br />

diskutiert. Gleichwertigkeit<br />

bekommt hier einen Aspekt der Herstellung<br />

gleichwertiger Lebensbedingungen, auch <strong>für</strong><br />

die kommenden Generationen. Damit kann<br />

verbunden sein, die Bedingungen so zu gestalten,<br />

dass sie nachhaltig bestehen können.<br />

Das kann auch der strukturierte Rückzug<br />

aus dem ländlichen Raum sein, der mit Übergangslösungen<br />

ausgestattet ist. Obwohl die<br />

Kommune als tragende und entscheidende<br />

Einheit <strong>für</strong> die Organisation der sorgenden<br />

Gemeinschaften gesehen wird, sind hier vor<br />

allem die Bundesländer gefragt, Konzepte<br />

der sorgenden Gemeinschaft in die Regionalentwicklung<br />

zu integrieren und die Nachhaltigkeit<br />

zu prüfen. Da<strong>für</strong> sind geeignete<br />

Kriterien zu entwickeln.<br />

Autoreninfo und Kontakt:<br />

Prof. Dipl. Ing. Elke Pahl-Weber leitet<br />

das Fachgebiet Bestandsentwicklung und<br />

Erneuerung von Siedlungseinheiten am<br />

Institut <strong>für</strong> Stadt- und Regionalplanung der<br />

TU Berlin seit 2004 und übt im Berufsfeld<br />

zahlreiche Funktionen und Ämter aus. Sie<br />

ist Mitglied und stellvertretende Vorsitzende<br />

der Kommission des Siebten Altenberichts<br />

der Bundesregierung.<br />

Literatur:<br />

BMVBS, Bundesministerium <strong>für</strong> Verkehr, Bau und<br />

Stadtentwicklung (Hrsg.). (2011): Wohnen im Alter.<br />

Marktprozesse und Wohnungspolitischer Handlungsbedarf,<br />

Forschungen Heft 147.<br />

Statistisches Bundesamt (2012), www.destatis.de,<br />

Online Datenbank, 10.+12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung,<br />

Bevölkerung Deutschlands<br />

bis 2060, Zugriff 11.4.2013<br />

Statistisches Bundesamt (2013a), www.destatis.de,<br />

Online Datenbank Online Datenbank, Berechnungen<br />

BIB, Zugriff 11.4.2013<br />

Statistisches Bundesamt (2013b) Statistisches Bundesamt<br />

Mikrozensus (Lebensformenkonzept); Berechnungen:<br />

BiB 2013, www.destatis.de, Online Datenbank,<br />

Zugriff 11.4.2013<br />

Statistisches Bundesamt (2013c), Statistisches Bundesamt<br />

Mikrozensus (Lebensformenkonzept); Berechnungen:<br />

BiB 2013, www.destatis.de, Online Datenbank,<br />

Zugriff 11.4.2013<br />

Kontakt: pahl-weber @ isr.tu-berlin.de<br />

Aus der Altersforschung<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


14<br />

Gemeinsam altern. Zusammen jung bleiben<br />

1. Preis des Wettbewerbs „Altersgerecht Bauen und Wohnen – Barrierefrei, quartierbezogen,<br />

integrativ“<br />

Uta Stock-Gruber und Christoph Jensen<br />

Der Wettbewerb „Altersgerecht Bauen und<br />

Wohnen – Barrierefrei, quartierbezogen, integrativ“<br />

<strong>für</strong> Studierende wurde vom Bundesministerium<br />

<strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend zusammen mit der Bundesarchitektenkammer<br />

ausgelobt. Dabei wurden<br />

Hochschulen und Universitäten mit den Studiengängen<br />

Architektur, Innen- und Landschaftsarchitektur<br />

und der Stadtplanung aufgefordert,<br />

lebenswerte und vielfältige Wohnumgebungen<br />

<strong>für</strong> eine älter und vielfältiger<br />

werdende Gesellschaft zu entwickeln und innovative<br />

Lösungsansätze und Strategien <strong>für</strong><br />

den sozialen Raum als Netz zu konzipieren.<br />

Im Rahmen von Studienprojekten, die in die<br />

Lehre eingebunden waren, konnten die<br />

Hochschulen die Aufgabenstellungen in Absprache<br />

mit den Auslobern individuell entwickeln<br />

und somit die Fragestellung mit einer<br />

großen fachlichen Breite ausloten.<br />

Die Fakultät Landschaftsarchitektur der<br />

Hochschule Weihenstephan nahm mit zwei<br />

Arbeiten an dem Wettbewerb teil: Studierende<br />

des 7. Semesters Landschaftsarchitektur<br />

mit der Vertiefungsrichtung Freiraumplanung<br />

bearbeiteten ein Projekt im strukturschwachen<br />

ländlichen Raum – ein Dorf mit deutlichen<br />

Bevölkerungsverlusten; ihre Neuinterpretation<br />

des alten bäuerlichen Themas<br />

„Austragshaus“ wurde mit einer Anerkennung<br />

bedacht. In der Vertiefungsrichtung<br />

Stadtplanung bearbeiteten die Studierenden<br />

der Landschaftsarchitektur ein Stadtumbauprojekt<br />

in der von starkem Wachstumsdruck<br />

geprägten Metropolregion München.<br />

Die Studierenden A. Glaß, I. Graf und H.<br />

Schramm erlangten mit ihrem Projekt „Gemeinsam<br />

altern. Zusammen jung bleiben“<br />

den ersten Preis des Wettbewerbs.<br />

Eine Dokumentation, die die Ergebnisse des<br />

Wettbewerbs umfassend darstellt, ist derzeit<br />

in Vorbereitung und wird Anfang 2014<br />

erscheinen.<br />

Das Projekt „Gemeinsam altern. Zusammen<br />

jung bleiben“ 1. Preis<br />

Entwurfsverfasserinnen: Antonia Glaß,<br />

Isabel Graf und Hannah Schramm<br />

Problemstellung und Ziele<br />

In den nächsten Jahren steht München ein<br />

weiterer starker Bevölkerungszuwachs<br />

bevor. Dies hat intensive Nachverdichtungsmaßnahmen<br />

innerhalb bereits bebauter<br />

Quartiere mit entsprechenden Konsequenzen<br />

<strong>für</strong> Stadtökologie und Stadtgestalt zur<br />

Folge. Ziel des Studienprojektes war es, ein<br />

Einfamilienhausgebiet der 50-er und 60-er<br />

Jahre so umzugestalten, damit es zukunftsweisend<br />

kommunikatives Wohnen <strong>für</strong> alle<br />

Generationen bietet. Insbesondere sollte<br />

älteren Menschen die Möglichkeit geboten<br />

werden, in ihrem bisherigen Wohnumfeld<br />

möglichst lange selbständig leben zu können<br />

und im Bedarfsfall auch im Quartier verbleibend<br />

versorgt zu werden. Sonderwohnformen,<br />

wie Mehrgenerationenwohnen oder<br />

gemeinschaftliche Wohneinrichtungen, sollten<br />

verstärkt <strong>für</strong> einen Austausch zwischen<br />

den unterschiedlichen Alters- und Bevölkerungsgruppen<br />

sorgen.<br />

Ziel war es weiter, insbesondere die Freiräume<br />

so aufzuwerten, dass die Gemeinschaft<br />

im Quartier verbessert wird. So soll eine<br />

Nachbarschaft entstehen, die es allen Altersstufen<br />

ermöglicht, selbstverständlich miteinander<br />

Kontakt zu pflegen und – wenn erforderlich<br />

– auch Verantwortung <strong>für</strong>einander<br />

zu übernehmen. Durch die Umnutzung<br />

privater Grünräume, die derzeit nur eine geringe<br />

Qualität im Grünbestand und der<br />

Nutzbarkeit aufweisen, sollten Potentiale <strong>für</strong><br />

eine flächen- und energiesparende Nachverdichtung<br />

gewonnen werden, unter der<br />

Wahrung stadtökologischer und insbesondere<br />

stadtklimatologischer Erfordernisse.<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


15<br />

Da das Konzept zum einen kontextuell vom<br />

übergeordneten Quartiersbezug her, zum anderen<br />

typologisch und experimentell vom<br />

städtebaulich-freiräumlichen Detail aus, entwickelt<br />

werden sollte, wurde eine reale<br />

Situation in Straßtrudering im Osten Münchens<br />

als Projektgebiet ausgewählt.<br />

Methodisches Vorgehen der Preisträgerinnen<br />

im Entwurfsprozess<br />

Für unterschiedliche Ansprüche werden differenziert<br />

städtebauliche- freiräumliche Bausteine<br />

entwickelt, die flexibel angeordnet<br />

werden können. Da die Bausteine sich nach<br />

Bedarf und Verfügbarkeit der Grundstücke<br />

sukzessive aus und mit dem Bestand entwickeln,<br />

stellt der Gesamtentwurf des Quartiers<br />

nur einen möglichen Ausbaustand<br />

dieser Entwicklung dar. Dieses Vorgehen<br />

entspricht der Dynamik und der Prozesshaftigkeit<br />

städtebaulicher Entwicklungen.<br />

Abbildung 1 veranschaulicht das Baustein-<br />

System und dessen flexible Anordnung.<br />

Baustein mit Schwerpunkt Kommunikation<br />

Die Bausteine mit dem Schwerpunkt Kommunikation<br />

bestehen aus Reihenhäusern<br />

und Geschosswohnungsbauten, die sich<br />

um einen hofartigen Freiraum gruppieren.<br />

Die Gebäude werden kommunikationsfördernd<br />

über den gemeinschaftlichen Hof<br />

erschlossen. Großer Wert wird hier insbesondere<br />

auf den großzügig gestalteten, halböffentlichen<br />

Raum gelegt. Die privaten Gärten<br />

werden deutlich kleiner dimensioniert,<br />

sollen aber dennoch vorhanden sein, um private<br />

Rückzugsmöglichkeiten zu ermöglichen.<br />

Zusätzlich sind Gemeinschaftshäuser<br />

vorgesehen, die gemeinsame Aktionen ermöglichen<br />

und fördern. In diesen Baustein<br />

sind darüber hinaus Sonderwohnformen, wie<br />

Mehrgenerationenwohnen oder Senioren-<br />

Wohngemeinschaften, integriert. In Abbildung<br />

2 wird dieser Baustein dargestellt.<br />

Baustein mit Schwerpunkt Versorgung<br />

Damit ältere Menschen möglichst lange,<br />

auch bis zum Ende ihres Lebens, in ihrem<br />

gewohnten Lebensumfeld wohnen bleiben<br />

Abbildung 1: System der Bausteine und deren flexible Anordnung<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


16<br />

Abbildung 2: Baustein mit dem Schwerpunkt Kommunikation<br />

Legende: 1) Ruhebereich, 2) Reihenhäuser, 3) Mischfläche, 4) Baugemeinschaft, 5) Gemeinschaftshaus,<br />

6) Alters-WG, 7) Bestand, 8) Ruhebereich, 9) Doppelhaus, 10) Mehrgenerationen<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

können, werden auch „Bausteine“ geschaffen,<br />

die auf individuelle Versorgungsformen<br />

der einzelnen Nutzergruppen abzielen. Hierbei<br />

ist von Bedeutung, dass nicht nur ältere<br />

Menschen Hilfe benötigen, sondern auch<br />

jüngere wie Alleinerziehende. Daher sind<br />

Einrichtungen wie eine Kita, ein ambulanter<br />

Pflegedienst oder eine Pflegeeinrichtung neben<br />

den gemeinschaftlichen Wohnformen<br />

untergebracht. Eine Mensa, die von Bewohnern<br />

des Pflegestifts und der Kita gemeinschaftlich<br />

genutzt werden kann, ermöglicht<br />

einen Austausch zwischen den Generationen.<br />

So bestehen die Möglichkeiten gemeinsamer<br />

Aktionen wie Kochen mit älteren<br />

Menschen und Kindern oder das gemeinsame<br />

Arbeiten und Erholen in einem Nutzgarten.<br />

Baustein mit Schwerpunkt Privatsphäre<br />

Reihen- und Doppelhäuser mit großen Privatgärten<br />

bieten Platz <strong>für</strong> junge Familien. Außerdem<br />

sind Geschosswohnungsbauten vorgesehen,<br />

die von Familien, Einzelpersonen,<br />

auch älteren Menschen, bewohnt werden<br />

können, die Wert auf Privatsphäre und Unabhängigkeit<br />

legen.<br />

Abbildung 3 zeigt das Gesamtkonzept.<br />

Freiraum als übergeordneter Verknüpfungs-<br />

und Begegnungsraum: Ansprüche<br />

an den Freiraum<br />

Um den Freiraum <strong>für</strong> alle Nutzergruppen<br />

qualitativ hochwertig zu gestalten, ist es<br />

wichtig, die Überschneidungen der Ansprüche<br />

unterschiedlicher Altersgruppen an den<br />

Freiraum zu analysieren, da sie essentiell <strong>für</strong><br />

ein gelingendes Miteinander der Generationen<br />

sind und bei der Gestaltung zu berücksichtigen<br />

sind:<br />

Sicherheit<br />

Sowohl ältere Menschen als auch Eltern mit<br />

kleineren Kindern haben ein Grundbedürfnis<br />

nach Sicherheit, wenn sie sich im öffentlichen<br />

Raum bewegen. Deshalb ist es wichtig,<br />

die Freiräume hell und offen zu gestalten und<br />

unübersichtliche Kreuzungen, Wege und<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


17<br />

Abbildung 3: Gesamtkonzept <strong>für</strong> die mögliche Umgestaltung eines Münchner Quartiers<br />

Legende: 1) Pflegestift (Baustein Versorgung siehe Abb. 1), 2) Quartierscafé, 3) Gemeinschaftshof,<br />

4) Beruhigter Verkehrsbereich, 5) Privatgarten, 6) Ruhebereich, 7) Wohnwege, 8) Mischfläche als<br />

Hauptbegegnungsraum, 9) Gartenwege, 10) Multifunktionale Freifläche, 11) Parken, 12) Supermarkt<br />

1<br />

3<br />

2<br />

3<br />

4<br />

6<br />

5<br />

7<br />

3<br />

3<br />

8<br />

4<br />

3<br />

9<br />

6<br />

3<br />

7<br />

10<br />

11<br />

12<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


18<br />

Endnoten<br />

Reicher, C. (2008) „Planen<br />

und Bauen <strong>für</strong> das Alter“<br />

oder: Es soll sich lohnen,<br />

alt zu werden! In: V.<br />

Kreuzer, C. Reicher, T.<br />

Scholz (Hrsg.): Zukunft<br />

Alter - Stadt planerische<br />

Handlungs ansätze zur altersgerechten<br />

Quartiersentwicklung,<br />

(S. 123).<br />

Dortmund, Technische<br />

Universität, Institut <strong>für</strong><br />

Raumplanung<br />

Plätze zu vermeiden. Auch eine hochwertige<br />

Beleuchtung trägt zum Sicherheitsgefühl<br />

bei.<br />

Barrierefreiheit<br />

Hohe Bordsteinkanten und starke Gefälle im<br />

Gehweg sind <strong>für</strong> Menschen mit körperlichen<br />

Einschränkungen oft unüberwindbare Hindernisse.<br />

Auch <strong>für</strong> kleine Kinder und Mütter<br />

mit Kinderwagen sind solche Hindernisse<br />

mühsam zu bewältigen. Deshalb wird die<br />

vorhandene Erschließungsstraße, die derzeit<br />

durch eine zu geringe Gehwegbreite <strong>für</strong><br />

Menschen mit Gehhilfe und Rollstuhlfahrer<br />

nicht nutzbar ist, in eine Mischfläche umgestaltet.<br />

Die weiteren Straßen im Gebiet werden<br />

mit Gehwegen mit einer Mindestbreite<br />

von 2,50 m versehen. Die Beläge der Straßen<br />

und Wege müssen ebenfalls den Kriterien<br />

der Barrierefreiheit entsprechen. Um Wegeverbindungen<br />

<strong>für</strong> körperlich eingeschränkte<br />

Menschen angemessen zu gestalten, sind<br />

im Abstand von maximal hundert Metern<br />

Sitzmöglichkeiten vorgesehen.<br />

Multifunktionalität<br />

Die Freiflächen werden multifunktional gestaltet,<br />

um eine Nutzung durch unterschiedliche<br />

Altersgruppen auf einer Freifläche zu<br />

ermöglichen. Sie kann von Kindern als Spielraum<br />

oder <strong>für</strong> gemeinsame Feste genutzt<br />

werden.<br />

Freiraumebenen<br />

Während der Bewegungsradius eines Kindes<br />

im Laufe der Jahre wächst, schränkt sich<br />

der Radius eines betagten Menschen zunehmend<br />

ein. Dies bedeutet, dass alle Freiraumebenen<br />

vom privaten bis hin zum übergeordneten<br />

Freiraum zunächst in erforderlicher<br />

Quantität und Qualität bereitgestellt<br />

sein müssen. Dies bedeutet aber auch, dass<br />

sowohl die Älteren als auch kleine Kinder<br />

meist auf das direkte Wohnumfeld angewiesen<br />

sind (Reicher 2008). 1<br />

Deshalb wurde im Entwurf darauf geachtet,<br />

alle erforderlichen Freiraumebenen im Quartier<br />

anzubieten und miteinander zu vernetzen.<br />

So gibt es die Ebene der privaten Freiräume<br />

in Form von Terrassen und Gärten und<br />

gemeinschaftliche Höfe als halböffentliche<br />

Freiraumebene. Die öffentliche Freiraumebene<br />

wird gebildet aus der zentral gelegenen<br />

Begegnungsfläche und dem Wegenetz,<br />

das zum Teil auch straßenunabhängig als<br />

„Pfade“ durch das Quartier führt und die einzelnen<br />

Bausteine untereinander und mit den<br />

übergeordneten Freiräumen vernetzt.<br />

Nutzungsintensitäten<br />

Um den verschiedenen Ansprüchen der Nutzergruppen<br />

gerecht zu werden, werden in<br />

den Freiräumen Bereiche <strong>für</strong> unterschiedliche<br />

Nutzungsintensitäten geschaffen. Unterschieden<br />

werden hierbei Bereiche <strong>für</strong> ruhige,<br />

mittlere und aktive Nutzungen. In den ruhigen<br />

Bereichen soll Platz zum Ausruhen und<br />

Beobachten sein. Hier wird zudem auf Blickkontakt<br />

zu aktiveren Bereichen geachtet,<br />

um keine isolierten und abgeschiedenen Bereiche<br />

zu schaffen. Die Bereiche der mittleren<br />

Nutzungsaktivität dienen als Puffer<br />

zwischen den aktiven und ruhigen Bereichen.<br />

So erscheinen sie hauptsächlich als Wege<br />

zum gemütlichen Spazierengehen oder als<br />

kleine Plätze, die spontane Begegnungen<br />

oder kurze Treffen ermöglichen. Die aktiven<br />

Bereiche bieten Möglichkeiten <strong>für</strong> körperliche<br />

Aktivitäten jeglicher Form und aller Altersgruppen,<br />

wie beispielsweise Boule, gemeinsames<br />

Gärtnern oder Ballspiele. Mit der<br />

Vernetzung der Bausteine durch attraktive<br />

Wegeverbindungen und Freiräume mit hoher<br />

Aufenthaltsqualität besteht <strong>für</strong> die Bewohner<br />

des gesamten Quartiers die Möglichkeit,<br />

Gemeinschaft zu erleben und Begegnungen<br />

mit verschiedensten Nutzergruppen zu erfahren.<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


19<br />

Résumé<br />

Die fachliche Betreuung des Studienprojektes<br />

fand interdisziplinär statt: Prof. C. Jensen<br />

als Architekt, Prof. B. Zimmermann als Soziologe<br />

und Prof. U. Stock-Gruber als Landschaftsarchitektin<br />

und Stadtplanerin begleiteten<br />

das Projekt. Eine weitere Intensivierung<br />

des erforderlichen interdisziplinären Ansatzes,<br />

bei dem studentische Teams aus<br />

unterschiedlichen Studiengängen gemeinsam<br />

eine durchgängige Konzeption von der<br />

Stadtplanung, der Architektur, Innenarchitektur<br />

und Landschaftsarchitektur an einem Projektgebiet<br />

erarbeiten, ist wünschenswert.<br />

Bei der Bearbeitung der Wettbewerbsaufgabe<br />

wurde die enorm große Bedeutung des<br />

öffentlichen Raums als vernetzende Struktur<br />

vieler einzelner räumlicher Setzungen offensichtlich.<br />

Ergänzend dazu spielen fein<br />

differenziert ausgebildete Abstufungen zu<br />

den und zwischen den privaten und gemeinschaftlichen<br />

Freiräumen eine wesentliche<br />

Rolle <strong>für</strong> das kommunikative Potential eines<br />

Wohnumfelds.<br />

Sicher ist, dass in allen künftigen Fragestellungen<br />

der Studienprojekte in Weihenstephan<br />

der Aspekt der altersgerechten Planung<br />

substanzieller und selbstverständlicher Auftrag<br />

sein wird, um den sozialen, funktionalen,<br />

räumlichen und ästhetischen Anforderungen<br />

einer älter und vielfältiger werdenden Gesellschaft<br />

zu begegnen.<br />

Autoreninfo und Kontakt<br />

Uta Stock-Gruber, Landschaftsarchitektin<br />

und Stadtplanerin, ist Professorin <strong>für</strong> Landschaftsarchitektur<br />

und Planung an der Hochschule<br />

Weihenstephan-Triesdorf<br />

Kontakt: uta.stock-gruber @ hswt.de<br />

Christoph Jensen, Architekt und Stadtplaner,<br />

ist Professor <strong>für</strong> Architektur und Städtebau<br />

an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf<br />

Kontakt: christoph.jensen @ hswt.de<br />

Aus der Altersforschung Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


20<br />

Zu Hause daheim – der bayerische Weg<br />

Maria Weigand<br />

Endnoten<br />

Gesetz zur Ausführung<br />

der Sozialgesetze im Freistaat<br />

Bayern<br />

Demografische Herausforderung – den<br />

Wandel gestalten<br />

Wir stehen vor der Herausforderung einer<br />

älter werdenden Gesellschaft, deren<br />

Wünsche und Bedürfnisse, aber auch deren<br />

Potentiale sich verändert haben. Viele<br />

Menschen sind heute auch im höheren Alter<br />

noch leistungsfähig. Gleichzeitig wollen sie<br />

möglichst lange selbstbestimmt in der vertrauten<br />

Umgebung leben. Das bestätigt<br />

auch eine vom Bayerischen Sozialministerium<br />

zum Thema „Wohnen im Alter“ in Auftrag<br />

gegebene Umfrage: Danach wird der Aufenthalt<br />

in einem Alten- und Pflegeheim von<br />

über 80 % der Befragten abgelehnt. Das<br />

eigene Zuhause ist <strong>für</strong> viele Menschen ein<br />

Ort von Gefühlen der Geborgenheit, der<br />

Zufriedenheit und der Sicherheit. Im Hinblick<br />

auf das Älterwerden wollen die Menschen<br />

diese Gefühle nicht aufgeben, auch wenn sie<br />

Hilfestellungen benötigen.<br />

Basis einer innovativen Seniorenpolitik muss<br />

es sein, auch die Chancen der demografischen<br />

Veränderungen zu nutzen und den<br />

Wandel aktiv zu gestalten. Ziel ist eine<br />

neue Teilhabe- und Sorgepolitik im Sinne<br />

einer „caring community“.<br />

Bayern hat 2007 die Weichen gestellt und<br />

die gesetzliche Grundlage geschaffen. Die<br />

regionale Pflegebedarfsplanung wurde Bestandteil<br />

eines integrativen, regionalen<br />

seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes, das<br />

nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“<br />

die Lebenswelt älterer Menschen mit<br />

den notwendigen Versorgungsstrukturen<br />

sowie neue Wohn- und Pflegeformen umfasst<br />

(Art. 69 AGSG 1 ). 90 % der Landkreise<br />

und kreisfreien Städte in Bayern haben ein<br />

solches Konzept erstellt bzw. sind dabei, es<br />

zu erstellen. Die elf Handlungsfelder eines<br />

seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes reichen<br />

von der integrierten Orts- und Entwicklungsplanung<br />

(Infrastruktur) über Angebote <strong>für</strong><br />

ein Wohnen zu Hause, Prävention, Beratung,<br />

Teilhabe, bürgerschaftliches Engagement,<br />

Betreuung und Pflege, Vernetzung, bis hin<br />

zur Hospizversorgung. Die seniorenpolitischen<br />

Gesamtkonzepte bilden somit den Rahmen<br />

bzw. die Grundlage <strong>für</strong> eine sorgende Gemeinschaft.<br />

Dabei gibt es nicht den Weg, die<br />

Lösung <strong>für</strong> alle. Aufbauend auf den vorhandenen<br />

Strukturen und Potentialen, Wünschen<br />

und Bedürfnissen gilt es, individuelle, passgenaue<br />

Lösungen zusammen mit den Bürgerinnen<br />

und Bürgern zu entwickeln und aufzubauen.<br />

Abbildung 1 stellt die Vielfalt an Wohnund<br />

Unterstützungsformen dar.<br />

Ausgewählte Umsetzungsstrategien<br />

„Bürgerschaftlich engagierte Nachbarschaftshilfen“<br />

Nachbarschaften, die von den persönlichen<br />

Beziehungen leben, sind die „Keimzellen“<br />

des sozialen Miteinanders. Bürgerschaftlich<br />

engagierte Nachbarschaftshilfen gehen<br />

einen Schritt weiter und erscheinen sehr gut<br />

geeignet, Alltagsunterstützung und soziale<br />

Kontakte über ehrenamtliche Helferinnen und<br />

Helfer verlässlich zu organisieren und damit<br />

einen Verbleib in der Häuslichkeit zu unterstützen.<br />

Im Vordergrund steht immer bürgerschaftliches<br />

Engagement und die gegenseitige<br />

Hilfe von und <strong>für</strong> Bürgerinnen und<br />

Bürger.<br />

Als Hilfestellung <strong>für</strong> neue Initiativen wurde<br />

vom Bayerischen Sozialministerium ein Eckpunktepapier<br />

mit Tipps und Hinweisen von<br />

der Idee bis zum Start erstellt. Um den Aufbau<br />

neuer Nachbarschaftshilfen zu forcieren,<br />

wird die Gründungsphase mit einer Anschubfinanzierung<br />

von bis zu 10.000 Euro unterstützt.<br />

Innerhalb eines Jahres konnte so 36<br />

Initiativen der Start erleichtert werden.<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


Abbildung 1: Überblick der Wohn- und Versorgungskonzepte im Alter (eigene Darstellung)<br />

21<br />

Betreutes Wohnen zu Hause<br />

Das „Betreute Wohnen zu Hause“ ist eine<br />

alternative Wohn- und Betreuungsform in der<br />

eigenen Häuslichkeit. Mit Hilfe einer Koordinationsstelle<br />

(Case-Manager) wird die ehrenamtliche<br />

und hauptamtliche Hilfe individuell<br />

und bedarfsgerecht zusammengestellt. Im<br />

Mittelpunkt steht der wöchentliche Hausbesuch<br />

durch geschulte Ehrenamtliche, die<br />

den notwendigen Hilfebedarf abklären. Die<br />

Koordinationsstelle selbst bietet oder vermittelt<br />

anschließend die notwendigen Hilfen<br />

aus einem breiten Dienstleistungsangebot<br />

oder in Kooperation mit anderen Anbietern<br />

(z.B. hauswirtschaftliche Arbeiten, Pflege,<br />

Einkaufsservice, Fahr- und Begleitdienste,<br />

Hilfen <strong>für</strong> Haus und Garten, Essen auf Rädern,<br />

Hausnotruf). Der Wunsch nach sozialen<br />

Kontakten und Sicherheit, der gerade im Alter<br />

besteht, wird durch das „Betreute Wohnen<br />

zu Hause“ sehr gut erfüllt. Ein Leitfaden,<br />

herausgegeben vom Bayerischen Sozialministerium,<br />

veröffentlicht im Reinhardt-Verlag,<br />

und regelmäßige Netzwerktreffen unterstützen<br />

die Initiatoren nicht nur in der Aufbauphase.<br />

Die staatliche Anschubfinanzierung<br />

<strong>für</strong> die ersten beiden Jahre beträgt<br />

bis zu 35.000 Euro. Bayernweit sind inzwischen<br />

rund 80 Projekte entstanden. Die<br />

faszinierende Idee des „Betreuten Wohnens<br />

zu Hause“ hat inzwischen auch in anderen<br />

(Bundes-)Ländern Fuß gefasst.<br />

Seniorengenossenschaften<br />

Im Fokus jeder Genossenschaft steht nicht<br />

die Gewinnorientierung, sondern der Nutzen<br />

<strong>für</strong> ihre Mitglieder. Es ist deshalb kein Wunder,<br />

dass der Genossenschaftsgedanke nach<br />

wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine<br />

Renaissance erlebt und auch im sozialen Bereich<br />

wiederbelebt wird.<br />

Eine ganz <strong>aktuell</strong>e Entwicklung hin zu einer<br />

sorgenden Gemeinschaft sind sogenannte<br />

„Seniorengenossenschaften“. Sie können in<br />

der Rechtsform einer Genossenschaft oder<br />

eines eingetragenen Vereins organisiert sein.<br />

In „Seniorengenossenschaften“ wird<br />

bürgerschaftliches Engagement in genossenschaftlicher<br />

Form der Hilfe auf Gegenseitigkeit<br />

gelebt. Die engagierten Mitglieder<br />

können <strong>für</strong> ihren Einsatz ein entsprechendes<br />

Entgelt ausgezahlt bekommen oder sich<br />

Zeit gutschreiben lassen. Diese kann später,<br />

wenn sie selbst Hilfe benötigen, in Form<br />

von Diensten in Anspruch genommen werden<br />

(wer beispielsweise 100 Stunden durch<br />

Arbeiten anspart, kann später 100 Stunden<br />

kostenfrei abrufen). Während sich in anderen<br />

Bundesländern einzelne „Seniorengenossen-<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


22<br />

schaften“ bereits etabliert haben, ist diese<br />

Form der Selbsthilfe in Bayern noch sehr<br />

jung. Vielleicht ist gerade deshalb das Interesse<br />

so groß. Der neue Wegweiser mit<br />

vielen Tipps und Hinweisen, auch zu den rechtlichen<br />

Fragen, war in wenigen Tagen vergriffen.<br />

Er steht jedoch als Download auf der<br />

Homepage des Bayerischen Sozialministeriums<br />

zur Verfügung. Das neue Förderprogramm,<br />

das eine Anschubfinanzierung von<br />

bis zu 30.000 Euro <strong>für</strong> die ersten drei Jahre<br />

vorsieht, wurde bereits von fünf Initiativen in<br />

Anspruch genommen.<br />

Dem Thema „Genossenschaften <strong>für</strong> ältere<br />

Menschen“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe<br />

von Sachsen und Bayern gewidmet,<br />

die allen Interessierten eine Plattform<br />

zum gegenseitigen Austausch bietet. Der<br />

Kongress „Sachsen <strong>für</strong>einander – Seniorengenossenschaften<br />

in Sachsen“ im September<br />

2013 in Dresden war gut besucht. Die<br />

nächste Veranstaltung findet am 15. November<br />

2013 in Nürnberg statt.<br />

Quartierskonzepte<br />

Für ein selbstbestimmtes Wohnen im Alter<br />

spielt das Wohnumfeld, das Quartier eine<br />

entscheidende Rolle. Zunehmend gewinnen<br />

dabei sogenannte Quartierskonzepte mit<br />

einem Fokus auf ältere Menschen, die sowohl<br />

im städtischen wie im ländlichen Bereich<br />

realisiert werden können, an Bedeutung. Die<br />

Bausteine „Wohnen und Wohnumfeld“,<br />

„Soziales“ sowie „Unterstützung und Pflege“<br />

verschmelzen zu einem Gesamtkonzept.<br />

Abbildung 2 verdeutlicht die konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten:<br />

Ein Quartierskonzept muss immer auf den<br />

bestehenden Strukturen und Rahmenbedingungen<br />

aufsetzen und die Wünsche und<br />

Bedürfnisse seiner Bewohnerinnen und Bewohner<br />

beachten. Eine aktive Bürgerbeteiligung<br />

ist <strong>für</strong> die Umsetzung eines Quartierskonzeptes<br />

deshalb genauso wichtig wie<br />

ein erfolgreiches Quartiersmanagement. Die<br />

Vernetzung und Kooperation der relevanten<br />

Akteure wie Kommune, Wohnungswirtschaft,<br />

Pflegedienst, Nachbarschaftshilfen und<br />

Vereine ist unverzichtbar. Diese Akteure sind<br />

auch gefordert, wenn es um die dauerhafte<br />

Finanzierung des Quartiersmanagements<br />

geht.<br />

Ein Beispiel soll die Strukturen verdeutlichen:<br />

Das städtische Wohnungsunternehmen<br />

GEWOFAG hat in München an fünf Standorten<br />

das Konzept „Wohnen im Viertel“<br />

realisiert. Die GEWOFAG ist mit rund 37.000<br />

Wohnungen Münchens größter Vermieter<br />

und zu 100 % im Besitz der Landeshauptstadt<br />

München.<br />

Abbildung 2: Wesentliche Bausteine eines Quartierskonzeptes (eigene Darstellung)<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


23<br />

Im jeweiligen Viertel wurden Wohnungen<br />

saniert und soweit wie möglich von Barrieren<br />

befreit. Jeweils ca. zehn barrierefreie Projektwohnungen<br />

sind speziell <strong>für</strong> pflegebedürftige<br />

oder behinderte Mieterinnen und<br />

Mieter reserviert. Über die Belegung entscheiden<br />

die beteiligten Akteure einvernehmlich.<br />

Eine 24h-Versorgungssicherheit wird<br />

durch einen ambulanten Pflegedienst gewährleistet.<br />

Ein Treffpunkt <strong>für</strong> alle Bewohnerinnen<br />

und Bewohner in Form eines Bewohnercafés<br />

und eine Pflegewohnung, die<br />

bei einem vorübergehenden Pflegebedarf<br />

z.B. nach einem Krankenhausaufenthalt genutzt<br />

wird, runden das Angebot ab. Das<br />

Bewohnercafé selbst ist nicht nur Treffpunkt<br />

<strong>für</strong> alle Mieterinnen und Mieter unabhängig<br />

vom Lebensalter. Die Gemeinschaftsküche<br />

ermöglicht gemeinsames Kochen und Essen<br />

und wirkt so der Vereinsamung entgegen.<br />

Nicht zu unterschätzen <strong>für</strong> die Lebensqualität<br />

im Viertel ist die Nachbarschaftshilfe, die<br />

niedrigschwellige Dienstleistungen wie z.B.<br />

Hausaufgabenbetreuung oder Einkaufshilfen<br />

organisiert. Das Wohnprojekt ist gut mit<br />

Ärzten, Therapeuten, Vereinen und anderen<br />

sozialen und kirchlichen Einrichtungen vor<br />

Ort vernetzt.<br />

Auch wenn natürlich die freie Wählbarkeit<br />

des Pflegedienstes gegeben ist, bevorzugen<br />

doch die meisten Pflegebedürftigen den<br />

Pflegedienst vor Ort. Dadurch hat der Pflegedienst<br />

nicht nur kurze Wege, sondern auch<br />

einen festen Kundenstamm. Auf diese Weise<br />

wird eine 24h-Versorgungssicherheit vor<br />

Ort ohne Pauschale, wie sie z.B. im Bereich<br />

des Betreuten Wohnens üblich ist, gewährleistet.<br />

Das Bewohnercafé wird von der<br />

GEWOFAG zur Verfügung gestellt. Die nicht<br />

gedeckten Kosten werden durch die Landeshauptstadt<br />

München bezuschusst. Aufgrund<br />

der positiven Erfahrungen soll das Konzept an<br />

16 weiteren Standorten im Stadtgebiet umgesetzt<br />

werden.<br />

Auch wenn die Rahmenbedingungen auf dem<br />

Land anders sind, lassen sich auch hier<br />

Quartierskonzepte mit den oben genannten<br />

Bausteinen realisieren. Das Quartier bildet<br />

hier die Dorfgemeinschaft. Die Initiative geht<br />

meist von der Kommune oder örtlichen<br />

Organisationen aus.<br />

Ziel eines jeden Quartierskonzeptes ist die<br />

Gestaltung des sozialen Nahraums, damit<br />

ältere Menschen in ihrem Wohnumfeld bleiben<br />

können oder nur innerhalb des Wohnquartiers<br />

umziehen müssen. Die <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />

Umsetzung eines Quartierskonzeptes<br />

entscheidenden Parameter, wie<br />

Partizipation, Kooperation und Quartiersmanagement,<br />

sind in einem Eckpunktepapier<br />

des Bayerischen Sozial ministeriums ausführlich<br />

dargestellt. Das Eckpunktepapier<br />

bietet Orientierung und Hilfestellung beim<br />

Aufbau und ist auf der Homepage des<br />

Bayerischen Sozial ministeriums zu finden.<br />

Ein Fachtag zum Thema „Quartiersentwicklung<br />

<strong>für</strong> ältere Menschen“ findet am<br />

2. Dezember 2013 in Rosenheim statt.<br />

Alternative Wohnformen<br />

Genauso vielfältig und verschieden wie die<br />

Lebensverläufe und Bedürfnisse von Menschen<br />

sind, genauso vielfältig und verschieden<br />

müssen die Möglichkeiten der Pflege<br />

und Unterstützung in der zweiten Lebenshälfte<br />

sein. Für Situationen, in denen ein Verbleib<br />

in den eigenen vier Wänden nicht mehr<br />

möglich ist, brauchen wir innovative Wohnalternativen,<br />

die den Betroffenen zumindest<br />

ein Leben „wie zu Hause“ ermöglichen. In<br />

den letzten Jahren hat sich eine ganze Palette<br />

an neuen Ansätzen entwickelt. Paradebeispiel<br />

sind ambulant betreute Wohngemeinschaften,<br />

die die Vorteile einer „Rund um<br />

die Uhr“- Betreuung mit denjenigen eines<br />

selbstbestimmten Lebens besonders gut<br />

kombinieren. Seit 2008 sind in Bayern 169<br />

Pflege-Wohngemeinschaften entstanden,<br />

die insbesondere <strong>für</strong> Menschen mit Demenzerkrankungen<br />

eine gute Alternative sind.<br />

Immer mehr im Kommen sind aber auch ambulante<br />

Hausgemeinschaften oder intergenerative<br />

Wohnformen. In ambulanten Hausgemeinschaften<br />

leben ältere, meist aktive<br />

Menschen, jeder in einer eigenen Wohnung,<br />

selbstbestimmt und eigenverantwortlich<br />

miteinander in einem Haus. Das Gemeinschaftsleben<br />

wird durch einen Gemeinschaftsraum<br />

erleichtert und wirkt Isolation entgegen.<br />

Die Mieterinnen und Mieter unterstützen<br />

sich im Bedarfsfall gegenseitig und nehmen<br />

gemeinsam Dienstleistungen in Anspruch,<br />

so dass sie nach Möglichkeit bis an ihr<br />

Lebensende in der ambulanten Hausgemein-<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


24<br />

schaft wohnen bleiben können. Intergenerative<br />

Wohnformen, die durch gegenseitige<br />

Unterstützung gekennzeichnet sind, fördern<br />

in besonderer Weise den Generationenzusammenhalt.<br />

Förderliche Faktoren<br />

Eine fachkundige Beratung erleichtert die<br />

Entwicklung neuer Versorgungsstrukturen<br />

ungemein. Die Koordinationsstelle Wohnen<br />

im Alter, die Interessierte zu allen dargestellten<br />

neuen Konzepten berät und unterstützt,<br />

ist in Bayern inzwischen zu einer<br />

festen Institution geworden.<br />

Der Öffentlichkeitsarbeit kommt bei der Verbreitung<br />

neuer Versorgungskonzepte entscheidende<br />

Bedeutung zu. Es gilt, neue Ideen<br />

bei potenziellen Nutzern, aber auch bei<br />

Kommunen, Dienstleistern und Wohnungsunternehmen<br />

bekannt zu machen. Veröffentlichungen,<br />

Fachtage, Kongresse, aber<br />

auch die Vorstellung auf (Senioren-)Messen,<br />

sind hier ein bewährtes Medium.<br />

Nicht zuletzt sind natürlich auch die finanziellen<br />

Rahmenbedingungen entscheidend.<br />

Neue Wohnformen, wie z.B. Wohngemeinschaften,<br />

Hausgemeinschaften, intergenerative<br />

Wohnformen oder Quartierskonzepte,<br />

können in Bayern eine Anschubfinanzierung<br />

bis zu 40.000 Euro erhalten. Damit kann<br />

z.B. in den ersten Jahren eine neutrale Moderation<br />

finanziert werden.<br />

Es ist notwendig, alle relevanten Kräfte zu<br />

mobilisieren. Grundlage ist eine trägerübergreifende<br />

Kooperation und Vernetzung. Eine<br />

sorgende Gemeinschaft ist nur durch eine<br />

neue Verantwortungsgemeinschaft von älteren<br />

Menschen, Angehörigen, bürgerschaftlich<br />

Engagierten und professionellen Diensten<br />

zu realisieren. Dabei dürfen ältere Menschen<br />

– auch mit Unterstützungsbedarf – nicht<br />

nur als Hilfeempfängerinnen bzw. Hilfeempfänger<br />

gesehen werden. Wir müssen auch<br />

ihre Potenziale, ihre Ressourcen und ihr Recht<br />

auf Teilhabe im Blick haben.<br />

Nicht zuletzt bedarf es einer gesicherten Finanzierung.<br />

Für manche Ansätze reicht eine<br />

Anschubfinanzierung, um die schwierige<br />

Aufbauphase zu erleichtern. Andere Konzepte<br />

sind auf dauerhafte Unterstützung angewiesen.<br />

Hier gilt es, neue Ressourcen wie<br />

z.B. nach § 45 d SGB XI „ Förderung ehrenamtlicher<br />

Strukturen sowie der Selbsthilfe“<br />

zu erschließen und die stärkere Verantwortungsübernahme<br />

bestehender und neuer<br />

Akteure zu generieren.<br />

Weitere Informationen zu den erwähnten<br />

Eckpunkten, Leitfäden und Fördermöglichkeiten:<br />

www.stmas.bayern.de/senioren/<br />

wohnen/index.php und www.stmas.bayern.<br />

de/senioren/aktive/genossenschaften.php.<br />

Autoreninfo und Kontakt:<br />

Maria Weigand, Ministerialrätin, leitet im<br />

Bayerischen Staatsministerium <strong>für</strong> Arbeit<br />

und Sozialordnung, Familie und Integration<br />

in München das Referat III 2, Seniorenpolitik,<br />

Seniorenarbeit.<br />

Kontakt: Maria.Weigand @ stmas.bayern.de<br />

Ausblick<br />

Ziel ist es, flächendeckend quartiersbezogene<br />

und ausdifferenzierte Wohn- und Versorgungsangebote<br />

<strong>für</strong> ein selbstbestimmtes<br />

Wohnen im Alter zu schaffen, die den unterschiedlichen<br />

Wünschen und Bedürfnissen<br />

gerecht werden. Ein wichtiger Baustein sind<br />

wohnortnahe, flexible und niedrigschwellige<br />

Assistenzleistungen. Auch neue technische<br />

Möglichkeiten müssen besser erschlossen<br />

und zugänglich gemacht werden.<br />

Aus Politik und Praxis der Altenhilfe<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013


28<br />

DZA, Manfred-von-Richthofen-Str. 2, 12101 Berlin<br />

PVST, Deutsche Post AG Entgelt bezahlt<br />

A 20690E<br />

Aus Informationsdienst der Altersforschung <strong>Altersfragen</strong> im Internet: www.dza.de<br />

Informationsdienst <strong>Altersfragen</strong> 40 (5), 2013

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