23.12.2013 Aufrufe

ostrakon quer schrift in kurven.indd

ostrakon quer schrift in kurven.indd

ostrakon quer schrift in kurven.indd

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

von Steffen Hickel<br />

S<strong>in</strong>gt dem Herrn e<strong>in</strong> Lied ganz neu!<br />

(nach Psalm 33)<br />

Die Liedtext an dacht<br />

„Z<br />

u Be g<strong>in</strong>n unse rer Morgen an dacht s<strong>in</strong>gen wir ‚Hell strahlt die<br />

Sonne‘ … Es regnet, die Tage diebe, Würt tem berger, Piskis und wie<br />

sie alle heißen ver schw<strong>in</strong> den wieder <strong>in</strong> den Brot beu teln und der e<strong>in</strong><br />

oder andere r<strong>in</strong>gt sich e<strong>in</strong> ver ständ nis volles Lä cheln für den krea tiven<br />

An dacht halter ab. Dabei ist es eigent lich e<strong>in</strong> sehr schö nes Lied und das<br />

mor gend liche Herun ter leiern wird weder der Melo die noch dem Text<br />

ge recht.<br />

Lieder haben Texte, die mit unter viel mehr ent halten, als sich auf den ersten Blick oder<br />

beim schnel len S<strong>in</strong>gen er fassen lässt. Bei An dach ten bietet es sich an, ge rade diese Texte<br />

ge nauer unter die Lupe zu nehmen. Manch mal langt es schon nicht erst die An dacht<br />

vor zu berei ten und dann die Lieder aus zu suchen, son dern erst das Lied zu wählen und<br />

dann nach ent spre chenden Bibel texten zu suchen. Dabei kann e<strong>in</strong>e Konkor danz helfen.<br />

So kann man e<strong>in</strong>e ganze An dacht auf e<strong>in</strong>em Lied(text) auf bauen. Inte ressant ist es die<br />

Stro phen vor zu lesen be vor man sie ge me<strong>in</strong> sam s<strong>in</strong>gt, dann kann man sich nur auf den<br />

Text konzen trieren, ohne se<strong>in</strong>e Auf merk sam keit zwi schen Wort und Melo die teilen zu<br />

müssen. Dann kann man sagen, was e<strong>in</strong>em an diesem Lied be son ders wich tig ist oder<br />

den Ge danken gang des Ver fas sers weiter führen (viel leicht sogar mit e<strong>in</strong>er weite ren, selbst<br />

ge machten Stro phe). Bei solch e<strong>in</strong>er Lied an dacht kann man natür lich auch neue Lieder<br />

e<strong>in</strong> führen oder die aus suchen, die selten (bei An dach ten) ge sungen werden.<br />

In den Lied heften und Ge sang bü chern liegen so viele An stöße zu schö nen Andach<br />

ten vor uns, man muss sie bloß nutzen. Die Spanne der ver wend baren Lieder<br />

ist groß: sie reicht vom Choral aus dem Kir chen gesang buch (zu dem ich euch<br />

er muti gen will, denn vieles was z.B. Paul Gerhart so ver fasste glänzt noch wie<br />

neu unter der manch mal dicken Staub schicht. Außer dem s<strong>in</strong>d im Ge sang buch<br />

oft pas sende Bibel stel len ver merkt.) über die alten CP-Lieder Horst Wesen bergs<br />

bis zum Fahr ten lied aus dem SchwAd ler. Hier nur e<strong>in</strong>ige Bei spiele:<br />

Heiß das Blut, das die Adern durch rauscht<br />

Kommen wir ge schrit ten<br />

Wilde Ge sellen vom Sturm w<strong>in</strong>d durch weht<br />

Be s<strong>in</strong> nung/Schließ Aug’ und Ohr<br />

Ich will gegen das Ge läut der Leute<br />

Die Schluch ten des Balkan zu zw<strong>in</strong> gen<br />

Tr<strong>in</strong>k lied vorm Ab gang<br />

Tut mir auf die schöne Pforte<br />

Jeden Morgen ruft das junge Leben<br />

Me<strong>in</strong> ganzes Leben sei e<strong>in</strong> Fahren<br />

Die Nacht ist vor gedrun gen<br />

O Haupt voll Blut und Wunden<br />

Geh aus me<strong>in</strong> Herz und suche Freud<br />

Ich steh an de<strong>in</strong>er Krip pen hier<br />

Die <strong>ostrakon</strong>-Liedandacht<br />

In den letzten beiden Jahren haben wir auf dem <strong>ostrakon</strong>-Redaktionswochenende<br />

solche Liedandachten gemacht – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sehr klaren Form:<br />

Der Andachthaltende wählt e<strong>in</strong> Lied aus – am besten e<strong>in</strong>es, welches aus verschiedenen<br />

Gründen als besonders bee<strong>in</strong>druckend empfunden wird – und der Text<br />

e<strong>in</strong>mal alle<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>mal geme<strong>in</strong>sam gelesen. Dann kann es e<strong>in</strong>ige erklärende Worte<br />

geben und zum Schluss wird das Lied geme<strong>in</strong>sam gesungen.<br />

Lasst das Wort Chris ti reich lich unter euch wohnen:<br />

lehrt und er mahnt es e<strong>in</strong>an der <strong>in</strong> aller Weis heit;<br />

mit Psal men, Lob gesän gen und geist lichen Lie dern<br />

Lieder haben<br />

s<strong>in</strong>gt Gott dank bar <strong>in</strong> euren Herzen.<br />

30 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 31<br />

Kol 3,16<br />

Foto von Steffen


von tejo, Walter Scherf<br />

Aus der „Zelt pos tille“<br />

Die zweite Wache<br />

E<br />

s ist e<strong>in</strong>e merk wür dige Wahr heit, dass Reich tum nur im Be sitz<br />

der un ver äußer lichen D<strong>in</strong>ge liegt, <strong>in</strong> der Ge lassen heit, im Ver zicht,<br />

<strong>in</strong> der großen, der ande ren Armut. Der E<strong>in</strong> öd bauer, der e<strong>in</strong> zig se<strong>in</strong>e<br />

Bibel kennt und <strong>in</strong> langen Näch ten immer wieder ihren Ge heim nissen<br />

nach s<strong>in</strong>nt, ist rei cher als der Mann mit dem Mikro archiv der Kon gressbiblio<br />

thek von Wash<strong>in</strong>g ton, dem nach e<strong>in</strong>em Stich wort im Loch kartenver<br />

fahren alle ge wünsch ten Texte <strong>in</strong> den Schoß fallen.<br />

Und der Erzäh ler ist rei cher als der Vor le sende.<br />

Es ist ver däch tig, wenn e<strong>in</strong>er zu langen Fahr ten und lau schenden Zeltnäch<br />

ten Pakete von Bü chern mit nimmt. Das An gemes sene ist die Be dürfnis<br />

losigkeit aus dem größe ren Reich tum des Er zäh lens. Drau ßen ist das<br />

Zu hören und Lau schen um uns, das Wasser und die Felsen und der W<strong>in</strong>d,<br />

lauter D<strong>in</strong>ge, die auf das E<strong>in</strong> fachs te zu rück ge führt s<strong>in</strong>d. Unter ihnen ist<br />

das Vor lesen nur e<strong>in</strong> Be helf.<br />

Die großen Erzäh ler drau ßen haben aber nicht viele Ge schich ten, denn<br />

sie müssen lange mit ihnen um gehen, bis sie selbst <strong>in</strong> ihnen leben. Nicht<br />

der Vor trags künst ler trifft, was hier ge me<strong>in</strong>t ist, nicht der Spie ler mit Effekten.<br />

Das wirk liche Er zählen ist schlicht, und wenn es e<strong>in</strong>e Kunst ist, so<br />

trägt es <strong>in</strong> magi schen Wieder holun gen das Un fass bare, den ver borge nen<br />

Strom, die dichte Atmo sphäre und das H<strong>in</strong>ter grün dige <strong>in</strong> das Wort e<strong>in</strong>.<br />

Alte Balla den wissen sehr viel von der be schwö renden Macht der Wiederholung.<br />

Wenn jede Lied stro phe schließt: „Und ich hörte den klei nen Vogel<br />

s<strong>in</strong>gen“, so ist e<strong>in</strong>e Zwei schich tig keit <strong>in</strong> der Erzäh lung, e<strong>in</strong> Lau schen auf<br />

den tiefe ren Gang. Das leere Ab schnur ren ist ver h<strong>in</strong> dert.<br />

Der Erzäh ler hat se<strong>in</strong>en Meis ter <strong>in</strong> der Ge schich te selbst. Er ver traut sich<br />

ihm an. Glaubt er, es ge nüge, sich den Gang der Hand lung e<strong>in</strong> zu prägen<br />

und e<strong>in</strong>ige Rede wen dungen un bese hen zu über nehmen, so ist er schlecht<br />

be raten. Er muss lange <strong>in</strong> der Ge schich te umher gehen, umher wan dern<br />

wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em leeren Haus, <strong>in</strong> dem er sich nieder lassen möchte. Kommt e<strong>in</strong><br />

Pferd <strong>in</strong> der Ge schich te vor, so muss er ihm den Hals klop fen, er muss es<br />

am Zügel führen, er muss mit ihm reden, als ob es neben ihm geht. Das<br />

ist der merk wür dige Augen blick des Ver traut wer dens. Man liest e<strong>in</strong>e Geschich<br />

te. Man hört ge nau zu. Es ist die Rede von e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong> samen Haus.<br />

Nun gut. Halten wir e<strong>in</strong>. Gehen wir <strong>in</strong> dieses Haus, mit den ande ren Augen,<br />

dem sechs ten S<strong>in</strong>n. Und plötz lich ist es unser Haus. Wenn wir dann, viel<br />

später, zu er zählen be g<strong>in</strong>nen, so s<strong>in</strong>d wir wirk lich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Räumen. Da<br />

ist das Fens ter, da der er losche ne Kam<strong>in</strong>. Wir können die D<strong>in</strong>ge be rühren,<br />

und der selt same Zauber ge schieht, dass unsere Zu hörer eben falls <strong>in</strong> das<br />

Haus e<strong>in</strong> getre ten s<strong>in</strong>d. Denn Er zählen ist Zaube rei.<br />

Halten wir gut aus e<strong>in</strong>an der, dass Er zählen und Fabu lieren zweier lei ist.<br />

Das Er zählen aber ist das Auf rollen e<strong>in</strong>es großen Tep pichs, <strong>in</strong> den <strong>in</strong> merkwürdi<br />

gen Garnen zwar, <strong>in</strong> ab sonder licher Ver klei dung oft, aber den noch <strong>in</strong><br />

stets e<strong>in</strong>an der ver wand ten Moti ven be stimm te ur alte Zu sammen hänge berich<br />

tet werden. Wes halb s<strong>in</strong>d die Mär chen der unter schied lichs ten Völker<br />

deut lich e<strong>in</strong>em Ur bild ver bunden? Wes halb könnte e<strong>in</strong> großer Roman, auf<br />

das Letzte zu rück ge führt, durch e<strong>in</strong>e ältere Über liefe rung er setzt werden?<br />

Die Ge wänder wech seln, die Um gebun gen s<strong>in</strong>d andere, Ge schich ten und<br />

Kultu ren spie len das Spiel auf ihre Weise, aber es s<strong>in</strong>d die selben Rätsel,<br />

die selben Ab läufe, ja oft die selben Deu tungen.<br />

Es ist nicht ver wunder lich, dass das Er zählen nicht <strong>in</strong> Häu sern ge deihen<br />

will, es sei denn, sie hätten sich mit der Land schaft aus ge söhnt und wären<br />

wieder e<strong>in</strong> Stück von ihr: alte Höfe, Hütten oder Fi scher boote. Das<br />

Zelt aber ver langt nach dem Er zählen als dem e<strong>in</strong> zig Ge mäßen, nach der<br />

Stimme, die von weit her kommt und älter ist als unsere Zeit.<br />

Aus: tejo, Walter<br />

Scherf: Zeltpostille.<br />

Geschichten<br />

und Lieder.<br />

Südmarkverlag<br />

Fritsch, 1979.<br />

32 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 33


von Steffen Hickel<br />

Die Kunst Die Kunst des des Schreibens<br />

Kalligraphie für die Sippenstunde<br />

Irgendwann <strong>in</strong> der dritten Klasse kamen sie <strong>in</strong> Mode: die „Schönschreibfüller“<br />

von Pelikan und Lamy, die vorne e<strong>in</strong>e breite Feder<br />

besaßen und h<strong>in</strong>ten so e<strong>in</strong>drucksvoll filigran spitz zuliefen. Die Buchstaben,<br />

die man damit kleckste waren leider weder filigran noch schön<br />

und so verlor das k<strong>in</strong>dliche Gemüt (zum<strong>in</strong>dest me<strong>in</strong>es) bald die Geduld<br />

und stieg wieder auf die Normalfeder um. Zurückblickend hatte man<br />

wenigstens den Lerneffekt, dass das Schreiben nichts selbstverständliches<br />

ist, und wenn es sich nun bestenfalls am Installieren der Bundes<strong>schrift</strong><br />

auf dem PC zeigt.<br />

In der Zeit, als nur Mönche und wenige Gelehrte schreiben konnten und<br />

der Buchdruck noch nicht erfunden war, war das Schreiben wirklich e<strong>in</strong>e<br />

Kunst. Dies lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man sich alte Hand<strong>schrift</strong>en<br />

ansieht, die Mönche <strong>in</strong> oft jahrelanger Fe<strong>in</strong>arbeit schrieben oder mit<br />

dem „Pelikan Script“ versucht Gotische Fraktur zu schreiben.<br />

Es gibt unzählige verschiedene Schriften, denn jedes Kloster, jeder Mönch<br />

hatte se<strong>in</strong>en eigenen Stil, se<strong>in</strong>e eigene Hand<strong>schrift</strong>. Daraus entwickelten<br />

sich die verschiedenen Alphabete. Wenn ihr euch also an kalligraphischen<br />

Buchstaben versucht müssen sie gar nicht so aussehen, wie die Vorlage.<br />

Im Gegenteil: e<strong>in</strong> eigener Stil und Kreativität haben, wie so oft, freien<br />

Lauf. Anders kann sich Kunst auch gar nicht entwickeln. Probiert doch<br />

e<strong>in</strong>fach mal Texte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fraktur<strong>schrift</strong> zu schreiben, oder e<strong>in</strong> Initial am<br />

Anfang des Verses zu verwenden. (Initiale nennt man die reich verzierten<br />

Anfangsbuchstaben.)<br />

Was ihr braucht:<br />

Fast alle Schriften werden mit e<strong>in</strong>er breiten Feder geschrieben. Statt des<br />

Patronenfüllers verwendet man besser Stahlfedern und e<strong>in</strong>e Griffel. Sie<br />

haben den Vorteil, dass man mehr Gefühl beim Schreiben hat und man<br />

Federbreite und T<strong>in</strong>tenfarbe beliebig oft und ohne viel Aufwand wechseln<br />

kann. Dafür klecksen sie allerd<strong>in</strong>gs leichter. Aber Papas Unterhemd<br />

will ja auch noch Verwendung f<strong>in</strong>den und außerdem wollen wir ja etwas<br />

Neues versuchen. In e<strong>in</strong>em gut sortiertem Schreibwarengeschäft oder<br />

im Künstlerbedarf bekommt man für wenige Pfennige e<strong>in</strong>e Anzahl von<br />

Federn und e<strong>in</strong>en Griffel. E<strong>in</strong>en richtigen Gänsekiel muss man erst entsprechend<br />

zuschneiden. Wenn ihr welche bei e<strong>in</strong>em Bauern bekommen<br />

könnt, nehmt e<strong>in</strong> sehr scharfes Messer und e<strong>in</strong>e Stahlfeder als Vorbild<br />

und probiert es aus. Es ist etwas knifflig.<br />

T<strong>in</strong>te gibt es <strong>in</strong> allen möglichen Farben. Klassisch ist natürlich Schwarz<br />

und Rot. Diese Komb<strong>in</strong>ation wirkt auch am edelsten. Alte Bücher s<strong>in</strong>d oft<br />

<strong>in</strong> bräunlicher Farbe geschrieben. Blau f<strong>in</strong>det man eher selten, weil dessen<br />

Herstellung sehr teuer und diese Farbe darum den Königen vorbehalten<br />

war. Darum steht auf dem T<strong>in</strong>tenfass heute noch „Königsblau“.<br />

Der erste Strich:<br />

Um erst mal e<strong>in</strong> Gefühl für die Feder zu bekommen könnt ihr erst mal<br />

wild L<strong>in</strong>ien ziehen. Hält man die Feder horizontal ergibt sich e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>er<br />

Haarstrich. Senkrecht sieht man ihre ganze Breite. Dazwischen liegen unzählige<br />

W<strong>in</strong>kel und damit Breiten. Zur Übung empfiehlt sich dann erst<br />

e<strong>in</strong>mal auf den Schreibl<strong>in</strong>ien der Erst- und Zweitklässler zu schreiben. Sie<br />

geben e<strong>in</strong> Gefühl für die verschiedenen Längen und Teile der Buchstaben.<br />

Wenn man dann auf edlerem Papier schreibt, muss man darauf achten,<br />

34 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 35


dass es nicht zu fase rig ist und die T<strong>in</strong>te wie e<strong>in</strong> Lösch blatt auf saugt. Außerdem<br />

sollte es so dick se<strong>in</strong>, dass es nicht durch drückt. Am e<strong>in</strong> fachs ten ist<br />

da Ele fanten haut oder Urkun den bütten.<br />

Mit e<strong>in</strong> biss chen Übung und e<strong>in</strong>em Stapel Schmier papier lässt sich recht<br />

schnell e<strong>in</strong> Alpha bet e<strong>in</strong> prägen und frei schrei ben. Denn alle Schrif ten<br />

haben e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong> zip aus dem sich die Form der Buch staben er gibt. Wenn<br />

man das durch schaut hat ist es leicht sich all die Kr<strong>in</strong> gel und Schnör kel<br />

zu merken.<br />

So wird die Schrift Aus drucks mittel und bleibt nicht Daten über mitt ler<br />

(wenn ich mir die Hand <strong>schrift</strong> me<strong>in</strong>es Haus arztes an sehe ist sie oft nicht<br />

mal das). Oft ver kommt sie <strong>in</strong> unse rer schnel len Zeit zu schie rer Krikselei.<br />

Es braucht ja auch schon etwas Zeit und Ge duld, um e<strong>in</strong>en Text mit der<br />

Feder zu schrei ben. Aber warum sich nicht mal Zeit dafür nehmen, das<br />

Pfad f<strong>in</strong>der gesetz ab zu schrei ben? Dabei kann man sich auch mehr über<br />

den Inhalt klar werden, wie der Mönch, der sich auf diese Weise wochenlang<br />

z.B. mit e<strong>in</strong>em Evange lium be fasste. Leider sieht man auch immer<br />

weni ger die hand geschrie benen Lieder bücher mit schö nen Über schrif ten<br />

und Zeich nungen....<br />

Es gibt auch viele Bücher über Schrift und Kalli gra phie. E<strong>in</strong>es<br />

möchte ich euch zum Schluss emp fehlen: David Harris, „Die Kunst des<br />

Schrei bens“, E<strong>in</strong>e An lei tung zur Kalli gra phie. Es ist im E.A. See mann<br />

Ver lag er schie nen. ISBN 3-363-00974-7.<br />

In dem Buch s<strong>in</strong>d über 20 Schrif ten Schritt für Schritt auf ge führt. Auch<br />

ihre Her kunft ist histo risch und mit vielen schö nen Fotos von alten Handschrif<br />

ten dokumen tiert.<br />

36 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 37


von Steffen Hickel<br />

Vom Rand der Welt<br />

Theodor Kramer – Porträt e<strong>in</strong>es Lyrikers<br />

Ue<strong>in</strong>igen der schönsten Liedern, die die S<strong>in</strong>gerunde , die mit dem<br />

Feuer verglimmt, anstimmt, steht der Name Theodor Kramers. Wer<br />

aber war dieser Mensch, dessen vertonte Zeilen uns begeistern? Diese<br />

Frage lässt sich schwerlich mit e<strong>in</strong> paar Lebensdaten aus K<strong>in</strong>dlers Literaturlexikon<br />

beantworten (vor allem, wenn der Dichter und se<strong>in</strong> Werk <strong>in</strong><br />

Vergessenheit gerieten, aber dazu später). Aus Gedichten lässt sich wohl<br />

eher auf den Menschen schließen. Aber auch das droht e<strong>in</strong>seitig und unvollständig<br />

zu werden, kennt man von rund 12 000 Gedichten höchstens<br />

20. Ich will dennoch versuchen aus den mir zugänglichen E<strong>in</strong>blicken e<strong>in</strong><br />

Bild von Theodor Kramer zu zeichnen, dem Anderen, der wahrlich nicht<br />

schrie. Nicht zuletzt, um mir me<strong>in</strong>e eigen Fasz<strong>in</strong>ation zu erklären und<br />

sie (hoffentlich) weiterzugeben.<br />

Geboren wird Kramer 1897 <strong>in</strong> Niederhollabrunn <strong>in</strong> Österreich als zweiter<br />

Sohn e<strong>in</strong>es jüdischen Geme<strong>in</strong>dearztes. Um die Realschule besuchen zu<br />

können, lebt er ab se<strong>in</strong>em elftem Lebensjahr mit se<strong>in</strong>em Bruder Max zur<br />

Untermiete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wiener Stadtteil. In dem Jahr, als die Freideutsche<br />

Jugend auf dem Hohen Meißner ihrer Freiheit und Autonomie Ausdruck<br />

verleiht (1913) stößt er auf e<strong>in</strong>e ihrer Gruppen. In dieser Zeit lernt er die<br />

Liebe zum Wandern und versucht erste Gedichte zu schreiben. Der erste<br />

Weltkrieg bricht aus. 1915 wird Kramer zum Kriegsdienst e<strong>in</strong>gezogen<br />

von dem er schwerstens verwundet heimkehrt und dann e<strong>in</strong> zweites Mal<br />

E<strong>in</strong> schwarzes<br />

Rascheln<br />

schlepp ich<br />

immer mit.<br />

an die Front geschickt wird. Nach dem Krieg hört er Vorlesungen aus<br />

Germanistik und Geschichte <strong>in</strong> Wien, muss das Studium jedoch wegen<br />

Geldmangels abbrechen. Er arbeitet <strong>in</strong> Buchhandlungen und unternimmt<br />

ausgedehnte Wanderungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Heimat, das Burgenland. Erste Gedichte<br />

ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den Zeit<strong>schrift</strong>en „Simplizissimus“ und „Die Bühne“.<br />

Neben Landschaftsbeschreibungen se<strong>in</strong>es geliebten Landes spiegeln sie<br />

vor allem se<strong>in</strong>e Kriegserfahrungen wider. In se<strong>in</strong>em typischen Leierkastenton,<br />

der spröde und fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nig zugleich ist, berichtet er unheroisch, ohne<br />

belehrenden Zeigef<strong>in</strong>ger von dem entwürdigten, gezwungenen Soldaten.<br />

Kramer verstand sich als „Sprecher derer ohne Stimme“. Sprecher der<br />

Unterschichten. Der e<strong>in</strong>fachen Soldaten, Tagelöhner, Vaganten, Alten<br />

und Prostituierten. Nichts ist zu abseitig, ke<strong>in</strong> Mensch zu ger<strong>in</strong>g, dass er<br />

nicht über ihn berichtet. Kramer ist e<strong>in</strong> Dichter der Ränder. Dabei ist es<br />

fasz<strong>in</strong>ierend, wie er mit der Beschreibung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividuellen Schicksals<br />

e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Gültigkeit formuliert. Er (ge)braucht ke<strong>in</strong> Leitbild vom<br />

„neuen Menschen“, um se<strong>in</strong>en Anspruch auf Veränderung der Verhältnisse<br />

zu begründen. Als Sozialist wird er von den Nazis auf die „Liste des schädlichen<br />

und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Allerd<strong>in</strong>gs erst relativ<br />

spät (1939), nachdem e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er unpolitischen Texte noch zusammen<br />

mit regimefreundlichen Autoren abgedruckt wurden. E<strong>in</strong>e Instrumentalisierung,<br />

gegen die er sich allerd<strong>in</strong>gs heftig wehrte.<br />

Die Annexion Österreichs bedeutet für den ohneh<strong>in</strong> mehr schlecht<br />

als recht von se<strong>in</strong>en Texten lebenden Dichter und stellvertretenden<br />

Obmann der „Vere<strong>in</strong>igung sozialistischer Schriftsteller“ Berufsverbot,<br />

Arbeitslosigkeit und Wohnungsverlust. Kramer spricht für Freiheit und<br />

Gerechtigkeit. Dabei träumt er nicht von e<strong>in</strong>em Paradies, sondern bleibt<br />

bodenständig und sich se<strong>in</strong>er und der Gesellschaft Grenzen bewusst. Als<br />

er nicht nur sehen sondern auch spüren muss, dass se<strong>in</strong>e ke<strong>in</strong>eswegs<br />

unrealistischen Vorstellungen im sich ausbreitenden Naziregime <strong>in</strong> die<br />

Aussichtslosigkeit münden, bricht er psychisch zusammen. In se<strong>in</strong>en Gedichten<br />

sucht Kramer nach Antworten auf die faschistische Bedrohung,<br />

die se<strong>in</strong>e Heimat verschl<strong>in</strong>gt. Aber dabei ist er ke<strong>in</strong> Moralapostel. Zwar<br />

mit Wehmut aber ohne zu jammern beschreibt er das Abseits und sich<br />

selbst als jemanden, der im Abseits steht. Das Ergebnis ist die Not zur<br />

Veränderung oder e<strong>in</strong>em Neuanfang. Wobei die Veränderung auch bei<br />

Viel Abgestorbenes<br />

hängt<br />

verrworr‘n und<br />

wild/<br />

an mir<br />

ihm selbst stattf<strong>in</strong>den muss und der Neuanfang ohne ihn erfolgreicher<br />

se<strong>in</strong> wird. „Die Menschen werden freier se<strong>in</strong>, wenn wir gegangen s<strong>in</strong>d...“<br />

Und er geht, wenn es ihm auch schwer fällt. Im Sommer 1939, viel später<br />

als denen, „die das Land so sehr nicht liebten“, gel<strong>in</strong>gt ihm die Ausreise<br />

<strong>in</strong>s englische Exil. Für diese Möglichkeit kämpfte er e<strong>in</strong> dreiviertel Jahr<br />

mit Freunden, unter ihnen Thomas Mann. Aber auch <strong>in</strong> London f<strong>in</strong>det<br />

er nur wenig Unterstützung und lebt als fe<strong>in</strong>dlicher Deutscher sehr verarmt.<br />

Währenddessen stirbt se<strong>in</strong>e Mutter im KZ Theresienstadt, was er<br />

aber erst nach Kriegsende erfährt. Die Ungewissheit hält ihn nach 1945<br />

von e<strong>in</strong>er Rückkehr nach Österreich ab. Er bleibt bis 1957 <strong>in</strong> der Isolation<br />

des Exils und erhält dann e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Ehrenpension vom Staat Österreich.<br />

Aber Wien ist nicht mehr die Stadt, die er verließ. „Erst <strong>in</strong> der Heimat<br />

b<strong>in</strong> ich ewig fremd“ schreibt er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Gedichte (1957). Und so<br />

stirbt er fremd im eigenen Land, 1958 <strong>in</strong> Wien.<br />

38 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 39


von Klaus Fitzner (Stamm Schwanenritter<br />

Der aus geschnit tene Baum<br />

für de<strong>in</strong>e augen, zum stil len hören<br />

und bei nah zum grei fen nah<br />

Zur Jahres losung 2003<br />

Vor me<strong>in</strong>em Fens ter der ver zweig te Baum<br />

hat im Ge wirr der Krone wieder Raum;<br />

der Gärt ner hat das Dürre ab gesägt,<br />

dass übers Jahr er neue Scho ße trägt.<br />

Herb schmeckt der Saft, der aus den Wunden quillt.<br />

Viel Ab ge stor benes hängt verworr‘n und wild<br />

an mir und zehrt und steht im Weg dem Licht;<br />

doch se<strong>in</strong>er Last ent ledige ich mich nicht.<br />

E<strong>in</strong> schwar zes Ra scheln schlepp ich immer mit.<br />

Du Großer Gärt ner, lass den schar fen Schnitt<br />

mir angedeih‘n, ob ich auch dran verblut‘;<br />

Mir tät das We<strong>in</strong>en me<strong>in</strong>er Wunden gut.<br />

Die 18 Jahre im Exil ließen Kramer und se<strong>in</strong> Werk <strong>in</strong> Ver gessen heit geraten.<br />

Viel leicht blie ben se<strong>in</strong>e Ge dichte auch am Rand, weil sie sich mit<br />

eben jenem be schäf tigen. Die „bana len“ D<strong>in</strong>ge, die Be nachtei ligten und<br />

die Ehr lich keit mit sich selbst ver gisst man schnell. Erst <strong>in</strong> den 80er Jahren<br />

fand se<strong>in</strong> Werk wieder mehr Be ach tung. Aus dieser Zeit stam men auch die<br />

schö nen Melo dien (haupt säch lich von der Gruppe Zupfgeigenhansel).<br />

Die Lieder Kramers s<strong>in</strong>d spröde und zer brech lich, fest und e<strong>in</strong> fühl sam.<br />

Nichts für große S<strong>in</strong>ge runden. Eben für den Rand, den Rand des Tages an<br />

der letz ten Glut, wo sich Ge sprä che ent falten und es e<strong>in</strong> mal mehr wich tig<br />

ist, darü ber nach zu denken, was man eigent lich s<strong>in</strong>gt.<br />

Soweit e<strong>in</strong> Bild e<strong>in</strong>es trau rig frohen Lyri kers. Besser noch ist e<strong>in</strong> eige nes.<br />

Leider gibt es ke<strong>in</strong>e Ta schen buch aus gaben von Kramer gedich ten. Dem entspre<br />

chend s<strong>in</strong>d sie recht teuer. Viele s<strong>in</strong>d im Zsolnay-Ver lag er schie nen.<br />

E<strong>in</strong>em dieser Bände ist auch die Lese probe ent nommen. E<strong>in</strong>en spannenden<br />

E<strong>in</strong> blick <strong>in</strong> Kramers Ge dichte gibt auch die Zupfgeigenhansel<br />

CD „Andre die das Land so sehr nicht lieb ten...“. Sie ist im Pläne-Ver lag<br />

er schie nen.<br />

wieder an kommt<br />

die<br />

maske<br />

für<br />

dieses,<br />

jene<br />

für<br />

jenes –<br />

ge nau,<br />

über legen,<br />

welche<br />

es<br />

heute<br />

wieder<br />

se<strong>in</strong><br />

soll,<br />

welche<br />

heute<br />

wieder<br />

an kommt!<br />

Ver fasser<br />

un be kannt<br />

Hand aufs Herz: was sehe ich<br />

mit oder ohne Brille<br />

mit grauem oder grünem Star<br />

mit ge sunden Augen und<br />

dem bl<strong>in</strong> den Fleck?<br />

Ich sehe, was ich sehen will<br />

den Split ter <strong>in</strong> des ande ren Auge<br />

die D<strong>in</strong>ge, wie sie mir gefallen<br />

die Men schen auf den ersten Blick<br />

sympa thisch oder un sympa thisch?<br />

Ich sehe sche<strong>in</strong> bar objek tiv<br />

und lass vom An sche<strong>in</strong> oft mich blen den<br />

Ich sehe fern und krea tiv<br />

ganz aus schnitts weise und naiv<br />

die Augen-Blicke senden<br />

So weit die Fens ter offen stehen<br />

so tief der E<strong>in</strong> druck auch er geht<br />

ich sehe nichts bei allem Sehen<br />

ich warte allem Trug ent gegen<br />

und allem Zerr bild, das ent steht<br />

Muss ich nicht erst die Augen schlie ßen<br />

– nur mit dem Herzen sieht man gut -<br />

ganz <strong>in</strong>ne halten und genie ßen<br />

die Seelen bilder <strong>in</strong> der Flut<br />

muss nicht erst Gott mir über flie ßen<br />

Se<strong>in</strong> Urteil gilt es aus zu halten<br />

bei allem Men schen wunsch und Wahn<br />

Er wird es wunder sam ge stal ten<br />

was ich nicht sah, nicht aus gehal ten<br />

was mir nicht vor die Augen kam<br />

So viel gestal tig ist das Leben<br />

so kunter bunt – so formen reich<br />

und allem Schö nen h<strong>in</strong> gege ben<br />

Er sieht me<strong>in</strong> Herz und ster nen gleich<br />

will es sich se<strong>in</strong>er Wahl erge ben<br />

von Klaus Fitzner (Stamm Schwa nen ritter)<br />

40 literatur <strong>ostrakon</strong> I_03 41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!