Hermeneutische Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
Hermeneutische Fallarbeit
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<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Essen<br />
11. Oktober 2012<br />
Dr. Manfred Borutta<br />
Pflegewissenschaftler (MScN)<br />
Dipl.-Pflegewirt<br />
Altenpfleger<br />
www.manfred-borutta.de<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 2
Agenda<br />
• Gesetzliche Kontexte<br />
• Konzeptionelle Voraussetzungen<br />
• Grundvoraussetzungen der hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong> (HFA)<br />
– Wissensbeschaffung:<br />
• Wie gelangen wir an passendes Wissen?<br />
– Professionalität:<br />
• Mit welchem Professionalitätsverständnis agieren wir?<br />
– Performative Kompetenzen und Professionalität:<br />
• Welches Verhalten ist im alltäglichen Handeln effektiv?<br />
• Handlungsorientiertes Professionsverständnis<br />
• Hermeneutik und <strong>Fallarbeit</strong><br />
– Setting der HFA<br />
– Struktur und Vorgehensweise in der HFA<br />
– Sinnführung in der HFA<br />
– Professionsverständnis und HFA<br />
<strong>Hermeneutische</strong><br />
<strong>Fallarbeit</strong><br />
(Kap. 6)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 3
Weiterbildung Risikomanagement<br />
Modul 8: Implementierungsstrategie über Projektmanagement<br />
(Dr. M. Borutta)<br />
30.01.13<br />
Modul 2:<br />
Modul 3:<br />
Modul 4:<br />
Modul 5:<br />
Modul 6:<br />
Modul 7:<br />
Gewaltfreie,<br />
autonomiestärkende<br />
Pflege<br />
(M. Borutta)<br />
Haftungsrecht<br />
(S.Saßen)<br />
Prävention<br />
von<br />
Mangel-<br />
Ernährung<br />
(C. Jehle)<br />
Dekubitus-<br />
Prävention<br />
(S. Saßen)<br />
Sturzprävention<br />
(S.Saßen)<br />
<strong>Hermeneutische</strong>s<br />
Pflegeverständnis<br />
(J. Lennefer)<br />
20.09.12<br />
25.10.12<br />
12.12.12<br />
16.01.13<br />
17.01.13<br />
29.01.13<br />
Modul 1: Grundlagenseminar<br />
(Dr. M. Borutta)<br />
19.09.12<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 4
Gesetzliche Würdigung und Anforderungen<br />
(..) Die Hilfen sollen diejenigen Maßnahmen enthalten, welche die<br />
Pflegebedürftigkeit mindern sowie einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit und der<br />
Entstehung von Sekundärerkrankungen vorbeugen.<br />
§ 2 Abs.1 Satz 2 Landesrahmenvertrag NRW gem. § 75 SGB XI<br />
Die Durchführung und Organisation der Pflege richten sich nach dem allgemeinen Stand<br />
der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse. §2 Abs.2 Satz 1 LRV NRW gem. § 75 SGB XI<br />
Die Betreiber haben die Rahmenbedingungen zu gewährleisten , die zur Realisierung des jeweiligen<br />
Stands der fachlichen und wissenschaftlicher Erkenntnis zur Deckung des individuellen Bedarfs<br />
der Bewohner erforderlich ist. § 1 Abs. 3 WTG NRW<br />
(..) Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der<br />
medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu<br />
berücksichtigen § 2 Abs.1 SGB V<br />
Konsequenz<br />
Explizite Forderung, auch die Pflegepraxis mit EBN inhaltlich zu füllen!<br />
Was ist das derzeit beste wissenschaftlich abgesicherte Wissen bzgl. der Pflege<br />
der Bewohnerin Frau Mustermann?<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 5
Konzeptionelle Voraussetzungen<br />
Wissensgenerierung<br />
im<br />
Pflegeteam<br />
Performative<br />
Kompetenzen<br />
u. Professionalität<br />
(Tschainer/Schwerdt)<br />
<strong>Hermeneutische</strong><br />
<strong>Fallarbeit</strong><br />
Klärung konzeptioneller Fragen:<br />
1. Segregativer vs.<br />
integrativer Ansatz<br />
2. Verantwortlich<br />
fallsteuernde<br />
Bezugspflege<br />
3. Pflegeplanung<br />
als zentrales<br />
Steuerungsinstrument<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 6
Gerontopsychiatrisches Fachwissen<br />
Interne Evidenz<br />
(Erfahrungswissen)<br />
Externe Evidenz<br />
(Regelwissen)<br />
Intuition<br />
und soziale<br />
Kompetenz<br />
Deduktiv<br />
entwickelte<br />
Pflegetheorien<br />
Berufsgeführtes<br />
Erfahrungswissen<br />
Lebenserfahrung<br />
Evidenzbasierte<br />
Leitlinien<br />
Expertenstandards<br />
Im Rahmen klinischer Entscheidungen kommt es zur Reflexion der<br />
Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Größen:<br />
Problemorientierte Pflege: braucht vorrangig externe Evidenz<br />
Fallorientierte Pflege: braucht stets interne und externe Evidenz<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 7
Wissensquellen<br />
Standards (SGB XI)<br />
Fachliche Aussagen über das<br />
akzeptierte Niveau von<br />
Pflegeleistungen.<br />
Leitlinien (SGB V)<br />
Wissenschaftlich und systematisch<br />
entwickelte Entscheidungshilfen für<br />
eine angemessene Vorgehensweise<br />
bei speziellen Pflegeproblemen (z.B.<br />
Demenz).<br />
Verfahrensanweisungen (VA)<br />
Konkrete operationalisierte Organisationsregeln, die die Pflegeeinrichtung<br />
(an Leitlinien und Standards orientiert) zur gezielten Prozesslenkung erstellt.<br />
Ziele:<br />
• Gewährleistung einer fachlich hinreichenden und abgesicherten Pflege<br />
(state-of-the-art-Prinzip)<br />
• Vermeidung unnötiger Maßnahmen und Kosten<br />
• Vermeidung von Schwankungen des Qualitätsniveaus<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 8
Evidenzstufen<br />
Sämtliche auch im deutschsprachigen Bereich dargestellten Kriterien für<br />
wissensbasierte Belege leiten sich von der Einteilung der AHCPR<br />
(Agency for Health Care Policy and Research, USA) ab.<br />
EBM-<br />
Stufe<br />
Ia<br />
Ib<br />
IIa<br />
IIb<br />
III<br />
IV<br />
Hierarchie/Level nach dem Coding-System des AHCPR<br />
Meta – Analysen von randomisierten kontrollierten Studien<br />
Mindestens eine randomisiert kontrollierte Studie<br />
Gut konstruierte kontrollierte Studie ohne Randomisierung<br />
Quasi – Experimente und andere Arten gut konstruierter<br />
Studien<br />
Nichtexperimentelle Studien wie Korrelationsstudien oder<br />
Fallstudien<br />
Expertenmeinungen<br />
(bspw. Expertenstandards Dekubitus, Sturz, etc.)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 9
Wissensgenerierung<br />
Was ist evidenzbasierte Pflege?<br />
Unter Evidenzbasierter Pflege (EbN) oder Evidenzbasierter<br />
Praxis (EbP) im engeren Sinne versteht man<br />
eine Vorgehensweise des pflegerischen Handelns,<br />
individuelle Patienten auf der Basis<br />
der besten zur Verfügung stehenden Daten zu versorgen.<br />
1. die systematische Suche nach der relevanten Evidenz in der<br />
pflegerischen Literatur für das konkrete klinisch-pflegerische<br />
Problem,<br />
2. die kritische Beurteilung der Validität (Gültigkeit) der<br />
gefundenen Evidenz,<br />
3. die Anwendung dieser Evidenz auf den konkreten Patienten<br />
mit Hilfe der pflegerische Erfahrung und der Vorstellungen des<br />
Patienten/Betreuers (Autonomie des Patienten!).<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 10
Wissensgenerierung<br />
Leitlinien- / EBN-gestützte Pflege am Beispiel pflegerischer Kernprozesse<br />
Kernpflegerische<br />
Problembereiche<br />
Professionelle Möglichkeiten<br />
der Wissensbeschaffung<br />
Anwendung<br />
gewährleisten<br />
gewaltfreie und<br />
autonomiestärkende Pflege<br />
Sturzprävention<br />
Ernährung und Hydration<br />
Dekubitusprävention<br />
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Pflegeplanung und -visite<br />
Wissensbeschaffung<br />
mit Hilfe von<br />
Leitlinien<br />
www.mds-ev.de<br />
www.leitlinien.de<br />
www.awmf.de<br />
online.de<br />
www.dimdi.de<br />
www.dnqp.de<br />
Operationalisierung<br />
(über VA)<br />
und<br />
Implementierung<br />
in die Praxis<br />
(Vgl. Studien<br />
MDS RP 2008 und<br />
DNEbN 2010)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 11
Wissenquellen<br />
MDS e.V.<br />
(Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkasse e.V.)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 12
Wissensquellen<br />
Leitlinien<br />
(äzq – Ärztliches Zentrum für Qualität)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 13
Wissensquellen<br />
dimdi<br />
(Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 14
Wissensquellen<br />
DNQP<br />
(Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 15
EbN und Patientenpräferenz<br />
Klinische Erfahrung<br />
(Interne Evidenz)<br />
Wissenschaftliche Erfahrung<br />
(externe Evidenz)<br />
Patientenpräferenzen<br />
(Werte)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 16
Wissensgenerierung<br />
Studienergebnisse zum Grad der Implementierung der<br />
Anforderungen aus den Expertenstandards:<br />
• Sturzprophylaxe:<br />
– Gefährdender Status bei 50% der ambulanten Dienste (n = 102) und bei<br />
40% der stationären Einrichtungen (n = 205)<br />
• Ausreichender Status bei weiteren 17% der ambulanten Dienste und bei<br />
33% der stationären Einrichtungen<br />
• Dekubitusprophylaxe:<br />
– Gefährdender Status bei 81% der ambulanten Dienste und bei 68% der<br />
stationären Einrichtungen<br />
(MDS Rheinland-Pfalz 2008)<br />
• Erfassung des individuellen Sturzrisikos:<br />
– Mängel in 18,5% der stationären Einrichtungen<br />
• Durchführung erforderlicher Sturzprophylaxen:<br />
– Mängel in 29% der stationären Einrichtungen<br />
(3. Bericht des MDS nach § 114a SGB XI, 2012)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 17
Wissensgenerierung<br />
Wirksamkeit der Umsetzung von Expertenstandards (DNEbM 2006 u. 2010).<br />
• „Eine deutliche Überlegenheit der Anwendung des Nationalen<br />
Expertenstandards Dekubituspropylaxe gegenüber anderen (Wissens-)<br />
Quellen kann nicht gezeigt werden.“<br />
• „Das Vorhandensein von Verfahrensregelungen in Pflegeeinrichtungen<br />
garantiert noch nicht, dass die Mitarbeiter der Einrichtung sie auch in<br />
aller Konsequenz umsetzen.“<br />
(Wilborn, Halfen, Dassen, Tannen 2010)<br />
• „Aus wissenschaftlicher Sicht sind Expertenstandards anachronistische<br />
Schriften, Relikte aus einem frühen Leitlinienentwicklungszeitalter.<br />
Ihr Nutzen für die Pflegepraxis ist völlig unklar.“<br />
• „In Anbetracht der methodischen Mängel ist es völlig unverständlich,<br />
warum sie wie heilige Schriften gehandelt werden.“<br />
(Meyer u. Köpke 2006)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 18
EbN und Fallverstehen<br />
„Es ist in jedem Fall unerlässlich, erst einmal<br />
herauszufinden, ob das Befolgen eines<br />
Standards oder einer Leitlinie im<br />
individuell vorliegenden Fall die richtige<br />
Entscheidung ist.“<br />
(S. Saßen: Risikomanagement, 2007, S. 224)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 19
Performative Kompetenz<br />
• Performance:<br />
– Realisierung eines Verhaltens in einer konkreten<br />
Situation<br />
• Unter performativen Kompetenzen sind solche<br />
Kompetenzen zu verstehen, die sich im täglichen<br />
Handeln als effektiv erweisen.<br />
• Es geht hierbei vor allem um den Praxis – Theorie –<br />
Praxis-Transfer, in dem Pflege geplant wird und<br />
theoretische Konzepte situationsangemessen individuell<br />
angewendet werden.<br />
R. Schwerdt und S. Tschainer: Spezifische Anforderungen an die Pflege demenziell<br />
erkrankter Menschen. In: Expertise zum vierten Altenbericht der Bundesregierung III:<br />
Hochaltrigkeit und Demenz als Herausforderung an die Gesundheits- und<br />
Pflegeversorgung, Hannover 2003, S. 181 - 287<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 20
Performative Kompetenz<br />
Performative Kompetenz als Basis einer professionelle<br />
Haltung in der Pflege…<br />
• die von der Bereitschaft bestimmt ist, alle bisher<br />
erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten als<br />
vorläufig zu betrachten,<br />
• die eigene Erfahrungen stets in Frage zu stellen<br />
• und diese an den Anforderungen der Praxis und des<br />
Falls und an neuen Erkenntnissen anzupassen.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 21
Professionalität<br />
Handlungsorientiertes Professionsverständnis<br />
(Oevermann/Weidner 1981/1995)<br />
Kennzeichen des professionellen Handelns:<br />
Zusammenhang von Regelwissen und<br />
Fallverstehen<br />
Dialektik (Wechselseitigkeit) von Begründungsund<br />
Entscheidungszwängen<br />
Autonomie der Lebenspraxis der Klienten<br />
Subjektive Betroffenheit des Patienten<br />
Analytische Distanz des Professionellen<br />
Keine vollständigen Handlungsstandards<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 22
Professionalität<br />
Modell der professionellen <strong>Fallarbeit</strong> (n. Weidner)<br />
INHALTE STRUKTUREN PROZESSE<br />
Bewohner:<br />
•Probleme<br />
•Krankheiten<br />
•Kompetenzen<br />
•Erfahrungen<br />
•Familie etc.<br />
Pflegende:<br />
•Regelwissen<br />
•Fallverstehen<br />
•Konzepte<br />
•Erfahrungen etc.<br />
Arbeitsbedingungen<br />
Arbeitsorganisation<br />
Qualifikation der<br />
Pflegenden<br />
Professioneller Ethos<br />
Interprofessionalität<br />
Professioneller<br />
Pflegeprozess:<br />
•Anamnesen<br />
•Diagnosen<br />
•Therapien/Interventionen<br />
•Evaluationen<br />
Beziehungen:<br />
Diffuse + spezifische<br />
Rollenanteile<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 23
Beobachtung 2. Ordnung<br />
Blinder Fleck<br />
im RM<br />
Beobachtung<br />
2. Ordnung<br />
(z.B. via HFA / Supervision…)<br />
PDL / PK<br />
Blinder Fleck<br />
der Alltagsbeobachtung<br />
Beobachtung<br />
1. Ordnung<br />
Beobachtung eigener<br />
Perspektiven,<br />
Debnkschemata und<br />
Relevanzmuster<br />
Blinder Fleck<br />
im RM<br />
Blinder Fleck<br />
der Alltagsbeobachtung<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 24
Beobachtung 2. Ordnung<br />
„Wir glauben nur, was wir sehen,<br />
Leider sehen wir nur, was wir glauben.“<br />
(Peter Atteslander)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 25
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Was ist Hermeneutik?<br />
Wenn über Hermeneutik gesprochen wird, so meint man damit meistens die<br />
Art, in der man ein Buch, eine Gebärde, ein Kunstwerk oder ein Zeichen<br />
auslegt oder interpretiert<br />
Dort, wo man über Hermeneutik spricht, meint man meistens das faktische<br />
inhaltliche interpretieren eines Textes.<br />
[Der Prediger oder Priester interpretiert den Evangelientext.]<br />
Jedes Mal liefern sie eine inhaltliche Bestimmung dessen, was im Text steht.<br />
Hermeneuse ist die inhaltliche Erklärung oder Interpretation eines Textes,<br />
Kunstwerkes oder das Verhalten einer Person . Sie geschieht – im Gegensatz<br />
zur Hermeneutik – jedoch ohne ausdrückliches Nachdenken über Methode und<br />
Voraussetzungen der Interpretation.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 26
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Der hermeneutischen Ansatz fragt nach den Regeln bzw. der Methode, die<br />
bei einer Interpretation des Falls bzw. des Verhaltens angewandt werden.<br />
In diesem Falle spricht man von Hermeneutik !<br />
Hermeneutik fragt nach den Regeln,<br />
die angewandt werden bei der Auslegung oder Interpretation<br />
• eines Textes,<br />
• eines Kunstwerkes oder<br />
• des Verhaltens einer Person<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 27
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Was ist <strong>Fallarbeit</strong>?<br />
In der <strong>Fallarbeit</strong> werden Hypothesen (Vorannahmen) über<br />
einen konkreten Fall (Bewohner) entwickelt.<br />
Hypothesen: Aussagen, deren Wahrheit nicht erwiesen ist, die<br />
aber vorläufig angenommen werden, um mit ihrer Hilfe<br />
Phänomene zu erklären.<br />
Nach K. Popper (1971) können Hypothesen aus sich heraus<br />
nicht bewiesen werden. Sie können nur falsifiziert (widerlegt)<br />
werden. D.h. ihre Tauglichkeit kann im Rahmen eines<br />
Erkenntniszusammenhangs auf ihre Stimmigkeit und Wahrheit<br />
überprüft werden.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 28
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Was ist <strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong>?<br />
Hermeneutik ist die Lehre des Deutens und Verstehens<br />
Deutung meint ein Verstehen, durch das Hineinversetzen in<br />
den Anderen<br />
In der <strong>Fallarbeit</strong> wird der Fall mit den Augen der Anderen<br />
betrachtet und gedeutet.<br />
( Perspektivwechsel).<br />
Der Deutende bedient sich seines Vorverständnisses, welches<br />
er bereits in anderen Deutungszusammenhängen entwickelt<br />
hat<br />
( <strong>Hermeneutische</strong>r Zirkel n. Dilthey).<br />
Aber: Das Verstehen umfasst immer auch das Sich-selbst-<br />
Verstehen im Erleben des Verhaltens anderer.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 29
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Systemtheoretischer Imperativ:<br />
„Lass Dich von dem kontrollieren,<br />
was Du kontrollieren willst.“<br />
(D. Baecker 2002b; 223)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 30
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
<strong>Hermeneutische</strong>r Zirkel<br />
V 2 V 1 V Fv Fv 1 Fv 2<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 31
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Teilnehmer/innen der Fallbesprechung<br />
Externe Fachkraft mit<br />
gerontopsychiatrischer Erfahrung<br />
Bezugs-<br />
Pflegekräfte<br />
Moderator/in<br />
Betreuer<br />
(Fach-)Arzt:<br />
Neurologe<br />
Bewohner<br />
(Fall)<br />
Angehörige<br />
Sozialer Dienst<br />
Weitere TN:<br />
HW, Schüler..<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 32
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Vorgehen in der <strong>Hermeneutische</strong>n <strong>Fallarbeit</strong> (HFA)<br />
Erörterung des herausfordernden bzw. problembehafteten<br />
Verhaltens ohne Druck, Ergebnisse direkt in die Tat umsetzen zu müssen<br />
Sammlung von Ideen zur Begründung des Bewohnerverhaltens<br />
oder zur therapeutischen Intervention<br />
hierdurch: Einnahme unterschiedlicher Perspektiven möglich<br />
Teammitglieder erfahren eine gemeinsame Orientierung<br />
Schilderungen der Kollegen ermöglicht ‚Lernen am Modell‘<br />
Grundhaltungen und Werte über die Arbeit und die Begegnung mit<br />
dem Bewohner werden transparent<br />
Kathartischer Effekt:<br />
Ärger, Wut aus dem Arbeitsalltag können in einem geschützten Raum<br />
angesprochen werden<br />
Sekundärerfolg: Verbesserung des personellen Milieus<br />
(Perrar et al., 2008, S. 289)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 33
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong><br />
Schritte der<br />
Methoden<br />
Aufgaben der<br />
Ergebnissicherung<br />
Fallkonferenz<br />
Moderation<br />
0. Vorstellung der<br />
Bewohners in der HFK<br />
durch die<br />
Bezugspflegekraft<br />
1. Problemanalyse<br />
interaktionelles<br />
Erleben<br />
2. Wissenssammlung<br />
Wahrnehmungsvervollständigung<br />
3.Sammlung und<br />
Reflexion eigener<br />
Erklärungstheorien<br />
4. Erarbeitung von<br />
Lösungsvorschlägen<br />
Pflegeinterventionen<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 34
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
SCHRITTE DER<br />
FALLKONFERENZ<br />
0. Vorstellung<br />
des BW in der<br />
hermeneutische<br />
n FK durch die<br />
Bezugspflegekr<br />
aft<br />
METHODEN SPEZIELLE AUFGABEN DER MODERATION ERGEBNISKONTROLLE<br />
5 – 8 min. Vortrag der<br />
Bezugspflegekraft auf der Basis<br />
gesammelter Daten und eigener<br />
Beobachtungen (Fakten)<br />
Zeit einhalten (Ex. Funktion);<br />
Aktive, freie Aufmerksamkeit gewährleisten<br />
Nachfragendes Klarstellen, wo erforderlich<br />
(Sinngebung)<br />
Fallkonstrukt ist für den Einstieg<br />
hinreichend vorgestellt.<br />
D.h., alle TN können sich ein erstes<br />
Bild vom Bewohner machen und<br />
kennen die grundlegenden Fakten<br />
1.<br />
Problemanalyse<br />
interaktionelles<br />
Erleben<br />
A) Rekonstruktion fallspezifischer<br />
Individualität über Fragen:<br />
• Worin besteht konkret das<br />
Problem?<br />
• Wie äußert es sich?<br />
• Wann tritt es auf?<br />
• Gibt es Unterschiede im Tagesoder<br />
Wochenverlauf?<br />
• Was würde sich ändern, wenn<br />
das Problem nicht vorhanden<br />
wäre?<br />
• Für wen ist die vorgestellte<br />
Verhaltensweise ein Problem<br />
(BW, PK etc.)?<br />
B) Rollenspiel:<br />
Darstellung des herausfordernden<br />
Verhaltens, zur repräsentierendem<br />
Erleben der Interaktion und Gefühle<br />
des BW<br />
A) Rekonstruktion:<br />
Emotionale Anregung (Authentizität) durch<br />
spezifisches Nachfragen;<br />
Nachfragendes Klarstellen, Paraphrasieren<br />
und Interpretieren (Sinngebung);<br />
Klärung, um wessen Problem es sich<br />
handelt<br />
(Authentizität durch Beispielgebung),<br />
B) Rollenspiel<br />
Gefühle und Erlebnisse in (erste) Ideen<br />
übersetzen<br />
(Sinngebung)<br />
Herausforderndes Verhalten ist<br />
sachlich, verhaltensnah und optisch<br />
(Rollenspiel) beschrieben<br />
Unterschiedliche Betrachtungs- und<br />
Erlebnisweisen sind ausgetauscht.<br />
Beobachtetes Verhalten und<br />
Bewertung sind getrennt.<br />
2.<br />
Wahrnehmungs<br />
-<br />
vervollständigu<br />
ng,<br />
14.10.2013 Wissenssamml Bezugspersonen<br />
35<br />
ung<br />
Vervollständigung der<br />
Wahrnehmung in Bezug auf die<br />
Bewohnerpräferenzen; z.B.<br />
• Befragung von Angehörigen<br />
und nahe stehende<br />
• Analyse der Biographie<br />
• Beobachtungen aus anderen<br />
Kontexten (freie Variation zur<br />
Auffordernde Aktivität (Anregung)<br />
Wertschätzender Umgang (Anteilnahme)<br />
Zeiteinteilung beachten (Setting)<br />
Die Wahrnehmung ist<br />
vervollständigt.<br />
Alle biografischen Daten und Fakten<br />
sind soweit möglich erhoben und<br />
bekannt.<br />
Alles, was man über den Bewohner<br />
weiß ist gesammelt.
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
3. Sammlung<br />
und Reflexion<br />
eigener<br />
Erklärungsansä<br />
tze<br />
4. Erarbeitung<br />
von Lösungsvorschlägen<br />
und<br />
Pflegeinterventionsstrategien<br />
Brainstorming<br />
• Einbringung eigener Ideen<br />
• Keine Reglementierung durch<br />
andere TN<br />
• Kein frühzeitiges „Einschießen“<br />
auf eine Lösung<br />
• Quantität geht hier vor Qualität<br />
der Aussagen<br />
• Es besteht kein individuelles<br />
Urheberrecht an einem<br />
bestimmten Erklärungsansatz,<br />
sondern ein kollektives.<br />
• Das primäre Merkmal des<br />
Brainstormings ist das<br />
Aufgreifen und Weiterspinnen<br />
von Ideen.<br />
Metaplan<br />
• Strukturierung der im<br />
Brainstorming erarbeiteten<br />
Ideen durch visualisierte<br />
Priorisierung<br />
• Lösungsorientierung geht jetzt<br />
vor Problemorientierung<br />
• Festlegung der Einarbeitung in<br />
die Pflegeplanung<br />
• Festlegung von<br />
Verantwortlichkeiten<br />
(„Was ist von wem bis wann<br />
zu tun,<br />
zu beobachten?“ etc.)<br />
Kommunikationsfluss durch unauffälliges<br />
Eingreifen aufrechterhalten (Anregung)<br />
Wertschätzender Umgang = keine Wertung<br />
durch Moderator und andere TN während<br />
des Verfahrens Vermeidung von Kritik durch<br />
andere TN<br />
(Anteilnahme)<br />
Ideensammlung und Einhalten des Settings<br />
Auffordernde Aktivität (Emotionale<br />
Anregung)<br />
Wertschätzender Umgang (gerade dort, wo<br />
Ideen aus dem Brainstorming nicht<br />
aufgegriffen oder als sekundäre behandelt<br />
werden)<br />
Festlegung von Verantwortlichkeit<br />
(exekutive Funktion)<br />
Eigene Erklärungstheorien des<br />
Verhaltens sind reflektiert, sind zur<br />
Diskussion gestellt und an der<br />
Fallrealität überprüft.<br />
Eigene Wahrnehmung ist korrigiert,<br />
modifiziert oder auch bestätigt.<br />
Fallwirklichkeit und eigene<br />
Annahmen sind getrennt.<br />
Gemeinsame Lösungsvorschläge zur<br />
Veränderung der problematisierten<br />
Verhaltensweisen sind erarbeitet.<br />
Bislang erfolgreiche Strategien<br />
festgehalten, neue Ideen sind<br />
gesammelt und konkret<br />
ausformuliert.<br />
Evtl. sind fachliche Wissensdefizite<br />
entdeckt worden oder die Einstellung<br />
zu den Verhaltensweisen hat sich<br />
geändert.<br />
Ergebnis der Fallbesprechung ist<br />
allen Beteiligten bekannt.<br />
Lösungsvorschläge, erfolgreiche<br />
Strategien sind in die Pflegeplanung<br />
eingearbeitet worden.<br />
14.10.2013 36
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Sinnführung in der hermeneutischen FA<br />
(nach J. Lennefer 2007)<br />
Perspektivwechsel:<br />
1. Geschichtlichkeit<br />
2. Sprache – repräsentierende Gestaltung<br />
3. Interaktionelles Erleben<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 37
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Sinnführung in der hermeneutischen FA<br />
(n. J. Lennefer 2007)<br />
1. Geschichtlichkeit – Erinnerung<br />
Die Erinnerung und innerpsychische Wahrnehmung der<br />
individuellen Wirklichkeit (subjektive Betroffenheit,<br />
Autonomie der Lebenspraxis) überwindet Entfremdung und<br />
schützt die eigene Integrität (Unverletzlichkeit) der Person.<br />
Perspektivwechsel heißt hier:<br />
Die Verhaltensweisen demenzkranker Menschen sind vor dem<br />
Hintergrund ihrer individuellen Vergangenheit und<br />
Geschichte – so wie sie diese sehen – zu deuten<br />
(biografischer Ansatz).<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 38
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Sinnführung in der hermeneutischen FA<br />
(n. J. Lennefer 2007)<br />
2. Sprache – repräsentierende Gestaltung<br />
Vergegenwärtigung durch das Aussprechen:<br />
Verbale und symbolische Gestaltung bringt etwas für den<br />
Sprechenden zunächst nicht Sichtbares zur Anschauung.<br />
Dadurch verlieren ängstigende und deprimierende<br />
Erfahrungen ihren hemmenden Einfluss<br />
( klientenzentrierter Ansatz n. C. Rogers).<br />
Perspektivenwechsel heißt danach zu fragen:<br />
Was sagt uns der dementiell veränderte Mensch und was<br />
will er uns damit mitteilen?<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 39
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Sinnführung in der hermeneutischen FA<br />
(n. J. Lennefer 2007)<br />
3. Interaktionelles Erleben<br />
Die Gestaltung der Interaktion geschieht im wesentlichen<br />
dadurch, dass die Bezugspflegekraft (BPK) sich in die<br />
innere und äußere Welt des Bewohners teilnehmend<br />
hineinbegibt – und hierfür ein Verstehen entwickelt.<br />
Perspektivenwechsel bedeutet:<br />
Die BPK lässt sich vom Bewohner in dessen Welt und<br />
Gefühlsleben führen.<br />
Hierbei helfen:<br />
Akzeptierende Konzepte: Validation (N. Feil)<br />
Personenzentrierter Ansatz (T. Kitwood)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 40
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Struktur und Vorgehensweisen in der<br />
hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong><br />
• Abschluss der ersten anamnestischen Erhebung spätestens<br />
2 Wochen nach Heimeinzug (verantw.: BPK = Fallanwalt)<br />
• Teamsitzungen, in denen BW-Wirklichkeiten hermeneutisch<br />
bearbeitet werden: 1 x wö., Dauer: ca. 1,5 Std.<br />
– Vorstellung des Falls in der Teamsitzung (verantw.: BPK)<br />
– Problemanalyse, interaktionelles Erleben<br />
– Wahrnehmungsvervollständigung durch das interdisziplinäre<br />
Team (verantwortlich: alle TN)<br />
– Sammlung und Reflexion eigener Erklärungstheorie<br />
– Erarbeitung von Lösungsvorschlägen und Strategien der<br />
Pflegeinterventervention<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 41
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Rolle und Aufgaben des Moderators in der HFA (nach I.D. Yalom):<br />
1. Wahrnehmung der exekutiven Funktion<br />
Setting schaffen (Regeln und Grenzen vereinbaren)<br />
Verantwortung für das Einhalten des Settings<br />
Setting gilt auch für Moderator<br />
2. Sinngebung („roter Faden“)<br />
Auf Zielerreichung hinwirken (z.B. Verstehen des Verhaltens)<br />
„Denkräume“ schaffen: Gefühle und Erlebnisse in Ideen umsetzen<br />
3. Authentizität (i.S.v. Anregung und Anteilnahme)<br />
Offenes Auftreten des Moderators<br />
Ansprechen, was man in der Gruppe wahrnimmt<br />
Wertschätzender Umgang<br />
Schutz der Nachgruppenkultur<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 42
Führungsfunktion des Moderators in der HFA<br />
Relation von Führungsfunktionenund Ergebnis der HFA:<br />
Je stärker die Authentizität i.S. von Anteilnahme) und je<br />
ausgeprägter die Sinngebung, desto höher die positiven<br />
Ergebnisse (lineare Beziehung)<br />
Anteilnahme<br />
Sinngebung<br />
<br />
<br />
Erfolgreicher<br />
Abschluss<br />
der HFA<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 43
Führungsfunktion des Moderators in der HFA<br />
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion<br />
Zuviel oder zu wenig an Anregung und an Exekutive führen zu<br />
einem negativen Ergebnis (nicht-lineare Beziehung)<br />
<br />
Anregung<br />
<br />
Erfolgreicher<br />
Abschluss<br />
<br />
Exekutive Funktion<br />
<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 44
Führungsfunktion des Moderators in der HFA<br />
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion<br />
<br />
Emotionale Anregung<br />
<br />
kraft- und<br />
leblose Gruppe<br />
Erfolgreiche<br />
HFA-Moderation<br />
stark emotional<br />
geladenes Klima<br />
(bes. bei zu geringer<br />
Sinngebung)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 45
Führungsfunktion des Moderators in der HFA<br />
Emotionale Anregung und Exekutive Funktion<br />
<br />
Exekutive Funktion<br />
<br />
Laisser-fairer<br />
Führungsstil<br />
(erzeugt verwirrte,<br />
richtungslose Gruppe)<br />
Erfolgreiche<br />
HFA-Moderation<br />
autoritäre,<br />
arythmische<br />
Gruppe<br />
(kein Gefühl der<br />
Selbständigkeit der MG)<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 46
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong><br />
Schritte der<br />
Fallkonferenz<br />
0. Vorstellung der<br />
Bewohners in der HFK<br />
durch die<br />
Bezugspflegekraft<br />
1. Problemanalyse<br />
interaktionelles<br />
Erleben<br />
Kurze Vorstellung (ca. 5 – 8 Min.) durch die Bezugspflegekraft.<br />
Basis: gesammelte Daten und gemachte Beobachtungen der BPK.<br />
Möglichst verhaltensnahe und anschauliche (Rollenspiel) Beschreibung des<br />
problematischen oder als schwierig erlebten Verhaltens des Bewohners.<br />
Die akribische Analyse hat zum Ziel, sich über die unterschiedlichen Sichtund<br />
Erlebnisweisen der beteiligten Personen in der HFK auszutauschen.<br />
2. Wissenssammlung<br />
Wahrnehmungsvervollständigung<br />
Auch wenn biografische Daten existieren, so sind sie den Teammitgliedern<br />
meist unterschiedlich bekannt, oder sie sind lückenhaft. Es macht also Sinn,<br />
sich der Frage zu widmen, was von bzw. über den betroffenen Bewohner<br />
bekannt ist. Die biografischen Kenntnisse werde so präzisiert.<br />
Vor dem Hintergrund des „so-geworden-Seins“ und des Verstehens seiner<br />
Geschichte können sich Ressourcen für den Zugang zu dem dementiell<br />
veränderten Menschen eröffnen oder Verhaltensweisen verstehbar werden.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 47
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Struktur und Vorgehensweisen in der hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong><br />
3.Sammlung und<br />
Reflexion eigener<br />
Erklärungstheorien<br />
4. Erarbeitung von<br />
Lösungsvorschlägen<br />
Schritte der<br />
Fallkonferenz<br />
Wir neigen dazu, uns Sachverhalte mehr oder weniger spontan zu erklären. Im<br />
Erleben des Verhaltens eines Bewohners generieren wir überraschend schnell<br />
Annahmen darüber, wie dieses Verhalten zu erklären sei. Das Verhalten eines<br />
dementiell veränderten Menschen ist mit zunehmender Dauer der Krankheit<br />
aber immer weniger spontan verständlich. Es bedarf der regelgeleiteten<br />
Deutung durch seine Umgebung.<br />
Unabhängig davon, ob diese Interpretationen objektiv zutreffend sind, leiten sie<br />
unser Verhalten und beeinflussen unsere Wahrnehmung.<br />
Sich über eigene Erklärungstheorien auszutauschen eröffnet die Möglichkeit,<br />
sie kritisch zur Diskussion zu stellen, eröffnet die Möglichkeit, sie an der<br />
Realität, d.h., individuell auf den Bewohner bezogen zu überprüfen.<br />
Die vorgenannten Schritte ermöglichen es, gemeinsame Lösungsvorschläge<br />
zur Veränderung der problematisierten Verhaltensweisen zu erarbeiten.<br />
Pflegeinterventionen Bislang erfolgreiche Strategien werden beibehalten, neue Ideen gesammelt<br />
und konkret ausformuliert. Erforderlich ist die Festlegung von<br />
Verantwortlichkeiten, wer welche Aufgaben übernimmt. Nicht selten kann es<br />
auch ein Ergebnis sein, dass sich weniger die Verhaltensweise des Bewohners<br />
ändert, sondern sich vielmehr die Einstellung seiner Umgebung ihm gegenüber<br />
verändert. Wichtig: Aufnahme in die Pflegeplanung; ggf. Fortbildungen.<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 48
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Protokoll hermeneutische <strong>Fallarbeit</strong><br />
Datum: 27.10.2010<br />
Teilnehmer/innen:<br />
……………<br />
Vorgestellte Bewohnerin: Fr. Maier<br />
Bezugspflegekraft: Fr. Schmitz<br />
0. Vorstellung des Fallkonstrukts<br />
1. Problemanalyse<br />
2. Wahrnehmungsvervollständigung<br />
durch das Team<br />
3. Sammlung/Rfelexion von<br />
Erklärungstheorien<br />
4. Erarbeitung von Lösungs- und<br />
Interventionsvorschlägen<br />
Fragestellungen:<br />
0. Welche Verhaltensweisen<br />
der Frau Maier können wir<br />
(noch) nicht verstehen?<br />
1. Welche biografischen<br />
Hintergründe sind bekannt?<br />
2. Welche fehlen uns noch?<br />
3. Was ist die bestanzuwendende<br />
Evidenz (das<br />
beste Regelwissen) im<br />
individuellen Fall?<br />
4. Wie, wann wendet wer, wie<br />
oft an?<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 49
<strong>Hermeneutische</strong> <strong>Fallarbeit</strong><br />
Fallstricke in der hermeneutischen <strong>Fallarbeit</strong>:<br />
Orientierungslosigkeit im Umgang mit gerontopsychiatrischen<br />
Anwendungskonzepten<br />
Keine Bezugspflegekultur vorhanden<br />
Keine professionelle Pflegeplanung als Steuerungsinstrument<br />
Keine Möglichkeiten der Wissensgenerierung<br />
Fehlendes oder unklares Regelwissen<br />
Keine hinreichende Möglichkeit zur Beschaffung von Regelwissen<br />
Keine ausreichende Methodenkenntnisse<br />
Unzureichende Anamnese und Biografie<br />
Mangelnder Entscheidungs- und Begründungszusammenhang<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 50
www.manfred-borutta.de<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
14.10.2013 Dr. Manfred Borutta 51
Neue Strategien und innovative Ansätze in der pflegerischen<br />
Versorgung von Menschen mit Demenz<br />
Fallbesprechung im<br />
Praxiseinsatz – Prävention und<br />
Perspektive Demenz<br />
Dr. Manfred Borutta,<br />
Pflegewissenschaftler<br />
52 bpa– Fachtagung Landesgruppe Nordrhein-Westfalen 2013