Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

Beratung zur Situation des Kindes Viele Kinder, die bei Betroffenen häuslicher Gewalt und Nachstellungen leben, werden selbst Opfer gewalttätiger Handlungen und nahezu alle Kinder werden zu Zeugen der Gewalt gegen einen Elternteil. Sowohl die eigene Gewaltbetroffenheit als auch das Miterleben der Gewalt hat in vielen Fällen weitreichende negative Auswirkungen für die kindliche Entwicklung (s. I Kap. 1.2). Soweit die konzeptionelle Ausrichtung der Fachberatung kein explizites Angebot für Kinder von Betroffenen bereit hält, konzentriert sich die Aufgabe der Beratung darauf, gewaltbetroffene Eltern – es handelt sich in aller Regel um Mütter – bei der Wahrnehmung ihrer Sorge zu unterstützen. Dabei gilt es zunächst, die Kinder bei der Erstellung des Sicherheitsplans adäquat einzubeziehen. Darüber hinaus sollten die Eltern für die Situation des Kindes sensibilisiert werden und es sollten ihnen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie dem Kind einen angemessenen Rahmen zur Bewältigung der eigenen Gewalterfahrungen schaffen können. Im Fall einer Trennung von der gewaltverübenden Person können Fragen dazu bestehen, wie die Beziehung zum Kind und die Erziehung in Zukunft gestaltet werden kann. Insbesondere Kinder, die über einen längeren Zeitraum erlebt haben, dass ein Elternteil und möglicherweise auch sie selbst Opfer von Gewalt wurden, benötigen ein eigenes Angebot und eine(n) eigene(n) Ansprechpartner(in). 47 So plädieren Helfferich et al. (2004) dafür, im Rahmen pro-aktiver Beratungskonzepte von vornherein auch die Tätigkeit von Fachkräften zu integrieren, die auf Kinder der Betroffenen zugehen. In der bestehenden Hilfelandschaft vieler Regionen lässt die Bereitstellung adäquater Angebote für die Kinder zu wünschen übrig – es fehlt an einschlägig erfahrenen Kinder- und Jugendtherapeut(inn)en sowie spezialisierten Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit, die zur Vorbeugung oder der Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten zugezogen werden können. Erarbeitete Empfehlungen für die Arbeit mit Kindern gewaltbetroffener Eltern lesen sich daher eher als Wunschliste, da man von einer Umsetzung vielerorts noch weit entfernt ist. In Fällen, in denen die Vermittlung eines adäquaten Angebots für das Kind angesichts fehlender Möglichkeiten scheitert, können für die Fachkraft Loyalitätskonflikte entstehen, die ihre Arbeit erheblich erschweren. Im Rahmen der fallübergreifenden Vernetzung empfiehlt es sich, neben den Vertreter(inne)n des Jugendamts/ASD insbesondere auch Mitarbeiter(innen) der Erziehungsberatungsstellen 48 in die Zusammenarbeit einzubeziehen, um vorhandene Angebote optimal zu nutzen und Versorgungslücken gemeinsam abzubauen. Die Stärkung der Elternrolle benötigt Zeit und kann erst dann breiteren Raum einnehmen, wenn die Betroffenen selbst stabilisiert sind. Für die Unterstützung gewaltbetroffener Mütter bei der Erfüllung ihrer elterlichen Aufgaben wurden Hinweise und Empfehlungen ausgearbeitet (s. u. a. Kindler 2002; Hagemann-White/Kavemann/Schirrmacher/Leopold 2002: 30; Helfferich et al. 2004). Im Folgenden werden zentrale Beratungsbedarfe von gewaltbetroffenen Müttern und Interventionshinweise vorgestellt: • Gewaltbetroffene Eltern rehabilitieren und in ihrer Elternrolle bestärken Viele Mütter haben ihrem Kind gegenüber massive Schuldgefühle und nicht selten haben sie die Erfahrung gemacht, dass ihnen von Angehörigen ihres sozialen Umfelds oder von Vertreter(inne)n anderer Institutionen Vorwürfe gemacht werden. Diese Schuldgefühle sollten durch die Beratung keinesfalls verstärkt werden. Es kommt darauf an, Ursache und Wirkung der oftmals schwierigen Familiensituation klar zu benennen. In aller Regel ist es primär das Verhalten des gewaltverübenden Partners, das die elterlichen Kompetenzen 47 Im Endbericht von RIGG finden sich Handlungsempfehlungen zur Unterstützung von Kindern gewaltbetroffener Eltern für das gesamte Hilfesystem (RIGG 2003: Bericht der Koordinierungsstelle zur Modellphase vom 1.10.2000 - 30.6.2003: 43 f). Empfehlungen für die Ausgestaltung spezieller Angebote für Kinder finden sich in RIGG 2003, Nr. 16: Situation der Mädchen und Jungen sowie der männlichen und weiblichen Jugendlichen, deren Mütter von Gewalt in engen sozialen Beziehungen betroffen sind. Beide Veröffentlichungen können unter www.rigg-rlp.de vom 30.11.2005 abgerufen werden. Der Landespräventionsrat Niedersachsen erarbeitet derzeit ebenfalls Handlungsempfehlungen für die Unterstützung der Kinder gewaltbetroffener Eltern (s. http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C6096771_L20.pdf vom 30.11.2005). Die rechtlichen Aspekte, die bezogen auf das Sorge- und Umgangsrecht im Falle von häuslicher Gewalt berücksichtigt werden müssen, thematisieren Schweikert/Schirrmacher (2002). 48 In Bayern existiert ein flächendeckendes Netz von Erziehungsberatungsstellen. Hier sind Fachkräfte beschäftigt, die im Umgang mit dem Thema Gewalt in der Familie erfahren sind und auch entsprechende Unterstützungsangebote vorhalten. 73

II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis der Opfer beeinträchtigt. Auch in den Fällen, in denen ein hohes Ausmaß an Gewalt vorliegt, beobachten Expert(inn)en, dass für die Befriedigung aller basalen Bedürfnisse der Kinder gut gesorgt wird. Die Fähigkeiten, unter schwierigen Bedingungen grundlegende Versorgungsleistungen aufrechtzuerhalten, gilt es in der Beratung zu benennen und zu würdigen. • Vorbehalte gegenüber Hilfsangeboten für das Kind thematisieren Vorliegende Erfahrungen deuten darauf hin, dass einige Betroffene von häuslicher Gewalt auf mögliche Hilfsangebote für die Kinder mit Ambivalenzen und/oder Ängsten reagieren. Derartige Befürchtungen sollten von den Beratenden aufgegriffen und ernst genommen werden. Zu den Vorbehalten zählt z. B. die Ratlosigkeit darüber, wie die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung organisiert werden kann. Daneben bestehen aber auch Ängste, die sich auf die Folgen einer Beratung oder Therapie beziehen, wie beispielsweise die Befürchtung, das Kind könnte durch das Besprechen der Geschehnisse erst recht verunsichert werden oder es könnte eine Konkurrenzsituation zwischen der betroffenen Mutter und der Fachkraft entstehen (Helfferich et al. 2004: 141). • Angemessene Information des Kindes über die Gewaltproblematik Einige Mütter versuchen, die Gewalterfahrungen und weitere familiäre Probleme vor den Kindern zu verheimlichen, um ihre Kinder nicht zu belasten. Hier gilt es zu vermitteln, dass das Verschweigen in aller Regel gegenteilige Auswirkungen hat: Selbst wenn Kinder nicht anwesend sind wenn Gewalt verübt wird, spüren sie die Auswirkungen im Familienalltag. Kann in der Familie nicht über die Gewalt gesprochen werden, wird es den Kindern unmöglich gemacht, eigene Erlebnisse und Gefühle auszusprechen. „Deshalb ist das Verschweigen der Gewalt nie im Interesse der Kinder und Frauen sollten dabei unterstützt werden, ehrlich zu ihren Kindern zu sein“ (Kavemann 2002: 10). Daneben kann aber auch beobachtet werden, dass einige Mütter sich bei ihren Kindern über alle Geschehnisse aussprechen, um sich emotional zu entlasten. Hier ist es wichtig mit den Betroffenen zu thematisieren, wie sie mit ihren Kindern auf eine hilfreiche Weise über die familiäre Situation sprechen können. • Sensibilität für die Situation des Kindes fördern, ohne Schuldgefühle zu verstärken Helfferich et al. finden in ihrer Studie Hinweise darauf, dass die gewaltbetroffenen Frauen das Ausmaß der Gewalterfahrungen ihrer Kinder unterschätzen und es ihnen schwer fällt, sich in die Kinder hineinzuversetzen. Dies mag mit dem intensiven Wunsch der Mütter zusammenhängen, dass den Kindern kein Leid entstanden sein möge. „Zu sehen, dass dieser Wunsch nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist schwer, daher kann unter Umständen die Wirklichkeit verzerrt wahrgenommen werden.“ (Helfferich et al. 2004: 140). Eine unterstützende Intervention in der Beratung kann es in diesem Zusammenhang sein, die Mütter darin zu bestärken, ein offenes Interesse für die Erfahrungen und das Erleben ihrer Kinder zu zeigen. Wichtig ist dabei zu besprechen, wie Mütter damit umgehen können, wenn sie sich durch Erzählungen und Reaktionen der Kinder angegriffen oder gekränkt fühlen (z. B. wenn die Kinder von eigenen Verletzungen oder von positiven Eigenschaften ihres Vaters erzählen). • Unterstützung der Beziehungs- und Erziehungsgestaltung Gewaltbetroffene Mütter benötigen oftmals Unterstützung, um eine Beziehungs- und Erziehungsgestaltung zu entwickeln, die sich auf Liebe und Achtung gründet und nicht auf Macht und Kontrolle (Hagemann-White et al. 2002: 28). Dabei kann ganz besonders bei fortlaufenden Beratungen wichtig sein, daran zu arbeiten, was es in der jeweiligen Lebenssituation konkret bedeutet, Verantwortung für minderjährige Kinder zu zeigen. Daneben benötigen die Mütter oftmals auch Unterstützung dabei zu erkennen, wo sie selbst 74

II Informationen <strong>und</strong> Empfehlungen für die <strong>Beratung</strong>spraxis<br />

der Opfer beeinträchtigt. Auch in den Fällen, in denen ein hohes Ausmaß an Gewalt vorliegt,<br />

beobachten Expert(inn)en, dass für die Befriedigung aller basalen Bedürfnisse der<br />

Kinder gut gesorgt wird. Die Fähigkeiten, unter schwierigen Bedingungen gr<strong>und</strong>legende<br />

Versorgungsleistungen aufrechtzuerhalten, gilt es in der <strong>Beratung</strong> zu benennen <strong>und</strong> zu<br />

würdigen.<br />

• Vorbehalte gegenüber Hilfsangeboten für das Kind thematisieren<br />

Vorliegende Erfahrungen deuten darauf hin, dass einige Betroffene <strong>von</strong> häuslicher Gewalt<br />

auf mögliche Hilfsangebote für die Kinder mit Ambivalenzen <strong>und</strong>/oder Ängsten reagieren.<br />

Derartige Befürchtungen sollten <strong>von</strong> den Beratenden aufgegriffen <strong>und</strong> ernst genommen<br />

werden. Zu den Vorbehalten zählt z. B. die Ratlosigkeit darüber, wie die Inanspruchnahme<br />

professioneller Unterstützung organisiert werden kann. Daneben bestehen aber auch<br />

Ängste, die sich auf die Folgen einer <strong>Beratung</strong> oder Therapie beziehen, wie beispielsweise<br />

die Befürchtung, das Kind könnte durch das Besprechen der Geschehnisse erst recht verunsichert<br />

werden oder es könnte eine Konkurrenzsituation zwischen der betroffenen Mutter<br />

<strong>und</strong> der Fachkraft entstehen (Helfferich et al. 2004: 141).<br />

• Angemessene Information des Kindes über die Gewaltproblematik<br />

Einige Mütter versuchen, die Gewalterfahrungen <strong>und</strong> weitere familiäre Probleme vor den<br />

Kindern zu verhe<strong>im</strong>lichen, um ihre Kinder nicht zu belasten. Hier gilt es zu vermitteln,<br />

dass das Verschweigen in aller Regel gegenteilige Auswirkungen hat: Selbst wenn Kinder<br />

nicht anwesend sind wenn Gewalt verübt wird, spüren sie die Auswirkungen <strong>im</strong> Familienalltag.<br />

Kann in der Familie nicht über die Gewalt gesprochen werden, wird es den Kindern<br />

unmöglich gemacht, eigene Erlebnisse <strong>und</strong> Gefühle auszusprechen. „Deshalb ist das Verschweigen<br />

der Gewalt nie <strong>im</strong> Interesse der Kinder <strong>und</strong> Frauen sollten dabei unterstützt<br />

werden, ehrlich zu ihren Kindern zu sein“ (Kavemann 2002: 10). Daneben kann aber auch<br />

beobachtet werden, dass einige Mütter sich bei ihren Kindern über alle Geschehnisse aussprechen,<br />

um sich emotional zu entlasten. Hier ist es wichtig mit den Betroffenen zu thematisieren,<br />

wie sie mit ihren Kindern auf eine hilfreiche Weise über die familiäre Situation<br />

sprechen können.<br />

• Sensibilität für die Situation des Kindes fördern, ohne Schuldgefühle zu verstärken<br />

Helfferich et al. finden in ihrer Studie Hinweise darauf, dass die gewaltbetroffenen Frauen<br />

das Ausmaß der Gewalterfahrungen ihrer Kinder unterschätzen <strong>und</strong> es ihnen schwer fällt,<br />

sich in die Kinder hineinzuversetzen. Dies mag mit dem intensiven Wunsch der Mütter zusammenhängen,<br />

dass den Kindern kein Leid entstanden sein möge. „Zu sehen, dass dieser<br />

Wunsch nicht mit der Wirklichkeit übereinst<strong>im</strong>mt, ist schwer, daher kann unter Umständen<br />

die Wirklichkeit verzerrt wahrgenommen werden.“ (Helfferich et al. 2004: 140).<br />

Eine unterstützende Intervention in der <strong>Beratung</strong> kann es in diesem Zusammenhang sein,<br />

die Mütter darin zu bestärken, ein offenes Interesse für die Erfahrungen <strong>und</strong> das Erleben<br />

ihrer Kinder zu zeigen. Wichtig ist dabei zu besprechen, wie Mütter damit umgehen können,<br />

wenn sie sich durch Erzählungen <strong>und</strong> Reaktionen der Kinder angegriffen oder gekränkt<br />

fühlen (z. B. wenn die Kinder <strong>von</strong> eigenen Verletzungen oder <strong>von</strong> positiven Eigenschaften<br />

ihres Vaters erzählen).<br />

• Unterstützung der Beziehungs- <strong>und</strong> Erziehungsgestaltung<br />

Gewaltbetroffene Mütter benötigen oftmals Unterstützung, um eine Beziehungs- <strong>und</strong> Erziehungsgestaltung<br />

zu entwickeln, die sich auf Liebe <strong>und</strong> Achtung gründet <strong>und</strong> nicht auf<br />

Macht <strong>und</strong> Kontrolle (Hagemann-White et al. 2002: 28). Dabei kann ganz besonders bei<br />

fortlaufenden <strong>Beratung</strong>en wichtig sein, daran zu arbeiten, was es in der jeweiligen Lebenssituation<br />

konkret bedeutet, Verantwortung für minderjährige Kinder zu zeigen. Daneben<br />

benötigen die Mütter oftmals auch Unterstützung dabei zu erkennen, wo sie selbst<br />

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