Der Randstein des Anstosses - Zürichsee-Zeitung
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Glattaler<br />
Freitag, 5. Juli 2013 DübenDorf 5<br />
«Schule ist und bleibt meine Berufung»<br />
ruHestanD. Seit 42 Jahren ist<br />
Marcel Scherrer Sekundarlehrer,<br />
32 Jahre unterrichtete er in<br />
Dübendorf. Ende Monat geht<br />
Scherrer als Schulleiter Grüze<br />
1-4 in Pension. Von der Jugend<br />
und dem Thema Schule hat er<br />
aber noch nicht genug.<br />
IntervIew: DanIela Schenker<br />
42 Jahre Arbeit mit der «heutigen Jugend»:<br />
Wie hält man das aus?<br />
Marcel Scherrer (lacht): Das habe ich<br />
mich auch schon gefragt. Ich habe mich<br />
aber nie ausgebrannt gefühlt. Die Arbeit<br />
mit den Jugendlichen war für mich immer<br />
mehr als ein Job, es war Berufung.<br />
Das hat sicher geholfen. Wenn mich mal<br />
etwas ermüdet hat, dann waren es nicht<br />
die Jugendlichen, sondern das System.<br />
Dann mögen Sie also nicht ins Klagelied<br />
über die immer schlimmer werdende Jugend<br />
einstimmen?<br />
Nein, keinesfalls. Die Jugendlichen, die<br />
heute in meine Schule eintreten, sind genauso<br />
wissbegierig und auf der Suche<br />
nach ihrer Identität und ihren Grenzen,<br />
wie es meine ersten Schüler vor 42 Jahren<br />
waren.Aber die Kompetenzen haben<br />
sich verschoben, weg vom Lesen und<br />
Schreiben hin zu Multimedia.<br />
Und die Lehrpersonen, wie haben die sich<br />
verändert?<br />
Früher hiess es: Ich und meine Klasse, da<br />
redet mir niemand drein. Heute sind<br />
Lehrer Teamplayer von Beginn weg. Das<br />
bedingt sehr viele Sitzungen und Absprachen,<br />
auch wenn wir uns Mühe geben,<br />
nicht mehr alles basisdemokratisch<br />
durchzukauen. Die Aufgaben, welche die<br />
Schule zu erfüllen hat, sind immens geworden.<br />
Generell gilt: Die Belastung ist<br />
gestiegen, der Status gesunken.<br />
Die Belastung eines Schulleiters ist bestimmt<br />
noch grösser, weshalb haben Sie<br />
vor fünf Jahren diese Herausforderung<br />
angenommen?<br />
Ich war damals seit 37 Jahren Lehrer und<br />
wollte nicht in der Routine erstarrren,<br />
sondern wieder einmal Pionier sein. Als<br />
einer der drei ersten Schulleiter der<br />
Sekundarschule Dübendorf konnte ich<br />
noch steht Marcel scherrer an seinem Pult im schulleiter-Zimmer. bald übergibt er die schlüssel seinem nachfolger. Bild: Daniela Schenker<br />
das, und ich durfte meine Leidenschaft<br />
für das Organisieren und Strukturieren<br />
nochmals ausleben.<br />
Aber war es nicht schwierig, im Lehrerzimmer<br />
plötzlich nicht mehr nur Kollege,<br />
sondern auch Chef zu sein?<br />
Es war sicher nicht nur einfach. Deshalb<br />
war es für mich wichtig, zu 100 Prozent<br />
Schulleiter zu sein. Ich wollte nicht jeden<br />
Tag mehrmals die Rolle wechseln. Am<br />
schwierigsten war nicht die Vorgesetztenfunktion,<br />
sondern vielmehr die Sandwichposition<br />
zwischen Lehrpersonen<br />
und Schulpflege. Da ist der Handlungsspielraum<br />
eines Schulleiters sehr eng.<br />
Wie liesse sich die Situation für Schulleiter<br />
und Lehrpersonen verbessern?<br />
Die Aufgaben der Schule sind immens<br />
geworden. Vieles wird an sie delegiert,<br />
auch von den Eltern. Manchmal fragt<br />
man sich: Gebe ich überhaupt noch<br />
Schule? Wir haben die Schüler zwar immer<br />
noch drei Jahre, doch der Abstand<br />
zwischen Primarschule und Berufswelt,<br />
den wir füllen müssen, ist grösser geworden.<br />
Die Schüler bringen weniger mit,<br />
die Lehrbetriebe verlangen mehr. Man<br />
sollte die Kompetenzen der Schulleitungen<br />
erhöhen, die Lehrer zeitlich so entlasten,<br />
dass sie sich auf das Unterrichten<br />
konzentrieren können. Und man sollte<br />
die Schulpflegen abschaffen.<br />
Die Schulpflegen abschaffen? Ist das Ihr<br />
Ernst?<br />
Ja, im Kanton St. Gallen haben einige<br />
Gemeinden diesen Schritt schon vollzogen,<br />
und die Gymnasien im Kanton Zürich<br />
haben auch keine Schulpflege. Klar<br />
braucht es eine externe Aufsicht, aber<br />
eine Einmischung der Schulpflege ins<br />
operative Geschäft ist nicht nötig. Als<br />
Primarschulpfleger von Schwerzenbach<br />
darf ich das sagen.<br />
Ende Juli übergeben Sie ihrem Nachfolger<br />
die Schlüssel zum Büro. Welche schönen<br />
Erinnerungen nehmen Sie mit?<br />
Es sind vor allem die alltäglichen Begegnungen<br />
und Gespräche. Aber auch die<br />
Klassenlager und die Abschlussreisen,<br />
die ich mit allen meinen neun Klassenzügen<br />
im Schulhaus Stägenbuck unternommen<br />
habe. Positiv in Erinnerung<br />
bleiben auch die Klassenzusammenkünfte.<br />
Dort erreichen mich Erfolgsmeldungen,<br />
die im Alltag vielleicht nicht so häufig<br />
sind. Als Schulleiter durfte ich vieles<br />
realisieren: Schulhausbibliothek, Elternmitwirkung<br />
und Vernetzung mit der Primarschule.<br />
Gerne denke ich an meine<br />
Bewerbung als Schulleiter zurück. Damals<br />
wollte mich die Lehrerschaft hier,<br />
aber auch jene im Schulhaus Grüze 5-7.<br />
Gab es auch schwierige Momente?<br />
Es waren wenige, und diese gehören<br />
wohl einfach dazu. Misserfolge von<br />
Schülern etwa oder Schicksalschläge.<br />
Zum Beispiel als ich den Schülern mitteilen<br />
musste, dass einer meiner Kollegen<br />
bei einem Autounfall ums Leben gekommen<br />
war. Nicht einfach für mich war,<br />
als ein Kollege und ich uns vor acht Jahren<br />
im Schulhaus Stägenbuck zur Wahl<br />
als «Hausvorstand Plus» stellten. Wir<br />
setzten uns eine Zweidrittels-Mehrheit<br />
zum Ziel und verfehlten dieses. Das war<br />
eine persönliche Niederlage. Inzwischen<br />
ist sie aber verdaut.<br />
Wie sehen Ihre Pläne und Wünsche für<br />
den Ruhestand aus?<br />
Konkrete Pläne habe ich nicht. Das hat<br />
damit zu tun, dass ich mich in jüngster<br />
Vergangenheit gleich mehrmals von<br />
Menschen für immer verabschieden<br />
musste, die ihren Ruhestand minutiös geplant<br />
hatten. Im August werde ich erst<br />
einmal «mein System runterfahren». Im<br />
Oktober beginne ich mit dem Sammeln<br />
von Ideen für die Zukunft. Ich bin ziemlich<br />
sicher, dass diese auch mit schulischen<br />
Themen zu tun hat. Die Schule ist<br />
und bleibt wohl meine Berufung. Ich hätte<br />
gerne noch ein Jahr angehängt, aber<br />
das war offensichtlich hier in Dübendorf<br />
nicht möglich.<br />
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