65 Jahre - IG Metall Wolfsburg
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12 | Festschrift <strong>65</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>IG</strong>M Ein Blick zurück<br />
Als noch der Bollerofen wärmte<br />
Eine Rückbesinnung auf die Anfangsjahre der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong> gibt<br />
Aufschluss über die Arbeitsbedingungen<br />
Elfriede Magiera erinnert sich<br />
Alle Bäcker wollen zu VW<br />
Die <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong> kann auf pen autonom wurden und sich<br />
eine lange Geschichte zurückblicken.<br />
Aus heutiger Sicht ist ten, wurde Elfriede Magiera der<br />
Industriegewerkschaften nann-<br />
manches von dem, was die Menschen<br />
beschäftigte, für die spä-<br />
waren dort nur vier Personen<br />
<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> zugeordnet. „Anfangs<br />
teren Generationen kaum noch angestellt. Ein Bevollmächtigter,<br />
ein Kassierer, eine Kassen-<br />
vorstellbar. Elfriede Magiera<br />
hatte als junge Frau diese Zeiten angestellte und ich als Stenotypistin.“<br />
Bald erweiterte sich ihr<br />
mit erlebt.<br />
Aufgabenbereich: Ihr wurde die<br />
Wenn sie morgens ins Büro Führung der Kasse übertragen,<br />
kam, dann musste sie sich erst und 1952 wurde sie als offizielle<br />
einmal um den kleinen Bollerofen<br />
kümmern. Kurz nach dem<br />
Kassiererin gewählt.<br />
Krieg war Brennmaterial knapp, Damals kassierte die Gewerkschaft<br />
die Beiträge noch bar. Es<br />
die junge Frau war daher gehalten,<br />
sparsam mit dem kostbaren gab 280 Kassierer, die zu den<br />
Gut umzugehen. Elfriede Magiera<br />
war eine der ersten Ange-<br />
entweder an den Arbeitsplatz<br />
Mitgliedern gingen – und zwar<br />
stellten bei der Allgemeinen oder sogar nach Hause. Elfriede<br />
Magiera rechnete die einge-<br />
Gewerkschaft.<br />
sammelten Beiträge dann mit<br />
Im Dezember 1945 kam sie nach den entsprechenden Kassierern<br />
<strong>Wolfsburg</strong>, um dort zu arbeiten. ab. „Zu der Zeit gab es in <strong>Wolfsburg</strong><br />
eine recht große Gewerk-<br />
<strong>Wolfsburg</strong> hatte damals nur eine<br />
kleine Innenstadt, ringsum gab schaftsfeindlichkeit“, berichtet<br />
sie. „Der Mitgliedsbeitrag<br />
es lediglich Baracken. „Wenn ich<br />
tanzen gehen wollte, musste ich musste ganz unauffällig kassiert<br />
werden, aus Angst, dass<br />
zuerst fünf Kilometer weit laufen“,<br />
erinnerte sie sich später. es herauskommt.“ So haben sich<br />
Nachdem die Wirtschaftsgrup-<br />
die Zeiten gewandelt.<br />
Kredit dank Ausweis<br />
Das Arbeitsamt <strong>Wolfsburg</strong><br />
klagte in seinem Strukturbericht<br />
aus dem Jahr 1957 darüber,<br />
dass es schwierig sei, das<br />
Fleischer- und Bäckergewerbe<br />
mit Arbeitskräften zu versorgen.<br />
Gleichzeitig waren bei den<br />
Lohnempfängern im Volkswagenwerk<br />
mehr als 700 gelernte<br />
Bäcker beschäftigt, ferner<br />
rund 500 Schneider, ebenso<br />
viele Schuhmacher, rund 200<br />
Friseure und über 1000 Arbeitnehmer<br />
im Lohnverhältnis, die<br />
eine bereits abgeschlossene<br />
kaufmännische Lehre vorweisen<br />
konnten.<br />
Einen äußerlich noch stärker<br />
sichtbaren Einfluss auf das<br />
städtische Leben nimmt das<br />
Werk durch seine Arbeitszeitregelung,<br />
schrieb Martin Schwonke<br />
in seiner 1967 erschienen<br />
Dokumentation „<strong>Wolfsburg</strong><br />
– soziologische Analyse einer<br />
jungen Industriestadt“. Die<br />
Mehrzahl der Werksangehörigen<br />
arbeitete im Zwei-Schicht-<br />
Betrieb. In einer Woche waren<br />
sie von morgens 5.30 bis 14<br />
Uhr beschäftigt, in der nächsten<br />
Woche von 14 bis 22.30 Uhr.<br />
Und: In den Werksferien war die<br />
Stadt wie ausgestorben.<br />
Mitte der 50er <strong>Jahre</strong> gab es Probleme, Personal fürs<br />
Bäckerhandwerk zu finden – die Bäcker arbeiteten lieber bei VW.<br />
Viele Familien von VW-Beschäftigten<br />
wollten die Segnungen<br />
des Wirtschaftswunders<br />
schneller haben, als es selbst<br />
das vergleichsweise üppige<br />
VW-Einkommen zuließ. Ende<br />
der 50er <strong>Jahre</strong> war es in und<br />
um <strong>Wolfsburg</strong> „üblich“, dass<br />
man über seinen Verhältnissen<br />
lebte und sich verschuldete. Die<br />
Ratenkäufe und in ihrem Gefolge<br />
die Lohnpfändungen erreichten<br />
1959 einen derartigen Umfang,<br />
dass sich die Werksleitung<br />
sogar genötigt sah, in einer<br />
Betriebsversammlung zum<br />
Maßhalten aufzufordern.<br />
Den Beschäftigten wurde das<br />
„Anschreiben“ leicht gemacht:<br />
Sie brauchten nur ihren Werksausweis<br />
vorzuzeigen, um bei<br />
den <strong>Wolfsburg</strong>er Kaufleuten<br />
Kredit zu erhalten.<br />
Ein „unglaublicher“ Lohn<br />
Wolfgang Schulz, der spätere 1. Unternehmen müsse sich bei<br />
Bevollmächtigte der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>, der Abrechnung vertan haben.<br />
wechselte 1962 von einem kleinen<br />
Elektrobetrieb zu Volksde<br />
– das war 1,50 Mark mehr als<br />
„Ich bekam 4,62 Mark pro Stunwagen.<br />
Als er seine erste Lohntüte<br />
aufmachte, staunte er werk verdiente.“ Zudem gab es<br />
ich zuvor als Geselle im Hand-<br />
nicht schlecht über die für ihn bei Volkswagen schon zu dieser<br />
damals unvorstellbare Menge an Zeit viele Sozialleistungen – von<br />
Geld, die er vorfand. Auch seine der Vorzugsmilch bis hin zu den<br />
Mutter glaubte zunächst, das Erholungsheimen.