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Frank Patta, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Wolfsburg

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<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

Es gilt das gesprochene Wort. Seite 1 von 9<br />

<strong>IG</strong> <strong>Metall</strong><br />

<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter<br />

<strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am<br />

07.1<strong>1.</strong>2010. Es gilt das gesprochene Wort.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

meine Damen und Herren,<br />

sehr geehrte Gäste,<br />

ich freue mich wirklich sehr, Euch/Sie alle hier im Gewerkschaftshaus<br />

begrüßen zu dürfen. Es ist schön, dass Sie und Ihr unserer Einladung<br />

gefolgt seid. Ob aus <strong>der</strong> unmittelbaren Umgebung, wie die stellvertretende<br />

Bürgermeisterin von <strong>Wolfsburg</strong> Hiltrud Jeworek, Reinhard Koch<br />

von <strong>der</strong> Arug Braunschweig und zukünftiger Leiter des Zentrums für<br />

demokratische Bildung in <strong>Wolfsburg</strong> im ehemaligen Möbelhaus Alstorf<br />

o<strong>der</strong> aus Faßberg/Celle, Anna K.-Jan<strong>der</strong> und Klaus Jordan, die den<br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen das NPD-Zentrum in Faßberg organisiert haben.<br />

Aus Braunschweig den Regionvorsitzenden des DGB- Südostnie<strong>der</strong>sachsen<br />

Michael Kleber, den Vertreter des Braunschweiger Bündnisses<br />

gegen den geplanten NPD Aufmarsch im Frühjahr 201<strong>1.</strong><br />

Aus Weimar begrüße ich ganz herzlich in unserer Mitte Heinz Koch<br />

und seine Frau Inge Koch. Heinz Koch ist Mitglied <strong>der</strong> VVN und war<br />

als Kind, heute würde man Jugendlicher sagen, in Halle Mitglied einer<br />

sogenannten Meute. Solche Gruppen gab es auch in an<strong>der</strong>en Städten<br />

(Edelweißpiraten/Köln, Swing-Jugend/Hamburg u.ä.). Sie waren nicht<br />

im klassischen Sinne politische Wi<strong>der</strong>standsgruppen, son<strong>der</strong>n Jugendopposition<br />

gegen die Nazis und insbeson<strong>der</strong>e die Zwangsgemeinschaft<br />

Hitlerjugend. Es ging um das Recht, selbst am Wochenende<br />

Fahrten zu organisieren, die Freizeit unkontrolliert zu verbringen,<br />

es ging um Mode, Musik usw. Das passte natürlich nicht in die staatlich<br />

verordnete Jugendpolitik. Drangsalierungen bis hin zur offenen


<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

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Verfolgung durch den HJ-Streifendienst und die Gestapo waren die<br />

Folge. Heinz Koch wird darüber mit den Schülern diskutieren. Auch<br />

aus Polen haben wir wie<strong>der</strong> Gäste, liebe Regina Hantz, liebe Zofia<br />

Zielezinska von <strong>der</strong> Vereinigung ehemaliger KZ Häftlinge aus Zgorcelec<br />

seid herzlich willkommen und dieses Mal haben wir auch Besuch<br />

aus Belgien…liebe Sara Frenkel – Bass seien auch Sie herzlich willkommen<br />

in <strong>Wolfsburg</strong> und in unserem Gewerkschaftshaus. Es ist uns<br />

eine Ehre aber auch eine ganz beson<strong>der</strong>e Freude Sie in unserer Mitte<br />

zu haben.<br />

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese<br />

Frauen und Männer stehen für Wi<strong>der</strong>stand von damals bis heute. Wi<strong>der</strong>stand<br />

in den unterschiedlichsten Formen. Deshalb ist das Motto<br />

<strong>der</strong> diesjährigen Antifa-Woche: „Wi<strong>der</strong>stand lohnt sich“, die wir als <strong>IG</strong><br />

<strong>Metall</strong> nun schon zum 6ten Mal in Folge ausrichten und dieses Jahr<br />

zum ersten Mal auch in Kooperation mit dem <strong>Wolfsburg</strong>er Theater<br />

veranstalten, sowie dem Hallenbad, dem italienischen Kulturinstitut<br />

und dem Delphin Kino. Nochmals vielen Dank an die Kooperationspartner<br />

dafür.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, sehr geehrte<br />

Gäste.<br />

Diese Woche ist ein „ Begriff „ für die Anti-Faschistische Arbeit in<br />

<strong>Wolfsburg</strong> und mittlerweile auch darüber hinaus geworden. Diese Woche<br />

ist aber auch aus dem Kulturkalen<strong>der</strong> nicht mehr wegzudenken.<br />

Diese Woche ist für die Schulen in unserer Umgebung ein wesentlicher<br />

Bestandteil ihres lebendigen Geschichtsunterrichts geworden.<br />

Diese Woche bietet die Chance, in eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

Vergangenheit und <strong>der</strong> Gegenwart einzutreten. In Gesprächen mit<br />

Überlebenden <strong>der</strong> Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück<br />

haben wir seit 2004 ca. 4000 Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit<br />

gegeben, Erfahrungen zu sammeln und mit Zeitzeugen zu diskutieren.<br />

Eine Woche <strong>der</strong> "lebendigen Geschichte", mit dem Ziel, durch<br />

Informationen die Verankerung <strong>der</strong> demokratischen Grundwerte in<br />

allen Teile <strong>der</strong> Bevölkerung zu för<strong>der</strong>n und zu verankern. Das Projekt<br />

"Lebendige Geschichte" richtet sich an die Öffentlichkeit und im Hinblick<br />

auf die junge Generation- vor allem an Eltern, Schulen, Auszubildene<br />

aber auch an ältere Menschen. Unser Ziel ist und war es eine<br />

Diskussion zwischen den Generationen über menschliche Moral, demokratische<br />

Werte und soziale Ethik zu forcieren, ja herzustellen. Um<br />

die Gesellschaft (die <strong>Wolfsburg</strong>er) zu immunisieren gegen die rechten


<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

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Demagogen, den Faschismus und für unsere Demokratie zu werben<br />

und zu begeistern- denn Freiheit ist eben nicht selbstverständlich.<br />

Das wissen die am besten, die die Freiheit mal verloren hatten. Wir<br />

hoffen- nein wir bauen darauf, dass diese Woche und unser Projekt<br />

dies erleichtert. Unser Projekt "Lebendige Geschichte" mit Zeitzeugengesprächen,<br />

Film, Büchern, Bildungsurlauben in Auschwitz und<br />

thematischen Ausstellungen sind Möglichkeiten und Materialien, die<br />

hervorragend für die Schulen und die Debatte geeignet sind. Hier bekommt<br />

Geschichte ein Gesicht, einen Namen, eine Persönlichkeit sie<br />

wird anfassbar. Darüber hinaus bieten wir uns an und da wie<strong>der</strong>hole<br />

ich mich gern, Projektwochen konzeptionell, inhaltlich und wenn alles<br />

gut läuft auch ein wenig finanziell zu unterstützen.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, sehr geehrte<br />

Gäste,<br />

Denn wer sich mit dieser Zeit auseinan<strong>der</strong>setzt, begreift, sie ist nicht<br />

nur Geschichte, son<strong>der</strong>n auch voller Geschichten, aus denen man lernen<br />

kann. Aus denen man lerne sollte! Zum Beispiel von Menschen,<br />

die ihr Leben riskierten, um an<strong>der</strong>en zu helfen. Nicht immer sind diese<br />

so bekannt geworden wie die Geschwister Scholl, die Flugblätter<br />

gegen Hitler und den Krieg in <strong>der</strong> Münchner Universität auslegten und<br />

dafür hingerichtet wurden. Oft waren es stille Helden,<br />

<strong>der</strong>en Namen niemand groß kennt.<br />

Als einige viele Jahre später gefragt wurden, warum sie so gehandelt<br />

hatten, sagten sie: Es war menschlicher Anstand. Je<strong>der</strong> Mensch hat<br />

Möglichkeiten, Mut zu zeigen und Wi<strong>der</strong>stand zu leisten. Beeindruckend;<br />

aber lei<strong>der</strong> nicht selbstverständlich. Darum möchte ich mich<br />

einige Minuten intensiver mit dem Wi<strong>der</strong>stand beschäftigen.<br />

Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, nach dem Ende<br />

des Nazi-Regimes haben wir Deutschen lange gebraucht, um uns <strong>der</strong><br />

eigenen Vergangenheit wirklich zu stellen. Der Satz "Wir haben nichts<br />

gewusst" gehört zu den verhängnisvollsten Lebenslügen <strong>der</strong> Deutschen<br />

nach 1945. In den Zusammenhang mit <strong>der</strong> verdrängten Schuld<br />

gehört auch <strong>der</strong> deutsche Umgang mit dem Wi<strong>der</strong>stand. Wi<strong>der</strong>stand<br />

in Deutschland war schwieriger als in den Län<strong>der</strong>n Europas, die von<br />

den Deutschen besetzt worden waren. Dort ging es nicht nur gegen<br />

ein verbrecherisches Regime, son<strong>der</strong>n auch gegen die Besatzungsmacht.<br />

Wi<strong>der</strong>stand in Deutschland richtete sich nicht nur gegen die<br />

eigene Regierung, son<strong>der</strong>n auch gegen das eigene Land, dessen Nie<strong>der</strong>lage<br />

man herbeiwünschen musste, weil Deutschlands Nie<strong>der</strong>lage<br />

die einzige Möglichkeit war, sich vom Nationalsozialismus zu befreien.


<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

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Ich möchte in diesem Zusammenhang an Willy Brandt erinnern. Willy<br />

Brandt ist als junger Sozialist aus Deutschland geflohen und hat sich<br />

in Skandinavien Wi<strong>der</strong>standsgruppen angeschlossen, um gegen den<br />

verbrecherischen Krieg zu agitieren und aktiv am Sturz <strong>der</strong> deutschen<br />

Nazi-Regierung mitzuwirken. Dafür ist er bis in die 70er Jahre immer<br />

wie<strong>der</strong> angefeindet und als Vaterlandsverräter diffamiert worden. Als<br />

Mann, <strong>der</strong> den deutschen Soldaten im Krieg in den Rücken gefallen<br />

ist. Insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> er sich mit seiner Ostpolitik um<br />

Aussöhnung mit den Län<strong>der</strong>n in Ost- und Mitteleuropa bemühte, haben<br />

ihn die konservativen Kräfte in diesem Land immer wie<strong>der</strong> auf<br />

das Übelste beschimpft. Erst mit <strong>der</strong> Verleihung des Friedensnobelpreises<br />

haben diese Angriffe so langsam abgenommen. Dabei sind<br />

diejenigen, die, wie Willy Brandt, aktiv Wi<strong>der</strong>stand leisteten, die wahren<br />

Patrioten des deutschen Volkes. Jahrzehntelang wurden vor allem<br />

die Männer des 20. Juli hervorgehoben. Ihr Handeln gilt als patriotische<br />

Tat. Den sozialistischen und kommunistischen Wi<strong>der</strong>standskämpferinnen<br />

und –kämpfern sprach man dagegen oft ehrenhafte<br />

Beweggründe ab, obwohl sie von Anfang an gegen die Nazi-Diktatur<br />

kämpften und nicht erst dann, als die Nie<strong>der</strong>lage des Deutschen Reiches<br />

sich schon abzeichnete. Sie kämpften, einsam und isoliert mit all<br />

jenen, die gegen den Strom anschwammen, die für Menschenrechte<br />

und Menschenwürde, die gegen das Morden und den Krieg kämpften<br />

und dabei ihr Leben und oft auch das ihrer Familien und Freunde<br />

auf's Spiel setzten. Wi<strong>der</strong>stand hieß:<br />

in ständiger Angst vor dem Verfolger leben, sich verstecken müssen,<br />

auf Freundschaften verzichten und immer wie<strong>der</strong> vor verschlossenen<br />

Türen stehen, in ständiger Sorge um das Leben <strong>der</strong> Nächsten– und<br />

schließlich die Gewissheit, dass am Ende die Folter und <strong>der</strong> Henker<br />

warteten.<br />

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

wir können nur ahnen, wie es in den Herzen und in den Seelen von<br />

ihnen ausgesehen hat, als sie sich zum Handeln entschlossen. Aus<br />

Briefen und Gesprächen wissen wir, dass ihr Kampf ihnen auch Gefühle<br />

des Glücks und <strong>der</strong> Freiheit geschenkt hat. Die Flugblätter des<br />

Wi<strong>der</strong>stands, waren in dieser Zeit in Deutschland die einzige Literatur,<br />

die noch etwas Menschliches mitteilte, die sich auflehnte gegen<br />

die Schande, gegen die Zerstörung des Denkens und Fühlens. Sie<br />

wussten, dass die Schwäche <strong>der</strong> Allzuvielen die Bestialität erst ermöglichte.<br />

Und doch haben Tausende ihre Ängste überwunden und<br />

den Mut zum Wi<strong>der</strong>stand gefunden. Sei es durch die Weitergabe einer


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Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

Es gilt das gesprochene Wort. Seite 5 von 9<br />

Nachricht, das Überbringen eines Zettels, die Beherbergung eines<br />

Verfolgten. Diese Demokraten gehörten zu den Schatten, die in <strong>der</strong><br />

Nacht dahin huschten, Zettel klebten, Buchstaben an Wände und<br />

Zäune malten, die den Gedanken sichtbar machten, dass man sich<br />

wehren muss gegen den Ungeist und Terror. Sie glaubten an eine<br />

bessere Zukunft und eine gerechtere Gesellschaft. Diese Menschen<br />

mit ihren Flugblättern und Sabotageakten, ihren heimlichen Zusammenkünften,<br />

ihren Hoffnungen und Planungen bezeugen, wie im äußersten<br />

Nie<strong>der</strong>gang eines Landes dennoch eine Kraft lebendig bleiben<br />

kann, die an Menschlichkeit und Würde erinnert. Wenn in Deutschland<br />

überhaupt ein eigener Demokratischer Neuanfang möglich war,<br />

dann nur, weil es jene gegeben hat, die sich <strong>der</strong> Barbarei wi<strong>der</strong>setzt<br />

haben. Sie verkörpern ein an<strong>der</strong>s Deutschland, ein Deutschland, auf<br />

das wir stolz sein können, ein Deutschland <strong>der</strong> Demokratie und <strong>der</strong><br />

Humanität.<br />

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

Was diese Menschen damals auf sich genommen haben, muss uns<br />

Ansporn und Orientierung sein. Wer sich die Gesichter <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskämpferinnen<br />

und -kämpfer anschaut, wer sich einfühlt in die<br />

Qual, aber auch die Würde <strong>der</strong> vom Tod Gezeichneten, <strong>der</strong> wird das<br />

Wort "Wi<strong>der</strong>stand" nicht leichtfertig benutzen. Er wird begreifen, dass<br />

Wi<strong>der</strong>stehen nur möglich ist, wenn man stehen kann, wenn man gelernt<br />

hat, standhaft zu sein. Der deutsche Wi<strong>der</strong>stand gibt Orientierung.<br />

Das Vermächtnis <strong>der</strong> Frauen und Männer, die ermordet wurden<br />

o<strong>der</strong> überlebt haben, verlangt von uns, aufzustehen, wo an<strong>der</strong>e diskriminiert,<br />

beschimpft o<strong>der</strong> bedroht werden. Es verlangt von uns, die<br />

Erinnerung wach zu halten, und uns gegen jedes Unrecht zu erheben,<br />

auch dort, wo es uns selbst nicht berührt. Es verlangt aber auch von<br />

uns, die Hoffnungen auf eine gerechte und menschliche Gesellschaft<br />

lebendig zu halten. Diese Demokraten mögen zu Recht Helden genannt<br />

werden. Aber sie haben gekämpft und ihr Leben dafür eingesetzt,<br />

dass unser Land nie wie<strong>der</strong> Helden braucht.<br />

Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,<br />

man hätte erwarten müssen, dass nach 1945 gerade diejenigen Menschen,<br />

die sich dem Nationalsozialismus wi<strong>der</strong>setzt haben, die vor<br />

ihm fliehen mussten, beim Aufbau <strong>der</strong> neuen Demokratie gebraucht<br />

würden. Doch we<strong>der</strong> Bundestag noch Bundesregierung haben jemals<br />

an die aus Nazi-Deutschland Vertriebenen o<strong>der</strong> Geflüchteten appelliert,<br />

in die Heimat zurückzukehren. Während <strong>der</strong> 17. Juni schon zwei<br />

Wochen nach den damaligen Geschehnissen zum "Tag <strong>der</strong> deutschen


<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

Es gilt das gesprochene Wort. Seite 6 von 9<br />

Einheit" erklärt wurde, konnte man sich in <strong>der</strong> Bundesrepublik bis<br />

heute nicht auf einen nationalen Gedenktag für jene einigen, die als<br />

Opfer <strong>der</strong> Verfolgung o<strong>der</strong> im Kampf gegen die Hitler-Diktatur gefallen<br />

sind. Die Einsamkeit und gesellschaftliche Isolation <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskämpfer<br />

dauerte nach 1945 an. Es gibt aber immer mehr jüngere<br />

Menschen, die sich dieser Frauen und Männer erinnern, die in<br />

ihnen Vorbil<strong>der</strong> sehen für Demokratie und Menschenwürde.<br />

Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren<br />

Wir wissen heute, wozu Menschen fähig sind, wenn ihnen die Menschlichkeit<br />

verloren geht. Wir brauchen mehr Gespür für Unrecht, mehr<br />

Empfindsamkeit für fremdes Leiden, mehr Empörung über Verletzungen<br />

<strong>der</strong> Menschen-würde, mehr Solidarität mit den Schwachen. Ohne<br />

Erinnerung an die Vergangenheit wird dies nicht gelingen, werden wir<br />

die Zukunft nicht bestehen. Und wir brauchen auch nicht mal mehr<br />

unser Leben einsetzen wie die Wi<strong>der</strong>standskämpfer von damals. Wir<br />

brauchen nur Mut, Anstand und Zivilcourage<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, meine Damen und Herren<br />

Neben Information und Aufklärung muss aber auch das politische Ziel<br />

sein, <strong>der</strong> Jugend Perspektiven zu öffnen. Die Demokratie hat sich darin<br />

zu bewähren, dass sie menschenwürdiges Leben ermöglicht. Arbeitslosigkeit,<br />

Armut, Not, Verzweiflung, Orientierungslosigkeit führen<br />

zum persönlichen und moralischen Nie<strong>der</strong>gang. Sie sind die Wurzeln<br />

für Unmenschlichkeit. Solidarität lässt sich nicht teilen. Sie ist eine<br />

menschliche Grundhaltung, die allen gelten muss, die auf sie angewiesen<br />

sind. Und dies gilt heute in ganz beson<strong>der</strong>em Maße für die<br />

Auslän<strong>der</strong>, die Aussiedler und Asylsuchenden. Wir erleben bei je<strong>der</strong><br />

Wahl, wie alle Haushalte mit einer Flut auslän<strong>der</strong>feindlicher Propaganda<br />

überschwemmt wurden und werden. Ich weiß, dass unter den<br />

betroffenen Auslän<strong>der</strong>n, vor allem bei den Kin<strong>der</strong>n, die Angst gewachsen<br />

ist. Hier reden Leute immer wie<strong>der</strong> über Heimat, doch Menschen,<br />

die ihre Heimat verloren haben und eine neue suchen, weisen<br />

sie die Tür. Hier rechnen uns Menschen mit Prozentzahlen vor, wie<br />

hoch die "Auslän<strong>der</strong>verträglichkeit" – welches Wort – bei uns sei. Von<br />

Einwan<strong>der</strong>ung in die Sozialsysteme ist die Rede und alle Islamisten<br />

werden als potentielle Terroristen dargestellt ganz zu schweigen von<br />

<strong>der</strong> elendigen Kopftuchdebatte. Wir Deutsche müssen uns aber immer<br />

wie<strong>der</strong> bewusst sein, dass es "Auslän<strong>der</strong>" waren, die uns von Tyrannei<br />

und Wahn <strong>der</strong> Nazis befreit haben, die uns die Demokratie ermöglicht<br />

haben.


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Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

Es gilt das gesprochene Wort. Seite 7 von 9<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, meine Damen und Herren,<br />

Fremdenfeindlich sind nicht nur Rechtsradikale. Rechtsextremismus<br />

ist mittlerweile in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft angekommen. Europaweit!<br />

Ungarn, Italien, Österreich usw. usw. Viele Menschen sind durch<br />

die rasante Entwicklung unserer Gesellschaft tief verunsichert. Sie<br />

spüren die Bedrohungen des menschlichen Lebens und fühlen sich<br />

ausgeliefert. Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit bedroht sie,<br />

weckt die Angst, das Stück Wohlstand, das gerade erworben wurde,<br />

wie<strong>der</strong> zu verlieren. Sie haben das Vertrauen in die Fähigkeit <strong>der</strong> Politik<br />

verloren, richtige Wege in die Zukunft zu finden und die Menschen<br />

mitzunehmen. Unzufriedenheit, Hilflosigkeit und Misstrauen verführen<br />

sie dazu, nach Sündenböcken zu suchen. Die Aggression richtet sich<br />

gegen die vermeintlich noch Schwächeren, in diesem Fall die Auslän<strong>der</strong>,<br />

und auch die Armen mit <strong>der</strong> Illusion, ohne die ginge es besser.<br />

Nur Aufklärung und Information, die durch persönliche Erfahrungen<br />

gefestigt wird, kann helfen, Ängste. Vorurteile abzubauen. Die Auslän<strong>der</strong><br />

sind längst ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft geworden.<br />

Sie haben sich in ihr eingerichtet. Sie wollen bei uns bleiben.<br />

Und sind natürlich auch willkommen.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, meine Damen und Herren,<br />

Die Auslän<strong>der</strong>, die Armen und die Min<strong>der</strong>heiten sind uns eben nicht<br />

gleichgültig. Denn Gleichgültigkeit tötet menschliche Regungen. Denn<br />

Gleichgültigkeit macht Barbarei erst möglich. Wenn wir uns angesichts<br />

<strong>der</strong> heutigen Gefährdungen so gleichgültig und passiv verhalten,<br />

wie sich viele in <strong>der</strong> Nazi-Zeit verhalten haben, wird unsere Demokratie<br />

unser friedliches Zusammenleben nicht überleben. Wir müssen<br />

uns hüten vor Beschwichtigung, vor dem Nicht-zur-Kenntnisnehmen-wollen.<br />

Vor dem Nichthinsehen. Schuldig werden durch<br />

Nicht-Tun gibt es auch heute. Wir alle sind aufgefor<strong>der</strong>t, verantwortlich<br />

zu handeln.<br />

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

Gleichgültigkeit o<strong>der</strong> Verantwortung – diese Grundthemen menschlichen<br />

Verhaltens werden letztlich darüber entscheiden, ob unsere Demokratie<br />

lebendig bleibt, ob ein friedliches Zusammenleben garantiert<br />

werden kann, ob wir eine Zukunft haben o<strong>der</strong> nicht. Gleichgültigkeit<br />

hat vor sechzig Jahren die Weimarer Republik zerstört. Denn<br />

Weimar ist nicht gescheitert an zu vielen Radikalen, son<strong>der</strong>n an zu


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Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

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wenig Demokraten. Und diese Gleichgültigkeit kann auch heute Demokratie<br />

und Rechtsstaat gefährden. Was wir tun können und tun<br />

müssen, ist, unsere Wahrnehmung und Empfindsamkeit zu schärfen.<br />

Hans Jonas hat einmal gesagt: "Sieh hin, und Du weißt!" Aus dem<br />

Hinsehen kommt Wissen, und aus dem Wissen kommt Gewissen.<br />

Vor fünfzig Jahren wurden die Geschwister Hans und Sophie Scholl<br />

und an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> studentischen Wi<strong>der</strong>stand-gruppe "Weiße<br />

Rose" hingerichtet. Sie hatten seit dem Sommer 1942 in Flugblättern<br />

zum Wi<strong>der</strong>stand gegen das nationalsozialistische Regime aufgerufen.<br />

In ihrem vorletzten Flugblatt, kurz vor Verhaftung und Tod, appellierten<br />

sie an die Mitbürgerinnen und Mitbürger: "Zerreißt den Mantel <strong>der</strong><br />

Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet Euch,<br />

eh' es zu spät ist."<br />

Dieser Appell ist ein Zeugnis gelebter Menschlichkeit. Wir können<br />

dem Tod dieser Frauen und Männer nur dann einen Sinn geben, wenn<br />

wir ihre Worte an uns gerichtet annehmen: "Zerreißt den Mantel <strong>der</strong><br />

Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt habt. Entscheidet Euch,<br />

eh' es zu spät ist."<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, meine Damen und Herren,<br />

wir haben uns entschieden als Gewerkschaften als Bürgerinnen und<br />

Bürger nicht die Fehler <strong>der</strong> Vergangenheit zu wie<strong>der</strong>holen. Ob 1914<br />

o<strong>der</strong> 1933!<br />

Die wichtigste Lehre, die wir aus unserer Geschichte ziehen müssen,<br />

ist die Erkenntnis, dass eine demokratische Verfassung und demokratische<br />

Institution allein nicht ausreichen, in Krisenzeiten die Demokratie<br />

zu bewahren. Die Demokratie braucht Demokraten. Sie muss von<br />

den Bürgerinnen und Bürgern gewollt und gelebt werden. Und sie<br />

muss von uns den Bürgerinnen und Bürgern geschützt werden und<br />

das wird sie, jeden Tag aufs neue….<br />

Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,<br />

Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt sind aus Deutschland<br />

nicht verschwunden. Aber fast überall, wo sich rechtsextreme Parteien<br />

und Neonazis breit machen wollen, regen sich Protest und Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Häufig mit Erfolg, wie das <strong>Wolfsburg</strong>er Engagement gegen das<br />

geplante „KdF-Museum“ unweit unseres Gewerkschaftshauses gezeigt<br />

hat. Der „Schulterschluss <strong>der</strong> Demokraten“ war nicht nur notwendig,<br />

er war auch wirkungsvoll.


<strong>Frank</strong> <strong>Patta</strong>, <strong>1.</strong> Bevollmächtigter <strong>der</strong> <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong> <strong>Wolfsburg</strong><br />

Rede zur Eröffnung <strong>der</strong> Antifa-Woche am 07.1<strong>1.</strong>2010.<br />

Es gilt das gesprochene Wort. Seite 9 von 9<br />

In an<strong>der</strong>en Regionen Deutschlands gab es in den vergangenen zwanzig<br />

Jahren vergleichbare Aktivitäten. Bürger zeigten Zivilcourage und<br />

stellten sich den Neonazis entgegen. Wunsiedel, Gräfenberg, Faßberg,<br />

Dresden o<strong>der</strong> eben <strong>Wolfsburg</strong> – überall haben engagierte Bürgerinnen<br />

und Bürger bewiesen:<br />

„Wi<strong>der</strong>stand lohnt sich!“.<br />

Ganz in diesem Sinne will unsere Antifa-Woche Mut machen, sich einzumischen.<br />

"Statt Gleichgültigkeit– Mut zur Verantwortung!"– Das<br />

sollte unsere Losung sein! Auch wenn das Wi<strong>der</strong>stand bedeutet<br />

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit

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