hildesheim - Kehrwieder am Sonntag

KEHRWIEDER am Sonntag · 20. Oktober 2013 · Seite 5
Haftstrafen nach Prozess am Landgericht: Mutter half ihrem Sexpartner beim Missbrauch ihrer Tochter
Gestohlene
Kindheit
Von Jan Fuhrhop
Hildesheim. „Es tut mir unendlich
leid, alles“, sagt die Mutter zum
Schluss mit stockender Stimme und
hochrotem Kopf, die Augen weit
aufgerissen, als laufe vor ihr noch
einmal das Geschehen ab, das sie
hier auf die Anklagebank gebracht
hat. Die Worte der Opfer-Anwältin
Ana-T. Bitter hat sie noch im Ohr: „Es
wäre so leicht gewesen, die Tochter
zu schützen.“ Aber die 38-Jährige
hat ihrer Tochter keinen Schutz geboten,
als diese ihn dringend gebraucht
hätte.
Das Jahr 2002, fünf Jahre ist Marie
(Name geändert) alt, als ihre Mutter
Besuch bekommt von diesem Mann,
der ihr ihre unbeschwerte Kindheit
nehmen würde. Eine echte Partnerschaft
führen der Lastwagenfahrer
und die arbeitslose Frau nicht, es
geht um Sex, nicht um viel mehr.
Zumindest für ihn. Er kommt abends,
verschwindet oft schon einige Stunden
später wieder, bleibt höchstens
bis zum Morgen. Diese Bettgeschichte
reicht ihm so irgendwann nicht
mehr, er will die Handlung nach
seinen Vorstellungen bestimmen. Er
denkt dabei an Marie, die nebenan
in ihrem Kinderzimmer liegt. Er holt
das Mädchen und legt es der nackten
Mutter auf den Bauch, spreizt ihm
die Beine.
„Ich habe das, was da passiert
sein soll, noch nicht verarbeitet“,
sagt dieser Mann nun vor Gericht. Er
hoffe auf Gnade, sagt er dann noch
in seinem Schlusswort und verbirgt
das Gesicht wieder in den Händen. Er
scheint sich selbst zu bedauern. Das
Mädchen erwähnt er nicht. Jenes
Mädchen, das keine unbesschwerte
Kindheit haben konnte, seit 2010 in
einer Betreuungseinrichtung lebt
und nach wie vor in Therapie ist, weil
er damals nicht von ihr lassen wollte.
Mindestens fünf Mal hat der heute
48-jährige einschlägig Vorbestrafte
Marie seiner Sexpartnerin auf den
Bauch gelegt, und anschließend den
Geschlechtsverkehr mit der Mutter
fortgesetzt. Die hielt ihre Tochter
dabei fest – nach Darstellung ihrer
Verteidigerin in Verzweiflung, um
„ihr wenigstens so zu zeigen, dass
sie nicht alleine ist“.
Doch Marie war allein, einsam,
hilflos. Auch als dieser Mann später
wiederholt zu ihr in die Dusche stieg,
seinen Penis an ihrem Po rieb und
ihr Finger in die Scheide einführte.
Erst als ihr Peiniger mit der Mutter
Schluss machte, endete auch der
Missbrauch.
Doch die „Brandmarkung ihrer
Seele“, wie Anwältin Bitter es in
der vergangenen Woche im Prozess
gegen den 48-Jährigen und die
38-Jährige formuliert, bleibt. Bitter
vertritt Marie vor dem Landgericht
als Nebenklägerin. Sie berichtet von
den Schwierigkeiten ihrer jungen
Mandantin, einen Weg zurück ins Leben
zu finden, wie sie in der Betreuungseinrichtung
versuchen musste,
„komplett neu anzufangen“.
Besonders schwer wiegt der Verlust
des Urvertrauens. Lange hatte
Marie geschwiegen, sich weiterhin
um die psychisch labile Mutter
gekümmert, sich schützend vor sie
gestellt. Lange hat es gebraucht, bis
sie an sich dachte und letztlich ihre
Mutter, die Mittäterin geworden
war, dazu brachte, Anzeige zu erstatten.
2010 war das. Dass es bis
zum Prozess drei Jahre dauern musste,
bemängelt die Verteidigerin der
Mutter. Sie plädiert, ihre Mandantin
wegen der unverhältnismäßig langen
Verfahrensdauer, der „vielschichtigen
psychischen Erkrankung“ und
der weit zurückliegenden Taten
zu höchstens einem Monat Haft
auf Bewährung zu verurteilen. Die
Richter erkennen zwar durchaus die
eher passive Rolle der Angeklagten
bei den Taten strafmildernd an,
lassen die 38-Jährige aber letztlich
nicht glimpflich davon kommen. Das
Urteil: zwei Jahre und vier Monate
Haft.
Einen Freispruch fordert indes
Verteidiger Bernward Hink für seinen
Mandanten, nachdem er statt eines
Plädoyers eher eine Anklage vorgetragen
hatte. Verteidiger bei Sexualstraftaten
zu sein, „ist so ziemlich
der undankbarste Job, den es gibt“,
Semesterbeginn an der Uni: Höchststand mit 6.600 Studierenden erreicht
Von Tortillas
zur Bratwurst
(reh) Hildesheim. Mit einer Feierstunde
im Audimax hat die Universität
Hildesheim am Montagvormittagihre
Erstsemester begrüßt: 1.421
junge Menschen starten neu in ein
Bachelor-Studium, 561 haben bereits
einen Bachelor-Abschluss erworben
und nehmen ein Master-Studium
auf. Damit hat die Universität in
diesem Herbst insgesamt etwa 6.600
Studierende, vor zehn Jahren waren
es gerade einmal 4.095. Insgesamt
9.300 junge Menschen hatten sich
diesmal auf die knapp 2.000 freien
Studienplätze beworben.
Universitätspräsident Professor Dr.
Wolfgang-Uwe Friedrich sagte bei
seiner Begrüßung, mit dem neuen
Höchststand seien die Kapazitäten
der Universität erreicht. Man habe
sich der Herausforderung des doppelten
Abiturjahrgangs gestellt,
dringend benötigter Platz werde mit
dem gerade entstehenden Neubau
am Hauptcampus geschaffen.
Ein weiterer Anstieg der Studierendenzahlen
sei jedoch gar nicht
erwünscht: „Wir wollen Profil-Universität
bleiben und nicht weiter
wachsen. Bei uns soll man in persönlicher
Atmosphäre studieren. Ich
erwarte von den Dozenten, dass sie
die Namen ihrer Studierenden kennen“,
so Friedrich.
Die Universität Hildesheim ist aber
auch eine weltoffene und weltweit
gut vernetzte Uni: Insgesamt 170
junge Menschen aus dem Ausland
studieren in diesem Herbst auf der
Marienburger Höhe, 70 von ihnen
absolvieren hier ihr gesamtes Studium.
Die Liste der Heimatländer führen
die Türkei, Russland und Polen
an, auf Platz vier liegt neuerdings
Griechenland. Für Universitätspräsident
Friedrich ein Zeichen dafür,
„dass die europäische Union in einer
ernsten Krise ist“.
Viele dieser ausländischen Studierenden
geben der Universität etwas
zurück, engagieren sich. So wie der
gebürtige Südafrikaner Joseph Couve
de Murville, der im Rahmen der
Feierstunde für sein herausragendes
Engagement mit dem mit 1.000 Euro
dotierten Preis des Deutschen Akademischen
Auslandsdienstes (DAAD)
ausgezeichnet wurde. Der 31-Jährige
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Für ein halbes Jahr an der Universität Hildesheim: Alejandra Herrera und
Brenda Gaspar aus Mexiko studieren Übersetzen. Foto: Rehbein
hat alle Prüfungen in seinem Studium
der „English Applied Linguistics“
mit Bravour bestanden, und hilft
nebenbei als Lehrbeauftragter im
„International Office“ Studierenden
aus dem Ausland, sich in der fremden
deutschen Kultur und Sprache
zurechtzufinden. 100 der 170 ausländischen
Studierenden kommen
in diesem Semester mit Austauschprogrammen
wie „Erasmus“ nach
Hildesheim und studieren hier für ein
oder zwei Gast-Semester. So wie die
beiden 23-Jährigen Alejandra Herrera
und Brenda Gaspar aus Mexiko.
Sie studieren in der Stadt Toluca
Übersetzen mit Schwerpunkt Spanisch-Französisch.
Hildesheim haben
sie sich ausgesucht, um Deutsch zu
lernen. Bisher versändigen sie sich
hauptsächlich auf Englisch.
Die Universität Hildesheim arbeitet
seit 2010 mit der „Universidad
Autónoma del Estado de México“ in
Toluca zusammen. Im Bereich „Interkulturelle
Kommunikation und
Übersetzen“ waren in den drei Jahren
bereits 19 mexikanische Studierende
hier zu Gast, umgekehrt studierten
acht junge Hildesheimer in Mexiko.
Außerdem tauschen die beiden Unis
regelmäßig Dozenten und veröffentlichen
gemeinsam Bücher, wie jüngst
einen Sammelband zum Thema Vermittlung
von Fremdsprachen.
Alejandra Herrera und Brenda
Gaspar fühlen sich jedenfalls wohl in
Hildesheim. „Ich liebe die deutsche
Architektur, das Rathaus ist wunderschön“,
sagt Brenda Gaspar. Und
AlejandraHerrera genießt die leuchtenden
Farben des Herbstlaubes: „Bei
uns sind die Bäume immer grün.“
Bei aller Begeisterung: Ein bisschen
Heimweh kriegen die beiden
beim Thema Verpflegung, wenn sie
an ihre scharfen mexikanischen Tortillas
und Tacos denken. „Aber das
Bratwurst ist okay“, sagt Brenda.
Joseph Couve de Murville.
führte Hink aus – man habe nur
„bescheidene Möglichkeiten“. Diese
hatte er zu Prozessbeginn versucht
auszureizen und mehrere Anträge
gestellt. Die Anklageschrift sei nicht
zulässig, meinte Hink, weil diese als
eine Art „Breitbandanklage“ daher
komme – Staatsanwältin Franziska
Vollbrecht hatte ursprünglich insgesamt
57 Taten aufgelistet - ohne die
einzelnen Vorwürfe ausreichend zu
konkretisieren. Dieser Antrag wurde
abgewiesen. Hink forderte zudem,
das Opfer von einem Gutachter auf
dessen Glaubwürdigkeit hin untersuchen
zu lassen. Hink: „Das Mädchen
war nur fünf Jahre alt und es ist zehn
Jahre her – wenn man in diesem Fall
kein Glaubwürdigkeitsgutachten
braucht, wann denn dann?“ Auch
dieser Antrag wurde abgelehnt –
genauso wie die Forderung Hinks, die
Kammer müsse wegen der Komplexität
der Verhandlung mit drei statt
zwei Berufsrichtern besetzt werden.
Konsequenter Weise forderte Hink
einen Freispruch, da das Verfahren
aus seiner Sicht in dieser Form gar
nicht hätte stattfinden dürfen.
Gnade, wie sein Mandant sie sich
erhofft hatte, ist nicht Aufgabe
der Kammer. Sie soll ein möglichst
gerechtes Urteil fällen, nach gründlicher
Bewertung aller Fakten. Dies
war aus ihrer Sicht durchaus möglich
und so kamen die Richter zu einem
Ergebnis: fünfeinhalb Jahre Haft.
Rechtskräftig ist es noch nicht – Verteidiger
Hink will Revision einlegen.
Preisverleihung
Wer hat
Zivilcourage
gezeigt?
Hildesheim. Der Präventionsrat
Hildesheim vergibt im Dezember
zum 15. Mal den Preis für Zivilcourage.
Er wird an Menschen verliehen,
die durch couragiertesHandeln eine
Straftat oder deren Fortführung
verhindert oder zur Aufklärung
einer Straftat beigetragen haben.
Der Preisträger erhält eine Stahl-
Skulptur, eine Urkunde sowie 500
Euro, die vom Haus- und Grundeigentümerverein
Hildesheim und
Umgebung gestiftet werden. Bis zum
15. November können Vorschläge für
auszeichnungswürdige Personen
eingereicht werden, und zwar an
die Polizeiinspektion Hildesheim,
Präventionsteam, Schützenwiese
24, 31137 Hildesheim oder per E-
Mail an die Adresse Uwe.Herwig@
polizei.niedersachsen.de. Weitere
Informationen unter der Telefonnummer
05121/93 91 09.
Heute:
Wald erleben
Hildesheim. Am heutigen Sonntag,
20. Oktober, öffnet der Kindererlebniswald
seine Pforten. Er
befindet sich auf dem Gelände des
historischen Forstgartens an der
Robert-Bosch-Straße im Hildesheimer
Wald. Der Tag der offenen
Tür beginnt um 11 Uhr.
Spielzeug
aus Afrika
Hildesheim. Das Schulmuseum
zeigt ab Freitag, 25. Oktober, Kinderspielzeug
aus Afrika. Die Afrikaforscher
und Spielzeugsammler Dr.
Wulf Schmidt-Wulffen und Dr. Jos
Schnurer stellen Teile ihrer Sammlung
von Kinderspielzeug – hergestellt
von afrikanischen Kindern –
didaktisch aufbereitet in der Domäne
Marienburg aus. Die Eröffnung der
Ausstellung findet begleitet von einem
Vortrag am 25. Oktober um 15
Uhr im Schulmuseum in der Domäne
Marienburg statt.
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27. Oktober 2013
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von 9–12.00 Uhr
p. P. € 9.80
(inkl. Kaffee, Teeund Säfte)
*Um Tischreservierung wird gebeten!
Elze ∙Bahnhofstraße 1
Telefon 05068-933105
Großer Wildabend
Samstag, 2. November ab 18 Uhr
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