Der geteilte Mantel 2013 - Rottenburg-Stuttgart
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A u s g a b e 2 0 1 3<br />
Das Thema: „Menschenwürde“<br />
w w w. d r s . d e<br />
<strong>Der</strong> <strong>geteilte</strong> <strong>Mantel</strong>. Das Magazin<br />
zur Weltkirchlichen Arbeit<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>
2<br />
D e r g e t e i l t e M a n t e l
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3<br />
<strong>Der</strong> <strong>geteilte</strong> <strong>Mantel</strong>. Das Magazin<br />
zur Weltkirchlichen Arbeit<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>
4 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Inhalt.<br />
32<br />
6<br />
12<br />
5<br />
Editorial. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />
6<br />
Das Thema: „Menschenwürde“. Von der Würde aller Menschen als Bilder Gottes.<br />
11<br />
Bei den Menschen sein.<br />
Die Stiftung Weltkirche in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> 2012.<br />
12<br />
Reportagen aus der Einen Welt.<br />
m Gefährdetes Leben. Menschenrechte von Frauen in Indien<br />
m Hoffnung für Entrechtete. Indische Schwestern stärken Würde und Rechte von Frauen<br />
m Geraubtes Land. Die Landreform Brasiliens steckt in der Sackgasse<br />
18<br />
Portraits – Interviews – Begegnungen.<br />
m Die Kunst, Geduld zu üben. Interview mit Hermine Burger in Angola<br />
m Menschenwürde. Eindrücke einer jungen Frau, die als Freiwillige ein Jahr<br />
in Indien gelebt hat<br />
m „Mungu yupo“ – Gott ist da. Ein Missionar fällt nicht vom Himmel:<br />
Erfahrungen aus den Elendsvierteln in Kenia<br />
24<br />
Diskussionen aus der Weltkirche. Brot oder Schlange:<br />
<strong>Der</strong> Waffenhandel, die Menschenwürde und die Politik.<br />
26<br />
Literatur und Medien.<br />
30<br />
Aus der Weltkirchlichen Arbeit von Kirchengemeinden, Verbänden und Orden.<br />
m Die Würde von Frauen in Not achten. 25 Jahre FIZ – Weltkirche vor der Haustür<br />
m Die Sklaverei ist nicht vorbei. Weltkirchliche Organisationen verpflichten sich<br />
zum Kampf gegen Menschenhandel<br />
m Abschlusserklärung.der Jahrestagung Weltkirche und Mission <strong>2013</strong><br />
m Karibuni watoto! – Willkommen Kinder! Gehörlose Kinder und Jugendliche<br />
in Tansania und Deutschland erleben Partnerschaft<br />
m JADCAWACS. Spar- und Kreditgenossenschaft des Katholischen Frauenbunds<br />
in der ⁄⁄Diözese Jasikan<br />
38<br />
Geistliche Texte aus den Schwesterkirchen. Gebet.<br />
39<br />
Im Geist der Partnerschaft. Jahresbericht 2012 zur Weltkirchlichen Arbeit<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>.
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Editorial.<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />
Dieser Satz zu Beginn von Artikel 1,<br />
Absatz 1 ist wahrscheinlich der bekannteste<br />
aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Nach den Erfahrungen<br />
der nationalsozialistischen Unrechtsdiktatur<br />
sollte er das sichere Fundament bilden,<br />
auf dem sich ein neues demokratisches Gemeinwesen<br />
entfalten kann, und die allgemeinen<br />
Menschenrechte, die sich aus der<br />
Menschenwürde ableiten, nie wieder bedroht<br />
sind. In Deutschland funktioniert<br />
dies, in vielen anderen Ländern leider nicht,<br />
auch wenn ganz ähnliche Bekenntnisse in<br />
den Verfassungen stehen. Aber es bleiben<br />
Lippenbekenntnisse, wenn sie nicht vom<br />
politischen Willen getragen und von der<br />
Rechtssprechung als oberste Norm akzeptiert<br />
werden.<br />
Überall auf der Welt ist die Kirche eine engagierte<br />
Anwältin der Menschenwürde.<br />
Immer wieder erheben die Päpste und Bischöfe<br />
die Stimme, um sich für den Schutz<br />
der Menschenwürde einzusetzen und Unrecht<br />
und Menschenrechtsverletzungen<br />
beim Namen zu nennen. Dass das nicht immer<br />
so war, liegt vor allem an der Französischen<br />
Revolution, die sich auf der einen<br />
Seite für die gleiche Würde aller Menschen<br />
einsetzte, sich auf der anderen Seite aber<br />
extrem antikirchlich und christentums-<br />
feindlich gebärdete. Als Reaktion wandte<br />
sich die Kirche gegen beides und korrigierte<br />
dies erst im vergangenen Jahrhundert.<br />
Die Pastoralkonstitution „Gaudium et<br />
spes“ und die Erklärung über die Religionsfreiheit<br />
„Dignitatis humanae“ des Zweiten<br />
Vatikanischen Konzils geben Zeugnis davon,<br />
dass sich die katholische Kirche den<br />
Schutz der Menschenwürde als spezifische<br />
Form ihres Auftrags zueigen gemacht hat.<br />
Dass der Vatikan die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
im Rahmen des Europarats<br />
bis heute nicht unterzeichnet hat,<br />
liegt eher daran, dass er kein Mitglied des<br />
Europarats ist.<br />
Dabei fußt die Idee der Menschenwürde<br />
nicht nur auf der antiken Philosophie, sondern<br />
auch auf den heiligen Schriften des<br />
Judentums und des Christentums. Wenn<br />
im ersten Buch der Bibel davon gesprochen<br />
wird, dass der Mensch nach dem Bild Gottes<br />
geschaffen ist (vgl. Gen 1,27), dann<br />
folgt daraus die nur von Gott abgeleitete<br />
und von innerweltlichen Instanzen nicht<br />
antastbare Würde des Menschen und die<br />
fundamentale Gleichheit aller Menschen,<br />
die alle als Gottes Ebenbild geschaffen<br />
sind. Paulus konkretisiert dies: „Es gibt<br />
nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven<br />
und Freie, nicht Mann und Frau; denn<br />
ihr alle seid ‚einer’ in Christus Jesus“ (Gal<br />
3,28).<br />
Zu den aus der allgemeinen Würde des<br />
Menschen abgeleiteten unveräußerlichen<br />
Rechten gehören u. a. das Recht auf Leben<br />
und Sicherheit, die Gleichheit aller ethnischen<br />
Gruppen und von Mann und Frau,<br />
das Recht auf persönliches Eigentum, der<br />
Schutz vor staatlicher Willkür, das Recht<br />
auf Gewissens- und Religionsfreiheit, und<br />
das Recht der freien Versammlung. Das<br />
vorliegende Heft will einen Einblick geben,<br />
wie unterschiedlich dies in verschiedenen<br />
Ländern der Welt realisiert wird und welche<br />
Ansätze es gerade in der weltkirchlichen<br />
Arbeit gibt, dies zu verbessern. Die<br />
Menschenrechtsarbeit braucht unser aller<br />
Engagement, denn hier geht es nicht um<br />
Luxusprobleme, sondern um die Bedrohung<br />
der nackten Existenz und der fundamentalen<br />
Rechte von Menschen in unserer<br />
einen Welt, von Brüdern und Schwestern<br />
im einen Glauben an Jesus Christus.<br />
Dr. Heinz Detlef Stäps<br />
Domkapitular
6<br />
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Ob in Lesotho, Südafrika, Indien oder an anderen Orten dieser Welt – …<br />
Das Thema: „Menschenwürde“.<br />
Von der Würde aller Menschen als Bilder Gottes<br />
„Die Männer sind alle Verbrecher“ – so<br />
beginnt ein Lied aus der 1913 entstandenen<br />
Berliner Posse „Wie einst im<br />
Mai“. „Die Männer sind alle Verbrecher“<br />
– diesen Vers zitieren, meist<br />
scherzhaft, Frauen, wenn sie das Verhalten<br />
von Männern kritisieren, das sie<br />
in ihrem Männerbild bestätigt. Und die<br />
Folge dieses Männerbildes liegt darin,<br />
dass eine Frau keinem Mann über den<br />
Weg trauen sollte. Für die, die daran<br />
glauben: ein Männerbild mit Konsequenzen.<br />
„Frauen sind bessere Diplomaten“ – so lautet<br />
der Titel eines aus dem Jahr 1941 stammenden<br />
Spielfilms, in welchem die Nichte<br />
eines Kasinodirektors versuchen soll, die<br />
Schließung des Kasinos zu verhindern.<br />
„Frauen sind bessere Diplomaten“ – dieser<br />
Satz verleiht der Überzeugung Ausdruck,<br />
dass Frauen taktisch geschickter, vielleicht<br />
klüger, vielleicht raffinierter als Männer<br />
vorgehen, um ein Ziel zu erreichen. Dieses<br />
Frauenbild verlangt den Einsatz von Frauen<br />
in schwierigen diplomatischen Missionen.<br />
Für die, die daran glauben: ein Frauenbild<br />
mit Konsequenzen.<br />
Eines von vielen Männerbildern, eines von<br />
vielen Frauenbildern – und doch sind beide<br />
so geartet, dass damit Konsequenzen einhergehen,<br />
die auf der Hand liegen. Frauenbilder,<br />
Männerbilder, Menschenbilder sind<br />
insbesondere angesichts ihrer Folgen eine<br />
Auseinandersetzung wert.<br />
„Du sollst dir kein Gottesbild<br />
machen.“<br />
Zudem rufe ich die berühmte Warnung in<br />
Erinnerung: „Du sollst dir kein Gottesbild<br />
machen.“ (Ex 20,4 und Dtn 5,8; s. Dtn<br />
27,15) Bilder können einengen, festnageln.<br />
Als Gott buchstäblich festgenagelt<br />
wurde, starb Gott am Kreuz. Das alttestamentliche<br />
Bilderverbot hält eine Kritik<br />
wach, die sich nicht nur auf Gottesbilder<br />
richtet, sondern ebenso auf Menschenbilder.<br />
Denn Bilder können eine solche Macht<br />
ausüben, dass ein Mensch diesem Bild immer<br />
ähnlicher wird und immer weniger<br />
Kraft aufzubringen vermag, es zu sprengen.<br />
Sind Menschenbilder also nicht erst<br />
dann lebensgefährlich, wenn sie menschenunwürdig<br />
ausgestaltet sind? Sind sie<br />
vielmehr schon als solche gefährlich, eben<br />
weil sie einengen, festnageln?<br />
Doch wie kann dann Papst Paul VI. von der<br />
Befreiung durch das Evangelium schreiben,<br />
sie sei „an ein bestimmtes Menschenbild<br />
gebunden, an eine Lehre vom Menschen,<br />
die sie niemals den Erfordernissen irgend<br />
einer Strategie, einer Praxis oder eines<br />
kurzfristigen Erfolges wegen opfern kann“<br />
(„Evangelii nuntiandi“, 1975)?<br />
Und welchen Sinn hat die Forderung der lateinamerikanischen<br />
Bischöfe vier Jahre<br />
später in Puebla: „Das christliche Bild des<br />
Menschen muss bei uns wieder aufgewertet<br />
werden.“? Und wie können politische<br />
Parteien sich in ihren Programmen heute<br />
auf ein „christliches Menschenbild“ beziehen?
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7<br />
Die einen warnen vor jedem Menschenbild,<br />
die anderen warnen davor, es zu vernachlässigen<br />
– handelt es sich um dasselbe<br />
Bild, das die einen stürmen und die anderen<br />
hochhalten? Gestürmt werden soll und<br />
muss ein Menschenbild, das Inhalte fixiert<br />
und Leben einschränkt, gar tötet. Hochgehalten<br />
werden soll hingegen ein Menschenbild,<br />
das Orientierung schaffen kann<br />
und einen offenen Sinngehalt vorzeichnet,<br />
wie Dietmar Mieth formuliert. Aussagen zu<br />
einem christlichen Menschenbild wollen<br />
nicht beschreiben, nicht festschreiben,<br />
nicht vorschreiben. Solche Aussagen sind<br />
Zusagen, die das Menschenmögliche betreffen<br />
und treffen können. Dieser Sinngehalt<br />
ist offen für Wandlungen und Veränderungen<br />
– etwa des Frauenbildes im Zuge<br />
historischer Prozesse – und treibt zugleich<br />
kontinuierlich die Sinnfrage voran. Dabei<br />
erhält die theologische Diskussion um Bilder,<br />
insbesondere um Menschenbilder, ihre<br />
stärkste Ermutigung und Legitimation dadurch,<br />
dass Gott selbst in seiner Menschwerdung<br />
unüberbietbare Anschaulichkeit<br />
erlangt. <strong>Der</strong> Menschgewordene ist nach<br />
neutestamentlichem Zeugnis „das Ebenbild<br />
des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15).<br />
Und beginnt mit Gottes Menschwerdung<br />
nicht auch unsere Menschwerdung?<br />
Vor diesem Hintergrund fühle ich mich ermächtigt,<br />
ein Menschenbild theologisch zu<br />
skizzieren – im Sinne eines offenen Sinngehaltes,<br />
der die Gefahr von Festschreibungen<br />
zu unterlaufen versucht und zugleich<br />
anerkennt, dass Menschenbilder und<br />
Menschwerdung miteinander verwoben<br />
sind. Zu dieser Skizze sollen fünf Federstriche<br />
gehören, die Menschen weder zum<br />
Tier absinken lassen noch zum selbsternannten<br />
Gott erheben.<br />
Im Anschluss an jene Federstriche ziehe ich<br />
Konsequenzen, wie sie sich aus diesem<br />
Entwurf ergeben: Wonach verlangen und<br />
wen brauchen Menschen zu ihrer Menschwerdung,<br />
zumal dann, wenn sie in ihrer<br />
unantastbaren Würde angetastet wurden?<br />
Aus-sein auf Sinn: Frauen und Männer<br />
als Verweise auf das Geheimnis<br />
des Lebens<br />
<strong>Der</strong> erste Federstrich liegt im ersten Kapitel<br />
der Bibel begründet. Dort heißt es: „Dann<br />
sprach Gott: Lasst uns Menschen machen<br />
als unser Abbild, uns ähnlich ... Gott schuf<br />
also den Menschen als sein Abbild; als Abbild<br />
Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau<br />
schuf er sie.“ (Gen 1,26f) Und im Buch der<br />
Weisheit heißt es: „Gott hat den Menschen<br />
... zum Bild seines eigenen Wesens gemacht.“<br />
(Weish 2,23) Gott schafft Menschen<br />
also nach seinem Bild – und zugleich<br />
dürfen Menschen sich kein Bildnis von Gott<br />
machen. Dabei bringt das „Abbild Gottes“<br />
bzw. die „Statue Gottes“ als altorientalischer<br />
Königstitel Gottes Repräsentanz in<br />
der Welt zum Ausdruck. <strong>Der</strong> biblische Text<br />
greift diese Formel vom Abbild Gottes auf,<br />
führt sie aus ihrem monarchischen Kontext<br />
heraus und demokratisiert sie gewissermaßen,<br />
indem „Abbild Gottes“ zu einem anthropologischen<br />
Titel wird, der jedem<br />
Menschen, jeder Frau und jedem Mann,<br />
zuerkennt, als Bild Gottes tätig zu sein, und<br />
ihnen so eine unverlierbare Würde verleiht.<br />
Die Unverlierbarkeit der menschlichen<br />
Würde unterstreicht der Fortgang des Buches<br />
Genesis dadurch, dass der Mensch<br />
auch nach dem Sündenfall als Abbild Gottes<br />
bezeichnet wird (Gen 9,6).<br />
<strong>Der</strong> Begriff „Abbild“ bringt die Verschiedenheit<br />
von Schöpfer und Geschöpf zum<br />
Ausdruck, aber auch ihre Verbundenheit.<br />
Diese Verbundenheit verweist auf eine<br />
menschliche Offenheit für Bereiche, die die<br />
Grenzen des Gewohnten überschreiten,<br />
letztlich auf das Geheimnis menschlichen<br />
Lebens, das sich nicht festhalten lässt, das<br />
sich zeigt und wieder entzieht, das insbesondere<br />
in Grenzsituationen aufblitzt und<br />
wieder verschwindet. Ich erinnere an die<br />
Erfahrung der beiden Jünger auf ihrem<br />
Weg nach Emmaus: Als sie in ihrem Begleiter<br />
den Auferstandenen erkennen, entzieht<br />
er sich ihnen: „Da gingen ihnen die<br />
Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen<br />
sie ihn nicht mehr.“ (Lk 24,31)<br />
Unterwegs aber waren sie in ihrer Verzweiflung<br />
„wie mit Blindheit geschlagen,<br />
so dass sie ihn nicht erkannten“ (Lk 24,16).<br />
Auch Menschen heute sind oft wie mit<br />
Blindheit geschlagen, in Situationen, deren<br />
Sinn sich allenfalls im Nachhinein erschließen<br />
lässt – wenn überhaupt. Gott lässt sich<br />
quasi nur hinterher sehen und macht sich<br />
rückblickend an den Spuren unserer Wege<br />
ersichtlich. So spricht der Herr zu Mose:<br />
„Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht,<br />
stelle ich dich in den Felsspalt und halte<br />
meine Hand über dich, bis ich vorüber bin.<br />
Dann ziehe ich meine Hand zurück, und du<br />
wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht<br />
aber kann niemand sehen.“ (Ex<br />
33,22f) Nur wenn Menschen zurücksehen,<br />
erschließt sich im zunächst Zufälligen Sinn.<br />
Menschen sind – eingedenk ihrer Grenzen<br />
– offen für das Geheimnis ihres Lebens. Als<br />
Frauen und Männer haben sie zwar das<br />
„Nachsehen“; zugleich sind sie jedoch<br />
leibhaftige Verweise auf das Geheimnis<br />
Gottes (Karl Rahner).<br />
Aus-sein auf Freiheit: Menschen als<br />
freigelassene Geschöpfe<br />
Schöpferisches Handeln, Gebären leiblicher<br />
und geistiger Kinder setzt Freiheit<br />
voraus, Freiräume, die Menschen ein Spiel<br />
ermöglichen, das sie gestalten können.
8<br />
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Angst kann entstehen, wenn diese Spielräume<br />
eingeengt zu werden drohen. Zur<br />
Menschwerdung von Menschen gehört<br />
dann der Versuch, Spielräume erneut zu<br />
weiten. Aber nicht nur massive und plötzliche<br />
Einengungen, auch fast unbegrenzte<br />
Erweiterungen menschlicher Freiheitsräume<br />
können überfordernd wirken. Menschen<br />
suchen nach Halt, auch nach Grenzen,<br />
die Einhalt gebieten. Schon mancher<br />
mir getan.“ (Mt 25,40) Die Schwestern füge<br />
ich hinzu. Nach biblischem Zeugnis ist<br />
Gott Liebe (1 Joh 4,8). Gott selbst ist Beziehung<br />
– als Vater, Sohn und Geist –, so beziehungsreich,<br />
dass Gott in seiner Menschwerdung<br />
sich selbst mitteilt, Beziehung<br />
schenkt, so dass zwischenmenschliche Begegnungen<br />
zum Ort der Berührung Gottes<br />
werden können. Menschen brauchen die<br />
Liebe ihrer Mitmenschen, sie leben in und<br />
„Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung<br />
Hoffnung aber, die man schon erfüllt<br />
sieht, ist keine Hoffnung. Wie kann man<br />
auf etwas hoffen, das man sieht? Hoffen<br />
wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann<br />
harren wir aus in Geduld.“ (Röm 8,24f).<br />
Diese Zusage aus dem Brief an die Römer<br />
greift ein Lebenselixier des Menschseins<br />
auf, die Hoffnung.<br />
Viele neutestamentliche Bilder sind Hoffnungsbilder,<br />
die uns bei Gott eine Zukunft<br />
verheißen, etwa die Seligpreisungen: „Selig,<br />
die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört<br />
das Himmelreich. Selig die Trauernden;<br />
denn sie werden getröstet werden.<br />
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn<br />
sie werden das Land erben ...“ (Mt 5,3ff)<br />
Zugleich denke ich an eine mehrfach überlieferte<br />
Aussage des Evangeliums: „Dann<br />
werden manche von den Letzten die Ersten<br />
sein und manche von den Ersten die Letzten.“<br />
(Lk 13,30 mit Parallelen in Mt 19,30<br />
und Mk 10,31; vgl. Mt 20,16) Dieser Vers<br />
stellt geltende Ordnungen in Frage, wirkt<br />
bedrohlich, löst Angst aus: bei denen, die<br />
nicht recht wissen, wozu sie sich zählen sollen,<br />
zu den Ersten oder zu den Letzten; bei<br />
denen, die sich als Letzte und ohnmächtig<br />
… das Recht auf ein menschenwürdiges Leben ist unteilbar.<br />
Aufbruch in die Freiheit kam ins Stocken,<br />
weil Menschen sich auf dem Weg in ihr<br />
„Gelobtes Land“ zurücksehnten zu den<br />
„Fleischtöpfen Ägyptens“ (Ex 16,3). Und<br />
doch sind Menschen freie Geschöpfe, freigelassen<br />
zur Gestaltung ihrer Freiräume.<br />
aus Beziehungen, global in weltweiter Solidarität.<br />
Aus-sein auf Hoffnung: Menschen als<br />
Zukunftssuchende<br />
fühlen, denn nur manche von den Letzten<br />
werden Erste sein; bei denen, die gern anderen<br />
den Vortritt lassen, um nicht selbst<br />
Verantwortung übernehmen zu müssen;<br />
und bei denen, die sich für die Ersten halten<br />
und nun zu Letzten werden könnten.<br />
Im Neuen Testament fragt Jesus den Gelähmten:<br />
„Willst du gesund werden?“ (Joh<br />
5,6) Eine Lösung aus der Lähmung, ein<br />
Weg zu Heil und Heilung kann offenbar<br />
nicht erzwungen werden, ein solcher Weg<br />
setzt die freie Bereitschaft zu einer Veränderung<br />
voraus: Jesus verordnet ihn nicht.<br />
Aus-sein auf Liebe: Menschen als Mitmenschen<br />
Biblisch meint Liebe zu den Nächsten wirklich<br />
die Nächsten selbst. In der Weltgerichtsrede<br />
(Mt 25,31–46) bindet Jesus<br />
Christus seine Gegenwart in der Geschichte<br />
an die Armen: „Was ihr für einen meiner<br />
geringsten Brüder getan habt, das habt ihr<br />
Diese Aussage zielt auf die Revolution einer<br />
Ordnung, die nichts auf den Kopf, sondern<br />
alles vom Kopf auf die Füße stellt, aufgrund<br />
eines Denkens und Handelns, das herkömmliche<br />
Strukturen durchkreuzt und<br />
mit dem Reich Gottes kommt. Solches<br />
Denken und Handeln kann und will nicht<br />
politisch neutral sein, sondern parteiisch<br />
und solidarisch mit den Letzten, für sie<br />
hoffnungsvoll.<br />
Menschliches Scheitern<br />
Zunächst fasse ich zusammen: Da ist der<br />
Mensch als Geheimnis, das sich nicht fixieren<br />
lässt; da ist der Mensch als freies Geschöpf,<br />
dem Spielräume zur Gestaltung
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9<br />
aufgegeben sind; da ist der Mensch als Beziehung,<br />
die in der Liebe lebt; da ist der<br />
Mensch als zukünftiger, der von Hoffnung<br />
getragen ist, aber auch schwere Enttäuschungen<br />
erlebt.<br />
Mit den Enttäuschungen deutet sich der<br />
fünfte Federstrich an: Menschen sind vom<br />
Scheitern bedroht. Vielleicht bildet das<br />
Scheitern jedoch keinen fünften Federstrich<br />
neben den anderen vieren, sondern<br />
eher einen Strich durch das Bild eines Menschen,<br />
der nur mit den anderen vieren<br />
rechnen mag. Denn scheitern können<br />
Menschen in jeder der genannten Richtungen:<br />
in der Hoffnung, wenn sie Enttäuschungen<br />
und der Angst vor der Zukunft<br />
weicht; in der Liebe, wenn es zu Kommunikationsstörungen,<br />
zu Beziehungsbrüchen,<br />
zum Verrat kommt; in der Freiheit,<br />
wenn sie entweder sklavisch niedergehalten<br />
wird oder zu bloßer Willkür verkommt;<br />
in der Ausrichtung auf Sinn, wenn menschliches<br />
Verwiesensein auf ein Geheimnis<br />
verdeckt ist, wenn Menschen um ihr Recht<br />
auf Religion gebracht und um Gott betrogen<br />
werden. Für Karl Rahner ist das Christentum<br />
„das Ereignis, das dieses Scheitern<br />
wahr-nimmt und erlösend annimmt“. Damit<br />
wirft er die Frage nach den Konsequenzen<br />
dieses Entwurfs auf. Wonach verlangen<br />
und wen brauchen Menschen zu ihrer<br />
Menschwerdung?<br />
Aus-sein auf Sinn: Frauen und Männer<br />
als Verweise auf das Geheimnis<br />
des Lebens brauchen zu ihrer<br />
Menschwerdung Mystagogen und Inspiratoren<br />
<strong>Der</strong> erste Federstrich zu einem christlichen<br />
Menschenbild zeichnet Menschen als Verweise<br />
auf das Geheimnis ihres Lebens aus.<br />
Dies zeitigt Konsequenzen. Damit Menschen<br />
einander Mensch werden können,<br />
brauchen sie Menschen, die ihnen würdevoll<br />
begegnen, etwa in der Art einer Hebamme.<br />
Eine Hebamme hilft dabei, dass alles,<br />
was nicht oder nur indirekt sichtbar ist<br />
und zur Geburt drängt, ans Licht der Welt<br />
kommen kann. Diese Hebammenkunst<br />
üben sogenannte Mystagogen aus, Menschen,<br />
die schon in vorchristlicher Zeit diejenigen,<br />
die in eine Kultgemeinschaft aufgenommen<br />
werden wollten, in die Geheimnisse,<br />
die Mysterien ihres Kultes einführten.<br />
Mystagogen heute sind Menschen,<br />
die Mitmenschen begleiten und inspirieren,<br />
wenn sie dem Geheimnis, dem<br />
Sinn ihres Lebens auf der Spur sind.<br />
Mystagogen trichtern ihnen ihre Weisheit<br />
nicht ein, sie sorgen vielmehr dafür, dass<br />
ihre Mitmenschen selber auf den Trichter<br />
kommen, ähnlich vielleicht der Heilung einer<br />
kranken Frau, zu der Jesus nicht etwa<br />
sagt: „Ich habe dich geheilt“, sondern:<br />
„Dein Glaube hat dir geholfen.“ (Mk 5,34<br />
mit Parallelen in Mt 9,22 und Lk 8,48)
1 0 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
tretend füreinander ein. Zur Menschwerdung<br />
bedürftiger Menschen tragen diejenigen<br />
bei, die sie vertreten, bis sie selbst<br />
wieder in die für sie offengehaltenen Aufgaben<br />
eintreten können.<br />
Bis dahin braucht es Anwälte als Sprachrohre<br />
für diejenigen, die sich nicht selbst zu<br />
Wort melden können, und Stellvertreter,<br />
die die Vertretenen nicht von ihrem Platz<br />
stirbt, bleiben wir nur dann am Leben,<br />
wenn andere stellvertretend für uns hoffen<br />
– in nah und fern, insbesondere in weltkirchlicher<br />
Arbeit.<br />
Nochmals: menschliches Scheitern<br />
Das Scheitern droht der Hoffnung, wenn<br />
Indien: Frauen engagieren sich ehrenamtlich als Anwältinnen für die Rechte Benachteiligter.<br />
Aus-sein auf Freiheit: Menschen als<br />
freigelassene Geschöpfe brauchen zu<br />
ihrer Menschwerdung Freisetzer und<br />
Mahner<br />
Auch dieser Federstrich zu einem Menschenbild<br />
hat Konsequenzen. Wer zur<br />
Menschwerdung eines Menschen beitragen<br />
will, arbeitet als Freisetzer – vergleichbar<br />
der Figur des Mose als Typus eines Begleiters<br />
und prophetischen Mahners auf<br />
dem Weg in die Freiheit. Und wie Mose<br />
nicht selbst in das Land hinüberzieht (Dtn<br />
34,4), müssen auch Begleiter und Mahner<br />
heute damit rechnen, dass eine Begleitung<br />
an ihr Ende kommt, ohne dass der Begleiter<br />
erfährt, ob Menschen in ihr Gelobtes Land<br />
einziehen werden oder nicht.<br />
Aus-sein auf Liebe: Menschen als Mitmenschen<br />
brauchen zu ihrer Menschwerdung<br />
Stellvertreter und Anwälte<br />
Auch dieser Federstrich zur Skizze eines<br />
Menschenbildes führt zu Konsequenzen.<br />
Im Buch Jesaja heißt es im Rahmen des vierten<br />
Liedes vom Gottesknecht: „Doch er<br />
wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen,<br />
wegen unserer Sünden zermalmt. Zu<br />
unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch<br />
seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5)<br />
<strong>Der</strong> Gottesknecht steht stellvertretend für<br />
uns ein. Menschen stehen in Liebe stellver-<br />
verdrängen, sondern ihnen diesen Platz offenhalten.<br />
Aus-sein auf Hoffnung: Menschen als<br />
Zukunftssuchende brauchen zu ihrer<br />
Menschwerdung Wegbegleiter<br />
Konsequenzen aus diesem Federstrichzu<br />
einem Menschenbild sind bereits angeklungen.<br />
Menschen brauchen zu ihrer<br />
Menschwerdung Wegbegleiterinnen und<br />
Wegbegleiter, die ihnen zum Leben helfen:<br />
Hoffnung lässt leben – stellvertretende<br />
Hoffnung kann zum Leben helfen. Ein<br />
Wegbegleiter kann streckenweise zum<br />
stellvertretenden Hoffnungsträger werden<br />
für den, der selbst keine Hoffnung mehr<br />
tragen oder ertragen kann und sich nicht<br />
mehr von Hoffnung getragen weiß. Wichtig<br />
ist in schier hoffnungslosen Zeiten, dass<br />
ein Wegbegleiter jedes Fünkchen Hoffnung,<br />
das in einem verzweifelten Menschen<br />
entsteht, vorsichtig brennend hält.<br />
Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber wenn sie<br />
keiner da ist, der für mich Hoffnung hat;<br />
der Liebe, wenn keiner da ist, der mir Anwalt<br />
ist; der Freiheit, wenn keiner da ist, der<br />
mich aus Verstrickungen und Schuldzusammenhängen<br />
herauslöst, freisetzt und<br />
mahnt; der Ausrichtung auf Sinn, wenn<br />
keiner da ist, der mir meine verwickelte Lebensgeschichte<br />
auswickelt.<br />
Federstriche mit Konsequenzen<br />
Das Scheitern ist der Strich durch die Rechnung<br />
der anderen vier Striche. Das Scheitern<br />
streicht die anderen Ausrichtungen<br />
aber nicht einfach aus, das Scheitern unter-streicht<br />
vielmehr die Dringlichkeit der<br />
Konsequenzen, die aus diesen Federstrichen<br />
resultieren, zumal dann, wenn ich<br />
von der unantastbaren Würde aller Menschen<br />
als Bilder Gottes ausgehe – seien sie<br />
nun Kinder, Frauen oder Männer, seien sie<br />
bessere Diplomaten oder alle Verbrecher!<br />
Klaus Kießling
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
1 1<br />
Bei den Menschen sein.<br />
Die Stiftung Weltkirche in der<br />
Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> 2012.<br />
„Bei den Menschen sein“: Welche Bedeutung<br />
diese Mission haben kann,<br />
macht auf eindrückliche Weise ein Projekt<br />
deutlich, das im November 2012<br />
mit 10.000 Euro aus Mitteln der Stiftung<br />
Weltkirche in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
gefördert wurde. Es<br />
führt in die mittelgroße Stadt Bijnor im<br />
nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh,<br />
in der mehrheitlich Hindus zuhause<br />
sind, aber auch eine verschwindend<br />
kleine Minderheit von Katholiken,<br />
die der syro-malabarischen Kirche<br />
angehören. Drei Priester der Diözese<br />
Bijnor begriffen es als ihre Mission, etwas<br />
Einschneidendes zu unternehmen,<br />
das geeignet war, das Leiden von vielfach<br />
behinderten jungen Menschen,<br />
um die sich sonst niemand kümmern<br />
wollte, zu lindern.<br />
Pfarrer Benny Thekkekara gründete 2009<br />
in Najibabad, rund 175 km nördlich von<br />
Neu Delhi, die Einrichtung „Prem Dham“,<br />
einen „Hort der Liebe“, und fand in seinen<br />
Mitbrüdern Shibu Thundathil und Baiju<br />
Manniamporayil zwei Mitstreiter. Gemeinsam<br />
kümmern sie sich seitdem um inzwischen<br />
rund 100 Jungen, die völlig hilflos<br />
und auf die Dienste von anderen angewiesen<br />
sind. Manche von ihnen sind seit der<br />
Geburt mit AIDS infiziert, viele bettlägerig<br />
oder gar vollkommen bewegungsunfähig.<br />
Mit der Unterstützung von freiwilligen und<br />
bezahlten Helfern sorgen die Priester Tag<br />
und Nacht für ihre teilweise todgeweihten<br />
Schützlinge – mit einem Ansatz, der die<br />
spirituellen wie die körperlichen Nöte der<br />
Kinder und Jugendlichen anspricht. Beseelt<br />
sind sie vom Gedanken, in ihrer Nächstenliebe<br />
wenigstens zeichenhaft das Reich<br />
Gottes aufscheinen zu lassen. Sie wollen<br />
ihren Mitmenschen ein Vorbild sein, um<br />
das soziale Gewissen der Gesellschaft<br />
wach zu rütteln. Fr. Benny Thekkekara hatte<br />
früher schon in Ghat nahe der Grenze<br />
zu Tibet ein ähnliches Haus für Mädchen,<br />
den „Maria Ashram“, gegründet, wo heute<br />
Schwestern und Freiwillige tätig sind.<br />
Beide Institutionen sind völlig auf Spenden<br />
und Zuwendungen, auch in Form von Naturalien,<br />
angewiesen. Allein „Prem Dham“<br />
benötigt jährlich rund 30.000 Euro.<br />
Um die Versorgung des „Horts der Liebe“<br />
wenigstens für ein Jahr zu sichern und die<br />
Priester vom Spendensammeln zu entlasten,<br />
hat die Stiftung Weltkirche diese Finanzhilfe<br />
gewährt. So können Pfarrer Benny,<br />
Shibu und Baiju noch intensiver bei den<br />
Menschen sein, die sie sich zu ihren Nächsten<br />
gemacht haben (s. Foto auf S. 42).<br />
Auch für die anderen auf die Linderung<br />
menschlicher Notsituationen bedachten<br />
Stiftungen unter dem Dach der Stiftung<br />
Weltkirche fällt die Bilanz der guten Taten<br />
im Jahr 2012 überaus positiv aus:<br />
m Die „Stiftung zur Förderung Pastoraler<br />
Dienste in Übersee“ (PÜD) konnte 2012<br />
in 65 Fällen mit mehr als 708.000 Euro<br />
helfen.<br />
m Acht Entwicklungsfachkräfte wurden<br />
nach Übersee entsandt und bei ihren<br />
Einsätzen in Angola, Ecuador, Kolumbien<br />
und Uganda unterstützt.<br />
m <strong>Der</strong> Jahrgang der Freiwilligen aus der<br />
Diözese, die in Argentinien, Brasilien,<br />
Mexiko, Indien, Südafrika und Thailand<br />
einen mindestens einjährigen Weltkirchlichen<br />
Friedensdienst ableisteten, wurde<br />
mitfinanziert.<br />
m In El Salvador wurde die Ausbildung des<br />
gesamten Priesternachwuchses gefördert<br />
und in zahlreichen Ländern Afrikas,<br />
Asien und Lateinamerikas, Ausbildungsstipendien<br />
vergeben oder Ausbildungsstätten<br />
für pastorale Mitarbeiter renoviert<br />
oder neu gebaut.<br />
m Die „Stiftung Schwestern helfen<br />
Schwestern“ (SHS) vergab 2012 u. a.<br />
Zuschüsse in Höhe von rund 275.000<br />
Euro für 57 Vorhaben von bedürftigen<br />
Schwesterngemeinschaften. Darunter<br />
waren auch Studienstipendien für<br />
Schwestern aus der Volksrepublik China,<br />
der Demokratischen Republik Kongo,<br />
Uganda und Indien.<br />
m Zuschüsse von insgesamt 75.000 Euro<br />
wurden 2012 aus den Stiftungen „El<br />
Maestro en Casa“ (MEC) und „Pater<br />
Franz von Tattenbach SJ“ für Guatemala<br />
bewilligt. Diese Hilfsgelder sorgen durch<br />
die finanzielle Absicherung des Radio-<br />
Ausbildungsinstituts IGER, dafür, dass<br />
Frauen und Männer, denen ansonsten<br />
ein Schulbesuch verwehrt bliebe, in<br />
Guatemala staatlich anerkannte Bildungsabschlüsse<br />
und gesellschaftliche<br />
Aufstiegschancen erlangen können.<br />
Johannes Bielefeld
1 2 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Reportagen aus der Einen Welt.<br />
Gefährdetes Leben<br />
Menschenrechte von Frauen in Indien<br />
Folgt man den Zahlen der Vereinten<br />
Nationen, so ist Indien der gefährlichste<br />
Ort, wenn man mit weiblichem Geschlecht<br />
geboren wird. Mädchen müssen<br />
im Durchschnitt doppelt so häufig<br />
sterben wie Jungen, bevor sie das fünfte<br />
Lebensjahr erreichen. Das ist eine bekannte<br />
Tatsache und gilt sowohl für<br />
Gebildete als auch für Analphabeten.<br />
Bei beiden ist das „Sohn-Syndrom“<br />
sehr verbreitet. <strong>Der</strong> nahezu 3.000 Jahre<br />
alte Brauch, die Geburt eines Sohnes zu<br />
feiern und die Geburt eines Mädchens<br />
zu verachten, kann nicht so einfach aus<br />
der Denkweise unserer Bevölkerung<br />
entfernt werden.<br />
Gewalt gegen Frauen ist in Indien<br />
endlich zum öffentlichen Thema geworden<br />
Wir haben bis jetzt keine richtige Pädagogik<br />
gefunden, um in unserem Land diese<br />
viel besprochenen Gesetze zum Schutz der<br />
Frauen kritisch zu implementieren.<br />
Mutige Frauen nehmen den gesellschaftlichen<br />
Wandel in die Hand<br />
Unsere Kulturen und sozialen Gewohnheiten<br />
sind von einer inhärenten Voreingenommenheit<br />
gegen Frauen geprägt. Zumeist<br />
machen sie diese unfrei und mischen<br />
sich störend in ihr Leben ein. Wir haben<br />
nicht gelernt, kritisch zu sein gegenüber<br />
dem, was in unseren Kulturen falsch ist.<br />
Und ohne Vorbehalt folgen wir blind dem,<br />
was uns überliefert worden ist, und übergung<br />
von Kindern in erheblichem Maße zu.<br />
Das heißt keineswegs, dass diese Dinge<br />
früher besser gewesen wären als sie heute<br />
sind. Es bedeutet nur, dass nach der Vergewaltigung<br />
der jungen Frau – ihr Name Nirbhaya<br />
ist zum Symbol geworden – am 16.<br />
Dezember 2012 in New Dehli solche Geschehnisse<br />
in riesigem Ausmaß veröffentlicht<br />
zu werden begannen. Tatsachlich bereitete<br />
dieses Verbrechen den Weg dafür,<br />
das Problem zum öffentlichen Thema zu<br />
machen. Heute gibt es Massenbewegungen<br />
von Studierenden, Sozialaktivisten<br />
und Menschen guten Willens unterschiedlichster<br />
Art, um nach den Vergewaltigungsfällen<br />
von Nirbhaya (die gestorben<br />
ist) und Gudia (ein fünf Jahre altes Mädchen,<br />
das noch um sein Leben kämpft) der<br />
Würde von Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen.<br />
Gesetze zum Schutz der Frauen gibt<br />
es reichlich – aber sie werden nicht<br />
umgesetzt<br />
Es ist nicht so, dass in Indien ein Mangel<br />
herrschte an Gesetzen, um die Würde von<br />
Frauen von der Wiege bis zum Grab zu<br />
schützen und zu wahren. Nur sind sich die<br />
meisten Frauen der Existenz von Menschenrechten<br />
nicht einmal bewusst, geschweige<br />
denn, dass diese dazu da sind, sie<br />
zu schützen. Andererseits gibt es trotz dieser<br />
Gesetze genügend Gesetzesbrecher –<br />
Polizeikräfte, Justizsystem und Politiker<br />
eingeschlossen. Selbst Akteure wie die Polizei,<br />
deren Aufgabe der Schutz des Gesetzes<br />
ist, nehmen Frauen nicht ernst, und<br />
sehr oft nehmen sie ihre Fälle nicht einmal<br />
zu Protokoll, so dass ein Verfahren in Gang<br />
gebracht werden könnte, das sich mit den<br />
Verbrechen gegen die Frauen befasst.<br />
Heute verändert sich ein Teil unserer indischen<br />
Gesellschaft leider zu einer Gesellschaft<br />
von Vergewaltigern, Entführern,<br />
Mördern, Anstiftern zum Suizid und anderes<br />
mehr. Vergewaltigungsopfer erfahren<br />
oft nur schwer Gerechtigkeit. Eher werden<br />
sie stattdessen noch bestraft und durch<br />
peinliche Fragen und Darstellungen in den<br />
Medien, bei der Polizei oder vor Gericht gedemütigt!<br />
Jeden Tag bringen unsere Medien<br />
diese schrecklichen Nachrichten von<br />
Vergewaltigungen oder gar Massenvergewaltigungen,<br />
davon, dass Mädchen und<br />
Frauen getötet oder in den Selbstmord getrieben<br />
werden. Ziele solcher Verbrechen<br />
sind hauptsächlich junge Mädchen und<br />
Frauen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren.<br />
Zurzeit nehmen Fälle der Vergewalti-<br />
Prof. Dr. Clemens Mendonca.
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
1 3<br />
Eine Ausbildung kann Frauen davor schützen, körperliche Schwerstarbeit leisten zu müssen.<br />
haben, bringt das einen Unterschied in der<br />
Gestaltung des Familienlebens und in der<br />
Erziehung ihrer Kinder mit sich. Im Kreis<br />
ausgebildeter Frauen lässt sich ein schrittweiser<br />
Wandel hin zum Besseren im Blick<br />
auf die Würde von Frauen feststellen.<br />
„Pflück mich nicht – lass auch mich blühen“ –<br />
liefern es weiter an die nächsten Generationen.<br />
Frauen selbst können zu ausgesprochenen<br />
Vertreterinnen einer Perpetuierung<br />
dieses patriarchalischen Systems<br />
werden.<br />
Frauen aus unseren Kulturen müssen ihre<br />
Rechte und ihre Würde sehen und erkennen.<br />
<strong>Der</strong> beste Weg, um die gegenwärtige<br />
Situation zu verbessern, besteht aus wenigen<br />
Worten: „Schule und Ausbildung für<br />
Mädchen“. Wenn Frauen eine Ausbildung<br />
<strong>Der</strong>zeit entstehen überall auf dem Globus<br />
ungezählte Initiativen des Frauen-Empowerments.<br />
Indien steht bei diesen positiven<br />
Initiativen nicht hintan. In vielen abgelegenen<br />
indischen Dörfern haben einfache<br />
Frauen ohne Schulbildung etwas in Bewegung<br />
gebracht und das kleine Gemeinwesen,<br />
in dem sie leben, verändert. Vielerorts<br />
stellen andere die traditionellen Bräuche<br />
und das morbide Patriarchatssystem in Frage.<br />
Viele von ihnen werden schwer bestraft;<br />
trotzdem aber gewinnt diese Bewegung<br />
Tag für Tag mehr an Bedeutung. Endlich<br />
ist der Wandel in der Hand der Frauen!<br />
Clemens Mendonca<br />
(aus dem Englischen übers. v. Thomas<br />
Broch)<br />
Mädchen sind immer noch häufig von Abtreibung<br />
und Kindstötung bedroht.
1 4 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Hoffnung für Entrechtete<br />
Indische Schwestern stärken Würde und Rechte von Frauen<br />
Sr. Noelline Pinto, die „Mutter Teresa von Pune“.<br />
Von indischen Frauenorden zu sprechen<br />
heißt, von Hoffnung für Entrechtete<br />
zu sprechen. Viele der Gemeinschaften<br />
dort haben sich nach der Ordensreform<br />
des II. Vatikanischen Konzils<br />
grundlegend verändert und richten<br />
ihre ganze Kraft und Kreativität darauf,<br />
die entrechteten Mädchen und<br />
Frauen in ihren Rechten und in ihrer<br />
Würde zu stärken. Durch diese Neubesinnung<br />
sind die Frauenorden in Indien<br />
– und nicht nur dort – zu einer starken<br />
humanisierenden Kraft in der Gesellschaft<br />
geworden. Dass gerade Frauen<br />
es sind, die die Frauen stärken und ihnen<br />
zu besserem Ansehen verhelfen, ist<br />
revolutionär und stellt die weithin patriarchalischen<br />
gesellschaftlichen Normen<br />
Indiens auf den Kopf. Für manche<br />
Schwestern ist es mit hohem Risiko verbunden.<br />
Eine 16-köpfige Gruppe in der Eine-Welt-<br />
Arbeit engagierter Frauen und Männer aus<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> war im<br />
Oktober 2012 zwei Wochen im indischen<br />
Bundesstaat Maharashtra unterwegs und<br />
hat erlebt, was Frauen für Frauen bewirken<br />
können. Unter anderem haben die Gäste<br />
aus Deutschlands Süden die durch die Di-<br />
özese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> unterstützten<br />
Projekte H.O.P.E., Women’s Welfare Centre<br />
und MAHER in und bei Pune besucht,<br />
ebenso Ashankur in Bhokar bei Shrirampur,<br />
mit dem die <strong>Rottenburg</strong>er St.-Moriz-<br />
Gemeinde partnerschaftlich verbunden ist.<br />
Zum Beispiel H.O.P.E. – Hoffnung für<br />
Hoffnungslose<br />
Als „Mutter Teresa von Pune“ hat man Sr.<br />
Noelline Pinto von der Kongregation der<br />
„Sisters of the Cross of Chavanod“ bezeichnet.<br />
Seit fast 40 Jahren initiiert sie in<br />
der Sechs-Millionen-Stadt Pune soziale Arbeit.<br />
Die 1927 in Goa geborene Ordensfrau<br />
gründete 1974 die Organisation H.O.P.E.,<br />
so lautet die Abkürzung von „Human Organization<br />
for Pioneering in Education“.<br />
Das stille kleine Haus aus roten Ziegeln mit<br />
Mit Kunsthandwerk tragen Frauen zum Familieneinkommen<br />
bei.<br />
dem zentralen Gottesdienst- und Versammlungsraum<br />
im Stadtteil Vadgaon<br />
Sheri ist der Geburtsort vielfältigster kirchlicher<br />
Initiativen in Maharastra. Wie Sr. Noelline<br />
berichtet, wurde H.O.P.E. von Anfang<br />
an durch die Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<br />
<strong>Stuttgart</strong> unterstützt. Mit Prälat Eberhard<br />
Mühlbacher weiß sie sich heute noch verbunden.<br />
Die Grundlagen von H.O.P.E., so stellt sich<br />
die Organisation selbst dar, sind ein auf<br />
Hoffnung gegründeter Umgang mit der<br />
Schöpfung, die Liebe zum Menschen und<br />
der Glaube an das Göttliche. Die Früchte<br />
dieser Grundhaltung sind eigene Freiheit<br />
und Freiheit für einander, solidarische Verbundenheit<br />
mit der Natur sowie mit den<br />
Einsamen und Verlassenen und schließlich<br />
soziale Gerechtigkeit, die soziale Missstände<br />
bekämpft und eine humanere Gesellschaft<br />
schafft. Die Menschen, so betont Sr.<br />
Noelline, müssen aufgeweckt werden –<br />
und zwar in sozialer, politischer, kultureller<br />
und religiöser Hinsicht.<br />
Frauenbildung legt die Fundamente<br />
einer humaneren Gesellschaft<br />
Ansatzpunkt für diese Entwicklung, so erläutert<br />
Sr. Noelline, ist die Bildungsarbeit<br />
mit den Frauen, die als „Bürger zweiter<br />
Klasse“ am meisten unterdrückt werden,<br />
während sich die Ehemänner wie Götter<br />
gebärden. Frauen zu bilden bedeutet, Familien<br />
zu bilden und durch sie die Gemeinden,<br />
die Grundsteine der Gesellschaft. Dazu<br />
ist es zuerst einmal nötig, gegen den Fatalismus,<br />
der im Hinduismus dem Gesetz<br />
des Karma entspringt und die Menschen
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
1 5<br />
lähmt, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln,<br />
dass die Frauen für sich und ihre Familien<br />
aktiv Verantwortung übernehmen<br />
müssen. Um dies zu realisieren, organisieren<br />
sie sich in Selbsthilfegruppen und setzen<br />
sich gemeinsame soziale Ziele. Sie qualifizieren<br />
sich für berufliche Tätigkeiten und<br />
generieren ein eigenes Einkommen. Häufig<br />
fertigen sie Handarbeiten an; deren Verkauf<br />
gibt ihnen Geld in die Hand, das stützt<br />
v. a. ihre soziale Anerkennung.<br />
Von zentraler Bedeutung ist dabei auch eine<br />
ganzheitliche Entwicklung der Kinder<br />
durch Schulbildung oder durch Gesundheitsvorsorge.<br />
Eine ausreichende Infrastruktur,<br />
an erster Stelle der Zugang zu sauberem<br />
Wasser, ist eine wesentliche Voraussetzung.<br />
In den ländlichen Regionen sind<br />
die Frauen oft zwei bis drei Kilometer zu<br />
Fuß unterwegs, um Wasser zu holen.<br />
Selbstbewusste Frauen können endlich<br />
auch in die politische Auseinandersetzung<br />
eintreten und sich für ihre eigenen Rechte<br />
einsetzen bzw. gegen unsoziale Strukturen<br />
und Personen und gegen Unterdrückung<br />
aufstehen. Wie diese Unterdrückung aussehen<br />
kann, schildert Sr. Noelline an einem<br />
fast unglaublichen Beispiel: Immer wieder<br />
kommt es vor, dass Männer ihre Ehefrauen<br />
misshandeln oder gar töten, wenn sie das<br />
Brot nicht zu einem genügend günstigen<br />
Preis einkaufen.<br />
Gegen das Elend der Hausgehilfinnen<br />
Sr. Flory, Juristin und Nachfolgerin von Sr.<br />
Noelline, erläutert diese konzeptionellen<br />
Grundsätze an konkreten Beispielen. Da ist<br />
zum einen die Gründung einer Gewerkschaft<br />
für Hausgehilfinnen, um sie vor Ausbeutung<br />
zu schützen, um etwa ihren Urlaubsanspruch<br />
durchzusetzen oder um dafür<br />
zu sorgen, dass ihnen Krankheitstage<br />
nicht als Urlaub angerechnet werden.<br />
Etwa 2.000 Frauen im Verantwortungsbereich<br />
von H.O.P.E. verrichten diesen<br />
schlecht bezahlten Dienst bei den Familien<br />
der Upper Class. Für ihre Arbeit in durchschnittlich<br />
fünf oder sechs Häusern verdienen<br />
sie im Monat etwa 3.000 Rupien, also<br />
etwas über 43 Euro. Rund 500 Mitglieder<br />
mit einem Jahresbeitrag von 60 Rupien (=<br />
ca. 0,87 Euro) zählt derzeit die Hausgehilfinnen-Gewerkschaft.<br />
Die Frauen organisieren<br />
sich mit Hilfe der Schwestern in kleinen<br />
Gruppen, die sich monatlich treffen.<br />
Wenn sich die Gruppen stabilisiert haben,<br />
werden sie in die eigene Verantwortlichkeit<br />
entlassen.<br />
Ein wichtiges Instrument: Kleinkredite<br />
für Frauen<br />
Frauen zu bilden bedeutet Familien zu bilden und damit die Gemeinden.<br />
Auch eine Genossenschaftsbank und die<br />
Vergabe von Kleinkrediten gehören zu den<br />
Leistungen dieser Gewerkschaft. Solche<br />
Kleinkredite, deren Idee auf den Wirtschaftswissenschaftler<br />
und Friedensnobelpreisträge<br />
Muhammad Yunus aus Bangladesh<br />
zurückgeht, sind ein System der Hilfe<br />
zur Selbsthilfe und stellen für viele Frauen<br />
die Grundlage dafür her, dass sie sich mit<br />
der Produktion von Handarbeiten im Ein-<br />
Frau-Betrieb selbständig machen können.<br />
Die Frauen, so erleben es die schwäbischen<br />
Besucherinnen und Besucher in mehreren<br />
Projekten, legen geringe Geldbeträge –<br />
100 Rupien (= ca. 1,43 Euro) im Monat –
1 6 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Mit mobilen Angeboten begleiten die Schwestern<br />
die Familien der Wanderarbeiter von Großbaustelle<br />
zu Großbaustelle.<br />
auf einer genossenschaftlich organisierten<br />
Sparkasse an. Hier können sie dann Kleinkredite<br />
von jährlich 2.000 Rupien (= ca. 29<br />
Euro) erhalten, die es ihnen ermöglichen,<br />
eine Nähmaschine, Stoffe oder andere Materialien<br />
zu beschaffen und eine Erwerbstätigkeit<br />
aufzunehmen, mit der sie ihre Familie<br />
ernähren und zum Familieneinkommen<br />
beitragen können. Auch die Kleinkredite<br />
können sie damit zurück erstatten. Die<br />
erforderlichen Fähigkeiten erlernen sie im<br />
Unterricht bei den Schwestern. Wie „große<br />
Schwestern“ sind diese für die Frauen.<br />
„Sun City“ – und wer den Preis dafür<br />
bezahlt<br />
Eine anderes Beispiel für die Arbeit von<br />
H.O.P.E. – exemplarisch für die sozialen Aktivitäten<br />
der indischen Frauenorden – ist<br />
die Unterstützung von Wanderarbeitern,<br />
die mit ihren Familien von Großbaustelle zu<br />
Großbaustelle ziehen. „Sun City“ heißt einer<br />
dieser Komplexe ganz in der Nähe der<br />
Zentrale von H.O.P.E. – ein großes Neubauquartier<br />
mit zahlreichen mehrstöckigen<br />
Appartmenthäusern und einem großzügig<br />
angelegten zentralen Platz mit Kaskadenbrunnen,<br />
eingefriedet mit einer Mauer, mit<br />
Schranken und Wachposten am Eingang.<br />
Überall in den indischen Großstädten und<br />
an ihren Rändern sieht man solche Bauvorhaben<br />
mit ähnlich wohlklingenden Namen,<br />
die sich über den Slums der Armen<br />
erheben und diesen signalisieren, dass sie<br />
über kurz oder lang ihre Elendshütten räumen<br />
müssen und Platz machen für Wohnungen,<br />
deren Miete für sie unerschwinglich<br />
ist, und für Leute, von deren Lebensstandard<br />
sie nur träumen können.<br />
Für die Wanderarbeiter – Angehörige der<br />
untersten Kasten oder der Ureinwohnerschaft,<br />
die oft von weit herkommen, um eine<br />
Arbeitsmöglichkeit zu erhalten – unterhalten<br />
die Schwestern eine mobile Kinderkrippe,<br />
die mit ständig wechselnden Baustellen<br />
mitzieht und Kinder ab dem Alter<br />
von 15 Tagen aufnimmt.<br />
Außerdem gibt es dort eine Pre-School<br />
für die Vorschulkinder und eine Regular-<br />
School, in der die Kinder in der regionalen<br />
Sprache unterrichtet werden, die in den Familien<br />
gesprochen wird. Die Kinder werden<br />
hier auch über den Unterricht hinaus versorgt<br />
und erhalten regelmäßig Mahlzeiten.<br />
Den Eltern werden Englisch- und Computerkurse<br />
angeboten, um ihnen Chancen<br />
für eine bessere Qualifizierung zu eröffnen.<br />
Netzwerkarbeit für Frauen- und Kinderrechte<br />
Solche Ausbildungsangebote hält H.O.P.E.<br />
auch für allein erziehende Frauen vor. Aus<br />
vielfältigen Gründen können sie in diese Situation<br />
geraten: Die Ehemänner sind verstorben<br />
oder – noch häufiger – haben sie<br />
verlassen; sie sind Opfer sexueller Gewalt<br />
geworden und sind nun mit dem aus einer<br />
erzwungenen Schwangerschaft hervorgegangenen<br />
Kind alleine und auf sich selbst<br />
gestellt. In so genannten Shelters, geschützten<br />
Wohn- und Lebensräumen, können<br />
sie gemeinsam leben, Freundschaften<br />
schließen, durch solidarisches Miteinander<br />
Unterstützung und Förderung erfahren.<br />
Den Kindern werden dort samstags besondere<br />
Creativity Classes angeboten, in denen<br />
sie in Musik, Tanz oder Spielen ihre Fähigkeiten<br />
zur Entfaltung bringen können<br />
und Werte wie soziales Verhalten und Integration<br />
in die Gesellschaft erfahren und<br />
erlernen.<br />
Ebenso wie andere kirchlich-karitative Initiativen<br />
leistet auch H.O.P.E. gemeinsam<br />
mit anderen Organisationen aktive Netzwerkarbeit<br />
für Kinderrechte, besonders um<br />
die jungen Menschen vor Kinderarbeit,<br />
Kinderehen und sexuellem Missbrauch zu<br />
schützen.<br />
Thomas Broch<br />
Die Dokumentation zur Exposure-<br />
Reise in den indischen Bundesstaat<br />
Maharastra vom 15. bis 30. Oktober<br />
2012 mit dem Titel „<strong>Der</strong> Reichtum<br />
der Armen“ kann in pdf-Format<br />
per E-Mail oder als DVD bezogen<br />
werden über tbroch@bo.drs.de
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
1 7<br />
Geraubtes Land<br />
Die Landreform Brasiliens steckt in der Sackgasse<br />
Die Landreform Brasiliens, einst mit<br />
Hoffnungen verbunden, ist durch aktuelle<br />
politische Entwicklungen in eine<br />
Sackgasse geraten. Die brasilianische<br />
Gesellschaft erfuhr in den Jahren nach<br />
2000 die Ausbreitung der großen Sojabohnen-Farmen<br />
im Amazonas Gebiet.<br />
Dafür sollte das brasilianische Waldschutzgesetz<br />
verändert werden. <strong>Der</strong><br />
Streit ging um 60 Millionen Hektar Urwald,<br />
der zwecks Anbau von Sojabohnen<br />
entwaldet werden sollte. Ferner<br />
wurden Eukalyptus- und Kiefermassenwälder<br />
für die Erzeugung von Zellulose<br />
angelegt. Es kam zusätzlich noch zu einer<br />
schnellen Ausdehnung von Zuckerrohrgroßgrundbesitzen<br />
im Südosten<br />
und Mittelosten Brasiliens, die den<br />
ganzen Bundesstaat São Paulo zu einer<br />
riesigen Zuckerrohrplantage gemacht<br />
hatten. So zog die Rinderzucht und die<br />
Milchwirtschaft aus dieser Region fort<br />
in den Süden Brasiliens.<br />
Die Landreform ist praktisch stillgelegt<br />
Diese Entwicklung hat die Landreform in<br />
ganz Brasilien praktisch stillgelegt. Die Enteignung<br />
nicht produzierenden Bodens<br />
wurde nicht mehr weiterverfolgt. <strong>Der</strong> Einfluss,<br />
der von den mehr als 120.000 Familien<br />
der Landlosen in ihren Zeltstädten ausging,<br />
als es darum ging, wirksamen Druck<br />
auf die Landreform bei den Politikern auszuüben,<br />
konnte vernachlässigt werden.<br />
Brasilien ist weiterhin das Land mit der ungerechtesten<br />
Eigentumsstruktur der Welt.<br />
Die großen Fazendas mit über 1.000 Hektar<br />
Land, die nur 0,9 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe<br />
ausmachen, kontrollieren<br />
dennoch 44 Prozent der Landflächen. Andererseits<br />
machen die Besitzer mit einer<br />
landwirtschaftlichen Fläche von nur bis zu<br />
10 Hektar über 48 Prozent aus. Sie kontrollieren<br />
aber lediglich 2,3 Prozent der Landflächen.<br />
Die Macht des „agronegócio“<br />
Es ist undenkbar, einen Staat als demokratisch<br />
zu bezeichnen, wenn sich die Verteilung<br />
des Reichtums in so ungerechten Bodenverhältnissen<br />
widerspiegelt. Die uralten<br />
Machtstrukturen, die von der Kontrolle<br />
des Landes ausgingen, sind nach wie vor<br />
präsent. Es sind die konservativen Oligarchien,<br />
die jetzt als „Agrarunternehmer“<br />
und mit dem modernen Begriff „agronegócio“<br />
betitelt werden. Sie zwingen die<br />
Nation dazu, den Status als vorzüglicher<br />
Rohstoffwaren-Exporteur aufrechtzuerhalten.<br />
Dies geschieht alles im Namen der Erhaltung<br />
dieses Systems und um die Logik<br />
der durch das spekulative Finanzkapital erworbenen<br />
Gewinne zu verteidigen.<br />
Das Volk verlangt eine gesündere Ernährung<br />
Nichtsdestoweniger gibt es Zeichen, dass<br />
die brasilianische Gesellschaft aus ihrem<br />
„Agronegócio-Traum“ erwacht. Sie fängt<br />
an zu verstehen, dass dieses landwirtschaftliche<br />
Modell, das so geleitet wird und<br />
für das Finanzkapital funktioniert, in großem<br />
Maße für die Naturressourcen schädlich<br />
ist, weil es kaum Lebensmittel für den<br />
Eigenmarkt im Land produziert und diese<br />
dann auch noch mit Pestiziden stark vergiftet<br />
sind.<br />
Darüber hinaus fangen die Brasilianer an,<br />
die komplizierten Beziehungen zwischen<br />
diesem Agrarmodell und den Lebensmittelindustrien<br />
zu verstehen. Diese Beziehung<br />
erzeugt Waren statt Nahrung und<br />
löst allerlei Krankheiten aus, wovon einige<br />
sogar zu ernsten öffentlichen Gesundheitsproblemen<br />
werden. Das Volk verlangt<br />
eine gesündere Ernährung.<br />
Landreform: tragende Säule für die<br />
Entwicklung des Landes<br />
Wenn man die Idee und die Fahne der<br />
Landreform wieder in den Mittelpunkt der<br />
brasilianischen Gesellschaft stellen will,<br />
muss man die Reform in Beziehung zu diesen<br />
Themen betrachten und dabei deutlich<br />
machen, dass die Landreform eine tragende<br />
Säule für die Entwicklung des Landes ist.<br />
Es bedarf dafür der Beteiligung einer breiteren<br />
Sozialschicht, über die landlosen Familien<br />
hinaus. Dies verlangt ein Bündnis<br />
mit den Arbeitenden aus den Städten und<br />
anderen Teilen der Volksbewegung.<br />
Adalberto Martins<br />
(aus dem Portugiesischen übers. v. Klaus-<br />
Jürgen Kauß)
1 8 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Portraits – Interviews – Begegnungen.<br />
Die Kunst, Geduld zu üben<br />
Interview mit Hermine Burger in Angola<br />
Hermine Burger arbeitet seit November<br />
2010 als Entwicklungsfachkraft für<br />
die Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> in<br />
Luanda, Angola. Frau Burger ist Gemeindereferentin<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>.<br />
Können Sie kurz Ihre Arbeitsfelder<br />
beschreiben?<br />
Menschen-, Frauen- und Kinderrechten,<br />
Hygiene, gesunde Ernährung und Sofortmaßnahmen<br />
bei den häufigsten Krankheiten<br />
wie Durchfall, Malaria... Nachdem die<br />
Frauen Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt<br />
haben, können sie an Einkommen<br />
schaffenden Maßnahmen wie Backkurse<br />
und Geschäftsführungskurse von Kleinunternehmen<br />
teilnehmen.<br />
Im Bereich Gesundheit gebe ich in verschiedenen<br />
Provinzen Kurse in natürlicher Medizin<br />
für Multiplikatorinnen. Die Teilnehmerinnen<br />
lernen aus Heilpflanzen Tees,<br />
Salben, Öle und Seifen herzustellen und<br />
die wichtigsten Krankheiten mit tropischen<br />
Pflanzen zu behandeln. Dieses Wissen geben<br />
die Frauen dann in ihren Gemeinden<br />
weiter. Man muss dabei bedenken, dass<br />
nur etwa 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung<br />
Zugang zur Basisgesundheitsversorgung<br />
hat.<br />
Die Frauen können durch den Verkauf der<br />
selbst hergestellten Medikamente einerseits<br />
zu einem höheren Familieneinkommen<br />
beitragen und andererseits die gesundheitliche<br />
Situation in einem Viertel<br />
verbessern.<br />
Was hat sie bei Ihrem Einsatz als Entwicklungsfachkraft<br />
besonders beeindruckt?<br />
Am meisten beeindrucken mich die Frauen,<br />
die morgens von 6.30 bis 8.30 Uhr zu<br />
den Alphabetisierungskursen kommen.<br />
<strong>Der</strong> Krieg hat ihre Schulbildung verhindert.<br />
Das versuchen sie nun nachzuholen. Anschließend<br />
gehen sie auf den Markt, um ihre<br />
Waren zu verkaufen, oder sie laufen als<br />
Zungueiras (fliegende Straßenhändlerinnen)<br />
mit den Waren auf dem Kopf den<br />
ganzen Tag durch die Straße, auf der Suche<br />
nach Käufern. Ihre Männer arbeiten in der<br />
Regel als Wachleute und haben auch nur<br />
ein kleines Einkommen. Neben Nahrungsmitteln,<br />
Kleidung und Wohnung müssen<br />
die Eltern viel Geld aufbringen, um die<br />
Schulgebühren für die Kinder zu bezahlen,<br />
da es nicht genügend staatliche Schulen<br />
gibt. Wird jemand krank, wird die finanzielle<br />
Situation noch schwieriger, da Behandlungskosten<br />
und Medikamente bezahlt<br />
werden müssen. Viele Frauen sind<br />
auch allein für die Familie verantwortlich,<br />
da der Mann sie verlassen hat und keinen<br />
finanziellen Beitrag mehr leistet.<br />
Ich koordiniere Frauenbildungs- und – gesundheitskurse<br />
für Migrantinnen im Auftrag<br />
des Ordens der Scalabrini-Missionarinnen.<br />
Zu meinen Aufgaben gehört u. a. die<br />
Organisation und Begleitung von Alphabetisierungskursen<br />
für Frauen und Kinder, deren<br />
Eltern keinen Schulplatz bezahlen können.<br />
Auf Grund des jahrzehntelangen Krieges<br />
können nur 54 Prozent der Frauen lesen<br />
und schreiben. Das Alphabetisierungsprogramm<br />
beinhaltet auch Vorträge zu<br />
Im April wurde die Kongregation gebeten,<br />
ein Seminar zur Bekämpfung von Gewalt<br />
in der Provinz Uíge im Norden Angolas<br />
durchzuführen. Meine Aufgabe war es, ein<br />
dreitägiges Seminar zur „Gewaltfreien<br />
Kommunikation“ anzubieten. An diesem<br />
nahmen Lehrer, Schüler, sowie Vertreter<br />
aus verschiedenen Kirchen und Parteien<br />
teil. Geplant sind weitere Kurse in diesem<br />
Bereich, da die Folgen des langen Krieges<br />
jetzt immer deutlicher spürbar werden.<br />
Mich beeindruckt, wie diese Frauen mit<br />
den tagtäglichen Schwierigkeiten fertig<br />
werden, wie sie ihr Leben in Angriff nehmen,<br />
um ihren Kindern eine bessere Zukunft<br />
zu bieten und wie sie sich in dieser<br />
Situation von Gott getragen und gestützt<br />
fühlen.
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
1 9<br />
Frauenchor beim Sonntagsgottesdienst in Luanda.<br />
Wie fast überall haben auch in Angola die Frauen …<br />
Hermine Burger mit der in Südafrika tätigen Sießener Franziskanerin Sr. Electa Wild und dem südafrikanischen<br />
Lehrer Georgino Beethoven bei einem Friedenskongress im Jahr 2011 in Luanda.<br />
Worin sehen Sie die größte Herausforderung<br />
bei Ihrer Arbeit?<br />
Eine Herausforderung ist für mich, Geduld<br />
zu üben. Das kann ich z. B. im Straßenverkehr.<br />
Täglich gibt es hier lange Staus oder<br />
mit der chaotischen Fahrweise der anderen<br />
Verkehrsteilnehmer. Eine weitere Herausforderung<br />
ist die ganze Arbeitsweise. In<br />
Deutschland soll ja alles immer ganz<br />
schnell gehen. Es wird deshalb immer genau<br />
geplant, um möglichst effektiv zu arbeiten.<br />
Hier ist die Herangehensweise anders.<br />
Man muss den Tag mehr auf sich zukommen<br />
lassen und dann sehen, was möglich<br />
ist.<br />
ist unmöglich. In ganz konkreten Einzelfällen<br />
gilt es Menschen direkt zu helfen. Ebenso<br />
geht es um die großen Projekte, in denen<br />
ich für viele verantwortlich bin. Beidem<br />
gilt es gerecht zu werden und dennoch die<br />
eigenen Grenzen nicht zu überschreiten.<br />
Das ist vielleicht die größte Herausforderung<br />
für mich.<br />
Das Interview führte Klaus-Jürgen Kauß<br />
Die Not und die Bedürftigkeit sind sehr<br />
groß. Allem und allen gerecht zu werden,<br />
… die Hauptlast bei der Bewältigung<br />
des täglichen Lebens zu tragen.
2 0 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Menschenwürde<br />
Eindrücke einer jungen Frau, die als Freiwillige ein Jahr in Indien gelebt hat<br />
Ein Jahr lang, von August 2011 bis August<br />
2012, hat Sarah Schabert Freiwilligendienst<br />
in Indien geleistet. Für den<br />
„Geteilten <strong>Mantel</strong>“ hat sie geschildert,<br />
wie sie dort Menschenwürde, deren<br />
Wahrung und deren Gefährdung, erlebt<br />
hat. Sie hat dabei einen eigenen<br />
und manchmal überraschend anderen<br />
Blick auf manche Besonderheit dieses<br />
vielgestaltigen Landes.<br />
Unser Verständnis von Menschenwürde<br />
kann zu Fehleinschätzungen anderer<br />
Länder führen<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />
So steht es in unserem Grundgesetz<br />
geschrieben. Ab und an begegnen wir<br />
auch in öffentlichen Diskussionen dem Begriff<br />
Menschenwürde, wie zum Beispiel<br />
beim Thema Sterbehilfe oder der Embryonenabtreibung.<br />
Wir gehen damit selbstverständlich<br />
um. Sobald man auf der Welt ist,<br />
hat man sie, und in Deutschland wird die<br />
Menschenwürde, wie im Grundgesetz zugesichert,<br />
nicht verletzt. Menschenwürde<br />
beeinhaltet die Grundidee, dass jeder alleine<br />
durch seine Existenz wertvoll ist. Unser<br />
Verständnis von Menschenwürde beruht<br />
demnach auf auf unseren Werten, welche<br />
stark von Kultur und Tradition geprägt werden.<br />
Die Meisten in Deutschland haben im<br />
Großen und Ganzen eine gemeinsame<br />
Wertvorstellung und kommen dadurch<br />
auch bei der Menschenwürde auf einen<br />
großen gemeinsamen Nenner. Wenden wir<br />
nun aber unsere Interpretation der Menschenwürde<br />
auf Länder mit anderen kulturellen<br />
Hintergründen an, so kann es schnell<br />
zu Fehleinschätzungen gegenüber diesen<br />
Ländern kommen.<br />
In eine andere Welt eintauchen – andere<br />
Werte akzeptieren lernen<br />
Ich durfte ein Jahr lang in Indien leben und<br />
in einem sozialen Projekt mitarbeiten. Ich<br />
fand mich also wieder mitten im Strudel<br />
der indischen Kultur und versuchte mit<br />
meinem deutschen Verstand, der mich<br />
noch nie im Stich gelassen hatte, zu begreifen,<br />
was um mich herum geschah. Schnell<br />
konnte ich feststellen, dass diese Herangehensweise<br />
ins Nichts führte. Ich musste lernen,<br />
die neuen Werte zu akzeptieren, um<br />
in die andere Welt eintauchen zu können.<br />
Unser Konsumverhalten wird unserem<br />
Plädoyer für die Menschenwürde<br />
in anderen Ländern nicht gerecht<br />
Wenn wir in Deutschland von Indien hören,<br />
dann meist im Zusammenhang mit dem<br />
Thema Armut. Ich begegnete viel Armut,<br />
was sich aber auf den zweiten Blick oft als<br />
Genügsamkeit herausstellte. Beispielsweise<br />
schlafen Inder nicht aus Armut in einem<br />
Raum, sondern weil sie sich von ihrer Familie<br />
umgeben am wohlsten fühlen. Alleine<br />
in einem Zimmer zu schlafen, wäre für viele<br />
unheimlich.<br />
Dennoch ist eine große Armut in Indien<br />
nicht zu leugnen. Viele leben und arbeiten<br />
unter unmenschlichen Bedingungen. Die<br />
korrupte Regierung schaut dabei zu, wie<br />
sogar Kinder für Hungerlöhne schuften.<br />
Doch ist es nicht die Regierung alleine, die<br />
sich den Menschen gegenüber unwürdig<br />
verhält.<br />
Wir fordern günstige Produkte, ohne uns<br />
dafür zu interessieren, dass sie auf Kosten<br />
anderer Menschen produziert werden. In<br />
unserem eigenen Land versuchen wir die<br />
Menschenwürde mit aller Kraft zu wahren.<br />
Anderen Ländern kreiden wir das Gegenteil<br />
an und unterstützen gleichzeitig die<br />
Fortführung der Ausbeutung.<br />
Was aussieht wie Einschränkung der<br />
Freiheit, kann auch Schutz vor Gefahr<br />
sein<br />
Zu Beginn meines Indienaufenthalts fiel es<br />
mir aber schwerer, meine alt gewohnte<br />
Freiheit aufgeben zu müssen, als mit so viel<br />
Armut konfrontiert zu werden. Die Frauen
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
2 1<br />
Die Begegnung mit der Armut …<br />
wird zunächst zwischen den Eltern verhandelt.<br />
Die eigentlichen Hauptakteure haben<br />
lediglich ein Veto, von dem aber die Wenigsten<br />
Gebrauch machen. Für mich ein<br />
schrecklicher Gedanke, die Wahl meines<br />
Lebenspartners anderen zu überlassen.<br />
… ist in Indien allgegenwärtig, ebenso aber auch …<br />
und vor allem die Töchter in Indien haben<br />
nach sieben Uhr abends zu Hause zu sein,<br />
während die Männer sich noch bis spät in<br />
die Nacht draußen sein und Alkohol trinken<br />
dürfen. Es erschien mir schlicht unfair,<br />
dass Männer mehr Freiheiten hatten als<br />
Frauen, und ging für mich klar gegen die<br />
Menschenwürde der Frau. Gewundert hat<br />
mich auch, dass Frauen diese Einschränkungen<br />
einfach zu akzeptieren scheinen.<br />
Erlebt man aber die indische Straße fernab<br />
von jedem Tourismus bei Nacht, so kann<br />
man die „Ausgangssperre“ nachvollziehen.<br />
Die Männer versuchen ihr Liebstes, ihre<br />
Frauen, zu beschützen vor den Männern,<br />
denen man als Frau nachts alleine<br />
ausgeliefert ist. Aus indischer Sicht könnte<br />
man genauso gut von Verletzung der Menschenwürde<br />
sprechen, wenn wir unsere<br />
Kinder von zu Hause ausziehen und alleine<br />
leben lassen, weil wir ihnen so den familiären<br />
Schutz nehmen.<br />
Für und Wider: arrangierte Ehen<br />
Eine weitere Sache, die für mich unbegreiflich<br />
erschien, war, dass die meisten Ehen in<br />
Indien arrangiert werden. Die Hochzeit<br />
Auf die Frage nach Liebe wurde mir einmal<br />
geantwortet: „Nach der Heirat hat man<br />
noch ein ganzes Leben, um sich lieben zu<br />
lernen. Liebe ist nichts, was passiert, sondern<br />
etwas, das sich entwickelt.“ Tatsache<br />
ist, dass in Indien weniger Ehen geschieden<br />
werden als in Deutschland. Irgendwann<br />
stellte sich mir die Frage, ob das Verlassen<br />
einer Familie – aus Angst, eine größere Liebe<br />
zu verpassen – nicht die stärkere Verletzung<br />
von Menschenwürde ist, als seinen Eltern<br />
zu vertrauen, die einen lieben und nur<br />
das Beste für einen wollen. Natürlich enden<br />
arrangierte Ehen nicht immer glücklich<br />
und in Liebe. Doch das können wir von den<br />
Ehen in Deutschland auch nicht behaupten.<br />
Menschenwürde: Wertschätzung für<br />
jeden Menschen – alleine deshalb,<br />
weil er lebt<br />
Aus Deutschland sind wir einfach anderes<br />
gewohnt und würden wahrscheinlich unter<br />
all den Einschränkungen und anderen<br />
Lebensumständen vor allem als Frau stark<br />
leiden. Bevor ich nach Indien gegangen<br />
bin, habe ich immer gedacht, es müsse den<br />
Menschen dort genauso gehen.<br />
Ich dachte, dass sich die ganze Welt bezüglich<br />
der Menschenwürde einig sei und jeder<br />
… unmittelbare Offenheit und Herzlichkeit.<br />
genau um diese Menschenwürde kämpfte.<br />
Inzwischen ist mir klar geworden, dass die<br />
Menschenwürde so unterschiedlich ist, wie<br />
wir es als Menschen sind. Nur der Grundgedanke,<br />
dass wir durch unsere Existenz alleine<br />
wertvoll sind, lässt sich jedes Mal wiederfinden.<br />
Das ist auch der Gedanke, den<br />
es zu verbreiten gilt: einem jeden Menschen<br />
mit Wertschätzung zu begegnen.<br />
Und ich bin überzeugt davon, dass daran<br />
noch jede und jeder von uns arbeiten kann<br />
und muss.<br />
Sarah Schabert
2 2 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
„Mungu yupo“ – Gott ist da<br />
Ein Missionar fällt nicht vom Himmel: Erfahrungen aus den Elendsvierteln in Kenia<br />
gehört habe: „Mungu yupo“. Das ist Kiswahili<br />
und heißt übersetzt: „Gott ist da“.<br />
Dies ist die ganze, ja eigentlich wunderbare,<br />
Theologie Afrikas, der Glaube Afrikas.<br />
In dieser Haltung kämpfen sich viele durch<br />
das Leben. Dadurch erhalten sie die notwendige<br />
Kraft, den schweren Alltag zu<br />
meistern.<br />
Evangelium mit Herz und Offenheit in die<br />
Hand nehmen, die Gesellschaft und das<br />
Miteinander besser und menschlicher werden.<br />
So habe ich erfahren, dass Kirche immer<br />
wieder neu entsteht und wächst. An<br />
mir selbst habe ich erlebt, dass ich erst<br />
durch und mit den Menschen zum Missionar<br />
geworden bin<br />
„Im Zusammenleben mit den Menschen …<br />
Viele und intensiv erfahrene Jahre war<br />
ich in einem Elendsviertel am Stadtrand<br />
von Nairobi, in Kariobangi und<br />
Korogocho, tätig. Gerne teile ich mit<br />
den Leserinnen und Lesern des Magazins<br />
„<strong>Der</strong> Geteilte <strong>Mantel</strong>“ meine Erfahrungen,<br />
die ich als Missionar unter<br />
sehr armen Menschen gemacht habe.<br />
„Mungu yupo“ – Gott ist da<br />
In dem Gemeindegebiet, in dem ich tätig<br />
war, leben etwa 350.000 Menschen – eng<br />
zusammengedrängt, mit einer Einwohnerdichte<br />
von stellenweise 70.000 Menschen<br />
pro Quadratkilometer. Die Armut, verursacht<br />
durch eine enorme Landflucht und<br />
schlechte staatliche Politik, hat dort viele,<br />
oft dramatische Gesichter. Trotz alledem<br />
gab es ein Wort, das ich praktisch jeden Tag<br />
Gott ist da – Gott geht mit. So wächst die<br />
Hoffnung, dass es irgendwann ein wenig<br />
besser wird – wenngleich ganz anders als<br />
man es sich ausgemalt hat. Wie sonst<br />
könnten zerrissene Familien, allein erziehende<br />
Mütter, Arbeitslose, Straßenkinder,<br />
aidskranke Menschen und viele mehr die<br />
Anstrengung und den Kampf des Lebens<br />
auf sich nehmen? Anstrengungen, obwohl<br />
es für sie in absehbarer Zeit keine entscheidende<br />
Verbesserung im Leben geben wird.<br />
Nur so können viele im besten Sinn des<br />
Wortes „in den Tag hinein“ leben – ohne<br />
Bankkonto, ohne soziale Absicherung,<br />
vielleicht ohne zu wissen, was es heute<br />
Abend zum Essen geben wird. Aber ihre Erfahrung<br />
sagt, dass es immer wieder gut<br />
ausgeht – natürlich mit vielen leidvollen<br />
Abstrichen. Das Leben in den Elendsvierteln<br />
ist wie auf einer Baustelle. Vielleicht ist<br />
das der Grund, warum ich mich dort als<br />
Bauingenieur so wohl gefühlt habe.<br />
Erst durch und mit den Menschen<br />
zum Missionar geworden<br />
Im Zusammenleben mit den Menschen habe<br />
ich viel gelernt und meinen eigenen<br />
Glauben vertieft. Wir Missionare sind Zeugen,<br />
dass immer dort, wo Menschen das<br />
Die Frage nach dem Mitmenschen im<br />
Zentrum des religiösen Lebens<br />
Deshalb eine Erfahrung, die ich in Afrika<br />
gemacht habe. Die Pfarrei Kariobangi in<br />
Kenia ist aufgebaut auf 75 so genannten<br />
Kleinen Christlichen Gemeinschaften. Hier<br />
muss man sich Nachbarschaftskreise von<br />
30 bis 50 Personen vorstellen, die sich wöchentlich<br />
zum Bibelgebet in ihren Hinterhöfen<br />
oder Straßenzügen treffen. Man<br />
trifft sich jede Woche – zumeist donnerstags<br />
– bei einer anderen Familie in der<br />
Nachbarschaft, da so der Segen des Gebets<br />
der ganzen Gruppe in die verschiedenen<br />
Familien kommt.<br />
Sie lesen das Evangelium des kommenden<br />
Sonntags und fragen sich im Gebet, was in<br />
der unmittelbaren Umgebung schief läuft<br />
oder besser werden soll. Sie fragen: Wo<br />
warten Kranke auf einen Besuch, wo reißt<br />
die Krankheit Aids eine Familie auseinander,<br />
wo brauchen Arme eine notwendige<br />
Hilfe – egal, welchem Stamm oder welcher<br />
Religion sie angehören? Sie interessieren<br />
sich dafür, wo Familien hungern oder die<br />
Kinder nicht in die Schule schicken können,<br />
da das Schulgeld nicht da ist; wo Jugendliche<br />
eine Führung brauchen, damit sie nicht
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
2 3<br />
… habe ich viel gelernt und meinen Glauben vertieft. Das Leben in den Elendsvierteln ist wie auf einer Baustelle. Deshalb …<br />
als Straßenkinder in den Müllhalden verschwinden.<br />
Die Kraft des Evangeliums in den<br />
Händen der Armen<br />
Ebenso geht es in den Gruppen um die Vorbereitung<br />
und Gestaltung von Gottesdiensten<br />
– immer verbunden mit der Frage:<br />
Wie kann das Reich Gottes bei uns mehr<br />
und mehr Gestalt annehmen?<br />
Es beeindruckt jeden Missionar, wie viel<br />
Kraft das Evangelium in den Händen der<br />
Armen entwickelt und mit wie viel Phantasie<br />
und Hingabe die Menschen ihren Glauben<br />
leben.<br />
So geschieht es zum Beispiel, dass eine Familie,<br />
die schon fünf oder mehr Kinder hat,<br />
auch noch die Kinder der verstorbenen<br />
Nachbarin aufnimmt. Ohne viel Aufsehen<br />
geschehen in Afrika viel Hilfe und soziale<br />
Arbeit, worüber kaum berichtet wird. Und<br />
genau da knüpfen wir als Missionare an.<br />
So blicke ich auf eine sehr erfüllte, schöne<br />
und glückliche Zeit in Afrika zurück, und<br />
viele Gesichter trage ich heute noch im Heren.<br />
… habe ich mich dort als Bauingenieur<br />
so wohl gefühlt.“<br />
Br. Hans Eigner
2 4 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Diskussionen aus der Weltkirche.<br />
Brot oder Schlange: <strong>Der</strong> Waffenhandel,<br />
die Menschenwürde und die Politik.<br />
„Wer von euch würde seinem Kind einen<br />
Stein oder eine Schlange geben,<br />
wenn es um Brot oder einen Fisch bittet“,<br />
fragt Jesus im Matthäus-Evangelium<br />
seine Zuhörer und verweist auf den<br />
himmlischen Vater, der den Bittenden<br />
noch viel mehr Gutes gibt (Mt 7,9-11).<br />
Es entspricht unserer menschlichen<br />
Neigung, einem anderen in Not zu helfen<br />
und nicht, ihm zu schaden oder sein<br />
Leben zu gefährden. Aus dieser Fähigkeit<br />
zum Mitgefühl entspringt auch die<br />
Bereitschaft, weltweit zu helfen oder<br />
gar zu teilen. Unser Land gibt den Kindern<br />
dieser Welt beides: Brot und<br />
Schlangen.<br />
Während eine Milliarde Menschen weltweit<br />
an Hunger leidet, genehmigte die<br />
Bundesregierung im Jahr 2011 Waffenlieferungen<br />
im Wert von über einer Milliarde<br />
Euro an Entwicklungsländer. <strong>Der</strong>en Regierungen<br />
verwenden den Reichtum ihrer<br />
Länder zur Aufrüstung und Machtsicherung<br />
statt zur Entwicklung und Armutsbekämpfung.<br />
Ihr Geld wandert in die Herstellerländer.<br />
Dass auf dieser Erde alle drei Sekunden<br />
ein Mensch, alle sechs Sekunden<br />
ein Kind an Hunger stirbt, ist für den ehemaligen<br />
UN-Berichterstatter für das Recht<br />
auf Nahrung, Jean Ziegler, nicht Schicksal,<br />
sondern Mord.<br />
Deutschland ist der drittgrößte Waffenhändler<br />
weltweit geworden. Die „Gemeinsame<br />
Konferenz Kirche und Entwicklung“<br />
(GKKE) der beiden großen Kirchen<br />
erstellt jährlich einen Rüstungsexportbericht<br />
und prangert an, dass die Bundesregierung<br />
immer mehr Waffenexporte außerhalb<br />
der EU und NATO genehmigt, für<br />
2,3 Milliarden Euro allein im Jahr 2011.<br />
Über Entwicklungsländer hinaus galten<br />
diese Genehmigungen auch Konfliktregionen<br />
und Regimen, die Menschenrechte<br />
verletzen und demokratische Bewegungen<br />
niederschlagen.<br />
Zugunsten von Rüstungsindustrie<br />
und Wirtschaftsinteressen<br />
Gerechtfertigt wird dies nicht mehr wie<br />
früher, dass Rüstung Arbeitsplätze schafft.<br />
Nur noch 80.000 Menschen, 0,3 Prozent<br />
der Beschäftigten, arbeiten heute im deutschen<br />
Rüstungssektor, gegenüber 400.000<br />
im Jahr 1990. Es sind die teuersten Arbeitsplätze,<br />
und in der Zivilwirtschaft herrscht<br />
Fachkräftemangel. Begründet werden die<br />
Waffenexporte mit der Erhaltung einer<br />
konkurrenzfähigen einheimischen Rüstungsindustrie,<br />
die dafür auf Exporte angewiesen<br />
ist. Außerdem sollen Staaten militärisch<br />
gestärkt werden, die deutsche Sicherheits-<br />
und Wirtschaftsinteressen unterstützen.<br />
Während in Griechenland das<br />
Gesundheits- und Sozialsystem und der Arbeitsmarkt<br />
für junge Leute zusammenbrechen,<br />
ist das Land gezwungen, Rüstungsschulden<br />
zu begleichen. Das Land war der<br />
weltweit größte Abnehmer deutscher<br />
Waffen zwischen 2006 und 2010. <strong>Der</strong><br />
deutsche Waffenhandel raubt Menschen<br />
in den Empfängerländern Zukunft und<br />
Hoffnung. Die von Saudi-Arabien beantragten<br />
Panzer sind geeignet für Straßenkämpfe.<br />
Damit können Demonstrationen<br />
niedergeschlagen werden, wie Saudi-Arabien<br />
es in Bahrein gezeigt hat. 90 Prozent<br />
der Toten sind Opfer von „Kleinwaffen“.<br />
Allein durch die Sturmgewehre aus Oberndorf<br />
wurden seit dem Zweiten Weltkrieg<br />
schätzungsweise mehr als eine Million<br />
Menschen getötet. Ein G3-Gewehr von<br />
Heckler und Koch kostet in Afrika 50 US-<br />
Dollar, so viel wie eine Kuh, und hält 50<br />
Jahre. Die Opfer sind Kindersoldaten und<br />
behinderte Menschen, die nach den Kriegen<br />
und Bürgerkriegen zur Belastung ihrer<br />
ohnehin armen Gesellschaften werden<br />
und oft nur noch als Bettler überleben.<br />
Bündnis für einen Politikwechsel<br />
Durch die „Aktion Aufschrei – Stoppt den<br />
Waffenhandel“ ist die Rüstungsexportpolitik<br />
in den letzten beiden Jahren wieder in<br />
die öffentliche Diskussion gebracht worden.<br />
Über 80.000 Unterschriften fordern<br />
ein Rüstungsexportverbot im Grundge-
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
2 5<br />
setz. Ein breites Bündnis aus ganz verschiedenen<br />
Bereichen der Gesellschaft hat sich<br />
dafür zusammen getan: Organisationen<br />
aus der Friedensbewegung und Entwicklungszusammenarbeit,<br />
aus den Kirchen,<br />
Umwelt-, Ärzte- und Menschenrechtsorganisationen,<br />
Pax Christi ist dabei, die Aktion<br />
Hoffnung, Misereor, Brot für die Welt,<br />
Kirchengemeinden, seit über einem Jahr<br />
der Diözesanrat der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<br />
<strong>Stuttgart</strong> neben fünf weiteren Diözesanräten.<br />
Sie wollen eine andere Politik, die den<br />
Waffenhandel stoppt und nicht immer<br />
mehr vorantreibt. Ein Ziel der Kampagne<br />
war, den Politikwechsel in den Wahlprogrammen<br />
der Bundestagsparteien zu verankern.<br />
Wie weit ist dies gelungen?<br />
SPD, die Grünen und die FDP setzen sich<br />
für ein parlamentarisches Kontrollgremium<br />
für Rüstungsexportgenehmigungen und<br />
die zeitnahe Information von Parlament<br />
und Öffentlichkeit sowie für eine wirksame<br />
Verbleibskontrolle von Waffen ein. Die<br />
Grünen fordern darüber hinaus ein aufschiebendes<br />
Vetorecht dieses Gremiums,<br />
die Abschaffung des Bundessicherheitsrats,<br />
eines geheimen regierungsinternen<br />
Entscheidungszirkels, das Verbot staatlicher<br />
Exportbürgschaften und ein restriktives<br />
Rüstungsexportgesetz mit gerichtlich<br />
einklagbaren Ausfuhrkriterien.<br />
Die Linke fordert ein ausnahmsloses Verbot<br />
von Rüstungsexporten, die sofortige Einstellung<br />
der Ausfuhr von Kleinwaffen und<br />
Waffenfabriken sowie der steuerlichen Unterstützung<br />
von Rüstungsexporten. Von<br />
der CDU und CSU lagen Ende Mai noch<br />
keine Aussagen für ein mögliches Regierungsprogramm<br />
vor. Dies hatten beide Parteien<br />
für Ende Juni geplant – ein Resultat<br />
liegt bei Redaktionsschluss dieses Magazins<br />
noch nicht vor.<br />
Schiffswallfahrt 2014: Zeichen für den<br />
Widerspruch der Öffentlichkeit<br />
Es ist also zunächst einiges angestoßen.<br />
Nach der Bundestagswahl <strong>2013</strong> entscheiden<br />
die Trägerorganisationen der Kampagne<br />
über die Weiterarbeit. Pax Christi in der<br />
Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> plant für<br />
2014 zusammen mit anderen Partnerorganisationen<br />
eine ökumenische Schiffswallfahrt<br />
auf dem Bodensee: voraussichtlich<br />
am 28. Juni 2014, dem 100. Jahrestag des<br />
Attentats in Sarajewo. An dieser Gedenkveranstaltung<br />
soll es auch um den Beitrag<br />
der Waffenschmieden am Bodensee zu<br />
den internationalen Rüstungswettläufen<br />
und zur Vorbereitung neuer Kriege gehen.<br />
Es wird wichtig sein, hartnäckig und mit<br />
langem Atem für eine andere Politik zu arbeiten.<br />
Eine Vielzahl von Informationen<br />
und Materialien, z. B. die kirchlichen Rüstungsexportberichte<br />
oder Aktionsvorschläge<br />
wie Wahlprüfsteine, finden sich auf<br />
der Webseite der „Aktion Aufschrei“:<br />
www.aufschrei-waffenhandel.de.<br />
Seit vielen Jahren sind die Mehrheiten bei<br />
Meinungsumfragen in der Bevölkerung<br />
konstant gegen die Rüstungsexportpolitik:<br />
78 Prozent, quer durch alle Parteien, sind<br />
laut Emnid im Jahr 2011 dagegen, dass<br />
Deutschland Waffen und Rüstungsgüter in<br />
andere Länder verkauft; 73 Prozent sind<br />
ausdrücklich dafür, dass Deutschland<br />
grundsätzlich Waffenexporte ins Ausland<br />
verbietet.<br />
Wozu Verhandlungen führen, bei denen<br />
die Staaten ohne den Druck der Menschen<br />
unter sich bleiben, zeigte das erste weltweite<br />
Abkommen zur Regulierung des<br />
Waffenhandels, das die Vollversammlung<br />
der Vereinten Nationen am 2. April <strong>2013</strong><br />
beschlossen hat. Die Standards wurden so<br />
gefasst, dass auch die großen Rüstungsexporteure<br />
zustimmen konnten oder sich wie<br />
Russland und China enthielten. <strong>Der</strong> Vatikan<br />
begrüßte die Entscheidung als ersten<br />
Schritt, bemängelte aber, dass keine Sanktionen<br />
vorgesehen sind und Verbote durch<br />
bilaterale Verträge ausgehebelt werden<br />
können.<br />
Am Ende des Matthäus-Evangeliums<br />
kommt der Welten-Richter als Anwalt der<br />
Opfer der Geschichte: Ich war hungrig und<br />
durstig, und ihr habt den Mächtigen meines<br />
Landes Waffen geliefert. Gewinnstreben,<br />
wirtschaftliche und politische Interessen<br />
sind keine Rechtfertigung für den Handel<br />
mit Waffen, genau so wenig wie für<br />
den Handel mit Drogen, mit Kindern, Frauen<br />
oder Sklaven. Dass wir zu Anwälten der<br />
Opfer unseres Landes werden, das berührt<br />
auch unsere eigene Würde als Menschen<br />
und als Kinder Gottes.<br />
Odilo Metzler
2 6 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Literatur und Medien.<br />
Mission und Dialog: Kein Widerspruch<br />
„Mission und Dialog“: Mit diesem Band<br />
eröffnen missio-Präsident Prälat Dr.<br />
Klaus Krämer und Professor Dr. Klaus<br />
Vellguth, Leiter der missio-Abteilung<br />
„Theologische Grundlagen“, eine neue<br />
weltkirchliche Reihe von missio Aachen<br />
und dem Freiburger Herder-Verlag zur<br />
„Theologie der Einen Welt“.<br />
„Dialog und Mission stehen nicht im Widerspruch<br />
zu einander, da der Dialog in der<br />
heilvollen Grundbewegung Gottes auf uns<br />
Menschen zu gründet.“ Unter diesem Leitgedanken<br />
veröffentlichen Krämer und Vellguth<br />
320 Beiträge von 20 Autorinnen und<br />
Autoren aus Afrika, Lateinamerika, Asien<br />
und Europa. <strong>Der</strong> Band bietet systematischtheologische<br />
Reflexionen, Überlegungen<br />
zum interreligiösen Dialog, zum Gespräch<br />
zwischen Universal- und Ortskirche sowie<br />
zwischen den Ortskirchen selbst. Zuletzt<br />
werden pastorale Konsequenzen für ein<br />
dialogorientiertes Missionsverständnis gezogen.<br />
Klaus Krämer/Klaus Vellguth<br />
(Hrsg.), Mission als Dialog. Ansätze<br />
für ein kommunikatives Missionsverständnis,<br />
Freiburg 2012, 320 S.,<br />
geb., ISBN 978-3-451-33260-9, 25<br />
Euro<br />
Theologie ist kein europäisches Produkt<br />
mehr; vielmehr wird an allen Orten der<br />
Weltkirche Theologie weitergeschrieben:<br />
Das ist die Leitlinie der neuen Reihe „Theologie<br />
der Einen Welt“, in der künftig jährlich<br />
ein bis zwei Bände erscheinen werden.<br />
Bisher erschienen weitere Bänder der Herausgeber<br />
Klaus Krämer und Klaus Vellguth<br />
in dieser Reihe:<br />
Bd. 2: Kleine christliche Gemeinschaften.<br />
Impulse für eine zukunftsfähige<br />
Kirche, 2012, 400 S. geb.,<br />
ISBN 978-3-451-33261-6, 28 Euro<br />
Bd. 3: Theologie und Diakonie.<br />
Glauben in der Tat, <strong>2013</strong>, 320 S.,<br />
geb., ISBN 978-3-451-33262-3, 25<br />
Euro<br />
Interreligiöser r Dialog l – ein Weg zur<br />
Achtung von Menschenrechten<br />
Indien ist ein Land der Vielfalt und<br />
kann auf eine lange interkulturelle Tradition<br />
zurückblicken. Dennoch sind die<br />
Inder in der Mehrzahl Hindus. Für das<br />
das Christentum als Minderheitenreligion<br />
stellt dies eine enorme Herausfor-<br />
derung dar, was die Mitverantwortung<br />
für die Zukunft der indischen Gesellschaft<br />
betrifft.<br />
Nach wie vor ist die gesellschaftliche Ordnung<br />
durch das Kastenwesen bestimmt –<br />
mit weitreichenden Auswirkungen auf die<br />
Menschenrechtssituation. Für immer mehr<br />
Dalits, Angehörige der untersten Kaste, ist<br />
der Übertritt zum Christentum ein befreiender<br />
Schritt. Diese Bewegung löst aber<br />
auch nicht zu unterschätzende Konflikte<br />
aus.<br />
Clemens Mendonca, Geschäftsführende<br />
Direktorin des Institute fort he Study oft Religion<br />
in Pune, gibt differenzierte Einblicke<br />
in diese komplexe Situation. Sie macht<br />
überzeugend den Beitrag christlicher Spiritualität<br />
zur Humanisierung der indischen<br />
Gesellschaft deutlich – nicht zuletzt was<br />
die Selbstentdeckung der indischen Frau<br />
und die Stärkung der Frauenrechte als missionarische<br />
Aufgabe betrifft. Sie zeigt aber<br />
auch, wie wichtig der interreligiöse Dialog<br />
für Indien und den gesamten asiatischen<br />
Raum ist und welche herausragende Rolle<br />
engagierte Christinnen und Christen dabei<br />
spielen.<br />
Clemens Mendonca, Christliche Spiritualität<br />
im indischen Kontext. <strong>Der</strong><br />
Beitrag der Minderheitenreligion<br />
zum interreligiösen Lernen (Theologie<br />
interkulturell 19), Ostfildern<br />
2009, 150 S., brosch.,ISBN 978-3-<br />
7867-2787-3, 17,90 Euro
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
2 7<br />
Geltungsstopp für Menschenrechte<br />
an Europas Grenzen?<br />
Die Grenzen der „Festung Europa“ werden<br />
für ungezählte Flüchtlinge aus Kriegs-, Bürgerkriegs-<br />
und Elendsreligionen zu einem<br />
unüberwindbaren Hindernis für ihre Hoffnung<br />
auf die Achtung ihres elementaren<br />
Rechts auf ein Leben in Sicherheit und<br />
Würde. Dem Schweizer Journalisten Kaspar<br />
Surber ist es gelungen, einem Flüchtling<br />
im Lager von Lampedusa eine Einwegkamera<br />
zuzustecken. Bewegende Bilder<br />
davon sowie zahlreiche Reportagen über<br />
den humanitären Alarmzustand europäischer<br />
Flüchtlingspolitik hat er in einem<br />
Band zusammengestellt.<br />
<strong>Der</strong> Insider Surber berichtet aus Straßburg<br />
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,<br />
von der in Warschau ansässigen<br />
Agentur Frontex für „operative Zusammenarbeit“<br />
und aus Griechenland. Er<br />
schildert die Absurdität, dass Griechenland<br />
kein Geld für Flüchtlinge hat, aber Millionen<br />
für Wärmekameras und andere Sicherheitstechnik<br />
an der Grenze zur Türkei in-<br />
vestiert. Er macht die Perspektivlosigkeit<br />
von Flüchtlingsschicksalen deutlich und<br />
beleuchtet die oft fragwürdigen Motive<br />
gemeinsamer und jeweils nationaler<br />
Flüchtlingspolitik in Europa. Als Absurdität<br />
und als Stückwerk bewertet er die europäische<br />
Politik angesichts der Globalisierung<br />
und zitiert den UN-Sonderberichterstatter<br />
Manfred Nowak, es handle sich um „ein<br />
europäisches Problem, das eine ganzheitliche<br />
Lösung braucht und nicht nur die Aufrüstung<br />
der europäischen Grenzen mit<br />
Frontex“.<br />
Kaspar Surber, An Europas Grenzen.<br />
Fluchten, Fallen, Frontex, Basel<br />
2012, 176 S., brosch., ISBN 978-3-<br />
905800-59-3, 22,00 Euro<br />
Thema „Armut“ jugendgerecht<br />
„Das reicht doch nicht“ – so bringt das<br />
lesens- und bemerkenswerte Heft des<br />
Jugendmagazins „fluter“ der Bundeszentrale<br />
für politische Bildung das Thema<br />
„Armut“ griffig auf den Punkt.<br />
„Armut ist nicht die Schande der Armen.<br />
Sie sollte ein Skandal der Reicheren sein“,<br />
so heißt es gleich zu Beginn. Das gilt für die<br />
Arbeiter in den Kupferminen in Sambia, für<br />
mexikanische Fremdarbeit in den USA oder<br />
für die Müllsammler in den indischen Millionenmetropolen.<br />
Es gilt aber auch für<br />
manche allein erziehende Mutter oder für<br />
manchen Familienvater, die trotz Vollzeitjob<br />
ihre Familie nur als Hartz-IV-„Aufstocker“<br />
ernähren können. Und dass ein Mädchen<br />
gemobbt wird, weil es keine Markenklamotten<br />
trägt, kommt fast an jeder Schule<br />
vor.<br />
Dies alles und noch mehr ist in interessanten<br />
und informativen Reportagen dargestellt,<br />
flott geschrieben und mit ansprechendem<br />
Layout. Es wechselt sich ab mit<br />
Experteninterviews, mit Infos zu den Milleniumszielen<br />
oder mit Questions-and-answers<br />
wie: „Sind manche Länder von vornherein<br />
benachteiligt?“, „Warum ist Afrika<br />
so arm und Europa so reich?“ „Ist Armut<br />
eine Charakterfrage?“<br />
Nicht verschwiegen wird auch das Konsumverhalten<br />
hierzulande und sein Zusammenhang<br />
mit der Armut in anderen Kontinenten.<br />
So sieht ein schwieriges Thema jugendgerecht<br />
aufbereitet aus.<br />
Das reicht doch nicht. Thema Armut,<br />
fluter. Magazin der Bundeszentrale<br />
für politische Bildung, Nr.<br />
45 (Winter 2012-<strong>2013</strong>), kostenlos zu<br />
beziehen über: www.fluter,de/abo,<br />
oder: abo@heft.fluter.de
2 8 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Hilfreich: missio-Unterrichtsmaterialien<br />
zu Menschenrechten<br />
„Religion erleben“ lassen die Unterrichtsmaterialien,<br />
die missio zu zwei<br />
Menschenrechtsthemen herausgegeben<br />
hat: Frauenrechte und Religionsfreiheit.<br />
Entsprechend der bewährten Struktur der<br />
Unterrichtsmaterialien, die missio regelmäßig<br />
veröffentlicht, gliedern sich auch diese<br />
beiden Hefte in qualifizierte theologische<br />
Reflexionen, in didaktische Vorüberlegungen<br />
so wie in detailliert ausgearbeitete Unterrichtsentwürfe.<br />
Man erkennt die Autorenschaft<br />
erfahrener Lehrkräfte.<br />
Alle in den Heften erwähnten Materialien<br />
wie Arbeitsblätter im pdf- und WORD-Format,<br />
Power-Point-Präsentationen, Video-<br />
Clips oder Hörbeispiele sind auf integrierten<br />
CD-ROMS zusammengestellt.<br />
Unverzichtbar für Lehrerinnen und Lehrer,<br />
die jungen Menschen das Thema Menschenrechte<br />
nahebringen wollen.<br />
Starke Frauen braucht die Welt.<br />
Frauenrechte und Gleichberechtigung<br />
hier und anderswo, Religion<br />
erleben. Unterrichtsmaterial, Heft<br />
17 (2009), Bestelladresse: missio<br />
Verlags- und Vertriebsgesellschaf<br />
mbH, 52012 Aachen,<br />
Tel. 0241/7507-350, Fax -336,<br />
bestellungen@missio.de<br />
Von Verfolgten, Verfolgern und<br />
Versöhnern. Das Menschenrecht auf<br />
Religionsfreiheit, Religion erleben.<br />
Unterrichtsmaterial, Heft 19, Bestelladressen:<br />
Für die bayerischen Diözesen: missio<br />
shop, Pettenkoferstraße 26-28,<br />
80336 München, Tel. 089/5162-620,<br />
Fax -626, www.missio-shop.de,<br />
info@missio-shop.de<br />
Für die nichtbayerischen Diözesen:<br />
missio Internationales Katholisches<br />
Missionswerk e. V., Postfach 10 12<br />
53, 52012 Aachen, Tel. 0241/7507-<br />
350, Fax -336, www.missio-onlineshop.de,<br />
bestellungen@missio.de
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
2 9<br />
„Den <strong>Mantel</strong> teilen“ – ein Film von Peter<br />
Wingert: jetzt als DVD erhältlich<br />
Über 600 Kirchengemeinden und Einzelinitiativen<br />
in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
pflegen Partnerschaften<br />
mit Gemeinden von Schwesterkirchen<br />
in aller Welt. Koordiniert wird<br />
dieses Solidaritätsnetzwerk durch die<br />
Hauptabteilung Weltkirche im Bischöflichen<br />
Ordinariat.<br />
Am Beispiel der Beziehungen, die die Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> mit Diözesen,<br />
Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften<br />
in Indien verbindet, stellt der Film<br />
„Den <strong>Mantel</strong> teilen“ Grundsätze, Ziele und<br />
Handlungsfelder der weltkirchlichen Arbeit<br />
des schwäbischen Bistums dar. Daneben<br />
gibt bietet der Film Einblicke in die pastorale<br />
und diakonische Arbeit der katholischen<br />
Kirche in anderen Kontinenten. Szenen<br />
von einem Besuch von Bischof Dr. Gebhard<br />
Fürst in Indien im Jahr 2010 lassen diese<br />
Informationen zu einem lebendigen Erlebnis<br />
werden. Die Kapitel: I. Von der klassischen<br />
Entwicklungshilfe zur Selbständigkeit<br />
der Partner, II. Auch Solidarität kann<br />
Hilfe sein …, III. Katastrophenhilfe – Anstoß<br />
für Fortschritt, IV. Global vernetzt – zur<br />
Bewahrung der Schöpfung.<br />
DVD, 32 Min.; Redaktion: Johannes<br />
Bielefeld und Thomas Broch; Produktion:<br />
wingert-film; © Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>/wingert-film<br />
2010; Unentgeltlich zu beziehen<br />
beim Bischöflichen Ordinariat,<br />
Hauptabteilung Weltkirche, weltkirche@bo-drs.de.
3 0 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Aus der Weltkirchlichen Arbeit von<br />
Kirchengemeinden, Verbänden und Orden.<br />
Die Würde von Frauen in Not achten<br />
25 Jahre FIZ – Weltkirche vor der Haustür<br />
Das ökumenische Fraueninformationszentrum<br />
(FIZ) in <strong>Stuttgart</strong> wurde vor 25<br />
Jahren nach dem Weltgebetstag der<br />
Frauen 1980 gegründet. Frauen aus<br />
Thailand machten auf das Problem des<br />
Sextourismus aufmerksam und forderten<br />
uns in Europa auf, dagegen zu<br />
kämpfen – es waren ja deutsche und<br />
europäische Männer, die in Thailand<br />
die Frauen missbrauchten.<br />
Nach vielen Überlegungen konnte<br />
1987 mit Hilfe des Sozialministeriums<br />
Baden-Württemberg das FIZ eröffnet<br />
werden. Seither können wir ganz konkret<br />
Frauen aus aller Welt helfen,<br />
gleichzeitig aber auch zu Themen wie<br />
Menschenhandel, Heiratshandel oder<br />
Heiratsmigration politisch arbeiten.<br />
FIZ hilft Frauen aus aller Welt …<br />
Zum Beispiel Ivana<br />
Ivana schwankt zwischen Hoffnung und<br />
Perspektivlosigkeit. Die Polizei hat sie aus<br />
den Fängen von Menschenhändlern befreit,<br />
nun kümmern wir vom Fraueninformationszentrum<br />
FIZ in <strong>Stuttgart</strong> uns um<br />
sie. Sie freut sich, erst einmal sicher untergebracht<br />
zu sein, und ebenso über den<br />
Deutsch- und Alphabetisierungskurs, den<br />
sie mit Hilfe von FIZ besuchen kann. Sie<br />
wünscht sich nichts sehnlicher, als eine Zukunft<br />
zu haben, zu arbeiten und Geld zu<br />
verdienen.<br />
Das FIZ will sie dabei unterstützen – doch<br />
nun kommt ihr Freund aus Bulgarien angereist.<br />
Seine Eltern sind vor kurzem gestorben,<br />
seine Oma hat ihn aus dem Haus geworfen,<br />
er findet zuhause keine Arbeit. Also<br />
hat er die letzten Pfennige zusammengekratzt<br />
und ist Ivana nach <strong>Stuttgart</strong> gefolgt.<br />
Doch wovon soll er hier leben, wo<br />
kann er wohnen? Ivana weiß es nicht. Er ist<br />
jung, kräftig, kann ein wenig Englisch und<br />
Türkisch, da wird er doch Arbeit finden?<br />
Und wenn er auf der Straße leben muss, sie<br />
geht mit ihm. Auch wenn sie zur Not zurück<br />
in die Prostitution muss. Denn sie<br />
brauchen Geld. Wir versuchen ihr deutlich<br />
zu machen, dass Zuhälter ihr das meiste<br />
Geld abnehmen werden, sie schlagen werden.<br />
Ganz leise sagt sie: „Geschlagen zu<br />
werden, das bin ich gewohnt …“ Ein paar<br />
Tage später geht Ivana tatsächlich mit ihrem<br />
Freund ins Ungewisse, wir bekommen<br />
keinen Kontakt mehr zu ihr.
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3 1<br />
… und wirkt politisch gegen Menschenhandel,<br />
Heiratshandel und Heiratsmigration.<br />
Ausbeutung und Menschenhandel<br />
finden auch in Deutschland statt<br />
Weltkirchliche Arbeit vor der eigenen<br />
Haustür<br />
Die Begegnung mit Ivana hat uns sehr bewegt.<br />
Sie macht die Dramatik der Lebensumstände<br />
so vieler Menschen, v. a. in Osteuropa,<br />
deutlich: die Wirtschaftskrise hat<br />
besonders die armen Länder getroffen. Rumänien<br />
und Bulgarien sind die Armenhäuser<br />
der EU. Ivana arbeitete zuvor in Griechenland<br />
und Italien, doch auch dort ist die<br />
Wirtschaft nun am Boden. Also sucht sie<br />
Perspektiven in Deutschland, das wirtschaftlich<br />
gut da steht und als ordentlich<br />
und anständig gilt. Dass es auch hier massive<br />
Arbeitsausbeutung und Menschenhandel<br />
gibt, ist den meisten nicht bewusst.<br />
So wie Ivana kommen Frauen aus aller Welt<br />
hoffnungsvoll nach Deutschland, um ihr<br />
Glück zu suchen. Manchen Frauen aus Nigeria<br />
oder aus Ungarn wurde eine tolle Arbeitsstelle<br />
versprochen, doch dann werden<br />
sie in der Prostitution ausgebeutet. Andere<br />
heiraten einen deutschen Touristen, den<br />
sie zuhause in Thailand, Brasilien oder Kenia<br />
kennen gelernt haben, doch dann erleben<br />
sie Gewalt und Aggression. Wieder<br />
andere aus Rumänien oder Polen haben<br />
vermeintlich Glück, eine Stelle als Betreuerin<br />
alter Menschen oder in der Gastronomie<br />
gefunden zu haben, doch arbeiten sie<br />
oft illegal, ohne Versicherung und für viel<br />
zu wenig Lohn – der ihnen manchmal noch<br />
nicht einmal ausbezahlt wird.<br />
Die Frauen haben viel Mut bewiesen, ihr<br />
Leben in die Hand zu nehmen und im fremden<br />
Deutschland ihr Glück zu versuchen.<br />
Viele scheitern, weil andere aus ihrer Notlage<br />
Profit schlagen. Wir im FIZ hören zu,<br />
trösten, weinen und lachen gemeinsam.<br />
Wir beraten über rechtliche Möglichkeiten<br />
und überlegen, wie es weitergehen kann.<br />
Und natürlich helfen wir bei aller Bürokratie,<br />
begleiten die Frauen zu den Behörden,<br />
kümmern uns um gesundheitliche Probleme,<br />
vermitteln in Deutschkurse, helfen bei<br />
Bewerbungen ... Wenn eine Frau bei Gericht<br />
gegen ihre Menschenhändler aussagt,<br />
vermitteln wir zu RechtsanwältInnen<br />
und begleiten sie bei der Aussage. Wenn<br />
eine Frau in ihr Herkunftsland zurückkehren<br />
will, unterstützen wir sie nach Möglichkeit<br />
bei einem guten Neustart.<br />
Unser Einsatz für Migrantinnen ist ein<br />
Stück weltkirchliche Arbeit vor der eigenen<br />
Haustür. Wir kämpfen gemeinsam für eine<br />
gerechtere Welt, die die Würde aller achtet<br />
– unabhängig von Geschlecht und Herkunftsland.<br />
Doris Köhncke<br />
Für Informationen<br />
oder Unterstützung des FIZ:<br />
Tel. 0711/23941-16,<br />
koehncke@vij-stuttgart.de<br />
www.fiz.vij-stuttgart.de
3 2 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Die Sklaverei ist nicht vorbei<br />
Weltkirchliche Organisationen verpflichten sich zum Kampf gegen Menschenhandel<br />
Mit einem Appell, Menschenhandel<br />
und Sklaverei in ihren modernen Formen<br />
wirksam entgegenzutreten, ist am<br />
29. Mai <strong>2013</strong> in Würzburg die „Jahrestagung<br />
Weltkirche und Mission“ zu Ende<br />
gegangen. 140 Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer aus der Deutschen Bischofskonferenz,<br />
dem Zentralkomitee<br />
der deutschen Katholiken, den Hilfswerken,<br />
Diözesen und Ordensgemeinschaften<br />
befassten sich mit den komplexen<br />
Zusammenhängen und den dramatischen<br />
Folgen dieser besonders erniedrigenden<br />
Ausbeutung von Menschen.<br />
Sexuelle Ausbeutung und kriminelle<br />
Ausbeutung der Arbeitskraft stehen<br />
dabei im Vordergrund.<br />
Hinter den Opferzahlen stehen Einzelschicksale<br />
Referentinnen aus Osteuropa, Lateinamerika<br />
und Asien berichteten von ihren Erfahrungen<br />
im Kampf gegen die menschenunwürdigen<br />
Praktiken. „Die Opferzahlen, mit<br />
denen wir konfrontiert sind, sind erschreckend.<br />
Aber schlimmer noch: Hinter jeder<br />
Statistik stehen Einzelschicksale“, erklärte<br />
Marita Ishwaran von der indischen Kinderschutzorganisation<br />
NEG-Fire. Najila Chahda,<br />
Direktorin der Caritas Libanon, gab einen<br />
Einblick in die bedrängenden Lebensbedingungen<br />
von Hausangestellten, die oft<br />
sklavenähnlichen Verhältnissen unterworfen<br />
sind.<br />
Die Organisation „Malinowka“ aus Weißrussland<br />
will zur Prävention gegen Menschenhandel<br />
beitragen, indem sie junge<br />
Frauen und Männer über die Anwerbepraktiken<br />
von Menschenhändlern aufklärt.<br />
Partner einer internationalen Bewegung<br />
gegen Menschenhandel und<br />
Versklavung<br />
Veranstalter der Tagung war die „Konferenz<br />
Weltkirche“, in der die o. g. Organisationen<br />
in weltkirchlichen Fragen zusammenarbeiten.<br />
Deutlich wurde, dass die<br />
Hilfswerke und eine Reihe von Orden gemeinsam<br />
mit ihren Partnern wichtige Mitträger<br />
einer internationalen Bewegung gegen<br />
Menschenhandel und Versklavung<br />
sind. Sie sorgen auch für eine Sensbilisierung<br />
für die Problematik innerhalb der<br />
Ortskirchen.<br />
Nach einer Pressemitteilung der Deutschen<br />
Bischofskonferenz vom 29. Mai<br />
<strong>2013</strong>
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3 3<br />
Abschlusserklärung<br />
der Jahrestagung Weltkirche<br />
und Mission <strong>2013</strong><br />
„<strong>Der</strong> Menschenhandel ist die am weitesten<br />
verbreitete Sklaverei unseres Jahrhunderts.“<br />
(Papst Franziskus in seiner Osterbotschaft<br />
<strong>2013</strong>)<br />
„Die Sklaverei ist nicht vorbei – Menschenhandel<br />
heute bekämpfen“. Zu diesem Thema versammelten<br />
sich vom 27. bis 29. Mai <strong>2013</strong> weltkirchliche<br />
Akteure aus ganz Deutschland in Würzburg.<br />
Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben<br />
wir uns mit den komplexen Herausforderungen<br />
des durch den Menschenhandel bedingten<br />
globalen Unrechts befasst. In unserem Engagement<br />
gegen den Menschenhandel sind wir den<br />
Opfern und unseren Partnern weltweit verbunden,<br />
die unter hohen Risiken diesen Menschen<br />
zur Seite stehen.<br />
Erschütternde Berichte über das Leid der Opfer<br />
des Menschenhandels in Mexiko, Indien, Weißrussland,<br />
Libanon, Simbabwe und auch in<br />
Deutschland haben uns eindrucksvoll die unterschiedlichen<br />
Gesichter des Menschenhandels<br />
vor Augen geführt.<br />
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)<br />
geht davon aus, dass allein in der Europäische<br />
Union rund 880.000 Menschen leben, die von<br />
Menschenhandel betroffen sind. Die unter dem<br />
Begriff Menschenhandel zusammengefassten<br />
Phänomene sind vielgestaltig und beziehen sich<br />
auf unterschiedliche Formen krimineller Aktivitäten,<br />
insbesondere zum Zweck der sexuellen<br />
Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung<br />
der Arbeitskraft. Weitere Tatbestände wie<br />
Zwangsverheiratung, erzwungene Betteltätigkeit,<br />
Organhandel und illegale Adoptionen gehören<br />
ebenfalls zu den Erscheinungsformen des<br />
Menschenhandels.<br />
Die „EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels“,<br />
die 2011 verabschiedet wurde,<br />
zielt auf einen besseren Schutz der Opfer, sieht<br />
aber auch eine deutlich schärfere Verfolgung der<br />
Täter vor. Diese EU-Richtlinie sollte bis April <strong>2013</strong><br />
von allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht<br />
umgesetzt werden, was bisher aber nur in sechs<br />
Staaten geschehen ist. Auch die Bundesrepublik<br />
Deutschland hat diese Frist verstreichen lassen.<br />
Als Christen sind wir herausgefordert, die Sendung<br />
Jesu Christi fortzuführen. Diese besteht<br />
darin, den Armen die gute Nachricht zu bringen,<br />
den Gefangenen die Entlassung zu verkünden,<br />
den Blinden das Augenlicht und die Zerschlagenen<br />
in Freiheit zu setzen (vgl. Lk 4,18–19). Jesus<br />
war gesandt, allen Menschen das Leben in Fülle<br />
zu verheißen (vgl. Joh 10,10). Diesem Sendungsauftrag<br />
verpflichtet, können wir Christen uns<br />
nicht mit dem himmelschreienden Unrecht des<br />
Menschenhandels abfinden, der Menschen zu<br />
einer reinen Ware degradiert und ihre Würde<br />
missachtet.<br />
Von Papst Franziskus fühlen wir uns ermutigt,<br />
wenn er noch vor seiner Wahl den versammelten<br />
Kardinälen erklärt: „Die Kirche ist aufgerufen,<br />
aus sich selbst herauszugehen und an die Ränder<br />
zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder,<br />
sondern an die Grenzen der menschlichen<br />
Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des<br />
Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der<br />
Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die<br />
des Denkens, die jeglichen Elends.“<br />
Wir sind uns bewusst geworden, dass wir durch<br />
unseren Konsum und Lebensstil unter Umständen<br />
auch Nutznießer des Menschenhandels<br />
werden können.<br />
Als weltkirchliche Akteure verpflichten wir<br />
uns daher selbst:<br />
m Wir unterstützen unsere Projektpartner<br />
weltweit in ihren Initiativen zur Bekämpfung<br />
des Menschenhandels. Dazu gehören der<br />
Aufbau von Beratungsstrukturen und die<br />
Schaffung von Einrichtungen zum Schutz<br />
und zur Versorgung der Opfer. Im Dialog mit<br />
unseren Partnern entwickeln wir gemeinsam<br />
Sensibilität für Situationen von Ausbeutung<br />
und Menschenhandel und regen<br />
entsprechende Bemühungen an. Wir sind<br />
aufgefordert, gemeinsam die Ursachen und<br />
Bedingungen von Menschenhandel aufzudecken<br />
und zu bekämpfen.<br />
m Wir verstärken Vorhaben der Öffent-lichkeitsund<br />
Bildungsarbeit, um in Deutschland über<br />
die Hintergründe des Menschenhandels und<br />
die damit verbundenen Herausforderungen<br />
zu informieren. Wir fördern ebenso Initiativen<br />
in unseren Partnerländern zur Aufklärung<br />
über Gefährdungen und Ausbeutungsversuche<br />
durch verbrecherische Organisationen<br />
des Menschenhandels.<br />
m Wir suchen Gespräche mit Verantwortungsträgern<br />
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,<br />
um auf Phänomene von Menschenhandel<br />
aufmerksam zu machen, den Kampf<br />
gegen das organisierte Verbrechen zu intensivieren<br />
und Gerechtigkeit für die Opfer<br />
des Menschenhandels einzufordern.<br />
Von der Bundesregierung bzw. den Länderregierungen<br />
und den Parlamenten fordern<br />
wir:<br />
m die unverzügliche und vollständige Umsetzung<br />
der „EU-Richtlinie zur Bekämpfung des<br />
Menschenhandels“ in deutsches Recht,<br />
m eine an der Realität orientierte kritische<br />
Überprüfung des Prostitutionsgesetzes vom<br />
Dezember 2001,<br />
m eine kostendeckende Regelfinanzierung für<br />
Fachberatungsstellen und für sichere Unterbringung<br />
der Opfer von Menschenhandel in<br />
geeigneten Schutzunterkünften,<br />
m eine Bleiberechtsregelung für die Opfer des<br />
Menschenhandels, die humanen Anforderungen<br />
genügt und die Strafverfolgung der<br />
Täter erleichtert.<br />
Unsere Anerkennung gebührt den vielen Frauen<br />
und Männern, die sich unermüdlich für die<br />
Rechte der Betroffenen und die Achtung ihrer<br />
Menschenwürde einsetzen. In diesem Bereich ist<br />
eine tatkräftigere Unterstützung durch Männer<br />
erforderlich. Denn das Thema geht uns alle an.
3 4 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Karibuni watoto! – Willkommen Kinder!<br />
Gehörlose Kinder und Jugendliche in Tansania und Deutschland erleben Partnerschaft<br />
Stationen in vier verschiedenen Diözesen<br />
Tansanias mit ihrer Arbeitskraft und mit der<br />
Kraft ihrer Spiritualität im Dienst ihrer Mitmenschen.<br />
Schule mit Internat in Ruhuwiko, einer Vorstadt<br />
von Songea, rund 200 gehörlose und<br />
hörgeschädigte Kinder, die den regulären<br />
Abschluss der Primary School machen können.<br />
Gehörlose Jugendliche bei der Ankunft<br />
in Deutschland …<br />
Acht gehörlose Schülerinnen und Schüler<br />
aus Ruhuwiko in Tansania im Alter<br />
von 13 bis 18 Jahren waren im Sommer<br />
2012 zu Besuch in Schwäbisch Gmünd<br />
und Untermarchtal. Seit 2010 besteht<br />
zwischen der Gehörlosenschule St. Vinzenz<br />
der Barmherzigen Schwestern<br />
vom hl. Vinzenz von Paul und der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> eine Partnerschaft.<br />
Dem Besuch der jungen<br />
Menschen aus Tansania war die Reise<br />
einer deutschen Gruppe nach Ruhuwiko<br />
im Jahr 2010 voraus gegangen. Damals<br />
waren die Partnerschaftsurkunden<br />
unterzeichnet und ausgetauscht<br />
worden. „Gegenseitige Begegnung,<br />
die auch das tiefere Verstehen des gemeinsamen<br />
Glaubens in der anderen<br />
Kultur fördert“ – so heißt es in der Partnerschaftsurkunde.<br />
Wege in ein Leben in Würde und gesellschaftlicher<br />
Teilhabe<br />
Zu den Aufgaben der Vinzentinerinnen gehört<br />
die Arbeit mit gehörlosen Kindern und<br />
Jugendlichen. Ihr Wirken bedeutet für die<br />
jungen Menschen in entscheidender Weise<br />
den Weg zu einem Leben in Würde und gesellschaftlicher<br />
Teilhabe. Diese hatten –<br />
ebenso wenig wie andere junge Menschen<br />
mit Behinderungen – bis zu den 1980er<br />
Jahren im Süden Tansanias keine Chance<br />
auf Schulbildung. Sie wurden verschämt in<br />
Hinterhöfen gehalten und blieben ein Leben<br />
lang an den Rand gedrängt. Heute leben<br />
in der 1988 von MISEREOR erbauten<br />
Die Kinder und Jugendlichen werden in 17<br />
Klassen unterrichtet und gefördert. Sie leben<br />
in fünf Internatsgebäuden und können<br />
sich oft das Fahrgeld nicht leisten, um<br />
zweimal im Jahr in den Ferien zu ihren Eltern<br />
zu fahren. Sie sorgen durch Feld- und<br />
Gartenarbeit, durch Obstanbau und das<br />
Halten von Kleintieren für ihren Unterhalt<br />
mit.<br />
Von alledem bekam die Delegation von Gehörlosen<br />
und Hörenden aus der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> bei ihrem Besuch im<br />
Juli und August 2010 einen bleibenden<br />
Eindruck. Begleitet von den beiden Gehörlosenseelsorgern<br />
Erika Scheurer, Rottweil,<br />
Die Vorgeschichte in Stichworten: Im Jahr<br />
1960 waren vier Untermarchtaler Schwestern<br />
aufgebrochen, um im Südwesten Tansanias<br />
„Christus im Nächsten zu dienen“ –<br />
gemäß dem Leitwort ihrer Kongregation.<br />
Inzwischen ist der Funke auf einheimische<br />
junge Frauen übergesprungen. Heute stehen<br />
200 einheimische Schwestern auf 18<br />
… und beim Unterricht zuhause in Tansania.
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3 5<br />
Gastfreundschaft in Untermarchtal …<br />
und Diakon Karl-Josef Arnold, Ingoldingen<br />
bei Biberach, von Msgr. Heinrich Maria Burkard<br />
als Vertreter von Bischof Gebhard<br />
Fürst und vom Ingoldinger Bürgermeister<br />
Karl Zeller waren sie von Dar es salam am<br />
Indischen Ozean aus durch die nach der Regenzeit<br />
grünen, blühenden, wunderschönen<br />
Landschaften bei gelegentlich abenteuerlichem<br />
Straßenzustand und -verkehr<br />
über Iringa nach Songea und Ruhuwiko gefahren<br />
und dort von Kindern und Schwestern<br />
begeistert empfangen worden. „Karibu<br />
sana – herzlich willkommen!“, sangen<br />
die Schwestern und gebärdeten die Kinder.<br />
Offiziell war die Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde<br />
das entscheidende Ereignis.<br />
Inoffiziell dürften das Highlight für<br />
die Kinder und Jugendlichen sicher in den<br />
Gastgeschenken bestanden haben: Für die<br />
Fußballmannschaften gab es bunte neue<br />
Kickschuhe, für die Mädchen und ihre Volleyballmannschaft<br />
Sportschuhe und Bälle.<br />
dem Schwerpunkt der Begegnung mit gehörgeschädigten<br />
Menschen der schwäbischen<br />
Diözese. Die Jugendlichen sollten erfahren,<br />
wie Hörgeschädigte in Deutschland<br />
leben und ihren Alltag meistern.<br />
Die erste Woche verbrachte die Gruppe in<br />
Begleitung ihrer Schulleiterin, Sr. Ernesta,<br />
und Lehrer Lucius, ihrem Stellvertreter, an<br />
der Schule für Hörgeschädigte St. Josef in<br />
Schwäbisch Gmünd und nahm dort an Unterrichts-<br />
und anderen Veranstaltungen<br />
teil, besuchte u. a. aber auch die Justusvon-Liebig-Schule,<br />
die die Schule in Ruhuwiko<br />
seit Jahren unterstützt. Als Highlight<br />
dieser Schwäbisch-Gmünder Woche wurden<br />
die jungen Leute mit Hörgeräten ausgestattet,<br />
die den meisten von ihnen eine<br />
erbesserte Hörleistung ermöglicht.<br />
Ort der zweiten Besuchsphase war das<br />
Mutterhaus in Untermarchtal. Neben persönlichen<br />
Begegnungen mit deutschen Jugendlichen<br />
und Erwachsenen mit und ohne<br />
Sinnesbehinderung standen das Hör-<br />
Sprachzentrum Wilhelmsdorf, Sinnwelt in<br />
Biberach, Hochseilgarten oder der Zirkus<br />
Krone auf dem Programm vielfältiger Erlebnisse.<br />
Gemeinsame Kommunikation<br />
über die ethnischen Grenzen hinweg<br />
machte die Gebärdensprache möglich. Besonders<br />
beeindruckt waren die jungen Leute<br />
aus Tansania von den weiten Feldern<br />
und den großen landwirtschaftlichen Maschinen,<br />
die sie in Oberschwaben sahen.<br />
Kloster Untermarchtal /<br />
Thomas Broch<br />
Für die Besucher aus Deutschland war der<br />
Besuch der Gehörlosenschule ein besonderes<br />
Erlebnis: zu sehen, wie mit welch einfachen<br />
Mitteln hier gelebt und gearbeitet<br />
werden muss – und wie dies der Zufriedenheit<br />
und Lebensfreude doch keinerlei Abbruch<br />
tut.<br />
Hochseilgarten, Zirkus Krone und andere<br />
Überraschungen für die Gäste<br />
aus Tansania<br />
<strong>Der</strong> Gegenbesuch der tansanischen Gäste<br />
im Juli und August 2012 stand ganz unter<br />
… und herzliches Willkommen in Ruhuwiko.
3 6 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
JADCAWACS<br />
Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
Ein Kredit von JADCAWACS hilft den Frauen …<br />
des Katholischen Frauenbunds in der Diözese Jasikan<br />
Wie hat alles angefangen? Was war die<br />
Motivation, eine Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
für den und mit dem Katholischen<br />
Frauenbund der Diözese Jasikan<br />
in Ghana (Catholic Women Organisation<br />
– CWA) ins Leben zu rufen?<br />
Zwischen 2001 und 2009 hat Resi Bokmeier<br />
jedes Jahr für einige Monate mit dem Katholischen<br />
Frauenbund in der ghanaischen<br />
Diözese Jasikan gearbeitet. <strong>Der</strong> Bischof der<br />
Diözese, Gabriel Mante, mit guten und<br />
langjährigen Beziehungen nach <strong>Stuttgart</strong><br />
und zu Pfarrer Kofi Appiah, fragte Resi Bokmeier<br />
nach ihrem Ausscheiden als Referentin<br />
für Frauenbildung und Alleinerziehendenarbeit<br />
in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>,<br />
ob sie nicht zu ihm kommen wolle,<br />
um zusammen mit dem dortigen Frauenbund<br />
die Verbandsstrukturen zu festigen<br />
und Erwachsenenbildung zu etablieren.<br />
Und sie hat sich dieser Herausforderung<br />
gestellt.<br />
Die Diözese Jasikan liegt in einer ländlichen<br />
Region, wo die Menschen von Subsistenzwirtschaft<br />
leben. Sie haben kleine Felder,<br />
pflanzen Yams, Maniok (Kassava), Tomaten,<br />
Mais und Reis und anderes an, um der<br />
Familie das Überleben zu sichern. Viele<br />
Frauen haben als Näherinnen, Friseurinnen<br />
und Händlerinnen einen kleinen Laden<br />
oder eine Werkstatt. Die Einkommen aus<br />
diesen Tätigkeiten sind gering und gerade<br />
genug zum Überleben.<br />
Frauen sind oft die einzigen Ernährerinnen<br />
der Familie<br />
Frauen spielen eine große Rolle in der Familie,<br />
ja in der ganzen Gesellschaft. Oft<br />
sind sie die einzigen Ernährerinnen der Familie.<br />
Die Väter und Männer sind weg, um<br />
in anderen Regionen zu arbeiten. Viele sind<br />
arbeitslos, haben zum Teil noch eine andere<br />
Familie mit zu versorgen. Allein erziehend<br />
zu sein ist für viele Frauen Alltag – das<br />
heißt: alleine für die Familie aufzukommen,<br />
für die Schulbildung der Kinder zu<br />
sorgen, nach Ausbildungsplätzen für die<br />
Jugendlichen zu suchen. Es bedeutet eine<br />
riesige Mehrfachbelastung für die Frauen,<br />
Haushalt, Kindererziehung, Feldarbeit,<br />
Verkauf von Produkten auf dem Markt, auf<br />
der Straße oder im Laden unter einen Hut<br />
zu bekommen.<br />
Die Verdienstmöglichkeiten sind gering,<br />
viele bewegen sich an der Armutsgrenze,<br />
oft ist es ein Leben von der Hand in den<br />
Mund.<br />
Was kann hier Entwicklung als Hilfe<br />
zur Selbsthilfe bedeuten?<br />
Vor diesem Hintergrund fragten wir uns,<br />
was Entwicklung als Hilfe zur Selbsthilfe<br />
bedeuten könnte. Folgende Überlegungen<br />
leiteten Resi Bokmeier und die Verantwortlichen:<br />
m Es sollte kein Strohfeuerprojekt entstehen,<br />
das schnell aufflammt und dann<br />
wieder erloschen ist. Es musste etwas<br />
sein, das Frauen die Chance gibt, selbst<br />
an der Verbesserung ihrer Situation<br />
mitbeteiligt zu sein.<br />
m Es sollte kein Projekt sein, das die Frauen<br />
in Abhängigkeit bringt – zum Beispiel<br />
gegenüber Banken oder privaten<br />
Geldgebern. Das könnte leicht in eine<br />
Schuldenfalle führen, aus der sie<br />
schlecht wieder herauskommen<br />
würden.<br />
m Es sollte ein Projekt sein, das Gruppencharakter<br />
hat: mit einander etwas tun,<br />
gemeinsam<br />
Verantwortung<br />
übernehmen, den festen Willen zur<br />
Veränderung und Verbesserung der<br />
Lebenssituation haben.<br />
m Ziel sollte es sein, die Armut zu reduzieren<br />
und mehr Lebensqualität zu<br />
erreichen.<br />
… zum Beispiel einen Laden zu betreiben.<br />
Besonders befinden sich die Frauen in den<br />
kleinen, abgeschiedenen Dörfern in dieser<br />
prekären Situation. Die mangelnde Infrastruktur<br />
im ländlichen Raum trägt ebenfalls<br />
dazu bei, dass sich die wirtschaftliche Situation<br />
kaum verbessern kann.<br />
<strong>Der</strong> Weg: eine Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
Die Idee einer Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
– sie sollte den Namen JADCAWACS<br />
bekommen – schien der Weg zu sein, diese<br />
Vorstellungen anzugehen und zu versu-
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3 7<br />
chen, sie in die Tat umzusetzen. Das war allerdings<br />
nicht einfach. Die Frauen des Verbandes<br />
mussten mit der Idee vertraut gemacht<br />
werden, überzeugt sein, dass sie dadurch<br />
einen Gewinn für ihr Leben haben<br />
würden.<br />
Grundsätze und Regularien<br />
Im Jahr 2005 konnte der CWA mit der<br />
Umsetzung der Pläne beginnen. Folgende<br />
Grundsätze wurden aufgestellt:<br />
m Mitglieder von CWA konnten Mitglied<br />
der Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
werden<br />
m Sparen mit einem Sparbuch war ein<br />
wichtiges Ziel der Zugehörigkeit zur<br />
Genossenschaft<br />
m Die Gewährung eines Kredits hing von<br />
der Erfüllung dieser beiden Voraussetzungen<br />
ab.<br />
Die Regularien für die Kreditvergabe<br />
sahen folgende Verwendungsbereiche<br />
vor:<br />
m Auf- und Ausbau eines kleinen Betriebs,<br />
z. B. Friseurladen, Bäckerei, Näherei,<br />
Stoffladen oder Handel<br />
m Erweiterung eines landwirtschaftlichen<br />
Kleinbetriebs, Kauf oder Pacht eines<br />
Stück Feldes, Bau einer Vorratshalle für<br />
Mais, Reise oder andere landwirtschaftliche<br />
Produkte<br />
m in geringerem Umfang Hilfe in akuten<br />
Notfällen (z. B. Krankenaufenthalt oder<br />
Erstattung von Schulgeld)<br />
Unterstützung beim Start<br />
Das größte Problem war natürlich das<br />
Geld. Es gab keinerlei Grundkapital für dieses<br />
Genossenschaft. CWA verfügte über so<br />
gut wie keine Mittel, und auch die damals<br />
neu gegründete Diözese Jasikan konnte<br />
nichts beisteuern.<br />
Das nötige Startkapital kam schließlich<br />
vom Referat Weltkirche, dem Katholischen<br />
Deutschen Frauenbund (KDFB) und der aktion<br />
hoffnung der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<br />
<strong>Stuttgart</strong>. KDFB und aktion hoffnung unterstützen<br />
die Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
bis heute. <strong>Der</strong> KDFB versteht sich als<br />
Schwesterorganisation der CWA, die ideelle<br />
und materielle Hilfe leistet.<br />
Bewältigung schwieriger Anfänge<br />
<strong>Der</strong> Anfang war leicht und schwer. Die<br />
Frauen wurden in großer Zahl Mitglieder,<br />
sehen eine Chance zur Verbesserung ihrer<br />
Lage. Gleichzeitig wurde das Sparen als Voraussetzung<br />
für einen Kredit für manche<br />
Frauen auch eine Belastung. Das niedrige<br />
und unregelmäßige Einkommen und die<br />
geringe Produktivität in den ländlichen Gebieten<br />
macht es schwer, regelmäßig zu<br />
sparen.<br />
Es war und ist bis heute notwendig, eine<br />
kontinuierliche Fort- und Weiterbildung<br />
der Mitglieder auf allen Ebenen zu leisten.<br />
Das Wissen zu fördern, wie Mikrofinanzierung<br />
funktioniert; die Risiken immer wieder<br />
zu verdeutlichen, die in einem Unterfangen<br />
wie Sparen, Kreditvergabe, Rückzahlung<br />
der Zinsen stecken; nicht aufzugeben,<br />
auch wenn es mal Rückschläge gibt<br />
oder die Kredite nur klein sind – das ist eine<br />
Daueraufgabe.<br />
Stabilität für die Zukunft: hauptamtlicher<br />
Manager und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />
Das Fortbestehen der Spar- und Kreditgenossenschaft<br />
JADCAWACS ist nur möglich,<br />
weil ein hauptamtlicher Manager mit<br />
hoher Kompetenz gewonnen werden<br />
konnte.<br />
Neben dem Management der Genossenschaft<br />
sieht er seine Aufgabe darin, Strukturen<br />
aufzubauen, um ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />
auf lokaler Ebene zu gewinnen<br />
und mit dem notwendigen Wissen<br />
über Finanzen, Buchhaltung, Rückzahlungen<br />
und Zinsen auszustatten.<br />
Diese ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen<br />
(Focal Persons) sind das Rückgrat der Arbeit.<br />
Sie sind vor Ort, klären die Frauen auf,<br />
sammeln das Geld ein und bringen es zur<br />
Bank, führen Buch und halten ständigen<br />
Kontakt zum Koordinator. Noch fehlen in<br />
manchen Gruppen diese Frauen, vor allem<br />
in den sehr armen Gebieten. Es ist oft nicht<br />
einfach, eine Person zu finden, die die notwendigen<br />
Voraussetzungen für diese Aufgaben<br />
erfüllt.<br />
Ein Ziel, für das es sich lohnt weiter<br />
zu arbeiten<br />
Die Hilfe kommt an. Das lässt sich zusammenfassend<br />
sagen, obwohl es in der Kürze<br />
der Zeit noch nicht messbar und eindeutig<br />
ist, wie sich die Lebensbedingungen der<br />
Frauen zum Besseren verändert haben. Soviel<br />
kann aber schon jetzt gesagt werden:<br />
Die Mitglieder haben weiterhin großes Interesse<br />
und halten am Sparkonzept fest.<br />
Seit Beginn der Kreditvergabe wurden etwa<br />
1.130 Kredite ausgegeben. Am Anfang<br />
waren sie klein, doch der Kapitalstock erlaubt<br />
es mittlerweile, auch größere Kredite<br />
zu geben. Erfreulich ist, dass die meisten<br />
Mitglieder termingerecht zurückzahlen, so<br />
dass der Prozess weitergehen kann.<br />
Auf jeden Fall kann man sagen, dass die<br />
Mikrofinanzierung für die Frauen der CWA<br />
ein Weg ist, der zu einer Verbesserung ihrer<br />
Lebenssituation führt, der kein Strohfeuer<br />
ist, der auf Nachhaltigkeit basiert und hoffentlich<br />
mit der Zeit eine starke Organisation<br />
wird, die auf eigenen Beinen stehen<br />
kann und nicht mehr auf Unterstützung<br />
von außen angewiesen ist. Für dieses Ziel<br />
lohnt es sich weiter zu arbeiten.<br />
Resi Bokmeier und Irmtraud Widmayer
3 8 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Geistliche Texte aus den Schwesterkirchen.<br />
Gebet.<br />
O Gott, wir tragen das Abbild deines Gesichts:<br />
Die Farben unserer Haut hast du erdacht,<br />
Und was an Schönheit in unserem Volke ist,<br />
In Mann oder Frau, bestimmst nur du allein.<br />
<strong>Der</strong> du den lebendigen Stoff streiftest um unseren Rahmen<br />
Und allen gabst eine Sprache und einen Namen.<br />
Von Hass sind wir entzweit und gewaltsam zerrissen,<br />
Weil unsere Rasse oder unsere Haut nicht gleich sind,<br />
<strong>Der</strong> Staat uns nicht die gleichen Rechte zugesteht<br />
Und zu Opfern macht, weil wir unseren Namen tragen.<br />
Menschlichkeit wird wenig Wert beigemessen,<br />
Dein lebendiges Gesicht auf der Erde entehrt.<br />
O Gott, wir sind das Ebenbild deines Sohnes,<br />
Sein Fleisch und Blut ist unser Fleisch und Blut,<br />
Ungeachtet der Hautfarbe.<br />
In seiner Menschlichkeit finden wir<br />
Unsere eigene Menschlichkeit<br />
Und in seiner Familie unsere wahren Verwandten.<br />
Christus ist der Bruder, den wir noch immer kreuzigen,<br />
Seine Liebe ist die Sprache, die wir lernen müssen oder sterben.<br />
Shirley Erena Murray (1987)
A u s g a b e 2 0 1 3<br />
3 9<br />
17,6%<br />
35%<br />
8,8%<br />
Im Geist der Partnerschaft.<br />
Jahresbericht 2012 zur Weltkirchlichen Arbeit<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>.<br />
606 Mal Hilfe im Gesamtwert von rund<br />
6 Millionen Euro in 74 Ländern weltweit:<br />
so lautet die Jahresbilanz 2012<br />
der Hauptabteilung Weltkirche. Mit<br />
den bewilligten Geldern wurden Diözesen<br />
und Ordensgemeinschaften in<br />
Afrika, Asien, Lateinamerika, Ozeanien<br />
sowie Mittel- und Osteuropa in ihrer<br />
Pastoral-, Sozial- und Entwicklungsarbeit<br />
unterstützt. 532 Projekte, die<br />
2012 bewilligt wurden, konnten im zurückliegenden<br />
Geschäftsjahr ausgezahlt<br />
werden. Für 74 Projekte mussten<br />
Rückstellungen gebildet werden, da sie<br />
zwar 2012 bewilligt, jedoch im selben<br />
Jahr noch nicht kassenwirksam wurden<br />
Was eingenommen und was ausgegeben<br />
wurde<br />
Rund 0,3 Millionen Euro machte der Verwaltungsaufwand<br />
aus, wie er z. B. auf<br />
Fortbildungsmaßnahmen,<br />
Reisekosten,<br />
Banküberweisungsgebühren und Personalkosten<br />
entfiel. Im Rahmen des Reduzierungsprozesses<br />
2004 bis 2010 „Heute für<br />
morgen das Nötige tun“ wurde dekretiert,<br />
dass Kostenersatz für je zwei Personalstellen<br />
der Hauptabteilung Weltkirche aus<br />
Reverse-Programm für Jugendliche: Weltkirche in<br />
lebendiger Begegnung.<br />
Budgetmitteln bzw. Erträgen der Weltkirchlichen<br />
Stiftungen zu leisten ist.<br />
Etwa 0,8 Millionen Euro wurden im Sinne<br />
der Kapitalstärkung der Freien Rücklage<br />
der Stiftung Weltkirche in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
zugeführt, so dass 2012<br />
insgesamt rund 7,2 Millionen Euro an Aufwendungen<br />
für die Hauptabteilung Weltkirche<br />
zu Buche stehen.<br />
Rund fünf Millionen Euro der Hilfsgelder<br />
stammten aus den im Rahmen der Vorwegausgaben<br />
bereitgestellten Kirchensteuermitteln<br />
für „Mission und Entwicklungshilfe“<br />
sowie für „Hilfe für die Kirchen<br />
Europas“. Weitere Rund 2,2 Millionen Euro<br />
entfielen zu 29 Prozent auf Spendeneinnahmen<br />
und zu 71 Prozent auf Erträge aus<br />
den weltkirchlichen Stiftungen der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>.<br />
Diesen eigenen finanziellen Vergabemitteln<br />
ist noch der 8,5 prozentige Anteil der<br />
Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> an der Um-
4 0 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
lage zum Verband der Diözesen Deutschlands<br />
(VDD) hinzuzurechnen. Da der auf<br />
den Bereich „Mission und Entwicklung“ im<br />
VDD-Haushalt entfallende Anteil 2012 bei<br />
64.256.460 Euro lag, kommen nach dem<br />
Umlageschlüssel mithin weitere rund 5,5<br />
Millionen Euro hinzu, die von der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> für die Förderung<br />
weltkirchlicher Projekte im Jahr 2012 zur<br />
Verfügung gestellt wurden.<br />
Aufgabenbereiche, die gefördert wurden<br />
Während 2012 insgesamt 3,6 Millionen<br />
Euro oder 60 Prozent der Aufwendungen<br />
für die Unterstützung der Pastoralarbeit<br />
von Schwesterkirchen getätigt wurden,<br />
summierten sich die Zuschüsse für Projekte<br />
der Entwicklungszusammenarbeit in Trägerschaft<br />
von Orden und Ortskirchen auf<br />
2,4 Millionen Euro, also 40 Prozent der Beihilfen.<br />
Die Förderung der Seelsorge in den Partnerkirchen<br />
betraf insbesondere die Errichtung<br />
kirchlicher Infrastruktur wie Kirchen,<br />
Pfarrhäuser, Gemeinde- und Pastoralzentren<br />
sowie von Gebäuden für Ordensgemeinschaften<br />
oder Stätten der Aus- und<br />
Fortbildung, zu einem guten Teil jedoch<br />
auch die Finanzierung solcher Bildungsmaßnahmen<br />
selber. Auch die im Rahmen<br />
der Solidaritätsaktion „Priester helfen einander<br />
in der Mission“ (PRIM) für die Unterstützung<br />
des Klerus in Äthiopien, Eritrea<br />
und dem Sudan aufgewendeten Mittel<br />
sind hier ebenso einzurechnen wie diejenigen,<br />
die in Kooperation mit der Adveniat-<br />
Patenschaftsaktion für die Ausbildung des<br />
Priesternachwuchses in Guatemala und El<br />
Salvador aufwendet wurden.<br />
Die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit<br />
gewährten Zuschüsse von 2,4<br />
Millionen konzentrierten sich etwa zur<br />
Hälfte auf die Bildungsarbeit, und zu einem<br />
Viertel auf Maßnahmen im Gesundheitsund<br />
Sozialsektor. Ein weiteres Viertel entfiel<br />
auf die Sicherung von Grundbedürfnissen<br />
(Nahrung, sauberes Trinkwasser,<br />
Wohnraum) sowie auf Not- und Katastrophenhilfe,<br />
vornehmlich für von der Öffentlichkeit<br />
nicht beachtete Desaster.<br />
Eine Zwitterstellung nehmen Motorisierungsprojekte<br />
ein, denen bei der flächenmäßigen<br />
Ausdehnung überseeischer Gemeinden<br />
und Diözesen eine Schlüsselrolle<br />
zukommt. Ohne Kraftfahrzeuge können<br />
Pfarrer, Ordensgeistliche, Schwestern und<br />
Katechisten ihren jeweiligen Auftrag auf<br />
den Feldern der Sozial, Gesundheits- oder<br />
Seelsorgearbeit kaum sinnvoll wahrnehmen.<br />
Dafür wurden 2012 knapp etwa<br />
neun Prozent der Zuschüsse vergeben.<br />
Hilfen – über die Kontinente verteilt<br />
Die eingesetzten Mittel entfielen auf die Bereiche<br />
Entwicklungsvorhaben 7,7%<br />
Sonstiges 4,8%<br />
Not- und<br />
Kathastrophenhilfe 3,5%<br />
Existenzsicherung<br />
von einheimischem<br />
Personal<br />
Nutz- und<br />
Personenfahrzeuge<br />
Gesundheits- und Sozialarbeit<br />
8,9%<br />
8,8%<br />
17,6%<br />
<strong>Der</strong> schwarze Kontinent lag auch 2012<br />
wieder vorn mit rund 40,9 Prozent aller bewilligten<br />
Hilfsgelder. Länder in Asien erhielten<br />
32,7 Prozent Lateinamerika profitierte<br />
zu etwa 13 Prozent, Europa mit 12,4 Prozent,<br />
und ein Prozent ging nach Ozeanien,<br />
genauer auf die Salomonen.<br />
Hauptempfängerländer waren Indien, gefolgt<br />
von Uganda, Guatemala, der Ukraine,<br />
Vietnam, Burkina Faso, der Demokratischen<br />
Republik Kongo und Brasilien.<br />
In einer Jahresbilanz der finanziellen Zusammenarbeit<br />
darf allerdings auch nicht<br />
unerwähnt bleiben, dass 564 beantragte<br />
Projekte, mithin fast die Hälfte aller erhaltenen<br />
Hilfsgesuche, nicht berücksichtigt<br />
werden konnten. Nur zu einem geringen<br />
Teil lagen die Ablehnungen jedoch an mangelnden<br />
Fördermitteln.<br />
Hilfen haben Namen und Gesicht<br />
Auch wenn die Zahlen der Missionskräfte,<br />
die aus der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
stammen und weltweit im Einsatz sind,<br />
weiter rückläufig sind, so waren 2012 doch<br />
noch insgesamt 174 Missionarinnen, Missionare<br />
und Entwicklungsfachkräfte in 41<br />
Ländern in Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika<br />
und Ozeanien tätig. Darunter waren<br />
auch vier Fidei Donum-Priester unserer<br />
Diözese in Argentinien und Bolivien.<br />
Weiterhin hoher Beliebtheit erfreut sich der<br />
Weltkirchliche Friedensdienst der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> von BDKJ und HA<br />
Weltkirche, der am 1. Juli 2012 in Trägerschaft<br />
der neu gegründeten gGmbH Freiwilligendienste<br />
überging. So konnten in<br />
Zusammenarbeit mit dem Weltwärts-Programm<br />
der Bundesregierung im Jahrgang<br />
2011/2012 insgesamt 20 junge Männer<br />
und Frauen für einen mindestens 12-mo-<br />
36,0%<br />
Erneuerbare Energien 2,0%<br />
19,3%<br />
Bildungsarbeit<br />
Kirchliche<br />
Infrastrukturmaßnahmen
A u s g a b e 2 0 1 3 4 1<br />
natigen Dienst nach Brasilien, Chile, Mexiko,<br />
Südafrika und Thailand entsendet werden.<br />
40,9%<br />
Von Seiten der mittlerweile auch bei der<br />
gGMbH Freiwilligendienste untergebrachten<br />
Servicestelle für Weltkirchliche Freiwilligendienste<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
konnten ebensolche Weltwärts-Einsätze<br />
vermittelt werden für junge Menschen<br />
aus Pfarrgemeinden mit weltkirchlichen<br />
Partnerschaften, über Ordensgemeinschaften<br />
im Rahmen von deren Missionar-auf-Zeit-Programmen<br />
oder über die<br />
Katholische Schulstiftung und deren Partnerschaft<br />
zum katholischen Schulwerk der<br />
nordwestargentinischen Diözese Santiago<br />
del Estero. Über diese Schiene gingen im<br />
Jahrgang 2011/2012 insgesamt 17 junge<br />
Leute nach Argentinien, Bolivien, Peru, Indien<br />
und Tansania.<br />
Im Jahrgang 2012/<strong>2013</strong>, der nach dem<br />
Schulabschluss im August/September des<br />
Jahres ausreiste, waren die Verhältnisse<br />
dann umgekehrt. Während im Rahmen des<br />
Weltkirchlichen Friedensdienstes 17 junge<br />
Frauen und Männer ausreisten, waren es<br />
Von den 5,62 Millionen Euro entfielen auf<br />
Europa 0,67 Mio. Euro<br />
11,0%<br />
Ozeanien 0,06 Mio. Euro<br />
1,0%<br />
Asien 1,98 Mio. Euro<br />
32,7%<br />
dagegen bei der Servicestelle im selben<br />
Jahrgang 20 junge Laienmissionskräfte.<br />
Heraus aus der Einbahnstraße<br />
Erstmals konnten im Jahr 2012 auch aus lateinamerikanischen<br />
Partnerdiözesen in Argentinien,<br />
Brasilien und Mexiko jeweils<br />
zwei Freiwillige, insgesamt drei junge Frauen<br />
und drei junge Männer, für ein sogenanntes<br />
Reverse-Programm in der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> willkommen geheißen<br />
werden. Die jungen Leute absolvieren<br />
ein Freiwilliges Soziales Jahr bis zum Sommer<br />
<strong>2013</strong>. Sie sind in Kirchengemeinden<br />
integriert, leben dort in Gastfamilien und<br />
versehen ihren Dienst in nahegelegenen<br />
gemeinnützigen Einrichtungen wie Kindergärten,<br />
Sozialstationen oder Jugendhäusern.<br />
Wie bei den ins Ausland gehenden jungen<br />
Menschen aus unserer Diözese auch, gehören<br />
zum Reverse-Programm gleichfalls<br />
Sprach- und Einführungskurse, Begleitseminare<br />
und Reflexionsphasen und Anleitung<br />
von Mentoren. Das vom BDKJ, der<br />
Hauptabteilung Weltkirche, der Aktion<br />
Hoffnung und der Aktion GlücksSpirale finanziell<br />
unterstützte Projekt nahm 2012 einen<br />
vielversprechenden Auftakt.<br />
Afrika 2,48 Mio. Euro<br />
40,9%<br />
Inland 0,08 Mio. Euro<br />
1,4%<br />
Lateinamerika 0,79 Mio. Euro<br />
13,0%<br />
Weltkirche hierzulande<br />
Ehemalige Freiwilligendienstler, Rückkehrerinnen<br />
und Rückkehrer aus Weltkirchlichen<br />
Friedensdiensten, spielen auch eine<br />
große Rolle bei der weltkirchlich-missionarischen<br />
Bildungsarbeit, wie sie von der zur<br />
Hauptabteilung Weltkirche gehörenden<br />
missio-Diözesanstelle ausgeht.<br />
So haben zahlreiche ehemalige Freiwillige,<br />
nachdem sie von ihrem Auslandsdienst in<br />
die Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> zurückgekehrt<br />
sind, im Jahr 2012 bei den sogenannten<br />
außerordentlichen missio-Sonntagen<br />
mitgewirkt, und mit ihren Erfahrungen<br />
in den jeweiligen Kirchengemeinden<br />
für die Anliegen der kirchlichen Missionswerke<br />
geworben. Bei der Tournee des<br />
AIDS-Trucks des Internationalen Katholischen<br />
Missionswerks missio durch die Diözese,<br />
unter anderem auch anlässlich der<br />
Messe „Fair Handeln“ im April 2012 in<br />
<strong>Stuttgart</strong>, wirkten ebenso Rückkehrerinnen<br />
und Rückkehrer mit, wie beim missio-<br />
Auftritt auf dem Katholikentag im Mai<br />
2012 in Mannheim.<br />
Die missio-Diözesanstelle konnte darüber<br />
hinaus durch die „Aufbaukurse Weltkirche“<br />
I und II mit 33 bzw. 20 Teilnehmenden<br />
Interessentinnen und Interessenten für<br />
Partnerschaftsarbeit und interkulturellen<br />
Dialog gewinnen. In diesem Zusammenhang<br />
wurde auch eine Studienfahrt zu den<br />
in Aachen ansässigen Hilfswerken missio,<br />
Misereor und dem Kindermissionswerk<br />
durchgeführt.<br />
Verschiedene regionale vorbereitende Veranstaltungen<br />
auf den Monat der Weltmission<br />
und die einwöchige Rundreise des<br />
Gastes, Schwester Hubertine Babe aus Papua<br />
Neuguinea im Weltmissionsmonat Oktober<br />
2012, vermochten es an vielen Orten<br />
der Diözese, Interesse zu wecken für die<br />
Sorgen und Nöte, aber auch für die Errungenschaften<br />
der Christen in fernen Ländern<br />
sowie die katholische Kirche als eine<br />
Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern<br />
im Glauben zu erleben.
4 2 D e r g e t e i l t e M a n t e l<br />
Projekt-Evaluierung und Exposure-<br />
Programme<br />
Die Motivation und Entschlossenheit vieler<br />
württembergischer Katholiken, helfen zu<br />
wollen, sind der Hauptabteilung Weltkirche<br />
in gleichem Maße wie die Bedürftigkeit<br />
und Not derjenigen in aller Welt, die sich<br />
hilfesuchend an die Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<br />
<strong>Stuttgart</strong> wenden, große Verpflichtung, alles<br />
zu geben, um die treuhänderisch zur<br />
Verfügung gestellten Gelder aus Kirchensteuern,<br />
Stiftungserträgen und Spenden so<br />
sinnvoll wie möglich in Projekte in Trägerschaft<br />
der Partnerkirchen umzusetzen.<br />
Die Erfüllung solch hoher Ansprüche kann<br />
jedoch nur gelingen, wenn man die Partner,<br />
welche die Projekte planen und verantworten,<br />
die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen, in die<br />
ihre Vorhaben eingebettet sind, wie auch<br />
die allgemeinen Lebensbedingungen und<br />
grundlegenden Verhältnisse in den jeweiligen<br />
Projektländern aus eigener Anschauung<br />
kennt. Aus dieser Sicht sind Projektreisen<br />
in die Länder der Partner zur Evaluierung<br />
der Projekte unerlässlich.<br />
Dabei ist mit Evaluierung nicht in erster Linie<br />
Inspektion, Kontrolle und Überprüfung<br />
z. B. von Büchern, Rechnungslegung oder<br />
Kosten-Nutzen-Berechnungen gemeint.<br />
Das ist die Mehrheit der Projektpartner sehr<br />
wohl durch eigene Fachleute zu leisten imstande.<br />
Unter dem Stichwort „Evaluierung“<br />
geht es viel mehr darum, gemeinsam<br />
mit den Partnern herauszufinden, bei<br />
welchen Ursachen man ansetzen muss, um<br />
die Probleme lösen oder reduzieren zu können.<br />
Welche Maßnahmen und Projekte,<br />
mit welchen erhofften Wirkungen und Ergebnissen<br />
sollten aus diesen Erkenntnissen<br />
heraus in Angriff genommen werden? Evaluierung<br />
ist die Analyse von Fehlern, um<br />
daraus zu lernen und sie nicht zu wiederholen.<br />
In diesem Sinn war der Leiter Hauptabteilung<br />
Weltkirche, Domkapitular Heinz Detlef<br />
Stäps, 2012 mit verschiedenen Mitar-<br />
„Hort der Liebe“ für junge Menschen mit schweren Behinderungen (s. Bericht auf S. 11).<br />
beiterteams auf Projektreisen in Guatemala,<br />
der Ukraine und in China.<br />
Diakon Klaus-Jürgen Kauß, in der Hauptabteilung<br />
Weltkirche für missionarisches<br />
Personal zuständig, führte im Februar<br />
2012 eine Gruppe von 14 Studierenden<br />
der Katholischen Theologie an der Universität<br />
Tübingen für ein 14-tägiges „Exposure-Programm“<br />
nach Südafrika. Für zukünftige<br />
pastorale Mitarbeiter der Diözese wird<br />
es nämlich als wichtig angesehen, dass sie<br />
sich wenigstens einmal während ihres Studiums<br />
Situationen aussetzen (= engl. „to<br />
expose“), in denen sie persönliche und prägende<br />
interreligiöse und interkulturelle Erfahrungen<br />
machen können.<br />
Gleiches gilt auch für diejenigen, die sich<br />
ehrenamtlich in Sachausschüssen der Kirchengemeinden,<br />
in Dekanaten oder auf<br />
Diözesanebene für Weltkirche und Mission<br />
oder für Partnerschaften engagieren. Dieser<br />
Zielgruppe galt eine zweite von Diakon<br />
Kauß angeführte Reise, die 16 hochmotivierte<br />
Frauen und Männer aus verschiedenen<br />
Regionen der Diözese im Oktober nach<br />
Indien in den westlichen Bundesstaat Maharashtra<br />
und dessen Millionenmetropole<br />
Mumbai (Bombay) brachte. Mitverantwortet<br />
und begleitet wurde diese Reise von Brigitte<br />
Willbold-Mulach, der Vorsitzenden<br />
des Diözesanratsausschusses „Eine Welt“.<br />
Diese regelmäßig in zweijährigem Turnus<br />
von der Hauptabteilung angebotene Möglichkeit,<br />
an Exposure-Reisen teilnehmen zu<br />
können,<br />
wird allgemein sehr geschätzt<br />
und nachgefragt. Das damit verbundene<br />
Lernprogramm, gewissermaßen das Fremde<br />
als Fremdes zu verstehen und die eigenen<br />
gewohnten Maßstäbe relativieren zu<br />
lernen, bringt bei den Teilnehmern im Resultat<br />
eine Mischung aus tiefer Betroffenheit<br />
und leidenschaftlicher Begeisterung<br />
für die weltkirchliche Arbeit hervor.<br />
Johannes Bielefeld<br />
Die Ergebnisse der Sammlungen und Kollekten für die Weltkirche*<br />
* Stand 25. Juni <strong>2013</strong><br />
** ohne Direktspenden an Adveniat<br />
2012 2011<br />
ro in Euro in Euro in Euro<br />
Afrikakollekte 138.146,00 119.204,51<br />
Fastenopfer der Kinder 36.300,16 42.888,66<br />
Misereor 3.230.805,17 3.853.293,59<br />
Hl. Grab und Hl. Land 219.744,49 218.936,09<br />
Missio-Kollekte 327.256,77 454.149,17<br />
Adveniat** 1.672.269,51 1.830.379,02<br />
Krippenopfer der Kinder<br />
für die Missionen 134.350,73 147.184,40<br />
Adveniat-Patenschaften 49.697,53 53.206,27<br />
Miteinander teilen 52.000,00 47.000,00<br />
Sternsingeraktion 4.547.048,46 4.500.759,13<br />
Verschiedene Missionszwecke 151.746,55 113.262,81<br />
Katechisten im Sudan 2.100,00 2.410,00<br />
Opferbeckensammlung für die<br />
Priesterausbildung in Osteuropa 49.870,24 53.650,44<br />
Prim 291.974,47 301.707,07<br />
Summe 11.232.744,67 12.062.744,26
A u s g a b e 2 0 1 3 4 3<br />
BEI DEN<br />
Menschen<br />
SEIN<br />
Schenken Sie Hoffnung für Menschen in Krisenregionen,<br />
für Waisen und Straßenkinder oder für HIV-Infizierte.<br />
Jede Spende hilft!<br />
Stiftung Weltkirche<br />
Johannes Bielefeld<br />
Telefon 07472 169-291<br />
E-Mail weltkirche@bo.drs.de<br />
www.weltkirchlich-engagiert.de<br />
Spendenkonto 64 98 280<br />
LIGA-Bank · BLZ 750 903 00<br />
Stichwort: GM - Stiftung Weltkirche<br />
STIFTUNG WELTKIRCHE<br />
Stiftung Weltkirche in der<br />
Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
BEI DEN<br />
MENSCHEN<br />
SEIN
Die Autoren<br />
Johannes Bielefeld, Geschäftsführer der<br />
Hauptabteilung Weltkirche, <strong>Rottenburg</strong><br />
a. N.<br />
Resi Bokmeier, Frauenbildungsreferentin<br />
a. D., viele Jahre tätig als Consultant<br />
beim Katholischen Frauenbund der Diözese<br />
Jasikan, Ghana; Mitarbeiterin im<br />
Arbeitskreis EINE WELT des Katholischen<br />
Deutschen Frauenbundes (KDFB) – Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>, <strong>Stuttgart</strong><br />
Thomas Broch, Dr. theol., Pressesprecher<br />
i. R., Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>, Pfaffenweiler<br />
i. Br.<br />
Hermine Burger, Gemeindereferentin<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>, arbeitet<br />
seit 2010 als Entwicklungsfachkraft<br />
bei der Caritas Angola in Luanda<br />
Bruder Hans Eigner MCCJ, Comboni-<br />
Missionar, Ellwangen/Jagst<br />
Klaus-Jürgen Kauß, Diakon, Dipl.-Pädagoge,<br />
Mitarbeiter der Hauptabteilung<br />
Weltkirche der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
und Gemeindeseelsorger, <strong>Rottenburg</strong><br />
a. N.-Schwalldorf<br />
Klaus Kießling, Prof. Dr. Dr., Prof. für<br />
Religionspädagogik, Pastoralpsychologie<br />
und Psychologie, Phil.-Theol. Hochschule<br />
St. Georgen, Präsident des Internationalen<br />
Diakonatszentrums, Frankfurt a. M.<br />
Doris Köhncke, Leiterin des Fraueninformationszentrums<br />
FIZ, Diakonie – Verein<br />
für Internationale Jugendarbeit e. V.,<br />
<strong>Stuttgart</strong><br />
Clemens Mendonca, Prof. Dr. theol.,<br />
Geschäftsführende Direktorin des Institute<br />
for the Study of Religion in Pune/Indien<br />
und Beraterin für ökumenische und<br />
interreligiöse Fragen in der Asiatischen<br />
Bischofskonferenz (FABC-OEIA)<br />
Odilo Metzler, Dipl.-Theol., Pastoralreferent<br />
in der Ökumenischen Hochschulgemeinde<br />
<strong>Stuttgart</strong>-Hohenheim, Mitglied<br />
des Leitungsteams des Diözesanverbands<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> von Pax Christi,<br />
<strong>Stuttgart</strong><br />
Adalberto Martins, Mitglied der Bundesstaatsleitung<br />
der Landlosenbewegung<br />
(MST) im Bundesstaat Rio Grande do Sul<br />
in Brasilien<br />
Shirley Erena Murray, Religiöse Lyrikerin,<br />
New-Zealand, neben zahlreichen anderen<br />
Auszeichungen Verleihung der Ehrendoktorwürde<br />
für Literatur durch die<br />
Universität von Otago im Jahr 2009<br />
Sarah Schabert, <strong>Rottenburg</strong>-Oberndorf,<br />
leistete von August 2011 bis August<br />
2012 Freiwilligendienst im Social Centre<br />
der Jesuiten in Ahmenadgar bei Pune im<br />
indischen Bundesstaat Maharashtra<br />
Heinz Detlef Stäps, Msgr., Dr. hist.<br />
eccl., Domkapitular, Leiter der Hauptabteilungen<br />
Weltkirche sowie Glaubensfragen<br />
und Ökumene der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>,<br />
<strong>Rottenburg</strong> a. N.<br />
Irmtraud Widmayer, Vorstandsmitglied<br />
beim Katholischen Deutschen Frauenbund<br />
(KDFB) – Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>,<br />
Leiterin des Referats „Mission-Entwicklung-Frieden“,<br />
Göppingen<br />
m Stiftung Weltkirche in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
Liga Bank eG<br />
IBAN DE90750903000006498280<br />
BIC GENODEF1M05<br />
Stichwort „Stiftung Weltkirche“<br />
Herausgegeben vom Bischöflichen Ordinariat<br />
der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong><br />
Hauptabteilung Weltkirche (X)<br />
Postfach 9<br />
72101 <strong>Rottenburg</strong> am Neckar<br />
www.drs.de<br />
Redaktion: Johannes Bielefeld, Dr. Thomas Broch (Schriftleitung), Bernward Hecke, Klaus-Jürgen<br />
Kauß, Dr. Willi Knecht, Renate Tafferner, Brigitte Willbold-Mulach, Elke Zimmermann<br />
Bilder: Broch (U1), 4 (1,2), 6, 8-10, 12-16, 19, 38; Burger privat: 18; Eigner MCCJ: 22-23;<br />
FIZ/Köhncke: 30-31; Kauß: 39; KDFB Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong>: 36; Missionsprokur Kloster<br />
Untermarchtal: 4 (3), 34-35; Mozer: 5; picture-alliance/ASSOCIATED PRESS: 32; picture-alliance/dpa:<br />
25; Ruehlow: 7; Schabert: 20-21; Stiftung Weltkirche in der Diözese <strong>Rottenburg</strong>-<br />
<strong>Stuttgart</strong>: 42; Thümmrich: 24; Stock4B GmbH: 39<br />
Gestaltung: www.thuemmrichdesign.de<br />
Druck: Druckerei Maier, <strong>Rottenburg</strong> a. N.<br />
Juli <strong>2013</strong><br />
Gedruckt auf PEFC-zertifiziertem Papier<br />
Dieser Ausgabe liegen der Prospekt „Weltweit solidarisch. Missionarische Dienste und<br />
Projekte“, hrsg. von der Hauptabteilung Weltkirche des Bischöflichen Ordinariats<br />
(<strong>2013</strong>), sowie eine Einladung zum 5. Internationalen Partnerschaftstag der Diözese<br />
<strong>Rottenburg</strong>-<strong>Stuttgart</strong> am 21. September <strong>2013</strong> in <strong>Stuttgart</strong> bei.