2003/2 IFF Forum für Steuerrecht - IFF - Universität St.Gallen
2003/2 IFF Forum für Steuerrecht - IFF - Universität St.Gallen
2003/2 IFF Forum für Steuerrecht - IFF - Universität St.Gallen
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<strong>IFF</strong> Institut für Finanzwirtschaft<br />
und Finanzrecht<br />
<strong>IFF</strong><br />
<strong>Forum</strong> für<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
Aus dem Inhalt<br />
Dr. Markus Weidmann<br />
Dr. Peter Baumgartner<br />
Daniel de Vries Reilingh,<br />
av., LL.M.<br />
Prof. Dr. Robert Waldburger<br />
Dr. Kurt Arnold<br />
Lic. oec. Kurt <strong>St</strong>alder/<br />
Dr. Ulrich Cavelti<br />
Lic. iur. Rainer Zigerlig/<br />
Lic. iur. Agostino Cozzio/<br />
Eric Hess, Fürsprecher<br />
Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU<br />
auf die Schweiz<br />
Répartitions intercantonales en cas de modification de l’assujettissement en<br />
cours de période fiscale: survol critique de la circulaire n o 17<br />
Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
Toni Hess, Die Besteuerung der Anlagefonds und der anlagefondsähnlichen<br />
Instrumente sowie deren Anteilsinhaber in der Schweiz<br />
Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2<br />
<strong>2003</strong>/2
Impressum<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
Publikation des Instituts für Finanzwirtschaft und Finanzrecht an der<br />
Universität <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong> (<strong>IFF</strong>-HSG)<br />
Herausgeber und Verlag<br />
Institut für Finanzwirtschaft und Finanzrecht an der Universität<br />
<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>, Varnbüelstrasse 19, CH-9000 <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong><br />
Telefon: +41 (0)71 224 25 20<br />
Telefax: +41 (0)71 224 26 70<br />
E-Mail: fstr-iff@unisg.ch<br />
Internet-Website: www.iff.unisg.ch<br />
Redaktion<br />
Leitung: Dr. rer. publ. Ruedi Baumann<br />
<strong>St</strong>ellvertreter: Prof. Dr. oec. et lic. iur. Klaus A. Vallender<br />
Unternehmensteuer: Prof. Dr. oec. Peter Athanas<br />
Einkommensteuer: Dr. iur. Thomas Meister, LL. M. (Tax)<br />
Umsatzsteuer und Verkehrsteuern: Dr. oec. publ. Ivo P. Baumgartner<br />
Internationales <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>: Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger<br />
und Dr. rer. publ. Ruedi Baumann<br />
<strong>St</strong>euerstrafrecht: Alfred Meier, Fürsprecher<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s-System: Prof. Dr. oec. et lic. iur. Klaus A. Vallender<br />
Rechtsprechungs-Überblick: Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger<br />
Gesetzgebungs-Agenda: Lic. iur. Rainer Zigerlig<br />
Erscheinungsweise<br />
Pro Jahr erscheinen vier Hefte; Erscheinungsdaten sind jeweils der<br />
15.2., 15.5., 15.8. und 15.11.<br />
Bezugspreis<br />
Jahres-Abonnement: CHF 390.– (<strong>St</strong>udenten: 50 % Rabatt für Neu-Abonnemente),<br />
Mehrfach-Abonnemente: Auskunft beim Verlag, Einzelhefte:<br />
CHF 97.50. In diesen Preisen sind der Jahresordner sowie die Mehrwertsteuer<br />
enthalten. Es werden die effektiven Versandkosten verrechnet.<br />
Die Rechnungsstellung erfolgt jeweils am Jahresanfang.<br />
Bestellungen<br />
Beim Verlag<br />
Abbestellungen<br />
Schriftlich beim Verlag bis spätestens sechs Wochen vor Jahresende<br />
Manuskripte und Rezensions-Exemplare<br />
Bitte an den Verlag<br />
Urheber- und Verlagsrechte<br />
Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und<br />
Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede vom Urheberrechtsgesetz<br />
nicht ausdrücklich zugelassene Verwertung bedarf vorheriger<br />
schriftlicher Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung,<br />
Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung und Einspeicherung,<br />
Verarbeitung bzw. Wiedergabe in Datenbanken oder anderen<br />
elektronischen Medien und Systemen. Fotokopien dürfen nur als Einzelkopien<br />
für den persönlichen Gebrauch hergestellt werden.<br />
Konzept und Gestaltung<br />
Designalltag Zürich, Ruedi Rüegg, Zürich<br />
Druck<br />
Cavelti AG, Druck und Media, CH-9201 Gossau<br />
Internet-Auftritt<br />
Die Zeitschrift verfügt über eine eigene Abteilung im Website des <strong>IFF</strong><br />
Abkürzungsvorschlag<br />
F<strong>St</strong>R<br />
ISSN 1424-9855<br />
Fortsetzung letzte Innenseite<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
<strong>IFF</strong> Institut für Finanzwirtschaft<br />
und Finanzrecht<br />
<strong>IFF</strong><br />
<strong>Forum</strong> für<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
<strong>2003</strong>/2
82<br />
Inhalt<br />
Dr. Markus Weidmann<br />
Dr. Peter Baumgartner<br />
Artikel<br />
Realisation und Zurechnung des Einkommens 83<br />
Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen<br />
von OECD und EU auf die Schweiz 109<br />
Daniel de Vries Reilingh,<br />
av., LL.M.<br />
Prof. Dr. Robert Waldburger<br />
Praxis-<strong>Forum</strong><br />
Répartitions intercantonales en cas de modification de l’assujettissement<br />
en cours de période fiscale: survol critique de la circulaire n o 17 123<br />
Zur Remittance Clause im DBA-UK 136<br />
Dr. Kurt Arnold<br />
Literatur-<strong>Forum</strong><br />
Toni Hess, Die Besteuerung der Anlagefonds und der<br />
anlagefondsähnlichen Instrumente sowie deren Anteilsinhaber<br />
in der Schweiz 144<br />
Lic. oec. Kurt <strong>St</strong>alder/<br />
Dr. Ulrich Cavelti<br />
Lic. iur. Rainer Zigerlig/<br />
Lic. iur. Agostino Cozzio/<br />
Eric Hess, Fürsprecher<br />
Gesetzgebungs-<strong>Forum</strong><br />
Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung 149<br />
Gesetzgebungs-Agenda<br />
Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2 156<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
83<br />
Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Dr. iur. Markus Weidmann<br />
Dr. iur. Markus Weidmann,<br />
Rechtsanwalt und<br />
dipl. <strong>St</strong>euerexperte,<br />
Homburger, Zürich<br />
Inhalt<br />
1 Einleitung<br />
2 Sachlicher Umfang des Einkommens<br />
2.1 Begriff des Einkommens aus wirtschaftlicher Sicht<br />
2.2 Der steuerrechtliche Einkommensbegriff<br />
2.2.1 Rechtsprechung<br />
2.2.2 Markteinkommenstheorie<br />
2.2.3 Zuflusstheorie<br />
2.2.4 Folgerungen<br />
2.3 Sondertatbestände<br />
2.3.1 <strong>St</strong>euerliche Unbeachtlichkeit der privaten<br />
Kapitalgewinne und -verluste<br />
2.3.2 Ausnahmen zur Unbeachtlichkeit der privaten<br />
Kapitalgewinne und -verluste<br />
2.3.2.1 Gewinne aus der Veräusserung von Grundstücken<br />
2.3.2.2 Einkünfte aus Obligationen mit überwiegender<br />
Einmalverzinsung<br />
2.3.3 Beteiligungsertrag<br />
2.3.3.1 Objektbezogene Betrachtungsweise als Grundsatz<br />
2.3.3.2 Bemessung des <strong>St</strong>euerobjektes<br />
2.3.3.3 Primäre Konsequenzen der gesetzlichen Regelung<br />
2.3.3.4 Sekundäre Konsequenzen der gesetzlichen Regelung:<br />
Transponierung und indirekte Teilliquidation<br />
2.3.4 Marchzinsen<br />
2.4 Gesetzlicher Verzicht auf Realisation des<br />
Einkommens<br />
2.4.1 Eigenmietwert der selbstbewohnten Liegenschaft<br />
2.4.2 Tatbestände steuersystematischer Realisation<br />
2.4.3 Aufwertungsgewinne<br />
2.4.4 Eigenleistungen im Geschäft<br />
2.5 <strong>St</strong>euerneutrale Vorgänge<br />
2.5.1 Privatvermögen<br />
2.5.2 Geschäftsvermögen<br />
3 Zeitliche Zurechnung<br />
3.1 Erwerb der wirtschaftlichen Verfügungsmacht<br />
3.3 Die kaufmännische Gewinnermittlung<br />
3.4 Realisation von Einkünften im Bereich des<br />
Privatvermögens<br />
3.4.1 Realisation einer Einkunft<br />
3.4.1.1 Erwerb einer sicheren Forderung<br />
3.4.1.2 Keine Rückgabepflicht<br />
3.4.1.3 Keine besondere Unsicherheit der Erfüllung<br />
3.4.2 Risiken von Schadenersatz- und anderen<br />
Verpflichtungen<br />
4 Persönliche Zurechnung<br />
4.1 Inhaber der wirtschaftlichen Verfügungsmacht<br />
4.2 Zurechnung und Aussonderung<br />
4.2.1 Gesetzestechnik der abweichenden Zurechnung<br />
4.2.2 Auswirkungen<br />
4.2.3 Einzelfälle<br />
4.2.3.1 Einkommen von Kindern unter elterlicher Sorge<br />
4.2.3.2 Erbengemeinschaften bei ungewisser Erbfolge<br />
4.2.3.3 Ausländische Personengesellschaften und andere<br />
ausländische Personengesamtheiten ohne juristische<br />
Persönlichkeit<br />
4.2.3.4 Anlagefonds mit direktem Grundbesitz<br />
4.3 Objektorientierte Besteuerung<br />
4.4 Übertragung latenter <strong>St</strong>euern durch steuerneutrale<br />
Vorgänge<br />
5 Bewertung<br />
5.1 Grundsatz<br />
5.2 Ausnahme bei Eigenmietwert<br />
6 Schlussbetrachtung<br />
Literatur<br />
3.2 Umschreibungen in Literatur und Judikatur<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
84 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
1 Einleitung<br />
Verschiedene Fragen aus dem Bereich der Einkommenssteuer<br />
sind erneut auf verstärktes Interesse gestossen.<br />
Auf politischer Ebene ist die Besteuerung des Eigenmietwertes<br />
schon vor längerer Zeit in Bewegung geraten<br />
und hat auch eine Diskussion ihrer rechtlichen Natur<br />
veranlasst. Nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in<br />
der Öffentlichkeit haben Gerichtsentscheide über die<br />
Besteuerung der Opfer von Anlagebetrügern Beachtung<br />
gefunden. All dies sind Gründe, auf die Grundlagen der<br />
Einkommensbesteuerung zurückzukommen und sie zu<br />
überdenken.<br />
Das gesetzliche Konzept einer für bestimmte Zeitabschnitte<br />
geschuldeten <strong>St</strong>euer auf dem Einkommen eines<br />
einzelnen <strong>St</strong>euerpflichtigen erfordert, das Objekt der<br />
Einkommenssteuer nach folgenden Richtungen hin zu<br />
untersuchen:<br />
1. Sachlicher Umfang: Was gilt als Einkommen für<br />
<strong>St</strong>euerzwecke?<br />
2. Zeitliche Zurechnung: Wann ist dieses Einkommen<br />
steuerlich zu erfassen?<br />
3. Persönliche Zurechnung: Wer ist an diesem Einkommen<br />
berechtigt? Daran schliesst sich die Frage an, ob<br />
der am Einkommen Berechtigte dieses auch in jedem<br />
Fall selbst zu versteuern hat.<br />
4. Bewertung: Welcher Wert ist diesem Einkommen<br />
steuerlich zuzumessen?<br />
2 Sachlicher Umfang des Einkommens<br />
2.1 Begriff des Einkommens aus wirtschaftlicher<br />
Sicht<br />
Die Finanzwissenschaft hat mit einer Reihe von theoretischen<br />
Ansätzen versucht, den Begriff des Einkommens<br />
zu definieren. Die vorliegende Betrachtung muss sich<br />
auf die Theorie des Einkommens als Reinvermögenszugang<br />
beschränken, welche das <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> grund legend<br />
beeinflusst hat 1 . Dieser finanzwissenschaftliche Einkommensbegriff<br />
ist vor allem von Georg Schanz, Robert<br />
M. Haig und Henry C. Simons entwickelt worden 2 . Einkommen<br />
im finanzwissenschaftlichen Sinne ist gemäss<br />
Schanz 3 «Reinvermögenszugang während eines bestimmten<br />
Zeitabschnittes inkl. der Nutzungen und geldwerten<br />
Leistungen Dritter». Diese – sehr abstrakt gehaltene<br />
– Definition erläutert Schanz kasuistisch wie folgt 4 :<br />
«Wir nehmen also zum Einkommen alle Reinerträge<br />
und Nutzungen, geldwerte Leistungen Dritter, alle<br />
Geschenke, Erbschaften, Legate, Lotteriegewinne,<br />
Versicherungskapitalien, Versicherungsrenten, Kon -<br />
junkturengewinne jeder Art, wir rechnen ab alle<br />
Schuldzinsen und Vermögensverluste. Was erübrigt,<br />
steht neu zur Disposition des Empfängers, gehört<br />
nicht zu dem bereits vorhandenen <strong>St</strong>ammvermögen,<br />
tritt erst zu dem bisherigen Vermögen – das natürlich<br />
auch fast Null sein kann – hinzu.»<br />
Haig hat festgehalten, dass nur geldwerte Güter und<br />
Dienstleistungen einkommensrelevant sind (im Gegensatz<br />
etwa zu Vergnügen, Wohlbefinden etc.) 5 . Auf den<br />
Arbeiten von Schanz und Haig aufbauend, hat Simons<br />
den finanzwissenschaftlichen Begriff des Einkommens<br />
wie folgt umschrieben 6 :<br />
«Its calculation [des Einkommens] implies estimate<br />
(a) of the amount by which the value of a person’s<br />
store of property rights would have increased, as be -<br />
tween the beginning and end of the period, if he had<br />
consumed (destroyed) nothing, or (b) of the value of<br />
rights which he might have exercised in consump -<br />
tion without altering the value of his store of rights.<br />
(…) Personal income may be defined as the algebraic<br />
sum of (1) the market value of rights exercised<br />
in consumption and (2) the change in the value of the<br />
store of property rights between the beginning and<br />
end of the period in question.»<br />
Das Einkommen aus finanzwissenschaftlicher Sicht ist<br />
demnach die Summe der in der fraglichen Periode konsumierten<br />
Rechte und der Wertänderung des Vermögensstandes<br />
zwischen Anfang und Ende der Periode. Als Einkommen<br />
gelten zunächst sämtliche Einkünfte, die eine<br />
Person am Markt erzielt, wie namentlich Arbeitslohn,<br />
Mieteinnahmen oder Zinsen. Ob die betreffende Person<br />
diese Einkünfte in Geld oder als Naturalleistungen vereinnahmt,<br />
spielt keine Rolle 7 .<br />
1 Die Quellentheorie wird deshalb nicht näher behandelt. Diese<br />
Theorie stellt auf die Regelmässigkeit des Zuflusses an ökonomischen<br />
Werten aus einer bestimmten, dauernden Erwerbsquelle<br />
ab (Arbeit, Kapital, Unternehmen) und war für<br />
das englische und das preussische Einkommenssteuerrecht<br />
von Bedeutung (ANDEL, Finanzwissenschaft, S. 315; BLUMEN-<br />
STEIN/LOCHER, S. 170 f.; BRÜMMERHOFF, S. 292). Die Quel len -<br />
theorie ist überholt und lässt sich mit dem geltenden Recht<br />
nicht vereinbaren, sieht doch Art. 7 Abs. 1 <strong>St</strong>HG vor, dass insbesondere<br />
auch die einmaligen Einkünfte steuerbar sind<br />
(s. auch OBERSON, § 7 N. 3).<br />
2 ANDEL, S. 335; DERS. S.315; BRÜMMERHOFF, S. 292; ROSEN, S. 339.<br />
3 SCHANZ, S. 5.<br />
4 SCHANZ, S. 24.<br />
5 HAIG, S.54ff., insb. S. 58.<br />
6 SIMONS, S.49f.; s. auch BRÜMMERHOFF, S. 292; ROSEN, S. 339.<br />
7 ANDEL, Einkommensteuer, S. 337 ff.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
85<br />
Die finanzwissenschaftliche Theorie trifft aber auch<br />
keine Unterscheidung danach, ob eine Einkunft durch<br />
Teilnahme am Wirtschaftsverkehr («am Markt») erzielt<br />
worden ist oder nicht. Jegliche geldwerten Zuflüsse sind<br />
einkommenswirksam. Für das Verständnis des theoretischen<br />
Konzeptes des finanzwissenschaftlichen Einkommensbegriffes<br />
sind deshalb die so genannten hinzu -<br />
gerechneten Einkünfte (imputed income) und die Behandlung<br />
der Wertveränderungen von Vermögenswerten<br />
von zentraler Bedeutung. Bei den hinzugerechneten Einkünften<br />
handelt es sich einerseits um die Werte, welche<br />
die betreffende Person durch eigene Arbeit für sich<br />
selbst schafft, und andererseits um die wirtschaftlichen<br />
Vorteile, die sie sich durch Nutzung von ihr gehörenden<br />
Sachen verschafft.<br />
Hätte eine Person die fraglichen, von ihr selbst und für<br />
sich selbst ausgeführten Dienstleistungen einem Dritten<br />
erbracht, hätte sie hierfür ein Entgelt gefordert und erhalten.<br />
Umgekehrt hätte sie für solche Dienstleistungen<br />
bezahlen müssen, wenn sie sie von einem Dritten bezogen<br />
hätte. Eigenleistungen haben demnach einen Geldwert<br />
und bilden beim betreffenden Individuum unter<br />
wirtschaftlichen Gesichtspunkten Einkommen. Als Beispiele<br />
für Eigenleistungen werden in der Literatur der<br />
Friseur genannt, der die Haare seiner Kinder schneidet,<br />
der Freizeitgärtner, der seinen Garten selbst besorgt, und<br />
immer auch die Hausfrau, die sich um die Kinder und<br />
den Haushalt kümmert 8 .<br />
Weitere zugerechnete Einkünfte bilden, wie ausgeführt,<br />
nach dem finanzwissenschaftlichen Verständnis der Eigengebrauch<br />
von Sachen 9 . Wenn eine Person ihr gehörende<br />
Sachen selbst nutzt, erzielt sie Einkünfte in der<br />
Höhe des Markt-Mietpreises der betreffenden Güter.<br />
Solche Sachen sind nicht nur das Wohneigentum, sondern<br />
grundsätzlich alle nutzbaren Gegenstände, beispielsweise<br />
Möbel oder gar Bücher, denn die betreffende<br />
Person hätte ihr Bett oder ihren Diwan und ihre Bücher<br />
an andere für Geld vermieten können oder hätte diese<br />
umgekehrt vom Möbelhändler bzw. in der Leihbibliothek<br />
mieten müssen 10 . Die offenkundigen praktischen<br />
Probleme bei der Umsetzung eines solchen Konzepts 11<br />
haben innerhalb der Finanzwissenschaft zu Vorschlägen<br />
geführt, wonach nur dauerhafte Gebrauchsgüter relevant<br />
sein sollen 12 oder dass ein pauschaler Betrag an zugerechneten<br />
Einkünften anzusetzen sei 13 .<br />
Einkommenswirksam sind sodann sämtliche Wertveränderungen<br />
von Vermögensgegenständen aller Art. Wertverluste,<br />
beispielsweise infolge Abnutzung von Sachgütern<br />
(deren Gebrauch ja einkommenswirksam ist), oder<br />
Verschlechterung der Bonität eines Schuldners, wodurch<br />
sich der Wert der Forderung verringert, mindern das Einkommen.<br />
Die betreffende Person verliert damit auch<br />
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, weil ihr Vermögensstand<br />
abgenommen hat. Umgekehrt stellen Wertsteigerungen<br />
Einkommen dar, weil sie den Vermögensstand<br />
der betreffenden Person erhöhen. Ohne im Einzelnen auf<br />
die in der Finanzwissenschaft geführten Diskussionen<br />
einzugehen, kann festgehalten werden, dass bereits nicht<br />
realisierte Wertsteigerungen einkommenswirksam sind,<br />
weil schon der blosse Wertzuwachs die Dispositionsfähigkeit<br />
über Güter und Dienstleistungen erhöht. Namentlich<br />
können auch nicht realisierte Wertsteigerungen<br />
durch Schuldaufnahme bzw. Verpfändung mindestens<br />
zum Teil verzehrt werden, ohne dass das bisherige Vermögen<br />
angetastet würde 14 . Aus praktischer Sicht wird<br />
konzediert, dass die Wertsteigerungen erst bei ihrer Realisation<br />
steuerlich zu erfassen sind 15 .<br />
Aus der Sicht des <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>es sind vor allem die folgenden<br />
Punkte des finanzwissenschaftlichen Konzeptes<br />
hervorzuheben:<br />
– Die Dienstleistungen, die eine Person sich selbst<br />
erbringt, sind als Einkommen einzusetzen. Die praktischen<br />
Probleme der Durchsetzung sind offenkundig.<br />
– Die Eigennutzung von Sachgütern ist einkommenswirksam;<br />
diese Feststellung gilt nicht nur für Wohneigentum,<br />
sondern für sämtliche nutzbaren Güter.<br />
Für die konkrete Umsetzung bestehen finanzwissenschaftliche<br />
Vorschläge, die Besteuerung der Eigennutzung<br />
einzugrenzen.<br />
– Wertveränderungen von Vermögensgegenständen<br />
sind ebenfalls einkommenswirksam. Dies gilt sowohl<br />
für Wertsteigerungen als auch für Wertver -<br />
luste. Auf die Realisation der Gewinne oder Verluste<br />
kommt es grundsätzlich nicht an. Für die praktische<br />
Durchführung wird die Besteuerung im Zeitpunkt<br />
der Realisation vorgeschlagen.<br />
8 ANDEL, Einkommensteuer, S. 340; ROSEN, S. 341; ZIMMERMANN/<br />
HENKE, S. 113.<br />
9 ANDEL, Einkommensteuer, S. 340 f.; ROSEN, S. 340; ZIMMER-<br />
MANN/HENKE, S. 113.<br />
10 KLEINWÄCHTER, S.10.<br />
11 ROSEN, S. 341.<br />
12 Vgl. MARSH, S. 520 f.<br />
13 SIMONS, S. 121.<br />
14 ANDEL, Einkommensteuer, S. 346; HAIG, S.61f.; ROSEN, S. 340;<br />
SCHANZ, S. 29, 42; für weitere Hinweise s. WEIDMANN, S. 22.<br />
15 SCHANZ, S. 44; SIMONS, S. 165 ff.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
86 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
2.2 Der steuerrechtliche Einkommensbegriff<br />
2.2.1 Rechtsprechung<br />
Das Bundesgericht umschreibt den steuerlichen Begriff<br />
des Einkommens als die Gesamtheit derjenigen Wirtschaftsgüter,<br />
welche einem Individuum während eines<br />
bestimmten Zeitabschnittes zufliessen und die es ohne<br />
Schmälerung seines Vermögens zur Befriedigung seiner<br />
persönlichen Bedürfnisse und für seine laufende Wirtschaft<br />
verwenden kann 16 . Diese Rechtsprechung lässt<br />
sich weit zurückverfolgen 17 und stimmt mit der von Blumenstein<br />
geprägten Formulierung überein, wonach unter<br />
Einkommen die Summe an solchen Gütern zu verstehen<br />
ist, die einem <strong>St</strong>euersubjekt zur Befriedigung seiner<br />
Bedürfnisse und für die Zwecke seiner laufenden Wirtschaft<br />
während einer bestimmten Periode ohne Schmälerung<br />
seines Vermögens zur Verfügung stehen 18 . Die Definition<br />
von Blumenstein geht auf Schanz zurück 19 . Das<br />
Bundesgericht steht demnach grundsätzlich auf dem Boden<br />
der Reinvermögenszugangstheorie 20 und erblickt in<br />
Art. 16 Abs. 1 DBG, entgegen der Auslegung dieser Bestimmung<br />
durch Ernst Höhn und Robert Waldburger 21 ,<br />
eine einkommenssteuerliche Generalklausel 22 . Indessen<br />
ist zugleich klar, dass die Einkommenssteuer keineswegs<br />
durchgängig dem theoretischen finanzwissenschaftlichen<br />
Konzept der Reinvermögenszugangstheorie<br />
folgt. Dies hat das Bundesgericht in verschiedenen<br />
Zusammenhängen zum Ausdruck gebracht:<br />
Entschädigungen für die Beeinträchtigung in der Hausarbeit<br />
sind nicht steuerbar. Das Bundesgericht hat ausgeführt,<br />
dass die Arbeiten, welche der den Haushalt führen-<br />
de Ehegatte verrichtet, «steuerlich nicht erfassbare Eigenleistungen<br />
des Paares» darstellen 23 . Das Zürcher Verwaltungsgericht<br />
hat diese Rechtsprechung unter dem<br />
harmonisierten kantonalen Recht bestätigt 24 . Die laufend<br />
in der eigenen Vermögenssphäre des <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
verbrauchten Eigenleistungen werden somit steuerlich –<br />
entgegen der finanzwissenschaftlichen Reinvermögenszugangstheorie<br />
– nicht erfasst 25 . Anders ist die Rechts -<br />
lage teilweise nach kantonaler Praxis hingegen dann,<br />
wenn Eigenleistungen an einer Liegenschaft erbracht<br />
worden sind und zu einer Wertsteigerung geführt haben.<br />
Diesfalls können die Eigenleistungen bei der Veräusserung<br />
der Liegenschaft auf Grund der Einkommensgeneralklausel<br />
besteuert werden 26 .<br />
Die Eigennutzung von Sachen wird grundsätzlich nicht<br />
besteuert 27 . Dies mag vor dem Hintergrund der finanz -<br />
wissenschaftlichen Reinvermögenszugangstheorie über -<br />
raschen. Aber in der Tat haben die Nutzung von Automobilen,<br />
der Wohnungseinrichtung usw., soweit ersichtlich,<br />
noch nie Anlass zur Besteuerung entsprechender Einkünfte<br />
gegeben 28 . Die einzige Ausnahme hierzu bildet die<br />
steuerliche Erfassung der Selbstnutzung von Wohneigentum<br />
durch den so genannten Eigenmietwert.<br />
Schliesslich ist die steuerliche Erfassung der Wertveränderungen<br />
von Vermögensteilen zu nennen. Soweit hier<br />
eine Besteuerung in Betracht fällt, sei es im Rahmen der<br />
allgemeinen Einkommenssteuer oder durch die Grundstückgewinnsteuer,<br />
erfolgt sie nicht im Zeitpunkt der<br />
Wertveränderung, sondern bei der Veräusserung des entsprechenden<br />
Gegenstandes.<br />
16 BGE 125 II 113 = ASA 67 (1998/99), S. 644; BGE 117 Ib 1 = ASA<br />
60 (1991/92), S. 352; BGE 114 Ia 221 = ASA 60 (1991/92), S. 71;<br />
BGE 108 Ib 229 = ASA 51 (1982/83), S. 635; BGE 73 I 135.<br />
17 BGE 52 I 214; vgl. auch bereits BGE 45 I 7, 37 I 478 f.<br />
18 BLUMENSTEIN/LOCHER, S. 170.<br />
19 S. dazu die Hinweise bei WEIDMANN, S.59f.<br />
20 BGE 125 II 113 = ASA 67 (1998/99), S. 644; BGE 114 Ia 221 =<br />
ASA 60 (1991/92), S. 71; s. auch die Hinweise bei BÖHI, S. 47.<br />
21 HÖHN/WALDBURGER, § 14 N. 13; HÖHN/WALDBURGER machen zu<br />
Recht auf die gesetzliche Inkonsequenz aufmerksam, dass<br />
das DBG keine Generalklausel für Gewinnungskosten enthält.<br />
Die Regelung der Gewinnungskosten in Art.25ff. DBG<br />
darf deshalb nicht als abschliessend angesehen werden<br />
(REICH, Art. 25 DBG N. 12 f.; vgl. auch die Praxis zum früheren<br />
Zürcher <strong>St</strong>euergesetz, bei Vorliegen von Gewinnen aus Spiel<br />
und Wette, die von der einkommenssteuerlichen Generalklausel<br />
erfasst werden, die Spieleinsätze und Verluste zur<br />
Verrechnung zuzulassen; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER und<br />
ZUPPINGER/SCHÄRRER/FESSLER/REICH, § 19 Ingress N. 14).<br />
22 BGE 125 II 113 = ASA 67 (1998/99), S. 644.<br />
23 BGE 117 Ib 3 f. = ASA 60 (1991/92), S. 354 f.; BGE 110 Ia 23. Dazu<br />
BÖCKLI, Schatteneinkommen, S. 105; REICH, Ehegattenbesteuerung,<br />
S. 248; LOCHER, Art. 23 N. 29.<br />
24 VGr ZH, 3.7.2002, <strong>St</strong>E 2002 B 26.44 Nr. 8 = <strong>St</strong>R 57 (2002), S. 855<br />
= Z<strong>St</strong>P 2002, S. 297; vgl. auch den Entscheid der Vorinstanz<br />
(RK I ZH, 23.8.2001, Z<strong>St</strong>P 2002, S. 22) und die Bemerkungen<br />
von RUFENER (Urteil vom 3. Juli 2002, S. 859 ff. m.w.H.).<br />
25 LOCHER, Art. 16 N. 51; REICH, Art. 16 DBG N. 28 ff.; RICH NER/<br />
FREI/KAUFMANN, Vorbemerkungen zu §§ 16–37 N. 2–4; WEID-<br />
MANN, S.78f.<br />
26 BGE 108 Ib 230 f. = ASA 51 (1982/83), S. 638 f.; RK IV ZH,<br />
23.10.1996, <strong>St</strong>E 1997 B 26.27 Nr. 4; näher dazu LOCHER (Art. 16<br />
N. 52 f.), der dafür hält, dass Eigenleistungen im Privatvermögen<br />
generell unbesteuert bleiben.<br />
27 BGE 125 I 68; BGE 124 I 193 = ASA 69 (2000/01), S. 373; BGE<br />
112 Ia 242; BÖCKLI, Eigenmiete, S. 17; BOSSHARDT, S. 305 f.;<br />
REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 41 f.; WEIDMANN, S.77f. Im Ergebnis der<br />
gleichen Meinung sind LOCHER (Art. 16 N. 55 ff.) und GURT -<br />
NER/LOCHER (S. 603 ff.), die zwar von der grundsätzlichen <strong>St</strong>euerbarkeit<br />
der Eigennutzung von beweglichen Sachen ausgehen,<br />
aber geltend machen, bei der Nutzung von Mobilien sei<br />
bei der gebotenen Berücksichtigung des Wertverzehrs längerfristig<br />
nicht mit einem positiven Reinvermögenszugang<br />
zu rechnen. Auch sprächen Praktikabilitätsargumente für<br />
diese Lösung.<br />
28 Vgl. auch BLUMENSTEIN/LOCHER, S. 171 mit Anm. 13a.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
87<br />
Wo nun genau die Trennlinie zwischen dem steuerlichen<br />
Einkommensbegriff und dem finanzwissenschaftlichen<br />
Konzept zu ziehen ist, ist anhand der Judikatur nicht einfach<br />
auszumachen. Es hat sich gezeigt, dass das theoretische<br />
Konzept des finanzwissenschaftlichen Einkommensbegriffes<br />
nicht unbesehen übernommen werden<br />
kann. Abweichungen zwischen der steuerlichen Betrachtungsweise<br />
und dem theoretischen finanzwissenschaftlichen<br />
Ansatz bestehen vor allem bei der Behandlung<br />
der Eigenleistungen und Eigennutzungen sowie bei<br />
der Erfassung der realisierten bzw. nicht realisierten<br />
Wertveränderungen.<br />
In der Literatur stehen sich gegenwärtig zwei <strong>St</strong>andpunkte<br />
gegenüber, die den steuerlichen Einkommensbegriff<br />
genauer fassen wollen.<br />
2.2.2 Markteinkommenstheorie<br />
Teilweise wird versucht, die für steuerliche Zwecke notwendige<br />
Einschränkung des finanzwissenschaftlichen<br />
Einkommenskonzeptes durch eine Anlehnung an die<br />
deutsche Doktrin des Markteinkommens zu erreichen.<br />
Nach der Theorie des Markteinkommens bilden nur die<br />
durch Teilnahme am Markt erzielten Einkünfte steuerbares<br />
Einkommen. Andere, nicht am Markt erzielte Einkünfte<br />
sind nicht steuerbar, sofern nicht das Gesetz solche<br />
Einkünfte ausdrücklich für steuerbar erklärt 29 .<br />
Auch die Markteinkommenstheorie hat ihre Wurzeln,<br />
soweit sie zurückverfolgt werden können, in der Finanz -<br />
wissenschaft. Insbesondere Fritz Neumark hat für<br />
steuerliche Zwecke einen von der Theorie des Gesamtreineinkommens<br />
abweichenden Einkommensbegriff<br />
entwickelt 30 . Gemäss Neumark sollen als Einkommensbestandteile<br />
nur solche Einkünfte erfasst werden, die<br />
erstens Ergebnis einer Teilnahme des Empfängers an der<br />
Bildung des Sozialprodukts sind und zweitens einen aktuellen<br />
(effektiven) Zuwachs an wirtschaftlicher Verfügungsmacht<br />
des fraglichen Wirtschaftssubjektes herbeiführen<br />
31 . In der deutschen steuerrechtlichen Doktrin ist<br />
die Markteinkommenstheorie aufgegriffen worden als<br />
Versuch, einen gemeinsamen Grundgedanken für die im<br />
deutschen Recht erfolgte Auswahl der steuerbaren Einkünfte<br />
zu finden 32 .<br />
Die schweizerischen gesetzlichen Grundlagen lassen<br />
nicht erkennen, dass der Gesetzgeber auf das Markteinkommen<br />
hätte abstellen wollen 33 . Im Gegenteil: Viele und<br />
gerade bedeutende steuerbare Einkünfte werden nicht am<br />
Markt durch Leistungsaustausch erzielt. Es steht ausser<br />
Frage, dass beispielsweise die Einkünfte aus der staatlichen<br />
Altersversicherung, der beruflichen Vorsorge oder<br />
Unterhaltsbeiträge des geschiedenen Ehegatten nicht aus<br />
einem Leistungsaustausch «am Markt» erzielt werden,<br />
jedoch sehr wohl steuerbar sind 34 . Auch muss angesichts<br />
des Umfanges der staatlichen Transferleistungen, namentlich<br />
über die Sozialversicherungen, in Frage gestellt<br />
werden, ob das steuerbare Einkommen quantitativ wirklich<br />
«im Grossen und Ganzen» den am Markt erzielten<br />
Einkünften entspricht, wie hin und wieder der Markteinkommenstheorie<br />
zugute gehalten wird 35 .<br />
Dem Kriterium der Teilnahme am Marktgeschehen<br />
könnte an sich eine wichtige Abgrenzungsfunktion zukommen.<br />
Die so genannten zugerechneten Einkünfte im<br />
Sinne des finanzwissenschaftlichen Einkommensbegriffes<br />
(Eigenleistungen und Eigennutzungen) fielen, weil<br />
sie nicht am Markt erzielt werden, nicht unter den steuerlichen<br />
Einkommensbegriff. Nun müssen aber gemäss<br />
den Vertretern der Markteinkommenstheorie noch weitere<br />
Einkünfte dem Markteinkommen steuerlich zugerechnet<br />
werden, nämlich der Selbstverbrauch von Gütern<br />
oder Dienstleistungen sowie die Eigennutzung dauerhafter<br />
Gebrauchsgüter 36 . Diese Position ist widersprüchlich,<br />
weil sie gerade solche Einkünfte erfassen<br />
will, die vom Kriterium der Teilhabe am Marktgeschehen<br />
von der Bemessungsgrundlage ausgeschlossen werden<br />
37 . Eine Begründung im Rahmen der Markteinkommenstheorie,<br />
weshalb diese zugerechneten Einkünfte<br />
steuerbar sein sollen, ist nicht ersichtlich.<br />
Insgesamt verfehlt die Markteinkommenstheorie ihr<br />
Ziel, die Grenzlinie zwischen dem aus wirtschaftlicher<br />
29 BLUMENSTEIN/LOCHER, S. 171 f. Zur Markteinkommenstheorie<br />
s. auch BÖHI, S.43f.; OBERSON, § 7 N. 5; REICH, Art. 16 DBG<br />
N. 11 f.; SÖHN, S. 344 ff.; STEICHEN, passim; WEIDMANN, S.63ff.<br />
30 S. auch SÖHN, S. 345; STEICHEN, S. 367 ff.; ablehnend aus Sicht<br />
der Finanzwissenschaft äussert sich ANDEL, Finanzwissenschaft,<br />
S. 315 Anm. 1. Ob ROSCHER einen eigentlichen Einkommensbegriff<br />
schaffen wollte, wie dies BLUMENSTEIN/LOCHER<br />
(S. 171) annehmen, ist unklar (dazu WEIDMANN, S.64f.).<br />
31 NEUMARK, S.41ff.<br />
32 Insbesondere RUPPE, S.15f. Das deutsche <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> enthält,<br />
anders als die Schweizer Gesetze, keine einkommenssteuerliche<br />
Generalklausel, wonach alle Einkünfte steuerbar<br />
sind, sondern vielmehr eine enumerative Aufzählung steuerbarer<br />
Einkünfte. Die deutsche Rechtslage ist insofern nicht<br />
mit der schweizerischen vergleichbar. Die Markteinkommenstheorie<br />
ist im deutschen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> keineswegs unbestritten.<br />
Ablehnend, insbesondere auch zum verfassungsrechtlichen<br />
Ansatz von Kirchhof, äussern sich namentlich<br />
SÖHN (S. 346 ff.) und STEICHEN (S. 370 ff.).<br />
33 REICH, Art. 16 DBG N. 12.<br />
34 Art. 22 Abs. 1, Art. 23 lit. f DBG.<br />
35 Vgl. HÖHN/WALDBURGER, § 14 N. 8; REICH, Art. 16 DBG N. 12.<br />
36 BLUMENSTEIN/LOCHER, S. 171 f.<br />
37 OBERSON, § 7 N. 10; REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 15.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
88 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Sicht umfassenden Einkommensbegriff und dem engeren<br />
steuerrechtlichen Einkommensbegriff zu ziehen, und<br />
ist deshalb abzulehnen.<br />
2.2.3 Zuflusstheorie<br />
Das jüngere Konzept der Zuflusstheorie ergänzt den Einkommensbegriff<br />
für steuerliche Zwecke mit dem Kriterium<br />
des Zuflusses. Danach sind nur diejenigen Einkünfte<br />
im Sinne der Reinvermögenszugangstheorie steuerbar,<br />
die der <strong>St</strong>euerpflichtige realisiert oder – in einer anderen<br />
Umschreibung – die ihm als so genannt exogene<br />
Einkünfte von aussen zufliessen 38 . In der Vermögenssphäre<br />
des <strong>St</strong>euerpflichtigen entstandene oder von ihm<br />
in der eigenen Vermögenssphäre selbst erarbeitete Einkünfte<br />
(endogene Einkünfte), die er nicht in Zuflüsse<br />
von aussen umwandelt, indem er beispielsweise seine<br />
Dienste gegen Entgelt erbringt, die er mithin nicht realisiert,<br />
sind steuerlich unbeachtlich.<br />
Die Einschränkung des Einkommensbegriffes durch die<br />
Ergänzung des Zuflusskriteriums gründet sich auf eine<br />
Analyse der geltenden <strong>St</strong>euergesetze und steuerlichen<br />
Praxis 39 . Der so gefasste Einkommensbegriff zeitigt die<br />
folgenden Konsequenzen:<br />
– Eigenleistungen werden nicht besteuert, weil sie<br />
keinen Zufluss von ökonomischen Werten von aussen<br />
darstellen. Damit wird deutlich, dass die Hausarbeit,<br />
das Bestellen des eigenen Gartens durch den<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen, die Behandlung der eigenen Kinder<br />
durch den Arzt und alle anderen sich selbst erbrachten<br />
Leistungen steuerlich unbeachtlich sind.<br />
– Ebenfalls nicht erfasst werden grundsätzlich die Eigennutzungen:<br />
Das Betrachten der Bilder in der eigenen<br />
Wohnung ist steuerfrei (der <strong>St</strong>euerpflichtige<br />
muss sich nicht einen steuerlichen Museumseintritt<br />
aufrechnen lassen), die Benützung des eigenen Fahrzeuges<br />
muss nicht als Einkunft deklariert werden<br />
(obwohl gerade für Automobile ein Markt für die<br />
Miete besteht); beim Sitzen auf dem eigenen Sofa<br />
braucht sich der <strong>St</strong>euerpflichtige keine Gedanken<br />
darüber zu machen, was er bei Miete des Möbels<br />
auszulegen hätte.<br />
– Wertsteigerungen werden, wenn überhaupt, erst bei<br />
ihrer Realisation steuerlich erfasst.<br />
Der Ansatz der Zuflusstheorie kann entscheidende Vorteile<br />
für sich beanspruchen. Die eben angeführten Konsequenzen<br />
entsprechen der geltenden und seit langem<br />
geübten steuerrechtlichen Praxis, denn diese erfasst die<br />
endogenen Einkünfte gerade nicht. Mit Hilfe des Zuflusskriteriums<br />
lässt sich diese Rechtslage einheitlich erklären.<br />
Das Zuflusskriterium engt den Einkommens -<br />
begriff so ein, wie er in der Praxis seit jeher – explizit<br />
oder stillschweigend – gehandhabt wird. Es geht nicht<br />
um eine «Ausblendung» ökonomischer Gesichtspunkte<br />
40 , sondern um die sachgerechte Eingrenzung eines für<br />
steuerliche Zwecke unbestrittenermassen zu weiten und<br />
nicht praktikablen Einkommensbegriffes.<br />
Die Beschränkung des steuerbaren Einkommens auf Zuflüsse<br />
von aussen beruht aber auch auf einer Reihe von<br />
weiteren Gründen 41 . Gegen eine Erfassung der nicht realisierten<br />
bzw. endogenen Einkünfte sind zunächst die offenkundigen<br />
praktischen Probleme anzuführen, welche<br />
die konsequente Umsetzung der Reinvermögenszugangstheorie<br />
mit sich brächte. Aus der Diskussion um<br />
die Bemessung des Eigenmietwertes des selbstgenutzten<br />
Wohneigentums sind die Schwierigkeiten, endogene<br />
Einkünfte zu bewerten, allgemein bekannt. Diese Bewertungsprobleme<br />
in einem Massenfallrecht wecken<br />
Bedenken nicht nur hinsichtlich der Praktikabilität, sondern<br />
auch der Gleichmässigkeit und Gesetzmässigkeit<br />
der Besteuerung 42 . Aus erhebungstechnischer Sicht, und<br />
um eine rechtsgleiche Behandlung der <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
zu erreichen, müsste grundsätzlich ihr gesamtes Leben<br />
in den <strong>St</strong>euerakten offengelegt werden, denn endogenes<br />
Einkommen kann jederzeit geschaffen werden. Die Erhebung<br />
der <strong>St</strong>euer hätte deshalb einen schwerwiegenden<br />
Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf persönliche<br />
Freiheit zur Folge. Nicht zuletzt dürften auch sozialpolitische<br />
Wertungen eine Rolle spielen. Durch die Besteuerung<br />
endogener Einkünfte, wenn es sie gäbe, würden<br />
untere Einkommensschichten besonders betroffen,<br />
weil der relative Wert der eigenen Arbeit im Haushalt<br />
bzw. der Dienst an der Familie bei steigendem Einkommen<br />
abnimmt 43 .<br />
Für die Beschränkung der Besteuerung auf die Zuflüsse<br />
von aussen spricht weiter der Umstand, dass die <strong>St</strong>euer<br />
dann anfällt, wenn der <strong>St</strong>euerpflichtige über ein disponibles<br />
Gut verfügt. Ein oft beanstandeter Mangel der Besteuerung<br />
des Eigenmietwerts des Wohneigentums besteht<br />
ja gerade darin, dass eine <strong>St</strong>euer zahlbar ist, obwohl<br />
der betreffende <strong>St</strong>euerpflichtige keine Mittelzuflüsse zu<br />
38 BÖHI, S.44f.; REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 16 ff., 42 ff.; RICHNER/FREI/<br />
KAUFMANN, Vorbemerkungen zu §§ 16–37 N. 2 ff.; WEIDMANN,<br />
S. 80 ff.; ZWAHLEN, Art. 21 DBG N. 13. Auf die Zuflusstheorie<br />
Bezug nehmend RK I ZH, 23.8.2001, Z<strong>St</strong>P 2002, S. 22, und diesen<br />
Entscheid bestätigend VGr ZH, 3.7.2002, <strong>St</strong>E 2002 B 26.44<br />
Nr. 8 = <strong>St</strong>R 57 (2002), S. 855 = Z<strong>St</strong>P 2002, S. 297.<br />
39 REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 16 f.; WEIDMANN, S.76ff.<br />
40 So der – unbegründete – Vorwurf an die Zuflusstheorie<br />
(GURT NER/LOCHER, S. 602; LOCHER, Art. 16 N. 13).<br />
41 REICH, Art. 16 DBG N. 17.<br />
42 WEIDMANN, S.97ff., auch zum Folgenden.<br />
43 VGr ZH, 3.7.2002, <strong>St</strong>E 2002 B 26.44 Nr. 8 = <strong>St</strong>R 57 (2002), S. 858<br />
= Z<strong>St</strong>P 2002, S. 297.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
89<br />
verzeichnen hat, woraus er die <strong>St</strong>euer entrichten könnte,<br />
sondern allenfalls auf sein Vermögen zurückgreifen<br />
muss. Die Nichtbesteuerung endogener Einkünfte vermeidet<br />
diese Konsequenz. Die <strong>St</strong>euererhebung ist technisch<br />
einfacher als unter Einbezug endogener Einkünfte,<br />
für den <strong>St</strong>euerpflichtigen schonender und nicht zuletzt<br />
erhebungswirtschaftlicher als eine einigermassen konsequent<br />
umgesetzte finanzwissenschaftliche Reinvermögenszugangstheorie.<br />
Das geltende Recht kennt jedoch eine Ausnahme von der<br />
<strong>St</strong>euerfreiheit der endogenen Einkünfte, nämlich die Besteuerung<br />
des Eigenmietwertes des selbstgenutzten<br />
Wohneigentums. Diese endogenen Einkünfte werden auf<br />
ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage erfasst: Wie sich<br />
beispielsweise aus Art. 21 Abs. 1 lit. b DBG ergibt, ist die<br />
Besteuerung des Eigenmietwertes nicht bereits in der<br />
Generalklausel oder im Begriff der «sonstigen Nutzung»<br />
unbeweglichen Vermögens enthalten 44 . Die Eigenmietwertbesteuerung<br />
als Regel aufzufassen, hingegen die generelle<br />
Nichtbesteuerung des Eigenmietwertes von beweglichen<br />
Sachen mit seiner zweifelhaften fiskalischen<br />
Ergiebigkeit zu begründen, wie dies Peter Locher und<br />
Peter Gurtner tun 45 , erscheint wenig konsequent. Wenn<br />
die Erfassung des Eigenmietwertes von beweglichen Sachen<br />
gefordert wird, dann müssten auch die daraus allenfalls<br />
resultierenden Verluste zur Anrechnung zugelassen<br />
werden. Zuzustimmen ist den Hinweisen von Gurtner<br />
und Locher auf die erhebungstechnischen Schwierigkeiten<br />
und ihrer Forderung, dass bei einer Erfassung des Eigenmietwertes<br />
von beweglichen Sachen auch die Abschreibungen<br />
darauf zuzulassen wären. Plausibilitätsüberlegungen,<br />
auch wenn sie ökonomisch untermauert<br />
sind, genügen indessen nicht, um die <strong>St</strong>euerfreiheit des<br />
Nutzungswertes von beweglichen Sachen zu begründen.<br />
2.2.4 Folgerungen<br />
Der steuerliche Einkommensbegriff folgt weitgehend<br />
dem finanzwissenschaftlichen Konzept des Reinvermögenszugangs.<br />
Das <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> hat indessen jene Theorie<br />
nie unbesehen umgesetzt, sondern gewichtige Einschränkungen<br />
vorgenommen. Die Markteinkommenstheorie<br />
und die Zuflusstheorie ziehen die Trennlinie zwischen<br />
dem Einkommen im Sinne der finanzwissenschaftlichen<br />
Reinvermögenszugangstheorie und dem Einkommen im<br />
steuerrechtlichen Sinne auf unterschiedliche Weise:<br />
– Die Markteinkommenstheorie führt das Kriterium<br />
ein, wonach nur am Markt erzielte Einkünfte steuerbar<br />
sein sollen. Der hauptsächliche Nachteil der<br />
Markteinkommenstheorie besteht darin, dass sie<br />
keine Abgrenzungsfunktion übernehmen kann oder<br />
will, indem die nicht am Markt erzielten Einkünfte<br />
doch wieder steuerbar sein sollen. Die Markteinkommenstheorie<br />
ist deshalb abzulehnen.<br />
– Die Zuflusstheorie ergänzt den Einkommensbegriff<br />
mit dem Zuflusskriterium. Nur von aussen in die<br />
Vermögenssphäre des <strong>St</strong>euerpflichtigen gelangende<br />
Einkünfte sind steuerbar. Endogene Einkünfte sind<br />
deshalb nur dann steuerbar, wenn sie realisiert, das<br />
heisst in Zuflüsse von aussen umgewandelt werden.<br />
Die Zuflusstheorie gibt die geltende Rechtslage wieder<br />
und grenzt den finanzwissenschaftlichen Einkommensbegriff<br />
sachgerecht ein.<br />
2.3 Sondertatbestände<br />
Die harmonisierten <strong>St</strong>euergesetze enthalten eine Reihe<br />
von Bestimmungen, die von der Generalklausel abweichen.<br />
Nachfolgend sollen einige wichtige Sondertatbestände<br />
dargestellt werden, welche im System der Einkommenssteuer<br />
von Bedeutung sind.<br />
2.3.1 <strong>St</strong>euerliche Unbeachtlichkeit der privaten<br />
Kapitalgewinne und -verluste<br />
Die Harmonisierungserlasse halten fest, dass die Kapitalgewinne<br />
aus der Veräusserung von Privatvermögen<br />
steuerfrei sind 46 . Vom Wortlaut werden nur die Kapitalgewinne,<br />
nicht jedoch die Kapitalverluste erfasst. Es ist aber<br />
allgemein anerkannt, dass spiegelbildlich auch die Kapitalverluste<br />
«steuerfrei» sind, das heisst, nicht mit steuerbaren<br />
Einkünften verrechnet werden können. Auch ein<br />
allfälliger Schadenersatz wird nicht besteuert 47 .<br />
Ebenfalls steuerlich unbeachtlich bleiben die nicht rea -<br />
lisierten Wertveränderungen von Gegenständen des<br />
Privatvermögens. Weder kann ein nicht realisierter Kapitalgewinn<br />
steuerlich erfasst werden noch kann ein<br />
<strong>St</strong>euerpflichtiger Abschreibungen oder Wertberichtigungen<br />
auf Privatvermögen geltend machen.<br />
44 Vgl. dazu auch den Bericht der KOMMISSION EIGEN MIET WERT/<br />
SYSTEMWECHSEL (KES), insb. in dessen Anhang: Bundesamt<br />
für Justiz, Gutachten zum Systemwechsel bei der Besteuerung<br />
des selbstgenutzten Wohneigentums vom 14. Januar<br />
2000, publ. in VPB 65.36, Ziff. 4.3., 5.2.3.; REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG<br />
N. 41 f.; WEIDMANN, S. 82. Der immer noch vom Parlament behandelte<br />
bundesrätliche Vorschlag zur Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung<br />
auf selbstgenutztem Wohneigentum<br />
im Rahmen des «<strong>St</strong>euerpaketes 2001» (Botschaft des<br />
Bundesrates vom 28. Februar 2001, BBl 2001, S. 2983) ist hier<br />
nicht zu behandeln (s. dazu REICH, Furcht vor dem Systemwechsel,<br />
S. 721).<br />
45 GURTNER/LOCHER, S. 605; s. auch oben, Anm. 27.<br />
46 Art. 7 Abs. 4 lit. b <strong>St</strong>HG; Art. 19 Abs. 3 DBG. Auf die schwierige<br />
und streitige Abgrenzung zwischen Privat- und Geschäftsvermögen<br />
ist hier nicht einzutreten.<br />
47 REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 26.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
90 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
2.3.2 Ausnahmen zur Unbeachtlichkeit der<br />
privaten Kapitalgewinne und -verluste<br />
2.3.2.1 Gewinne aus der Veräusserung von<br />
Grundstücken<br />
Während bei der direkten Bundessteuer die privaten Kapitalgewinne<br />
und -verluste auf Grundstücken keine Sonderbehandlung<br />
erfahren und deshalb steuerlich unbeachtlich<br />
sind 48 , erheben die Kantone oder Gemeinden<br />
Grundstückgewinnsteuern. Sie sind hierzu auf Grund<br />
von Art. 12 Abs. 1 <strong>St</strong>HG verpflichtet. Bei der Grundstückgewinnsteuer<br />
handelt es sich um eine Spezialeinkommenssteuer,<br />
die auf einer besonders definierten Einkunft<br />
erhoben wird, nämlich dem Gewinn aus der Veräusserung<br />
eines Grundstückes.<br />
Verluste aus der Veräusserung von Grundstücken können<br />
nur in sehr beschränktem Umfang und regelmässig<br />
höchstens mit Gewinnen aus der Veräusserung anderer<br />
Grundstücke verrechnet werden; eine Verrechnung von<br />
Veräusserungsverlusten mit übrigem Einkommen bei<br />
der Einkommenssteuer findet nicht statt 49 . Es ist aber, soweit<br />
ersichtlich, auch nicht möglich, einen Grundstückgewinn<br />
mit einem Überhang an Abzügen, der bei der<br />
Einkommenssteuer resultiert, zu verrechnen 50 . Diese aus<br />
dem Blickwinkel der Einkommenssteuer inkonsistente<br />
Regelung, die in bestimmten Situationen zu verfassungswidrigen<br />
Resultaten führen kann, lässt sich nur mit<br />
historischen Argumenten erklären. Verbesserungen des<br />
Systems im Sinne der Reineinkommensbesteuerung mögen<br />
einen gewissen legislativen Aufwand bedingen und<br />
auch dadurch gehemmt werden, dass die Erträge aus der<br />
Grundstückgewinnsteuer oftmals alleine den Gemeinden<br />
zukommen, während das Einkommen von Kantonen<br />
und Gemeinden besteuert wird.<br />
2.3.2.2 Einkünfte aus Obligationen mit überwiegender<br />
Einmalverzinsung<br />
Die gesetzlichen Regelungen erklären die Einkünfte aus<br />
der Veräusserung oder Rückzahlung von Obligationen<br />
mit überwiegender Einmalverzinsung als steuerbar 51 . In<br />
diesem beschränkten Bereich werden auch die privaten<br />
Kapitalgewinne von der allgemeinen Einkommens -<br />
steuer erfasst.<br />
Nicht ausdrücklich geregelt wird die Behandlung der<br />
Verluste aus solchen Obligationen. Es ist indessen eine<br />
selbstverständliche Konsequenz der Erfassung der Kapitalgewinne,<br />
dass auch die Verluste steuerlich berücksichtigt<br />
werden müssen. Eine andere Auslegung, welche<br />
Gewinne und Verluste asymmetrisch behandeln würde,<br />
wäre widersprüchlich. Im Grundsatz ist dies denn auch<br />
unbestritten; fraglich ist, womit etwaige Verluste verrechnet<br />
werden können. Nachdem die Gewinne in die<br />
allgemeine Bemessungsgrundlage eingehen, müssen<br />
auch die Verluste mit übrigem Einkommen verrechnet<br />
werden können. Eine gegenteilige Auffassung besteht<br />
allerdings auf Seiten der Eidgenössischen <strong>St</strong>euerverwaltung,<br />
wonach Verluste nur mit Gewinnen aus Obligationen<br />
mit überwiegender Einmalverzinsung verrechenbar<br />
sein sollen 52 . Eine solche Bildung eines Einkünfte-«Korbes»<br />
widerspricht der gesetzlichen Systematik, welche<br />
die Gesamtheit der Einkünfte erfasst, und damit auch<br />
dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit. Nicht zuletzt fehlt eine genügende<br />
gesetzliche Grundlage für eine derartige Einschränkung.<br />
Eine weitere Schwachstelle der gesetzlichen Regelung<br />
besteht darin, dass die Möglichkeit einer periodenübergreifenden<br />
Verlustverrechnung, mithin ein steuerlicher<br />
Verlustvortrag, nicht vorgesehen ist. Angesichts der häufig<br />
aperiodischen Natur solcher Kapitalverluste muss ein<br />
Verlustvortrag in analoger Anwendung der Bestimmungen<br />
zum Verlustvortrag bei Geschäftsvermögen zugestanden<br />
werden. Andernfalls könnte es zu systemwidrigen<br />
Überbesteuerungen kommen 53 .<br />
2.3.3 Beteiligungsertrag<br />
2.3.3.1 Objektbezogene Betrachtungsweise als<br />
Grundsatz<br />
Eine andere und zugleich sehr bedeutsame Sonderregelung<br />
erschliesst sich nicht ohne weiteres aus den Gesetzestexten.<br />
Aus der Erwähnung der Liquidationsüberschüsse<br />
in Art. 20 Abs. 1 lit. c DBG und den entsprechenden<br />
kantonalen Bestimmungen wird gefolgert, dass im<br />
Bereich der Einkünfte aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften<br />
eine objektmässige Betrachtungsweise aus<br />
48 Vorbehalten bleibt die ausufernde Rechtsprechung zum «gewerbsmässigen»<br />
Liegenschaftenhändler.<br />
49 Beispielsweise können im Kanton Thurgau Grundstückgewinne<br />
mit Grundstückverlusten verrechnet werden, die der<br />
<strong>St</strong>euerpflichtige im Kalenderjahr und in den dem <strong>St</strong>euerjahr<br />
vorausgehenden vier Kalenderjahren erlitten hat (§134 <strong>St</strong>G<br />
TG).<br />
50 Art.12 <strong>St</strong>HG würde einer entsprechenden kantonalen Regelung<br />
wohl nicht entgegenstehen (s. ZWAHLEN, Art.12 <strong>St</strong>HG<br />
N. 2, 8).<br />
51 Art. 20 Abs. 1 lit. b DBG; § 20 Abs. 1 lit. b <strong>St</strong>G ZH.<br />
52 Kreisschreiben Nr. 4 zur <strong>St</strong>euerperiode 1999/2000 der Eidgenössischen<br />
<strong>St</strong>euerverwaltung vom 12. April 1999, ASA 68<br />
(1999/2000), S.30f., Ziff. 3.2.<br />
53 Gemäss dem Kreisschreiben Nr. 4 (Anm. 52), S. 31 Ziff. 3.2,<br />
soll ein Verlustvortrag auf eine spätere <strong>St</strong>euerperiode nicht<br />
möglich sein.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
91<br />
der Sicht der Gesellschaft Platz greift. Jede Ausschüttung<br />
von Gewinnen bildet beim Empfänger, der die Titel<br />
in seinem Privatvermögen hält, eine steuerbare Einkunft.<br />
Zweck dieser Konzeption ist es, die wirtschaftliche<br />
Doppelbesteuerung der Gewinne sicherzustellen, so<br />
dass alle Gewinne der Gesellschaft auch auf der Ebene<br />
der Aktionäre erfasst werden, und zwar spätestens im<br />
Falle der Liquidation der Gesellschaft. Unter der Annahme,<br />
dass die Beteiligungsrechte immer in Privatvermögen<br />
gehalten werden – aber nur in diesem Fall –, gewährleistet<br />
dieses Konzept, dass alle von der Kapitalgesellschaft<br />
erwirtschafteten Gewinne trotz der <strong>St</strong>euerfreiheit<br />
des privaten Veräusserungsgewinnes zu irgend einem<br />
Zeitpunkt auch beim Aktionär besteuert werden.<br />
Die objektmässige Betrachtungsweise führt bei Dividenden,<br />
die aus dem laufenden Geschäftsgewinn gezahlt<br />
werden, zu keinem anderen Ergebnis als die gesetzliche<br />
Generalklausel. Derartige Dividenden steigern die subjektive<br />
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers<br />
während der laufenden <strong>St</strong>euerperiode und bilden<br />
deshalb Einkommen. Anders präsentieren sich hingegen<br />
die Fälle, wo die Ausschüttungen zu Lasten der Substanz<br />
der Gesellschaft gehen. Aus Sicht des Anteilseigners bilden<br />
Substanzdividenden nur Vermögensumschichtungen.<br />
Die zusätzlichen (Bar-) Mittel, die er erhält, mindern<br />
den Wert seiner Beteiligung. Der Empfänger erfährt<br />
keine <strong>St</strong>eigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
und ist nach der Substanzdividende wirtschaftlich<br />
in der selben Position wie zuvor.<br />
2.3.3.2 Bemessung des <strong>St</strong>euerobjektes<br />
Weiter ist zu definieren, was unter einer Gewinnausschüttung<br />
zu verstehen sei. Das Recht der direkten Bundessteuer<br />
hat hier eine einfache und formale, aber unbefriedigende<br />
Lösung gewählt, indem alle geldwerten<br />
Leistungen der Gesellschaft, die nicht eine Rückzahlung<br />
von Nennwert darstellen, steuerbares Einkommen bilden<br />
54 . Deshalb wird vom «Nennwertprinzip» gesprochen.<br />
Die Herausgabe von Gratisaktien unterliegt, weil<br />
steuerfrei rückzahlbares Nennkapital geschaffen wird,<br />
der direkten Bundessteuer.<br />
Der allgemein bemängelte Bruch im System der objektbezogenen<br />
Betrachtungsweise 55 liegt darin, dass auf diese<br />
Weise auch Rückzahlungen von Kapitaleinlagen der<br />
Aktionäre in die Reserven der Gesellschaft als steuerbares<br />
Einkommen behandelt werden. Werden beispielsweise<br />
bei einer Erhöhung des Aktienkapitals neue Aktien<br />
gegen einen Aufpreis («Agio») ausgegeben, weil der innere<br />
Wert der alten Aktien über ihrem Nennwert liegt,<br />
geht der Aufpreis nicht in das Nennkapital ein. Eine Besteuerung<br />
der Agio-Rückzahlungen lässt sich nicht mit<br />
der objektbezogenen Betrachtungsweise rechtfertigen,<br />
weil diese Mittel aus Sicht der Gesellschaft nicht aus erarbeiteten<br />
Gewinnen stammen und es deshalb keine Sicherung<br />
der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von<br />
Gewinnen der Gesellschaft auf der Ebene der Aktionäre<br />
braucht. Ein weiterer Fall, wo das Nennwertprinzip<br />
selbst innerhalb der objektmässigen Betrachtungsweise<br />
zu einer Überbesteuerung führt, ergibt sich bei Zuschüssen<br />
der Aktionäre. Obwohl die Aktionäre der Gesellschaft<br />
neue Mittel zuführen, welche nicht von der Gesellschaft<br />
erarbeitete Gewinne darstellen, unterwirft das<br />
Nennwertprinzip diese Mittel der latenten Einkommenssteuer.<br />
Ein anderer Weg wird im Kanton Zürich beschritten: Es<br />
wird darauf abgestellt, ob Eigenkapital zurückgezahlt<br />
wird oder ob erarbeitete Gewinne ausgeschüttet werden.<br />
Die Kapitalrückzahlungen, worunter insbesondere auch<br />
die Rückzahlungen von Agio gehören, bleiben steuerlich<br />
unbeachtlich 56 . Diese Praxis, die als Kapitalrückzahlungsprinzip<br />
bezeichnet wird, ist innerhalb der objektbezogenen<br />
Betrachtungsweise sachgerecht.<br />
2.3.3.3 Primäre Konsequenzen der gesetzlichen<br />
Regelung<br />
Die objektbezogene Betrachtungsweise wählt einen<br />
ganz anderen Ansatz als das subjektbezogene Konzept<br />
der Einkommensgeneralklausel und setzt den Einkommensbegriff<br />
für einen Teilbereich des Einkommens -<br />
steuer rechts ausser Kraft. Aus Sicht des Empfängers<br />
können nämlich die Erträge aus Beteiligungen Einkommen<br />
darstellen, müssen aber nicht. Wie bereits erwähnt,<br />
führen die beiden Betrachtungsweisen nur in einem Teilbereich<br />
zum selben Resultat, nämlich dann, wenn die Dividenden<br />
aus Gewinnen ausgeschüttet werden, welche<br />
die Gesellschaft in der Zeitspanne erarbeitet hat, in welcher<br />
der betreffende <strong>St</strong>euerpflichtige die Aktien gehalten<br />
hat.<br />
In anderen Fällen, insbesondere bei Ausschüttungen aus<br />
Reserven, die auf Gewinne zurückgehen, welche vor<br />
dem Erwerb der Aktien durch den <strong>St</strong>euerpflichtigen entstanden<br />
sind, führt die objektmässige Betrachtungsweise<br />
zu dessen Überbesteuerung: Er hat nämlich beim Erwerb<br />
der Titel die latente <strong>St</strong>euerlast des Verkäufers übernommen,<br />
die auf den einbehaltenen Gewinnen lastet. Diese<br />
Überbesteuerung des Erwerbers von Beteiligungsrechten<br />
hängt mit der <strong>St</strong>euerfreiheit der privaten Kapitalgewinne<br />
des Veräusserers zusammen. Die <strong>St</strong>euerfreiheit<br />
54 LOCHER, Art. 20 N 13 f., 76.<br />
55 LOCHER, Art. 20 N. 10 ff. m.w.H.<br />
56 REICH, Vermögensertragsbegriff und Nennwertprinzip, S. 278 ff.;<br />
RICHNER/FREI/KAUFMANN, §20 N. 78, 83 ff.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
92 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
des Veräusserungsgewinnes beim Verkäufer wird kompensiert<br />
bzw. «erkauft» durch die Überbesteuerung des<br />
Erwerbers. Besonders einschneidend kann die Überbesteuerung<br />
bei (Teil-) Liquidationen sein, wenn der Aktionär<br />
die Aktien nicht seit der Gründung der Gesellschaft<br />
besessen hat. Der Liquidationsüberschuss wird<br />
ihm als Einkommen angerechnet, ohne dass es auf seine<br />
Anschaffungskosten ankäme. Der <strong>St</strong>euerpflichtige kann<br />
mit seiner Investition einen Verlust erleiden und trotzdem<br />
für ein «Einkommen» besteuert werden.<br />
Eine weitere und sehr wichtige Schwachstelle des Systems<br />
liegt darin, dass es nur auf Privatvermögen Anwendung<br />
findet. Bei einer Veräusserung aus dem Privatvermögen<br />
in ein Geschäftsvermögen geht die latente <strong>St</strong>euerlast<br />
verloren, weil dort für die Ermittlung eines allfälligen<br />
Veräusserungsgewinnes grundsätzlich die Anschaffungskosten<br />
massgeblich sind. Bei diesem Wechsel<br />
vom Privat- ins Geschäftsvermögen und dem damit einhergehenden<br />
«Verlust» an latenten <strong>St</strong>euern setzen die<br />
Theorien der Transponierung und der indirekten Teilliquidation<br />
an. Dabei muss aber auch erwähnt werden,<br />
dass beim Verkauf aus dem Geschäfts- ins Privatvermögen<br />
neue latente <strong>St</strong>euern geschaffen werden, ohne dass<br />
es zu einem steuerlichen Ausgleich hierfür käme.<br />
2.3.3.4 Sekundäre Konsequenzen der gesetz -<br />
lichen Regelung: Transponierung und indirekte<br />
Teilliquidation<br />
Gemäss der Transponierungstheorie wird Einkommenssteuer<br />
erhoben, wenn Aktien in eine vom Einleger beherrschte<br />
Kapitalgesellschaft eingebracht werden, sei es<br />
als Sacheinlage zur Liberierung von Aktien mit höherem<br />
Nennwert oder sei es gegen Gutschrift auf einem Darlehenskonto<br />
zu Gunsten des Einlegers 57 . Diese <strong>St</strong>euerfolge<br />
wird mit zwei Argumenten begründet. Zum einen soll<br />
der Verkauf an eine selbstbeherrschte Gesellschaft keine<br />
eigentliche Veräusserung sein 58 . Damit wird aber die<br />
konzernrechtliche Betrachtungsweise angewendet, für<br />
die das geltende Recht keine Grundlage bildet 59 . Zum anderen<br />
wird ein steuerbarer Ertrag darin erblickt, dass die<br />
latente <strong>St</strong>euerlast aufgehoben wird 60 . Zum Zeitpunkt der<br />
Einbringung wird aber ein solcher Vorteil nicht realisiert,<br />
sondern bloss eine entsprechende Möglichkeit<br />
geschaffen 61 . Der Vorteil verwirklicht sich, wenn überhaupt,<br />
erst bei einer effektiven Entreicherung der Gesellschaft,<br />
deren Beteiligungsrechte eingebracht worden<br />
sind. Eine solche Entreicherung erfolgt erst bei Liquidation<br />
oder bei Substanzdividenden. Der Einbringungsvorgang<br />
als solcher kann deshalb alleine noch keinen steuerbaren<br />
Ertrag darstellen. Die Transponierungstheorie<br />
wird nahezu einhellig und zu Recht abgelehnt 62 , und es<br />
wird gefordert, die Besteuerung auf Fälle von <strong>St</strong>euerumgehung<br />
zu beschränken 63 .<br />
Ein steuerbarer Beteiligungsertrag soll gemäss der<br />
Theorie der indirekten Teilliquidation auch dann vorliegen,<br />
wenn der Verkäufer auf dem Umweg über den Käufer,<br />
d.h. indirekt, ausschüttbare Mittel aus der verkauften<br />
Gesellschaft zieht, indem der Käufer die Kaufpreiszahlung<br />
aus dem Vermögen der Gesellschaft finanziert. Vorausgesetzt<br />
wird, dass die Beteiligungsrechte aus dem<br />
Privat- in ein Geschäftsvermögen verkauft werden, dass<br />
der Käufer den Kauf aus Mitteln der Gesellschaft finanziert,<br />
dass die Gesellschaft mithin im Zeitpunkt des Verkaufs<br />
über nicht betriebsnotwendige Mittel verfügt und<br />
dass der Verkäufer bei der Finanzierung des Kaufpreises<br />
aus Mitteln der Gesellschaft aktiv mitwirkt 64 . Auch die<br />
Theorie der indirekten Teilliquidation und die entsprechende<br />
Praxis, die immer tiefere Anforderungen an den<br />
Nachweis der einzelnen Voraussetzungen stellt, ist zu<br />
Recht heftiger Kritik ausgesetzt 65 . Die so genannte wirtschaftliche<br />
Auslegung des Begriffes des Beteiligungsertrages<br />
66 geht fehl, denn der Käufer erhält einen Veräusserungserlös.<br />
Die Mittelentnahme ist dem Käufer zuzurechnen;<br />
er hat die etwaige Gewinnausschüttung vereinnahmt.<br />
Im Grunde wird der Veräusserungsbegriff «wirtschaftlich»<br />
ausgelegt und nicht etwa der Begriff des Vermögensertrages.<br />
Eine solche Auslegung müsste aber<br />
mittels der Kriterien der <strong>St</strong>euerumgehung erfolgen.<br />
2.3.4 Marchzinsen<br />
Marchzinsen sind aufgelaufene, aber noch nicht fällige<br />
Zinsforderungen. Bei der Veräusserung eines Zins tragenden<br />
Titels werden die Marchzinsen vom Erwerber<br />
vergütet. Die Vergütung bildet beim Verkäufer formal<br />
57 HÖHN/WALDBURGER, § 14 N. 87; LOCHER, Art. 20 N. 112, 114 ff.<br />
58 VGr ZH, 27.10.1987, RB 1987 Nr. 20 = <strong>St</strong>E 1988 B 24.4 Nr. 11;<br />
BGr, 10.11.1998, <strong>St</strong>E 1999 B 24.4 Nr. 52; REICH, Art. 20 DBG<br />
N. 77.<br />
59 LOCHER, Art. 20 N. 117 m.w.H.<br />
60 BGr, 16.6.2000, <strong>St</strong>E 2000 B 24.4 Nr. 55; BGE 115 Ib 238 = ASA<br />
58 (1989/90), S. 689.<br />
61 Das genügt aber bereits gemäss der bundesgerichtlichen<br />
Praxis (BGr, 6.7.1998, ASA 68 [1999/2000], S. 422 = <strong>St</strong>E 1999<br />
B 24.4 Nr. 48); anders die Rechtsprechung zum Zürcher Recht,<br />
wonach die Übertragung einer Minderheitsbeteiligung<br />
grund sätzlich keinen Transponierungstatbestand bildet (VGr<br />
ZH, 5.7.2000, RB 2000 Nr. 117 = <strong>St</strong>E 2001 B 24.4 Nr. 56).<br />
62 LOCHER, Art. 20 N. 117.<br />
63 HÖHN/WALDBURGER, § 14 N. 87.<br />
64 HÖHN/WALDBURGER, § 14 N. 89 ff.; LOCHER, Art. 20 N. 107 ff.<br />
65 Vgl. die Hinweise bei LOCHER, Art. 20 N. 110.<br />
66 LOCHER, Art. 20 N. 110.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
93<br />
einen Veräusserungserlös für ein anwartschaftliches<br />
Recht. Der Käufer vereinnahmt bei Fälligkeit zwar den<br />
ganzen Zins, hat aber für einen Teil davon Anschaffungskosten<br />
aufgewendet, so dass wirtschaftlich betrachtet<br />
nur der diese Kosten übersteigende Teil des Zinses einkommensbildend<br />
ist.<br />
Ähnlich wie bei den Einkünften aus Beteiligungsrechten,<br />
besteht in der Praxis die Tendenz, dass sämtliche<br />
Zahlungen des Schuldners beim jeweiligen Empfänger<br />
vollständig als Einkommen angerechnet werden, ungeachtet<br />
allfälliger Anschaffungskosten des jeweiligen<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen. Bei der direkten Bundessteuer ist dies<br />
gesetzlich vorgegeben, indem Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG<br />
ohne Einschränkung sämtliche Zinsen aus Guthaben als<br />
steuerbar erklärt. Der Erwerber wird für den gesamten<br />
Zins besteuert, weil alle Leistungen des Schuldners, die<br />
nicht Rückzahlungen der Schuld darstellen, steuerbar<br />
sind 67 . Aus einer subjektiven Sicht, die im Konzept der<br />
Reineinkommensbesteuerung an sich massgebend ist,<br />
bedeutet dies eine Überbesteuerung. Der Erwerber übernimmt<br />
die an sich beim Veräusserer zu erhebende <strong>St</strong>euer.<br />
Die Gründe für diese formale Betrachtungsweise sind<br />
nicht so sehr systematischer, sondern viel mehr praktischer<br />
Natur. Das Bundesgericht hat noch unter dem alten<br />
Recht diese Ordnung geschützt 68 .<br />
Der Kanton Zürich übt eine Praxis, die sich stärker an<br />
den Grundgedanken der Einkommensbesteuerung und<br />
weniger an verwaltungstechnischen Überlegungen orientiert.<br />
<strong>St</strong>euerpflichtige können deshalb verlangen, dass<br />
ihre Zinseinkünfte abgegrenzt werden; diese Abgrenzung<br />
erfolgt konsequenterweise aktiv wie passiv: Einerseits<br />
können die Anschaffungskosten von den empfangenen<br />
Zinsen abgezogen werden, anderseits sind die Veräusserungserlöse<br />
soweit steuerbar, als sie auf Marchzinsen<br />
entfallen 69 . Die Zürcher Praxis ist sicherlich aufwändiger<br />
als die Lösung der direkten Bundessteuer, jener<br />
aber unter dem Aspekt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit überlegen.<br />
2.4 Gesetzlicher Verzicht auf Realisation des<br />
Einkommens<br />
2.4.1 Eigenmietwert der selbstbewohnten<br />
Liegenschaft<br />
Wie oben ausgeführt, bildet die Besteuerung des Eigenmietwertes<br />
die Ausnahme vom Grundsatz, dass die<br />
Eigennutzung von Vermögensgegenständen steuerlich<br />
irrelevant ist. Die Besteuerung des Eigenmietwertes bedarf<br />
einer besonderen, konstitutiv wirkenden gesetzlichen<br />
Grundlage, weil sie nicht schon in der Generalklausel<br />
enthalten ist.<br />
2.4.2 Tatbestände steuersystematischer<br />
Realisation<br />
Im Geschäftsvermögensbereich werden Überführungen<br />
ins Privatvermögen und Überführungen in ausländische<br />
Betriebe Veräusserungen gleichgestellt 70 . Damit soll die<br />
vollständige Erfassung der im Geschäftsvermögen entstandenen<br />
Wertvermehrungen sichergestellt werden. Im<br />
Privatvermögen könnte der Veräusserungsgewinn nicht<br />
mehr besteuert werden, weil private Kapitalgewinne<br />
steuerfrei sind. Im Ausland entginge der Veräusserungsgewinn<br />
der Schweizer <strong>St</strong>euer, auch wenn der veräusserte<br />
Vermögenswert weiterhin Geschäftsvermögen bildet.<br />
Mit einer Realisation von Einkünften haben diese Tatbestände<br />
nichts zu tun; vielmehr wird von Gesetzes wegen<br />
eine Realisation fingiert.<br />
2.4.3 Aufwertungsgewinne<br />
Die im Geschäftsvermögen verbuchten Aufwertungsgewinne<br />
werden besteuert (so genannte «buchmässige<br />
Realisation»). Diese <strong>St</strong>euerfolge ist eine eigentlich<br />
selbstverständliche Konsequenz des Massgeblichkeitsprinzips,<br />
welches unausgesprochen nicht nur für juristische<br />
Personen, sondern auch für selbständig erwerbende<br />
und Buch führende natürliche Personen gilt. Eine steuerliche<br />
Korrekturnorm, welche den handelsrechtlichen<br />
Gewinn um die Aufwertungsgewinne bereinigen würde,<br />
wäre an sich denkbar, ist aber im geltenden Recht nicht<br />
vorgesehen. Die Einführung einer solchen steuerlichen<br />
Korrektur, allenfalls sogar der Übergang zu einer eigenen<br />
steuerlichen Gewinnermittlung, ist aber angesichts<br />
der zunehmenden Bedeutung der internationalen Rechnungslegungsstandards<br />
(IFRS/IAS und US GAAP) und<br />
des Projektes eines Rechnungslegungsgesetzes zu prüfen.<br />
Die in den genannten Regelwerken enthaltenen<br />
Durchbrechungen des Realisationsprinzips widersprechen<br />
dem Grundsatz der Einkommenssteuer, nur das<br />
reali sierte Einkommen zu erfassen 71 .<br />
67 Dies wird zuweilen als «subjektives Herkunftsprinzip» bezeichnet<br />
(LOCHER, Art. 20 N. 7, 21).<br />
68 BGr, 17.12.1992, ASA 63 (1994/95), S.51f. = <strong>St</strong>E 1993 B 24.3<br />
Nr. 4.<br />
70 Art. 8 Abs. 1 <strong>St</strong>HG; Art. 18 Abs. 2 Satz 1 DBG; § 18 Abs. 2 Satz 2<br />
<strong>St</strong>G ZH.<br />
71 Dazu insb. GURTNER, Neue Rechnungslegung, S. 85, 98.<br />
69 REICH, Vermögensertragsbegriff und Realisation, S. 216 f.<br />
m.w.H.; RICHNER/FREI/KAUFMANN, § 20 N. 21.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
94 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
2.4.4 Eigenleistungen im Geschäft<br />
Einen Tatbestand steuersystematischer Realisation sui<br />
generis bildet die Bewertung selbst hergestellter Erzeugnisse<br />
zum Marktpreis gemäss Art. 16 Abs. 2 DBG, soweit<br />
in diesen Erzeugnissen ein Wert der eigenen Arbeit des<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen enthalten ist 72 . Nicht realisierte Eigenleistungen<br />
von Selbständigerwerbenden sind nämlich<br />
steuerlich unbeachtlich. Sodann können Eigenleistungen<br />
nicht privat dem Geschäft entnommen werden, weil<br />
die Arbeitskraft des Selbständigerwerbenden nicht zum<br />
Geschäftsvermögen gehört. Vielmehr bilden seine<br />
Dienstleistungen immaterielle Einlagen in das Geschäft<br />
73 . Deshalb kann es bei Eigenleistungen von Selbständigerwerbenden<br />
höchstens zu einer Aufrechnung jener<br />
Kosten kommen, die dem Geschäft belastet, aber privat<br />
veranlasst sind 74 . Die gegenteilige Auffassung, wonach<br />
der Selbständigerwerbende sein gesamtes Dienstleistungspotential<br />
in das Geschäft einlegt, weshalb bei<br />
privater Verwendung Teile davon wieder entnommen<br />
werden können 75 , überzeugt nicht. Das Dienstleistungspotential<br />
ist höchstpersönlicher Natur, nicht aktivierbar<br />
und weder als Gesamtheit noch teilweise einlagefähig.<br />
Ohnehin ergäben sich schwierige Konsequenzen, ginge<br />
man von einer Einlage des gesamten Dienstleistungspotentiales<br />
aus 76 .<br />
2.5 <strong>St</strong>euerneutrale Vorgänge<br />
In einigen Fällen kommt es trotz eines Mittelzuflusses<br />
von aussen in die Vermögenssphäre des <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
zu keiner Besteuerung zum Zeitpunkt des fraglichen<br />
Vorganges. Eigentliche <strong>St</strong>euerbefreiungen liegen nicht<br />
vor, weil die Nichtbesteuerung nicht definitiv ist. Solche<br />
Tatbestände werden vom Gesetz entweder als <strong>St</strong>eueraufschub<br />
ausgestaltet oder es wird in Anwendung eines<br />
funktionalen Verständnisses der Realisation eine solche<br />
verneint. Diese Aspekte können im Folgenden nur gestreift<br />
werden.<br />
2.5.1 Privatvermögen<br />
Im Privatvermögensbereich kommt es vorab bei der<br />
Grundstückgewinnsteuer vor, dass Einkünfte steuerlich<br />
bei einem anderen <strong>St</strong>euerpflichtigen besteuert werden<br />
als bei demjenigen, bei dem sie wirtschaftlich entstanden<br />
sind. Es geht um den Wertzuwachs auf liegenschaftlichen<br />
Werten, der auf Grund eines <strong>St</strong>eueraufschubstatbestandes<br />
trotz Handänderung nicht besteuert wird. Als<br />
Aufschubstatbestände sind im Wesentlichen die güterrechtliche<br />
Auseinandersetzung bei Trennung, Scheidung<br />
oder Tod sowie der Eigentumsübergang von Todes wegen<br />
zu nennen 77 . Insbesondere bei der güterrechtlichen<br />
Auseinandersetzung sind die mit Grundstücken verbundenen<br />
latenten <strong>St</strong>euerlasten ein wichtiger Aspekt, den es<br />
bei der Beratung zu berücksichtigen gilt.<br />
Bei Obligationen mit überwiegender Einmalverzinsung<br />
gehen, wie oben ausgeführt, die positiven und negativen<br />
Wertveränderungen auch im Privatvermögensbereich<br />
bei ihrer Realisation durch Veräusserung oder bei Rückzahlung<br />
in die Bemessungsgrundlage ein. Der Eigentumsübergang<br />
solcher Titel bei Erbschaft oder Schenkung<br />
bildet mangels Entgelts keinen Realisationstatbestand,<br />
so dass latente <strong>St</strong>euerlasten und -guthaben über -<br />
gehen 78 .<br />
2.5.2 Geschäftsvermögen<br />
Erbschaft und Schenkung von Geschäftsvermögen stellen<br />
mangels Entgelts keinen Realisationstatbestand<br />
beim Erblasser oder Schenker dar; allerdings ist bei einer<br />
Schenkung zu prüfen, ob eine Privatentnahme vorliegt 79 .<br />
Allfällige stille Reserven werden nicht beim Erblasser<br />
oder beim Schenker besteuert. Vielmehr übernehmen der<br />
Erbe und der Beschenkte die bisher für den Erblasser und<br />
Schenker massgeblichen Einkommenssteuerwerte. Bei<br />
einer späteren Realisation dieser stillen Reserven – soweit<br />
solche Werte noch vorhanden sind – haben der Erbe<br />
und der Beschenkte die <strong>St</strong>euer darauf zu entrichten, obwohl<br />
die Wertsteigerung bereits beim Erblasser oder<br />
Schenker entstanden war und nach dem finanzwissenschaftlichen<br />
Verständnis bei diesem Einkommen bildete.<br />
Zu keiner Realisation stiller Reserven führen Umstrukturierungstatbestände,<br />
wenn die entsprechenden, hier<br />
nicht näher darzustellenden Voraussetzungen der <strong>St</strong>euerneutralität<br />
erfüllt sind. In einer funktionalen Betrachtungsweise,<br />
die hier Platz greift, ist keine Realisation gegeben,<br />
weshalb es auch zu keiner Besteuerung kommt 80 .<br />
72 A. M. LOCHER, Art. 16 N. 35.<br />
73 WEIDMANN, S. 91.<br />
74 REICH, Art. 16 DBG N. 42; WEIDMANN, S. 91.<br />
75 LOCHER, Art. 16 N. 49.<br />
76 Insbesondere wäre das Dienstleistungspotential zu bewerten<br />
und es müsste steuerlich aktiviert werden. Es wären Abschreibungen<br />
zuzulassen und bei Geschäftsaufgabe über<br />
eine Privatentnahme des Potentials abzurechnen.<br />
77 Art. 12 Abs. 3 lit. a und b <strong>St</strong>HG; § 216 Abs. 3 lit. a und b <strong>St</strong>G ZH.<br />
78 In Analogie zu Erbschaft und Schenkung von Geschäftsvermögen,<br />
s. sogleich.<br />
79 LOCHER, Art. 18 N. 84, 108 f.; RK I ZH, 28.9.2001, Z<strong>St</strong>P 2002,<br />
S. 27.<br />
80 Art. 8 Abs. 3 <strong>St</strong>HG; Art. 19 Abs. 1 DBG; § 19 <strong>St</strong>G ZH. Im Einzelnen<br />
dazu namentlich LOCHER Art. 19 N. 11 ff.; REICH, Art. 19<br />
DBG N. 19 ff.; DERS., Unternehmensumstrukturierungen,<br />
S. 31 ff., 192 ff., 251 ff., 303 ff.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
95<br />
Es kann aber zur Übertragung latenter <strong>St</strong>euerlasten kommen,<br />
worauf noch einzutreten ist 81 .<br />
3 Zeitliche Zurechnung<br />
3.1 Erwerb der wirtschaftlichen Verfügungs -<br />
macht<br />
In einem engeren Sinne geht es bei der zeitlichen Zurechnung<br />
darum, eine einzelne Einkunft einer bestimmten<br />
Zeitperiode zuzuordnen, die in der Regel, aber nicht<br />
notwendigerweise, ein Jahr dauert und zugleich dem Kalenderjahr<br />
entspricht. Diesem Aspekt der Zurechnung<br />
soll im Folgenden nachgegangen werden. In einem weiteren<br />
Sinne kann unter zeitlicher Zurechnung auch das<br />
Verhältnis zwischen Bemessungs- und <strong>St</strong>euerperiode sowie<br />
allenfalls der Veranlagungsperiode verstanden werden.<br />
Diese Beziehung ist hier unbeachtlich.<br />
Der Rechtsbegriff des Einkommens ist wirtschaftlich geprägt,<br />
nicht zivilrechtlich, und öffentlich-rechtlicher Natur.<br />
Eine bestimmte Einkunft ist aus diesem Grund demjenigen<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen zuzurechnen, der die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht darüber erworben hat. Der<br />
Begriff der wirtschaftlichen Verfügungsmacht findet<br />
sich nicht in den Einkommenssteuergesetzen. Er leitet<br />
sich aus dem Einkommensbegriff und seiner Funktion<br />
ab, einen wirtschaftlichen Sachverhalt einer bestimmten<br />
Personen zuzuordnen. Der grundlegende Gedanke bei<br />
der zeitlichen Zurechnung von Einkünften muss deshalb<br />
sein, dass der <strong>St</strong>euerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht<br />
über den betreffenden Einkommensteil erlangt.<br />
Die Einkunft ist jener <strong>St</strong>euerperiode zuzuordnen,<br />
in welcher der <strong>St</strong>euerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht<br />
darüber erwirbt 82 .<br />
Der Begriff der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ist offen<br />
und muss konkretisiert werden. Diese Konkretisierung<br />
folgt über weite <strong>St</strong>recken den zivilrechtlichen und<br />
öffentlich-rechtlichen Gegebenheiten, denn das Zivilund<br />
das anwendbare öffentliche Recht sind der rechtliche<br />
und damit massgebliche Rahmen, in dem die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht erworben wird. Die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht darf deshalb nicht in der<br />
Weise verstanden werden, dass beispielsweise relativ sichere<br />
Erwartungen auf in der Zukunft zu erwartende<br />
Einkünfte darin eingeschlossen wären. So verschafft ein<br />
Auftragsbestand, der noch bearbeitet werden muss, keine<br />
wirtschaftliche Verfügungsmacht über das vereinbarte<br />
Entgelt. Desgleichen gibt die Erwartung eines Bonus,<br />
der aber noch nicht zugesprochen ist, dem Arbeitnehmer<br />
keine wirtschaftliche Verfügungsmacht im hier massgeblichen<br />
Sinne über diesen Lohnbestandteil. Die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht ist noch nicht erworben,<br />
auch wenn solche Sachverhalte die subjektive und objektive<br />
Einschätzung der wirtschaftlichen Lage zum<br />
Beispiel hinsichtlich der Bonität des betreffenden <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
positiv beeinflussen mögen.<br />
3.2 Umschreibungen in Literatur und<br />
Judikatur<br />
Einkommen ist nach Lehre und Rechtsprechung dann als<br />
realisiert zu betrachten, wenn der <strong>St</strong>euerpflichtige Leistungen<br />
vereinnahmt oder einen festen Rechtsanspruch<br />
darauf erwirbt, über den er tatsächlich verfügen kann 83 .<br />
Ein fester Rechtsanspruch entsteht beispielsweise, wenn<br />
der <strong>St</strong>euerpflichtige für die von ihm erbrachten Leistungen<br />
Rechnung stellt und sie bucht 84 . Blosse Anwartschaften<br />
und bedingte Rechtsansprüche führen beim<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen zu keinem Einkommen, denn sie sind<br />
nur Vorbereitungen für den Erwerb von Ansprüchen 85 .<br />
Eine besondere Unsicherheit der Erfüllung ist in der<br />
Weise zu berücksichtigen, dass auf den Zeitpunkt der tatsächlichen<br />
Erfüllung abgestellt wird 86 .<br />
Genau besehen decken diese Formulierungen zwei verschiedene<br />
Bereiche ab, nämlich den des Geschäfts- und<br />
jenen des Privatvermögens. Wegen der unterschiedlichen<br />
Ausgestaltung der Ermittlung des steuerbaren Einkommens<br />
drängt sich eine gesonderte Betrachtung auf.<br />
3.3 Die kaufmännische Gewinnermittlung<br />
Im Bereich des Geschäftsvermögens gilt das Massgeblichkeitsprinzip:<br />
Für die Bemessung des steuerbaren<br />
Einkommens wird unter dem Vorbehalt steuerlicher Korrekturen<br />
auf das Ergebnis der handelsrechtlichen Erfolgsrechnung<br />
abgestellt. Besondere steuerliche (Korrektur-)<br />
Vorschriften hinsichtlich des Zeitpunktes der<br />
Realisation von Erträgen bestehen nicht. Deshalb sind in<br />
diesem Bereich einzig die Grundsätze der kaufmännischen<br />
Buchführung hinsichtlich des Realisationszeitpunkts<br />
massgebend.<br />
Die Vorschriften zur kaufmännischen Buchführung enthalten<br />
keine ausdrückliche Regelung, in welchem Zeitpunkt<br />
Erträge als realisiert zu gelten haben. Aus dem<br />
81 Unten, Abschn. 4.4.<br />
82 VGr ZH, 25.3.1998, RB 1998 Nr. 148; REICH, Art. 16 DBG N. 25.<br />
83 BGr, 19.7.1993, ASA 64 (1995/96), S. 142 f. = <strong>St</strong>E 1995 B 72.13.22<br />
Nr. 31.<br />
84 BGE 105 Ib 242 = ASA 49 (1980/81), S. 65.<br />
85 LOCHER, Art. 16 N. 22; WEIDMANN, S. 196.<br />
86 BGr, 1.11.1991, ASA 61 (1992/93), S. 669; LOCHER, Art. 16 N. 21;<br />
WEIDMANN, S. 197 f.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
96 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
System der Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung<br />
ist abzuleiten, dass ein Ertrag in dem Zeitpunkt realisiert<br />
ist, wo er nur noch mit solchen Risiken behaftet ist, die<br />
durch Wertberichtigungen oder durch Rückstellungen<br />
erfassbar sind 87 . Damit werden – in anderen Formulierungen<br />
– die Erträge dann realisiert, wenn sie in Form<br />
von Geld oder von Geld-Äquivalenten (wie unbedingten<br />
Forderungen) als wirklich zugegangen zu betrachten<br />
sind 88 bzw. wenn Güter oder Dienstleistungen in eine<br />
durchsetzbare, feste und unentziehbare, dem Erwerb von<br />
Geld gleichzuhaltende Forderung umgewandelt werden<br />
89 . Das Bundesgericht hält dafür, Erträge seien realisiert,<br />
wenn die entsprechenden Leistungen erbracht oder<br />
rechtlich vollstreckbar geschuldet seien 90 . In der Praxis<br />
fällt der Realisationszeitpunkt meist mit der Rechnungsstellung<br />
zusammen 91 . Die Einräumung einer blossen Anwartschaft<br />
und das Bestehen eines noch bedingten Leistungsanspruches<br />
erfüllen die Bedingungen der Einkommensrealisierung<br />
nicht 92 .<br />
Auf die Fälligkeit der Forderung kommt es grundsätzlich<br />
nicht an. Sodann spielt es keine Rolle, ob das konkrete<br />
Geschäft Umlauf- oder Anlagevermögen betrifft 93 .<br />
In der Regel wird ein Ertrag somit nach Vollendung der<br />
eigenen Leistung realisiert 94 . Danach bestehen nur noch<br />
Debitoren- und Gewährleistungsrisiken. Diesen Risiken<br />
ist, soweit erforderlich, durch Wertberichtigung der Forderung<br />
und durch Bildung einer Rückstellung Rechnung<br />
zu tragen.<br />
In Abweichung von diesen Grundsätzen können in der<br />
Praxis nicht buchführungspflichtige Selbständigerwerbende<br />
nach der so genannten Ist-Methode abrechnen 95 .<br />
Diesfalls ist ihr Geschäftseinkommen erst bei Zahlungseingang<br />
realisiert.<br />
3.4 Realisation von Einkünften im Bereich<br />
des Privatvermögens<br />
Im Bereich des Privatvermögens müssen alle Zuflüsse<br />
einzeln danach untersucht werden, ob sie Einkommen im<br />
steuerlichen Sinne bilden. Der Zufluss eines geldwerten<br />
Rechtes bildet für sich alleine noch kein Einkommen,<br />
weshalb das Kriterium des «Zuflusses von aussen» nicht<br />
genügt, um die steuerliche Einkunft zu umschreiben. Es<br />
kommt darauf an, ob der <strong>St</strong>euerpflichtige diesen Zufluss<br />
realisiert hat. Xavier Oberson drückt dies plastisch so<br />
aus 96 : «Cette condition essentielle constitue le fait générateur<br />
de l’imposition du revenue.» Die Realisation umfasst<br />
im Privatvermögensbereich eine positive und zwei<br />
negative Bedingungen: Realisation ist der Erwerb einer<br />
unentziehbaren rechtlichen oder tatsächlichen Position,<br />
ohne dass diese Position mit einer Rückgabepflicht belastet<br />
wäre und ohne dass eine allenfalls noch durch einen<br />
Schuldner zu erbringende Erfüllungshandlung besonders<br />
unsicher wäre.<br />
3.4.1 Realisation einer Einkunft<br />
3.4.1.1 Erwerb einer sicheren Forderung<br />
Als erstes Element der steuerlichen Einkommensrealisation<br />
im Privatvermögensbereich bedarf es des Erwerbs<br />
eines sicheren Anspruchs. Der «sichere Anspruch» lässt<br />
sich nicht auf positive Weise genauer umschreiben. In<br />
Anlehnung an die für das Bilanzrecht gefundene Umschreibung<br />
kann der Erwerb einer Forderung dann als sicher<br />
bezeichnet werden, wenn nur noch Debitoren- oder<br />
Gewährleistungs- bzw. vergleichbare Risiken (wie beispielsweise<br />
Schadenersatzrisiken) bestehen. Der <strong>St</strong>euerpflichtige<br />
muss somit eine unentziehbare Rechtsposition<br />
oder zumindest eine vergleichbare tatsächliche <strong>St</strong>ellung<br />
erworben haben.<br />
3.4.1.2 Keine Rückgabepflicht<br />
Der Erwerb einer «sicheren Forderung» im Rechtsverkehr<br />
oder ein tatsächliches Zufliessen, welches eine<br />
<strong>St</strong>ellung ähnlich einem Eigentümer oder Gläubiger vermittelt,<br />
genügt indessen nicht, um eine Einkunft zu realisieren.<br />
Wenn eine Privatperson ein Darlehen aufnimmt<br />
und einen entsprechenden Vertrag abschliesst, erwirbt<br />
diese Person eine Forderung auf Auszahlung der Darlehenssumme.<br />
Dennoch bildet weder dieser Anspruch auf<br />
Auszahlung noch die Auszahlung selbst Einkommen<br />
87 REICH, Unternehmensumstrukturierungen, S. 26; WEIDMANN,<br />
S. 144 f.; VRK I/1 SG, 1.11.1999, <strong>St</strong>E 2000 B 21.2 Nr. 12.<br />
88 KÄFER, Art. 958 N. 157 f.<br />
89 BÖCKLI, Aktienrecht, N. 832.<br />
90 BGE 116 II 539.<br />
91 Für den Fall einer verzögerten Rechnungsstellung vgl. VGr<br />
ZH, 19.5.1999, RB 1999 Nr. 141.<br />
92 BGr, 4.5.1999, ASA 68 (1999/2000), S. 739; LOCHER, Art. 16<br />
N. 22.<br />
93 REICH, Unternehmensumstrukturierungen, S. 26; WEIDMANN,<br />
S. 147; anders offenbar BGE 105 Ib 238 = ASA 49 (1980/81),<br />
S. 61.<br />
94 Einzelfälle bei LOCHER, Art. 18 N. 67.<br />
95 Buchführungspflichtigen, insbesondere Aktiengesellschaften,<br />
steht diese Möglichkeit nicht offen, weil die Ist-Methode<br />
den buchführungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht<br />
(VGr ZH, 19.12.2001, RB 2001 Nr. 90).<br />
96 OBERSON, § 7 N. 12. Anders in der Wortwahl, aber nicht in der<br />
Sache, REICH (Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 7 f.). Er verwendet den Begriff der<br />
Realisation – aber nicht dessen Gehalt – unnötig eng und will<br />
ihn offenbar auf die Veräusserung von Aktiven des Geschäftsvermögens<br />
beschränken, obwohl das Realisationsprinzip<br />
allein schon im Bilanzrecht einen umfassenderen Anwendungsbereich<br />
hat. OEHRLI meint, die Verwendung des<br />
Realisationsbegriffes im hier behandelten Zusammenhang<br />
verwirre unnötig (S. 6).<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
97<br />
beim Darlehensnehmer, obwohl bei ihm ein Zufluss an<br />
Mitteln zu verzeichnen ist. Der Grund dafür ist offenkundig:<br />
Jene Person ist zur Rückzahlung der Darlehenssumme<br />
verpflichtet. Solange ein Zufluss mit einer korrespondierenden<br />
Verpflichtung zur Rückgabe oder zur<br />
Übertragung eines anderen Vermögenswertes belastet<br />
ist, kann er nicht als Einkommen angesehen werden. Die<br />
Einkunft ist also nur dann realisiert, wenn der <strong>St</strong>euerpflichtige<br />
sie rechtlich oder tatsächlich behalten darf und<br />
damit die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber erlangt<br />
hat 97 . In buchführungsrechtlichen Worten ist eine<br />
Einkunft dann nicht realisiert, wenn sie eine Passivierungspflicht<br />
auslöst. Auch wenn die Verpflichtung auf<br />
eine Rückgabe in einer späteren <strong>St</strong>euerperiode gerichtet<br />
ist, wird kein Einkommen realisiert.<br />
Die Realisation von Einkünften ist in der Regel nicht ein<br />
rein tatsächlicher Vorgang, weil sich die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht und damit deren Erwerb im rechtlichen<br />
Rahmen abspielen 98 . Dies zeigt sich beispielsweise<br />
bei einem scheinbar so einfachen Fall wie dem Fund:<br />
Der tatsächliche Vorgang des Auffindens einer Sache ist<br />
noch kein Fund im Rechtssinne. Um das Eigentum an der<br />
Sache zu erwerben, muss der Finder von ihr Besitz ergreifen,<br />
was subjektiv die Urteilsfähigkeit des Finders<br />
und dessen Willen voraussetzt, Besitz zu begründen 99 .<br />
Unter Umständen genügt indessen der Erwerb einer faktischen<br />
<strong>St</strong>ellung, nämlich dann, wenn der betreffende<br />
<strong>St</strong>euerpflichtige wie ein Eigentümer oder Gläubiger<br />
über das fragliche Recht verfügen kann. Eine solche faktische<br />
<strong>St</strong>ellung darf allerdings nicht leichthin angenommen<br />
werden. Beispielsweise reicht die faktische Verfügungsmacht<br />
des beherrschenden Aktionärs über nicht<br />
deklarierte Konti der Gesellschaft nicht aus, um bei ihm<br />
geldwerte Leistungen aufzurechnen. Vielmehr ist auf die<br />
tatsächliche Entnahme aus den Konti abzustellen 100 .<br />
Aus diesen Gründen sind Einkünfte aus deliktischen<br />
Handlungen steuerbar, es sei denn, es bestehe ein liquider<br />
Anspruch auf Ablieferung, dessen Durchsetzung unmittelbar<br />
bevorsteht 101 . Auf die <strong>St</strong>rafbarkeit kommt es<br />
indessen nach dem oben Gesagten grundsätzlich nicht<br />
an; es liegt auch dann kein Einkommen vor, wenn der<br />
Vermögenszufluss auf eine straflose Handlung zurückgeht<br />
und der <strong>St</strong>euerpflichtige vertraglich oder gesetzlich<br />
zur Rückerstattung verpflichtet ist. Kaum geklärt ist, wie<br />
bei Fällen zu verfahren ist, bei denen ein Zufluss besteuert<br />
worden ist, der aber nachträglich zurückerstattet werden<br />
muss. Um eine periodengerechte Besteuerung nach<br />
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen,<br />
muss der sich nach der fraglichen <strong>St</strong>euerperiode verwirklichende<br />
Umstand der Rückerstattung, der aber auf<br />
den Zufluss zurückwirkt, durch eine – fristgerecht zu<br />
verlangende – Revision der betreffenden <strong>St</strong>euereinschätzung<br />
berücksichtigt werden 102 . Der gesetzliche Revisionsgrund<br />
der neuen Tatsache ist durch die Rückerstattung<br />
alleine nicht erfüllt, weil diese ein unechtes Novum<br />
bildet. Der rechtliche Zusammenhang mit der in der<br />
fraglichen <strong>St</strong>euerperiode zugeflossenen Einkunft schafft<br />
aber insgesamt eine echte neue Tatsache 103 . Soweit der<br />
Zufluss Anlass für ein Nachsteuerverfahren bildet, sollte<br />
der Berücksichtigung einer Rückerstattung in diesem<br />
Verfahren nichts im Wege stehen 104 . Der Übergang zwischen<br />
den soeben diskutierten Fällen und solchen, wo<br />
Schadenersatzpflichten etc. durch einen Gewinnungskostenabzug<br />
in der späteren Periode zu berücksichtigten<br />
sind, kann fliessend sein.<br />
Mit dem Erwerb der wirtschaftlichen Verfügungsmacht<br />
wird die fragliche Rechtsposition unter Vorbehalt einer<br />
etwaigen besonderen Unsicherheit ihrer Erfüllung Teil<br />
des Privatvermögens. Spätere Wertveränderungen sind<br />
als private Kapitalgewinne und -verluste steuerlich unbeachtlich.<br />
Im Einzelnen wird Arbeitslohn mit der Erbringung der<br />
Leistung des Arbeitnehmers und per Ende der vertraglich<br />
vereinbarten Abrechnungsperiode, in der Regel monatlich<br />
auf den vertraglich vereinbarten <strong>St</strong>ichtag hin,<br />
realisiert. Wann die Arbeit geleistet wurde, ist für die<br />
Realisation des Arbeitslohnes grundsätzlich unerheblich<br />
105 . Der Bonus oder die Erfolgsbeteiligung für das<br />
97 VGr ZH, 25.3.1998, RB 1998 Nr. 148; TRZASKALIK, S. 224 f.<br />
98 In diesem Sinne sind die Ausführungen des VGr ZH vielleicht<br />
missverständlich (25.3.1998, RB 1998 Nr. 148), wonach der<br />
Einkommenszufluss ein faktischer Vorgang sei, der damit abgeschlossen<br />
sei, dass der <strong>St</strong>euerpflichtige die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht über die zugeflossenen Vermögenswerte<br />
innehabe.<br />
99 REY, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum,<br />
Bern 1991, S. 387 f.<br />
100 BGr, 19.7.1993, ASA 64 (1995/96), S. 137.<br />
101 VGr ZH, 25.3.1998, RB 1998 Nr. 148; LOCHER, Art. 16 N. 14;<br />
OBERSON, § 7 N. 11. Dass nur liquide Ansprüche berücksichtigt<br />
werden, mag streng erscheinen und ist primär beweisrechtlich<br />
bedingt. Zu beachten ist, dass in der strafrechtlichen Praxis<br />
häufig keine Rückerstattung verlangt wird, weil das Deliktsgut<br />
ohnehin nicht mehr vorhanden ist und ein Ersatzanspruch<br />
mangels Vermögens nicht durchsetzbar wäre.<br />
102 Gl. M. LOCHER (Art. 16 N. 14) und REICH (Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 33), die<br />
sich auf ein unbegründetes obiter dictum des OG UR berufen<br />
(7.11.1997, <strong>St</strong>E 1998 B 21.1 Nr. 6).<br />
103 Vergleichbare Lösungen mittels Revisionsverfahren bestehen<br />
bei der Grundstückgewinnsteuer (vgl. insb. VGr ZH,<br />
7.5.1992, RB 1992 Nr. 42 = <strong>St</strong>E 1992 B 42.38 Nr. 11).<br />
104 Vgl. REICH, Art. 7 <strong>St</strong>HG N. 33.<br />
105 REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, N. 21 der Vorbemerkungen zu<br />
§§ 19–32.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
98 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Geschäftsjahr wird regelmässig erst im nachfolgenden<br />
Jahr realisiert, weil erst dann Höhe und Bestand feststellbar<br />
sind. Vertraglich nicht geschuldete Leistungen sind<br />
vom Arbeitnehmer erst realisiert, wenn der Arbeitgeber<br />
sie entweder verbindlich zugesprochen oder ausgerichtet<br />
hat 106 .<br />
Mitarbeiteraktien werden mit der Annahme der Zuteilung<br />
realisiert, auch wenn sie gesperrt sind. Potentielle<br />
Rückgabeverpflichtungen, insbesondere bei Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses vor einem bestimmten<br />
Termin, sind unbeachtlich 107 .<br />
Mitarbeiteroptionen sind nach neuerer Rechtsprechung<br />
bei ihrer Zuteilung realisiert 108 . Das Optionsrecht auf Erwerb<br />
von Aktien des Arbeitgebers ist indessen je nach<br />
den Umständen nicht als sicher zu betrachten, wenn es<br />
nur unter Bedingungen eingeräumt worden ist. Dann ist<br />
für die Annahme der Realisation auf den Zeitpunkt abzustellen,<br />
in dem die Bedingungen eingetreten sind 109 . Auf<br />
die aktuellen Vorschläge für eine Neuordnung der Besteuerung<br />
von Mitarbeiteroptionen kann hier nicht eingegangen<br />
werden 110 .<br />
Alterskapital-Leistungen einer Einrichtung der beruflichen<br />
Vorsorge im obligatorischen Bereich fliessen bei<br />
Eintritt des Vorsorgefalles zu, auch wenn der Empfänger<br />
die Auszahlung aufgeschoben hat 111 . Im überobligatorischen<br />
Bereich bestimmt sich der Zeitpunkt des Anspruches<br />
auf Ausrichtung von Altersleistungen auch steuerlich<br />
nach dem anwendbaren Reglement 112 , wobei die<br />
Fälligkeit einer Kapitalleistung frühestens am ersten Tag<br />
nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses gegeben sein<br />
kann 113 .<br />
Die Zinsen für Miete, Pacht und Darlehen sind gemäss<br />
der Rechtsprechung bei ihrer Fälligkeit realisiert 114 . Ein<br />
Vorbehalt ist für die Fälle anzubringen, wo der Mieter,<br />
Pächter oder Darlehensnehmer vorleistungspflichtig ist;<br />
diesfalls ist die Forderung des Vermieters, Verpächters<br />
oder Darlehensgebers noch nicht sicher, weil er ja seine<br />
Leistung – durch vertragskonforme Überlassung der Sache<br />
– noch erbringen muss. Dementsprechend hat die<br />
Oberrekurskommission des Kantons Zürich einen für<br />
zehn Jahre im Voraus bezahlten Mietzins auf die einzelnen<br />
Jahre umgelegt und im Umfang der Erfüllung besteuert<br />
115 .<br />
Dividenden werden mit dem Beschluss der Generalversammlung<br />
realisiert 116 , was auch für so genannte Wahldividenden<br />
zutrifft 117 . Verdeckte Gewinnausschüttungen<br />
gelten nach der Rechtsprechung dann als realisiert, wenn<br />
mit ihrer Rückerstattung an die Gesellschaft nicht mehr<br />
ernstlich zu rechnen ist, was mit der Genehmigung der<br />
Bilanz und Erfolgsrechnung, worin die entsprechenden<br />
Forderungen nicht enthalten sind, anzunehmen ist 118 .<br />
Geht der geldwerte Vorteil an den Hauptaktionär, der zudem<br />
Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Gesellschaft<br />
ist, darf gemäss Zürcher Rechtsprechung davon<br />
ausgegangen werden, dass dieser von Beginn weg die<br />
Gewissheit gehabt habe, die betreffenden Vermögenserträge<br />
nicht zurückerstatten zu müssen 119 . Das Bundesgericht<br />
stellt auf den Zeitpunkt ab, in dem der Anteilseigner<br />
den eindeutigen Willen äussert, die Mittel der Gesellschaft<br />
zu entziehen bzw. in dem diese Absicht den Behörden<br />
erkennbar wird 120 .<br />
Einkünfte aus öffentlich-rechtlichen Verhältnissen werden<br />
in der Regel erst im Zeitpunkt realisiert, wo über den Anspruch<br />
durch Verfügung entschieden ist, und nicht schon<br />
mit der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen 121 .<br />
3.4.1.3 Keine besondere Unsicherheit der<br />
Erfüllung<br />
Selbst wenn der Forderungserwerb im obigen Sinne<br />
«sicher» ist, führt dies noch nicht zur Einkommensrealisation,<br />
wenn die Erfüllung dieser Forderung besonders<br />
unsicher erscheint. Bei einer solchen besonderen Unsi-<br />
106 LOCHER, Art. 17 N. 64.<br />
107 BGr, 6.11.1995, ASA 65 (1996/97), S. 733; RK II ZH, 17.5.2002,<br />
Z<strong>St</strong>P 2002, S. 302. Andernfalls wäre eine nutzniessungsähnliche<br />
Rechtsposition an den Aktien anzunehmen und würde<br />
das Einkommen erst bei Wegfall der potentiellen Rückgabeverpflichtungen<br />
realisiert.<br />
108 VGr ZH, 4.7.1995, RB 1995 Nr. 34 = <strong>St</strong>E 1996 B 22.2 Nr. 11.<br />
109 So genanntes vesting; RK II ZH, 14.2.2002, <strong>St</strong>R 57 (2002),<br />
S. 380, bestätigt durch VGr ZH, 20.11.2002, SB.2002.00029.<br />
Kritisch dazu PETER, Zeitpunkt der Besteuerung von Mitarbeiteroptionen,<br />
F<strong>St</strong>R 2002, S. 196.<br />
110 S. dazu RISI, Besteuerung von Mitarbeiterbeteiligungen,<br />
S. 213; BAUMGARTNER, S. 223.<br />
111 VGr ZH, 24.11.1999, RB 1999 Nr. 143 = <strong>St</strong>E 2000 B 21.2 Nr. 11.<br />
112 VGr ZH, 19.4.2000, RB 2000 Nr. 126 = <strong>St</strong>E 2001 B 21.2 Nr. 13.<br />
113 BGr, 3.3.2000, <strong>St</strong>E 2001 A 24.35 Nr. 2; s. dazu WALDBURGER,<br />
Rechtsprechung im Jahr 2000, S. 158 ff.<br />
114 BGr, 1.11.1985, <strong>St</strong>E 1986 B 21.2 Nr. 1; VGr ZH, 21.10.1986, RB<br />
1986 Nr. 34; VGr ZH, 22.10.1980, RB 1980 Nr. 46.<br />
115 ORK ZH, 26.10.1955, RB 1955 Nr. 23 = ZBl 57 (1965), S. 85 = ZR<br />
55 (1956) Nr. 17.<br />
116 BGr, 28.6.1968, ASA 38 (1969/70), S. 392.<br />
117 RK II ZH, 20.12.2001, <strong>St</strong>E 2002 B 24.4 Nr. 65.<br />
118 VGr ZH, 18.9.1981, RB 1981 Nr. 50.<br />
119 VGr ZH, 21.10.1990, SB 90/0022.<br />
120 BGr, 13.12.1996, ASA 66 (1997/98), S. 554.<br />
121 VGr ZH, 11.7.1991, RB 1991 Nr. 19 = <strong>St</strong>E 1992 B 21.2 Nr. 4; VGr<br />
LU, 7.3.1991, <strong>St</strong>E 1991 B 26.44 Nr. 4.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
99<br />
cherheit ist vielmehr auf die Erfüllung der Forderung<br />
durch den Schuldner abzustellen. Auf die Besteuerung<br />
wird somit nicht definitiv verzichtet, sondern es wird lediglich<br />
der Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung aufgeschoben,<br />
bis feststeht, dass der <strong>St</strong>euerpflichtige effektiv<br />
einen geldwerten Zufluss realisiert.<br />
Dieser Aufschub des Realisationszeitpunkts übernimmt<br />
diejenige Funktion, welche den Wertberichtigungen im<br />
Bilanzrecht zukommt, nämlich die Berücksichtigung<br />
des Debitorenrisikos. Weil im Bereich des Privatvermögens<br />
keine Möglichkeit besteht, Kapitalverluste in Abzug<br />
zu bringen, muss die Erfüllungsunsicherheit die Einkommensrealisation<br />
als solche verhindern. Die Rechtfertigung<br />
für die Berücksichtigung des Debitorenrisikos<br />
liegt darin, dass der <strong>St</strong>euerpflichtige bei zweifelhafter<br />
Bonität seines Schuldners lediglich einen Nonvaleur<br />
erwirbt. Eine solche, wertlose Forderung erhöht die wirtschaftliche<br />
Leistungsfähigkeit des <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
nicht, weshalb sie bei ihm nicht als Einkommen besteuert<br />
werden kann. Die Rechtsprechung hat einen Besteuerungsaufschub<br />
anerkannt, wo dem Arbeitnehmer der<br />
Lohn nicht ausbezahlt, sondern wegen wirtschaftlicher<br />
Schwierigkeiten des Arbeitgebers bei ihm auf einem Arbeitnehmerkonto<br />
gutgeschrieben worden ist 122 .<br />
Der Grad der Unsicherheit, der für einen Besteuerungsaufschub<br />
erforderlich ist, wird von der Rechtsprechung<br />
als «besonders unsicher» bezeichnet 123 . Dies ist aber zu<br />
restriktiv. Unter dem Aspekt der Besteuerung nach der<br />
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit muss es genügen,<br />
dass eine erhebliche Unsicherheit vorliegt. Andernfalls<br />
besteht die Gefahr einer Überbesteuerung, indem der<br />
<strong>St</strong>euerpflichtige auch steuerlich das Debitorenrisiko zu<br />
tragen hat. Weil der Privatperson die Möglichkeit fehlt,<br />
Wertberichtigungen und Abschreibungen vorzunehmen,<br />
muss der Massstab milder sein als im Bilanzsteuerrecht.<br />
Die steuerliche Praxis hat demgegenüber in einer Reihe<br />
von Fällen eine besondere Unsicherheit der Erfüllung<br />
verneint, obwohl die fraglichen Erträge mindestens zu<br />
einem grossen Teil wertlos waren. Es handelte sich z.B.<br />
um die Gutschriften, die von verschiedenen, nach dem<br />
Schneeball-Prinzip vorgehenden Vermögensverwaltern<br />
ihren Kunden erteilt worden sind. Die Verwaltungspraxis<br />
hat sich auf den <strong>St</strong>andpunkt gestellt, die Gutschriften<br />
auf den Anlegerkonti seien steuerbare Einkünfte gewesen.<br />
Eine besondere Unsicherheit dieser Einkünfte sei<br />
nicht gegeben gewesen, solange die Anlagebetrüger die<br />
Guthaben auf Verlangen von einzelnen Anlegern diesen<br />
ausbezahlt hätten. Diese Meinung ist von den Gerichten<br />
geschützt worden. Das Bundesgericht und die kantonalen<br />
Gerichte haben insbesondere erwogen, dass die Zinsgutschriften<br />
solange nicht gefährdet waren, als sie von<br />
den Anlegern mit Erfolg hätten von den Anlagebetrügern<br />
herausverlangt werden können 124 .<br />
Diese Praxis überzeugt nicht. Auch wenn davon ausgegangen<br />
wird, dass die Ansprüche der Anleger «sicher»<br />
waren im Sinne einer zivilrechtlichen Durchsetzbarkeit<br />
125 , so kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die<br />
Renditeversprechen in keiner Weise mit den ökonomischen<br />
Realitäten in Einklang standen. Die Gutschriften<br />
bestanden wörtlich genommen nur auf dem Papier, soweit<br />
sie nicht effektiv ausgezahlt wurden, denn es fehlte das<br />
Haftungssubstrat. Es wäre abzuklären, welchen Wert die<br />
Gutschriften im Zeitpunkt ihrer Gutschrift gehabt haben<br />
126 . Ob der betrogene Anleger die Auszahlung mit Erfolg<br />
hätte verlangen können, ist das unzutreffende Kriterium.<br />
Wenn er es tatsächlich erfolgreich tat, realisierte er<br />
Einkommen. Liess er die nicht werthaltigen Gutschriften<br />
stehen, realisierte er kein Einkommen, sondern erwarb<br />
höchstens eine wertlose Forderung. Aber selbst wenn die<br />
Gutschrift nicht ohnehin einen Nonvaleur darstellte, wäre<br />
im Rahmen der Bewertung des Einkommens zu prüfen<br />
127 , ob dem Anleger der Nennbetrag der Forderung angerechnet<br />
werden kann oder ob nicht vielmehr ein Bewertungseinschlag<br />
auf dem Nennwert zu gewähren wäre.<br />
3.4.2 Risiken von Schadenersatz- und anderen<br />
Verpflichtungen<br />
Die Risiken, dass ein <strong>St</strong>euerpflichtiger in Zusammenhang<br />
mit einer Einkunft in Anspruch genommen wird,<br />
führen bei ihm allenfalls später zu Mittelabflüssen. Im<br />
gesetzlichen System der Bruttobetrachtung sind solche<br />
Mittelabflüsse somit grundsätzlich unter dem Aspekt der<br />
Abzüge zu beurteilen und haben in der Regel keinen Einfluss<br />
auf die Realisation von Einkünften. In Frage kommen<br />
namentlich die Abzüge für Berufsauslagen und für<br />
122 ORK ZH, 25.1.1946, RB 1946 Nr. 2.<br />
123 BGr, 1.11.1991, ASA 61 (1992/93), S. 669; BGE 105 Ib 242; VGr<br />
ZH, 19.4.2000, <strong>St</strong>E 2001 B 21.3 Nr. 13; VGr ZH, 11.7.1991, <strong>St</strong>E<br />
1992 B 21.2 Nr. 4.<br />
124 BGr, 24.7.2001, <strong>St</strong>E 2001 B 21.1 Nr. 10; VGr ZH, 26.1.2000, RB<br />
2000 Nr. 125 = <strong>St</strong>E 2001 B 21.2 Nr. 14 = Z<strong>St</strong>P 2000, S. 191; BGr,<br />
21.10.1996, ASA 66 (1997/98), S. 377; s. auch die umfassenden<br />
Nachweise der Judikatur bei OEHLER.<br />
125 Dies verneint indessen OEHLER, insb. <strong>St</strong>R 57 (2002), S. 845. In<br />
der Tat wäre als erstes Element zu untersuchen, ob und inwieweit<br />
durchsetzbare Ansprüche der Anleger gegenüber<br />
den Vermögensverwaltern bestanden. Das Bundesgericht<br />
belässt es bei der Feststellung, das Schneeball-System sei<br />
real gewesen (BGr, 27.1.<strong>2003</strong>, <strong>St</strong>E <strong>2003</strong> B 21.1 Nr. 11).<br />
126 WALDBURGER, Rechtsprechung im Jahr 2001, S. 140 f.<br />
127 Zur Bewertung unten, Abschn. 5.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
100 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
die Vermögensverwaltung. Deshalb sind Rückgabeverpflichtungen<br />
in Zusammenhang mit Mitarbeiteraktien<br />
als Berufsauslagen einkommensmindernd zu berücksichtigen<br />
128 . Unter dem Aspekt der Gleichbehandlung<br />
der Bereiche des Privat- und des Geschäftsvermögens –<br />
aber auch aus Gründen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit – dürfen dabei keine<br />
allzu hohen Ansprüche an die Abzugsfähigkeit gestellt<br />
werden 129 . Ein solcher Gewinnungskostenabzug muss<br />
auch dann gewährt werden, wenn die Einkunft, mit der<br />
die Verpflichtung zusammenhängt, unter die Generalklausel<br />
fällt und deshalb keine ausdrückliche gesetzliche<br />
Grundlage für die Berücksichtigung von Gewinnungskosten<br />
besteht 130 . Eine Verweigerung des Abzuges aus<br />
«moralischen» Gründen wäre fehl am Platz, werden<br />
doch auch unmoralische oder gar widerrechtliche Einkünfte<br />
fiskalisch erfasst 131 .<br />
4 Persönliche Zurechnung<br />
4.1 Inhaber der wirtschaftlichen Verfügungs -<br />
macht<br />
Welche Tatbestände aus steuerlicher Sicht Einkommen<br />
bilden, ergibt sich, wie ausgeführt, aus einer Auslegung<br />
der gesetzlichen Grundlagen unter Berücksichtigung<br />
wirtschaftlicher und vor allem finanzwissenschaftlicher<br />
Überlegungen. Es findet sich in den gesetzlichen Grundlagen<br />
dementsprechend auch kein Hinweis darauf, dass<br />
die Zurechnung des Einkommens auf Grund formaler,<br />
insbesondere rein zivilrechtlicher Kriterien zu erfolgen<br />
hätte. Eine bestimmte Einkunft ist aus diesem Grund<br />
demjenigen <strong>St</strong>euerpflichtigen zuzurechnen, der die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht darüber erworben hat.<br />
Die Tragweite eines wirtschaftlich orientierten Ansatzes<br />
bei der persönlichen Zurechnung darf an sich nicht überschätzt<br />
werden, denn in der Regel stimmen die juristische<br />
Inhaberschaft und die wirtschaftliche Verfügungsmacht<br />
überein. Insofern bilden der Eigentumserwerb an<br />
Sachen und der Forderungserwerb starke Indizien für die<br />
wirtschaftliche Verfügungsmacht: Im Sinne einer widerlegbaren<br />
Vermutung kann regelmässig davon ausgegangen<br />
werden, dass der Erwerber von Eigentum bzw. einer<br />
Forderung auch im steuerlichen Sinne die wirtschaftliche<br />
Verfügungsmacht erworben hat. Indessen erlaubt die<br />
juristische Inhaberschaft nicht zwingend und in jedem<br />
Fall den Schluss auf die wirtschaftliche Verfügungsmacht.<br />
In gewissen Fällen kann es zu Abweichungen<br />
zwischen dem Erwerb der juristischen Inhaberschaft und<br />
der wirtschaftlichen Verfügungsmacht kommen, so dass<br />
das Einkommen nicht beim juristischen Eigentümer besteuert<br />
wird. Solche Konstellationen sind zwar nicht<br />
sehr zahlreich, aber dennoch von einigem Gewicht:<br />
Bei Treuhandverhältnissen ist nicht der Treuhänder, der<br />
im Aussenverhältnis Eigentümer bzw. Forderungsberechtigter<br />
ist, für etwaige Erträge steuerbar, sondern der<br />
Treugeber, dem lediglich ein obligatorischer Herausgabeanspruch<br />
gegenüber dem Treuhänder zusteht 132 .<br />
Im Falle der Nutzniessung hat der Nutzniesser nur ein beschränktes<br />
dingliches Recht am Nutzniessungsgut inne,<br />
während das Eigentum beim Nutzniessungsbelasteten<br />
verbleibt. Schon auf Grund besonderer gesetzlicher Vorschriften<br />
sind die dem Nutzniesser anfallenden Erträge<br />
von diesem als Einkommen zu versteuern 133 . Der Grund<br />
für diese Regelung liegt darin, dass der Nutzniesser im<br />
vollen Genuss des Gegenstandes ist und insoweit die<br />
wirtschaftliche Verfügungsmacht hat.<br />
Anders als der Nutzniesser hat der Pfandgläubiger kein<br />
Nutzungsrecht an der Pfandsache, sondern im Gegenteil<br />
gemäss Art. 892 Abs. 2 ZGB etwaige Früchte dem Eigentümer<br />
herauszugeben, sobald sie aufhören, Bestandteil<br />
der Sache zu sein. Weil das Pfandrecht nur darauf gerichtet<br />
ist, dem Pfandgläubiger als Sicherheit zu dienen, hat<br />
der Pfandgläubiger, auch wenn er ähnlich wie der Nutzniesser<br />
ein beschränktes dingliches Recht erwirbt und –<br />
im Falle des Fahrnispfandes – gar im Besitz der Sache<br />
ist, die Erträge aus der Pfandsache nicht als Einkommen<br />
zu versteuern. Das Pfand unterliegt beim Pfandgläubiger<br />
auch nicht der Vermögenssteuer.<br />
Bei der Überlassung von beweglichen Sachen oder<br />
Rechten zur Nutzung mittels Sach- oder Gelddarlehen,<br />
also auf rein schuldrechtlicher Grundlage im Gegensatz<br />
zur dinglich wirkenden Nutzniessung, steht dem Nutzer<br />
(Darlehensnehmer) der Nutzen zu, den die Sache vermittelt<br />
oder welcher durch das Geld erzielt werden kann,<br />
und ist von ihm zu versteuern, soweit er diese Nutzungsmöglichkeit<br />
in einen Zufluss von aussen verwandelt und<br />
daraus eine Einkunft realisiert. Hingegen steht dem Dar-<br />
128 RK II ZH, 17.5.2002, Z<strong>St</strong>P 2002, S. 302.<br />
129 Vgl. REICH, Art. 25 DBG N. 10.<br />
130 Oben, Anm. 21.<br />
131 LOCHER, Art. 16 N. 14; OBERSON, § 7 N. 11.<br />
132 LOCHER, Vorbem. N. 147 ff. m.w.H.<br />
133 Art. 20 Abs. 1 lit. d und Art. 21 Abs. 1 DBG bzw. § 20 Abs. 1 lit.d<br />
und § 21 Abs. 1 lit. a <strong>St</strong>G ZH erklären unter anderem die Nutzniessung<br />
beweglicher Sachen oder nutzbarer Rechte und unbeweglichen<br />
Vermögens für steuerbar. Dementsprechend ist<br />
das Nutzniessungsgut vom Nutzniesser als Vermögen zu versteuern<br />
(§ 38 Abs. 2 <strong>St</strong>G ZH). Diese Vorschriften haben keinen<br />
konstitutiven, sondern bloss erklärenden Charakter.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
101<br />
lehensgeber das Entgelt für die Einräumung der Nutzungsmöglichkeit<br />
zu und ist sie ihm einkommenssteuerlich<br />
zuzurechnen.<br />
Die Zurechnung des Eigenmietwertes des selbstgenutzten<br />
Wohneigentums hat zu einigen Entscheiden Anlass<br />
gegeben. Das Bundesgericht hat festgehalten, dass der<br />
Eigenmietwert nicht nur bei Eigentümern und dinglich<br />
Nutzungsberechtigten, sondern auch bei Inhabern von<br />
vergleichbaren obligatorischen Nutzungsrechten als<br />
steuerbares Einkommen aus unbeweglichem Vermögen<br />
zu betrachten ist. Vorausgesetzt ist allerdings, dass das<br />
Nutzungsrecht unentgeltlich begründet wurde. Massgebend<br />
ist gemäss Bundesgericht nicht eine zivilrecht -<br />
liche, sondern eine wirtschaftliche Betrachtungs wei -<br />
se 134 . Bei einer unentgeltlichen Überlassung nimmt das<br />
Bundesgericht an, dass dem Eigentümer wegen der<br />
leichten Auflösbarkeit der Gebrauchsüberlassung die<br />
Wohnung nach wie vor zur Verfügung steht, er also deren<br />
Eigenmietwert zu versteuern hat 135 . Demgegenüber bildet<br />
bei einer Überlassung von Wohneigentum an Verwandte<br />
zu einem tieferen als dem Marktmietzins die Differenz<br />
zwischen dem vereinbarten Mietzins und dem<br />
Marktmietzins kein Einkommen 136 . Der Eigentümer realisiert<br />
in diesem Fall das vereinbarte Entgelt; der Tatbestand<br />
des Eigengebrauchs von Wohneigentum ist nicht<br />
erfüllt, so dass eine Aufrechnung der Differenz zwischen<br />
vereinbartem Mietzins und dem Eigenmietwert nicht in<br />
Betracht kommt 137 . Bei unterpreislichen Vermietungen<br />
ist vielmehr beim Mieter zu prüfen, ob eine der Schenkungsteuer<br />
unterliegende Leistung vorliegt. Schliesslich<br />
rechnete das Zürcher Verwaltungsgericht den Eigenmietwert<br />
einem Ehepaar zu, obwohl jene Eheleute noch<br />
nicht zivilrechtliche Eigentümer geworden waren. Allerdings<br />
hatten die Eheleute hinsichtlich der Wohnung, die<br />
ihnen zur Verfügung stand, auf Grund der gesamten Umstände<br />
eine eigentümerähnliche <strong>St</strong>ellung inne 138 .<br />
Eine vergleichbare Funktion, Erträge einem <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
zuzurechnen, nehmen bei der Verrechnungssteuer<br />
der Begriff des Rechts zur Nutzung ein 139 bzw. in<br />
den Doppelbesteuerungsabkommen derjenige des Nutzungsberechtigten<br />
oder beneficial owner 140 . Der Anwendungsbereich<br />
ist indessen auf Kapitalerträge beschränkt.<br />
Der Begriff des Nutzungsberechtigten ist auch enger gefasst<br />
als derjenige der wirtschaftlichen Verfügungsmacht<br />
bei der Einkommenssteuer. Dies lässt sich insbesondere<br />
daran erkennen, dass ein Ertragsgläubiger dann<br />
nicht nutzungsberechtigt ist, wenn er vertraglich zur<br />
Weiterleitung des fraglichen Ertrags verpflichtet ist 141<br />
oder wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände<br />
schliessen lässt, dass ihm der Ertrag nicht effektiv verbleibt<br />
142 . Die persönliche Zurechnung von Kapitalerträgen<br />
kann deshalb bei der Rückerstattung der Verrechnungssteuer<br />
von derjenigen bei der Einkommenssteuer<br />
abweichen.<br />
Einkommen wird von Gesetzes wegen teilweise einem anderen<br />
<strong>St</strong>euersubjekt zugerechnet. Zunächst geht es um<br />
Sachverhalte, wo entweder Einkünfte dem Einkommen<br />
eines anderen <strong>St</strong>euerpflichtigen zugerechnet werden oder<br />
wo für bestimmte ausgesonderte Einkünfte ein besonderes<br />
– neues – <strong>St</strong>euersubjekt geschaffen wird (nachfolgend<br />
Abschn. 4.2). Zurechnungen an andere <strong>St</strong>euersubjekte<br />
kommen bei der objektorientierten Besteuerung vor<br />
(Abschn. 4.3). Schliesslich hat die Übertragung latenter<br />
<strong>St</strong>euerlasten auf Grund steuerneutraler Vorgänge eine abweichende<br />
Zurechnung zur Folge (Abschn. 4.4).<br />
4.2 Zurechnung und Aussonderung<br />
4.2.1 Gesetzestechnik der abweichenden Zurechnung<br />
Gewisse Einkünfte werden nicht bei derjenigen Person<br />
besteuert, die daran die wirtschaftliche Verfügungsmacht<br />
erlangt hat, sondern bei einem anderen <strong>St</strong>euerpflichtigen.<br />
Derartige Verlagerungen der Besteuerung<br />
regelt das Gesetz jeweils ausdrücklich, weil andere als<br />
nach den allgemeinen Regeln bestimmte Personen für<br />
die <strong>St</strong>euer auf den betroffenen Einkünften herangezogen<br />
werden.<br />
134 BGr, 31.1.2002, <strong>St</strong>E 2002 B 25.3 Nr. 28.<br />
135 BGE 115 Ia 331; BGr, 22.12.1978, ASA 48 (1979/80), S. 481.<br />
136 BGE 115 Ia 331 f.; 71 I 128 ff.; s. auch VGr ZH, 14.6.2000, RB<br />
2000 Nr. 127.<br />
137 Daraus ist auch ersichtlich, dass die Eigenmietwertbesteuerung<br />
von Wohneigentum einen Ausnahmetatbestand bildet.<br />
Wenn die Eigennutzung von Sachgütern generell steuerlich<br />
erfasst würde, könnte es nicht darauf ankommen, ob der Gegenstand<br />
selber genutzt oder vermietet wird, und müsste die<br />
Differenz zwischen vereinbartem und Marktmietzins aufgerechnet<br />
werden.<br />
139 Gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. a V<strong>St</strong>G hat Anspruch auf Rückerstattung<br />
der ihm vom Schuldner abgezogenen Verrechnungssteuer<br />
auf Kapitalerträgen, wer – bei Erfüllung der weiteren<br />
Voraussetzungen gemäss Art. 22–28 V<strong>St</strong>G – bei Fälligkeit der<br />
steuerbaren Leistung das Recht zur Nutzung des den steuerbaren<br />
Ertrag abwerfenden Vermögenswertes besass.<br />
140 Art. 10 Abs. 2 OECD-MA.<br />
141 BGr, 9.7.1992, ASA 62 (1993/94), S. 346.<br />
142 Einlässlich zur Nutzungsberechtigung gemäss Art. 21 Abs.1<br />
lit. a V<strong>St</strong>G: MISTELI, S.97ff., insb. S. 102 f. zur faktischen Weiterleitungsverpflichtung.<br />
138 VGr ZH, 19.5.1999, RB 1999 Nr. 139 = <strong>St</strong>E 2000 B 25.6 Nr. 37.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
102 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Es können zwei gesetzliche Formen unterschieden werden:<br />
Im ersten Fall werden die Einkünfte einer an sich<br />
steuerpflichtigen Person – ganz oder teilweise – einem<br />
anderen <strong>St</strong>euerpflichtigen steuerlich zugerechnet und<br />
von diesem als <strong>St</strong>euersubstituten versteuert 143 . Diese Zurechnung<br />
ist bei unmündigen Kindern unter elterlicher<br />
Sorge vorgesehen.<br />
Bei der zweiten Ausgestaltung werden für bestimmte Arten<br />
von Einkünften besondere <strong>St</strong>euersubjekte geschaffen.<br />
Die Besteuerung erfolgt bei diesen <strong>St</strong>euersubjekten,<br />
während die Einkünfte bei der eigentlich verfügungsberechtigten<br />
Person von der <strong>St</strong>euer ausgenommen sind.<br />
Anwendungsfälle sind die Erbengemeinschaften bei ungewisser<br />
Erbfolge, gewisse ausländische Personengesellschaften<br />
und andere ausländische Personengesamtheiten<br />
sowie die Anlagefonds mit direktem Grundbesitz.<br />
Die Aussonderung von Einkünften auf besondere <strong>St</strong>euersubjekte<br />
wird oft dogmatisch unter dem Titel der subjektiven<br />
<strong>St</strong>euerpflicht behandelt. Dies ist selbstverständlich<br />
richtig, weil es den formalen Aspekt beleuchtet. Die<br />
Gründe für solche Ausgestaltungen sind nämlich mehrheitlich<br />
erhebungstechnischer Natur, weil die Durch -<br />
setzung des <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>es besonders aufwändig wäre 144 .<br />
4.2.2 Auswirkungen<br />
Abweichende Zurechnungen widersprechen grundsätzlich<br />
dem System der Einkommenssteuer, das eine fiskalische<br />
Belastung nach Massgabe der subjektiven Leistungsfähigkeit<br />
bezweckt. Die Besteuerung der Einkünfte<br />
richtet sich nämlich nicht nach den relevanten wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen der eigentlich Verfügungsberechtigten,<br />
sondern nach den Verhältnissen jener <strong>St</strong>euersubjekte,<br />
denen die Einkünfte zur Versteuerung gesetzlich<br />
zugerechnet werden. Es ist offenkundig, dass dadurch<br />
eine andere <strong>St</strong>euerbelastung resultiert als bei steuerlicher<br />
Zurechnung der Einkünfte auf die Verfügungsberechtigten.<br />
Korrekturmechanismen wie beispiels -<br />
weise <strong>St</strong>euergutschriften sind nicht vorgesehen. Es kann<br />
deshalb sowohl zu Unter- als auch zu Überbesteuerungen<br />
kommen.<br />
Eine Unterbesteuerung kann beispielsweise eintreten,<br />
wenn steuerbare Einkünfte des Kindes mit Geschäftsverlusten<br />
des Inhabers der elterlichen Sorge verrechnet werden<br />
können. Überbesteuerungen entstehen, weil es sich<br />
bei der Aussonderung auf ein neu geschaffenes <strong>St</strong>euersubjekt<br />
im Ergebnis um eine objektbezogene Besteuerung<br />
handelt, so dass die Einkünfte gerade nicht mit den<br />
Abzügen verrechnet werden können. Abgesehen von einem<br />
möglichen Progressionseffekt kann es sogar geschehen,<br />
dass auf bestimmten Einkünften – bei spiels -<br />
weise Einkünften aus einem Anlagefonds mit direktem<br />
Grundbesitz – die <strong>St</strong>euer zu entrichten ist, obwohl das<br />
gesamte Einkommen des an der Einkunft berechtigten<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen negativ ist. Eine generelle Aussage zur<br />
Auswirkung auf die steuerliche Belastung ist deshalb<br />
nicht möglich; in der Tendenz dürften die verschiedenen<br />
abweichenden Zurechnungen eher eine Mehrbesteuerung<br />
zur Folge haben.<br />
Die abweichende steuerliche Zurechnung bestimmter<br />
Einkünfte beruht gewiss auf sachlichen Überlegungen<br />
und ist deshalb auch aus verfassungsrechtlicher Sicht gerechtfertigt.<br />
Indessen kann nicht von vornherein ausgeschlossen<br />
werden, dass im Einzelfall eine verfassungswidrige<br />
Überbesteuerung eintritt. Eine solche liesse sich<br />
angesichts der Verbindlichkeit der Bundesgesetze kaum<br />
beseitigen.<br />
Sollen die neu geschaffenen <strong>St</strong>euersubjekte den Regeln<br />
für die natürlichen oder die juristischen Personen unterworfen<br />
werden, so muss von Fall zu Fall geprüft werden,<br />
ob diese ohne weiteres angewendet werden können. Die<br />
Besteuerung bei einem speziell geschaffenen <strong>St</strong>euersubjekt<br />
soll letztlich die dahinter stehenden <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
belasten. Es drängt sich deshalb auf, die Verweise<br />
auf Besteuerung als natürliche oder juristische Personen<br />
als sinngemässe Anwendbarkeit jener Bestimmungen zu<br />
verstehen.<br />
4.2.3 Einzelfälle<br />
4.2.3.1 Einkommen von Kindern unter elter -<br />
licher Sorge<br />
Unmündige, das heisst Minderjährige und Entmündigte,<br />
sind grundsätzlich selbst steuerpflichtig. Für Kinder, also<br />
Unmündige, die unter elterlicher Sorge stehen 145 , besteht<br />
allerdings eine Sonderregelung, wonach ihr Einkommen<br />
mit Ausnahme des Erwerbseinkommens dem<br />
Inhaber der elterlichen Sorge zugerechnet und somit von<br />
diesem versteuert wird 146 . Das Einkommen wird mithin<br />
nicht bei demjenigen <strong>St</strong>euerpflichtigen besteuert, der es<br />
erzielt hat, sondern bei einem anderen, dem es «zugerechnet»<br />
wird. Ihre Erwerbseinkünfte haben auch Kinder<br />
unter elterlicher Sorge selbständig zu versteuern 147 .<br />
143 BLUMENSTEIN/LOCHER, S. 76.<br />
144 In verfahrensrechtlicher Hinsicht verlagern sich die Mitwirkungspflichten,<br />
aber auch die Mitwirkungsrechte, auf die für<br />
die fraglichen Einkünfte steuerpflichtige Person. Eine Teilnahme<br />
der an sich verfügungsberechtigten Person am<br />
<strong>St</strong>euer verfahren, das – auch – sie betrifft, ist gesetzlich nicht<br />
vorgesehen.<br />
145 Die elterliche Sorge gemäss Art. 296 ff. ZGB wurde früher «elterliche<br />
Gewalt» genannt; der Wortlaut der steuerrechtlichen<br />
Erlasse bezieht sich teilweise noch auf die alte Fassung des<br />
ZGB.<br />
146 Art. 9 Abs. 2 Halbsatz 1 DBG; § 7 Abs. 3 Satz 1 <strong>St</strong>G ZH.<br />
147 Art. 9 Abs. 2 Halbsatz 2 DBG; § 7 Abs. 3 Satz 2 <strong>St</strong>G ZH.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
103<br />
Die Zurechnung des Einkommens von Kindern unter elterlicher<br />
Sorge, ausgenommen ihr Erwerbseinkommen,<br />
zum Einkommen dessen, der die elterliche Sorge inne<br />
hat, lässt sich nicht mit der Familienbesteuerung erklären,<br />
weil das Kindesvermögen nicht an der ehelichen Gemeinschaft<br />
der Mittel teilhat, sondern dem Kind erhalten<br />
bleiben soll 148 . Die Erträge dürfen nur in beschränktem<br />
Masse für die Bedürfnisse des Haushaltes verwendet<br />
werden 149 . Das Kindesvermögen darf weiter nur unter<br />
einschränkenden Voraussetzungen angezehrt werden,<br />
und nur für bestimmte Bedürfnisse des Kindes selbst 150 .<br />
Der Grund für die steuerliche Zurechnung liegt somit darin,<br />
dass die Eltern das Kindesvermögen zu verwalten<br />
haben 151 . Dazu gehört auch, für die Versteuerung Sorge<br />
zu tragen. Die Zurechnung erscheint deshalb vor allem<br />
als erhebungstechnische Massnahme 152 . Im Gegensatz<br />
dazu kann das Kind unter elterlicher Sorge selbst verwalten<br />
und nutzen, was es durch eigene Arbeit erwirbt und<br />
was es von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung<br />
eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes herausbekommt<br />
153 . Hierfür ist der Unmündige, wie ausgeführt,<br />
selbst steuerpflichtig, und es erfolgt keine Zurechnung<br />
beim Inhaber der elterlichen Sorge.<br />
Die Zurechnung des Einkommens hat wegen des Progressionseffektes<br />
eine höhere <strong>St</strong>euerlast zur Folge, als<br />
wenn das Kind selbständig besteuert würde 154 . In der Regel<br />
dürften allerdings die quantitativen Auswirkungen<br />
eher gering sein. Die Übernahme der <strong>St</strong>euerschulden<br />
durch die Inhaber der elterlichen Sorge ist im Übrigen zivilrechtlich<br />
nicht definitiv. Der Inhaber der elterlichen<br />
Sorge ist berechtigt, die auf das Kind entfallenden <strong>St</strong>euern<br />
dem Kindesvermögen zu belasten 155 .<br />
4.2.3.2 Erbengemeinschaften bei ungewisser<br />
Erbfolge<br />
Grundsätzlich werden Einkommen und Vermögen aus<br />
einem Nachlass den Erben oder Bedachten zugerechnet;<br />
die Erbengemeinschaften sind als solche nicht steuerpflichtig<br />
156 . Das kantonale Recht sieht jedoch teilweise<br />
vor, dass bei ungewisser Erbfolge die Erbengemeinschaften<br />
als Ganzes nach den Bestimmungen über die<br />
natürlichen Personen besteuert werden 157 . Insoweit findet<br />
eine Aussonderung einzelner Faktoren auf ein neu<br />
geschaffenes <strong>St</strong>euersubjekt statt. Anwendbar sind die<br />
Bestimmungen über die Besteuerung von natürlichen<br />
Personen. Die direkte Bundessteuer kennt diese an sich<br />
sinnvolle Lösung nicht 158 . Im interkantonalen Verhältnis<br />
kann die Erbmasse als solche grundsätzlich nicht besteuert<br />
werden; die Faktoren sind vielmehr den Erben zuzurechnen<br />
159 . Eine Ausnahme macht die kantonale Praxis<br />
auch im interkantonalen Verhältnis bei ungewisser Erbfolge<br />
und weist das <strong>St</strong>euerdomzil des unverteilten Nachlasses<br />
bzw. der Erbengemeinschaft bei einer solchen, gesamthaften<br />
Besteuerung dem Ort der amtlichen Verwaltung<br />
der Erbschaft zu 160 . Eine ungewisse Erbfolge liegt<br />
vor, wenn entweder der Kreis der erbberechtigten Personen<br />
nicht feststeht oder die auf die einzelnen Erben entfallenden<br />
Quoten bestritten sind. Die Ungewissheit muss<br />
längere Zeit andauern und damit in den laufenden Einschätzungen<br />
die an sich gebotene Zurechnung des Einkommens<br />
und Vermögens zu den einzelnen Erben verhindern<br />
bzw. über Gebühr verzögern. Die Voraussetzungen<br />
einer einheitlichen Besteuerung sind auch ohne entsprechenden<br />
Antrag von Amtes wegen zu prüfen 161 .<br />
4.2.3.3 Ausländische Personengesellschaften<br />
und andere ausländische Personengesamtheiten<br />
ohne juristische Persön -<br />
lichkeit<br />
Bei ausländischen Handelsgesellschaften und anderen<br />
ausländischen Personengesamtheiten ohne juristische<br />
Persönlichkeit, die auf Grund wirtschaftlicher Zugehörigkeit<br />
in der Schweiz steuerpflichtig sind, müssten die<br />
in der Schweiz steuerbaren Faktoren (Einkommen und<br />
Vermögen bzw. Gewinn und Eigenkapital) den Teilha-<br />
148 Art. 9 Abs. 1 DBG spricht denn auch davon, dass das Einkommen<br />
der Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich getrennter<br />
Ehe leben, «zusammengerechnet» wird. Das Einkommen<br />
der Kinder unter elterlicher Sorge wird demgegenüber dem<br />
Inhaber dieser elterlichen Sorge «zugerechnet» (Art. 9 Abs.2<br />
Halbsatz 1 DBG).<br />
149 Gemäss Art. 319 Abs. 1 ZGB dürfen die Eltern die Erträge des<br />
Kindesvermögens für Unterhalt, Erziehung und Ausbildung<br />
verwenden, für die Bedürfnisse des Haushaltes aber nur, soweit<br />
es der Billigkeit entspricht.<br />
150 Vgl. Art. 320 ZGB.<br />
151 Art. 318 Abs. 1 ZGB.<br />
152 Gerechtfertigt wird die Zurechnung auch mit einer Missbrauchsgefahr<br />
wegen Übertragung von Einkommensquellen<br />
auf Kinder und mit einer praktischen Undurchführbarkeit<br />
einer Ausscheidung von gebundenem und freiem Kindesvermögen<br />
(s. LOCHER, Art. 9 N. 27).<br />
153 Art. 323 Abs. 1 ZGB.<br />
154 Dies wird denn auch kritisiert (s. die Hinweise bei LOCHER,<br />
Art. 9 N. 27).<br />
155 BREITSCHMID, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Thomas<br />
Geiser (Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht,<br />
Zivilgesetzbuch I, Art. 1–456 ZGB, 2. A., Basel etc. 2002,<br />
Art. 318 N. 6 m.w.H.<br />
156 Art. 10 DBG; § 9 Abs. 1 <strong>St</strong>G ZH.<br />
157 § 9 Abs. 2 <strong>St</strong>G ZH.<br />
158 Art. 10 DBG.<br />
159 BGE 118 Ia 41.<br />
160 VGr ZH, 22.10.1997, RB 1997 Nr. 45.<br />
161 RK II ZH, 20.6.1984, <strong>St</strong>E 1984 B 13.2 Nr. 1.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
104 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
bern zugerechnet werden, wenn die allgemeinen Regeln<br />
anwendbar wären 162 . Dementsprechend wären die (ausländischen)<br />
Teilhaber als <strong>St</strong>euerpflichtige zu erfassen.<br />
Aus praktischen Gründen werden nun die ausländischen<br />
Personengesellschaften mit Schweizer <strong>St</strong>euerpflicht wegen<br />
wirtschaftlicher Zugehörigkeit als eigene <strong>St</strong>euersubjekte<br />
erfasst. Diese Gebilde unterstehen den Bestimmungen<br />
über die Besteuerung von juristischen Personen, ohne<br />
dass es darauf ankäme, ob natürliche oder juristische<br />
Personen daran beteiligt sind 163 . Trotz des an sich eindeutigen<br />
Gesetzeswortlautes wird diesen Gebilden in<br />
der Verwaltungspraxis der Beteiligungsabzug verwehrt<br />
mit der Begründung, dass keine wirtschaftliche Dreifachbelastung<br />
vorliege 164 .<br />
4.2.3.4 Anlagefonds mit direktem Grundbesitz<br />
Anlagefonds mit direktem Grundbesitz werden für ihren<br />
direkten Grundbesitz den übrigen juristischen Personen<br />
gleichgestellt 165 . Die Besteuerung der Liegenschaftenerträge<br />
erfolgt auf der Ebene des Anlagefonds; die Einkünfte<br />
sind beim Anteilsinhaber freigestellt.<br />
Für den <strong>St</strong>euertarif wird teilweise immer noch auf denjenigen<br />
für natürliche Personen verwiesen 166 . Dies führt<br />
wegen der Progressionswirkung in aller Regel zu einer<br />
Überbesteuerung und damit auch zu einer Diskriminierung<br />
dieser Anlageform. Bei der direkten Bundessteuer<br />
ist nunmehr der <strong>St</strong>euersatz für die übrigen juristischen<br />
Personen anwendbar 167 , welcher sich als Annäherung an<br />
die durchschnittliche <strong>St</strong>euerbelastung der Anleger eher<br />
rechtfertigen lässt als der Tarif für natürliche Personen.<br />
Problematisch ist die Ansicht, die den gesetzlichen Verweis<br />
auf die Besteuerung als juristische Person unbesehen<br />
übernimmt, weshalb auch die Kapitalgewinne auf<br />
den Grundstücken der direkten Bundessteuer unterliegen<br />
sollen 168 . Im Ergebnis wird dadurch eine Besteuerung<br />
von Kapitalgewinnen auf Privatvermögen eingeführt.<br />
Aus systematischer Sicht lässt sich die Besteuerung<br />
der Kapitalgewinne, solange sich typischerweise<br />
Privatpersonen an solchen Anlagefonds beteiligen, nicht<br />
begründen 169 ; erhebungstechnische Schwierigkeiten<br />
sind auch nicht ersichtlich. Zum selben Resultat führt eine<br />
Auslegung, die sich am Wortlaut des Gesetzes orientiert.<br />
Danach werden die «Erträge» besteuert wie bei<br />
Kapitalgesellschaften; der Begriff des Ertrags steht aber<br />
sowohl im Bereich des Privatvermögens als auch im<br />
Geschäftsvermögensbereich in einem Gegensatz zum<br />
Kapitalgewinn.<br />
4.3 Objektorientierte Besteuerung<br />
Der Beteiligungsertrag und, mit Einschränkungen, Zinseinkünfte<br />
werden, wie oben ausgeführt, objektorientiert<br />
definiert und bei demjenigen besteuert, der diese Erträge<br />
vereinnahmt 170 . Die Einkunft wird ihm steuerlich zugerechnet.<br />
Aus der Sicht des betreffenden <strong>St</strong>euerpflichtigen<br />
kann es sich, muss aber nicht, um Einkommen handeln.<br />
Mit dem Erwerb von Aktien im Besonderen übernimmt<br />
ein <strong>St</strong>euerpflichtiger, der sie in seinem Privatvermögen<br />
hält, in der Regel auch latente <strong>St</strong>euerlasten. Umgekehrt<br />
könnte ein <strong>St</strong>euerpflichtiger höchstens dann einen<br />
latenten <strong>St</strong>euervorteil erwerben, wenn er die Titel<br />
für sein Privatvermögen zu einem Preis kauft, der unter<br />
dem Nennwert der Aktien liegt. Wenn überhaupt relevant,<br />
dürfte es sich um hoch spekulative Titel handeln.<br />
4.4 Übertragung latenter <strong>St</strong>euern durch<br />
steuerneutrale Vorgänge<br />
Wie oben ausgeführt, sind nur die exogenen Vermögenszuflüsse<br />
steuerlich einkommenswirksam. Namentlich<br />
werden Kapitalgewinne, wenn überhaupt, erst bei ihrer<br />
Realisation erfasst, nicht aber bereits bei ihrer Entstehung<br />
durch Wertsteigerung (die der <strong>St</strong>euerpflichtige<br />
noch nicht realisiert hat). Als Konsequenz sind endogene<br />
Einkünfte, wie beispielsweise Wertsteigerungen, nicht<br />
bei ihrer Entstehung, sondern im Falle ihrer späteren<br />
Umwandlung in einen exogenen Zufluss steuerbar. Endogene<br />
Einkünfte sind deshalb latent steuerbelastet.<br />
Bei einer Übertragung von Vermögenswerten von einem<br />
<strong>St</strong>euerpflichtigen, bei dem sie mit stillen Reserven behaftet<br />
sind, auf einen anderen, ohne dass es zu einer steuerlichen<br />
Abrechnung käme, gehen deshalb latente <strong>St</strong>euerlasten<br />
auf den Erwerber über. Im Bereich des Privatvermögens<br />
kommt dies vorab bei der Übertragung von<br />
Grundstücken im Erbgang oder bei güterrechtlicher Auseinandersetzung<br />
vor 171 . Der Erwerber wird bei späterer<br />
Veräusserung auch auf dem Wertzuwachs besteuert, der<br />
zwar noch beim früheren Eigentümer entstanden ist,<br />
aber dem Erwerber zugerechnet wird.<br />
162 Art. 10 DBG; § 8 Abs. 1 <strong>St</strong>G ZH.<br />
163 Art. 20 Abs. 2 <strong>St</strong>HG; Art. 11, 49 Abs. 3 DBG; §§ 8 Abs. 2, 54<br />
Abs. 3 <strong>St</strong>G ZH.<br />
164 AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, Art. 69 N. 14.<br />
165 Art. 49 Abs. 2, 66 Abs. 2 DBG; §§ 54 Abs. 2, 69 Abs. 2 <strong>St</strong>G ZH.<br />
166 S. beispielsweise § 77 <strong>St</strong>G ZH.<br />
167 Art. 72 DBG.<br />
168 AGNER/JUNG/STEINMANN, Art. 49 N. 2.<br />
169 S. auch LUTZ, Art. 66 DBG N. 14.<br />
170 Oben, Abschn. 2.3.3 und 2.3.4.<br />
171 Oben, Abschn. 2.5.1.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
105<br />
Die steuerneutralen Vorgänge im Bereich des Geschäftsvermögens<br />
172 präsentieren sich hinsichtlich der Übertragung<br />
von latenten <strong>St</strong>euerlasten uneinheitlich. Beim Zusammenschluss<br />
von Einzelfirmen oder von Personengesellschaften<br />
zu Personengesellschaften kann es im Zuge<br />
der Verschmelzung der Vermögen zu einer Änderung an<br />
der Berechtigung an stillen Reserven kommen, indem<br />
die Inhaber der bisherigen verschiedenen Vermögen neu<br />
zu Inhabern der vereinigten Vermögen werden. Die Inhaberschaft<br />
wechselt dergestalt teilweise; aus der Sicht des<br />
einzelnen Inhabers gibt er einen Teil seiner stiller Reserven<br />
auf, erhält aber dafür einen Anteil an den stillen Reserven<br />
auf den Vermögenswerten, die mit den seinen verschmolzen<br />
werden. In isolierter Betrachtung könnte gesagt<br />
werden, dass derjenige ideelle Teil der stillen Reserven,<br />
der den Inhaber wechselt, eine andere Zurechnung<br />
erfährt und damit eine Übertragung der bzw. Befreiung<br />
von der latenten <strong>St</strong>euerlast bewirkt. Im Ergebnis wirkt<br />
sich dies – unter dem Vorbehalt von Ausgleichsleistungen<br />
– aber nicht aus, weil entsprechende neue Zurechnungen<br />
von stillen Reserven bzw. Übernahmen von latenten<br />
<strong>St</strong>euerlasten der anderen Beteiligten eine solche<br />
Entlastung egalisieren; somit ändert sich in einer gesamthaften<br />
Betrachtungsweise die einkommenssteuerliche<br />
Zurechnung der stillen Reserven nicht.<br />
Im Zuge der Aufteilung von Personengesellschaften in<br />
mehrere Einzelfirmen oder Personengesellschaften wird<br />
die bisherige Berechtigung der Teilhaber an den stillen<br />
Reserven auf dem gesamten Geschäftsvermögen durch<br />
eine Berechtigung an den stillen Reserven auf dem jeweils<br />
übernommenen Vermögensteil abgelöst. Dadurch<br />
wird der Teilhaber teilweise durch Übertragung der stillen<br />
Reserven und damit der latenten <strong>St</strong>euern entlastet.<br />
Dem steht aber wiederum die Übernahme der stillen Reserven<br />
und damit der latenten <strong>St</strong>euern auf dem übernommenen<br />
Vermögensteil gegenüber. Funktional betrachtet,<br />
und Ausgleichsleistungen vorbehalten, werden keine<br />
stillen Reserven realisiert. Zugleich lässt sich festhalten,<br />
dass bei der Aufteilung von Personengesellschaften<br />
funktional betrachtet im Grundsatz keine stillen Reserven<br />
anderen <strong>St</strong>euerpflichtigen zugerechnet werden.<br />
Bei der Umwandlung einer Einzelfirma oder Personengesellschaft<br />
in eine juristische Person wird das Geschäftsvermögen<br />
auf ein anderes <strong>St</strong>euersubjekt übertragen,<br />
wofür der Einleger Anteile an der juristischen Person<br />
erhält. Damit würden an sich allfällige stille Reserven<br />
realisiert. Indessen kann eine solche Umwandlung<br />
unter den bekannten Voraussetzungen der Übertragung<br />
eines Geschäftsbetriebes, dessen unveränderter Weiterführung,<br />
der grundsätzlich gleichbleibenden Beteiligungsverhältnisse,<br />
der Einhaltung der Sperrfrist sowie<br />
der fortbestehenden fiskalischen Verknüpfung steuerneutral<br />
durchgeführt werden 173 . Eine steuerneutrale Umwandlung<br />
einer Einzelfirma oder einer Personengesellschaft<br />
in eine juristische Person führt somit dazu, dass<br />
die Zurechnung stiller Reserven ändert und latente <strong>St</strong>euerlasten<br />
auf ein anderes <strong>St</strong>euersubjekt übergehen. Dieser<br />
Übergang steht während der Sperrfrist unter der Bedingung,<br />
dass die Voraussetzungen der <strong>St</strong>euerneutralität<br />
nach wie vor erfüllt sind. Hernach ist der Übergang definitiv.<br />
5 Bewertung<br />
5.1 Grundsatz<br />
Die Einkünfte werden mit ihrem Verkehrswert erfasst.<br />
Obwohl nicht ausdrücklich in den <strong>St</strong>euergesetzen so vorgesehen,<br />
ist dies unbestritten. Der Grundsatz kann immerhin<br />
indirekt den Bestimmungen über die Besteuerung<br />
des Eigenmietwertes des selbstgenutzten Wohneigentums<br />
entnommen werden. Der Verkehrswert ist auch<br />
bei Privatentnahmen und bei Überführung von Geschäftsvermögen<br />
ins Ausland massgeblich 174 .<br />
Soweit Bareinkünfte vorliegen, ist keine Bewertung erforderlich.<br />
Keine Bareinkünfte sind Geldforderungen<br />
mit reduzierter Kaufkraft; dementsprechend muss ein<br />
Bewertungseinschlag gewährt werden 175 .<br />
Naturaleinkünfte müssen bewertet werden. Es bestehen<br />
keine Vorschriften über die Methodik. Deshalb sind alle<br />
Bewertungsmethoden zulässig und anwendbar, die eine<br />
möglichst zuverlässige, aber auch verwaltungsökono -<br />
mische Bewertung ermöglichen 176 . Es dürfen auch Pau -<br />
scha len verwendet werden, wie sie namentlich bei der<br />
Be wertung von Naturalbezügen von Arbeitnehmern<br />
viel fach vorkommen 177 , aber insbesondere auch bei der<br />
Berücksichtigung der Veräusserungssperre gebundener<br />
Mitarbeiteraktien 178 . Allerdings muss den <strong>St</strong>euerpflich -<br />
tigen der Nachweis eines anderen als des pauschalen<br />
172 Oben, Abschn. 2.5.2.<br />
173 Siehe dazu im Einzelnen LOCHER, Art. 19 N. 18 ff.; REICH, Umstrukturierungen,<br />
S. 203 ff.; BGr, 28.12.1998, ASA 68 (1999/<br />
2000), S. 71.<br />
176 BGr, 8.10.1996, ASA 66 (1997/98), S. 484.<br />
177 Im Einzelnen LOCHER, Art. 18 N. 38 ff.<br />
178 BGr, 6.11.1995, ASA 65 (1996/97), S. 733.<br />
174 LOCHER, Art. 18 N. 103.<br />
175 LOCHER, Art. 18 N. 37 zum so genannten WIR-Geld; dies muss<br />
auch für andere Geld-Äquivalente gelten.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
106 Markus Weidmann, Realisation und Zurechnung des Einkommens<br />
Wertes offen stehen, handelt es sich doch lediglich um<br />
amtliche Schätzungshilfsmittel, nicht aber um eigent -<br />
liche gesetzliche Bewertungsmethoden 179 .<br />
5.2 Ausnahme bei Eigenmietwert<br />
Der Eigenmietwert des selbstgenutzten Wohneigentums<br />
ist nach einzelnen kantonalen Ordnungen nicht auf den<br />
Marktmietzins festzusetzen, sondern auf einen gewissen<br />
Prozentsatz des auf dem Markt erzielbaren Mietzinses<br />
180 . Das Bundesgericht lässt solche kantonalen Regelungen<br />
im Rahmen der Rechtsgleichheit zu, weil das<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierungsgesetz keine Vorschrift über die<br />
Bewertung des Eigenmietwertes enthält. Unter dem<br />
Aspekt des Gleichbehandlungsgebotes muss der Eigenmietwert<br />
gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung<br />
mindestens 60 % des Marktmietwertes betragen<br />
181 . Dass überhaupt ein Bewertungseinschlag gewährt<br />
werden kann, wird mit der geringeren Disponibilität<br />
in der Nutzung des Eigentums begründet sowie damit,<br />
dass die Selbstnutzung anderer Vermögenswerte<br />
nicht besteuert wird 182 . Für die Zulässigkeit eines Bewertungseinschlages<br />
spricht auch das Anliegen, die<br />
Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu<br />
fördern 183 . Diesen Gründen ist anzufügen, dass die Eigenmietwertbesteuerung<br />
nicht realisiertes Einkommen<br />
erfasst, weshalb den <strong>St</strong>euerpflichtigen keine Mittel zur<br />
Begleichung der <strong>St</strong>euerschuld zufliessen 184 .<br />
6 Schlussbetrachtung<br />
Der Begriff und die Besteuerung des Einkommens weisen<br />
viele Facetten auf und entziehen sich einer einfachen<br />
und eingängigen Darstellung. Gleichwohl ist es möglich,<br />
die mannigfaltigen Einzelaspekte auf einige Grundgedanken<br />
zurückzuführen und in ein System einzufügen.<br />
179 VGr ZH, 19.12.1995, RB 1995 Nr. 39 = <strong>St</strong>E 1996 A 21.12 Nr. 11,<br />
in Zusammenhang mit der Schätzung des Eigenmietwertes.<br />
180 Für die direkte Bundessteuer ist der Marktmietwert mass -<br />
geblich (BGE 123 II 9 = ASA 66 [1997/98], S. 563; LOCHER,<br />
Art. 21 N. 52).<br />
181 BGE 124 I 145.<br />
182 BGE 125 I 65; BGE 124 I 193 = ASA 69 (2000/01), S. 373; BGE<br />
116 Ia 324 f.; s. auch oben, Abschn. 2.2.1.<br />
183 BGE 112 Ia 246 f.<br />
184 S. auch oben, Abschn. 2.2.4.<br />
Es hat sich gezeigt, dass die Realisation ein tragendes<br />
Element der Einkommensbesteuerung darstellt. Einkommen<br />
im steuerlichen Sinne bilden nur die von aussen<br />
in die Vermögenssphäre des <strong>St</strong>euerpflichtigen zufliessenden<br />
Einkünfte. Nur realisierte Einkünfte werden besteuert;<br />
Ausnahmen beruhen stets auf ausdrücklicher gesetzlicher<br />
Regelung. Einkünfte werden derjenigen Person<br />
zugerechnet, welche die wirtschaftliche Verfügungsmacht<br />
darüber erlangt hat, es sei denn, das Gesetz sehe<br />
eine abweichende Zurechnung vor. Der Erwerb der wirtschaftlichen<br />
Verfügungsmacht ist auch wegleitend bei<br />
der periodengerechten Zuteilung der Einkünfte.<br />
Ziel dieses Beitrags ist es gewesen, diese systematischen<br />
Zusammenhänge der Einkommensbesteuerung aufzuzeigen<br />
und dem Rechtsanwender die Instrumente und<br />
Argumente für die Analyse und Beurteilung des Einzelfalles<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
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109<br />
Harmful Tax Practices – Auswirkungen der<br />
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Dr. ès sc. pol. Peter Baumgartner<br />
Inhalt<br />
1 Einleitung<br />
2 <strong>St</strong>euern als Teil des <strong>St</strong>andortwettbewerbs<br />
3 Internationale Entwicklungen bis Frühling <strong>2003</strong><br />
3.1 Bestrebungen in der OECD und in der EU<br />
3.1.1 Liste der unkooperativen <strong>St</strong>euerparadiese<br />
3.1.2 Bestrebungen zur Beseitigung des Bankgeheimnisses<br />
3.1.3 Umsetzung des EU-Verhaltenskodexes<br />
3.1.4 Beseitigung schädlicher <strong>St</strong>euerregimes in den OECD-<br />
<strong>St</strong>aaten<br />
4 Beurteilungskriterien für schädliche Regimes<br />
5 Androhung von Sanktionen<br />
6 Beurteilung der Entwicklungen aus Schweizer Sicht<br />
6.1 Beurteilung potenziell schädlicher schweizerischer<br />
Regimes<br />
6.1.1 Tiefe Besteuerung als Ausgangskriterium<br />
6.1.2 Fehlen eines effektiven Informationsaustausches<br />
6.1.3 Abschottung eines Regimes (sog. Ring Fencing)<br />
6.1.4 Anwendung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien<br />
6.1.5 Transparenzerfordernis<br />
6.2 Gefährdete schweizerische Regimes<br />
6.3 Anwendung von Gegenmassnahmen seitens der<br />
OECD<br />
7 Schlussbemerkungen<br />
Literatur und Materialien<br />
Dr. ès sc. pol. Peter Baumgartner,<br />
<strong>St</strong>v. Direktor der Vereinigung<br />
Schweizerischer<br />
Industrie-Holdinggesellschaften<br />
(Industrie-Holding), Bern;<br />
Vorsitzender der Tax Commission<br />
der Internationalen<br />
Handelskammer (ICC), Paris<br />
1 Nicht mobile Aktivitäten, wie z.B. Produktionsstätten, sowie<br />
nichtsteuerliche Investitionsanreize sind vorläufig noch nicht<br />
Gegenstand der OECD-Bestrebungen zur Einschränkung<br />
schädlicher <strong>St</strong>euerpraktiken.<br />
1 Einleitung<br />
Die seit 1997 laufenden Bestrebungen von OECD und<br />
EU zur Einschränkung des sog. schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerbs<br />
stellen für den <strong>St</strong>euerstandort Schweiz eine<br />
echte Herausforderung dar. Sollte es der OECD nämlich<br />
gelingen, im Juni <strong>2003</strong> eine Liste schädlicher <strong>St</strong>euer -<br />
regimes in den OECD-Mitgliedstaaten zu verabschieden,<br />
so wächst die Gefahr, dass andere <strong>St</strong>aaten, einzeln<br />
oder koordiniert, Massnahmen gegen die aufgelisteten<br />
Regimes ergreifen bzw. ihre bereits bestehenden Missbrauchsgesetzgebungen<br />
gezielt verschärfen werden. Die<br />
Schweiz hatte sich von den genannten OECD-Bestrebungen<br />
von Anfang an distanziert, droht aber wegen<br />
Besonderheiten ihrer <strong>St</strong>euerregimes und wegen ihrer<br />
restriktiven Haltung in der Frage des Austausches von<br />
steuerlich relevanten Informationen unter starken internationalen<br />
Druck zu geraten. Von der OECD sind vor<br />
allem die kantonalen Regimes für Holding- und Verwaltungsgesellschaften<br />
(Art. 28 Abs. 2–4 <strong>St</strong>HG) sowie gewisse<br />
Regelungen für Konzernhilfsgesellschaften ins<br />
Visier genommen worden.<br />
Die OECD-Bestrebungen richten sich gegen mobile Geschäftstätigkeiten<br />
(z.B. Finanz- und Dienstleistungsaktivitäten)<br />
in den OECD-<strong>St</strong>aaten, in Nicht-OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
mit Vorzugsregimes und in den sog. <strong>St</strong>euerparadiesen.<br />
Zeitgleich wurden Bestrebungen zur Aufhebung des<br />
Bankgeheimnisses in <strong>St</strong>euersachen eingeleitet, die vor<br />
allem Privatpersonen betreffen dürften. Die EU ging<br />
zwei Schritte weiter: Sie beurteilte die steuerlichen Regimes<br />
für mobile und immobile Geschäftstätigkeiten auf<br />
schädliche Aspekte einerseits und unter dem Blickwinkel<br />
von unerlaubten <strong>St</strong>aatsbeihilfen andererseits. 1<br />
Nachstehend werden die OECD- und die parallel dazu<br />
laufenden EU-Bestrebungen zur Einschränkung des<br />
schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerbs näher ausgeleuchtet. Dabei<br />
geht es vorerst darum, die im Rahmen der OECD festgesetzten,<br />
neuen internationalen <strong>St</strong>andards zur Ausgestaltung<br />
der <strong>St</strong>euersysteme darzustellen und gestützt darauf<br />
das Bedrohungspotential der neuen Regeln für gewisse<br />
schweizerische <strong>St</strong>euerregimes und -praktiken abzuschätzen.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
110 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
2 <strong>St</strong>euern als Teil des <strong>St</strong>andortwettbewerbs<br />
Die Darstellung der laufenden Entwicklungen wäre unvollständig,<br />
wenn nicht auch politische und wirtschaftliche<br />
Faktoren berücksichtigt würden. Die Ausgestaltung<br />
des <strong>St</strong>euersystems ist nämlich immer auch ein politischer<br />
Entscheid, wobei die <strong>St</strong>aaten untereinander in einem<br />
<strong>St</strong>andortwettbewerb stehen. 2 Im Sinne eines liberalen<br />
Wirtschaftsverständnisses sind Unterschiede bei der<br />
Ausgestaltung der vom <strong>St</strong>aat gesetzten Rahmenbedingungen<br />
nicht nur erwünscht, sondern geradezu notwendig.<br />
Nur eine Wettbewerbssituation gibt den Wirtschaftsakteuren<br />
die Freiheit, ihre Ressourcen dort einzusetzen,<br />
wo sie den grössten Nutzen erwarten können. Im<br />
Spannungsfeld zwischen Harmonisierung und Wettbewerb<br />
ist dem Letzteren der Vorzug zu geben, da in den internationalen<br />
Wirtschaftsbeziehungen das Prinzip der<br />
komparativen Wettbewerbsvorteile grundsätzlich als<br />
wohlstandsfördernd gilt. Einschränkungen sind dann gerechtfertigt,<br />
wenn ein offensichtliches Systemversagen<br />
vorliegt oder die globalen <strong>St</strong>abilitäts- oder Effizienzgewinne<br />
erheblich beeinträchtigt werden. 3 Der Wettbewerb<br />
der <strong>St</strong>euerordnungen wirkt sich zudem disziplinierend<br />
auf die Höhe der staatlichen Abgaben und der öffentlichen<br />
Ausgaben aus. 4 Bei einem Ungleichgewicht zwischen<br />
den staatlichen Abgaben und den vom Gemeinwesen<br />
zur Verfügung gestellten staatlichen Leistungen haben<br />
die Wirtschaftsakteure in weitgehend liberalisierten<br />
Märkten die Möglichkeit, mobile Produktionsfaktoren<br />
in ein anderes Land zu verlegen, was im betroffenen<br />
<strong>St</strong>aat wegen den damit verbundenen Wohlstandsverlusten<br />
in aller Regel zu entsprechenden Korrekturen auf politischer<br />
Ebene führt.<br />
Aus der Optik der OECD ist <strong>St</strong>euerwettbewerb dann als<br />
schädlich zu qualifizieren, wenn er einen verzerrenden<br />
Einfluss auf die Ansiedlung von mobilen Produktionsfaktoren<br />
hat. 5 Den im <strong>St</strong>euerausschuss der OECD vertretenen<br />
nationalen <strong>St</strong>euerbehörden schwebt dabei das Ideal<br />
eines «level playing field» vor. Eine solche Optik<br />
klammert die andern <strong>St</strong>andortfaktoren aus. Sie gibt den<br />
<strong>St</strong>euern einen besonderen <strong>St</strong>ellenwert, ganz so, als ob<br />
ein <strong>St</strong>aat bezüglich seiner <strong>St</strong>euereinnahmen eine Monopolstellung<br />
hätte, die es unter allen Umständen zu verteidigen<br />
gilt. Sie beeinträchtigt (unter dem Vorwand schädlicher<br />
Auswirkungen) die Möglichkeiten der Wirtschaftssubjekte,<br />
die internationalen Wirtschaftsbeziehungen<br />
im Rahmen der geltenden (nationalen und internationalen)<br />
Rechtsordnung optimal zu strukturieren. Die<br />
OECD, die sich bei ihrer Gründung offene Märkte und<br />
die Förderung des Austausches von Gütern und Dienstleistungen<br />
auf die Fahne geschrieben hatte, nimmt damit<br />
in Kauf, dass der Wettbewerb im Bereich mobiler Aktivitäten<br />
nicht nur weitgehend ausgeschaltet wird, sondern<br />
dass die staatlichen Abgaben auf diesen Tätigkeiten<br />
künstlich hochgehalten werden können. 6 Den Kriterien,<br />
die seitens der OECD zur Beurteilung der Schädlichkeit<br />
gewisser Regimes und Praktiken herangezogen werden,<br />
ist deshalb besondere Beachtung zu schenken. 7 Zu hinterfragen<br />
sind auch die von der OECD als Rechtfertigung<br />
herangezogenen Begründungen und Schlagworte. 8<br />
3 Internationale Entwicklungen bis<br />
Frühling <strong>2003</strong><br />
Die OECD- und EU-Bestrebungen sind Teil der 1996<br />
von den <strong>St</strong>aaten der G7 beschlossenen Massnahmen zur<br />
Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen in einer<br />
globalisierten Wirtschaft und zur Verstärkung der mul -<br />
tinationalen Zusammenarbeit. <strong>St</strong>ichworte sind Good<br />
2 Der <strong>St</strong>euerwettbewerb kann gegen aussen gerichtet sein, etwa<br />
bei der Schaffung von international attraktiven Regimes für<br />
mobile Produktionsfaktoren. Der Wettbewerb spielt aber auch<br />
im Innern, indem viele <strong>St</strong>aaten bestrebt sind, die <strong>St</strong>euerbelastung,<br />
die <strong>St</strong>euersätze oder aber die Besteuerungsformen den<br />
internationalen Trends anzupassen. Grundsätzlich ist es aber<br />
jedem <strong>St</strong>aat anheim gestellt, wie er seine <strong>St</strong>euerordnung ausgestaltet,<br />
woraus sich bei internationalen Sachverhalten notwendigerweise<br />
Friktionen und Freiräume ergeben.<br />
3 Die Situation in der EU ist etwas anders zu beurteilen, da der<br />
EG-Vertrag hinsichtlich des ökonomischen und fiskalischen<br />
Handelns der Mitgliedstaaten gewisse Grenzen absteckt. Die<br />
OECD hat keine derartigen Rechtsetzungskompetenzen. Vgl.<br />
zum <strong>St</strong>euerwettbewerb auch die grundsätzlichen Überlegungen<br />
von WOLFGANG SCHÖN, <strong>St</strong>euerwettbewerb in Europa, in<br />
ASA 71 (2002/03), S. 337 ff.<br />
4 In der Schweiz, die im <strong>St</strong>euerbereich einen Wettbewerb zwischen<br />
den kantonalen <strong>St</strong>euerordnungen kennt, sind diese Effekte<br />
immer wieder nachzuweisen.<br />
5 OECD HTC Report 1998, Ziff. 8: «If governments can agree<br />
that these location decisions should be driven by economic<br />
considerations and not primarily by tax factors, this will help<br />
move towards the ‹level playing field› which is so essential<br />
to the continued expansion of global economic growth.»<br />
6 Gerade bei mobilen Dienstleistungen und Finanzierungen<br />
besteht in der Regel nur eine unbedeutende Beanspruchung<br />
staatlicher Leistungen, was nach dem Äquivalenzprinzip<br />
auch eine tiefe <strong>St</strong>euerbelastung rechtfertigt.<br />
7 Die aktuellen Bemühungen zur Eindämmung des schädlichen<br />
<strong>St</strong>euerwettbewerbs beschränken sich eben nicht nur auf die<br />
Schaffung von Transparenz und den Austausch von steuerlich<br />
relevanten Informationen, sondern orientieren sich auch<br />
an der Höhe der <strong>St</strong>euern und würden im Endeffekt zu einer<br />
weitgehenden Angleichung der <strong>St</strong>euersysteme führen. Vgl.<br />
dazu auch die Erklärung der Schweiz zum OECD HTC Report<br />
1998, Anhang II.<br />
8 Notwendigkeit der Eindämmung der schädlichen Effekte der<br />
Globalisierung, Verlagerung der <strong>St</strong>euerlast auf die indirekten<br />
<strong>St</strong>euern, «race to the bottom», «free riders», «erosion of national<br />
tax base», «poaching», OECD HTC Report 1998,<br />
Ziff. 20–37. Vgl. auch BIAC, A Business View on Tax Competition,<br />
June 1999.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
111<br />
Governance seitens der <strong>St</strong>aaten, Corporate Governance<br />
seitens der Unternehmen, Bekämpfung der Kriminalität<br />
(vor allem: Geldwäscherei, Korruption, <strong>St</strong>euer- und Börsendelikte),<br />
wobei der OECD eine Vorreiterrolle zugedacht<br />
wurde. 9 In der Folge erarbeitete das Fiskalkomitee<br />
der OECD den von den G7 und vom OECD-Ministerrat<br />
verlangten Bericht «Harmful Tax Competition, An<br />
Emerging Global Issue». 10 Die EU-<strong>St</strong>aaten hatten sich<br />
bereits 1997 im Rahmen des EU-Verhaltenskodexes 11<br />
verpflichtet, Mass nahmen gegen unfairen <strong>St</strong>euerwettbewerb<br />
zu treffen, wobei die EU- und die OECD-Bestrebungen<br />
hinsichtlich <strong>St</strong>ossrichtung, Beurteilungskriterien,<br />
zeitlichem Ablauf und Vorgehen in weiten Teilen<br />
übereinstimmten.<br />
Die Tatsache, dass die damals vereinbarten Massnahmen<br />
– trotz der nachstehend aufgezeigten politischen Widerstände<br />
und gewisser Verzögerungen – bisher über weite<br />
<strong>St</strong>recken und im Sinne der damaligen Beschlüsse umgesetzt<br />
werden konnten, macht deutlich, dass die Einschränkung<br />
des schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerbs von den<br />
beteiligten <strong>St</strong>aaten ernst genommen wurde 12 und dass die<br />
Bestrebungen seitens der potenziell Betroffenen (d.h.<br />
den <strong>St</strong>aaten, die sich nicht einbinden liessen, sowie den<br />
Unternehmen) ernst genommen werden müssen.<br />
3.1 Bestrebungen in der OECD und in der EU<br />
Der vom OECD-Ministerrat im April 1998 verabschiedete<br />
Bericht zum schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerb beginnt<br />
mit einer Analyse des internationalen Umfeldes. Sodann<br />
werden die Faktoren zur Erkennung von <strong>St</strong>euerparadiesen<br />
und schädlichen <strong>St</strong>euerregimes in den OECD- und<br />
Nicht-OECD-<strong>St</strong>aaten dargestellt. Das Kapitel 3 enthält<br />
19 ausführliche Empfehlungen zur Ausgestaltung des internen<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s und der Besteuerungspraxis, zu den<br />
DBA und zur Verstärkung der Zusammenarbeit zwecks<br />
Bekämpfung des schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerbs. 13 Ferner<br />
werden verschiedene Bereiche aufgelistet, die von<br />
der OECD näher ausgeleuchtet werden sollen. 14 Der Bericht<br />
brachte aber auch die Idee von Gegenmassnahmen<br />
ins Spiel, mit denen nicht kooperative <strong>St</strong>euerparadiese<br />
und OECD-Mitgliedstaaten gezwungen werden sollten,<br />
die OECD-<strong>St</strong>andards zu übernehmen. 15 Die Empfehlung<br />
des Ministerrates beauftragte das OECD-Fiskalkomitee<br />
ausdrücklich, ein «<strong>Forum</strong> on Harmful Tax Practices» zu<br />
schaffen. Dieses <strong>Forum</strong> nahm seine Tätigkeit im Herbst<br />
1998 auf und trifft sich seither regelmässig zur Umsetzung<br />
der 1998 beschlossenen Massnahmen.<br />
Die Schweiz und Luxemburg erklärten anlässlich der<br />
Verabschiedung des OECD HTC Report 1998 durch den<br />
Ministerrat, dass sie sich durch die darin enthaltenen<br />
Empfehlungen nicht gebunden fühlten. Sie lehnten den<br />
Bericht jedoch nicht formell ab (ein Veto hätte die weiteren<br />
Arbeiten wegen dem in der OECD geltenden Konsensprinzip<br />
verhindert), sondern enthielten sich der<br />
<strong>St</strong>imme. 16 Eine Folge dieser Enthaltung ist, dass die<br />
Schweiz im neu geschaffenen «<strong>Forum</strong> on Harmful Tax<br />
Practices» (gegen dessen Einsetzung sie sich in ihrer Erklärung<br />
explizit ausgesprochen hat) nicht Mitglied ist,<br />
9 Vgl. Pressemitteilung des Gipfeltreffens der G7 von 1996 in<br />
Lyon: «… globalisation is creating new challenges in the field<br />
of tax policy. (…) We strongly urge the OECD to vigorously<br />
pursue its work in this field, aimed at establishing a multilateral<br />
approach under which countries could operate individually<br />
and collectively to limit the extent of these practices»,<br />
in OECD HTC Report 1998.<br />
10 Der Bericht wurde vom OECD-Ministerrat am 9.3.1998 zusammen<br />
mit einer Empfehlung für das weitere Vorgehen gutgeheissen:<br />
«Recommendation of the Council on Counter -<br />
acting Harmful Tax Competition», «Recommendation and<br />
Guidelines for Dealing with Harmful Tax P ractices», in OECD<br />
HTC Report 1998.<br />
11 ECOFIN-Beschluss vom 1.12.1997 über das sog. Dreierpaket,<br />
das die Umsetzung des EU-Verhaltenskodexes gegen schädlichen<br />
<strong>St</strong>euerwettbewerb, den Erlass der Richtlinie über die<br />
Zinsbesteuerung sowie der Richtlinie über die Beseitigung<br />
von Quellensteuern auf konzerninternen Zins- und Lizenzzahlungen<br />
vorsah (98/C 2/01).<br />
12 Vor allem auch seitens der EU-<strong>St</strong>aaten, wegen den der Kommission<br />
zur Verfügung stehenden Druckmitteln, vgl. Abschn.<br />
3.1.3.<br />
13 OECD HTC Report 1998, Empfehlungen, vgl. auch Abschn. 5.<br />
14 OECD HTC Report 1998, Kapitel 3 Abschn. V.<br />
15 OECD HTC Report 1998, Ziff. 96. Der recht bedrohliche Begriff<br />
«counteracting measures» wurde im Progress Report von<br />
2000 semantisch verharmlost, und seither ist nur noch von<br />
«defensive measures» die Rede. Desgleichen wurde der Begriff<br />
«harmful tax competition» durch den ordnungspolitisch<br />
unverfänglicheren Ausdruck «harmful tax practices» ersetzt.<br />
16 Vgl. «<strong>St</strong>atement of Switzerland» im Anhang II zum OECD<br />
HTC Report 1998. Um die Position der Schweiz in dieser für<br />
sie wichtigen Frage wurde dem Vernehmen nach verwaltungsintern<br />
gerungen, standen doch verschiedene Empfehlungen<br />
im Widerspruch zur schweizerischen Auffassung<br />
über den <strong>St</strong>euerwettbewerb und zur Ausgestaltung des internen<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s und der DBA-Praxis. Als besonders stossend<br />
wurde etwa die Empfehlung 7 über den Zugang zu<br />
Bankinformationen empfunden. Materiell wies die Schweiz<br />
in ihrer Erklärung u.a. darauf hin, dass der Bericht einseitig<br />
und unausgewogen sei, dass die Beschränkung auf mobile<br />
Aktivitäten den Realitäten nicht gerecht werde, dass der Bericht<br />
tendenziell zu einer <strong>St</strong>ärkung der Position der Hochsteuerländer<br />
führe, dass er das Gewicht einseitig auf den Informationsaustausch<br />
und die internationale Zusammenarbeit<br />
lege und Quellensteuerlösungen nicht die nötige Bedeutung<br />
beimesse. Die Schweiz kritisierte schliesslich den selektiven<br />
und repressiven Approach gegenüber <strong>St</strong>euerparadiesen.<br />
Luxemburg führte ähnliche Argumente an, machte aber<br />
auch darauf aufmerksam, dass es sich an den Arbeiten zur<br />
Umsetzung des EU-Verhaltenskodexes und zur EU-Zinsrichtlinie<br />
beteilige.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
112 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
sondern lediglich Beobachterstatus hat. Sie hat deshalb<br />
keine Möglichkeit, die Ergebnisse der Arbeiten dieses<br />
Gremiums zu beeinflussen und ist aus ihrer Sicht an diese<br />
auch nicht gebunden.<br />
Die Arbeiten des OECD-<strong>Forum</strong>s führten im Juni 2000 zur<br />
Verabschiedung des Folgeberichts «Towards Global Tax<br />
Co-operation» und einer entsprechenden Empfehlung<br />
des Ministerrates. 17 Der OECD-Bericht listete 47 potenziell<br />
schädliche Vorzugsregimes in Mitgliedstaaten auf<br />
(einschliesslich Regimes in der Schweiz) 18 sowie 35 Länder<br />
oder Gebiete, die als potenzielle <strong>St</strong>euerparadiese bezeichnet<br />
werden. Der Bericht stellte aber auch klar, dass<br />
mit den OECD-Bestrebungen keine Harmonisierung der<br />
<strong>St</strong>euersysteme innerhalb und ausserhalb der OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
beabsichtigt war und dass keinem Land «angemessene»<br />
<strong>St</strong>euersätze aufgezwungen werden sollen. Zentral ist<br />
u. E. jedoch die folgende Begründung: «Rather, the project<br />
is about ensuring that the burden of taxation is fairly<br />
shared and that tax should not be the dominant factor in<br />
making capital allocation deci sions.» 19 Damit reagierte<br />
die OECD einerseits auf die heftige Kritik, die dem Projekt<br />
von Anfang an seitens der internationalen Wirtschaft<br />
entgegengebracht worden war. 20 Zum andern legte die<br />
OECD aber auch einen wichtigen Beweggrund auf den<br />
Tisch: Mit den OECD-Bestrebungen soll verhindert werden,<br />
dass namentlich den Hochsteuerländern wegen dem<br />
als schädlich bezeichneten <strong>St</strong>andortwettbewerb <strong>St</strong>euereinnahmen<br />
verloren gehen (sog. «base erosion»). Im Bericht<br />
wurde ferner das weitere Vorgehen explizit dargelegt,<br />
nämlich: Dialog und kollektiver Druck auf die<br />
<strong>St</strong>euer paradiese, Erarbeitung von Kriterien zur Beurteilung<br />
der Schädlichkeit der Regimes in den OECD-<strong>St</strong>aaten,<br />
Kontakte mit Nicht-OECD-Mitgliedern 21 sowie eine<br />
Liste von möglichen Gegenmassnahmen.<br />
Im November 2001 wurde – mit einer kleinen Verzögerung<br />
– ein weiterer Progress Report verabschiedet. 22 Der<br />
Einigung vorangegangen war eine Auseinandersetzung<br />
mit den USA über die von den <strong>St</strong>euerparadiesen zu erfüllenden<br />
Kriterien. Im OECD HTC Report 1998 war nämlich<br />
die Abwesenheit einer substanziellen Tätigkeit für<br />
die <strong>St</strong>euerparadiese als schädliches Kriterium aufgelistet<br />
worden. 23 Die USA, die unter der Bush-Administra -<br />
tion eine politische Richtungsänderung vorgenommen<br />
hatten, wollten dieses Kriterium nicht mehr akzeptieren<br />
und bestanden darauf, dass die Aktivitätsklausel gestrichen<br />
werde und den <strong>St</strong>euerparadiesen zudem seitens der<br />
OECD formell zugesichert werde, dass die Sanktionen<br />
gegen «unkooperative» <strong>St</strong>euerparadiese nur ergriffen<br />
würden, sofern entsprechende Massnahmen auch gegenüber<br />
OECD-Mitgliedern mit schädlichen Vorzugsregimes<br />
zur Anwendung kämen. 24<br />
Wie sich in der Folge zeigen sollte, erwies sich dieser<br />
Einbruch ins ursprüngliche Konzept der OECD als folgenschwer.<br />
Zum einen enthielten sich (neben der<br />
Schweiz und Luxemburg) neu auch Belgien und Portugal<br />
der <strong>St</strong>imme, da den kooperationswilligen <strong>St</strong>euerparadiesen<br />
mit dem Verzicht auf die Aktivitätsklausel eine<br />
Erleichterung gewährt wurde, die für die OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
nicht gelten würde. 25 Ferner vergab sich die OECD mit<br />
der Verknüpfung der Sanktionen gegen <strong>St</strong>euerparadiese<br />
und gegen schädliche Vorzugsregimes in OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
die Möglichkeit, effektiv gegen unkooperative <strong>St</strong>euerpa-<br />
17 OECD Progress Report 2000.<br />
18 Die schädlichen Regimes wurden nach Aktivitätskategorien<br />
gegliedert: Versicherung, Finanzierung und Leasing, Fund<br />
Management, Banking, Headquarters, Distribution Centers,<br />
Service Centers, Shipping, gemischte Aktivitäten. Hinsichtlich<br />
der Holdingregimes wurde im Bericht darauf hingewiesen,<br />
dass im <strong>Forum</strong> noch keine Einigkeit über die schädlichen<br />
Aspekte erzielt werden konnte, doch sollten die Holdingregimes<br />
in zahlreichen <strong>St</strong>aaten (darunter auch die<br />
Schweiz) näher analysiert werden. Für die Schweiz wurden<br />
die Verwaltungs- und Konzerndienstleistungsgesellschaften<br />
als potenziell schädlich aufgelistet, wozu die Schweiz ihre<br />
Zustimmung gab (obwohl sie sich vom OECD-Projekt distanziert<br />
hatte und am <strong>Forum</strong> nur als Beobachterin teilnahm).<br />
19 OECD Progress Report 2000, S. 5.<br />
20 Das BIAC (Business and Industry Advisory Council to the<br />
OECD) kritisierte die OECD-Bestrebungen aufs Heftigste und<br />
wies nachdrücklich daraufhin, dass der <strong>St</strong>euerwettbewerb<br />
erwünscht und notwendig sei und dass keinem souveränen<br />
<strong>St</strong>aat vorgeschrieben werden dürfe, wie er sein <strong>St</strong>euersystem<br />
auszugestalten habe; s. BIAC, A Business View on Tax<br />
Competition, June 1999. Ähnlich reagierte die Internationale<br />
Handelskammer in einem Brief an den Vorsitzenden der UN<br />
Ad Hoc Group of Experts on Co-operation in International<br />
Tax Matters, 10.5.2000. Als Folge davon war die OECD bereit,<br />
mit dem BIAC, das im Vorfeld der Publikation des Berichts<br />
von 1998 nicht einmal konsultiert worden war, den Dialog<br />
aufzunehmen.<br />
21 Diesbezüglich knüpfte die OECD Kontakte mit zahlreichen<br />
Nicht-OECD-<strong>St</strong>aaten und internationalen Organisationen;<br />
vgl. FN 22; OECD Progress Report 2001, S. 7.<br />
22 OECD, The OECD’s Project on Harmful tax practices: The<br />
2001 Progress Report, 14.11.2001.<br />
23 OECD HTC Report 1998, Box 1, Bst. d: Key factors in identifying<br />
tax havens for the purposes of this report.<br />
24 Die <strong>St</strong>euerparadiese hatten sich zuvor vehement für ihre Interessen<br />
eingesetzt. Für sie hätte das Erfordernis einer tatsächlichen<br />
Geschäftstätigkeit nämlich bedeutet, dass sie einen<br />
Grossteil ihrer <strong>St</strong>andortvorteile (reine Sitzgesellschaften)<br />
verloren hätten. Die USA, die ohnehin in erster Linie am<br />
Zugang zu Informationen interessiert waren, setzen sich für<br />
die <strong>St</strong>euerparadiese ein; s. <strong>St</strong>atements des US Secretary of<br />
the Treasury vom 17.2.2001, 10.5.2001 und Brief vom<br />
7.6.2001 an die G7-Finanzminister. Vgl. auch OECD Report<br />
2001, Ziff. 28 und 32.<br />
25 Für OECD-<strong>St</strong>aaten wäre das Kriterium des ring fencing weiterhin<br />
schädlich, womit die Gefahr bestand, dass entsprechende<br />
<strong>St</strong>rukturen in <strong>St</strong>euerparadiese abwandern würden.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
113<br />
Zeitlicher Ablauf der OECD-Bestrebungen zur Einschränkung<br />
des <strong>St</strong>euerwettbewerbs<br />
(bisher und gemäss Zeitplan der OECD)<br />
1996 G7-Beschluss zur Schaffung neuer globaler Rahmenbedingungen<br />
(<strong>St</strong>euern, Geldwäscherei, Korruption,<br />
organisierte Kriminalität)<br />
1997 EU Code of Conduct gegen unfairen <strong>St</strong>euerwettbewerb<br />
1998 OECD Report on Harmful Tax Competi tion<br />
(<strong>St</strong>immenthaltung durch die Schweiz und Luxemburg)<br />
1998 Schaffung des OECD-<strong>Forum</strong>s gegen Harmful Tax<br />
Practices (Schweiz: Be obachterstatus)<br />
2000 OECD-Bankgeheimnisbericht (die Schweiz verpflichtete<br />
sich zu Verbesserungen bei Amtshilfe<br />
für <strong>St</strong>euerbetrug, Prozess zur Anpassung der<br />
DBA-Amtshilfeklauseln)<br />
2000 OECD Progress Report 2000:<br />
– Liste der «potentially harmful tax havens»<br />
– Liste der «potentially harmful regimes in<br />
OECD countries»<br />
– Einigung über Vorgehen zur Umsetzung:<br />
Application Notes zur Beurteilung der Regimes,<br />
Konkretisierung der Massnahmen<br />
gegen unkoopera tive <strong>St</strong>aaten<br />
2000 (Nov.) Revitalisierung des EU-Dreierpakets (Verknüpfung<br />
zwischen Code of Conduct, Sparzinsricht -<br />
linie, Richtlinie über Nullsatz auf Zins- und<br />
Lizenzzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen)<br />
2001 (Nov.) OECD Progress Report 2001: Bestätigung der<br />
<strong>St</strong>rategie, Verknüpfung der Amtshilfe in «civil<br />
tax matters» für <strong>St</strong>euerparadiese mit der Amtshilfe<br />
zwischen OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
2002 OECD-Musterabkommen betr. Informationsaustausch<br />
in <strong>St</strong>euersachen<br />
2002 (April) Liste unkooperativer <strong>St</strong>euerparadiese (nur noch<br />
7), seither: OECD-Zusammenarbeit mit kooperationswilligen<br />
<strong>St</strong>euerparadiesen zur Umsetzung<br />
der vereinbarten Massnahmen<br />
2002 (Mai) Konkretisierung der Application Notes, Konkretisierung<br />
möglicher Gegen massnahmen<br />
2002 (Herbst) Self review der Vorzugsregimes durch die<br />
OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
2002 (Herbst) Schriftliche peer review der Vorzugsregimes in<br />
OECD-<strong>St</strong>aaten, seither: Evaluation der peer review<br />
durch OECD-<strong>Forum</strong><br />
<strong>2003</strong> (Jan.) EU ECOFIN-Beschluss zum Dreierpaket:<br />
– Übergangsfristen für Beseitigung von bereits<br />
gewährten Vorteilen für gewisse Regimes in<br />
Belgien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden,<br />
Portugal (bis 2010/2011)<br />
– Zusage, dass Belgien, Luxemburg und Österreich<br />
vorläufig unter der EU-Zins richtlinie<br />
nicht zum automatischen Austausch von<br />
Bankinformationen übergehen müssen<br />
<strong>2003</strong> (Juni) Geplante Veröffentlichung der Liste der Vorzugsregimes<br />
in OECD-<strong>St</strong>aaten: Absegnung durch<br />
OECD-Ministerrat<br />
<strong>2003</strong> (Dez.) Geplante Beschlüsse über Massnahmen gegen<br />
unkooperative <strong>St</strong>aaten (OECD-<strong>St</strong>aaten und<br />
<strong>St</strong>euerparadiese)<br />
ab 2006 Beseitigung aller bestehenden schädlichen<br />
<strong>St</strong>euervorteile:<br />
– «Level playing field» für international mobile<br />
Finanz- und Dienstleistungsaktivitäten<br />
– Zugang zu Bankinformationen auch bei blosser<br />
Hinterziehung (in allen <strong>St</strong>aaten, ausser unkooperativen<br />
<strong>St</strong>aaten)<br />
radiese vorzugehen, solange bei einzelnen der OECD-<br />
<strong>St</strong>aaten, die das OECD-Vorhaben mittragen, entsprechende<br />
Ausnahmen geduldet wurden. 26<br />
3.1.1 Liste der unkooperativen <strong>St</strong>euerparadiese<br />
Im Visier der OECD standen von Anfang an zum einen<br />
die sog. <strong>St</strong>euerparadiese, für die die OECD-<strong>St</strong>aaten im<br />
HTC Report 1998 die Beurteilungskriterien festgelegt<br />
hatten. Mit den im Bericht von 2000 als potenzielle <strong>St</strong>euerparadiese<br />
eingestuften <strong>St</strong>aaten 27 wurde seitens der<br />
OECD ein intensiver Dialog gesucht, um sie davon zu<br />
überzeugen, dass eine Annahme der OECD-<strong>St</strong>andards in<br />
ihrem Interesse wäre (OECD-Unterstützung bei der Umsetzung<br />
der Vorgaben, aber auch massiver kollektiver<br />
Druck). Nachdem den <strong>St</strong>euerparadiesen Ende 2001 auf<br />
Drängen der USA die erwähnten Zusicherungen abgegeben<br />
worden waren, erklärten sich bis Ende März 2002<br />
fast alle der aufgelisteten <strong>St</strong>aaten formell zur Umsetzung<br />
der von der OECD geforderten Massnahmen bis Ende<br />
2005 bereit. Mitte April 2002 veröffentlichte die OECD<br />
die angekündigte Liste der «unkooperativen» <strong>St</strong>euerparadiese.<br />
Sie umfasste nur noch Andorra, Liechtenstein,<br />
Liberia, Monaco, die Marshall-Inseln, Nauru und Vanuatu.<br />
Dies ist – wenigstens auf den ersten Blick – ein erstaunlicher<br />
Erfolg, haben sich diese <strong>St</strong>aaten doch verpflichtet,<br />
bis Ende 2005 die von der OECD geforderten<br />
und teils sehr einschneidenden Massnahmen zu treffen,<br />
u.a.: Verbesserung der Transparenz hinsichtlich der Eigentümer<br />
der bei ihnen registrierten Gesellschaften und<br />
Trusts, Gewährung von steuerlicher Amts- und Rechtshilfe<br />
und namentlich auch Offenlegung von Bankkonten<br />
bei blosser <strong>St</strong>euerhinterziehung. Allerdings erfolgten die<br />
Zusagen z. T. unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass<br />
die gleichen Kriterien auch von allen OECD-<strong>St</strong>aaten erfüllt<br />
werden müssten. 28<br />
26 Da sich die Schweiz vom OECD-Vorhaben distanziert hatte,<br />
erstreckt sich die Verknüpfung aus Sicht der OECD nicht auf<br />
die Schweiz und die anderen nicht kooperativen OECD-<strong>St</strong>aaten.<br />
28 Im Zentrum steht dabei die Offenlegung von Bankinformationen,<br />
namentlich auch durch die Schweiz, wobei es sich aber<br />
um einseitige Erklärungen der betreffenden <strong>St</strong>euerparadiese<br />
handelte.<br />
27 Eigenständige <strong>St</strong>aaten und z.T. abhängige oder assoziierte<br />
Gebiete anderer <strong>St</strong>aaten, vgl. Liste im OECD Progress Report<br />
2000.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
114 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
3.1.2 Bestrebungen zur Beseitigung des<br />
Bankgeheimnisses<br />
Die Beschlüsse der G7 von 1996 zielten auch auf die Beseitigung<br />
des Bankgeheimnisses gegenüber den <strong>St</strong>euerbehörden<br />
ab. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Schaffung<br />
von Transparenz und die Offenlegung von <strong>St</strong>euerinformationen<br />
von Anfang an ein zentrales Kriterium der<br />
OECD-Bestrebungen zur Einschränkung des schädlichen<br />
<strong>St</strong>euerwettbewerbs bildeten. Von den <strong>St</strong>euerparadiesen<br />
wurde gefordert, dass sie bis spätestens Ende<br />
2005 die notwendigen Massnahmen treffen, um den<br />
<strong>St</strong>euerbehörden anderer <strong>St</strong>aaten Bankinformationen bei<br />
kriminellen und zivilen <strong>St</strong>euervergehen zur Verfügung<br />
zu stellen. 29<br />
Die OECD veröffentlichte im April 2000 einen Bericht<br />
über die Verbesserung des Zugangs zu Bankinformationen.<br />
Nach einem harten Ringen konnten schliesslich alle<br />
29 OECD-Mitglieder dem Bericht zustimmen (einschliesslich<br />
der Schweiz). 30 Der Bericht bezog sich auf<br />
den Austausch von Bankinformationen auf Anfrage im<br />
Einzelfall. Als Idealziel wurde der Austausch von Bankinformationen<br />
bei allen <strong>St</strong>euerdelikten formuliert, wobei<br />
einzelne <strong>St</strong>aaten die Verpflichtung eingingen, diesbezüglich<br />
weitere Massnahmen zu treffen. 31<br />
Die OECD hatte in der Folge die traditionell der Arbeitsgruppe<br />
Nr. 8 zugeordneten Tätigkeiten über die steuerliche<br />
Amtshilfe 32 im Rahmen eines «Special Project Team»<br />
intensiviert und im Jahr 2002 ein Musterabkommen über<br />
den steuerlichen Informationsaustausch auf Anfrage<br />
veröffentlicht. 33 Dieses (unverbindliche) Musterabkommen<br />
lehnte sich stark an die in jüngster Zeit seitens der<br />
USA mit den <strong>St</strong>euerparadiesen abgeschlossenen bilateralen<br />
Abkommen über den Informa tionsaustausch an. 34 Die<br />
Schweiz hat sich als Folge ihrer Enthaltung vom Projekt<br />
über die schädlichen <strong>St</strong>euerpraktiken auch an diesen Arbeiten<br />
nicht beteiligt und darauf hingeweisen, dass jene<br />
<strong>St</strong>aaten, welche diese Arbeiten unterstützten, die alleinige<br />
Verantwortung dafür zu übernehmen haben, dass von<br />
den <strong>St</strong>euerparadiesen weitergehende Massnahmen verlangt<br />
werden, als die OECD-Mitgliedstaaten dies in Ziffer<br />
21 ihres Bankgeheimnisberichts vom April 2000 vereinbart<br />
hatten.<br />
3.1.3 Umsetzung des EU-Verhaltenskodexes<br />
Die EU-<strong>St</strong>aaten verpflichteten sich 1997 im Rahmen des<br />
EU-Verhaltenskodexes gegen unfairen <strong>St</strong>euerwettbewerb<br />
zur Beseitigung ihrer als schädlich eingestuften<br />
Regimes. 35 Abgesehen von der Tatsache, dass in der EU<br />
die Regimes für alle Unternehmenstätigkeiten auf<br />
schädliche Aspekte überprüft werden sollten (OECD:<br />
nur mobile Tätigkeiten), bestand zwischen den EU-Bestrebungen<br />
und denjenigen in der OECD eine weitgehende<br />
Übereinstimmung. Ein ganz entscheidender Unterschied<br />
liegt jedoch beim institutionellen Rahmen: In<br />
der EU geht es um die Schaffung eines «level playing<br />
field» in einem aufgrund des EG-Vertrags geschaffenen<br />
gemeinsamen Wirtschaftsraum. 36 Aus Sicht der Kommission<br />
ist der Verhaltenskodex eine zentrale Voraussetzung<br />
für die weitere Harmonisierung im Bereich der Unternehmensbesteuerung.<br />
37 Noch wichtiger ist aber, dass<br />
der Kommission im EG-Vertrag die Möglichkeit eingeräumt<br />
worden ist, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen<br />
gegen die Mitgliedstaaten ein formelles Verfahren<br />
zur Beseitigung von unzulässigen <strong>St</strong>aatsbeihilfen<br />
einzuleiten. <strong>St</strong>euerliche Sonderbehandlungen können<br />
dabei als unerlaubte <strong>St</strong>aatsbeihilfen qualifiziert werden.<br />
38 Die vom ECOFIN eingesetzte High-Level Group<br />
29 DAVID SPENCER, Tax Havens and Harmful Tax Practices – OECD<br />
Update, Journal of International Taxation 2002, S.16f. und<br />
34 ff.<br />
30 OECD Report, Improving Access to Bank Information for Tax<br />
Purposes, OECD Fiscal Affairs Committee, April 2000. Zum<br />
Paragraphen 20 des Berichts hat die Schweiz jedoch einen<br />
Vorbehalt angebracht, in dem sie auf ihren generellen Vorbehalt<br />
zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens (DBA) hingewiesen<br />
hat.<br />
31 Die Schweiz hat in der Folge ihre Amtshilfepraxis unter den<br />
DBA geändert und erklärte sich in Revisionsverhandlungen<br />
mit OECD-<strong>St</strong>aaten bereit, DBA-Amtshilfe auch für Delikte zu<br />
gewähren, die nach schweizerischem Recht als <strong>St</strong>euerbetrug<br />
zu qualifizieren sind, vgl. u.a. DBA-Revision vom 12.3.2002<br />
mit Deutschland.<br />
32 OECD Committee of Fiscal Affairs, Working Party No 8 on Tax<br />
Avoidance and Evasion.<br />
33 OECD Model Agreement on Exchange of Information on Tax<br />
Matters, 18.4.2002, mit einer bilateralen- und einer multilateralen<br />
Version.<br />
34 Gewährung von Amtshilfe auf Anfrage, einschliesslich Offenlegung<br />
von Bankinformationen bei zivilrechtlichen <strong>St</strong>euerdelikten,<br />
vgl. DAVID SPENCER, S.35ff.<br />
35 Rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten.<br />
36 Anders als in der OECD waren die EU-<strong>St</strong>aaten ausdrücklich<br />
bereit, zwecks Schaffung der Union einen Teil ihrer Hoheitsrechte<br />
aufzugeben, vgl. dazu auch WOLFGANG SCHÖN.<br />
37 European Commission, Towards an Internal Market without<br />
Tax Obstacles, 23.10.2001, COM(2001)582 final.<br />
38 Der für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissar, Mario<br />
Monti (notabene der Architekt des Dreierpakets von 1997),<br />
hatte bereits im Juli 2001 eine Untersuchung gegen 15 <strong>St</strong>euerregimes<br />
in 12 Mitgliedstaaten wegen eines möglichen Verstosses<br />
gegen das EU-Wettbewerbsrecht angedroht oder<br />
eingeleitet. Ein solches Verfahren kann weitreichende Folgen<br />
haben (u.a. Rückerstattung der Vorteile durch die Begünstigten)<br />
und wird von den betroffenen Mitgliedstaaten sehr ernst<br />
genommen.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
115<br />
(Primarolo Group) identifizierte im Jahr 2000 66 potenziell<br />
schädliche <strong>St</strong>euerregimes der Mitgliedstaaten.<br />
Über diese Regimes und die noch tolerierbaren Praktiken<br />
wurde seither intensiv verhandelt. An der ECOFIN-<br />
Ratstagung vom 21. Januar <strong>2003</strong> einigten sich die EU-<br />
<strong>St</strong>aaten im Prinzip darauf, dass bis Anfang 2004 alle Regimes,<br />
die endgültig als schädlich eingestuft worden waren,<br />
beseitigt werden müssen. Lediglich bei fünf Regimes<br />
wurde für Unternehmen, denen die Vorteile bereits<br />
früher formell zugesichert worden waren, eine<br />
Übergangsfrist bis 2010/11 vorgesehen. 39<br />
3.1.4 Beseitigung schädlicher <strong>St</strong>euerregimes<br />
in den OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
Wie erwähnt, wurde der OECD-Fiskalausschuss 1998<br />
vom Rat beauftragt, bis Juni <strong>2003</strong> eine Liste der schädlichen<br />
<strong>St</strong>euerregimes in den OECD-Mitgliedstaaten zu erstellen.<br />
Ob die Liste zustande kommt und welche Regimes<br />
schlussendlich als schädlich beurteilt werden, ist<br />
derzeit noch offen. Dem Vernehmen nach wird aber im<br />
OECD-<strong>Forum</strong>, gestützt auf eine self review und eine<br />
vom OECD-Sekretariat organisierte peer review, hart<br />
um jedes Einzelne der im Progress Report 2000 als potenziell<br />
schädlich eingestuften Regimes gerungen. Auch<br />
die Schweiz verteidigt ihre Regimes dabei aktiv und beharrt<br />
darauf, dass die OECD Application Notes für sie<br />
nicht verbindlich sein können. 40<br />
4 Beurteilungskriterien für schädliche<br />
Regimes 41<br />
Bei den Kriterien für die Schädlichkeit eines <strong>St</strong>euerregimes<br />
besteht eine weitgehende Übereinstimmung zwischen<br />
dem OECD-Bericht und dem von den EU-<strong>St</strong>aaten<br />
verabschiedeten Verhaltenskodex.<br />
Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die Frage, ob<br />
beim betreffenden Regime keine oder eine vergleichsweise<br />
tiefe Besteuerung vorliegt (sog. gateway crite -<br />
rion). 42 Weitere Faktoren sind:<br />
– Abschottung des Regimes (ring fencing), d.h. Ausschluss<br />
von Inländern vom betreffenden Regime<br />
oder Verbot der Ausübung entsprechender Aktivitäten<br />
im Inland; 43<br />
– fehlende Transparenz hinsichtlich eines Regimes<br />
oder hinsichtlich der Anwendung der steuerlichen<br />
Regelungen;<br />
– Fehlen eines effektiven Austausches von Informationen<br />
(unwillingness or inability to exchange information).<br />
Um überhaupt in der Lage zu sein, die OECD-Beurteilungskriterien<br />
im Einzelfall auf die Regimes anzuwenden,<br />
erarbeitete das <strong>Forum</strong> sog. Application Notes. Detailliert<br />
behandelt wurden darin folgende Bereiche:<br />
Transparenz und Informationsaustausch, ring fencing,<br />
Verrechnungspreise, Rulings, Holding- und ähnliche<br />
Regimes, Fund Management und Schifffahrt. Die einzelnen<br />
Bereiche wurden bezüglich der im OECD-Bericht<br />
von 2000 festgelegten Kategorien von potenziell schädlichen<br />
Regimes konkretisiert, wobei auch der Bezug zu<br />
den andern OECD-Beurteilungskriterien hergestellt<br />
wurde. Nach einer Vernehmlassung bei den interessierten<br />
Wirtschaftskreisen 44 wurden die Application Notes in<br />
Form eines konsolidierten Papiers im Herbst 2002 vom<br />
<strong>Forum</strong> für die Beurteilung der Regimes grundsätzlich als<br />
anwendbar erklärt. Dies soll in Form eines «overall assessment»<br />
erfolgen, wobei alle Kriterien der Applica tion<br />
Note erfüllt sein müssen, damit ein Regime nicht als<br />
schädlich beurteilt wird. 45<br />
39 Protokoll der ECOFIN-Tagung vom 21.1.<strong>2003</strong>, Ziff. 7–11. Vorgesehene<br />
Ausnahmeregelungen für Belgien (Co-ordination<br />
Centres), Irland (Foreign Income), Luxemburg (1929 Holding<br />
Companies), die Niederlande (International Financing), Portugal<br />
(Madeira Free Economic Zone), wobei ein weiteres Regime<br />
in Prüfung war und die Frist für Madeira auf Ende 2011<br />
ausgedehnt wurde. Die Wettbewerbsbehörden haben sich im<br />
Prinzip diesem Vorgehen angeschlossen.<br />
40 Quelle: ESTV.<br />
41 OECD Consolidated Application Note, Guidance in Applying<br />
the 1998 Report to Preferential Tax Regimes, Discussion<br />
Draft, 10.7.2002 (nachstehend OECD Application Note).<br />
42 «No or low effective tax rate», wobei erstaunlicherweise bisher<br />
nicht definiert worden ist, was als «low» gelten soll (dies<br />
im Gegensatz zu den Missbrauchsgesetzgebungen in zahlreichen<br />
<strong>St</strong>aaten, bei denen die Höhe des Mindeststeuersatzes<br />
oder der <strong>St</strong>euerbelastung als absoluter oder relativer Wert<br />
festgelegt ist).<br />
43 «Ring fencing» geht somit klar über eine rechtliche Diskriminierung<br />
hinaus, wobei die OECD unter dem Begriff sowohl<br />
den ausdrücklichen als auch einen faktischen Ausschluss<br />
versteht. Die OECD war seitens der internationalen Wirtschaft<br />
immer wieder aufgefordert worden, das unklare und<br />
damit gefährliche Kriterium des ring fencing aufzugeben;<br />
vgl. BIAC, Comments of BIAC to the OECD to OECD Consolidated<br />
Application Note: Guidance in Applying the 1998 Report<br />
to Preferential Tax Regimes, 23.9.2002, Kapitel III.<br />
44 BIAC sowie Nicht-OECD-<strong>St</strong>aaten und internationale Organisationen,<br />
wobei das BIAC in seiner <strong>St</strong>ellungnahme vom<br />
23.9.2002 die OECD-Bestrebungen erneut grundsätzlich in<br />
Frage stellte und namentlich die Anwendung der Verrechnungspreisregeln<br />
und das Konzept des ring fencing als verfehlt<br />
bezeichnete, vgl. BIAC Comments, FN 43.<br />
45 OECD Application Note, Ziff. 11. Die Kriterien gelten grundsätzlich<br />
auch für Vorzugsregimes in Nichtmitgliedstaaten<br />
und (mit Einschränkungen) für <strong>St</strong>euerparadiese, Ziff. 13. Die<br />
Application Note ist noch nicht formell verabschiedet; die<br />
nachstehende Beurteilung erfolgt gestützt auf den Entwurf<br />
vom 10.7.2002.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
116 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
5 Androhung von Sanktionen<br />
In der OECD wie auch in der EU handelt es sich um<br />
Selbstverpflichtungen der <strong>St</strong>aaten. Die inhaltlich und<br />
zeitlich festgelegten Ziele sollen durch kollektiven<br />
Druck erreicht werden. Während die EU aber das griffige<br />
Instrument der EU-Wettbewerbsregeln einsetzen<br />
kann und teilweise bereits eingesetzt hat, droht die<br />
OECD den nicht kooperativen <strong>St</strong>aaten mit einem ganzen<br />
Arsenal von Gegenmassnahmen im <strong>St</strong>euerbereich, die<br />
heute verharmlosend als «defensive measures» bezeichnet<br />
wurden. 46 Der Bericht von 1998 enthielt zum einen<br />
Empfehlungen für Massnahmen, die von den <strong>St</strong>aaten<br />
einseitig in ihrem internen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> getroffen werden<br />
sollen, wie: Einführung von CFC-Regeln, 47 Verzicht auf<br />
die Befreiungsmethode für gewisse Einkünfte, Verschärfung<br />
der Informationspflichten, Offenlegung der Rulings,<br />
strikte Anwendung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien,<br />
Zugang zu Bankinformationen. Im Weiteren<br />
wurden Massnahmen empfohlen, die in den bilateralen<br />
DBA umgesetzt werden sollen: Verbesserter Informationsaustausch,<br />
Einschränkung der Abkommensvorteile,<br />
Klarstellung, dass innerstaatliche Missbrauchsvorschriften<br />
mit den DBA vereinbar sein sollen, Beschränkungen<br />
beim Geltungsbereich der DBA, Kündigung von<br />
DBA mit <strong>St</strong>euerparadiesen, verstärkte bilaterale Zusammenarbeit<br />
bei der Anwendung der DBA und beim <strong>St</strong>euereinzug.<br />
Schliesslich Empfehlungen zur Verstärkung<br />
der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere die<br />
Schaffung eines OECD-<strong>Forum</strong>s.<br />
Im Progress Report 2000 werden die einzelnen Massnahmen<br />
bezüglich unkooperativer <strong>St</strong>euerparadiese detailliert<br />
aufgezählt. 48 Sie reichen von der Erhebung zusätzlicher<br />
Quellensteuern auf Transaktionen mit unko -<br />
operativen <strong>St</strong>aaten über die Hinzurechnungsbesteuerung<br />
und Nichtgewährung der <strong>St</strong>eueranrechnung bis hin zum<br />
Verbot des Abzugs von Aufwendungen beim Schuldner.<br />
Im Progress Report 2001 ist bereits von einem «co-ordinated<br />
framework of defensive measures» die Rede, aber<br />
auch davon, dass jeder <strong>St</strong>aat frei sein soll, ob er dabei<br />
mitmachen will. 49<br />
Sehr bedenklich ist das Muster, das sich dabei abzeichnet,<br />
ist die OECD doch eine zwischenstaatliche Organisation,<br />
in der nur die Industriestaaten vertreten sind: Die<br />
OECD beansprucht für sich das Recht, weltweit anwendbare<br />
<strong>St</strong>andards zu erlassen. Sie setzt zur Durchsetzung<br />
ihrer Vorstellungen auf kollektiven Druck und verstärkt<br />
diesen Druck, indem sie den <strong>St</strong>euerparadiesen ganz klar<br />
mit Massnahmen droht, die für deren Volkswirtschaften<br />
z. T. äusserst folgenschwer wären. 50 Da einzelne Sanktionen<br />
nur wirksam sind, wenn sie kollektiv angewendet<br />
werden, regte die OECD an, solche Massnahmen zu koordinieren<br />
(z.B. Kündigung von DBA mit <strong>St</strong>euerparadiesen),<br />
wobei dem OECD-<strong>Forum</strong> eine zentrale Rolle zukommen<br />
soll. Als äusserst einschneidend dürften in der<br />
Praxis ein Verbot des <strong>St</strong>euerabzugs beim Schuldner auf<br />
Zahlungen in gewisse <strong>St</strong>aaten oder die Erhebung von<br />
Quellensteuern sein, da damit die Zahlungsflüsse in<br />
<strong>St</strong>aaten mit schädlichen Regimes sehr rasch zum Erliegen<br />
gebracht werden können.<br />
6 Beurteilung der Entwicklungen<br />
aus Schweizer Sicht<br />
Sowohl in der OECD als auch in der EU sind die Arbeiten<br />
zur Beseitigung schädlicher <strong>St</strong>euerregimes weit fortgeschritten<br />
(Analyse der Regimes, Festlegung der Beurteilungskriterien,<br />
Diskussion von Gegenmassnahmen).<br />
Die EU-<strong>St</strong>aaten nehmen den Verhaltenskodex ernst, da<br />
sonst ein Wettbewerbsverfahren droht. 51 In beiden Gremien<br />
wurde und wird intensiv um allfällige Ausnahmen<br />
gefeilscht. Es muss heute davon ausgegangen werden,<br />
dass in der OECD im Frühsommer <strong>2003</strong> eine Liste der<br />
schädlichen <strong>St</strong>euerregimes in den OECD-<strong>St</strong>aaten vorliegen<br />
wird. Ob die Liste verabschiedet werden kann, ist offen.<br />
Die Schweiz und jedes andere OECD-Mitglied kann<br />
die Verabschiedung der Liste im Fiskalausschuss blockieren<br />
(Vetorecht).<br />
6.1 Beurteilung potenziell schädlicher<br />
schweizerischer Regimes<br />
Als potenziell schädlich waren im OECD-Bericht 2000 und<br />
in den Arbeiten des <strong>Forum</strong>s die folgenden schweizerischen<br />
Regimes beurteilt worden:<br />
– Holdinggesellschaften; 52<br />
46 OECD HTC Report 1998, Kapitel 3. Dieser Begriff wird damit<br />
gerechtfertigt, dass die von schädlichen <strong>St</strong>euerpraktiken betroffenen<br />
<strong>St</strong>aaten ihre <strong>St</strong>euerbasis verteidigen müssen.<br />
47 Controlled Foreign Corporations Rules, Empfehlung 1, OECD<br />
HTC Report 1998.<br />
48 OECD Report 2000, Ziff. 35.<br />
49 OECD Report 2001, Ziff.47ff.<br />
50 OECD Report 2000, Liste der Massnahmen in Ziff. 35.<br />
51 Dies zeigt sich etwa darin, dass die <strong>St</strong>aaten für wichtige Regimes<br />
bis zum Letzten um Ausnahmeregelungen (oder wenigstens<br />
für eine Verlängerung) kämpften (z.B. belgische Koordinationszentren,<br />
wobei Belgien sich noch in der ECOFIN-<br />
Sitzung vom März <strong>2003</strong> vehement für längere Übergangsfristen<br />
einsetzte).<br />
52 Die Beurteilung der Holdingregimes war bei der Veröffentlichung<br />
des Berichts von 2000 noch nicht abgeschlossen. Seither<br />
sind die schweizerischen Holdinggesellschaften aber von<br />
verschiedenen OECD-<strong>St</strong>aaten in den <strong>Forum</strong>sdiskussionen<br />
kritisiert und als schädlich bezeichnet worden, Quelle: ESTV.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
117<br />
– Verwaltungsgesellschaften; 53<br />
– gewisse Dienstleistungsgesellschaften. 54<br />
Gestützt auf die OECD Application Note dürften dabei<br />
vor allem die nachstehenden Aspekte problematisch<br />
sein. Bei dieser Beurteilung ist allerdings zu beachten,<br />
dass die Schweiz – als Folge ihrer Enthaltung zum gesamten<br />
Projekt – die Application Notes nicht als Grundlage<br />
für eine Bewertung akzeptiert. Eine Auseinandersetzung<br />
damit ist jedoch trotzdem angezeigt, weil nicht<br />
ausgeschlossen werden kann, dass gewisse <strong>St</strong>aaten ausserhalb<br />
des OECD-Rahmens entsprechende Bewertungen<br />
auf dieser Grundlage vornehmen und dann – unilateral<br />
oder koordiniert – Gegenmassnahmen ergreifen oder<br />
bereits bestehende Massnahmen verstärken.<br />
6.1.1 Tiefe Besteuerung als Ausgangs -<br />
kriterium<br />
Da das Kriterium der tiefen Besteuerung von der OECD<br />
nicht näher qualifiziert oder gar quantifiziert worden ist,<br />
hat das OECD-<strong>Forum</strong> bei der Anwendung dieses Kriteriums<br />
einen weiten Ermessensspielraum. Das Kriterium<br />
gilt jedoch nur als «gateway criterion» für die weiteren<br />
Abklärungen. Wenn alle andern Kriterien erfüllt sind,<br />
gilt eine tiefe Besteuerung nicht als schädlich. 55 Im Falle<br />
der Schweiz dürften im Jahr 2000 diejenigen Regimes<br />
als potenziell schädlich aufgelistet worden sein, bei denen<br />
die schweizerischen Gewinnsteuern durch eine spezielle<br />
Reduktion der Bemessungsgrundlage herabgesetzt<br />
werden, wobei die DBA-Amtshilfepraxis als zusätzliches<br />
schädliches Element beurteilt worden ist.<br />
Nach Art. 28 Abs. 2 des <strong>St</strong>euerharmonisierungsgesetzes<br />
(<strong>St</strong>HG) sind so genannte Holdinggesellschaften, die<br />
keine Geschäftstätigkeit in der Schweiz ausüben, unter<br />
gewissen Bedingungen für ihre Erträge 56 von den kantonalen<br />
Gewinnsteuern befreit (nicht aber von der direkten<br />
Bundessteuer). Keine besonderen Regeln gelten für die<br />
Verrechnungssteuer, weshalb die <strong>St</strong>euer von 35 % auf allen<br />
Ausschüttungen geschuldet ist. Bei Verwaltungsgesellschaften<br />
(Art. 28 Abs. 3 <strong>St</strong>HG), die in der Schweiz<br />
keine Geschäftstätigkeit haben dürfen, werden die Erträge<br />
aus dem Ausland im Kanton nur nach Massgabe der<br />
Bedeutung der Verwaltungstätigkeit in der Schweiz besteuert.<br />
Bei Gesellschaften mit überwiegend auslandsbezogener<br />
Geschäftstätigkeit (Art. 28 Abs. 4 <strong>St</strong>HG, sog.<br />
gemischte Gesellschaften) werden die daraus resultierenden<br />
Erträge ebenfalls nur nach Massgabe der Bedeutung<br />
der dar auf bezogenen Tätigkeit in der Schweiz besteuert.<br />
Die von der OECD aufgelisteten Konzern dienst -<br />
leistungs gesellschaften werden in der Regel normal besteuert<br />
oder gelten als Verwaltungsgesellschaften. Sofern<br />
die Bemessungsgrundlage (z.B. der Gewinnaufschlag,<br />
cost-plus) jedoch tief angesetzt wird, kann eine<br />
tiefe <strong>St</strong>euerbelastung resultieren.<br />
6.1.2 Fehlen eines effektiven Informationsaustausches<br />
Dieses Kriterium ist nach der OECD Application Note<br />
ein «key factor», 57 und in der Tat spielt der Informationsaustausch<br />
bei den Bestrebungen der OECD zur Einschränkung<br />
des schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerbs eine<br />
Schlüsselrolle. Von den <strong>St</strong>euerparadiesen werden – nach<br />
der von den USA erzwungenen Einschränkung der massgeblichen<br />
Kriterien – ein weitreichender Informationsaustausch<br />
sowie die Schaffung von Transparenz verlangt.<br />
58 Bezüglich der Regimes in OECD-<strong>St</strong>aaten liegt<br />
der Akzent auf der Sicherstellung eines tatsächlichen Informationsaustausches<br />
auf Anfrage (effective exchange<br />
of information), da die zwischen den OECD-<strong>St</strong>aaten abgeschlossenen<br />
DBA in aller Regel bereits eine Informationsklausel<br />
im Sinne von Art. 26 des OECD-Musterabkommens<br />
enthalten (Austausch von Informationen zur<br />
Anwendung des DBA und des <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s des ersuchenden<br />
<strong>St</strong>aates). 59<br />
Die schweizerische Amtshilfe unter den DBA geht bekanntlich<br />
nicht so weit. Die Schweiz gewährt zwar<br />
Amtshilfe zur Anwendung des DBA (z.B. Reduktion der<br />
Quellensteuern, Bestimmung der Ansässigkeit, Vorliegen<br />
einer Betriebstätte etc.), 60 sie ist aber nicht bereit, Informationen<br />
zur Anwendung des internen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s<br />
53 Unter der Kategorie «Financing and Leasing», OECD Progress<br />
Report 2000, Kapitel III A.<br />
54 Unter der Kategorie «Headquarters regimes», OECD Progress<br />
Report 2000, Kapitel III A.<br />
55 Z. B. Irland, das für Unternehmensgewinne einen <strong>St</strong>euersatz<br />
von 12,5 % anwendet.<br />
56 Erträge aus schweizerischem Grundeigentum sind dagegen<br />
zum ordentlichen Tarif steuerbar (Art. 28 Abs. 2 <strong>St</strong>HG). Ferner<br />
wird eine kantonale Kapitalsteuer erhoben.<br />
57 OECD Application Note, Ziff. 2.<br />
58 Vgl. Abschn. 3.1. Aus Sicht der USA ist dies folgerichtig: Da<br />
sie für sich das Recht beanspruchen, ihre <strong>St</strong>aatsangehörigen<br />
weltweit zu besteuern, müssen sie jedoch in Erfahrung bringen,<br />
ob in einem bestimmten <strong>St</strong>aat steuerpflichtige Einkünfte<br />
generiert werden.<br />
59 Das gleiche Problem stellt sich in der EU, da die EU-<strong>St</strong>aaten<br />
bereits nach den OECD-Amtshilferichtlinien zu einem weitgehenden<br />
Austausch von Informationen (für direkte und indirekte<br />
<strong>St</strong>euern) Hand bieten müssen.<br />
60 Im DBA mit den USA sowie nach der neuen DBA-Amtshilfepolitik<br />
werden auch Auskünfte in Fällen von <strong>St</strong>euerbetrug<br />
(und dgl.) ausgetauscht, d.h. für Tatbestände, für die bis anhin<br />
grundsätzlich Rechtshilfe gewährt worden ist.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
118 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
des ersuchenden <strong>St</strong>aates auszutauschen. Damit unterscheidet<br />
sich die schweizerische Praxis von derjenigen<br />
der andern OECD-<strong>St</strong>aaten und der Regelung in Art. 26<br />
des OECD-Musterabkommens. 61 Seitens der OECD<br />
dürfte die schweizerische Amtshilfepraxis als Fehlen eines<br />
effektiven Informationsaustausches qualifiziert werden.<br />
Unklar war gemäss der Draft Application Note, ob<br />
eine noch weiter gehende Amtshilfe verlangt werden<br />
dürfe, wie sie im neuen OECD-Amtshilfeabkommen<br />
2002 vorgesehen ist (als <strong>St</strong>andard für <strong>St</strong>euerparadiese). 62<br />
Bevor dieser Schritt gemacht wird, muss u. E. das<br />
OECD-Musterabkommen für DBA entsprechend angepasst<br />
und gutgeheissen werden. Zudem dürfte die Frage<br />
der Bankauskünfte durch die Ausnahmeregelungen der<br />
EU bei der Zinsbesteuerung vorläufig an Brisanz verloren<br />
haben. 63<br />
6.1.3 Abschottung eines Regimes (sog. Ring<br />
Fencing)<br />
Das Kriterium des «ring fencing» eines <strong>St</strong>euerregimes<br />
ist ebenso unscharf wie gefährlich, geht es doch nach der<br />
Application Note klar über eine rechtliche Diskriminierung<br />
hinaus (z.B. Inländer/Ausländer) und umfasst sowohl<br />
eine faktische als auch eine ausdrückliche Abschottung<br />
des Regimes vom Inlandmarkt oder den Ausschluss<br />
inländischer <strong>St</strong>euerpflichtiger von gewissen Regimes.<br />
64 Die konzeptionellen Schwächen dieses Ansatzes<br />
können durch die erläuternden Beispiele nicht überdeckt<br />
werden. 65 Diese helfen aber wenigstens zu verstehen,<br />
was tatsächlich gemeint ist. Eine Vorzugsbehandlung<br />
für gewisse Geschäftstätigkeiten gilt nicht als ring<br />
fencing. Wenn aber für die gleiche Tätigkeit im Inland<br />
und im Ausland unterschiedliche Besteuerungsregeln<br />
gelten, die nicht Bestandteil der allgemeinen Regeln des<br />
betreffenden <strong>St</strong>aates zur Beseitigung der Doppelbesteuerung<br />
sind, und wenn inländische Tätigkeiten oder<br />
Inländer dadurch benachteiligt werden, so liegt nach<br />
dem OECD-Konzept ein schädliches ring fencing vor. 66<br />
Näher anzusehen sind diesbezüglich die schweizerischen<br />
Regimes für gemischte Gesellschaften (Art. 28<br />
Abs. 4 <strong>St</strong>HG). Gemäss der in der Unternehmenssteuerreform<br />
1997 eingefügten Bestimmung von Art. 28 Abs. 4 in<br />
Verbindung mit Art. 72a <strong>St</strong>HG (Anpassung der kantonalen<br />
Gesetzgebung) dürften inzwischen alle Kantone auf<br />
eine (früher mögliche) Diskriminierung gestützt auf die<br />
Beherrschung (Sonderstatus nur für ausländisch beherrschte<br />
Gesellschaften) verzichtet haben. Auch<br />
schweizerisch beherrschte Gesellschaften können daher<br />
einen <strong>St</strong>euerstatus im Sinne von Art. 28 Abs. 4 <strong>St</strong>HG beanspruchen.<br />
Die betreffenden Gesellschaften dürfen auf<br />
dem Inlandmarkt eine untergeordnete Geschäftstätigkeit<br />
ausüben; somit kann auch diesbezüglich nicht von einem<br />
ring fencing gesprochen werden. 67 Das Regime für gemischte<br />
Gesellschaften zielt auf eine <strong>St</strong>euerbemessung<br />
nach Massgabe der Tätigkeit im Inland ab, wobei das<br />
Ziel in der Beseitigung der internationalen Doppelbesteuerung<br />
liegt. Die Befreiung der im Ausland erwirtschafteten<br />
Erträge ist zudem Teil der schweizerischen<br />
<strong>St</strong>euerpraxis (Verzicht auf Besteuerung, etwa beim Vorliegen<br />
einer Betriebstätte). 68 Die Frage, ob die angenommene<br />
Bemessungsgrundlage im Sinne der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien<br />
angemessen sei, ist ferner keine<br />
Frage des ring fencing, sondern der Bewertung der<br />
Funktionen und Risiken, d.h. ein Problem, das in der<br />
Application Note unter dem Titel «Transfer Pricing» behandelt<br />
wird.<br />
6.1.4 Anwendung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien<br />
Die 1995 verabschiedeten OECD-Verrechnungspreisrichtlinien<br />
69 sind der unbestrittene Massstab für die<br />
Preisgestaltung zwischen verbundenen Unternehmen.<br />
Sie sind letztlich massgebend für die Beurteilung der<br />
Frage, ob der von einem <strong>St</strong>aat beanspruchte steuerbare<br />
Gewinn ihm nach den im DBA vereinbarten Regeln auch<br />
tatsächlich zusteht. 70 Die OECD geht in den Bestrebungen<br />
zur Eindämmung des <strong>St</strong>euerwettbewerbs aber nicht<br />
nur davon aus, dass keine Gewinnverlagerungen aufgrund<br />
von verfälschten Verrechnungspreisen erfolgen<br />
dürfen. Sie möchte vielmehr die steuerlich motivierte<br />
Verlagerung von Geschäftsaktivitäten einschränken,<br />
was etwas ganz anderes ist. Sie bezeichnet deshalb eine<br />
Situation, in der ein <strong>St</strong>aat auf das ihm eigentlich zustehende<br />
<strong>St</strong>euersubstrat verzichtet, als schädlich, und bemüht<br />
zur Beurteilung der Frage, ob der Empfängerstaat<br />
sein <strong>St</strong>euersubstrat auch voll ausgeschöpft habe, die Kri-<br />
61 Vorbehalt der Schweiz zu Art. 26 OECD-MA.<br />
62 Vgl. FN 33.<br />
63 ECOFIN-Beschluss vom 21.1.<strong>2003</strong>, vgl. Abschn. 6.3.<br />
64 OECD Application Note, Ziff. 67.<br />
65 OECD Application Note, Ziff. 75 und 83.<br />
66 OECD Application Note, Ziff. 85. Die OECD dürfte ferner davon<br />
ausgehen, dass Regimes, bei denen des <strong>St</strong>euersubstrat<br />
der andern <strong>St</strong>aaten nicht geschmälert wird, nicht als schädlich<br />
gelten.<br />
67 OECD Application Note, Ziff. 78.<br />
68 OECD Application Note, Ziff. 73.<br />
69 OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises<br />
and Tax Authorities, Paris, 1996.<br />
70 OECD Arm’s-length-Grundsatz, gemäss Art. 9 OECD-Musterabkommen.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong><br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
119<br />
terien der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien. Seitens<br />
der internationalen Wirtschaft ist diese Betrachtungsweise<br />
auf grosse Kritik gestossen. 71<br />
Nimmt man – im Sinne des (verfehlten) OECD-Ansatzes<br />
– für die Beurteilung des steuerbaren Gewinns die Verrechnungspreisrichtlinien<br />
zum Massstab, so zeigt sich<br />
sofort, dass immer dann, wenn ein <strong>St</strong>aat nicht den gesamten<br />
Gewinn in die Bemessungsgrundlage einbezieht<br />
oder bei einer Cost-plus-Besteuerung die Kosten nur<br />
teilweise erfasst bzw. den Gewinnaufschlag zu tief ansetzt,<br />
aus OECD-Optik von einer schädlichen Praxis gesprochen<br />
werden kann. 72 Die OECD geht gemäss der<br />
Application Note aber noch weiter und erachtet auch<br />
standardisierte Kostenaufschläge, bei denen nicht auf<br />
die Funktionen und Risiken im Einzelfall abgestellt<br />
wird, als schädlich. 73 Derartige Regeln sind in der<br />
Schweiz (wie in andern Ländern) nicht in den <strong>St</strong>euergesetzen<br />
festgeschrieben, sondern in den Anwendungsbestimmungen,<br />
oder sie werden im Einzelfall festgelegt.<br />
Kritisiert werden könnten diesbezüglich etwa die Bestimmungen<br />
des Kreisschreibens Nr. 9 vom 19. Dezember<br />
2001 über die sog. Fifty-Fifty-Praxis. 74<br />
6.1.5 Transparenzerfordernis 75<br />
Die Schaffung von Transparenz dürfte vor allem für die<br />
<strong>St</strong>euerparadiese ein Problem sein. Die OECD verlangt in<br />
der Application Note einerseits Transparenz hinsichtlich<br />
der anwendbaren gesetzlichen Regelungen sowie die Offenlegung<br />
der im Einzelfall gewährten Vorabbescheide<br />
(Rulings). Anderseits verlangt die OECD auch, dass die<br />
<strong>St</strong>aaten über zuverlässige Informationen verfügen bzw.<br />
in der Lage sein müssen, solche auszutauschen. Verlangt<br />
wird Transparenz hinsichtlich der rechtlichen Eigentümer<br />
von Gesellschaften und andern juristischen Personen<br />
(Trusts, <strong>St</strong>iftungen), wobei aber ausdrücklich anerkannt<br />
wird, dass dies im Falle von börsenkotierten Gesellschaften<br />
und Anlagefonds nicht immer möglich sei. 76<br />
Ferner müssen ordentliche Geschäftsbücher geführt<br />
werden.<br />
Hinsichtlich der schweizerischen Gesetzgebung und<br />
Praxis dürfte sich die Frage der Transparenz kaum stellen,<br />
da die entsprechenden Regelungen allgemein zugänglich<br />
sind. Angesichts der Unterschiede bei den kantonalen<br />
Regelungen ist es jedoch nicht immer ganz einfach,<br />
einen vollständigen Überblick zu erhalten. Die Situation<br />
betreffend der Rulings ist weniger klar. Zum einen<br />
gibt es gute Gründe, die im Einzelfall vereinbarten<br />
Lösungen nicht offenzulegen (<strong>St</strong>euergeheimnis). Im Unterschied<br />
zu andern <strong>St</strong>aaten verfolgt die Schweiz diesbezüglich<br />
eine eher zurückhaltende Praxis. Die wichtigen<br />
steuerrechtlichen Entscheide (Rekurskommissionen,<br />
Bundesgericht) werden aber regelmässig publiziert, wobei<br />
auch umstrittene Praktiken offengelegt werden. Auf<br />
der andern Seite führt die Tatsache, dass die Veranlagung<br />
der direkten Bundessteuer ebenfalls durch die kantonalen<br />
Behörden geschieht, zu einer gewissen Kontrolle der<br />
kantonalen Veranlagungspraxis durch die für die direkte<br />
Bundessteuer zuständigen <strong>St</strong>euerinspektoren. Anders als<br />
(bis vor kurzem) etwa die Niederlande, hat die Schweiz<br />
international zudem nicht den Ruf, dass den Unternehmen<br />
in «geheimen» Rulings massgeschneiderte Lösungen<br />
gewährt werden, die von den gesetzlichen Regeln<br />
abweichen.<br />
6.2 Gefährdete schweizerische Regimes<br />
Grundsätzlich könnten alle von der OECD als potenziell<br />
schädlich bezeichneten schweizerischen Regimes wegen<br />
der (behaupteten) relativ tiefen Besteuerung und<br />
dem fehlenden Austausch von Informationen als schädlich<br />
aufgelistet werden. Kritisch dürften aber insbesondere<br />
Regimes und Praktiken sein, bei denen zusätzlich<br />
noch andere schädliche Aspekte nachgewiesen werden<br />
können, wie etwa Herabsetzung der <strong>St</strong>euerbemessungsgrundlage<br />
aufgrund standardisierter Annahmen, oder<br />
wenn gewisse Einkünfte im Kanton nicht zur Besteuerung<br />
gelangen. Auch dabei ist jedoch zu prüfen, unter<br />
welchen der in der OECD Application Note aufgeführten<br />
Kriterien solche Praktiken als schädlich bezeichnet werden<br />
können und ob die Argumentation der OECD auch<br />
tatsächlich schlüssig ist.<br />
Nicht schädlich ist bei den Holding- und Verwaltungsgesellschaften<br />
der Beteiligungsabzug für Dividenden und<br />
Beteiligungsgewinne. Auch der Abzug von Beteiligungsverlusten<br />
ist – entgegen ersten Befürchtungen –<br />
nicht schädlich, sofern eine Pflicht zur Wiederaufwertung<br />
besteht. Das Konzept des ring fencing kann nach<br />
unserer Beurteilung ebenfalls kaum herangezogen werden,<br />
handelt es sich dabei doch um in der Schweiz gebräuchliche<br />
Methoden zur Vermeidung der internationa-<br />
71 BIAC <strong>St</strong>atement, Kapitel IV und V, vgl. FN 43.<br />
72 OECD Application Note, Ziff. 90 und 102.<br />
73 OECD Application Note, Ziff. 147–151.<br />
74 Nach diesem KS können Handelsgesellschaften, die ihre Tätigkeit<br />
ausserhalb der Schweiz und im überwiegenden Interesse<br />
von ausländischen Personen ausüben und die in der<br />
Schweiz keine Infrastruktur unterhalten, im Sinne einer administrativen<br />
Vereinfachung jährlich 50 % ihres Bruttogewinns<br />
als Kommission an Nahestehende oder Dritte weiterleiten,<br />
ohne dass sie die geschäftsmässige Begründetheit<br />
nachweisen müssen.<br />
75 OECD Application Notes, Ziff. 18–35.<br />
76 OECD Application Notes, Ziff. 28.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
120 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
len Doppelbesteuerung (Betriebstättenabzug). Aus Sicht<br />
der andern <strong>St</strong>aaten könnte jedoch die für Holding- und<br />
Verwaltungsgesellschaften vorgesehene Befreiung für<br />
Nicht-Beteiligungserträge aus dem Ausland als nicht<br />
vereinbar mit den Verrechnungspreis-Anforderungen<br />
der Application Note beurteilt werden, soweit es sich effektiv<br />
um Zahlungen von verbundenen Unternehmen<br />
handelt. Die OECD stellt sich wie erwähnt auf den<br />
<strong>St</strong>andpunkt, dass Verrechnungspreismethoden, die dazu<br />
führen, dass die steuerbaren Gewinne zu hoch oder zu<br />
tief ausfallen, als schädlich anzusehen sind. 77 Der erste<br />
Fall, bei dem Gewinne in ein steuergünstiges Spezialregime<br />
verschoben werden, ist jedoch typischerweise ein<br />
Problem des Landes, das die entsprechenden Zahlungen<br />
zulässt. Das Fehlen eines effektiven Informationsaustausches<br />
ist ein Mangel, der beanstandet werden könnte. 78<br />
Ein steuergünstiges Regime ist jedoch in der Regel so<br />
gestaltet, dass der steuerbare Gewinn möglichst tief ausfällt,<br />
indem nicht alle Erträge in die Bemessungsgrundlage<br />
einbezogen oder diese künstlich tief gehalten werden.<br />
Der Empfängerstaat verzichtet dabei auf einen Teil<br />
der ihm zustehenden Erträge. Sofern die Vergütung tatsächlich<br />
at arm’s length ist, aber im Empfängerstaat eine<br />
tiefere Besteuerung der Erträge erfolgt, geht es nicht<br />
mehr um ein Verrechnungspreisproblem, und die Besteuerungsweise<br />
darf von der OECD auch nicht unter<br />
dieses Kriterium subsumiert werden.<br />
Bevor die OECD-<strong>St</strong>aaten gewisse schweizerische <strong>St</strong>euerregimes<br />
definitiv als schädlich auflisten, müssen sie<br />
u. E. nachweisen, dass die in der OECD Application<br />
Note aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt sind. Die<br />
Schweiz hat aus diesem Grunde ein Interesse daran, sich<br />
aktiv in den derzeit im OECD-<strong>Forum</strong> laufenden Prozess<br />
zur Beurteilung der schädlichen Regimes einzuschalten.<br />
6.3 Anwendung von Gegenmassnahmen<br />
seitens der OECD<br />
Die Frage allfälliger Gegenmassnahmen muss ebenfalls<br />
differenziert beurteilt werden. Bezüglich der Offenlegung<br />
von Bankinformationen ist im OECD HTC Report<br />
2001 festgehalten worden, dass von den <strong>St</strong>euerparadiesen<br />
nicht mehr verlangt werden darf als von den OECD-<br />
<strong>St</strong>aaten, die die OECD-Bestrebungen mittragen. Bei der<br />
EU-Zinsbesteuerung dürfte aus heutiger Sicht in der EU<br />
vorgesehen werden, 79 dass die drei EU-Länder Belgien,<br />
Österreich und Luxemburg sowie die Schweiz und andere<br />
Drittstaaten auf absehbare Zeit nicht zum automatischen<br />
Informationsaustausch über Zinszahlungen an in<br />
der EU ansässige natürliche Personen übergehen müssen.<br />
Soweit das Bankgeheimnis in diesen <strong>St</strong>aaten gesetzlich<br />
geschützt ist, müssen bei <strong>St</strong>euerhinterziehung auch<br />
unter den anwendbaren DBA-Regeln (bzw. der EU-<br />
Richtlinie) keine Bankauskünfte übermittelt werden.<br />
Die <strong>St</strong>euerparadiese dürfen sich deshalb auf diese Ausnahme<br />
berufen und können seitens der OECD ab 2006<br />
schwerlich mit Gegenmassnahmen zur Erfüllung der seinerzeit<br />
abgegebenen Zugeständnisse gezwungen werden.<br />
80<br />
Hinsichtlich der Sanktionen gegen OECD-<strong>St</strong>aaten mit<br />
als schädlich beurteilten <strong>St</strong>euerregimes müssen ebenfalls<br />
die Entwicklungen in der EU mitberücksichtigt<br />
werden. Nachdem in der EU für einzelne Regimes recht<br />
lange bemessene Übergangsregelungen vereinbart worden<br />
sind, kann es sich die OECD kaum erlauben, für die<br />
gleichen 81 und ähnliche Regimes in andern OECD-<strong>St</strong>aaten<br />
die Anwendung der vorgesehenen Gegenmassnahmen<br />
zu empfehlen. Allerdings ist genau zu prüfen, wie<br />
die in der EU gewährten Übergangsregelungen schlussendlich<br />
ausgestaltet sind. Die schädlichen Regimes müssen<br />
im Prinzip ab 2004 aufgegeben werden. Einzelne Regimes<br />
können jedoch für <strong>St</strong>euerpflichtige, denen die<br />
Vorteile vor <strong>2003</strong> zugestanden worden sind, bis Ende<br />
2010/11 weitergeführt werden. 82 Es ist zu erwarten, dass<br />
sich die OECD dieser restriktiven Auslegung anschliessen<br />
wird, womit <strong>St</strong>aaten, die nicht bereit sind, ihre<br />
schädlichen Regimes als solche zu beseitigen, weiterhin<br />
Gegenmassnahmen angedroht werden können.<br />
Für die Schweiz ist damit die Gefahr, dass in der OECD<br />
die Idee der koordinierten Gegenmassnahmen weiterhin<br />
aktiv propagiert wird, keineswegs gebannt. Die schweizerischen<br />
Regimes sind wegen der DBA-Amtshilfepraxis<br />
zudem viel exponierter als diejenigen der anderen<br />
OECD-<strong>St</strong>aaten. Selbst wenn die Liste der schädlichen<br />
OECD-Regimes aus den erwähnten Gründen nicht formell<br />
verabschiedet werden kann, könnten einzelne<br />
OECD-<strong>St</strong>aaten von sich aus Massnahmen gegen entsprechende<br />
schweizerische Regimes ergreifen. 83 Es bliebe<br />
der Schweiz dann nichts anderes übrig, als wie bisher im<br />
Wege von bilateralen Verhandlungen eine <strong>St</strong>reichung<br />
von der jeweiligen nationalen Liste zu erwirken oder da-<br />
77 OECD Application Note, Ziff. 90<br />
78 OECD Application Note, Ziff. 93. Der betreffende <strong>St</strong>aat hat es<br />
aber in der Regel in der Hand, eine entsprechende Gewinnaufrechnung<br />
vorzunehmen, gegen die sich der <strong>St</strong>euerpflichtige<br />
durch Vorlage von Zahlen und Fakten wehren kann.<br />
79 ECOFIN-Beschluss vom 21.1.<strong>2003</strong>.<br />
81 Vgl. FN 39. Zumal die Schädlichkeit in der EU und der OECD<br />
aufgrund gleicher oder ähnlicher Kriterien beurteilt wird.<br />
82 ECOFIN-Beschluss vom 21.1.<strong>2003</strong> und Auslegung von seitherigen<br />
Verlautbarungen der Kommission.<br />
83 Italien hat mit den auf Anfang 2002 verschärften CFC- und<br />
Missbrauchsregeln bereits früher diesen Weg beschritten.<br />
80 Vgl. Abschn. 3.1.1.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
121<br />
rauf hinzuwirken, dass die Kriterien nicht allzu breit angewendet<br />
werden. 84 Die Gefahr eines schleichenden Verlustes<br />
von <strong>St</strong>andortvorteilen durch einzelstaatliche<br />
Massnahmen bleibt deshalb eine ernstzunehmende Bedrohung.<br />
7 Schlussbemerkungen<br />
Obwohl die Schweiz die OECD-Bestrebungen gegen<br />
schädlichen <strong>St</strong>euerwettbewerb nicht mitträgt (<strong>St</strong>immenthaltung<br />
der Schweiz bei der Verabschiedung der<br />
OECD HTC Reports, Beobachterstatus im OECD-<strong>Forum</strong>),<br />
ist sie von den genannten Bestrebungen direkt betroffen.<br />
Sie tut deshalb gut daran, sich weiterhin aktiv in<br />
den OECD-Prozess einzuschalten und ihre Regimes und<br />
Praktiken zu verteidigen.<br />
Die bisherigen Entwicklungen in der OECD (<strong>St</strong>euerparadiese,<br />
OECD-<strong>St</strong>aaten) und in der EU (in einem ganz<br />
andern rechtlichen Umfeld) haben gezeigt, dass die<br />
meisten <strong>St</strong>aaten ihre <strong>St</strong>andortvorteile nicht ohne Not<br />
aufgeben. Sie haben diese volkswirtschaftlich bedeutsamen<br />
Vorteile zum Teil während Jahrzehnten aufgebaut.<br />
Die Anpassungen an aufgezwungene neue <strong>St</strong>andards<br />
(OECD oder EU) geschieht selektiv, wobei die betroffenen<br />
<strong>St</strong>aaten nur das aufgeben, was unbedingt notwendig<br />
ist, und dies so spät als möglich (s. z.B. die EU-Übergangsfristen).<br />
Der Prozess des gegenseitigen Aushandelns<br />
der noch zulässigen Massnahmen läuft in der EU<br />
seit 1998. In der OECD ist er im Hinblick auf die Liste<br />
der schädlichen Regimes derzeit im Gange.<br />
Die Schweiz hat die laufenden OECD-Entwicklungen<br />
bisher sehr aufmerksam verfolgt und wo nötig eine gewisse<br />
Bereitschaft zu Konzessionen bekundet (z.B. bei<br />
der Verabschiedung des OECD-Bankgeheimnisberichts<br />
2000). Sie hat dabei aber darauf geachtet, dass wichtige<br />
<strong>St</strong>andortvorteile erhalten geblieben sind. Angesichts der<br />
bisherigen Unsicherheiten hinsichtlich des Erfolgs der<br />
OECD-Bestrebungen hat unser Land in der OECD keine<br />
vorschnellen Zugeständnisse gemacht. Die gleiche <strong>St</strong>rategie<br />
verfolgte es in der Frage der Zinsbesteuerung mit<br />
der EU (konsequentes Festhalten an der doppelten <strong>St</strong>rafbarkeit<br />
bei der Amtshilfe, Verknüpfung der schweizerischen<br />
Zahlstellensteuer mit den EU-Mutter-Tochter-<br />
Richtlinien) sowie in den bisherigen DBA-Verhandlungen<br />
mit den OECD-<strong>St</strong>aaten (erweiterte Amtshilfe bei<br />
<strong>St</strong>euerbetrug gegen Nullsätze bei konzerninternen Dividenden,<br />
Zinsen und Lizenzvergütungen). Im Falle der<br />
USA konnte das vor kurzem gestellte US-Begehren um<br />
Gewährung einer umfassenden Amtshilfe vorläufig zurückgewiesen<br />
werden 85 .<br />
Angesichts der grossen volkswirtschaftlichen Bedeutung<br />
der international tätigen Unternehmen in der<br />
Schweiz sowie der Wichtigkeit der steuerlichen <strong>St</strong>andortfaktoren<br />
für die Ansiedlung und den Verbleib von international<br />
tätigen Zwischengesellschaften muss die<br />
Schweiz weiterhin alles daran setzen, um aus der für sie<br />
schwierigen Situation das Beste zu machen. Dabei hat<br />
sich der Weg bilateraler Verhandlungen bisher als erfolgreiche<br />
<strong>St</strong>rategie erwiesen. Nachdem sich aufgrund der<br />
jüngsten Entwicklungen in der EU und in der OECD in<br />
etwa abzeichnet, in welche Richtung die internationalen<br />
Bestrebungen gehen werden und was künftig im Bereich<br />
der <strong>St</strong>euerordnungen von den <strong>St</strong>aaten verlangt werden<br />
kann, gilt es, die neu entstandene Situation sorgfältig zu<br />
beurteilen, bisherige Praktiken im Sinne einer Interessenabwägung<br />
zu überdenken und sodann eine Gesamtstrategie<br />
zur Erhaltung und Verbesserung der internationalen<br />
Attraktivität des <strong>St</strong>euerstandortes Schweiz zu entwickeln.<br />
86<br />
Literatur und Materialien<br />
BIAC, A Business View on Tax Competition, June 1999<br />
– Input to Application Notes on Holding Companies<br />
in the Context of «Harmful» Tax Competition,<br />
1.12.2000<br />
BIAC, Comments on the OECD Draft Application Notes<br />
on Transfer Pricing and Rulings, 11.1.2002<br />
– Views on the OECD Project on Harmful Tax Practices:<br />
The 2001 Progress Report and Related Issues,<br />
Discussion Paper, 29.1.2002<br />
– Comments of BIAC to the OECD to OECD Consolidated<br />
Application Note: Guidance in Applying the<br />
1998 Report to Preferential Tax Regimes,<br />
23.9.2002<br />
FRITS, Taxation and Competition: The<br />
Realization of the Internal Market, European Taxation,<br />
September 2000, S. 401 ff.<br />
BOLKESTEIN<br />
84 Die Liste entsprechender schweizerischer Bemühungen ist<br />
lang. Zwar konnten in einzelnen Fällen Verbesserungen erwirkt<br />
werden, doch teilen nicht alle <strong>St</strong>aaten die Haltung der<br />
Schweiz, dass innerstaatliche Missbrauchsregeln mit den<br />
DBA vereinbar sein müssen; vgl. OECD Report 1998, Empfehlung<br />
Nr. 10 und Ziff. 121–125.<br />
86 Eine solche Gesamtstrategie muss die Analyse der steuerlichen<br />
und nichtsteuerlichen (z.B. <strong>St</strong>andortförderung) Rahmenbedingungen<br />
umfassen. Dabei sollten alle <strong>St</strong>euern (direkte<br />
<strong>St</strong>euern, Verrechnungssteuer, Mehrwertsteuer, Transaktionssteuern)<br />
auf mögliche <strong>St</strong>andortverbesserungen überprüft<br />
werden.<br />
85 Verständigungsvereinbarung Schweiz–USA vom 23.1.<strong>2003</strong>.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
122 Peter Baumgartner, Harmful Tax Practices – Auswirkungen der Bestrebungen von OECD und EU auf die Schweiz<br />
ECOFIN, Beschluss vom 1.12.1997 (98/C 2/01)<br />
– Code of Conduct Group, 26.–27.11.2000<br />
– Outcome of Proceedings, 21 January <strong>2003</strong><br />
(5566/03)<br />
EUROPEAN COMMISSION, Towards Tax Co-ordination in<br />
the European Union, 1.10.1997, COM(97)495 final<br />
– Towards an Internal Market without Tax Obstacles,<br />
23.10.2001, COM(2001)582 final<br />
HORNER FRANCES M., The OECD, Tax Competition, and<br />
the Future of Tax Reform, November 1999<br />
LODIN SVEN-OLAF, What Ought to be Taxed and What<br />
Can be Taxed: A New International Dilemma, IBFD<br />
Bulletin, May 2000, S. 210 ff.<br />
LÜTHI DANIEL, Schädlicher <strong>St</strong>euerwettbewerb, Internationale<br />
Bestrebungen zur Bekämpfung schädlicher<br />
<strong>St</strong>euerpraktiken, ST 1999, S. 841 ff.<br />
OSTERWEIL ERIC, OECD Report on Harmful Tax Competition<br />
and European Union Code of Conduct<br />
Compared, European Taxation, June 1999, S. 199<br />
OWENS JEFFREY, Curbing Harmful Tax Competition –<br />
Recommendations by the Committee of Fiscal Affairs,<br />
Intertax 26 (1998), S. 230 ff.<br />
– Taxation in a Global Environment, OECD Observer,<br />
1.3.2002<br />
OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational<br />
Enterprises and Tax Authorities, Loose Leaf Ver -<br />
sion, 1995<br />
– Harmful Tax Competition, An Emerging Global Issue,<br />
1998<br />
– Towards Global Tax Co-operation, Progress in<br />
Identifying and Eliminating Harmful Tax Practices,<br />
2000<br />
– FISCAL AFFAIRS COMMITTEE, Improving Access to<br />
Bank Information for Tax Purposes, April 2001<br />
– The OECD’s Project on Harmful Tax Practices: The<br />
2001 Progress Report, 14.11.2001<br />
– Model Agreement on Exchange of Information on<br />
Tax Matters, 18.4.2002<br />
– Draft Consolidated Application Note, Guidance in<br />
Applying the 1998 Report to Preferential Tax Regimes,<br />
Discussion Draft, 10.7.2002<br />
– Model Tax Convention on Income and on Capital,<br />
Condensed Version, January <strong>2003</strong><br />
SCHÖN WOLFGANG, <strong>St</strong>euerwettbewerb in Europa, ASA<br />
71 (2002/03), S. 337 ff.<br />
SCOTT CORDIA, Low Tax Jurisdictions Press OECD to<br />
Answer Questions on Fairness, Tax Notes International,<br />
14.5.2001, S. 2411 ff.<br />
SPENCER DAVID, Tax Havens and Harmful Tax Practices<br />
– OECD Update, Journal of International Taxation,<br />
April 2002, S. 8 ff.<br />
– OECD Project on Tax Havens and Harmful Tax<br />
Practices, Journal of International Taxation, July<br />
2002, S. 14 ff.<br />
– OECD Proposals: A <strong>St</strong>atus Report, Journal of International<br />
Taxation, April 2002, S. 32 ff.<br />
– OECD Model Agreement is a Major Advance in Exchange<br />
of information, Journal of International Taxation,<br />
October 2002, S. 34 ff.<br />
US TREASURY NEWS, <strong>St</strong>atement of Paul H. O’Neill be -<br />
fore the Senate Committee on Governmental Affairs,<br />
Permanent Subcommittee on Investigations,<br />
OECD Harmful Tax Practices Initiative, Press release,<br />
18.7.2001<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
123<br />
Répartitions intercantonales en cas de modi -<br />
fication de l’assujettissement en cours de période<br />
fiscale: survol critique de la Circulaire n° 17<br />
Quelques questions choisies parmi les recommandations émises par la Conférence suisse des impôts<br />
concernant les personnes morales<br />
Daniel de Vries Reilingh, avocat, LL.M. (Lancaster/GB)*<br />
Sommaire<br />
1 Le contexte<br />
2 La répartition du bénéfice en cas de transfert de<br />
siège (ou de l’administration effective) en cours de<br />
période fiscale<br />
2.1 Le droit fiscal intercantonal avant le 1 er janvier 2001<br />
2.2 La situation depuis le 1 er janvier 2001<br />
2.2.1 La répartition des éléments extraordinaires – l’attribution<br />
prioritaire recommandée par la CSI<br />
2.2.2 La répartition des éléments ordinaires, effectuée pro<br />
rata temporis<br />
2.2.3 Modification importante de l’activité de l’entreprise et<br />
transfert de siège<br />
3 La répartition du bénéfice en cas d’ouverture ou<br />
de fermeture d’un établissement stable en cours de<br />
période fiscale<br />
3.1 Ouverture suivie de la fermeture au cours de la<br />
même période fiscale d’un établissement stable<br />
3.2 Ouverture d’un établissement stable<br />
3.3 Fermeture d’un établissement stable<br />
3.3.1 Introduction<br />
3.3.2 Les méthodes de répartition<br />
4 La répartition du capital<br />
4.1 Transfert de siège<br />
4.2 Modification du rattachement économique dans un<br />
autre canton que celui du siège en cours de période<br />
fiscale: la correction au profit ou à la charge du siège<br />
4.3 Comment déterminer la part au capital de l’établissement<br />
stable fermé en cours de période fiscale?<br />
4.4 Achat ou vente d’un immeuble de placement en<br />
cours de période fiscale<br />
5 Conclusion<br />
Bibliographie<br />
Circulaires, ordonnances et messages<br />
* Expert fiscal diplômé, Lausanne<br />
1 Le contexte<br />
Entrée en vigueur avec effet rétroactif au 1 er janvier<br />
2001, la loi fédérale du 15 décembre 2000 sur la coordination<br />
et la simplification des procédures de taxation des<br />
impôts directs dans les rapports intercantonaux (ciaprès:<br />
loi de coordination) a considérablement modifié<br />
la fiscalité intercantonale 1 , tout particulièrement la manière<br />
de répartir le bénéfice et le capital, respectivement<br />
le revenu et la fortune, entre les cantons. En effet, les<br />
nouvelles dispositions, abolissant une jurisprudence parfois<br />
centenaire, abandonnent le principe de la fragmentation<br />
de la période fiscale en cas de modification des fors<br />
d’imposition en cours de période fiscale au profit de celui<br />
de l’unité de cette période. L’application de ce dernier<br />
principe doit permettre le dépôt d’une seule déclaration<br />
dans les cantons concernés et éviter les difficultés de la<br />
taxation – pour l’autorité comme pour le contribuable –<br />
liées à la fragmentation de la période fiscale. En même<br />
temps, la compétence de taxer l’impôt fédéral direct et<br />
l’impôt cantonal et communal pour la même période fiscale<br />
échoit ainsi à la même autorité. Par ailleurs, les ob -<br />
stacles fiscaux à la mobilité des personnes sont ainsi être<br />
levés 2 .<br />
La Conférence suisse des impôts (ci-après: CSI ou la<br />
Conférence) a édité des circulaires, publiées au 2 ème semestre<br />
2001, présentant sa vision des répartitions inter-<br />
1 JEAN-BLAISE PASCHOUD (Evolution ou révolution du droit fiscal<br />
intercantonal? La loi sur la coordination et la simplification des<br />
procédures de taxation des impôts directs dans les rapports intercantonaux)<br />
constate d’abord, dans sa partie introductive,<br />
que la loi de coordination a pour base non seulement l’art. 129<br />
Cst. relatif à l’harmonisation fiscale, mais aussi l’art. 127 al.3<br />
Cst. interdisant la double imposition intercantonale. Il soutient<br />
qu’«en soi, cette intervention du législateur fédéral dans les relations<br />
intercantonales constitue déjà une petite révolution»<br />
(p. 837). Il estime cependant ensuite, dans sa conclusion, que<br />
la démarche suivie par les cantons et le législateur était «plus<br />
évolutive que révolutionnaire» (p. 853).<br />
2 Ces principes, soit l’unité de la période fiscale, la coordination<br />
des règles d’attribution de compétence, le dépôt d’une<br />
seule déclaration par le contribuable assujetti à l’impôt dans<br />
plusieurs cantons et la levée des obstacles fiscaux à la mobilité<br />
intercantonale, sont brièvement résumés dans le Message<br />
du Conseil fédéral du 24 mai 2000 concernant la coordination<br />
et la simplification des procédures de taxation des impôts<br />
directs dans les rapports intercantonaux (ci-après: Message),<br />
FF 2000 IV 3587 et ss., p. 3591 à 3592.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
124 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
cantonales telles qu’elles devraient être effectuées en<br />
application des nouvelles dispositions. La loi de coordination<br />
ne fixe en effet que les grands principes. Le législateur<br />
a volontairement omis d’arrêter une réglementation<br />
détaillée, y compris même les règles de base pour<br />
les répartitions intercantonales en application des nouveaux<br />
principes. Il s’est contenté de renvoyer à la jurisprudence<br />
du Tribunal fédéral relative à l’interdiction de<br />
la double imposition intercantonale en déclarant que les<br />
règles établies par notre Haute Cour étaient «applicables<br />
par analogie» (cf. art. 22 al. 3 et 68 al. 2, 3 ème<br />
phrase LHID).<br />
S’agissant des personnes morales, la Conférence a publié<br />
en particulier la Circulaire n° 17 qui aborde diverses<br />
questions relatives aux répartitions intercantonales,<br />
notamment les effets du transfert de siège (ou de<br />
l’administration effective) et d’une modification d’un<br />
rattachement économique en cours de période fiscale.<br />
L’objectif du présent article est de passer en revue cette<br />
Circulaire en approfondissant quelques questions choisies<br />
des nouvelles répartitions intercantonales proposées<br />
pour les personnes morales. Nous traiterons en particulier<br />
des règles de répartition du bénéfice en cas de<br />
transfert de siège et en cas d’ouverture ou de fermeture<br />
d’un établissement stable en cours de période fiscale.<br />
Nous examinerons également les règles de répartition<br />
du capital. Notre démarche consistera à présenter les<br />
règles de répartition proposées par la CSI et d’examiner<br />
si elles sont conformes à la jurisprudence du Tribunal<br />
fédéral relative à l’interdiction de la double imposition<br />
intercantonale. Sur certains points, nous proposerons<br />
aussi des répartitions qui correspondent à notre sens<br />
mieux à la jurisprudence précitée.<br />
2 La répartition du bénéfice en<br />
cas de transfert de siège (ou de<br />
l’administration effective) en<br />
cours de période fiscale<br />
2.1 Le droit fiscal intercantonal avant le<br />
1 er janvier 2001<br />
Avant l’entrée en vigueur de la loi de coordination, l’entreprise<br />
devait établir un bilan intermédiaire au moment<br />
du transfert de siège (ou de l’administration effective)<br />
d’un canton vers un autre, de manière à permettre aux<br />
cantons de départ et d’arrivée de la taxer sur la base des<br />
seuls éléments acquis avant, respectivement après le déplacement<br />
du siège. Le canton de départ était en droit<br />
d’imposer notamment les réserves latentes existantes<br />
avant le transfert 3 . Le canton d’arrivée ne pouvait pas<br />
baser sa taxation sur les éléments acquis avant l’arrivée,<br />
mais n’était – par contre – pas non plus obligé de compenser<br />
les éléments réalisés sur son territoire avec les<br />
pertes éventuelles provenant du canton de départ 4,5 .<br />
2.2 La situation depuis le 1 er janvier 2001<br />
Sous la nouvelle loi de coordination, le transfert du<br />
siège (ou de l’administration effective) n’a plus pour effet<br />
de fragmenter la période fiscale et n’entraîne dès<br />
lors plus l’obligation pour la société d’effectuer une<br />
clôture intermédiaire au moment du transfert. En vertu<br />
du principe de l’unité de la période fiscale, la personne<br />
morale est assujettie à l’impôt dans les cantons concernés<br />
pour la période fiscale entière (art. 22 al. 1 LHID).<br />
Les cantons de départ et d’arrivée imposent chacun une<br />
quote-part du bénéfice global de la période fiscale.<br />
Dans sa Circulaire n° 17, la CSI précise qu’«en règle<br />
générale et par souci de simplification, la répartition<br />
peut se faire en fonction de la durée du rattachement<br />
personnel de l’entreprise dans chacun des cantons durant<br />
la période fiscale prise en considération. Le cas<br />
échéant, on tiendra compte dans le cadre de la répartition<br />
du produit global net de la période fiscale de la réalisation,<br />
liée au transfert, de produits ou de pertes extraordinaires.»<br />
6 Ainsi, les produits extraordinaires tirés de<br />
la vente d’actifs lors du départ seront attribués au can-<br />
3 Cf. p. ex. l’art. 55e de la loi vaudoise du 26 novembre 1956<br />
sur les impôts directs cantonaux, en vigueur jusqu’au 31 décembre<br />
2000; IVO P. BAUMGARTNER, Koordination und Vereinfachung<br />
der Veranlagungsverfahren für die direkten <strong>St</strong>euern<br />
im interkantonalen Verhältnis, p. 137, 143, 222, 230 (cité:<br />
Koordination und Vereinfachung); PETER LOCHER, <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
und interkantonales <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>, p. 609, 629.<br />
4 KURT LOCHER, Die Praxis der Bundessteuern, 3 ème partie: la<br />
double imposition intercantonale, § 8, II C, 1b, n° 15, consid.<br />
3a; Archives 48 (1979/80), consid. 2, p. 93-94.<br />
5 A ce sujet, ainsi que concernant les modifications apportées<br />
par la loi de coordination, cf. également IVO P. BAUMGARTNER,<br />
Koordination und Vereinfachung, p. 142; du même auteur,<br />
Verlustverrechnung im interkantonalen Verhältnis, p. 293,<br />
298; CLAUDIA RIHNER BAUMGARTNER, Koordination und Vereinfachung<br />
der Veranlagungsverfahren für die direkten <strong>St</strong>euern<br />
im interkantonalen Verhältnis, p. 177 et s., 181 et 187; HANS-<br />
PETER KURZ, Interkantonale Verlustverrechnung neu geregelt,<br />
853-854.<br />
6 Circulaire n o 17, ch. 31 p. 3; cf. également Circulaire n° 15 de<br />
la CSI du 31 août 2001, «Coordination et simplification des<br />
procédures de taxation des impôts dans les rapports intercantonaux»,<br />
ch. 321 p. 7.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
125<br />
ton de départ. Il en va de même de charges extraordinaires<br />
7 . La CSI a repris ces principes de répartition du<br />
Message du Conseil fédéral 8 .<br />
Ces principes sont-ils cependant conformes «aux règles<br />
du droit fédéral relatives à l’interdiction de la double<br />
imposition intercantonale, applicables par analogie»<br />
(art. 22 al. 3 LHID)? Correspondent-ils aux règles applicables<br />
en cas d’assujettissement à l’impôt dans plusieurs<br />
cantons pour la même période, comme l’ont préconisé<br />
certains auteurs? 9 Les principes de répartition<br />
préconisés par la CSI doivent être examinées à la lu -<br />
mière de ces règles.<br />
2.2.1 La répartition des éléments extraordinaires<br />
– l’attribution prioritaire recommandée<br />
par la CSI<br />
Comme nous venons de le voir, la CSI, reprenant le<br />
Message du Conseil fédéral sur ce point, recommande<br />
de tenir compte des éléments extraordinaires (bénéfice<br />
ou perte) réalisés dans le canton de départ. Cette attribution<br />
prioritaire vise à faire coïncider le résultat attribué<br />
au canton avec l’activité effective qui y est exercée.<br />
Force est d’en conclure que les nouvelles règles de répartition<br />
ne s’écartent pas entièrement de la situation<br />
existant avant le 1 er janvier 2001. Or, dans un système<br />
où le bénéfice d’un exercice forme un tout 10 , réparti selon<br />
une clé, il n’y a à notre avis plus de place pour des<br />
attributions prioritaires.<br />
En effet, dans cette méthode fondée sur «l’unité du bénéfice»,<br />
selon le Tribunal fédéral, la répartition du bénéfice<br />
(et du capital) d’une entreprise intercantonale est<br />
effectuée en fonction de quotes-parts 11 entre les différents<br />
fors fiscaux. Le total des différentes quotes-parts<br />
ne peut jamais excéder 100% 12 . Exprimé de manière négative,<br />
aucun canton concerné ne peut imposer la succursale<br />
(ou le siège) située dans son canton de façon<br />
isolée; c’est-à-dire qu’il lui est interdit de n’imposer<br />
que le capital, respectivement le bénéfice réalisés sur<br />
son territoire 13 . Or, c’est justement ce que propose la<br />
CSI: lorsqu’elle recommande d’attribuer de manière<br />
prioritaire au canton de départ le bénéfice extraordi -<br />
naire lié au transfert, ce canton considère l’entreprise<br />
intercantonale non pas comme un ensemble, mais l’impose<br />
de façon isolée, ce qu’interdit la jurisprudence précitée<br />
du Tribunal fédéral.<br />
Pour résumer, en attribuant une part prioritaire à un canton,<br />
le bénéfice – qui forme un tout – n’est plus réparti<br />
par quotes-parts, selon une clé prédéterminée, mais de<br />
façon objective (ou isolée). Le canton de départ, profitant<br />
par exemple de l’attribution prioritaire du bénéfice<br />
extraordinaire réalisé dans son canton, impose plus que<br />
la part lui revenant dans une répartition établie en fonction<br />
de quotes-parts. Pour cette raison, la règle établie<br />
par la Conférence est contraire à l’interdiction constitutionnelle<br />
de la double imposition intercantonale, peu<br />
importe au demeurant que la double imposition ne soit<br />
que virtuelle et non pas effective 14 .<br />
2.2.2 La répartition des éléments ordinaires,<br />
effectuée pro rata temporis<br />
Il est intéressant d’illustrer la répartition des éléments<br />
ordinaires préconisée à l’aide d’un exemple et de la<br />
comparer aux règles établies par le Tribunal fédéral<br />
lorsque l’assujettissement s’étend à plusieurs cantons.<br />
Les règles de répartition en cas de transfert de siège (ré-<br />
7 Circulaire n o 17, ch. 32, les exemples 2 et 3, p. 4 à 5.<br />
8 Cf. le Message aux p. 3597-3598: «S’il y a transfert du siège<br />
d’une entreprise entre deux cantons au cours de la même période,<br />
le bénéfice global de la période sera réparti entre les<br />
cantons de l’ancien et du nouveau sièges. En règle générale,<br />
la répartition des éléments imposables sera effectuée prorata<br />
temporis. Il pourra en aller différemment si les circonstances<br />
le justifient. Tel sera le cas si le bénéfice comporte un<br />
élément extraordinaire (p. ex., une reprise d’amortissements<br />
lors de l’aliénation d’un immeuble d’exploitation) faisant<br />
l’objet, dans le cadre de la répartition du bénéfice global net<br />
de la période, d’une attribution prioritaire au canton concerné.<br />
De même, la méthode de répartition pourra aussi tenir<br />
compte de modifications importantes de l’activité du nouveau<br />
siège liées à une restructuration de l’entreprise. On<br />
pourra également prendre en considération, dans ce cadre,<br />
la création d’un établissement stable dans le canton de départ<br />
simultanément au transfert de siège. La diversité des situations<br />
justifie le renvoi aux principes et critères établis par<br />
le Tribunal fédéral dans une jurisprudence aujourd’hui plus<br />
que centenaire. L’application de ces règles jurisprudentielles<br />
est effectuée «par analogie», puisque le Tribunal fédéral n’a<br />
pas eu jusqu’ici à se prononcer sur la répartition, entre plusieurs<br />
cantons de siège de l’entreprise, des éléments d’une<br />
seule et même période fiscale.»<br />
9 JEAN-BLAISE PASCHOUD, p. 848.<br />
10 Cf. dans ce sens, IVO P. BAUMGARTNER, Koordination und Ver -<br />
einfachung, p. 143; 222-223.<br />
11 KURT LOCHER, § 8, II A, en particulier n° 3, 6, 8,10; les quotesparts<br />
(ou clés de répartition) sont en principe déterminées<br />
soit sur la base de la comptabilité du siège et des différentes<br />
succursales («méthode directe» en matière intercantonale)<br />
soit selon des facteurs auxiliaires (en principe le chiffre d’affaires<br />
ou les facteurs de production «travail» et «capital») internes<br />
à l’entreprise («méthode indirecte» en matière intercantonale)<br />
(PETER LOCHER, Einführung, p. 119-120 et 125-127;<br />
ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, Interkantonales <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>,<br />
p. 396-400; JEAN-PIERRE GUNTER, Pratique de la fiscalité intercantonale:<br />
L’imposition des entreprises, p. 117 et s. ainsi que<br />
201 et s., 122-123).<br />
12 KURT LOCHER, § 8, II C, 1b, n° 9 et 11.<br />
13 PETER LOCHER, Einführung, p. 118; KURT LOCHER, § 8, II C, 1a, en<br />
particulier n° 3, 5, 7 et 8.<br />
14 Sur ces notions, cf. PETER LOCHER, Einführung, p. 33-36<br />
(double imposition effective) et 37-39 (double imposition virtuelle);<br />
ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, p. 36-37.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
126 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
partition pro rata temporis) étant différentes de celles<br />
applicables lorsque l’assujettissement s’étend à plusieurs<br />
cantons (répartition sur la base de la comptabilité<br />
ou selon des facteurs auxiliaires internes à l’entreprise<br />
reflétant son activité économique), les éléments imposables<br />
(bénéfice et capital) dans les cantons concernés<br />
peuvent varier considérablement d’une méthode à<br />
l’autre. Il est frappant – et les exemples l’illustrent –<br />
que la répartition pro rata temporis ne tient pas du tout<br />
compte de l’activité économique déployée par l’entreprise<br />
intercantonale.<br />
Exemple: Une société de commercialisation déplace<br />
son siège le 1 er juillet du canton A dans le<br />
canton B. Elle réalise un chiffre d’affaires de<br />
CHF 900 durant le premier semestre et de CHF<br />
600 pendant la deuxième partie de l’année. Le<br />
bénéfice s’élève à CHF 100. Aucun événement<br />
extraordinaire n’influence ces éléments.<br />
Répartition intercantonale du bénéfice selon les<br />
recommandations de la CSI (répartition pro rata<br />
temporis)<br />
Total Canton A Canton B<br />
Pourcentages 100% 50% 50%<br />
Bénéfice CHF 100 CHF 50 CHF 50<br />
Selon la méthode préconisée par la Conférence, le bénéfice<br />
est réparti par moitié (pro rata temporis) entre les<br />
cantons A et B. Chaque canton impose donc un béné -<br />
fice de CHF 50.<br />
Répartition intercantonale selon le chiffre<br />
d’affaires<br />
Total Canton A Canton B<br />
Chiffre d’affaires 100% 900/1500 600/1500<br />
= 60% = 40%<br />
Bénéfice CHF 100<br />
Préciput 20% (pro rata temporis) 10 10<br />
Répartition de 80 48 32<br />
du solde (selon chiffre d’affaires)<br />
Total 100 58 42<br />
Dans la répartition ci-dessus, le bénéfice n’a pas été<br />
ventilé en fonction de la durée du rattachement personnel,<br />
mais selon le chiffre d’affaires réalisé dans chaque<br />
canton. Seul le préciput a été attribué pro rata temporis.<br />
Dans la mesure où 60% du chiffre d’affaires total a été<br />
réalisé dans le canton A (durant le premier semestre) et<br />
40% dans le canton B (durant le deuxième semestre), le<br />
bénéfice disponible après attribution du préciput a été<br />
ventilé en fonction de cette clé. Ainsi, CHF 32 plus<br />
CHF 10 (préciput), soit au total CHF 42, sont imposables<br />
dans le canton B et CHF 48 plus CHF 10 (préciput),<br />
soit au total CHF 58, sont imposables dans le canton<br />
A.<br />
La comparaison des deux méthodes de répartition<br />
montre que le contribuable subit une double imposition<br />
virtuelle dans le canton B: Ce dernier canton impose un<br />
bénéfice de CHF 50 si la répartition est effectuée selon<br />
la méthode préconisée dans la Circulaire n° 17, alors<br />
que seul un bénéfice de CHF 42 pourrait y être imposé<br />
si la répartition était effectué selon le chiffre d’affaires,<br />
méthode généralement appliquée dans les relations intercantonales<br />
pour le type d’activité exercée par l’entreprise<br />
dans notre exemple.<br />
Si la même entreprise n’avait pas transféré son siège,<br />
mais exercé son activité dans le canton B par le biais d’un<br />
établissement stable pendant toute la période fis cale, la<br />
répartition aurait été effectuée de la manière suivante:<br />
Total Canton A Canton B<br />
Chiffre d’affaires 100% 900/1500 600/1500<br />
= 60% = 40%<br />
Bénéfice CHF 100<br />
Préciput 20% (pro rata temporis) 20<br />
Répartition de 80 48 32<br />
du solde (selon chiffre d’affaires)<br />
Total 100 68 32<br />
La répartition est effectuée en fonction du chiffre d’affaires,<br />
qui sert de clé de répartition du bénéfice, après<br />
l’attribution du préciput de 20% en faveur du siège.<br />
60% du chiffre d’affaires ayant été réalisé dans le canton<br />
A et 40% dans le canton B, le solde du bénéfice<br />
après préciput est ventilé dans ces proportions. Ainsi,<br />
CHF 32 sont imposables dans le canton B et CHF 48<br />
plus CHF 20 (préciput), soit au total CHF 68, sont imposables<br />
dans le canton A.<br />
La comparaison de ces trois répartitions montre que la<br />
répartition préconisée en cas de transfert de siège est effectuée<br />
différemment par rapport à celle admise pour<br />
une entreprise intercantonale dans la même situation.<br />
Est-ce que le simple fait d’avoir transféré le siège – sans<br />
que des modifications de l’activité soient intervenues –<br />
justifie un traitement différent?<br />
La réponse est clairement négative. A notre avis, la position<br />
nouvelle de la CSI est trop simplificatrice, ne<br />
s’appuie sur aucune base légale et est contraire à la jurisprudence<br />
du Tribunal fédéral concernant l’interdiction<br />
de la double imposition intercantonale. Elle est<br />
sans base légale tout d’abord – ou même contraire à la<br />
loi – parce que le renvoi de l’art. 22 al. 3 LHID signifie<br />
que la jurisprudence du Tribunal fédéral doit être re -<br />
prise. Le législateur fédéral n’a pas souhaité la modifier<br />
sur ce point. Si, ensuite, la CSI propose des règles de répartition<br />
différentes, ces dernières sont – l’exemple cidessus<br />
l’a montré – con traires à la jurisprudence en matière<br />
de double imposition intercantonale.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
127<br />
La Conférence introduit un nouveau critère (à savoir le<br />
temps), que le Tribunal fédéral n’a jamais pris en compte<br />
dans sa jurisprudence. En effet, notre Haute Cour a<br />
jugé qu’une entreprise active dans plusieurs cantons<br />
doit, considérée économiquement, être traitée comme<br />
une unité, dont le bénéfice réalisé est réparti par quotesparts<br />
entre les cantons. Ces quotes-parts, qui permettent<br />
de délimiter directement la souveraineté entre les cantons<br />
et à éviter une double imposition, constituent pour<br />
les cantons des règles fédérales de conflits («bundesrechtliche<br />
Kollisionsnormen») contraignantes («verbindliche»)<br />
et indépendantes de leur législation in -<br />
terne 15 . Si ces règles sont contraignantes pour les cantons,<br />
elles ne peuvent être modifiées que par voie législative<br />
ou jurisprudentielle, mais non pas par une circulaire<br />
administrative. D’après l’art. 22 al. 3 LHID, la répartition<br />
par quotes-parts – quotes-parts établies sur la<br />
base de la comptabilité ou selon des facteurs auxiliaires<br />
internes à l’entreprise – est dès lors la seule méthode<br />
entrant en ligne de compte pour effectuer une répartition<br />
intercantonale en cas de transfert de siège. L’application<br />
de cette méthode à une société ayant transféré<br />
son siège (ou son administration effective) assure en<br />
outre le respect du principe de l’égalité de traitement<br />
par rapport à une entreprise exploitant une succursale<br />
dans un autre canton, comme nous venons de l’illustrer.<br />
Pour ces raisons, l’avis exprimé par certains auteurs 16 ,<br />
soutenant que les facteurs fiscaux (bénéfice et capital)<br />
doivent en règle générale être répartis pro rata temporis<br />
en cas de modification du rattachement tant personnel<br />
qu’économique 17 , ne peut être suivi. C’est bien plus<br />
«une application par analogie des règles de répartition<br />
applicables en cas d’assujettissement à l’impôt dans<br />
plusieurs cantons pour la même période», dans le cadre<br />
d’un transfert du siège ou de l’administration effective<br />
en cours de période fiscale qui s’impose, comme Jean-<br />
Blaise Paschoud 18 l’a proposé.<br />
2.2.3 Modification importante de l’activité de<br />
l’entreprise et transfert de siège<br />
La Circulaire n° 17 est muette au sujet des modifications<br />
importantes de l’activité de l’entreprise liées à une<br />
restructuration ayant entraîné le transfert de siège 19 .<br />
L’interdiction constitutionnelle de la double imposition<br />
intercantonale commande cependant à notre avis de les<br />
prendre en considération. En effet, une modification<br />
importante de l’activité peut influencer le mode de répartition<br />
(selon les facteurs de production ou selon le<br />
chiffre d’affaires, p. ex.) et provoquer un changement de<br />
méthode. Dans son Message, le Conseil fédéral a souhaité<br />
qu’il en soit tenu compte, sans toutefois préciser<br />
comment, estimant que la diversité des situations justifiait<br />
le renvoi aux principes et critères établis par le Tribunal<br />
fédéral 20 .<br />
Lorsqu’une entreprise, comme dans l’exemple ci-après,<br />
ayant jusqu’alors exercé des activités de fabrication et<br />
de commercialisation, abandonne la première dans le<br />
cadre d’une restructuration entraînant en même temps<br />
le transfert de son siège, la méthode de répartition de la<br />
période fiscale au cours de laquelle le transfert a lieu<br />
devrait tenir compte de cette particularité.<br />
Exemple: Le 1 er octobre, une entreprise de fabrication<br />
et de commercialisation transfère son<br />
siège du canton A dans le canton B (exercice<br />
commercial = année civile) et abandonne simultanément<br />
la première activité. Seule subsiste<br />
l’activité de vente (l’entreprise achète désormais<br />
la marchandise auprès de fournisseurs).<br />
Canton A Canton B<br />
Bénéfice 100 000<br />
Préciput 10 000 Pro rata<br />
canton A: 10% temporis: 9/12 7 500<br />
Préciput 20 000 Pro rata<br />
canton B: 20% temporis: 3/12 5 000<br />
Solde disponible 87 500<br />
Préciput de 43 750 Pro rata<br />
fabrication: 50% temporis: 9/12 32 812,50<br />
Solde disponible 54 687,50<br />
Répartition en Canton A: 82% 44 843,75 9 843,75<br />
fonction du chiffre Canton B: 18%<br />
d’affaires<br />
Total 100 000 85 156,25 14 843,75<br />
Cette répartition a été effectuée selon les étapes suivantes:<br />
1. Attribution du préciput pour le siège:<br />
–Le préciput pour l’entreprise mixte (fabrication et<br />
commercialisation) a été fixé à 10% 21 d’entente<br />
entre les cantons et compte tenu de l’activité déployée<br />
au siège. Du fait de la durée de rattachement<br />
réduite, le préciput a été diminué à 9/12.<br />
15 KURT LOCHER, § 8, II C, 1a, n° 8.<br />
16 IVO P. BAUMGARTNER, Koordination und Vereinfachung, p. 224;<br />
PETER ATHANAS/STEFAN WIDMER, n° 30 ad art. 22 LHID.<br />
17 Bien qu’une telle répartition soit plus simple et plus facile à<br />
mettre en pratique et que bon nombre de contribuables et<br />
d’administrations la préfèrent sans doute, il n’en demeure<br />
pas moins qu’elle ne respecte pas l’interdiction de la double<br />
imposition intercantonale.<br />
18 JEAN-BLAISE PASCHOUD, p. 848.<br />
19 Quant à la Circulaire n° 15 (ch. 321 p. 7), elle contient seulement<br />
l’indication suivante: «De même, la méthode de répartition<br />
peut aussi tenir compte des modifications importantes<br />
de l’activité du nouveau siège liées à une restructuration de<br />
l’entreprise».<br />
20 Message, p. 3597-3598; cf. en outre la phrase figurant dans la<br />
Circulaire n° 15 (ch. 321 p. 7) citée à la note précédente.<br />
21 JEAN-PIERRE GUNTER, p. 123; ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, p. 432-<br />
435.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
128 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
–Le préciput pour l’entreprise après le changement<br />
de siège et d’activité (désormais, la société n’exer -<br />
ce plus qu’une activité de commercialisation) est<br />
fixé à 20% 22 . Ce préciput est réduit proportionnellement<br />
à la durée de rattachement durant la pé -<br />
riode.<br />
2. Détermination du préciput de fabrication: par le<br />
passé, compte tenu de l’activité déployée par l’entreprise,<br />
les cantons ont arrêté le préciput de fabrication<br />
à 50% (du solde du bénéfice disponible). Durant<br />
la période en cause, ce préciput est réduit proportionnellement<br />
à la durée de rattachement. Si<br />
l’entreprise disposait de sites de production dans<br />
d’autres cantons, le préciput de fabrication devrait<br />
être réparti entre les cantons concernés selon les<br />
facteurs de production.<br />
3. Répartition du solde disponible en fonction du<br />
chiffre d’affaires réalisé dans chaque canton.<br />
Une telle manière de répartir tient compte du changement<br />
d’activité intervenu en cours de période fiscale. Les clés<br />
de répartition sont établies en fonction de l’activité effective<br />
de l’entreprise et basées sur la contribution de<br />
chaque établissement stable au bénéfice de l’entreprise.<br />
Bien que la méthode choisie ne soit pas la plus simple,<br />
elle est la seule à assurer une répartition conforme à<br />
l’interdiction de la double imposition intercantonale 23 .<br />
3 La répartition du bénéfice en cas<br />
d’ouverture ou de fermeture d’un<br />
établissement stable en cours de<br />
période fiscale<br />
Depuis le 1 er janvier 2001, l’ouverture et la fermeture<br />
d’un établissement stable ne donnent plus lieu à l’établissement<br />
d’un bilan intermédiaire, dès lors que «l’assujettissement<br />
à raison du rattachement économique<br />
fondé sur l’art. 21 al. 1 (LHID), dans un autre canton<br />
que celui du siège ou de l’administration effective,<br />
s’étend à la période fiscale entière, même s’il est créé,<br />
modifié ou supprimé au cours de celle-ci» (art. 22 al.2<br />
LHID). «Le bénéfice et le capital sont répartis entre les<br />
cantons concernés conformément aux règles du droit fédéral<br />
relatives à l’interdiction de la double imposition<br />
intercantonale, applicables par analogie» (art. 22 al.3<br />
LHID). Dans sa Circulaire n° 17, la CSI a exposé comment<br />
la répartition intercantonale devrait être effectuée<br />
en application de ces nouvelles dispositions.<br />
3.1 Ouverture suivie de la fermeture au<br />
cours de la même période fiscale d’un<br />
établissement stable<br />
Dans sa Circulaire n° 17, la Conférence explique au sujet<br />
de l’établissement stable ouvert et fermé au cours de<br />
la même période fiscale qu’ «en principe, la durée très<br />
limitée de l’établissement constitue un obstacle à sa<br />
qualification d’établissement stable. De ce fait, une attribution<br />
d’une quote-part du capital et du bénéfice imposables<br />
au canton dans lequel l’entreprise a ouvert et<br />
fermé un établissement stable dans le cours de la période<br />
fiscale ne se justifie pas. Il convient d’éviter un<br />
émiettement des souverainetés fiscales. Par ailleurs, la<br />
détermination de la quote-part du capital et du bénéfice<br />
de l’établissement ouvert, puis fermé en cours de la<br />
même période fiscale, se heurterait à de grandes difficultés<br />
pratiques.» 24<br />
Est-ce que cette recommandation est conforme à l’interdiction<br />
de la double imposition intercantonale?<br />
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, «par établissement<br />
stable, il faut entendre toute installation fixe et<br />
permanente dans laquelle s’exerce une partie quantitativement<br />
et qualitativement importante de l’activité technique<br />
ou commerciale de l’entreprise» 25 . D’après cette<br />
définition, les conditions suivantes doivent être remplies<br />
pour qu’une installation constitue un établissement<br />
stable:<br />
(1) une installation fixe et permanente;<br />
(2) dans laquelle s’exerce une partie quantitativement<br />
et qualitativement importante de l’activité;<br />
(3) faisant partie de l’entreprise 26 .<br />
Le premier critère exige que les installations soient en<br />
permanence à disposition de l’entreprise; une utilisation<br />
qui ne serait que temporaire ne suffit pas 27 . Lorsqu’une<br />
succursale est ouverte et fermée durant le même exer -<br />
cice, la question se pose de savoir si ce critère est rempli.<br />
Dans sa jurisprudence concernant les chantiers de<br />
construction, notre Haute Cour a précisé que les critères<br />
pour juger de la durabilité des installations de chantier<br />
ne sont pas tant les limites temporelles, mais bien plus<br />
l’importance économique de la construction et le type et<br />
22 JEAN-PIERRE GUNTER, p. 123; ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, p. 432-<br />
435.<br />
23 Il est vrai que pour faciliter la répartition intercantonale, il<br />
serait plus simple soit d’établir un bilan intermédiaire soit de<br />
transférer le siège et de modifier l’exploitation en fin de période<br />
fiscale. Cette dernière manière de faire permettrait en<br />
outre de mieux délimiter les résultats avant et après la modification<br />
intervenue.<br />
24 Circulaire n o 17, ch. 45 p. 12.<br />
25 KURT LOCHER, § 8, I D, 1 n° 10 consid. 3a.<br />
26 PETER LOCHER, Einführung, p. 64; ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI,<br />
p. 143.<br />
27 ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, p. 144.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
129<br />
l’organisation des installations sur place 28 . Vu cette définition,<br />
la qualité d’établissement stable d’une installation<br />
ouverte, puis fermée au cours de la même période<br />
fiscale ne sera généralement pas donnée dans la mesure<br />
où tant le type que l’organisation des installations ne seront<br />
en principe que de caractère provisoire 29 et l’importance<br />
économique sera secondaire 30 .<br />
Par ailleurs, compte tenu de l’importance économique<br />
accessoire justement, l’installation ici examinée ne<br />
remplira la plupart du temps pas non plus le 2 ème critère<br />
(à savoir l’exercice d’une partie quantitativement et<br />
qualitativement importante de l’activité).<br />
Dans son principe, la recommandation de la Conférence<br />
nous paraît donc tout à fait juste. Il faut toutefois réserver<br />
les cas particuliers où un établissement stable devrait<br />
néanmoins être reconnu, même s’il a été ouvert et<br />
fermé au cours de la même période fiscale. Tel est notamment<br />
le cas lorsque l’entreprise intercantonale a<br />
acheté et vendu en cours d’année un immeuble d’exploitation<br />
où elle a exercé (pour un temps très limité)<br />
son activité. Dans ce cas, il serait difficile de refuser au<br />
canton concerné le droit d’imposer un éventuel gain de<br />
plus-value réalisé sur cet immeuble, ce qui revient à reconnaître<br />
– ne serait-ce que de manière implicite –<br />
l’existence d’un établissement stable dans le canton. En<br />
effet, si l’immeuble en cause constituait un immeuble<br />
de placement, constitutif d’un for spécial, et non pas un<br />
immeuble d’exploitation, le gain immobilier devrait<br />
être attribué de façon objective au canton concerné sans<br />
tenir compte du résultat d’exploitation 31 . Il nous semble<br />
cependant qu’une telle qualification de l’immeuble, impliquant<br />
une répartition objective, n’entre pas en ligne<br />
de compte dans un tel cas.<br />
3.2 Ouverture d’un établissement stable<br />
La CSI recommande d’effectuer la répartition intercantonale<br />
du bénéfice global de l’entreprise, pour la période<br />
fiscale au cours de laquelle l’établissement stable<br />
a été ouvert, selon la méthode de répartition directe ou<br />
indirecte 32 . Lorsque l’entreprise intercantonale réalise<br />
certains actifs attribués au canton du siège ou à un canton<br />
d’un établissement stable en vue de l’ouverture d’un<br />
nouvel établissement stable, la Conférence préconise<br />
d’inclure le produit de réalisation de ces actifs (mobiliers)<br />
dans le bénéfice global à répartir entre tous les<br />
cantons (y compris celui du nouvel établissement<br />
stable). Elle relativise cette règle en précisant qu’«exceptionnellement,<br />
on tiendra compte dans le cadre de la<br />
répartition du produit global net de la période fiscale de<br />
la réalisation, liée à l’ouverture d’un établissement<br />
stable, de produits ou de pertes extraordinaires» 33 .<br />
28 KURT LOCHER, § 8, I D, 2, n° 15, consid 4c. Dans cet arrêt, le Tribunal<br />
fédéral a précisé ce qui suit: «Handelt es sich dabei nicht<br />
bloss um die üblichen mobilen Anlagen, die eine leistungsfähige<br />
Bauunternehmung vorübergehend auf ihren Baustellen<br />
einzusetzen pflegt (wie z.B. Kranen und Kranbahnen, Zementsilos,<br />
Garderobe-, Material- und Baubürobaracken u.ä.), sondern<br />
um mehrere Jahre bestehende und womöglich für die Unternehmung<br />
errichtete Zufahrtstrassen, Seilbahnen, Aufbereitungsanlagen,<br />
Kantinen, Werkspitäler, Maschinenparks, Reparaturwerkstätten<br />
und Bauleitungsbüros, die eine Zusammen -<br />
arbeit mehrerer Bauunternehmungen nahelegen, so rechtfertigt<br />
es sich, von «ständigen» und nicht bloss provisorischen<br />
Anlagen und Einrichtungen und somit von einer die <strong>St</strong>euer -<br />
pflicht im Kanton begründenden Betriebsstätte der beteiligten<br />
Bauunternehmungen zu sprechen». En traduction libre: S’il ne<br />
s’agit pas seulement d’installations mobiles habituelles<br />
qu’une grande entreprise de construction installe d’ordinaire<br />
(comme par exemple des grues et des grues sur rail, des silos<br />
de béton, des baraquements pour le personnel, le matériel et<br />
les bureaux de construction, etc.), mais également de routes<br />
d’accès, de monte-charges, d’installations de conditionnement,<br />
de cantines, d’hôpitaux de chantiers, de parcs de machines,<br />
d’ateliers de réparation et de bureaux de direction de<br />
chantiers existants pendant plusieurs années et érigés pour<br />
l’exploitation, indiquant la collaboration de plusieurs entreprises<br />
de construction, il se justifie de les considérer comme<br />
des installations «permanentes» et non seulement provisoires,<br />
soit d’admettre un établissement stable constitutif d’un<br />
assujettissement fiscal de l’entreprise de construction dans le<br />
canton concerné.<br />
29 On aura généralement tendance à estimer que les installations<br />
n’étaient dès le départ pas faites pour durer, surtout si<br />
la situation est examinée après la fermeture.<br />
30 En effet, la contribution au chiffre d’affaires et au bénéfice de<br />
l’entreprise d’une installation ouverte et fermée au cours de<br />
la même période fiscale sera généralement faible, tant en<br />
termes relatifs (par rapport à l’ensemble de l’entreprise)<br />
qu’en termes absolus (considérée de façon isolée).<br />
31 Au sujet des règles de répartition applicables aux immeubles<br />
de placement cf. ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, § 28, p. 495-540;<br />
PETER LOCHER, Einführung, p. 110-113 et 127-128 et les références<br />
citées.<br />
32 Au sujet de ces notions (répartitions directe et indirecte) cf.<br />
notre note 11.<br />
33 Cf. Circulaire n o 17 (ch. 421 p. 6-7) dont le contenu est le suivant:<br />
«Le canton du siège et le canton de l’établissement<br />
stable se basent sur l’état du capital à la fin de la période fiscale.<br />
L’ouverture de l’établissement stable ne donne pas lieu<br />
à l’établissement d’un bilan intermédiaire. L’assujettissement<br />
à l’impôt vaut pour la période fiscale entière dans le<br />
canton du siège et dans celui de l’établissement stable. Il<br />
convient toutefois de tenir compte de la durée réduite du rattachement<br />
au for secondaire de l’établissement stable. Le<br />
bénéfice global de l’entreprise de la période fiscale au cours<br />
de laquelle l’établissement stable a été ouvert est réparti<br />
entre les cantons concernés (siège et établissement stable),<br />
selon une méthode de répartition directe ou indirecte. En vue<br />
de l’ouverture d’un nouvel établissement stable, l’entreprise<br />
intercantonale peut réaliser certains actifs attribués au canton<br />
du siège ou à un canton d’établissement stable. En règle<br />
générale, le produit de la réalisation d’actifs mobiliers fait<br />
partie du bénéfice global de la période fiscale réparti par<br />
quotes-parts entre tous les cantons, y compris le canton du<br />
nouvel établissement stable. Exceptionnellement, on tiendra<br />
compte dans le cadre de la répartition du produit global net<br />
de la période fiscale de la réalisation, liée à l’ouverture d’un<br />
établissement stable, de produits ou de pertes extraordinaires.<br />
Si les actifs aliénés sont immobiliers, les règles du<br />
droit intercantonal concernant l’attribution du droit d’imposer<br />
le produit de leur réalisation sont alors applicables.»<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
130 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
Cette exception à la règle n’est pas seulement malheureuse,<br />
mais aussi difficile à mettre en pratique.<br />
Malheureuse tout d’abord, parce qu’elle admet des dérogations<br />
au principe de «l’unité du bénéfice» (selon lequel<br />
le bénéfice de l’entreprise forme un tout), qui doit<br />
être réparti entre les cantons de manière directe ou indirecte.<br />
L’attribution prioritaire d’un produit extraordinaire,<br />
lié à l’ouverture d’un établissement stable, à un<br />
canton ne se justifie a priori pas dès lors que les amortissements<br />
sur les actifs réalisés n’ont pas non plus été<br />
attribués de manière prioritaire à ce canton. Le produit<br />
de réalisation d’un actif doit en toute logique suivre le<br />
même sort que les amortissements effectués sur le<br />
même actif. Difficile à mettre en pratique ensuite, car la<br />
Conférence omet de préciser quels sont ces situations<br />
exceptionnelles qui justifieraient une attribution prioritaire<br />
d’un produit ou d’une charge extraordinaire lié à<br />
l’ouverture d’un établissement stable.<br />
Par ailleurs, comme on verra ci-après (cf. ch. 3.3 cidessous),<br />
en cas de fermeture d’un établissement<br />
stable, il n’y a pas d’attribution prioritaire d’éléments<br />
extraordinaires (à l’exception d’un gain de plus-value<br />
immobilière) au canton où s’est trouvé l’établissement<br />
stable fermé. Dans un souci de cohérence (soit de symétrie<br />
des règles), il nous semblerait logique d’y renoncer<br />
également en cas d’ouverture d’un établissement<br />
stable.<br />
En définitive, la règle en cause, ouvrant la porte à l’attribution<br />
prioritaire d’éléments à un certain canton,<br />
semble provenir de la pratique en vigueur avant le<br />
1 er janvier 2001. Sous ce régime, l’établissement d’un<br />
bilan intermédiaire au moment de l’ouverture de l’établissement<br />
stable a permis d’attribuer les produits et les<br />
charges extraordinaires aux cantons concernés. Le législateur<br />
a voulu abolir cette pratique, dans le but notamment<br />
de simplifier les répartitions intercantonales.<br />
Le bénéfice global de l’entreprise formant désormais un<br />
tout, indépendamment des modifications de rattachement<br />
économique intervenues durant la période, il doit<br />
être réparti entre les cantons en fonction des critères<br />
établis par la jurisprudence (en général selon le chiffre<br />
d’affaires ou selon les facteurs de production, si la répartition<br />
est effectue selon la méthode indirecte). Il n’y<br />
a plus de place pour des attributions prioritaires dans un<br />
tel système, puisqu’elles sont même, à notre avis,<br />
contraires à la jurisprudence en matière de double imposition<br />
intercantonale comme nous l’avons démontré<br />
ci-dessus (cf. ch. 2.2.1 au sujet du transfert de siège).<br />
Il faut bien entendu réserver les cas de réalisation<br />
d’actifs immobiliers (immeubles d’exploitation et immeubles<br />
de placement), comme le fait à juste titre la<br />
CSI 34 . Ce domaine n’étant pas encore (entièrement)<br />
harmonisé, des divergences entre cantons peuvent subsister<br />
et subsistent. En effet, le bénéfice réalisé lors de<br />
la vente d’un immeuble d’exploitation doit être scindé,<br />
d’une part, en une «plus-value immobilière», attribuée<br />
exclusivement au canton de situation, et, d’autre part,<br />
en une «reprise d’amortissements», à savoir le bénéfice<br />
comptable, réparti par quotes-parts et inclus dans la<br />
répartition du bénéfice d’exploitation 35 . Alors que les<br />
cantons monistes sont en droit d’imposer la plus-value<br />
immobilière séparément, dans un système dualiste, ce<br />
bénéfice est rajouté à la quote-part d’exploitation cantonale<br />
36 .<br />
3.3 Fermeture d’un établissement stable<br />
3.3.1 Introduction<br />
En cas de fermeture d’un établissement stable, la<br />
Conférence propose de répartir le bénéfice sans attribuer<br />
les éléments extraordinaires à un des cantons touchés,<br />
le bénéfice global étant partagé selon les règles<br />
établies par la jurisprudence du Tribunal fédéral 37 .<br />
Dans la mesure où le bénéfice de l’entreprise forme un<br />
tout, cette solution est à notre sens correcte. Contrairement<br />
au cas d’ouverture d’un établissement stable examiné<br />
ci-dessus, la CSI ne propose à juste titre pas d’attribution<br />
prioritaire d’éléments au canton de l’établissement<br />
stable fermé.<br />
3.3.2 Les méthodes de répartition<br />
La répartition du bénéfice effectuée selon la méthode<br />
dite directe ne pose pas de problème particulier. Il en va<br />
de même de la répartition (indirecte) faite en fonction<br />
du chiffre d’affaires.<br />
Par contre, lorsque la répartition (indirecte) est basée<br />
sur les facteurs de production (travail et capital), la détermination<br />
du facteur capital peut poser des difficultés,<br />
dès lors que les actifs ayant servi à l’obtention du bénéfice<br />
n’existent plus à la fin de la période fiscale dans le<br />
canton de l’établissement stable ayant fermé. La CSI<br />
propose dans ces cas de tenir compte, pour l’établisse-<br />
34 Circulaire n o 17, ch. 421 p. 7.<br />
35 PETER LOCHER, Einführung, p. 127-128 et les références citées;<br />
ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, p. 521-522.<br />
36 PETER LOCHER, Einführung, p. 128; ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI,<br />
p. 521-522 ainsi que p. 511.<br />
37 Circulaire n o 17 (ch. 431 p. 9): «Le canton où se trouvait l’établissement<br />
stable fermé ne peut prétendre imposer seul<br />
d’éventuels gains en capital réalisés lors de la fermeture. Est<br />
réservée l’attribution prioritaire d’un gain de plus-value immobilière.»<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
131<br />
ment stable fermé, des actifs existant à la fin de la pé -<br />
riode précédente, la valeur de ces actifs étant alors réduite<br />
proportionnellement à la durée de rattachement 38 .<br />
Cette solution pragmatique est-elle conforme à la jurisprudence<br />
en matière de double imposition intercanto -<br />
nale?<br />
D’abord, de manière générale, les actifs localisés peuvent<br />
varier fortement d’une période à l’autre, de sorte<br />
qu’il est problématique (voire contraire à la jurisprudence<br />
en matière de double imposition intercantonale)<br />
de se baser sur l’actif existant à la fin de la période précédente,<br />
que ce soit d’ailleurs pour un établissement<br />
stable fermé en cours de période fiscale ou pour celui<br />
fermé à la fin de cette période. Ensuite, dans le cas particulier<br />
où l’établissement stable a été fermé en cours de<br />
période fiscale, on ne peut en général attribuer aucun<br />
actif au dit établissement au moment de sa fermeture,<br />
les actifs localisés ayant été réalisés ou transférés dans<br />
un autre canton 39 .<br />
Pour résoudre ces problèmes, il suffirait d’attribuer exceptionnellement<br />
(une part) des comptes mobiles représentant<br />
une part équitable de l’actif ayant existé avant la<br />
fermeture de la succursale à ce canton. Cette solution<br />
pragmatique permettrait de traiter de manière similaire<br />
l’entreprise intercantonale qui a fermé son établissement<br />
stable en cours de période fiscale et celle qui l’a fermée à<br />
la fin de cette période. En effet, le problème (de détermination<br />
de l’actif localisé) est identique dans les deux situations,<br />
de sorte qu’un traitement similaire s’impose.<br />
Par ailleurs, un traitement identique de la répartition du<br />
bénéfice (selon les facteurs de production) et de la répartition<br />
du capital serait ainsi assuré, comme nous le<br />
verrons ci-après lorsque nous traiterons de la répartition<br />
du capital en cas de fermeture d’un établissement stable<br />
en cours de période fiscale (cf. ch. 4.3 ci-après).<br />
L’exemple chiffré figurant dans cette partie de notre exposé<br />
illustre les différences – notables – entre les différentes<br />
méthodes.<br />
4 La répartition du capital<br />
4.1 Transfert de siège<br />
Le transfert de siège ne présente pas de difficulté particulière<br />
pour la répartition du capital. Le capital existant<br />
à la fin de la période fiscale (art. 31 al. 4 LHID) est réparti<br />
entre le nouveau et l’ancien canton de siège en<br />
fonction de la durée de rattachement. Bien que le Tribunal<br />
fédéral n’ait jamais jugé que le critère temporel pouvait<br />
entrer en ligne de compte, celui-ci semble bien le<br />
seul à même de partager équitablement la matière imposable<br />
entre les cantons concernés dans un système qui<br />
prône l’unité de la période fiscale. Cette manière de répartir<br />
paraît aller de soi, au point que la CSI ne l’a guère<br />
mentionnée. Elle ressort par contre clairement des<br />
exemples figurant dans la Circulaire n° 17 40 .<br />
4.2. Modification du rattachement économique<br />
dans un autre canton que celui<br />
du siège en cours de période fiscale: la<br />
correction au profit ou à la charge du<br />
siège<br />
En cas de modification du rattachement économique<br />
(for secondaire ou for spécial) en cours de période fiscale,<br />
le principe général – qui concerne aussi bien les<br />
personnes physiques 41 que les personnes morales – établi<br />
par la Conférence consiste à réduire les éléments attribués<br />
au canton où l’assujettissement limité a été créé<br />
ou supprimé en cours de période 42 . La réduction est effectuée<br />
pro rata temporis. La CSI a précisé qu’«en règle<br />
38 Cf. Circulaire n o 17, ch. 431 p. 9, dont la teneur est la suivante:<br />
«Lorsque la méthode de répartition du bénéfice prend en<br />
compte les facteurs de production, le facteur travail peut être<br />
déterminé sur la base des données de l’exercice au cours duquel<br />
l’établissement stable est fermé. S’agissant du facteur<br />
capital, on pourra par souci de simplification retenir pour<br />
l’établissement stable fermé la répartition des actifs telle<br />
qu’elle existait à la clôture de l’exercice précédent, la valeur<br />
de ces actifs étant alors réduite proportionnellement à la durée<br />
du rattachement.» Cf. également Circulaire n o 17, ch. 432<br />
exemple 6 p. 10-11.<br />
39 Dans cette perspective, tenir compte des actifs existant à la<br />
fin de la période fiscale signifie concrètement retenir le facteur<br />
zéro pour l’établissement stable fermé (aucun actif<br />
n’existe à cet endroit). Cette manière de faire ne serait sans<br />
doute pas conforme aux circonstances ayant permis de réaliser<br />
le bénéfice, dès lors qu’il n’est pas possible économiquement<br />
de réaliser un chiffre d’affaires, et par conséquent un<br />
bénéfice, sans actifs. La CSI a tenté de tenir compte de cette<br />
difficulté en réduisant la valeur des actifs existant à la fin de<br />
la période précédente (= début de la période au cours de laquelle<br />
l’établissement stable a fermé) proportionnellement à<br />
la durée de rattachement. Cette dernière approche n’est à<br />
notre avis pas appropriée, sachant justement que les actifs<br />
peuvent varier fortement d’une période à l’autre.<br />
40 Circulaire n o 17, ch. 32 exemple 1 p. 4.<br />
41 Pour les personnes physiques, cf. la Circulaire n° 18 de la CSI<br />
du 27 novembre 2001, «Répartitions intercantonales en cas<br />
de modification de l’assujettissement en cours de période<br />
fiscale dans le système de la taxation annuelle postnumerando<br />
(personnes physiques)», ch. 31 p. 4-5 ainsi que ch. 341<br />
p. 15.<br />
42 Ce principe, qui veut que la durée réduite de rattachement<br />
soit prise en compte par une réduction appropriée de la quote-part<br />
du capital attribué au canton du for secondaire ou<br />
spécial, figure déjà dans le Message du Conseil fédéral<br />
(p. 3598).<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
132 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
générale, cette correction est effectuée au profit ou à la<br />
charge du canton du siège. Il s’agit là d’une mesure de<br />
simplification qui fait abstraction des conditions<br />
exactes de financement de la modification du rattachement<br />
économique.» 43<br />
Ainsi, en cas d’ouverture d’un établissement stable en<br />
cours de période fiscale, si ce n’est pas le canton de<br />
siège qui l’a financé, mais que des actifs provenant d’un<br />
autre canton ont été utilisés pour acquérir les nouveaux<br />
éléments nécessaires à l’exploitation dudit établissement,<br />
la Conférence souhaite que la correction se fasse<br />
néanmoins en faveur du canton du siège.<br />
Une telle schématisation, quels que soient ses aspects<br />
pratiques, ne trouve pas sa source dans la jurisprudence<br />
du Tribunal fédéral, comme l’imposerait le texte légal<br />
(cf. art. 22 al. 3 LHID). Elle ne peut à notre avis être<br />
mise en œuvre que lorsque l’entreprise n’est pas en me -<br />
sure de fournir les informations nécessaires pour déterminer<br />
quels sont les actifs transférés d’un canton à<br />
l’autre. Concrètement, le canton du siège, canton «leader»<br />
44 , doit requérir du contribuable les informations<br />
sur le financement du nouvel établissement stable (ou<br />
sur le transfert des actifs en cas de fermeture d’établissement<br />
stable) afin d’effectuer la correction à charge,<br />
respec tivement en faveur, du canton l’ayant financé<br />
(respectivement ayant bénéficié de nouveaux actifs<br />
transférés du canton où l’établissement stable a été fermé).<br />
Lorsque le financement, respectivement le transfert<br />
des actifs, ne peut pas être déterminé, et dans ce cas<br />
seulement, la simplification administrative de la CSI<br />
peut être appliquée. En effet, toute base légale pour privilégier,<br />
respectivement pénaliser, systématiquement le<br />
canton du siège faisant défaut, il n’y a en principe pas<br />
de raison que le Tribunal fédéral soutienne une décision<br />
cantonale effectuant la correction, de manière tout à fait<br />
arbitraire 45 , au profit ou à la charge du canton de siège.<br />
Par ailleurs, le respect de l’interdiction de double imposition<br />
intercantonale (art. 127 al. 3 Cst.), selon laquelle<br />
«une imposition portant sur une part plus étendue de la<br />
fortune constitue un empiétement sur la souveraineté<br />
fiscale des autres cantons» 46 , n’est plus garanti dans<br />
tous les cas si la méthode préconisée par la CSI est appliquée<br />
sans réserve.<br />
La difficulté à délimiter correctement les souverainetés<br />
fiscales cantonales n’est au demeurant pas nouvelle. Elle<br />
se pose par exemple lorsqu’il s’agit de ventiler les<br />
comptes mobiles. Ces derniers sont attribués au for qu’ils<br />
servent exclusivement ou de manière prépondérante 47 . La<br />
répartition est ainsi généralement effectuée en fonction<br />
des actifs localisés sur le territoire de chaque canton. Il<br />
aurait donc été judicieux de s’inspirer des solutions aux<br />
problèmes existants pour trouver une règle équitable,<br />
respectant les souverainetés fiscales cantonales.<br />
La recommandation simplificatrice de la Conférence est<br />
un raccourci d’autant plus regrettable que la simple précision<br />
selon laquelle la correction est en principe effectuée<br />
au profit du canton ayant financé l’acquisition des<br />
éléments du nouvel établissement stable ou for secondaire<br />
(respectivement à la charge du canton ayant bénéficié<br />
du transfert d’actifs en cas de fermeture d’une succursale<br />
ou de vente de l’immeuble de placement) et<br />
qu’à défaut d’indications permettant d’effectuer cette<br />
correction, cette dernière se fait dans le canton du siège,<br />
aurait suffi pour écarter tout risque de double imposition<br />
intercantonale.<br />
4.3 Comment déterminer la part au capital<br />
de l’établissement stable fermé en<br />
cours de période fiscale?<br />
Le canton dont l’établissement stable a été fermé en<br />
cours de période fiscale ne figure plus parmi les cantons<br />
avec lesquels l’entreprise a un rattachement en fin de<br />
période, mais il peut néanmoins imposer une part au capital,<br />
conformément à l’art. 22 al. 2 LHID. La CSI indique<br />
qu’«en principe, cette quote-part devrait être déterminée<br />
sur la base des actifs de l’établissement stable<br />
au moment de sa fermeture, actifs dont la valeur serait<br />
réduite proportionnellement à la durée du rattachement.<br />
Toutefois, par souci de simplification, cette part peut<br />
équivaloir à la quote-part du canton de l’établissement<br />
stable à la fin de la période fiscale précédente, réduite<br />
proportionnellement à la durée du rattachement économique.»<br />
48<br />
43 Circulaire n o 17, ch. 41 p. 6. A noter que la règle selon laquelle<br />
la réduction est effectuée au profit ou à la charge du canton<br />
du siège n’est pas mentionnée dans le Message du<br />
Conseil fédéral.<br />
44 Circulaire n° 16 de la Conférence suisse des impôts du 31<br />
août 2001, «L’ordonnance du Conseil fédéral du 9 mars 2001<br />
sur l’application de la loi fédérale sur l’harmonisation des<br />
impôts directs dans les rapports intercantonaux», ch. 22 p. 3-<br />
4. Le rôle du canton du siège a été renforcé par l’adoption de<br />
l’Ordonnance du Conseil fédéral du 9 mars 2001 sur l’application<br />
de la loi fédérale sur l’harmonisation des impôts directs<br />
dans les rapports intercantonaux (OLHID; cf. également<br />
le Message, au ch. 1.3.3 p. 3592 et JEAN-BLAISE PASCHOUD,<br />
p. 843-844).<br />
45 Sur cette notion, cf. ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL<br />
HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Vol. II, Berne 2000,<br />
n° 1085 et s., p. 529, et au sujet de la protection judiciaire,<br />
n° 1109-1114, p. 538- 540.<br />
46 KURT LOCHER, § 8, II B, 1, n° 7.<br />
47 KURT LOCHER, § 8, II B, 1, n° 4.<br />
48 Circulaire n o 17, ch. 431, p. 8-9.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
133<br />
Cette solution est à notre avis contraire à la loi, qui prescrit<br />
que le capital propre imposable est fixé sur la base de<br />
son état à la fin de la période fiscale (art. 31 al. 4 LHID),<br />
et non pas au début de cette période, comme le veut la<br />
Conférence. Même si le rattachement avec un canton<br />
dont l’établissement stable a été fermé n’existe plus à la<br />
fin de la période fiscale, il y a néanmoins lieu de lui attribuer<br />
une part. Cette part doit à notre avis être fixée sur la<br />
base des actifs existant au moment de la fermeture de<br />
l’établissement stable 49 , bien que la détermination de ces<br />
actifs soulève des difficultés pratiques. L’actif existant<br />
au début de la période fiscale (qui équivaut à la fin de la<br />
période fiscale précédente) ne peut pas être pris en<br />
compte, dès lors que ce moment n’est pas déterminant<br />
pour l’imposition (cf. art. 31 al. 4 LHID) 50 .<br />
Par ailleurs, la comparaison – illustrée à l’aide des<br />
exemples ci-après – entre une entreprise ayant fermé<br />
son établissement stable à la fin de période fiscale et<br />
celle l’ayant fermé en cours de cette période démontre<br />
que les deux situations sont traitées différemment si la<br />
solution souhaitée par la CSI est appliquée.<br />
1 er exemple: Une entreprise ayant son siège<br />
dans le canton A et une succursale dans le canton<br />
B ferme cette dernière le 1 er janvier N+1. La<br />
répartition du capital pour l’année N (exercice<br />
commercial = année civile) se présente comme<br />
suit:<br />
Total Canton A Canton B<br />
Actifs en fin de période 150 120 30<br />
Pourcentages 100% 80% 20%<br />
Capital imposable 50 40 10<br />
Au 31 décembre, l’actif localisé (avant la fermeture) situé<br />
dans le canton B représente 20% des actifs totaux, le<br />
solde des actifs, soit 80%, se trouvé dans le canton A.<br />
Le capital imposable est réparti dans ces proportions.<br />
2 ème exemple: Une entreprise ayant son siège<br />
dans le canton A et une succursale dans le canton<br />
B ferme cette dernière le 30 novembre de<br />
l’année N (exercice commercial = année civile).<br />
La répartition du capital est effectuée comme<br />
suit:<br />
Solution CSI<br />
Total Canton A Canton B<br />
Actifs en fin<br />
de période 150 150 0<br />
Actifs au début<br />
de la période 100 60 = 60% 40 = 40%<br />
Répartition des 100 60%+1/12x40% 11/12x40%<br />
actifs en % = 63,3% = 36,6%<br />
Capital imposable 50 31,6 18,3<br />
A la fin de l’année N, tous les actifs sont situés dans la<br />
canton A. Au début de cette année, 40% des actifs<br />
étaient situés dans le canton B (succursale) et 60% dans<br />
le canton A (siège). Le pourcentage du canton B doit<br />
être réduit à 11/12 (durée de rattachement dans le canton<br />
B). La correction correspondante est effectuée en<br />
faveur du canton du siège (attribution d’1/12 de la part<br />
du canton B au canton A). Le capital imposable est réparti<br />
en fonction de cette clé.<br />
Solution proposée<br />
Total Canton A Canton B<br />
Actifs en fin<br />
de période 150 150 0<br />
Actifs à la<br />
fermeture de la succ. 150 120 = 80% 30 = 20%<br />
Répartition des<br />
actifs en % 100 11/12x20% 80%+1/12x20%<br />
= 81,6% = 18,3%<br />
Capital imposable 50 40,83 9,16<br />
L’actif existant juste avant la fermeture de la succursale<br />
dans le canton B représente 20% des actifs totaux. Ce<br />
pourcentage est réduit proportionnellement à la durée<br />
de rattachement dans ce canton (à 11/12). La correction<br />
est effectuée en faveur du canton du siège (canton A).<br />
Le capital imposable est réparti en fonction de cette clé<br />
de répartition.<br />
La comparaison montre que la solution consistant à tenir<br />
compte de l’actif au moment de la fermeture de<br />
l’établissement stable est plus conforme à la réalité<br />
(plutôt que de se baser sur l’actif existant au début de la<br />
période fiscale). En effet, toutes choses étant égales, il<br />
n’est pas logique que la part au capital imposable de la<br />
succursale ayant été fermée soit plus élevée lorsque la<br />
fermeture a lieu en cours d’année que lorsque celle-ci se<br />
situe à la fin de la période.<br />
49 JEAN-BLAISE PASCHOUD (p. 850) semble partager notre avis<br />
puisqu’il précise que «c’est en principe la valeur des actifs au<br />
moment de la fermeture de l’établissement stable, ou celle<br />
de l’établissement stable au moment de la clôture des<br />
comptes, réduite proportionnellement à la durée de rattachement<br />
par rapport à celle de la période fiscale, qui permettra<br />
la détermination de la quote-part».<br />
50 IVO P. BAUMGARTNER (Koordination und Vereinfachung, p. 225)<br />
préconise la même solution que la CSI. Il la relativise cependant<br />
en précisant que les circonstances de la période fiscale<br />
doivent être comparables à celle de la période précédente et<br />
que des corrections doivent être apportées si des modifications<br />
structurelles dans la répartition de l’activité commerciale<br />
aux différents endroits sont intervenues entre-temps. Il<br />
reconnaît ainsi – implicitement – que la solution consistant à<br />
se baser sur la période fiscale précédente est un échappa -<br />
toire, mais n’apporte pas d’argument juridique convaincant<br />
plaidant en sa faveur.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
134 Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
La solution de la CSI introduit un élément étranger dans<br />
la répartition du capital (soit la détermination du capital<br />
sur la base des actifs existants au début de la période<br />
fiscale). Dans la mesure où l’actif peut varier fortement<br />
d’une période à l’autre (en particulier lorsqu’une succursale<br />
est fermée), la pratique voulue par la Confé -<br />
rence permet de «déplacer» le capital imposable d’un<br />
canton à l’autre. Un tel «déplacement» est clairement<br />
contraire à l’interdiction de la double imposition intercantonale,<br />
dès lors qu’un canton pourrait être amené à<br />
imposer une part plus importante du capital que la part<br />
de l’actif total située sur son territoire à la fin de l’année.<br />
La difficulté à déterminer les actifs localisés de la<br />
succursale fermée (en cours de période fiscale) peut être<br />
résolue – comme proposé au ch. 3.3.2 ci-dessus – en attribuant<br />
exceptionnellement les comptes mobiles représentant<br />
une part équitable de l’actif ayant existé avant la<br />
fermeture de l’établissement stable au canton de départ 51 .<br />
4.4 Achat ou vente d’un immeuble de placement<br />
en cours de période fiscale<br />
L’achat d’un immeuble de placement en cours de période<br />
fiscale ne pose pas de problème: pour la répartition<br />
du capital, la réduction proportionnelle (pro rata<br />
temporis) des éléments acquis en cours de période est<br />
une simple opération mathématique.<br />
En ce qui concerne la vente d’un immeuble de placement,<br />
les mêmes difficultés que celles rencontrées lors<br />
de la fermeture d’un établissement stable se posent en<br />
principe également. Il s’agit en particulier de la détermination<br />
du capital à attribuer au for disparu en cours<br />
de période. S’agissant d’un immeuble, cette difficulté<br />
est toutefois plus facile à surmonter dans la mesure où<br />
sa valeur ne varie en principe pas du tout (ou très peu)<br />
sur une courte période. Sa valeur au moment de la disparition<br />
du for spécial peut ainsi être facilement déterminée.<br />
On retiendra généralement la valeur comptable 52<br />
de l’immeuble avant son aliénation, valeur qui doit être<br />
réduite proportionnellement à la durée de rattachement.<br />
Tout comme dans les cas de répartition du capital en cas<br />
de fermeture d’un établissement stable en cours de période<br />
fiscale, la Conférence souhaite reprendre, pour<br />
l’année de la fermeture, la valeur de l’immeuble à la fin<br />
de la période précédente 53 . Cette solution n’est cependant<br />
pas tout à fait correcte si l’entreprise a dû exceptionnellement<br />
effectuer des amortissements ayant diminué<br />
la valeur de l’immeuble entre le début de la période<br />
fiscale et l’aliénation de cet immeuble. Comme exposé<br />
ci-dessus (ch. 4.3), la valeur de l’actif après l’amortissement<br />
doit être prise en compte, dès lors qu’il s’agit là de<br />
la dernière valeur – avant la vente – de l’actif constitutif<br />
du for spécial 54 .<br />
5 Conclusion<br />
La CSI s’est attelée à la tâche difficile de proposer des<br />
solutions pragmatiques et faciles à mettre en pratique<br />
pour concrétiser les nouvelles règles applicables depuis<br />
le 1 er janvier 2001. Le résultat sont des propositions de<br />
répartitions «de compromis» qui, sur certains points,<br />
ont trop privilégié la simplicité et, sur d’autres, ne se<br />
sont pas entièrement détachées de la situation existant<br />
avant la modification législative en cause.<br />
Ainsi, s’agissant de ce dernier point, l’attribution des<br />
éléments extraordinaires en cas de transfert de siège de<br />
même qu’en cas d’ouverture d’un établissement stable<br />
en cours de période fiscale constitue une entorse malheureuse<br />
au système de répartition selon des quotesparts<br />
où des attributions prioritaires n’ont plus de raison<br />
d’être. Quant à l’excès de simplification, les règles de<br />
répartition suivantes en sont une illustration:<br />
– la répartition pro rata temporis du bénéfice en cas<br />
de transfert de siège;<br />
– la correction correspondante, au profit ou à la charge<br />
du canton du siège, de la réduction des éléments<br />
attribués au for créé ou supprimé en cours de période<br />
fiscale pour la répartition du capital;<br />
– la détermination de la quote-part du capital de l’établissement<br />
stable fermé (et de l’immeuble de placement<br />
vendu) en cours de période fiscale sur la base<br />
de la quote-part de l’année précédente; et<br />
– la prise en compte des actifs de la période précédente<br />
pour déterminer le facteur capital de l’établissement<br />
stable fermé lorsque la répartition du bénéfice<br />
est effectuée en fonction des facteurs de production.<br />
51 Il faut reconnaître qu’en pratique, une telle solution peut<br />
conduire au même résultat que celle soutenue par IVO P.<br />
BAUMGARTNER (Koordination und Vereinfachung, p. 225). Le<br />
raisonnement est cependant différent et à notre avis plus<br />
conforme à l’interdiction constitutionnelle de la double imposition<br />
intercantonale.<br />
52 KURT LOCHER, § 8, II B, 1, n° 13 et 15.<br />
53 Circulaire n o 17, ch. 462 exemple 9 p. 15.<br />
54 Il serait à notre sens faux de se baser sur le prix de vente de<br />
l’immeuble au moment de l’aliénation, dès lors que cet élément<br />
(le prix de vente obtenu en échange de l’immeuble) ne<br />
peut (plus) être rattaché au for disparu. Une telle solution<br />
pourrait au demeurant conduire à de grandes distorsions, si<br />
la valeur vénale était sensiblement différente de la valeur<br />
comptable, distorsions d’autant moins justifiées que la plupart<br />
des biens de l’entreprise (les immeubles non vendus notamment)<br />
sont pris pour leur valeur comptable dans la répartition<br />
intercantonale (cf. dans ce sens la jurisprudence citée à<br />
notre note 52).<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Daniel de Vries Reilingh, Répartitions intercantonales en cas de modification: survol critique de la Circulaire n o 17<br />
135<br />
L’effort fourni est néanmoins louable, dans la mesure<br />
où les circulaires publiées ont permis de clarifier rapidement<br />
la situation et de combler ainsi l’espace d’insécurité<br />
(juridique) ouvert par ladite modification, au demeurant<br />
bienvenue. Elles proposent en outre sur certains<br />
points, et il faut le souligner, des règles de répartition<br />
tout à fait adaptées à la nouvelle situation juridique<br />
créée. Il en va ainsi de la répartition pro rata temporis<br />
du capital en cas de transfert de siège en cours de période<br />
fiscale, de la répartition du bénéfice sans attribution<br />
prioritaire en cas de fermeture de l’établissement<br />
stable en cours de cette période et de la non prise en<br />
compte de l’établissement stable ouvert et fermé au<br />
cours de la même période fiscale dans la répartition intercantonale<br />
du bénéfice et du capital.<br />
Il ne reste maintenant qu’à attendre les arrêts du Tribunal<br />
fédéral pour savoir si ce dernier suivra ou non les<br />
solutions tracées par la Conférence, le cas échéant sur<br />
quels points il s’en écartera.<br />
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<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
136<br />
Praxis-<strong>Forum</strong><br />
Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger*<br />
Inhalt<br />
1 Ausgangslage<br />
1.1 Sachverhalt und Rechtsfrage<br />
1.2 Britisches <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
1.3 Schweizerisch-britische Doppelbesteuerungs -<br />
abkommen<br />
2 Problemstellung<br />
2.1 Unterschiedliche Wortlaute von DBA-UK 1954 und<br />
Folgeversionen<br />
2.2 These von <strong>St</strong>euerpflichtigen und Begründungen<br />
3 Auslegung von DBA-UK 27 Abs.1<br />
3.1 Bedeutung der unterschiedlichen Wortlaute<br />
3.2 Bedeutung der Materialien<br />
3.3 Auslegung nach internem Recht<br />
3.3.1 Historische Auslegung<br />
3.3.1.1 Terminologie in den Materialien zu den verschiedenen<br />
Fassungen des DBA-UK<br />
3.3.1.2 Zweck der Abkommensrevision im Jahre 1966<br />
3.3.1.3 Exkurs: Verhältnis zwischen Subject-to-Tax Clauses<br />
und Remittance Clause<br />
3.3.2 Grammatikalische Auslegung<br />
3.3.3 Teleologische Auslegung<br />
3.3.4 Systematische Auslegung<br />
3.3.5 Ergebnis der Auslegung nach internem Recht<br />
3.4 Auslegung gemäss WVK<br />
3.4.1 Auslegung nach Treu und Glauben<br />
3.4.2 Gewöhnliche Bedeutung<br />
3.4.3 Abkommenszusammenhang<br />
3.4.4 Ziel und Zweck des Abkommens<br />
3.4.5 Ergebnis der Auslegung nach WVK<br />
4 Ergebnis der Auslegung von DBA-UK 27 Abs.1<br />
Literatur<br />
Rechtsquellen<br />
1 Ausgangslage<br />
1.1 Sachverhalt und Rechtsfrage<br />
In der letzten Zeit ist es verschiedentlich vorgekommen,<br />
dass ursprünglich in der Schweiz ansässige natürliche<br />
Personen ihren Wohnsitz nach Grossbritannien<br />
verlegt haben und sodann Einkünfte aus schweizerischen<br />
Quellen – namentlich Einkünfte aus unselbständiger<br />
Erwerbstätigkeit und Kapitalabfindungen – erzielt<br />
haben. Diese Personen haben sich gegenüber den<br />
schweizerischen <strong>St</strong>euerbehörden auf den <strong>St</strong>andpunkt<br />
gestellt, dass – sofern die anwendbaren Zuteilungsnormen<br />
des schweizerisch-britischen Doppelbesteuerungsabkommens<br />
(DBA-UK) das Besteuerungsrecht dem<br />
Wohnsitzstaat exklusiv zuweisen – die Schweiz auf ihr<br />
Besteuerungsrecht auch dann verzichten müsse, wenn<br />
die entsprechenden Beträge nicht nach Grossbritannien<br />
überwiesen worden sind.<br />
Würde sich dieser <strong>St</strong>andpunkt als zutreffend erweisen,<br />
ergäbe sich je nach steuerlichem <strong>St</strong>atus der betroffenen<br />
Personen eine Nullbesteuerung für die entsprechenden<br />
Einkommensteile.<br />
Ziel dieses Beitrags ist es zu prüfen, ob das DBA-UK<br />
tatsächlich so auszulegen ist, dass sich eine solche<br />
Nullbesteuerung ergeben kann.<br />
1.2 Britisches <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
Das <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> Grossbritanniens unterscheidet für natürliche<br />
Personen drei verschiedene Arten des steuerlichen<br />
<strong>St</strong>atus’ 1 :<br />
– resident;<br />
– ordinarily resident;<br />
– domiciled.<br />
Personen, die kumulativ resident, ordinarily resident<br />
und domiciled sind, unterliegen mit ihrem weltweiten<br />
Einkommen der <strong>St</strong>euerpflicht in Grossbritannien. Personen<br />
hingegen, die nicht alle diese drei Merkmale er-<br />
* Ordinarius für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> an der Universität <strong>St</strong>. <strong>Gallen</strong>; der Verfasser<br />
dankt seinem Assistenten Herrn lic. oec. Felix Schalcher<br />
für seine Mitarbeit.<br />
1 Im Weiteren existiert auch der <strong>St</strong>atus des non-resident; dieser<br />
ist jedoch für die in diesem Beitrag behandelte Problemstellung<br />
ohne Bedeutung und wird deshalb im Folgenden ausser<br />
Acht gelassen.<br />
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füllen, sind je nach ihrem <strong>St</strong>atus 2 für bestimmte Einkommensteile<br />
nur dann in Grossbritannien steuerpflichtig,<br />
wenn diese entweder ihre Quelle in Grossbritannien<br />
haben oder wenn sie dorthin überwiesen (engl. remitted)<br />
werden. Diese Besteuerung wird deshalb taxation<br />
on remittance basis genannt 3 .<br />
1.3 Schweizerisch-britische Doppelbesteuerungsabkommen<br />
Sämtliche Fassungen des DBA-UK tragen dem Umstand,<br />
dass gewisse Personen der taxation on remittance<br />
basis unterliegen, Rechnung. Das Ziel der entsprechenden<br />
Bestimmungen besteht darin, dass die Schweiz nur<br />
dann auf einen ihr nach dem DBA-UK entzogenen Besteuerungsanspruch<br />
verzichten soll, wenn die entsprechenden<br />
Einkommensteile auch tatsächlich nach Grossbritannien<br />
überwiesen werden, weil sich nur dann das<br />
Doppelbesteuerungsproblem überhaupt stellt.<br />
Das erste, im Jahr 1954 abgeschlossene DBA-UK<br />
(DBA-UK 1954) enthielt noch verschiedene sog. subject-to-tax<br />
clauses 4 ; d.h., der Quellenstaat musste die<br />
Abkommensvorteile nur dann gewähren, wenn die entsprechenden<br />
Einkommensteile im Ansässigkeitsstaat<br />
auch tatsächlich besteuert wurden.<br />
Bereits das DBA-UK 1954 enthielt darüber hinaus in<br />
Art. II Abs. 2 eine sog. remittance clause; diese besagte,<br />
dass Einkünfte aus schweizerischen Quellen nur dann<br />
und nur insoweit in der Schweiz zu einem ermässigten<br />
Satz besteuert oder befreit werden mussten, als die entsprechenden<br />
Einkommen nach Grossbritannien überwiesen<br />
oder dort bezogen wurden, sofern nach dem<br />
Recht dieses <strong>St</strong>aates die Überweisung bzw. der Bezug<br />
eine Voraussetzung der Besteuerung darstellte.<br />
Im Jahr 1966 haben die Schweiz und Grossbritannien in<br />
einem Protokoll u.a. die subject-to-tax clauses aus dem<br />
Abkommen beseitigt und damit zusammenhängend die<br />
remittance clause neu gefasst.<br />
Im Jahr 1974 wurde wegen der Änderung des internen<br />
britischen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s der Dividendenartikel neu formuliert,<br />
die remittance clause blieb jedoch unverändert.<br />
Im Jahr 1977 wurde sodann das DBA-UK dem OECD-<br />
Musterabkommen angepasst, und der alte Art. II Abs.2<br />
wurde inhaltlich unverändert in den heute noch geltenden<br />
Art. 27 Abs. 1 übergeführt.<br />
Dieser Artikel lautet wie folgt: «<strong>St</strong>ehen nach diesem<br />
Abkommen Einkünfte aus schweizerischen Quellen im<br />
Genuss einer Entlastung von der schweizerischen<br />
<strong>St</strong>euer und wird eine natürliche Person für diese Einkünfte<br />
nach der im Vereinigten Königreich geltenden<br />
Gesetzgebung nicht mit dem vollen Betrag, sondern nur<br />
mit dem Teilbetrag besteuert, der nach dem Vereinigten<br />
Königreich überwiesen oder dort bezogen wird, so findet<br />
die nach dem Abkommen in der Schweiz zu gewährende<br />
<strong>St</strong>euerentlastung nur auf den Teil der Einkünfte<br />
Anwendung, der nach dem Vereinigten Königreich<br />
überwiesen oder dort bezogen wird.»<br />
2 Problemstellung<br />
2.1 Unterschiedliche Wortlaute von DBA-UK<br />
1954 und Folgeversionen<br />
Ein Vergleich des Wortlauts der remittance clause im<br />
DBA-UK 1954 mit jenem der Abkommensversionen<br />
ab dem Jahr 1966 zeigt folgenden Unterschied auf:<br />
Während das DBA-UK 1954 die Überweisung nach<br />
bzw. den Bezug in Grossbritannien als Voraussetzung<br />
für die Gewährung von Abkommensvorteilen durch die<br />
Schweiz aufstellte, wenn Einkünfte aus schweizerischen<br />
Quellen «von der schweizerischen <strong>St</strong>euer befreit»<br />
oder «im Genuss einer Ermässigung dieser <strong>St</strong>euer stehen»,<br />
wird in den nachfolgenden Abkommensversionen<br />
bestimmt, dass diese Voraussetzung gegeben sein muss,<br />
wenn die entsprechenden Einkünfte «im Genuss einer<br />
Entlastung von der schweizerischen <strong>St</strong>euer» stehen.<br />
2.2 These von <strong>St</strong>euerpflichtigen und Begründungen<br />
Aus diesen unterschiedlichen Wortlauten haben nun<br />
<strong>St</strong>euerpflichtige mit Einkünften aus schweizerischen<br />
Quellen, die in Grossbritannien der taxation on remittance<br />
basis unterliegen, abgeleitet, die remittance clause<br />
komme ab 1966 nur dann zur Anwendung, wenn das<br />
Besteuerungsrecht zwischen der Schweiz und Gross -<br />
britannien aufgeteilt wird, nicht jedoch, wenn es dem<br />
Ansässigkeitsstaat Grossbritannien zur ausschliesslichen<br />
Besteuerung zugewiesen wird. Begründet wird<br />
diese These damit, dass ab 1966 im Wortlaut der remittance<br />
clause (heute DBA-UK 27 Abs. 1) die Wendung<br />
«von der schweizerischen <strong>St</strong>euer befreit» nicht mehr<br />
enthalten sei. Konkrete Auswirkung dieser Rechtsauffassung<br />
wäre, dass die Überweisung nach Grossbritannien<br />
nur für Dividenden eine Voraussetzung dafür bil-<br />
2 Es sind die verschiedensten Kombinationen möglich; vgl.<br />
HM TREASURY (<strong>2003</strong>), Box 2.1, S. 5.<br />
3 INLAND REVENUE (1999), Kap. 5.12, S. 28; Kap. 6.2, S. 35;<br />
Kap. 8.8, S. 51.<br />
4 DBA-UK 1954 VI Abs. 1–4; VII Abs. 1; XI Abs. 1–2; XII Abs. 1.<br />
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138 Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger, Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
den würde, dass die Schweiz auf ihr Besteuerungsrecht<br />
teilweise verzichten muss. Für alle anderen Einkommensteile,<br />
für welche das DBA-UK bestehende schweizerische<br />
Besteuerungsrechte vollständig zurückdrängt,<br />
hätte die Schweiz die Abkommensvorteile auch Personen<br />
zu gewähren, welche für die entsprechenden Einkommensteile<br />
in Grossbritannien der taxation on remittance<br />
basis unterliegen – und zwar auch dann, wenn keine<br />
remittance erfolgt. Die <strong>St</strong>euerpflichtigen könnten damit<br />
eine Nullbesteuerung erreichen, indem sie z.B. Kapitalleistungen<br />
oder Einkommen aus unselbständiger<br />
Erwerbstätigkeit aus schweizerischen Quellen, für welche<br />
das DBA-UK das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat<br />
zuweist, nicht nach Grossbritannien überweisen.<br />
Nebst dem unterschiedlichen Wortlaut des DBA-UK<br />
1954 und der nachfolgenden Versionen des Abkommens<br />
wurden auch die Materialien zum DBA-UK 1966 5 herangezogen,<br />
und es wurde geltend gemacht, das DBA-<br />
UK 1954 habe lediglich die effektive Doppelbesteuerung<br />
ausgeschlossen, während ab 1966 auch die virtuelle<br />
Doppelbesteuerung verboten sei.<br />
Nachfolgend wird geprüft, ob diese These mit DBA-UK<br />
27 Abs. 1 vereinbar sei.<br />
3 Auslegung von DBA-UK 27 Abs.1<br />
3.1 Bedeutung der unterschiedlichen Wortlaute<br />
Die oben in Abschn. 2.2 dargestellte These stützt sich<br />
weitestgehend auf den unterschiedlichen Wortlaut der<br />
remittance clause im DBA-UK 1954 einerseits und in<br />
den Folgeversionen dieses Abkommens andererseits. Es<br />
ist deshalb zunächst zu prüfen, ob ein solches, praktisch<br />
alleiniges Abstellen auf den Wortlaut einer DBA-Norm<br />
methodisch zulässig sei.<br />
Doppelbesteuerungsabkommen sind – anders als das interne<br />
Recht der <strong>St</strong>aaten und sofern nicht das Abkommen<br />
selbst eine spezielle, zum Ziel führende Auslegungsregel<br />
enthält 6 –, gemäss den im Wiener Vertrags-Übereinkommen<br />
7 enthaltenen Regeln auszulegen 8 . Dieses Übereinkommen<br />
sieht in Art. 31 vor, dass Verträge:<br />
– nach Treu und Glauben;<br />
– in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihren<br />
Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden<br />
Bedeutung; und<br />
– im Lichte ihres Zieles und Zweckes<br />
auszulegen sind.<br />
Aus dieser Norm wird abgeleitet, dass für die Auslegung<br />
der Grundsatz des Vorrangs des Vertragstexts gelte<br />
(sog. Vattelsche Maxime 9 ). Auch das Bundesgericht<br />
hat diesen Grundsatz anerkannt (vgl. z.B. BGE 97 I<br />
359). Vorrang des Vertragstextes heisst jedoch nicht,<br />
dass die andern Auslegungselemente ausser Acht gelassen<br />
werden müssen/dürfen. Das schweizerische Verständnis<br />
von Art. 31–33 der Wiener Konvention kann<br />
der Botschaft des Bundesrats zum Beitritt der Schweiz<br />
zur WVK von 1969 entnommen werden: «Aus den Artikeln<br />
31-33 der Wiener Konvention lässt sich ableiten,<br />
dass die Auslegung dazu dienen soll, dem Vertrag zu<br />
seinem «effet utile», seiner bezweckten Wirkung zu<br />
verhelfen: Diesem Ziel soll die nach Treu und Glauben<br />
als ebenbürtig zu betrachtende wörtliche, systematische<br />
und teleologische Auslegung dienen.» 10<br />
3.2 Bedeutung der Materialien<br />
Grosse Zurückhaltung übt die WVK gegenüber den Materialien<br />
und den ergänzenden Auslegungsmitteln. Diese<br />
sollen in erster Linie dazu herangezogen werden, um<br />
die sich unter Anwendung von WVK 31 ergebende Bedeutung<br />
zu bestätigen. Massgeblich sollen sie jedoch<br />
nur dann sein, wenn die Auslegung nach Art. 31:<br />
– die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt, oder<br />
– zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen<br />
Ergebnis führt (WVK 32).<br />
Allerdings respektiert das Bundesgericht die lediglich<br />
eingeschränkte Bedeutung der Materialien nicht, sondern<br />
zieht diese regelmässig bei. «Es (das Bundesge-<br />
5 BBl 1966 I 1309 ff.<br />
6 Unabhängig von der Bedeutung, welche DBA-UK 3 Abs. 2 zugemessen<br />
wird (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen<br />
HÖHN (1993), S. 80 ff.), trägt diese Norm für die hier zu behandelnde<br />
Problemstellung nichts bei.<br />
7 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK,<br />
SR 0.111).<br />
8 Gemäss WVK 4 gilt dieses Abkommen lediglich für Verträge,<br />
die nach Inkrafttreten der WVK abgeschlossen worden sind.<br />
Für die Schweiz trat das WVK am 6. Juni 1990, also nach der<br />
letzten Änderung des DBA-UK 1977, in Kraft. Die Frage, ob<br />
die im WVK enthaltenen Auslegungsgrundsätze bereits vor<br />
deren Inkrafttreten zum in der Schweiz anerkannten Völkergewohnheitsrecht<br />
gehörten, ist umstritten. Vgl. WALDBURGER<br />
(1998), S. 65, FN 61. Im Folgenden wird deshalb DBA-UK 27<br />
Abs. 1 sowohl nach den Regeln der WVK als auch nach den<br />
internrechtlichen schweizerischen Auslegungsregeln interpretiert.<br />
9 Die Vattelsche Maxime besagt, «qu’il n’est pas permis d’interpréter<br />
ce qui n’a pas besoin d’interpréter». Vgl. VATTEL<br />
(1758), § 263, zitiert nach BGE 97 I 359, E. 3.<br />
10 BBl 1989 II 776.<br />
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richt) berücksichtigt namentlich die Botschaft des Bundesrates,<br />
wenn diese Auskünfte über den Verhandlungsablauf<br />
(die ‹Umstände des Vertragsabschlusses›) gibt 11 .»<br />
Auch das Bundesgericht hat in verschiedenen Urteilen<br />
dem Wortlaut eine grosse Bedeutung beigemessen.<br />
Im Lichte der WVK und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung<br />
zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen<br />
muss somit Folgendes festgehalten werden:<br />
1. Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen<br />
kann nicht alleine auf den Wortlaut abgestellt werden,<br />
auch wenn diesem eine erhebliche Bedeutung<br />
zukommt.<br />
2. Gemäss WVK kommt den Materialien nur eine eingeschränkte<br />
Bedeutung zu. Ob dies auch für Doppelbesteuerungsabkommen<br />
gilt, die vor dem 6. Juni<br />
1990 abgeschlossen worden sind, ist umstritten.<br />
Das Bundesgericht misst den Materialien – zwar<br />
nicht konsequent – eine Bedeutung zu, die über jene<br />
gemäss WVK 32 hinausgeht 12 .<br />
3. Soll ein Auslegungsergebnis gefunden werden, das<br />
Aussicht auf Bestand bei Überprüfung durch das<br />
Bundesgericht hat, müssen bei der Auslegung eines<br />
Doppelbesteuerungsabkommens in der Schweiz<br />
mangels einer kohärenten Rechtsprechung des Bundesgerichts<br />
sowohl die Regeln der WVK als auch<br />
jene der Auslegung des internen Rechts angewendet<br />
werden.<br />
3.3 Auslegung nach internem Recht<br />
3.3.1 Historische Auslegung<br />
3.3.1.1 Terminologie in den Materialien zu den<br />
verschiedenen Fassungen des DBA-UK<br />
Die Ausdrücke «Befreiung», «Entlastung», «Ermässigung»,<br />
«Herabsetzung» resp. die daraus abgeleiteten<br />
Verben und Adjektive («befreit» etc.) werden in den<br />
Materialien zum DBA-UK 1954 nicht einheitlich verwendet.<br />
In den Materialien zum Protokoll 1966 zur Änderung<br />
des DBA-UK 1954 sowie zum DBA-UK 1977<br />
hingegen wird konsequent der Begriff «Entlastung» als<br />
Oberbegriff für die Befreiung und die teilweise Ermässigung<br />
gebraucht.<br />
DBA-UK 1954<br />
Die Botschaft zum DBA-UK 1954 spricht ausschliesslich<br />
von «Befreiung» bzw. «befreit» 13 , obwohl das Abkommen<br />
die Wendungen «befreit» und «Ermässigung»<br />
enthält 14 . Es wird auch im Zusammenhang mit DBA-<br />
UK 1954 VII Abs. 1–4 von «Befreiung» gesprochen,<br />
obwohl dort auch Ermässigungen von der schweizerischen<br />
Verrechnungssteuer geregelt werden.<br />
Das Kreisschreiben des Bundesrats zum DBA-UK 1954<br />
macht hingegen die Unterscheidung zwischen «Befreiung»<br />
und «Herabsetzung» 15 .<br />
Protokoll 1966 zur Änderung des DBA-UK 1954 (Abkommensrevision)<br />
In der Botschaft zum Protokoll 1966 16 wird bei den Ausführungen<br />
zu Art. 2 des Protokolls einheitlich von «Entlastungen»<br />
gesprochen, obwohl auch Fälle der <strong>St</strong>euerbefreiung<br />
(Zinsen und Lizenzgebühren) erwähnt werden<br />
17 . Hier wird also der Begriff «Entlastung» als Oberbegriff<br />
für die Befreiung und die teilweise Ermässigung<br />
verwendet.<br />
DBA-UK 1977<br />
Auch in der Botschaft zu diesem Abkommen wird der<br />
Begriff «Entlastung» implizit als Oberbegriff für die<br />
Befreiung und teilweise Ermässigung verwendet. In<br />
BBl 1978 I 221 wird denn auch ausgeführt, dass «gewisse<br />
im Ausland erzielte Einkünfte nur dann und nur<br />
soweit der britischen Einkommensbesteuerung unterworfen<br />
sind…». Im Weiteren wird gesagt, dass – um<br />
Nicht-Besteuerungen zu vermeiden – die «Entlastung»<br />
der schweizerischen Einkünfte von den schweizerischen<br />
<strong>St</strong>euern nur auf dem nach Grossbritannien überwiesenen<br />
Betrag erfolge 18 . Wäre die in Abschn. 2.2 dargestellte<br />
These der <strong>St</strong>euerpflichtigen richtig, hätte die<br />
Botschaft hier nicht generell von schweizerischen Einkünften<br />
sprechen dürfen, sondern einzig von Dividenden,<br />
weil dies die einzige Einkunftskategorie ist, für die<br />
eine teilweise Herabsetzung von der schweizerischen<br />
Verrechnungssteuer vorgesehen ist. Alle anderen Einkünfte,<br />
für welche die Schweiz eine Entlastung gewährt,<br />
sind von den schweizerischen <strong>St</strong>euern befreit.<br />
Ergebnis<br />
Die These, wonach der in DBA-UK 27 Abs. 1 verwendete<br />
Begriff «Entlastung» lediglich die teilweise Ermässigung<br />
von der schweizerischen Verrechnungs -<br />
steuer, nicht jedoch die Befreiung von den <strong>St</strong>euern von<br />
Bund, Kantonen und Gemeinden umfasse, erweist sich<br />
im Lichte der Materialien zu den verschiedenen Fassungen<br />
des DBA-UK als unzutreffend.<br />
11 HÖHN (1993), S. 78.<br />
12 Dass die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den DBA<br />
nicht hilfreich ist, wurde nachgewiesen von WALDBURGER<br />
(1998), S. 51 ff.<br />
13 BBl 1954 II 712.<br />
14 DBA-UK 1954 II Abs. 2.<br />
15 Kreisschreiben (25.03.1955), S. 593.<br />
16 BBl 1966 I 1309 ff.<br />
17 BBl 1966 I 1310.<br />
18 BBl 1978 I 221.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
140 Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger, Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
3.3.1.2 Zweck der Abkommensrevision im<br />
Jahre 1966<br />
Eines der Ziele der Abkommensrevision von 1966 war<br />
es, die sog. subject-to-tax clauses aus dem Abkommen<br />
zu beseitigen.<br />
Hingegen ging es dabei nicht darum, die remittance<br />
clause materiell zu ändern; sie sollte lediglich den Neufassungen<br />
der Artikel über die Dividenden, Zinsen und<br />
Lizenzgebühren angepasst werden. Aus der Botschaft<br />
des Bundesrates 19 geht der Zweck der Beseitigung der<br />
subject-to-tax clauses klar hervor. Es sollte für die Inanspruchnahme<br />
des Abkommens durch z. B. Institutionen<br />
des <strong>St</strong>aates (welche ja steuerbefreit sind) kein konkreter<br />
Besteuerungsnachweis mehr verlangt werden 20 . Aus den<br />
unmittelbar folgenden Ausführungen in der Botschaft<br />
wird ersichtlich, dass an der Voraussetzung der remittance<br />
keine Änderungen vorgenommen werden sollten<br />
(mit Ausnahme der Anpassung an die Artikel über die<br />
Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren). Schon aus<br />
letzterer Ausführung der Botschaft geht klar hervor,<br />
dass die geltend gemachte Einschränkung auf Dividenden<br />
gemäss der in Abschn. 2.2 dargestellten These nicht<br />
erfolgt ist.<br />
Ergebnis<br />
Einziger Zweck der hier relevanten Abkommensänderung<br />
war es, die subject-to-tax clauses aus dem Abkommen<br />
zu entfernen, um die Abkommensvorteile steuerbefreiten<br />
Institutionen zu gewähren. Eine darüber hinausgehende<br />
Änderung der Voraussetzungen zur Inanspruchnahme<br />
– wie sie von den Verfechtern der in<br />
Abschn. 2.2 dargestellten These in diese Fassung des<br />
Abkommens hinein interpretiert wird – kann den Materialien<br />
nicht entnommen werden.<br />
3.3.1.3 Exkurs: Verhältnis zwischen Subject-to-<br />
Tax Clauses und Remittance Clause<br />
Unbestritten ist, dass:<br />
– im Jahr 1966 die subject-to-tax clauses aus dem Abkommen<br />
entfernt wurden, und<br />
– in ein Abkommen nicht eine Voraussetzung der Besteuerung<br />
in einem <strong>St</strong>aat hinein interpretiert werden<br />
darf, weil die Doppelbesteuerungsabkommen –<br />
wenn nicht ausdrücklich etwas anderes festgelegt<br />
ist – sowohl die aktuelle als auch die virtuelle Doppelbesteuerung<br />
vermeiden.<br />
Unzutreffend ist jedoch die Auffassung, wonach das<br />
Entfernen der subject-to-tax clauses, verbunden mit der<br />
Neuformulierung von DBA-UK II Abs. 2 (heute DBA-<br />
UK 27 Abs. 1), zu einer Einschränkung der remittance<br />
base clause auf die <strong>St</strong>euerentlastung bei Dividenden geführt<br />
habe. Insbesondere ist es verfehlt zu argumentieren,<br />
dass in Fällen, in denen das Abkommen im Quellenstaat<br />
Schweiz eine <strong>St</strong>euerbefreiung vorsieht, die<br />
Überweisung nach England deshalb keine Voraussetzung<br />
für die Inanspruchnahme des Abkommens darstelle,<br />
weil das DBA-UK seit 1966 die Bedingung, dass es<br />
in Grossbritannien zu einer effektiven Besteuerung<br />
kommt, nicht mehr kenne.<br />
Abgesehen davon, dass sich mit einer solchen Argumentation<br />
auch bei den Dividenden die Voraussetzung<br />
der Überweisung nach Grossbritannien weg interpretieren<br />
liesse, wird verkannt, dass DBA-UK 27 eine lex<br />
specialis für jene natürlichen Personen darstellt, die in<br />
Grossbritannien einen besonderen <strong>St</strong>euerstatus geniessen.<br />
Für diesen Personenkreis gilt im Ergebnis weiterhin<br />
eine umfassende Bedingung für die Inanspruchnahme<br />
des Doppelbesteuerungsabkommens: Solche Personen<br />
können die Abkommensvorteile nur dann und nur<br />
insoweit in Anspruch nehmen, als sie die entsprechenden<br />
Beträge nach England überweisen oder als diese<br />
dort bezogen werden.<br />
An dieser lex specialis hat sich durch den Umstand,<br />
dass für alle andern Personen – namentlich für steuerbefreite<br />
Institutionen (vgl. oben, Abschn. 3.3.1.2) – unter<br />
dem DBA-UK 1966 keine Voraussetzung der effektiven<br />
Besteuerung mehr gilt, nichts geändert.<br />
3.3.2 Grammatikalische Auslegung<br />
Die zu prüfende These basiert auf der Annahme, der Begriff<br />
der Entlastung in DBA-UK 27 Abs. 1 betreffe nur<br />
Fälle, bei denen das Besteuerungsrecht zwischen der<br />
Schweiz und Grossbritannien aufgeteilt wird, nicht jedoch<br />
Fälle, in denen der Quellenstaat Schweiz gemäss<br />
DBA-UK auf ein Besteuerungsrecht ganz verzichten<br />
muss.<br />
Ein solches Verständnis kann jedoch dem Wortlaut des<br />
Ausdrucks «Entlastung» nicht entnommen werden. Der<br />
Begriff «Entlastung» bedeutet gemäss allgemeinem<br />
Sprachgebrauch «Erleichterung», «Befreiung» 21 . Im<br />
Recht der Doppelbesteuerungsabkommen steht dieser<br />
Begriff für eine gegenüber dem internen Recht der Vertragsstaaten<br />
herabgesetzte <strong>St</strong>euerbelastung. «Entlastung»<br />
enthält jedoch keine Aussage über das Ausmass<br />
der Herabsetzung der <strong>St</strong>euer; diese kann eine teilweise<br />
19 BBl 1966 I 1310 (Ziff. 2).<br />
21 Vgl. PELTZER/NORMANN (2000), S. 244.<br />
20 Ein weiteres – in der Botschaft nicht erwähntes – Beispiel wären<br />
die steuerbefreiten Institutionen wie Pensionskassen etc.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger, Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
141<br />
oder eine volle sein. «Entlastung» steht deshalb als<br />
Oberbegriff für eine teilweise oder ganze Herabsetzung<br />
der <strong>St</strong>euer aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens.<br />
Der Begriff schliesst somit auch eine Befreiung<br />
(in Deutschland wird von Freistellung 22 gesprochen)<br />
mit ein.<br />
Dieses Begriffsverständnis wird durch andere von der<br />
Schweiz abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen<br />
bestätigt. So sprechen z.B. Art. 22 des DBA-Belgien<br />
und Art. 23 des DBA-Deutschland von «Entlastungen»<br />
von den <strong>St</strong>euern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren.<br />
Lizenzgebühren werden gemäss diesen<br />
beiden Abkommen nur im Ansässigkeitsstaat besteuert<br />
(Befreiung); im Verhältnis zu Deutschland gilt dies<br />
auch für Zinsen, während für Zinsen im Verhältnis zu<br />
Belgien und für Dividenden im Verhältnis zu beiden<br />
<strong>St</strong>aaten eine Aufteilung des Besteuerungsrechts Platz<br />
greift. Auch hier wird die Bedeutung des Begriffs der<br />
Entlastung als Oberbegriff für die volle und die teil -<br />
weise Herabsetzung von <strong>St</strong>euern im Quellenstaat bestätigt.<br />
Auch die Eidg. <strong>St</strong>euerverwaltung verwendet den Begriff<br />
der Entlastung sowohl für Fälle, in denen es zu einer<br />
teilweisen, als auch für Fälle, in denen es zu einer<br />
vollständigen Herabsetzung einer <strong>St</strong>euer im Quellenstaat<br />
kommt. So heisst z.B. die Sammlung mit den Formularen<br />
und Erläuterungen für die Inanspruchnahme<br />
von schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen<br />
bezüglich ausländischer <strong>St</strong>euern «<strong>St</strong>euerentlastungen<br />
auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen» bzw.<br />
«Dégrèvements des impôts sur la base des conventions<br />
de double imposition».<br />
Ergebnis<br />
Das in der hier zu prüfenden These dem Begriff der Entlastung<br />
zugedachte Verständnis steht weder im Einklang<br />
mit dem im normalen Sprachgebrauch üblichen<br />
noch mit dem in den Doppelbesteuerungsabkommen<br />
verwendeten Begriffsverständnis. Der Begriff der Entlastung<br />
lässt offen, ob es aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens<br />
zu einer teilweisen oder zu einer<br />
vollständigen (Befreiung) Herabsetzung einer <strong>St</strong>euer<br />
kommt.<br />
3.3.3 Teleologische Auslegung<br />
Die remittance clause im DBA-UK war stets und ist<br />
auch heute auf jenen Personenkreis zugeschnitten, der<br />
in Grossbritannien der taxation on remittance basis unterliegt<br />
23 . Sinn dieser Norm ist es, für Einkommensteile,<br />
die in England nicht besteuert werden, nicht den zusätzlichen<br />
Vorteil der Inanspruchnahme des Doppelbesteuerungsabkommens<br />
zu gewähren. Die Schweiz ist seit<br />
dem ersten Doppelbesteuerungsabkommen aus dem<br />
Jahr 1954 nicht bereit, auf ihr nach internem Recht zustehendes<br />
<strong>St</strong>euersubstrat zu verzichten, wenn eine natürliche<br />
Person in Grossbritannien den beschriebenen<br />
besonderen <strong>St</strong>euerstatus geniesst und dort eine Besteuerung<br />
mangels Überweisung unterbleibt. Es wäre sinnund<br />
zwecklos, den Verzicht auf schweizerisches <strong>St</strong>euersubstrat<br />
nur bezüglich Dividenden, nicht aber bezüglich<br />
anderer Einkunftsteile von den in DBA-UK 27 Abs.1<br />
genannten Bedingungen abhängig zu machen. Die systematische<br />
Gewährung eines doppelten Vorteils –<br />
Nichtbesteuerung in Grossbritannien und Gewährung<br />
der Abkommensvorteile – für alle andern Einkünfte als<br />
für Dividenden würde eine willkürliche Privilegierung<br />
der Empfänger von Renten, Arbeitseinkünften etc. bzw.<br />
eine willkürliche Diskriminierung der Dividendenempfänger<br />
darstellen. Ein solches, sinn- und zweckloses<br />
Verständnis des Begriffs der Entlastung ist abzulehnen.<br />
Ergebnis<br />
Sinn und Zweck von DBA-UK 27 Abs. 1 ist es, Personen,<br />
die in Grossbritannien den besonderen <strong>St</strong>euerstatus der<br />
taxation on remittance basis geniessen, umfassend von<br />
den Abkommensvorteilen auszuschliessen, wenn keine<br />
remittance nach Grossbritannien erfolgt. Eine Einschränkung<br />
dieser Rechtsfolge auf Dividenden wäre mit<br />
Sinn und Zweck dieser Bestimmung nicht vereinbar.<br />
3.3.4 Systematische Auslegung<br />
Aus der systematischen <strong>St</strong>ellung der remittance clause<br />
kann nichts zugunsten der hier zu überprüfenden These<br />
abgeleitet werden. Im Gegenteil: Hätten die Vertragsparteien<br />
im Jahr 1966 und danach die remittance als Voraussetzung<br />
für die Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen<br />
des im DBA-UK umschriebenen Personenkreises<br />
auf Dividenden beschränken wollen, wäre es<br />
aus systematischer Sicht angebracht gewesen, diese Voraussetzung<br />
im jeweiligen Dividendenartikel (heute<br />
DBA-UK 10) und nicht in Art. 27 zu regeln, der unter<br />
dem Titel «Verschiedene Bestimmungen» steht. In diesem<br />
Artikel finden sich einerseits Bestimmungen, die<br />
generell für die Abkommensanwendung gelten (z.B.<br />
DBA-UK 27 Abs. 2 und 3), andererseits Bestimmungen,<br />
die sich auf bestimmte Einkunftsteile beziehen (z.B.<br />
DBA-UK 27 Abs. 6, 7, 8 und 9). DBA-UK 27 Abs. 1 gehört<br />
zur ersten Kategorie und stellt eine lex specialis für<br />
den dort genannten Personenkreis dar. Sollte diese Bestimmung<br />
nur für Dividenden gelten, wäre – alternativ<br />
zur Regelung in DBA-UK 10 selbst – die Erwähnung<br />
22 Vgl. z. B. VOGEL (1996), DBA, Vor Art. 6–22, Rz. 3 ff. 23 Vgl. oben, Abschn. 1.3.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
142 Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger, Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
dieses Artikels in DBA-UK 27 angezeigt gewesen. Ein<br />
solcher Bezug zu DBA-UK 10 findet sich jedoch in<br />
DBA-UK 27 Abs. 1 nicht.<br />
Ergebnis<br />
Aus der systematischen <strong>St</strong>ellung von DBA-UK 27<br />
Abs. 1 ist abzuleiten, dass diese lex specialis für den<br />
dort genannten Personenkreis für den gesamten Geltungsbereich<br />
des Abkommens, und nicht nur für Dividenden,<br />
gilt.<br />
3.3.5 Ergebnis der Auslegung nach internem<br />
Recht<br />
Sämtliche Auslegungselemente sprechen gegen die<br />
These, wonach seit Inkrafttreten des DBA-UK 1966 bei<br />
Personen, die in Grossbritannien der taxation on remittance<br />
basis unterliegen, die Voraussetzung der remittance<br />
für die Inanspruchnahme des DBA-UK für aus der<br />
Schweiz stammende Einkünfte nur für Dividenden gelte.<br />
Vielmehr gilt die Voraussetzung der remittance für<br />
sämtliche Einkünfte, für welche die Schweiz einen Besteuerungsverzicht<br />
– Herabsetzung oder Befreiung –<br />
leisten muss.<br />
3.4.3 Abkommenszusammenhang<br />
Die systematische Auslegung hat zum Ergebnis geführt,<br />
dass aus den unterschiedlichen Wortlauten der remittance<br />
clause des DBA-UK 1954 einerseits und der Folgeversionen<br />
des DBA-UK andererseits keine unterschiedliche<br />
Bedeutung der verwendeten Ausdrücke abgeleitet<br />
werden kann.<br />
3.4.4 Ziel und Zweck des Abkommens<br />
Ziel und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen ist<br />
die Vermeidung von Doppelbesteuerungen. Das nach<br />
den Regeln des internen Rechts und der übrigen Auslegungselemente<br />
gemäss WVK gefundene Auslegungsergebnis<br />
führt nicht zu einer Doppelbesteuerung, sondern<br />
zur Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung und<br />
stimmt deshalb mit Ziel und Zweck des DBA-UK überein<br />
26 .<br />
3.4.5 Ergebnis der Auslegung nach WVK<br />
Das für das interne Recht gefundene Auslegungsergebnis<br />
wird bei Anwendung der Auslegungsregeln der<br />
WVK bestätigt.<br />
3.4 Auslegung gemäss WVK<br />
3.4.1 Auslegung nach Treu und Glauben<br />
Das nach den Regeln des internen Rechts gefundene<br />
Auslegungsergebnis steht im Einklang mit dem Erfordernis,<br />
<strong>St</strong>aatsverträge nach Treu und Glauben, d.h. nicht<br />
spitzfindig zum Nachteil des Vertragspartners – Grossbritannien<br />
– auszulegen. Grossbritannien ist von diesem<br />
Auslegungsergebnis gar nicht betroffen; sein Besteuerungsrecht<br />
wird durch das gefundene Auslegungsergebnis<br />
in keiner Weise tangiert. Die für die Abkommensanwendung<br />
zuständigen britischen Behörden haben denn<br />
auch bei der Eidg. <strong>St</strong>euerverwaltung nie gegen die Praxis<br />
schweizerischer Veranlagungsbehörden inter ve niert 24 .<br />
3.4.2 Gewöhnliche Bedeutung<br />
Wie oben aufgezeigt worden ist 25 , besteht die gewöhnliche<br />
Bedeutung des Begriffs der Entlastung darin, dass<br />
damit der Obergriff für die Herabsetzung bzw. Befreiung<br />
von einer schweizerischen <strong>St</strong>euer gemeint ist. Das<br />
für das interne Recht gefundene Auslegungsergebnis<br />
steht deshalb mit der gewöhnlichen Bedeutung i.S. von<br />
WVK 31 Abs. 1 in Einklang.<br />
4 Ergebnis der Auslegung von DBA-<br />
UK 27 Abs.1<br />
Die Auslegung von DBA-UK 27 Abs. 1 sowohl nach internem<br />
Recht als auch nach den Regeln der WVK hat<br />
gezeigt, dass die Voraussetzung des Bezugs in Grossbritannien<br />
oder der Überweisung nach Grossbritannien für<br />
die Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen für<br />
Einkünfte aus schweizerischen Quellen nicht nur für<br />
Dividenden, sondern für sämtliche im DBA-UK geregelten<br />
Einkünfte gilt, sofern und soweit eine in Grossbritannien<br />
ansässige natürliche Person dort für die entsprechenden<br />
Einkommensteile den besonderen <strong>St</strong>euerstatus<br />
der taxation on remittance basis geniesst.<br />
Die betreffenden <strong>St</strong>euerpflichtigen bzw. deren Berater<br />
sind gehalten, gegenüber den schweizerischen <strong>St</strong>euerbehörden<br />
die entsprechenden Angaben zu machen, und<br />
Letztere sind dazu aufgerufen, Entlastungsgesuche von<br />
in Grossbritannien ansässigen Personen entsprechend<br />
zu kontrollieren.<br />
24 Quelle: Auskunft zuständiger Sachbearbeiter bei der Eidg.<br />
<strong>St</strong>euerverwaltung.<br />
25 Vgl. oben, Abschn. 3.3.2.<br />
26 Mit dieser Aussage soll nicht einer Auffassung das Wort geredet<br />
werden, wonach eine doppelte Nichtbesteuerung in<br />
keinem Fall resultieren könne. Ergibt sich aus der Anwendung<br />
der übrigen Auslegungsregeln ein solches Ergebnis,<br />
kann nicht mit Referenz auf Ziel und Zweck des DBA ein Ergebnis<br />
konstruiert werden, das zu einer Einmalbesteuerung<br />
führt.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Prof. Dr. iur. et lic. oec. Robert Waldburger, Zur Remittance Clause im DBA-UK<br />
143<br />
Literatur<br />
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domicile rules as they affect the taxation of individuals:<br />
a background paper, April <strong>2003</strong> (auf Internet<br />
abrufbar unter: www.inlandrevenue.gov.uk/budget<br />
<strong>2003</strong>/residence_domicile.pdf [<strong>St</strong>and: 22.04.<strong>2003</strong>])<br />
HÖHN ERNST (1993), Begriff, Aufgaben und Rechtsquellen<br />
des Internationalen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s, in: Ernst<br />
Höhn (Hrsg.), Handbuch des Internationalen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s<br />
der Schweiz, 2., überarbeitete und ergänzte<br />
A., Bern, <strong>St</strong>uttgart, Wien, 1993<br />
INLAND REVENUE (1999), Residents and non-residents –<br />
Liability to tax in the United Kingdom, International<br />
Series IR20, 1999 (auf Internet abrufbar unter:<br />
www.inlandrevenue.gov.uk/pdfs/IR20.pdf [<strong>St</strong>and:<br />
22.04.<strong>2003</strong>])<br />
LANG MICHAEL/MÖSSNER JÖRG M./WALDBURGER RO-<br />
BERT (1998), Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen<br />
in der Rechtsprechung der Höchstgerichte<br />
Deutschlands, der Schweiz und Österreichs,<br />
Schriftenreihe zum Internationalen <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>,<br />
Bd. 6, Wien 1998<br />
MÖSSNER JÖRG M., s. Lang Michael/Mössner Jörg M./<br />
Waldburger Robert (1998)<br />
PELTZER KARL/V. NORMANN REINHARD (2000), Das treffende<br />
Wort: Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke,<br />
25. A., Thun 2000<br />
V. NORMANN REINHARD, s. Peltzer Karl/v. Normann<br />
Reinhard (2000)<br />
VATTEL EMER DE (1758), Le droit des gens ou principes<br />
de la loi naturelle appliqués à la conduite aux affaires<br />
des nations et des souverains, Leiden 1758<br />
VOGEL KLAUS (1996), DBA – Doppelbesteuerungsabkommen,<br />
Kommentar, 3. A., München 1996<br />
WALDBURGER ROBERT, s. Lang Michael/Mössner Jörg<br />
M./Waldburger Robert (1998)<br />
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet<br />
der <strong>St</strong>euern vom Einkommen, abgeschlossen am<br />
8. Dezember 1977 (SR 0.672.936.712)<br />
Kreisschreiben (25.03.1955): Kreisschreiben des Bundesrates<br />
an die Regierungen der Kantone betreffend<br />
das Abkommen mit Grossbritannien zur Vermeidung<br />
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der<br />
Einkommenssteuern (vom 25. März 1955), BBl<br />
1955 I, S. 585–601<br />
Protokoll 1966: Protokoll zwischen der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich<br />
von Grossbritannien und Nordirland zur<br />
Änderung des am 30. September 1954 in London<br />
unterzeichneten Abkommens zur Vermeidung der<br />
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der <strong>St</strong>euern<br />
vom Einkommen, BBl 1966 I, S. 1316–1325<br />
WVK: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge,<br />
abgeschlossen in Wien am 23. Mai 1969<br />
(SR 0.111)<br />
Rechtsquellen<br />
DBA-UK 1954: Abkommen zwischen der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich<br />
von Grossbritannien und Nordirland zur<br />
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete<br />
der <strong>St</strong>euern vom Einkommen, abgeschlossen<br />
am 30. September 1954 (SR 0.672.936.711)<br />
DBA-UK 1977: Abkommen zwischen der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich<br />
von Grossbritannien und Nordirland zur<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
144<br />
Literatur-<strong>Forum</strong><br />
Toni Hess,<br />
Die Besteuerung der Anlagefonds und der<br />
anlagefondsähnlichen Instrumente sowie deren<br />
Anteilsinhaber in der Schweiz<br />
Diss. Universität Zürich, Zürich 2001<br />
Rezensent: Dr. oec. HSG Kurt Arnold*<br />
Inhalt<br />
1 Einleitung<br />
2 Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte<br />
2.1 Grundsätzliches und steuerliche Grundlagen<br />
2.2 Die Besteuerung der Anlagefonds<br />
2.3 Die Besteuerung der Anteilsinhaber von<br />
Ausschüttungsfonds<br />
2.4 Die Besteuerung der Anteilsinhaber von Thesaurierungsfonds<br />
2.5 Die anlagefondsähnlichen Instrumente und<br />
besondere steuerrechtliche Probleme<br />
2.6 Die Entlastung von der schweizerischen<br />
Verrechnungssteuer und den ausländischen<br />
Quellensteuern<br />
2.7 Anregungen<br />
3 Würdigung<br />
1 Einleitung<br />
Seit der Publikation der <strong>St</strong>.Galler Dissertation von Carla<br />
Wassmer zur Besteuerung der Anlagefonds im Jahre<br />
1982 1 hat sich das Fondsgeschäft enorm entwickelt. Die<br />
in Anlagefonds investierten Vermögen haben sich weltweit<br />
vervielfacht. Durch das revidierte Anlagefonds -<br />
gesetz vom 18. März 1994, das <strong>St</strong>euerharmonisierungsgesetz,<br />
das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer<br />
sowie verschiedene Kreisschreiben der Eidgenössischen<br />
<strong>St</strong>euerverwaltung haben auch die rechtlichen und<br />
steuerlichen Rahmenbedingungen tief greifende Ände -<br />
rungen erfahren. So ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern<br />
überaus verdienstvoll, dass sich Toni Hess dieser<br />
deutlich komplexer gewordenen Materie erneut angenommen<br />
hat.<br />
Um es vorwegzunehmen: Toni Hess hat sich nicht mit<br />
einer aktualisierten Version der Arbeit von Carla Wassmer<br />
zufrieden gegeben. Vielmehr ist eine sehr eigenständige<br />
und in jeder Hinsicht umfassende Schrift von<br />
über 620 Seiten entstanden. Angesichts der Fülle der<br />
bearbeiteten Sachfragen und der vielen Facetten, die in<br />
der Dissertation angesprochen werden, fällt es dem Rezensenten<br />
nicht leicht, auf knappem Raum die Arbeit<br />
vorzustellen und zu würdigen.<br />
2 Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte<br />
* <strong>St</strong>euerkonsulent bei der Credit Suisse Group, Zürich<br />
1 Carla Wassmer, Die Besteuerung der Anlagefonds und deren<br />
Anleger, Schriftenreihe Finanzwirtschaft und Finanzrecht,<br />
Bd. 33, Bern 1982.<br />
2.1 Grundsätzliches und steuerliche Grundlagen<br />
In einem ersten Teil beschreibt Toni Hess die allgemeinen<br />
rechtlichen Grundlagen des Fondsgeschäftes sowie<br />
deren Organisationsformen und grenzt den Anlagefonds<br />
von den übrigen Formen kollektiver Kapitalanlage ab. In<br />
einem zweiten Teil widmet er sich den für die Anlagefonds<br />
und ihre Investoren massgeblichen steuerrechtlichen<br />
Grundlagen. Er beleuchtet dabei schwergewichtig<br />
die direkten <strong>St</strong>euern von Bund, Kantonen und Gemeinden,<br />
befasst sich aber auch mit der Verrechnungssteuer,<br />
den <strong>St</strong>empelabgaben sowie den Handänderungssteuern.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Kurt Arnold, Toni Hess: Die Besteuerung der Anlagefonds und der anlagefondsähnlichen Instrumente<br />
145<br />
Er setzt sich dabei mit verschiedenen Fragen auseinander,<br />
die über die eigentliche Besteuerung der Anlagefonds<br />
und ihrer Anteilsinhaber hinausgehen und die Besteuerung<br />
der Erträge und Gewinne aus Vermögen ganz<br />
generell betreffen. Zu erwähnen ist etwa die sorgfältige<br />
Untersuchung von Lehre und Rechtsprechung zur Abgrenzung<br />
zwischen Privat- und Geschäftsvermögen sowie<br />
der Judikatur zum kontroversen Thema des sogenannten<br />
gewerbsmässigen Wertpapierhändlers.<br />
Breiten Raum widmet Toni Hess den zahlreichen Problemen,<br />
die mit der Abgrenzung von steuerfreiem Kapitalgewinn<br />
und steuerbarem Kapitalertrag zusammenhängen,<br />
und geht beispielsweise der Frage nach, inwiefern<br />
das strenge Nennwertprinzip bei der Besteuerung von<br />
Liquidationsüberschüssen angewendet werden dürfe. Er<br />
kommt – eigentlich nicht überraschend – zum Ergebnis,<br />
dass de lege lata statt dessen dem Kapitalrückzahlungsprinzip<br />
der Vorzug gebührt. Er vertritt auch die Position,<br />
dass sich erhaltene Marchzinsen in allen Fällen (und<br />
nicht bloss bei Obligationen mit überwiegender Einmalverzinsung)<br />
als Vermögensertrag qualifizieren.<br />
2.2 Die Besteuerung der Anlagefonds<br />
Im dritten und fünften Teil der Dissertation befasst sich<br />
Toni Hess mit der Besteuerung der Anlagefonds. Er<br />
gliedert seine Ausführungen nach der durch das Anlagefondsgesetz<br />
vorgenommenen Einteilung in Effektenfonds<br />
und übrige Fonds einerseits und Immobilienfonds<br />
anderseits. Bei den Immobilienfonds unterscheidet er<br />
zwischen solchen mit direktem und solchen mit indirektem<br />
Grundbesitz.<br />
Bezüglich der Besteuerung der Effektenfonds sieht der<br />
Verfasser bei den direkten <strong>St</strong>euern kaum Probleme, weil<br />
die Fondsleitung das Fondsvermögen lediglich treuhänderisch<br />
für die Anteilsinhaber hält. Nicht der Fonds<br />
selbst, sondern die Anteilsinhaber sind für das Fondsvermögen<br />
und die daraus fliessenden Erträge steuerpflichtig.<br />
Interessante Erkenntnisse sind der Arbeit zur<br />
Verrechnungssteuer zu entnehmen. Sie betreffen steuerrechtliche<br />
Qualifikationsfragen, Verbuchungsmodalitäten<br />
bei Sonderfällen – wie etwa Obligationen mit überwiegender<br />
Einmalverzinsung oder Gratisaktien – sowie<br />
die unterschiedliche Besteuerung von ausschüttenden<br />
und thesaurierenden Fonds.<br />
Einlässlich setzt sich Toni Hess sodann mit den Immobilienfonds<br />
auseinander. Im Gegensatz zu den Effektenfonds<br />
unterliegen Immobilienfonds mit direktem Grundbesitz<br />
als eigenständige <strong>St</strong>euersubjekte den direkten<br />
<strong>St</strong>euern von Bund und Kantonen (Art. 66 Abs. 3 DBG,<br />
Art. 26 Abs. 3 <strong>St</strong>HG). Hier geht der Verfasser vertieft<br />
der Frage nach, was bei richtiger Auslegung unter<br />
«Ertrag» zu subsumieren sei: nur die Mietzinseinnahmen<br />
oder auch Grundstückgewinne? Er kommt dabei<br />
sehr schlüssig zum Ergebnis, dass trotz gleichem Wortlaut<br />
DBG und <strong>St</strong>HG unterschiedlich auszulegen sind:<br />
Bei der direkten Bundessteuer fallen nur die Vermögenserträge,<br />
im <strong>St</strong>HG jedoch zusätzlich auch die Kapitalgewinne<br />
unter den Ertragsbegriff. Dieses Ergebnis<br />
erscheint Hess zwingend, wenn man den Anlagefonds<br />
als transparentes Vehikel zu akzeptieren bereit ist und<br />
der unterschiedlichen Besteuerung von privaten Grundstückgewinnen<br />
beim Bund und in den Kantonen Rechnung<br />
tragen will. Bemerkenswert sind weiter auch die<br />
Ausführungen zur Frage, ob Immobilienfonds mit direktem<br />
Grundbesitz, an welchen sich ausschliesslich<br />
steuerbefreite Einrichtungen der beruflichen Vorsorge<br />
beteiligen, für ihren Ertrag von der <strong>St</strong>euerpflicht ausgenommen<br />
werden können. Obgleich aufgrund des Gesetzeswortlautes<br />
(Art. 49 Abs. 2 DBG, Art. 201 <strong>St</strong>HG) sich<br />
dieser Schluss a priori nicht aufdrängt, kommt Toni<br />
Hess mittels einer „teleologischen Reduktion» zur Auffassung,<br />
dass sich dies aus der Ratio der Bestimmung<br />
ergibt. Daher unterlägen die Immobilienfonds mit steuerbefreiten<br />
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge als<br />
Anteilsinhaber nicht der Besteuerung. In neuerer Zeit<br />
ist diese Doktrin durch die Veranlagungspraxis offenbar<br />
übernommen worden (vgl. z.B. den Anlagefonds Credit<br />
Suisse 1a Immo PK).<br />
Anders als bei den Immobilienfonds mit direktem<br />
Grundbesitz sind die Immobilienfonds mit indirektem<br />
Grundbesitz, d.h. jene, welche über Immobiliengesellschaften<br />
in Grundeigentum investieren, nicht Subjekt<br />
der Gewinn- und Kapitalsteuern. Trotzdem entsteht eine<br />
zusätzliche Besteuerungsebene, indem sowohl die Immobiliengesellschaften<br />
als auch die Anteilsinhaber für<br />
ihre Erträge/Einkommen und ihr Kapital/Vermögen<br />
steuerpflichtig sind. Die verschiedenen spezifischen<br />
Probleme, die sich den Fonds und ihren Immobiliengesellschaften<br />
daraus stellen, sind in der Dissertation von<br />
Toni Hess sorgfältig dargestellt. Es sind dies z.B. Fragen<br />
des verdeckten Eigenkapitals, der wirtschaftlichen<br />
Handänderung, die Bedeutung des Belegenheitsprinzips<br />
für die Grundstückgewinnsteuer usw…<br />
Schliesslich befasst sich der Autor in diesem Zusammenhang<br />
auch mit <strong>St</strong>euerfragen, die sich aus der Überführung<br />
von Liegenschaften vom indirekten in den<br />
direkten Grundbesitz und umgekehrt ergeben. Er hält<br />
die gesetzliche Lösung von Artikel 207 DBG, der den<br />
Wechsel vom indirekten zum direkten Grundbesitz<br />
erleichtern wollte, für völlig verunglückt. Die Tatsache,<br />
dass trotz den gesetzlich angebotenen Erleichterungen<br />
kaum Überführungen in den direkten Grundbesitz stattgefunden<br />
haben, scheint Toni Hess Recht zu geben.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
146 Kurt Arnold, Toni Hess: Die Besteuerung der Anlagefonds und der anlagefondsähnlichen Instrumente<br />
2.3 Die Besteuerung der Anteilsinhaber von<br />
Ausschüttungsfonds<br />
Im vierten Teil der Dissertation beleuchtet Toni Hess<br />
die <strong>St</strong>euerfolgen beim Anteilsinhaber, und zwar getrennt<br />
nach Effektenfonds und Immobilienfonds mit direktem<br />
bzw. indirektem Grundbesitz. Entsprechend dem «Lebenszyklus»<br />
einer Investition in einen Anlagefonds untersucht<br />
er die <strong>St</strong>euerfolgen beim Kauf der Anteile,<br />
während der Besitzdauer, beim Verkauf an Dritte, beim<br />
Verkauf an die Fondsleitung und bei der Auflösung des<br />
Fonds. Toni Hess legt gleich zu Beginn dieses Teils<br />
seiner Dissertation überzeugend dar, dass aus der professionellen<br />
Verwaltung des Fondsvermögens durch<br />
die Fondsleitung keinesfalls tel quel auf einen gewerbsmässigen<br />
Wertschriftenhandel des Anteilsinhabers<br />
ge schlos sen werden dürfe. In der in der Schweiz<br />
nach wie vor kontrovers diskutierten Frage der steuerlichen<br />
Behandlung der an körperschaftlich organisierten<br />
(ausländischen) Anlagefonds Beteiligten ist Toni<br />
Hess der dezidierten Auffassung, dass die Anteilsinhaber<br />
wie Aktionäre zu besteuern seien. Er setzt sich damit<br />
in Widerspruch zu der von der Eidgenössischen<br />
<strong>St</strong>euerverwalt ung und einer Mehrzahl der Kantone gehandhabten<br />
Praxis, wonach z.B. die Beteiligten luxemburgischer<br />
SICAV wie Anteilsinhaber vertraglicher<br />
Fonds besteuert werden.<br />
Mit dem Kreisschreiben vom 6. Mai 1994 ordnete die<br />
Eidgenössische <strong>St</strong>euerverwaltung an, dass das schon erwähnte<br />
Kreisschreiben vom 23. November 1989 betreffend<br />
die Besteuerung der zurückbehaltenen Erträge vertraglicher<br />
Thesaurierungsfonds sinngemäss auch auf<br />
die körperschaftlichen Fonds, wie z.B. die luxemburgischen<br />
SICAV, angewendet werden muss. Hier kann der<br />
Autor der Eidgenössischen <strong>St</strong>euerverwaltung nun nicht<br />
mehr folgen. Er legt überzeugend dar, dass die 1994<br />
eingeführte Praxisänderung zum einen gegen Art. 49<br />
Abs. 3 DBG verstösst und zum andern rechtsdogmatisch<br />
nicht haltbar ist, weil sie die körperschaftliche <strong>St</strong>ruktur<br />
der SICAV einfach negiert.<br />
Im Weiteren kritisiert Toni Hess die Praxis jener Kan -<br />
tone, welche die körperschaftliche <strong>St</strong>ruktur der SICAV<br />
zwar anerkennen, bei der Rückgabe der Anteile an die<br />
SICAV aber strikt das Nennwertprinzip anwenden. Da<br />
die SICAV keinen Nennwert aufweisen, führt dies<br />
regelmässig dazu, dass in derartigen Fällen der gesamte<br />
Erlös als steuerbares Einkommen erfasst wird. Toni<br />
Hess lehnt die Anwendung des integralen Nennwertprinzips<br />
beim SICAV mangels einer ausreichenden<br />
Rechtsgrundlage kategorisch ab und postuliert, die<br />
seiner Ansicht nach bestehende Lücke sei durch<br />
die Anwendung des Kapitalrückzahlungsprinzips zu<br />
schliessen.<br />
2.4 Die Besteuerung der Anteilsinhaber von<br />
Thesaurierungsfonds<br />
In einem sechsten Teil seiner Arbeit setzt sich Hess vor<br />
allem mit zwei Kreisschreiben der Eidgenössischen<br />
<strong>St</strong>euerverwaltung auseinander, die die Fondsbesteuerung<br />
massgeblich beeinflusst haben. Zunächst geht es<br />
um das Kreisschreiben vom 23. November 1989, in<br />
welchem die Eidgenössische <strong>St</strong>euerverwaltung die auf<br />
<strong>St</strong>ufe des thesaurierenden Fonds erzielten Vermögens -<br />
er träge als durch den Anteilsinhaber realisiert bezeichnet.<br />
Nach sorgfältiger Analyse dieses Kreisschreibens<br />
kommt Toni Hess zum Ergebnis, dass die thesaurierten<br />
Vermögenserträge den Anteilsinhabern rechtlich, wirtschaftlich<br />
und steuerlich zuzuordnen sind. Er hält das<br />
Kreisschreiben daher für richtig. Er schliesst sich auch<br />
hinsichtlich der Behandlung der Marchzinsen im Ergebnis<br />
der Eidgenössischen <strong>St</strong>euerverwaltung an, indem<br />
er deren Nichtbesteuerung beim Veräusserer der<br />
Fondsanteile für vertretbar erachtet. Während die Eidgenössische<br />
<strong>St</strong>euerverwaltung und das Bundesgericht<br />
jedoch Marchzinsen auf periodisch fälligen Erträgen<br />
als Kapitalgewinne qualifizieren, beurteilt sie Toni<br />
Hess grundsätzlich als steuerbaren Kapitalertrag, der<br />
nur wegen des unpraktikablen Vollzuges nicht erfasst<br />
werden soll.<br />
2.5 Die anlagefondsähnlichen Instrumente<br />
und besondere steuerrechtliche<br />
Probleme<br />
Im siebten Teil seiner Dissertation unternimmt Toni<br />
Hess Exkurse in die den Anlagefonds ähnlichen Investitionsformen<br />
und grenzt sie untereinander ab. Er untersucht<br />
dabei vor allem die Besteuerung von bankinternen<br />
Sondervermögen, Investment-Klubs, Anlagestiftungen,<br />
Investmentgesellschaften, Hedge Funds sowie<br />
Index-, Regionen- und Basketzertifikaten. Teils teilen<br />
diese Instrumente ihr steuerliches Los mit den Anlagefonds,<br />
teils unterliegen sie aber auch eigenen Regeln.<br />
Der achte Teil der Arbeit ist hauptsächlich einigen<br />
besonderen Erscheinungsformen von Anlagefonds gewidmet,<br />
wie den Umbrellafonds oder den Funds of<br />
Funds (Dachfonds). Bei den Funds of Funds ist von<br />
besonderer Bedeutung, ob sie entsprechend der Konzeption<br />
des Kreisschreibens vom 23. November 1989<br />
als steuerlich transparent angesehen werden und somit<br />
alle Einkünfte der in der Regel ausländischen Anlage -<br />
instrumente in Kapitalerträge und Kapitalgewinne aufgeteilt<br />
werden müssen. Toni Hess unterstützt ausdrücklich<br />
die durch die Eidgenössische <strong>St</strong>euerverwaltung getroffene<br />
pragmatische Zweiteilung bei der Besteuerung<br />
der Einkünfte aus Funds of Funds: Funds, welche aus-<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Kurt Arnold, Toni Hess: Die Besteuerung der Anlagefonds und der anlagefondsähnlichen Instrumente<br />
147<br />
schliesslich kapitalgewinnorientiert investieren, gelten<br />
als nicht transparent; die übrigen Fonds werden nach<br />
den Kriterien des Kreisschreibens vom 23. November<br />
1989 besteuert, d.h., die in den Subfonds erzielten Vermögenserträge<br />
sind beim Anteilsinhaber steuerbar, Kapitalgewinne<br />
bleiben beim privaten Anleger steuerfrei.<br />
2.6 Die Entlastung von der schweizerischen<br />
Verrechnungssteuer und den ausländischen<br />
Quellensteuern<br />
Grosses Gewicht misst Toni Hess in einem neunten Teil<br />
den Problemen bei, die sich im Zusammenhang mit den<br />
in- und ausländischen Quellensteuern ergeben, die entweder<br />
bei Auszahlungen an Fonds oder deren Anteilsinhaber<br />
anfallen. Die Materie erweist sich als ausserordentlich<br />
komplex. Anschauliche Schemata und Diagramme<br />
ermöglichen es aber dem Leser, den Überblick<br />
doch einigermassen zu behalten.<br />
Hinsichtlich der Entlastung von an den Fonds ausgeschütteten<br />
Erträgen stellt sich vor allem die Frage, inwieweit<br />
dem Anteilsinhaber selbst ein Anspruch auf<br />
Entlastung zusteht. Toni Hess bejaht in gewissen<br />
Konstellationen einen derartigen Anspruch aus rechtlicher<br />
Sicht ausdrücklich, muss dann angesichts der sich<br />
aus diesem Lösungsansatz ergebenden Vollzugsprobleme<br />
aber doch die Segel wieder streichen. In der Praxis<br />
als vollziehbar erweist sich eigentlich nur die Rückerstattung<br />
an den Fonds, wenn dies dogmatisch auch der<br />
Treuhandkonstruktion vertraglicher Fonds widersprechen<br />
mag. Eine solche sieht Art. 26 V<strong>St</strong>G für inländische<br />
Fonds ausdrücklich vor. <strong>St</strong>aatsvertraglich vereinbart<br />
ist ein gleicher Anspruch der Fonds mit sechs Ländern,<br />
nämlich mit Deutschland, Frankreich, Grossbritannien,<br />
den Niederlanden, Österreich und Schweden.<br />
Anlagefonds mit Erträgen aus anderen Ländern ist die<br />
direkte Rückforderung verwehrt, so dass für manchen<br />
Fonds die schweizerische Verrechnungssteuer oder eine<br />
ausländische Quellensteuer zu einer definitiven Belastung<br />
führt. <strong>St</strong>att eines Rückerstattungsanspruchs gewähren<br />
Australien, Japan und Kanada den Fonds eine<br />
Entlastung schon an der Quelle. Entsprechend der sogenannten<br />
Adressmethode fallen dadurch den schweizerischen<br />
Anlagefonds die Abkommensvorteile automatisch<br />
zu. Ein an die Eidgenössische <strong>St</strong>euerverwaltung<br />
abzuführender <strong>St</strong>euerrückbehalt im Ausmass der am<br />
Fonds beteiligten ausländischen Investoren stellt sicher,<br />
dass nicht abkommensberechtigte Personen von den<br />
Vorteilen der jeweiligen DBA ausgeschlossen sind.<br />
Toni Hess geht in diesem Zusammenhang auch sehr<br />
gründlich den Problemen nach, die sich den Anlagefonds<br />
mit der Einführung des Qualified Intermediary-Konzepts<br />
(QI) der USA ab 1. Januar 2001 stellen. Die Möglichkeit<br />
des Fonds, nach den «check-the-box rules» als Benefi -<br />
cial Owner zu optieren, entbindet diesen zwar davon, jeden<br />
einzelnen Anteilsinhaber der amerikanischen Depotbank<br />
bzw. der schweizerischen QI-Bank zu melden, berechtigt<br />
aber den Fonds nicht, Abkommensvorteile in<br />
Anspruch zu nehmen. Auch hier ist somit zur Zeit der<br />
über An lagefonds Investierende im Vergleich zum Direktanleger<br />
benachteiligt.<br />
Weniger einschneidende Probleme bieten die Quellensteuern,<br />
die von an Anteilsinhaber ausgeschütteten Erträgen<br />
abgezogen werden. Die Entlastungen richten sich<br />
nach dem Recht des Quellenstaates sowie den einschlägigen<br />
Doppelbesteuerungsabkommen. Lesenswert sind<br />
hier namentlich die Ausführungen zum sogenannten Affidavitverfahren,<br />
das es schweizerischen Fonds erlaubt,<br />
unter gewissen Voraussetzungen Erträge an ausländische<br />
Anteilsinhaber ohne Abzug der Verrechnungssteuer<br />
auszuzahlen. Diese Erträge müssen zu mindestens 80%<br />
aus ausländischen Quellen stammen (Art. 27 V<strong>St</strong>G).<br />
Toni Hess bezeichnet dieses Verfahren, bei dem die Entlastung<br />
nicht auf einem DBA beruht, als einen Systembruch.<br />
Er ist jedoch bereit, diesen im Interesse der Konkurrenzfähigkeit<br />
der Schweiz als <strong>St</strong>andort für Anlagefonds<br />
hinzunehmen.<br />
2.7 Anregungen<br />
In seinem abschliessenden Ausblick spricht sich Toni<br />
Hess für die Zulassung körperschaftlich organisierter<br />
Fonds in der Schweiz aus und regt an, dass mit weiteren<br />
Ländern Abkommen geschlossen werden, die die Geltendmachung<br />
der doppelbesteuerungsrechtlichen Vorteile<br />
durch die Anlagefonds möglich machen. Die ebenfalls<br />
vorgeschlagene Herabsetzung der schweizerischen<br />
Verrechnungssteuer dürfte Wunschtraum bleiben. Ein<br />
wesentlich tieferer Satz würde den Sicherungscharakter<br />
der Verrechnungssteuer schwächen und dadurch Begehren<br />
nach erleichtertem Zugang zu Kundendaten bei<br />
Banken und erweiterten Informationspflichten der<br />
Finanzintermediäre gegenüber in- und ausländischen<br />
<strong>St</strong>euerbehörden Aufwind geben.<br />
3 Würdigung<br />
Toni Hess hat mit seiner Dissertation eine ausserordentlich<br />
umfassende und sorgfältige Abhandlung geschrieben.<br />
Das Schwergewicht liegt, wie der Titel schon sagt, bei den<br />
<strong>St</strong>euerfragen, die sich den Anlagefonds und deren Teilhabern<br />
stellen. Da aber den Fonds grundsätzlich die gleichen<br />
Anlagemöglichkeiten offen stehen wie dem Direktinvestor,<br />
ist seine Arbeit durch ihr weites Spektrum der behandelten<br />
Sachfragen zu einem weiten Teil auch ein Kompendium<br />
für <strong>St</strong>euerprobleme der Kapitalanlagen ganz gene-<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
148 Kurt Arnold, Toni Hess: Die Besteuerung der Anlagefonds und der anlagefondsähnlichen Instrumente<br />
rell. Damit ist natürlich anderseits auch die grundsätzliche<br />
Frage des Umfangs von Dissertationen angesprochen.<br />
Toni Hess hat sich sehr gründlich, da und dort sogar akribisch<br />
mit dem einschlägigen Schrifttum, der <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>spraxis<br />
und der Judikatur auseinandergesetzt. Er<br />
hat dabei wiederholt eigenständige Positionen bezogen<br />
und diese wissenschaftlich solid abgestützt. Trotz ihrer<br />
strengen Systematik und dem Tiefgang der Argumentationen<br />
ist die Arbeit nicht graue Theorie. Im Gegenteil:<br />
Toni Hess ist bestrebt, wo immer möglich dem Praktiker<br />
Hilfestellungen zu geben, sei es mit Übersichten, Tabellen,<br />
Berechnungs- und Verbuchungsbeispielen oder<br />
Hinweisen auf die im konkreten Fall zu verwendenden<br />
Formulare und einzuschlagenden Verfahrensschritte.<br />
Die Praxistauglichkeit wird durch eine gut lesbare<br />
Sprache unterstrichen. Allerdings bringt es die bis in<br />
fein s te Verästelungen durchgehaltene Dezimalklassi -<br />
fika tion (bis zu 7 <strong>St</strong>ellen) mit sich, dass dem Leser schon<br />
einmal kurzzeitig die Orientierung verloren gehen kann.<br />
Die umfassende Monographie von Toni Hess zu allen<br />
Facetten des Anlagefondsgeschäftes setzt einen Markstein.<br />
Sie ist nicht nur Fondsmanagern, Kapitalanlegern<br />
sowie deren Beratern, sondern auch allen an einer<br />
vertieften rechtlichen Durchdringung dieser Materie<br />
Interessierten wärmstens zur Lektüre empfohlen. Der<br />
Blumensteinpreis 2001 ist einem würdigen Kandidaten<br />
mit einer herausragenden Arbeit zugesprochen worden.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
149<br />
Gesetzgebungs-<strong>Forum</strong><br />
Das Bandbreitenmodell der materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
Lic. oec. Kurt <strong>St</strong>alder*/Dr. iur. Ulrich Cavelti**<br />
Inhalt<br />
1 Einleitung<br />
2 <strong>St</strong>aatsrechtliche und staatspolitische Überlegungen<br />
zur materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
2.1 Argumente für eine materielle Harmonisierung<br />
2.1.1 Rationalisierungsfunktion<br />
2.1.2 <strong>St</strong>euergerechtigkeit<br />
2.1.3 Verhinderung der <strong>St</strong>euerflucht<br />
2.1.4 Föderalismus<br />
2.1.5 Wettbewerbsneutralität der <strong>St</strong>euern<br />
2.2 Die rechtliche Umsetzung der materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
2.3 Übergangsrechtliche Problematik<br />
2.4 Fazit aus staatsrechtlicher und staatspolitischer Sicht<br />
3 Auswirkungen auf die Kantons- und Gemeinde -<br />
finanzen<br />
3.1 Gefahr zunehmender Verschuldung von Kantonen<br />
und Gemeinden<br />
3.2 <strong>St</strong>euerpolitik voll in Bundeshand<br />
3.3 <strong>St</strong>euererhöhungen für Pflichtige in unteren<br />
Einkommensschichten<br />
3.4 Anpassungen zur Hauptsache in eine Richtung:<br />
nach oben<br />
3.5 Finanzielle Folgen des Bandbreitenmodells;<br />
Vergleich mit der NFA<br />
3.6 Fazit aus finanzwirtschaftlicher Sicht<br />
1 Einleitung<br />
Die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben<br />
zwischen Bund und Kantonen (NFA) befindet sich<br />
gegenwärtig in parlamentarischer Beratung. Die Volksabstimmung<br />
über die damit verbundenen Verfassungsänderungen<br />
findet voraussichtlich im Frühjahr 2004<br />
statt. Die Vorlage dürfte eine Annäherung der <strong>St</strong>euerbelastungsunterschiede<br />
zwischen den Kantonen um rund<br />
20 Prozent bringen. Einigen Kreisen geht dies zu wenig<br />
weit. So hat die Sozialdemokratische Fraktion der<br />
Bundes versammlung Prof. Hans Schmid (<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>) beauftragt,<br />
eine Kombination von materieller <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
und NFA zu prüfen. Der Beauftragte legte<br />
im Juli 2001 einen Bericht vor, in welchem solche Möglichkeiten<br />
beleuchtet werden. Zudem zeigt er einen<br />
Regelungsvorschlag auf Verfassungsstufe auf. Die SPS<br />
trägt sich mit dem Gedanken, diesen Vorschlag als<br />
Volksinitiative zu lancieren, wenn die NFA nicht eine<br />
starke Annäherung der interkantonalen <strong>St</strong>euerbelastungsunterschiede<br />
bringt.<br />
Der Bericht von Prof. Schmid 1 schlägt ein so genanntes<br />
Bandbreitenmodell für die <strong>St</strong>euerbelastung vor. Aus -<br />
gehend von verschiedenen, durch den Bund festzule -<br />
genden Einheitstarifen (inkl. <strong>St</strong>euerfreibeträgen) für die<br />
Einkommens- und die Vermögenssteuern der natür -<br />
lichen Personen sowie die Gewinn- und die Kapital -<br />
steuern der juristischen Personen würde allen Kantonen<br />
und Gemeinden nur noch eine Differenzierung dieser<br />
Einheits-<strong>St</strong>euertarife um ±20 Prozent erlaubt. Die maximalen<br />
<strong>St</strong>euerbelastungsunterschiede würden sich auf<br />
ein Verhältnis von 1:1,5 reduzieren, wogegen sich heute<br />
im Extremfall zwischen Freienbach/SZ sowie Lauterbrunnen/BE<br />
bei gewissen Einkommensgruppen ein Verhältnis<br />
von 1:4,7 ergibt.<br />
Das Bandbreitenmodell würde für gewisse Kantone und<br />
Gemeinden (mit heute hoher <strong>St</strong>euerbelastung) Einnah-<br />
* Vorsteher der Finanzverwaltung des Kantons Luzern und<br />
Sekretär der Finanzdirektorenkonferenz<br />
** Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong> und<br />
Leiter der Koordinations- und Beratungsstelle der Finanzdirektorenkonferenz<br />
1 Hans Schmid, Materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung und Neuer<br />
Finanzausgleich; Möglichkeiten und Grenzen der Kombination<br />
der beiden Harmonisierungsinstrumente – Regelungsvorschläge<br />
auf Verfassungsstufe; Gutachten im Auftrag der<br />
Sozial demokratischen Fraktion der Bundesversammlung,<br />
<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong> 2001, publiziert auf www.sp-ps.ch.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
150 Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
menausfälle zur Folge haben, für gewisse Kantone und<br />
Gemeinden (mit heute tiefer <strong>St</strong>euerbelastung) Mehreinnahmen.<br />
Diese Veränderungen wären über den Finanzausgleich<br />
zu korrigieren, insbesondere über die in der<br />
NFA vorgesehenen Instrumente des Ressourcenausgleichs<br />
und des Lastenausgleichs. Den Kantonen würde<br />
vorgeschrieben, für den innerkantonalen Finanzausgleich<br />
ein analoges System anzuwenden.<br />
Die Auswirkungen dieses Systems der materiellen<br />
<strong>St</strong>euer harmonisierung auf die Kantone und Gemeinden<br />
wären einschneidend. Es wird nachfolgend versucht,<br />
die gravierendsten Folgen aufzuzeigen. In einem ersten<br />
Abschnitt wird auf die staatsrechtlichen und staatspo li -<br />
tischen Konsequenzen hingewiesen. Der zweite Teil<br />
befasst sich mit den Auswirkungen auf die Kantonsund<br />
Gemeindefinanzen, wobei nur auf die Einkommenssteuerbelastung<br />
der natürlichen Personen eingegangen<br />
wird; die Erkenntnisse für die Vermögens -<br />
steuern der natürlichen Personen sowie die Gewinnund<br />
Kapitalsteuern der juristischen Personen wären<br />
ähnlich.<br />
2 <strong>St</strong>aatsrechtliche und staatspolitische<br />
Überlegungen zur materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
2.1 Argumente für eine materielle Harmonisierung<br />
2.1.1 Rationalisierungsfunktion<br />
Die Rationalisierungsfunktion spricht die mit der ma -<br />
teriellen <strong>St</strong>euerharmonisierung erhofften Rationali -<br />
sierungsmöglichkeiten für das schweizerische <strong>St</strong>euer -<br />
system und die damit erwartete Effizienzsteigerung der<br />
öffentlichen Verwaltung an.<br />
Zweifellos wird der Gesetzgebungsaufwand minimiert,<br />
wenn anstelle von 27 <strong>St</strong>euerordnungen nur noch eine<br />
Bundessteuerordnung geschaffen werden muss. Die<br />
Praxis zeigt indessen, dass bereits heute die 26 kantonalen<br />
<strong>St</strong>euerordnungen in grossen Teilen auch in materieller<br />
Hinsicht angeglichen sind, ohne dass ein Zwang zur<br />
vollständigen Harmonisierung besteht. Untersuchungen<br />
der Schweizerischen <strong>St</strong>euerkonferenz haben ergeben,<br />
dass in mehreren nicht harmonisierten und nicht ins<br />
<strong>St</strong>HG integrierten Bereichen die Kantone ihre kantonalen<br />
<strong>St</strong>euergesetze untereinander angeglichen haben und<br />
diesbezüglich das DBG die Rolle eines Mustergesetzes<br />
übernommen hat. Bestehende Abweichungen lassen<br />
sich mit kantonalen und regionalen Besonderheiten<br />
erklären, die damit weiterhin berücksichtigt werden<br />
können, ohne dass ein Zwang zur vollständigen Nivellierung<br />
besteht.<br />
2.1.2 <strong>St</strong>euergerechtigkeit<br />
Mit der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung soll für die<br />
ganze Schweiz aufgrund des Gleichmässigkeitsgebots<br />
eine einheitliche <strong>St</strong>euerlast für in wirtschaftlich gleichen<br />
Verhältnissen lebende Bürger geschaffen werden.<br />
Die heutige föderalistische Ausgestaltung der kanto nalen<br />
<strong>St</strong>euergesetze widerspricht der <strong>St</strong>euergerechtigkeit<br />
nicht. Die allgemein anerkannten Grundsätze zur <strong>St</strong>euer -<br />
gerechtigkeit, nämlich die Besteuerung nach der wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit sowie die Grundsätze<br />
der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der <strong>St</strong>euer<br />
(Art. 127 Abs. 2 BV), erfüllen auch die kantonalen<br />
<strong>St</strong>euer ordnungen. Diese Grundsätze können nur inner -<br />
halb eines autonomen Gemeinwesens realisiert werden,<br />
nicht aber über die territoriale Hoheit des Souveräns hin -<br />
aus. Mit andern Worten führt das Postulat der materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung direkt zu einem Einheitsstaat und<br />
zur Aufgabe des föderalistischen <strong>St</strong>aatsaufbaus. Mit dem<br />
gleichen Argument müsste man eine einheit liche <strong>St</strong>euerordnung<br />
z.B. für ganz Europa fordern.<br />
2.1.3 Verhinderung der <strong>St</strong>euerflucht<br />
Die materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung will die <strong>St</strong>euerflucht<br />
in einen steuergünstigen Kanton oder eine steuergünstige<br />
Gemeinde verhindern.<br />
Dieses Argument unterstellt, dass die Wahrnehmung von<br />
verfassungsmässigen Rechten, wie das Recht auf persönliche<br />
Freiheit (Art. 10 BV) oder die Niederlassungsfreiheit<br />
(Art. 24 BV), zwar legal, aber nicht legitim sei.<br />
Gleichzeitig wird mit dem Blick auf die EU und ihre Bemühungen<br />
zum Ausmerzen von <strong>St</strong>eueroasen eine absolut<br />
gleiche fiskalische Belastung für alle Bürger des EU-<br />
Raums postuliert. Eine derartige, allgemeine Gleichmacherei<br />
kann indessen nicht erstrebenswert sein, wenn<br />
man den Grundsatz der Selbstbestimmung des Individuums<br />
hochhält.<br />
2.1.4 Föderalismus<br />
Aufgrund des Gleichmässigkeitspostulats der materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung wird eine <strong>St</strong>ärkung des Föderalismus<br />
unterstellt.<br />
Dieses Argument verkennt vollständig, dass die autonome<br />
Bestimmung über die Finanzen nicht nur bei den<br />
Ausgaben, sondern ebenso sehr bei den Einnahmen entscheidend<br />
ist (siehe Abschn. 2.2 «Die rechtliche Umsetzung<br />
der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung»).<br />
2.1.5 Wettbewerbsneutralität der <strong>St</strong>euern<br />
Die materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung will die Wettbewerbsneutralität<br />
dadurch sicherstellen, dass steuergünstige<br />
Gemeinden keinen <strong>St</strong>andortvorteil mehr besitzen.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
151<br />
Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität des <strong>St</strong>aats<br />
verlangt, dass innerhalb des gleichen Hoheitsgebiets<br />
nicht wettbewerbsverzerrende Vergünstigungen angeboten<br />
werden. Materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung aufgrund<br />
des Postulats der Wettbewerbsneutralität bedeutet somit<br />
automatisch die Aufgabe der Gebietshoheit von Gemeinden<br />
und Kantonen und die Übertragung auf den Bund.<br />
2.2 Die rechtliche Umsetzung der materiellen<br />
<strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
Der Vorschlag verlangt eine materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
aller direkten kantonalen und kommunalen <strong>St</strong>euern,<br />
mit Ausnahme der Kirchensteuern. Die <strong>St</strong>euerbelastungsunterschiede<br />
dürfen eine bestimmte Bandbreite<br />
nicht übersteigen. Diese Schwankungsbreiten wären im<br />
Kanton auf die Kantons- und Gemeindesteuern zu verteilen.<br />
Dies hätte gravierende Auswirkungen auf die<br />
Aufgabenerfüllung.<br />
Die Kantone und Gemeinden haben bestimmte Aufgaben<br />
zu erfüllen. Diese Aufgaben können selbstgewählt<br />
oder vom Bund oder den Kantonen übertragen sein. Die<br />
Finanzierung dieser Aufgaben hat durch das Gemeinwesen<br />
zu erfolgen. Genügen die finanziellen Mittel zur<br />
Erfüllung der gesetzlich vorgegebenen Aufgaben nicht,<br />
so hat ein anderes Gemeinwesen die fehlenden Mittel zu<br />
ersetzen. Dies setzt voraus, dass das zuschusspflichtige<br />
Gemeinwesen eine Kontrolle über das Gemeinwesen<br />
ausübt, welches die Mittel einverlangt. Nur so kann<br />
sichergestellt werden, dass die Mittelverwendung<br />
zweckmässig und gesetzmässig ist. Mit andern Worten<br />
setzt die Einführung einer verbindlichen Bandbreite voraus,<br />
dass der Bund gegenüber den Kantonen und Gemeinden<br />
eine effiziente Finanzkontrolle einsetzt und tatsächlich<br />
ausübt. Die Budgets von Kantonen und<br />
Gemeinden, die Finanzausgleichsmittel beanspruchen,<br />
sind demzufolge dem Bund zur Genehmigung zu unterbreiten,<br />
ebenso die Rechnungsabschlüsse.<br />
Dieselben Überlegungen gelten auch für gutsituierte<br />
Kantone und Gemeinden, welche den <strong>St</strong>euerfuss senken<br />
wollen. Diese sind ja grundsätzlich verpflichtet,<br />
überschüssige, für die Erfüllung ihrer Aufgaben nicht<br />
benötigte finanzielle Mittel dem Bund zur Ausgestaltung<br />
des horizontalen Finanzausgleichs abzuliefern.<br />
Auch dies verlangt eine effiziente Mittelverwendung,<br />
und der Bund muss kontrollieren, dass die effektiv<br />
nicht benötigten Mittel abgeführt werden. Demzufolge<br />
haben auch die bestsituierten Kantone und Gemeinden<br />
dem Bund Budget und Rechnung zur Genehmigung zu<br />
unterbreiten.<br />
Das Gutachten Schmid schweigt sich zu dieser Problematik<br />
vollständig aus. Es geht stillschweigend davon<br />
aus, dass die Finanzausgleichsinstrumente, die in den<br />
Kantonen gegenüber den Gemeinden zum Einsatz<br />
kommen, ohne weiteres auf den Bund übertragen werden<br />
können. Dabei wird ausser Acht gelassen, dass die<br />
Kantone aus der Sicht der Bundesverfassung originäre<br />
Hoheitsträger sind, nicht aber die Gemeinden. Die<br />
Gemeinden sind nur insoweit autonom, als die kantonale<br />
Verfassung bzw. Gesetzgebung dies vorsieht<br />
(Art. 50 Abs. 1 BV). Dies ist ein wesentlicher Unterschied<br />
zur Selbständigkeit der Kantone nach schweizerischem<br />
Verfassungsverständnis. Diesen Unterschieden<br />
wird im Gutachten keinerlei Beachtung geschenkt.<br />
2.3 Übergangsrechtliche Problematik<br />
Die materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung soll innert drei<br />
Jahren realisiert werden. Sofern dies nicht möglich ist,<br />
erlässt der Bundesrat nach Ablauf der drei Jahre auf<br />
dem Verordnungsweg die entsprechenden gesetzesvertretenden<br />
Bestimmungen. Dieser Zeithorizont ist völlig<br />
unrealistisch. Wenn man daran denkt, dass allein die<br />
Verwirklichung der formellen Harmonisierung über<br />
25 Jahre gedauert hat, wird es nicht möglich sein, auf<br />
dem ordentlichen Gesetzgebungsweg innert drei Jahren<br />
eine materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung durchzuführen.<br />
Dabei muss man sich nicht an den 25 Jahren für die formelle<br />
Harmonisierung orientieren, es genügt ein Blick<br />
auf die Komplexität der Materie und die allgemeine<br />
Praxis im Gesetzgebungsprozess.<br />
Die Übergangsregelung macht deutlich, dass das föderalistische<br />
System im Finanzbereich völlig zerschlagen<br />
werden soll. Die vorgesehenen Zeithorizonte<br />
erlauben nicht einmal die Umsetzung auf dem ordentlichen<br />
Gesetzgebungsweg. Es dürfte zudem selbst dem<br />
Bundesrat schwer fallen, innert drei Jahren auf dem<br />
Verordnungsweg ein materiell harmonisiertes <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong><br />
zu konzipieren.<br />
2.4 Fazit aus staatsrechtlicher und staatspolitischer<br />
Sicht<br />
Die materielle <strong>St</strong>euerharmonisierung operiert mit verfassungsrechtlichen<br />
Grundsätzen, die nur dann greifen,<br />
wenn man von einem Einheitsstaat ausgeht. Solange<br />
man akzeptiert, dass die Schweiz ein föderalistisches<br />
<strong>St</strong>aatsgebilde mit selbständigen Gebietskörperschaften<br />
und eigenen autonomen Rechtssetzungskompetenzen<br />
ist, finden die aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Postulate<br />
nur innerhalb der autonomen Gebietskörperschaften<br />
Anwendung.<br />
Die unreflektierte Ausdehnung der Grundsätze des<br />
innerkantonalen Finanzausgleichs auf einen interkantonalen<br />
Finanzausgleich übersieht, dass alsdann sowohl<br />
gutsituierte wie schlechtsituierte Gemeinwesen der<br />
Kontrolle des übergeordneten <strong>St</strong>aatswesens unterstellt<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
152 Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
werden müssen. Damit wird unmittelbar ein Zentralstaat<br />
geschaffen.<br />
Die vorgeschlagene Übergangsregelung ist zudem unrealistisch<br />
und verstärkt die Tendenz zum Einheitsstaat.<br />
3 Auswirkungen auf die Kantonsund<br />
Gemeindefinanzen<br />
3.1 Gefahr zunehmender Verschuldung von<br />
Kantonen und Gemeinden<br />
Heute ist jeder Kanton autonom, die <strong>St</strong>euersätze und die<br />
<strong>St</strong>euerfreibeträge im <strong>St</strong>euergesetz festzulegen. Auf<br />
deren Basis ergeben sich die <strong>St</strong>euergrundbeträge («einfache<br />
<strong>St</strong>euer»). Durch Multiplikation dieser <strong>St</strong>euergrundbeträge<br />
mit den <strong>St</strong>euerfüssen des Kantons und der Gemeinde<br />
ergibt sich der geschuldete <strong>St</strong>euerbetrag. Die<br />
<strong>St</strong>euerfüsse der Kantone und der Gemeinden spiegeln<br />
unter anderem den Bedarf wider, der sich aus den Präferenzen<br />
der Parlamente und der Bürgerinnen und<br />
Bürger in der Ausgabenpolitik ergibt. Die Festlegung<br />
des <strong>St</strong>euerfusses ist Ausdruck für direkte Demokratie<br />
und Selbstverantwortung. In diesem Sinne ist heute<br />
Deckungsgleichheit zwischen Ausgabe, Kompetenz<br />
und Verantwortung gegeben. Diese Selbstverantwor -<br />
tung wirkt zweifellos ausgabendämmend.<br />
Völlig ungeklärt ist im Bandbreitenmodell das Verhältnis<br />
der <strong>St</strong>eueraufteilung zwischen dem Kanton und<br />
seinen Gemeinden. Die Gemeinden werden noch mehr<br />
als heute vom Kanton abhängig. Der Kanton wird den<br />
Gemeinden die Ausschöpfung des Einheitstarifs vorschreiben<br />
müssen. Die Gemeinden laufen mit dem Modell<br />
auch Gefahr, wegen allfälliger künftiger <strong>St</strong>euererhöhungen<br />
des Kantons finanziell immer mehr eingeschränkt<br />
zu werden, weil die Maxima fixiert sind und<br />
sie <strong>St</strong>euererhöhungen durch die Kantone nicht mit einer<br />
eigenen <strong>St</strong>euererhöhung kompensieren können.<br />
Mit dem Bandbreitenmodell fällt die Möglichkeit, die<br />
Einnahmen entsprechend dem Bedarf zu variieren, zum<br />
grössten Teil weg. Die Zuschläge zu den Einheitstarifen<br />
wären auf 20 Prozent beschränkt. Höhere <strong>St</strong>euern dürften<br />
nicht verlangt werden. Es ist eine offen gelassene<br />
Frage, was passiert, wenn die Ausgaben wegen gesellschaftlicher<br />
Bedürfnisse oder neuer Bundesgesetze<br />
steigen oder wenn Bürgerinnen und Bürger oder Parlamente<br />
zusätzliche laufende Ausgaben oder Investitionen<br />
beschliessen. Die Finanzierung kann beim Bandbreitenmodell<br />
diesem höheren <strong>St</strong>andard nicht angepasst<br />
werden. Die Antwort ist rasch gefunden: Die Verschul -<br />
d ung erhöht sich. Anschauliche Beispiele dafür gibt es<br />
in Deutschland. Die Einnahmen der deutschen Kommunen<br />
sind zu weiten Teilen durch den Bund einheitlich<br />
geregelt. Weil die steigenden Ausgaben nicht mit Einnahmenerhöhungen<br />
aufgefangen werden können, steht<br />
es um die Finanzen der deutschen Kommunen sehr<br />
schlecht.<br />
Folge davon könnte eine zunehmende Aufgabenverlagerung<br />
auf den Bund und damit ein verstärkter Zentralismus<br />
sein. Keine realistische Möglichkeit wäre es, zu<br />
Gunsten der verschuldeten Kantone und Gemeinden laufend<br />
den Umfang des Ressourcenausgleichs zu erhöhen.<br />
Dies würde die Leistungsbereitschaft der Zahlerkantone<br />
und -gemeinden rasch zunichte machen. Auch hier lässt<br />
sich auf das abschreckende deutsche Beispiel des Länderfinanzausgleichs<br />
mit der vollständigen Nivellierung<br />
verweisen. Bekanntlich hat das deutsche Bundesverfassungsgericht<br />
diesen Finanzausgleich auf Klage der Bundesländer<br />
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen aufgehoben.<br />
3.2 <strong>St</strong>euerpolitik voll in Bundeshand<br />
Die Regelungskompetenz betreffend die direkten <strong>St</strong>euern,<br />
insbesondere betreffend Tarif, Freibeträge, Progressionsverlauf<br />
und Marginalsätze, liegt heute zum<br />
überwiegenden Teil bei den Kantonen. Die Kantone<br />
legen diese Parameter nach eigenen politischen Bedürfnissen<br />
und nach der <strong>St</strong>ruktur der Kantonsbevölkerung<br />
und des <strong>St</strong>euersubstrats fest. Dabei nehmen die Kantone<br />
auch auf die <strong>St</strong>rukturen ihrer Gemeinden Rücksicht.<br />
Die kantonalen und kommunalen Besonderheiten<br />
werden berücksichtigt, wie Verstädterung, hohe Anteile<br />
an landwirtschaftlicher Bevölkerung, hohe Anteile an<br />
Alleinstehenden, hohe Kinderzahlen, besondere Verhältnisse<br />
bei den Kapitalgesellschaften usw. Grundsätzlich<br />
besitzt heute jeder Kanton das massgeschneiderte<br />
<strong>St</strong>euersystem, das für ihn, seine Gemeinden, seine<br />
Bevölker ung und seine Wirtschaft ein optimales Resultat<br />
bringt.<br />
Der <strong>St</strong>euertarif des Kantons X kann nicht auf den Kanton<br />
Y angewendet werden. Hätte der Kanton Jura beispielsweise<br />
den <strong>St</strong>euertarif des Kantons Genf, verminderten<br />
sich die Einnahmen des Kantons Jura um die<br />
Hälfte.<br />
Mit dem vorgeschlagenen Modell wären – mit Ausnahme<br />
der ± 20-Prozent-Bandbreite – alle <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong>s-Kom -<br />
petenzen in Bundeshand. Insbesondere könnte der<br />
Bundesgesetzgeber die marginale <strong>St</strong>euerbelastung, den<br />
Progressionsverlauf oder die Freigrenzen nach eigenem<br />
Gutdünken ändern. Es ist klar, dass dabei nicht mehr auf<br />
die besonderen <strong>St</strong>rukturen der einzelnen Kantone und<br />
Gemeinden Rücksicht genommen werden könnte. Pe -<br />
riodische Veränderungen bei diesen Parametern würden<br />
damit die einzelnen Kantone finanziell ganz unterschiedlich<br />
treffen, und es wäre ihnen verunmöglicht, die Aus-<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
153<br />
wirkungen – mit Ausnahme des Ausschöpfens der Bandbreite<br />
von ± 20 Prozent – über den <strong>St</strong>euerfuss zu korrigieren.<br />
Die einzelnen Gemeinden mit ihren kleineren <strong>St</strong>rukturen<br />
wären davon noch in einem viel grösseren Ausmass<br />
betroffen. Auf solche Veränderungen müsste mit einer<br />
Anpassung des Finanzausgleichssystems reagiert werden,<br />
wobei es unmöglich wäre, dabei exakt immer die<br />
richtigen Kantone und Gemeinden zu begünstigen oder<br />
zu belasten.<br />
Es wäre aber auch zu erwarten, dass die <strong>St</strong>euertarife der<br />
direkten Bundessteuer und der harmonisierten Kantonsund<br />
Gemeindesteuern über kurz oder lang gleichgeschaltet<br />
würden, zumal dies eine administrative Vereinfachung<br />
mit sich brächte. Die Anwendung eines solchen<br />
Einheitstarifs könnte für die Kantone und Gemeinden<br />
noch einschneidendere Veränderungen bringen. Wenn<br />
man sich in Richtung des einer Reichtumssteuer ähnlichen<br />
Tarifs der direkten Bundessteuer bewegte, entginge<br />
den meisten Kantonen und Gemeinden ein grosser Teil<br />
ihres <strong>St</strong>euersubstrats. Wenn man sich in Richtung eines<br />
alle Einkommensgruppen umfassenden Tarifs bewegte,<br />
würde sich der Bund am bisherigen <strong>St</strong>euer subs trat der<br />
Kantone und Gemeinden vermehrt bedienen.<br />
Mit einem Einheitstarif würde man sich einem <strong>St</strong>euerverbund-Modell<br />
nach deutschem Muster nähern. In<br />
Deutschland wird heute mühsam versucht, davon wegzukommen,<br />
um für die Finanzpolitik der Länder und<br />
Gemeinden mehr Spielraum und positive Anreize zu<br />
schaffen.<br />
3.3 <strong>St</strong>euererhöhungen für Pflichtige in unteren<br />
Einkommensschichten<br />
In der Öffentlichkeit ist die Ansicht verbreitet, mit der<br />
materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung werde endlich der<br />
<strong>St</strong>euerflucht der Gutsituierten in die so genannten<br />
«<strong>St</strong>eueroasen» ein Riegel geschoben. Dies kann der Fall<br />
sein. Es ist aber zu beachten, dass in diesen Kantonen<br />
und Gemeinden die <strong>St</strong>euerbelastung für die unteren<br />
Einkommenskategorien ebenfalls sehr günstig ist.<br />
Auch breite Kategorien von <strong>St</strong>euerpflichtigen in Kantonen<br />
und Gemeinden mit einem sehr sozialen <strong>St</strong>euertarif<br />
(hohe Freigrenze, spät einsetzende Progression) hätten<br />
mit dem neuen Modell höhere <strong>St</strong>euern zu bezahlen.<br />
Dies soll anhand der Kantone Genf und Zug sowie der<br />
Gemeinde Küsnacht/ZH aufgezeigt werden (s. Grafik 1).<br />
Genf ist ein Kanton mit einer sehr tiefen <strong>St</strong>euerbelastung<br />
in den unteren Kategorien und einer hohen <strong>St</strong>euerbelastung<br />
in den oberen Kategorien, währenddem der Kanton<br />
Zug für alle Kategorien steuergünstig ist. In der Gemeinde<br />
Küsnacht/ZH kommt der soziale Tarif des Kantons<br />
Zürich, kombiniert mit einem tiefen <strong>St</strong>euerfuss, zur Anwendung.<br />
Im Kanton Genf müssten die <strong>St</strong>euern ausschliesslich für<br />
die Einkommenskategorien bis rund Fr.70000.– er höht<br />
werden; für die oberen Einkommenskategorien ergäben<br />
sich keine Veränderungen. In Küsnacht/ZH müssten die<br />
<strong>St</strong>euern für die mittleren Einkommenskategorien erhöht<br />
Grafik 1: Bandbreitenmodell im Vergleich mit <strong>St</strong>euerbelastung 2001 in den Kantonen Zug, Genf<br />
sowie der Gemeinde Küsnacht/ZH (Verheirateter ohne Kinder; <strong>St</strong>aats-, Gemeinde- und<br />
Kirchensteuer); Bandbreite berechnet aufgrund der gesamtschweizerischen <strong>St</strong>euerbelastung<br />
<strong>St</strong>euerbelastung in %<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Gemeinde<br />
Küsnacht/ZH<br />
obere<br />
Bandbreite<br />
untere<br />
Bandbreite<br />
Kanton Zug<br />
10<br />
Kanton Genf<br />
5<br />
0<br />
20000 40000 60000 80000 100000 150000 200000 300000 500000 1000000<br />
Einkommen<br />
Quelle: <strong>St</strong>euerbelastung in der Schweiz, natürliche Personen nach Gemeinden 2001, Bern 2002<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
154 Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
werden. Im Kanton Zug müssten die <strong>St</strong>euern für alle<br />
Einkommenskategorien stark erhöht werden, somit<br />
auch für die untersten Einkommenskategorien, welche<br />
mit der heutigen <strong>St</strong>euerersparnis einen Teil der im Kanton<br />
Zug überdurchschnittlichen Lebenshalt ungskosten<br />
(Mieten) decken können.<br />
3.4 Anpassungen zur Hauptsache in eine<br />
Richtung: nach oben<br />
Die <strong>St</strong>euerbelastung klafft heute vor allem im unteren<br />
Einkommensbereich auseinander. Im Bereich hoher<br />
<strong>St</strong>euerbelastungen gibt es (nach dem Gesamtindex der<br />
<strong>St</strong>euerbelastung) nur wenige Kantone, welche die obere<br />
Bandbreite von 120 Prozent übersteigen (vor allem der<br />
Kanton Jura mit einem Gesamtindex von 132 Punkten).<br />
Gegen unten sind die Differenzen bedeutender: Zug<br />
liegt mit einem Gesamtindex von 50,7 Punkten an der<br />
Spitze. Im Kanton Jura würden die <strong>St</strong>euern mit dem<br />
Bandbreitenmodell insgesamt um effektiv 9,1 Prozent<br />
sinken, wogegen die <strong>St</strong>euern in Zug um effektiv 57,8<br />
Prozent angehoben werden müssten. Würde man die<br />
<strong>St</strong>euerbelastungen in den einzelnen Gemeinden betrachten,<br />
wären die Differenzen bedeutender (geringfügig<br />
grössere Differenzen im oberen Bereich und beträchtlich<br />
grössere Differenzen im unteren Bereich).<br />
In der Grafik 2 werden die Progressionskurven aller<br />
Kantone (kantonale Durchschnittsbelastungen) in das<br />
Bandbreitenmodell eingebettet. Zudem sind die Kurven<br />
der landesweit steuergünstigsten (Freienbach/SZ) und<br />
steuerungünstigsten Gemeinde (Lauterbrunnen/BE)<br />
ein gezeichnet. Die Kurven der <strong>St</strong>euerbelastungen in<br />
den übrigen 3000 Gemeinden befinden sich grösstenteils<br />
zwischen diesen beiden Extremen.<br />
Im oberen <strong>St</strong>euerbelastungssegment würde sich relativ<br />
wenig verändern. Die meisten kantonalen <strong>St</strong>euerprogressionskurven<br />
liegen innerhalb der vorgeschriebenen<br />
Bandbreite. Im unteren Segment wären beträchtliche<br />
Auswirkungen zu verzeichnen. In der Gemeinde Freienbach<br />
wären die <strong>St</strong>aats- und Gemeindesteuern je nach<br />
Einkommensklasse zu verdoppeln bis zu verdreifachen.<br />
In Lauterbrunnen würden die <strong>St</strong>aats- und Gemeindesteuern<br />
erst ab einem Einkommen von 50 000 Franken<br />
um rund 10 Prozent sinken.<br />
Mit dem Bandbreitenmodell würde die <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
somit hauptsächlich in der Form einer Angleichung<br />
von unten her erreicht. Insgesamt würden die <strong>St</strong>euern<br />
in den heute steuerwettbewerbsfähigsten Kantonen<br />
und Gemeinden stark angehoben. Die internationale<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz würde geschmälert.<br />
Grafik 2: Bandbreitenmodell im Vergleich mit <strong>St</strong>euerbelastung 2001 in allen Kantonen sowie in<br />
den Gemeinden Lauterbrunnen und Freienbach (Verheirateter ohne Kinder; <strong>St</strong>aats-, Gemeinde- und<br />
Kirchensteuer); Bandbreite berechnet aufgrund der gesamtschweizerischen <strong>St</strong>euerbelastung<br />
<strong>St</strong>euerbelastung in %<br />
35<br />
30<br />
25<br />
Lauterbrunnen<br />
obere Bandbreite<br />
20<br />
untere<br />
Bandbreite<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Freienbach<br />
0<br />
20000 40000 60000 80000 100000 150000 200000 300000 500000 1000000<br />
Einkommen<br />
Quelle: <strong>St</strong>euerbelastung in der Schweiz, natürliche Personen nach Gemeinden 2001, Bern 2002<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Kurt <strong>St</strong>alder/Ulrich Cavelti, Das Bandbreitenmodell der materiellen <strong>St</strong>euerharmonisierung<br />
155<br />
Der Ausgaben hemmende <strong>St</strong>euerdruck in den hochbelasteten<br />
Kantonen und Gemeinden würde nachlassen. Die<br />
<strong>St</strong>euer- und <strong>St</strong>aatsquote würde sich erhöhen. Die Finanzpolitik<br />
würde in den stark tangierten Kantonen und Gemeinden<br />
vollständig verändert; es würde bei der minimal<br />
vorgeschriebenen <strong>St</strong>euerbelastung von 80% nur noch wenig<br />
Anreiz für die Erhöhung des eigenen <strong>St</strong>euersubstrats<br />
bestehen.<br />
3.5 Finanzielle Folgen des Bandbreitenmodells;<br />
Vergleich mit der NFA<br />
Prof. Schmid sieht vor, dass der im Bandbreitenmodell<br />
notwendige finanzielle Ausgleich mittels der Instrumente<br />
der NFA vorzunehmen sei.<br />
In Frage kommt dafür in erster Linie der horizontale<br />
Ressourcenausgleich (direkte Abschöpfungen). Insbesondere<br />
müssten Abschöpfungen in den Kantonen Zug,<br />
Schwyz, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden, Tessin<br />
und Genf erfolgen, deren <strong>St</strong>euerbelastungen ganz oder<br />
teilweise unterhalb der unteren Bandbreite liegen (in<br />
den Kantonen Tessin und Genf im unteren Segment, in<br />
den andern Kantonen in allen Segmenten oder im<br />
ober en Segment). Der Gesamtsteuerbelastungsindex<br />
liegt allerdings nur bei Zug, Schwyz und Nidwalden unter<br />
der 80-%-Grenze.<br />
Keine Abschöpfungen wären bei den im NFA-Modell<br />
am Ressourcenausgleich beteiligten Kantonen Zürich,<br />
Basel-<strong>St</strong>adt und Basel-Landschaft vorzunehmen, da<br />
deren <strong>St</strong>euerbelastungskurven innerhalb der Bandbreite<br />
liegen.<br />
Die Kantone müssten ergänzend im innerkantonalen<br />
Finanzausgleich mit Abschöpfungen dafür sorgen, dass<br />
auf Gemeindestufe dieselbe Wirkung erreicht wird. So<br />
müssten beispielsweise im zürcherischen Finanzausgleich<br />
die Abschöpfungen bei den steuergünstigsten<br />
Gemeinden (s. Grafik 1, insbesondere die Belastungskurve<br />
von Küsnacht/ZH) gegenüber heute stark erhöht<br />
werden, und das Geld wäre an die schwächeren zürcherischen<br />
Gemeinden zu verteilen.<br />
Das NFA-Modell des Ressourcenausgleichs funktioniert<br />
anders: Massgebend für den horizontalen Ausgleich<br />
ist das Ressourcenpotential und nicht dessen<br />
Ausschöpfung. Deshalb erbringt der Kanton Zürich im<br />
NFA-Modell wegen seines hohen Ressourcenpotentials<br />
rund die Hälfte des gesamten horizontalen Ausgleichs.<br />
Keinesfalls dürfte man, um die Kantone Zug, Schwyz<br />
und Nidwalden mehr zu belasten, einfach die NFA-Abschöpfung<br />
erhöhen. Der Kanton Zürich müsste Hunderte<br />
von Millionen mehr beisteuern. Der Kanton Schwyz<br />
könnte nur marginal mehr belastet werden, da seine<br />
günstige <strong>St</strong>euerbelastung auf tiefe Ausgaben und nicht<br />
so sehr auf ein hohes Ressourcenpotential zurückgeht.<br />
Bandbreitenmodell und NFA-Modell sind betreffend<br />
Ressourcenausgleich nicht kompatibel. Beim Bandbreitenmodell<br />
dürften ins Gewicht fallende Abschöpfungen<br />
nur bei den Kantonen Zug, Schwyz und Nidwalden vorgenommen<br />
werden. Die maximal mögliche Summe würde<br />
sich auf insgesamt Fr. 536 Mio. belaufen, wobei auf Zug<br />
Fr. 384 Mio. entfielen, auf Schwyz Fr. 142 Mio. und auf<br />
Nidwalden Fr. 10 Mio. Im NFA-Ressourcen ausgleich<br />
betragen die Abschöpfungen für Zug Fr. 135 Mio., für<br />
Schwyz Fr. 25 Mio. und für Nidwalden Fr. 14 Mio.<br />
Die vom Bandbreitenmodell anvisierte Abschöpfung bei<br />
den steuergünstigen Körperschaften ist aber auch grundsätzlich<br />
nicht praktikabel. Da die minimale Besteuerung<br />
auf die untere Bandbreite von 80 Prozent des Einheits -<br />
tarifs festgelegt wäre, existierten nach Einführung dieses<br />
Modells keine über die Spanne von ± 20 Prozent hinaus<br />
gehenden <strong>St</strong>euerbelastungsunterschiede mehr. Wenn<br />
man also die in einem Kanton wie Zug oder in einer<br />
Gemeinde wie Freienbach nicht benötigten Mittel<br />
abschöpfen wollte, müsste dies mittels einer Schatten -<br />
rechn ung (durchgeführt von einer zentralen Aufsichtsstelle<br />
– z.B. durch den Bund?) erfolgen. Man müsste<br />
also dauerhaft errechnen, wie hoch der effektive <strong>St</strong>euerbedarf<br />
dieser Körperschaften ist. Alle Einnahmen und<br />
Ausgaben dieser Körperschaften müssten auf ihre An -<br />
gemessenheit überprüft werden. Die Differenz zwischen<br />
diesem hypothetischen <strong>St</strong>euerbedarf und den 80 Prozent<br />
müsste abgeschöpft werden. Nicht endende Diskussionen<br />
um eine solche Bemessung würden einsetzen. Diese<br />
Körperschaften würden praktisch bevormundet, und sie<br />
könnten beispielsweise nicht mehr autonom entscheiden,<br />
eine Ausgabe im frei bestimmbaren Bereich zu<br />
tätigen oder einen Einnahmenverzicht im Verursacherbereich<br />
(z.B. Abschaffung einer Gebühr) zu beschliessen.<br />
Ein solches Modell wäre unmöglich zu vollziehen<br />
und würde die Auto nomie dieser Körperschaften vollständig<br />
aushöhlen.<br />
3.6 Fazit aus finanzwirtschaftlicher Sicht<br />
Das Bandbreitenmodell weist gravierende Nachteile<br />
auf. Es würde die <strong>St</strong>ruktur der Kantons- und Gemeindefinanzen<br />
vollständig umkrempeln. Der Föderalismus in<br />
der heutigen Form könnte abdanken. Wichtige positive<br />
Anreize des heutigen Systems gingen verloren. Mit den<br />
Instrumenten der NFA, insbesondere mit dem horizontalen<br />
Ressourcenausgleich, ist das Bandbreitenmodell<br />
nicht vereinbar. Der Ressourcenindex der NFA müsste<br />
umgebaut werden. Es müssten wieder Belastungs -<br />
kriterien eingebaut werden, was man im NFA-System<br />
wegen der Fehlanreize und wegen der Möglichkeit der<br />
Beeinflussbarkeit gerade verhindern wollte.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
156<br />
Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2<br />
Lic. iur. Rainer Zigerlig*/Lic. iur. Agostino Cozzio**/Eric Hess, Fürsprecher***<br />
Inhalt<br />
1 Bund<br />
1.1 Ehepaar- und Familienbesteuerung<br />
1.2 Wohneigentumsbesteuerung<br />
1.3 Umsatzabgabe<br />
2 Kantone<br />
2.1 Bern<br />
2.2 Basel-Landschaft<br />
2.3 Basel-<strong>St</strong>adt<br />
2.4 Freiburg<br />
2.5 Neuenburg<br />
2.6 Schaffhausen<br />
2.7 Zürich<br />
3 Doppelbesteuerungsabkommen<br />
* Leiter des Kantonalen <strong>St</strong>eueramts <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>, <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong><br />
** Juristischer Mitarbeiter des Kantonalen <strong>St</strong>eueramts <strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong>,<br />
<strong>St</strong>.<strong>Gallen</strong><br />
*** <strong>St</strong>ellvertreter des Chefs der Abteilung für internationales<br />
<strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> und Doppelbesteuerungssachen, Eidg. <strong>St</strong>euerverwaltung,<br />
Bern<br />
1 Bund<br />
1.1 Ehepaar- und Familienbesteuerung<br />
In der Märzsession <strong>2003</strong> wurde das Differenzbereinigungsverfahren<br />
vom <strong>St</strong>änderat fortgeführt. Dabei hielt<br />
dieser im Wesentlichen an seinen ursprünglichen Beschlüssen<br />
fest. So lehnte er es erneut ab, den Kantonen<br />
die Einführung des Splittingsystems in Art. 11 <strong>St</strong>HG vorzuschreiben;<br />
vielmehr soll diese Bestimmung in der Fassung<br />
gemäss geltendem Recht beibehalten bleiben. Damit<br />
bliebe die Wahl des Systems zur Abstufung der Besteuerung<br />
von Alleinstehenden und Verheirateten weiterhin<br />
den kantonalen Gesetzgebern überlassen. Auch<br />
beharrte er darauf, dass Konkubinatspaaren mit Kindern<br />
kein Wahlrecht eingeräumt werde, sich als Familie besteuern<br />
zu lassen. Im Weiteren hielt er bei der direkten<br />
Bundessteuer an einem Kinderabzug in der Höhe von<br />
Fr. 9300 fest (demgegenüber hatte der Nationalrat diesen<br />
in der Dezembersession 2002 erneut auf Fr.11000 [und<br />
zusätzlicher Abzug von Fr. 3000 pro Kind in Ausbildung]<br />
festgelegt). Schliesslich hielt er auch am Gewinnsteuersatz<br />
bei der direkten Bundessteuer für Kapitalgesellschaften<br />
und Genossenschaften in der Höhe von<br />
8,5% gemäss geltendem Recht fest. (In dieser Frage, die<br />
formal in der Vorlage zur Ehepaar- und Familienbesteuerung<br />
enthalten ist, hatte der Nationalrat in der Dezembersession<br />
2002 erneut eine Senkung auf 8% beschlossen.)<br />
Auch soll die Vorlage nach wie vor auf das Jahr<br />
2004 in Kraft gesetzt werden.<br />
Mit diesen Differenzen geht die Vorlage nunmehr wiederum<br />
zurück an den Nationalrat. Dessen Kommission<br />
für Wirtschaft und Abgaben (WAK) hat in der Zwischenzeit<br />
beschlossen, dem Nationalrat in den meisten Fragen<br />
Zustimmung zu den Beschlüssen des <strong>St</strong>änderates zu beantragen.<br />
So befürwortet sie nunmehr einen Verzicht auf<br />
das Wahlrecht für Konkubinatspaare mit Kindern, sich<br />
als Familie besteuern zu lassen, und auf eine Reduktion<br />
der Gewinnsteuer bei der direkten Bundessteuer. Auch<br />
beim Kinderabzug bei der direkten Bundessteuer beantragt<br />
sie eine Übernahme des Beschlusses des <strong>St</strong>änderates.<br />
Lediglich bei der Frage, ob das Splittingsystem von<br />
den Kantonen zwingend zu übernehmen sei, beantragt<br />
sie Festhalten an ihrem ursprünglichen Beschluss.<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Rainer Zigerlig/Agostino Cozzio/Eric Hess, Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2<br />
157<br />
1.2 Wohneigentumsbesteuerung<br />
Auch bei der Beratung der Vorlage über den Systemwechsel<br />
bei der Besteuerung des (selbstgenutzten)<br />
Wohneigentums – weiterer Bestandteil des <strong>St</strong>euerpaketes<br />
2001 – hielt der <strong>St</strong>änderat in der Märzsession <strong>2003</strong> im<br />
Wesentlichen an seinen ursprünglichen Beschlüssen<br />
fest. So lehnte er entgegen dem Antrag des Bundesrates<br />
und dem Beschluss des Nationalrates erneut einen Systemwechsel<br />
ab. Nach seiner Auffassung soll am geltenden<br />
System – Besteuerung der Eigenmietwerte, Abzugsmöglichkeit<br />
für Unterhaltskosten und Schuldzinsen –<br />
festgehalten werden. Auch lehnte es der <strong>St</strong>änderat erneut<br />
ab, das Baselbieter Modell des Bausparens einzuführen;<br />
vielmehr soll das Bausparen nur im Rahmen der gebundenen<br />
Selbstvorsorge (Säule 3a) möglich bleiben.<br />
Auch diese Vorlage geht nunmehr wiederum zurück an<br />
den Nationalrat. Dessen Kommission für Wirtschaft und<br />
Abgaben (WAK) hat in der Zwischenzeit beschlossen,<br />
dem Nationalrat erneut zu beantragen, am Systemwechsel<br />
festzuhalten (gänzliche oder teilweise Abschaffung<br />
der Abzüge für Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten<br />
einerseits, Abschaffung des Eigenmietwertes anderseits).<br />
Auch befürwortet sie nach wie vor die Einführung<br />
des Baselbieter Modells des Bausparens.<br />
1.3 Umsatzabgabe<br />
Die Beratung dieser Vorlage, die den dritten Bestandteil<br />
des <strong>St</strong>euerpaketes 2001 bildet, ist bereits in der Wintersession<br />
2002 weitgehend abgeschlossen worden. Materielle<br />
Differenzen stehen hier nicht mehr im Raum.<br />
2 Kantone<br />
2.1 Bern<br />
Im Kanton Bern ist die am 22. Januar <strong>2003</strong> eingereichte<br />
kantonale Volksinitiative für tragbare <strong>St</strong>euern formell<br />
zustande gekommen. Diese von verschiedenen bürgerlichen<br />
Verbänden gestartete Initiative verlangt, dass sämtliche<br />
<strong>St</strong>euerbeträge ab dem Jahr 2005 um 10% gekürzt<br />
werden. Betroffen sind alle <strong>St</strong>euern des Kantons (gemäss<br />
<strong>St</strong>euergesetz), also neben den Einkommens- und Vermögenssteuern,<br />
den Quellensteuern, den Gewinn- und Kapitalsteuern<br />
auch die Grundstückgewinnsteuer sowie die<br />
<strong>St</strong>euern für Holding- und Domizilgesellschaften. Nicht<br />
betroffen sind die Erbschafts- und Schenkungssteuern,<br />
die Handänderungssteuer und die Motorfahrzeugsteuer.<br />
Ausdrücklich von der Initiative ausgenommen sind sodann<br />
die Gemeindesteuern.<br />
Der Regierungsrat hat die Initiative zur Kenntnis genommen,<br />
jedoch noch nicht entschieden, welche Anträge<br />
er dazu stellen wird. Nach Berechnungen der Ver -<br />
waltung würde die Umsetzung der Initiative die <strong>St</strong>euererträge<br />
des Kantons um etwa Fr. 400 Mio. vermindern.<br />
2.2 Basel-Landschaft<br />
Unter Federführung des Hauseigentümerverbandes sind<br />
zu Beginn des Jahres <strong>2003</strong> drei Volksinitiativen mit<br />
steuerlichen Auswirkungen eingereicht worden. Die<br />
erste Initiative verlangt die Verankerung der Wohneigentumsförderung<br />
sowie die Festlegung eines steuerlichen<br />
Ausgleichs zugunsten der Mieter als Grundsätze in<br />
der Kantonsverfassung. Mit der zweiten Initiative soll<br />
die steuerliche Gleichbehandlung von Mietern und<br />
Wohneigentümern wieder hergestellt werden. Dazu sind<br />
insbesondere zwei steuerliche Massnahmen vorgesehen:<br />
Einerseits soll der Mietkostenabzug von derzeit<br />
Fr.1000 auf neu Fr. 1500 pro Person erhöht, anderseits<br />
sollen die kantonalen Eigenmietwerte generell um 8%<br />
angehoben werden. Die dritte Initiative will mit dem<br />
Wechsel zurück zum Kinderabzug vom <strong>St</strong>euerbetrag<br />
anstatt vom steuerbaren Einkommen eine Entlastung für<br />
Familien in bescheidenen Einkommensverhältnissen<br />
herbeiführen.<br />
2.3 Basel-<strong>St</strong>adt<br />
Am 9. Februar <strong>2003</strong> ist in der Volksabstimmung die<br />
Volksinitiative «für eine familienfreundliche Erbschaftssteuer»<br />
gutgeheissen worden, welche die Abschaffung<br />
der Erbschafts- und Schenkungssteuer für<br />
Nachkommen vorsieht.<br />
Verschiedene parlamentarische Vorstösse (Anzüge, Motionen)<br />
sind beim Regierungsrat oder bei der Grossratskommission<br />
WAK in Bearbeitung:<br />
– Einführung des Vollsplittings bei der Ehegattenbesteuerung;<br />
– steuerliche Entlastungen für Elternpaare mit Kindern;<br />
– Abzug für Zuwendungen an politische Parteien;<br />
– <strong>St</strong>raffung der Einkommens- bzw. Vermögenssteuertarife;<br />
– tarifliche Besserstellung der hetero- und homosexuellen<br />
Konkubinatspaare bei der Erbschafts- und<br />
Schenkungssteuer;<br />
– bei zunehmendem Einkommen degressiver Kinderbetreuungskostenabzug.<br />
2.4 Freiburg<br />
Verschiedene parlamentarische Vorstösse mit den unten<br />
angeführten <strong>St</strong>ossrichtungen sind gegenwärtig beim<br />
<strong>St</strong>aatsrat (Regierung) in Bearbeitung:<br />
– Senkung des <strong>St</strong>euersatzes für die Vermögenssteuer<br />
und Einführung einer Bestimmung zum Ausgleich<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
158 Rainer Zigerlig/Agostino Cozzio/Eric Hess, Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2<br />
der Folgen der kalten Progression bei der Vermögenssteuer;<br />
– Erhöhung der Kinderabzüge;<br />
– Einführung eines Doppeltarifs für die Einkommenssteuer;<br />
– Besteuerung der Ehegatten: Änderung des Splittingsatzes<br />
und der Solidarhaftung unter Ehegatten;<br />
– Kinderabzug direkt vom <strong>St</strong>euerbetrag.<br />
2.5 Neuenburg<br />
Eine von der Handels- und Industriekammer des Kantons<br />
Neuenburg lancierte Volksinitiative verlangt die<br />
Reduktion der Einkommenssteuern der natürlichen Personen<br />
um 12% (in drei Jahresschritten von je 4%) und<br />
eine Reduktion der Gewinnsteuern der juristischen Personen<br />
um 25%.<br />
Die Regierung empfiehlt die Initiative zur Ablehnung<br />
und will keinen Gegenvorschlag unterbreiten. Der Grosse<br />
Rat wird voraussichtlich im Frühling <strong>2003</strong> darüber befinden.<br />
2.6 Schaffhausen<br />
Der Kanton Schaffhausen plant eine Teilrevision des<br />
<strong>St</strong>euergesetzes per 1. Januar 2004. Die entsprechende<br />
Vorlage wurde am 25. März <strong>2003</strong> vom Regierungsrat zuhanden<br />
des Kantonsrats verabschiedet. Geplant sind im<br />
Wesentlichen folgende Änderungen:<br />
– Reduktion der Grenzsteuerbelastung für natürliche<br />
Personen mit einem steuerpflichtigen Einkommen<br />
von mehr als Fr. 500 000 bzw. einem steuerpflichtigen<br />
Vermögen von mehr als Fr. 10 Mio. (Änderung<br />
<strong>St</strong>euertarif);<br />
– Reduktion der wirtschaftlichen Doppelbelastung<br />
Anteilsinhaber/Unternehmung bei massgeblichen<br />
Beteiligungen: Satzreduktion für ausgeschüttete Gewinne<br />
auf 50% bei der Einkommenssteuer und für<br />
die entsprechende Beteiligung auf zwei Drittel bei<br />
der Vermögenssteuer;<br />
– Satzreduktion bei der Holdingbesteuerung von<br />
0,05‰ des steuerpflichtigen Eigenkapitals auf neu<br />
0,025‰;<br />
– Zulassung von <strong>St</strong>reubesitz bei Holdinggesellschaften;<br />
– Ermöglichung unterschiedlicher <strong>St</strong>euerfüsse für natürliche<br />
und juristische Personen beim Kanton und<br />
den Gemeinden;<br />
– Reduktion des Quellensteuersatzes für die Besteuerung<br />
ausländischer Verwaltungsräte von 30% auf<br />
25%;<br />
– Erhöhung des maximalen Kinderfremdbetreuungsabzugs<br />
von Fr. 2000 auf Fr. 9000;<br />
– Einführung eines Sozialabzuges beim Vermögen pro<br />
minderjähriges Kind von Fr.30000;<br />
– Erhöhung des Kinderabzugs von Fr. 4800 auf<br />
Fr. 5800.<br />
2.7 Zürich<br />
Der Kantonsrat hat in der Zwischenzeit die Vorlage zu<br />
einer Änderung des <strong>St</strong>euergesetzes im Bereiche der<br />
juristischen Personen verabschiedet. Sie beinhaltet für<br />
Kapitalgesellschaften und Genossenschaften den Übergang<br />
vom renditeabhängigen Dreistufentarif zu einem<br />
proportionalen Gewinnsteuersatz von 8% (einfache<br />
<strong>St</strong>aatssteuer), unter Halbierung der Kapitalsteuer. Derzeit<br />
läuft die Referendumsfrist. Die Inkraftsetzung ist<br />
auf 1. Januar 2005 vorgesehen.<br />
Im Zusammenhang mit den hängigen Vorstössen zum<br />
Grundsteuerrecht lehnt der Regierungsrat bei der Besteuerung<br />
der Grundstückgewinne einen Übergang zum<br />
dualistischen System ab, da dies mit zu grossen Ausfällen<br />
für die Gemeinden verbunden wäre. (Im Kanton Zürich<br />
wird die Grundstückgewinnsteuer ausschliesslich<br />
als <strong>St</strong>euer der politischen Gemeinden erhoben.) Zudem<br />
lehnt der Regierungsrat die Abschaffung der Handänderungssteuer<br />
ab (auch diese wird als <strong>St</strong>euer der politischen<br />
Gemeinden erhoben).<br />
Ein von der Regierung ausgearbeitetes <strong>St</strong>euerpaket für<br />
natürliche Personen sieht einen Ausgleich der kalten<br />
Progression, eine Erhöhung der persönlichen und der<br />
Kinderabzüge sowie die Abschaffung der obersten Progressionsstufe<br />
vor. Mit der Teilrevision des <strong>St</strong>euergesetzes,<br />
die gegenwärtig vom Kantonsrat beraten wird, sollen<br />
die Forderungen verschiedener pendenter Vorstösse<br />
ins Gesetz aufgenommen werden. Beantragt werden:<br />
– Anhebung der Progressionsstufen im Einkommensund<br />
Vermögenssteuertarif sowie der Abzüge und<br />
steuerfreien Beträge um 4,5%;<br />
– Erhöhung des persönlichen Abzugs für Alleinstehende<br />
auf Fr. 6200 (+ Fr.700), für Verheiratete auf<br />
Fr.12400 (+ Fr.1400);<br />
– Erhöhung des Kinderabzugs auf Fr. 6100 (+ Fr. 700);<br />
– <strong>St</strong>reichung der obersten Progressionsstufe von 13%<br />
(einfache <strong>St</strong>aatssteuer). Nach Ausgleich der kalten<br />
Progression und Erhöhung der persönlichen Abzüge<br />
würde die höchste <strong>St</strong>ufe von 12% bei Einkommen ab<br />
Fr. 173 900 (Alleinstehende) bzw. ab Fr. 262 500<br />
(Verheiratete) einsetzen.<br />
3 Doppelbesteuerungsabkommen<br />
Artikel 26 des Doppelbesteuerungsabkommens vom<br />
2. Oktober 1996 mit den USA sieht vor, dass die Vertragsstaaten<br />
untereinander diejenigen Auskünfte austauschen,<br />
die notwendig sind für die Durchführung der Be-<br />
<strong>IFF</strong> <strong>Forum</strong> für <strong><strong>St</strong>euerrecht</strong> <strong>2003</strong>
Rainer Zigerlig/Agostino Cozzio/Eric Hess, Gesetzgebungs-Agenda <strong>2003</strong>/2<br />
159<br />
stimmungen des Abkommens sowie für die Verhütung<br />
von Betrugsdelikten und dergleichen im Zusammenhang<br />
mit einer unter das Abkommen fallenden <strong>St</strong>euer. Am<br />
23. Januar <strong>2003</strong> haben die zuständigen Behörden der<br />
Schweiz (Eidg. <strong>St</strong>euerverwaltung) einerseits und der<br />
USA (U.S. Treasury sowie Internal Revenue Service) anderseits,<br />
gestützt auf Artikel 25 des Abkommens, eine<br />
allgemein verbindliche Verständigungslösung über die<br />
Auslegung des im Artikel 26 enthaltenen Begriffs «Betrugsdelikte<br />
und dergleichen» unterzeichnet. In dieser<br />
Vereinbarung, die einen Anhang mit 14 Fallbeispielen<br />
enthält, werden Kriterien aufgeführt, aufgrund derer der<br />
Vertragsstaat, der vom anderen Vertragsstaat ein Amtshilfebegehren<br />
erhält, zu beurteilen hat, ob das dem ins<br />
Verfahren einbezogenen <strong>St</strong>euerpflichtigen vorgeworfene<br />
Verhalten ein Betrugsdelikt und dergleichen darstellt.<br />
Dabei konnte das der schweizerischen Politik der internationalen<br />
Zusammenarbeit in <strong>St</strong>euersachen zugrunde<br />
liegende Prinzip der beidseitigen <strong>St</strong>rafbarkeit im Wesentlichen<br />
gewahrt werden. Insbesondere bewirkt die<br />
Vereinbarung keine generelle Ausweitung der Amtshilfe<br />
auf Widerhandlungen, die nach schweizerischem Recht<br />
als <strong>St</strong>euerhinterziehung zu qualifizieren sind.<br />
Die im Oktober 2002 aufgenommenen Verhandlungen<br />
über den Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens<br />
mit Bangladesh wurden im Februar <strong>2003</strong> weitergeführt.<br />
Dabei gelang es, in allen noch offenen Punkten eine<br />
Einigung zu erzielen. Im Anschluss an diese Verhandlungsrunde<br />
wurde ein Abkommensentwurf paraphiert.<br />
Aus Kreisen der schweizerischen Wirtschaft wird seit<br />
längerer Zeit der Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens<br />
mit Taiwan gewünscht. Auch von taiwanesischer<br />
Seite besteht ein entsprechendes Interesse. Die<br />
Problematik besteht darin, dass die Schweiz, wie die<br />
meisten anderen <strong>St</strong>aaten auch, mit der Anerkennung der<br />
Volksrepublik China ihre diplomatischen Beziehungen<br />
zu Taiwan abgebrochen hat. Einzelne europäische <strong>St</strong>aaten,<br />
die Taiwan ebenfalls nicht anerkennen (z. B. Grossbritannien,<br />
die Niederlande und Schweden), haben vor<br />
kurzem mit Taiwan ein Doppelbesteuerungsabkommen<br />
abgeschlossen, wobei formal die Handelsvertretungen<br />
als Vertragsparteien auftraten. Verwaltungsintern wird<br />
zur Zeit geprüft, welches Vorgehen für die Schweiz angesichts<br />
der besonderen politischen Gegebenheiten<br />
gangbar wäre. Im März <strong>2003</strong> fanden erste technische<br />
Vorgespräche mit einer taiwanesischen Delegation statt.<br />
Falls für die formalen Schwierigkeiten eine für beide<br />
Seiten annehmbare Lösung gefunden werden kann, dürfte<br />
es materiell nicht ausgeschlossen sein, ein Doppelbesteuerungsabkommen<br />
im Rahmen der schweizerischen<br />
Abkommenspolitik zu vereinbaren.<br />
Die Ratifikationsurkunden betreffend das am 12. März<br />
2002 unterzeichnete Protokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen<br />
mit Deutschland (vgl. Gesetzgebungs-<br />
Agenden 2002/2, S.157; <strong>2003</strong>/1, S. 80) wurden am<br />
24. März <strong>2003</strong> in Berlin ausgetauscht. Dieses Protokoll<br />
ist damit gleichentags in Kraft getreten. Dessen Bestimmungen<br />
finden grundsätzlich ab dem Jahre 2004 Anwendung.<br />
Die Quellensteuerbefreiung für Dividenden aus<br />
Beteiligungen von mindestens 20% gilt indessen rückwirkend<br />
für die ab 1.Januar 2002 fällig gewordenen Erträge.<br />
Wurde noch keine Entlastung beantragt, kann ab<br />
sofort die volle Entlastung verlangt werden. Wurde bereits<br />
eine Teilfreistellung oder eine Erstattung der 5%<br />
übersteigenden Quellensteuer gewährt, kann die verbliebene<br />
Sockelsteuer von 5% nachträglich mit einem zusätzlichen<br />
Antrag zurückgefordert werden. – Ziffer 1 des<br />
Verhandlungsprotokolls vom 7. Dezember 2001 sieht<br />
vor, dass für Dividendenfälligkeiten ab 1. Januar des auf<br />
das Inkrafttreten folgenden Kalenderjahres die Entlastung<br />
in beiden <strong>St</strong>aaten direkt an der Quelle gewährt wird.<br />
Dieses Verfahren, das von schweizerischen Unternehmen<br />
für die Quellensteuerentlastung von Dividenden aus<br />
Beteiligungen an deutschen Gesellschaften bereits seit<br />
1992 verlangt werden konnte (Teilfreistellung), wird für<br />
Dividendenausschüttungen schweizerischer Gesellschaften<br />
bereits auf den 1.Juli <strong>2003</strong> eingeführt werden.<br />
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Lic. iur. Urs Hartmann<br />
Dr. Walter Jakob<br />
Dr. Heinz Keller<br />
Dr. Urs Landolf<br />
Alfred Meier, Fürsprecher<br />
Dr. Thomas Meister<br />
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