Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

21.12.2013 Aufrufe

mögliche Vereinbarungen zwischen diesen Personen und der Klientin bzw. dem Klienten entwickelt werden. Helfferich et al. (2004) weisen darauf hin, dass der Aufbau von Sicherheitsstrategien ganz besonders bei Frauen, die dem Wahrnehmungsmuster „Ambivalente Bindung“ zuzuordnen sind (s. II Kap. 2.3), ein langfristig angelegter und voraussetzungsreicher Prozess ist. Eine zumindest zeitweilige Sicherheit kann daher zunächst nur durch Schritte von außen, wie z. B. (wiederholte) polizeiliche Interventionen, erreicht werden. In der Beratung ist es wichtig, diesen Klientinnen zu vermitteln, dass ihre Ambivalenz gegenüber dem Täter und die Entscheidung für oftmals selbstgefährdende Verhaltensweisen akzeptiert werden. Gleichzeitig sollte deutlich werden, dass die Beratung ein Ort ist, der es ermöglicht, eigene Wünsche und Ziele zu entdecken und neue Verhaltensweisen zu erproben. Dazu gehört es auch, dass kontraproduktive Überlebensstrategien der Betroffenen hinterfragt werden können. Vor diesem Hintergrund können das Vertrauen in die Effektivität des eigenen Handelns allmählich aufgebaut und Grundlagen für eine dauerhafte Veränderung gelegt werden. Krisenintervention Viele Betroffene, die sich in einer akuten Krisensituation an die Beratung wenden, befinden sich in einem Schockzustand. In aller Regel äußert sich dieser Zustand in Form von Angst oder dem Gefühl eines inneren Chaos. Erinnerungen an die Belastungssituation schieben sich immer wieder teils unkontrollierbar in den Vordergrund und lösen massive Gefühle von Angst, Hilflosigkeit oder Wut aus. Besonders in den ersten Stunden nach einer Gefahrensituation kann die Überforderung in Form völliger Teilnahmslosigkeit und Apathie zum Ausdruck kommen – in diesem Zustand sind Menschen kaum dazu in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Die emotionalen Reaktionen auf eine massive Belastung sind der Hintergrund dafür, dass es Menschen, die in akuten Krisen stecken, schwer fällt, Informationen aufzunehmen und adäquat zu verarbeiten. Ziel von Kriseninterventionen ist es, Sicherheit herzustellen, die bedrohliche Situation abzuwenden sowie entlastende, strukturierende und praktische Lösungen zu vermitteln, ohne dabei zusätzlichen Druck auf das Opfer auszuüben (s. Helfferich et al. 2004: 81). Bei der beraterischen Unterstützung nimmt neben der Entwicklung konkreter Handlungsschritte zur Krisenüberwindung die emotionale Entlastung und Stabilisierung einen wesentlichen Raum ein. Auf die beiden Interventionsebenen soll im Folgenden näher eingegangen werden: • Emotionale Entlastung und Stabilisierung Bevor eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Situation stattfinden kann, benötigen Menschen in einer akuten Krise Raum, um das eigene Erleben mitzuteilen. Dabei ist es wichtig, dass die Fachkraft die dargestellten Gefühle und Erfahrungen validiert und in dieser ersten Phase nicht hinterfragt oder kritisch reflektiert. Zudem benötigen die Betroffenen Unterstützung dabei, ihren emotionalen Zustand einzuordnen. D. h., es sollte vermittelt werden, dass die in ihrer Massivität oftmals beängstigenden Gefühle eine normale Stressreaktion auf eine Situation sind, die nicht normal ist. Hilfreich ist es auch, auf die positive Signalfunktion von Gefühlen wie Angst oder Ärger hinzuweisen. In der Praxis zeigt sich die Bedeutung dieses Vorgehens u. a. daran, dass Frauen, die als Opfer von Gewalt einen Krisen- und Notfalldienst in Anspruch nehmen, erst dann das Gefühl haben beraten zu werden, wenn zunächst die ausreichende Möglichkeit besteht, ihr „Herz auszuschütten“ (Helfferich et al. 2004: 58). Wenn sich im Gesprächsverlauf zeigt, dass sich das Opfer mit Suizidgedanken beschäftigt, muss dieses Thema von den Beratenden angesprochen werden. In der Zusammenarbeit mit suizidgefährdeten Klient(inn)en empfiehlt es sich, einen befristeten non-suicid-Vertrag zu schließen, die Beratungstermine sollten engmaschig gestaltet und eine spezialisierte Fachkraft (z. B. ärztliche oder psychologische 71

II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis Psychotherapeut(inn)en) beigezogen werden. Können keine verlässlichen Absprachen zum konstruktiven Umgang mit autoaggressiven Impulsen getroffen werden, ist die/der Berater(in) verpflichtet, eine psychiatrische Einweisung in die Wege zu leiten. Dieser Schritt sollte mit den Betroffenen besprochen werden und sie sollten dabei unterstützt werden, sich selbst einzuweisen, um eine polizeiliche Zwangseinweisung zu verhindern. • Entwicklung konkreter Handlungsschritte Eine zentrale Aufgabe ist es, die Betroffenen dabei zu unterstützen, ihre Situation zu strukturieren. Das bedeutet u. a. in Erfahrung zu bringen, auf welchen Ebenen Handlungsbedarf gegeben ist. Bei den meisten Betroffenen handelt es sich dabei um Fragen, die die eigene Sicherheit betreffen. Darüber hinaus können aber auch vielfältige andere Fragen eine Rolle spielen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Frage abzuklären, ob die Betroffenen überhaupt alleine bleiben können (s. o.). In einem weiteren Schritt gilt es, gemeinsam zu entscheiden, welche Fragen und Problembereiche als erstes geklärt werden müssen. Bei der dann folgenden Entwicklung von Handlungsschritten bewährt sich ein ressourcenorientiertes Vorgehen. Ideen der Ratsuchenden sind aufzugreifen, aber auch konkrete praktische Ratschläge sind angebracht. Soweit es die Konzeption der Stelle vorsieht, sollte auch die Möglichkeit einer Begleitung zu erforderlichen Gesprächen mit Vertreter(inne)n anderer Stellen erwogen werden (z. B. Begleitung ins Frauenhaus oder zur medizinischen Untersuchung). In aller Regel ist es hilfreich, die folgenden Tage zu strukturieren. Dabei sollte auch darauf geachtet werden, dass sich die Betroffenen angemessen um die eigenen Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen etc.) und die der Kinder kümmern (s. Firle et al. 1996: 58 ff). Um die Entscheidung für die Nutzung von psychosozialen Hilfsangeboten zu stärken, ist es wichtig, diesen Schritt explizit zu bestärken und auch im Hinblick auf künftige Situationen als eine wichtige Ressource der Betroffenen zu markieren. Zudem ist bei Betroffenen in Krisensituationen besonders wichtig zu betonen, dass Gewalt unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist. Stehen Kriseninterventionen im Erstgespräch im Vordergrund, ist es unmöglich, alle zentralen Themen der Fachberatung zu besprechen. Es sollte daher immer eine konkrete Vereinbarung über einen zeitnahen weiteren Gesprächstermin getroffen werden. Alle Interventionen sollten ohne Druck oder Zwang erfolgen (für weitere Hinweise s. Firle et al. 1996; Schürmann 2004). Information zur Gewaltproblematik Viele Betroffene benötigen eine Unterstützung dabei, wie sie erfahrene Gewalt einordnen und bewerten können. Dies beginnt bereits bei der Frage, ob eine bestimmte Handlung als Gewalt zu bezeichnen und ernst zu nehmen ist. Erfahrene Berater(innen) teilen die Einschätzung, dass die Betroffenen das Ausmaß von Gewalthandlungen in aller Regel nicht übertreiben, sondern untertreiben (Firle et al. 1996; Limmer/Mengel 2005b). Opfern langjähriger Beziehungsgewalt fällt es oftmals besonders schwer, die eigenen Erfahrungen einzuordnen. In diesen Konstellationen ist es sinnvoll, wenn die Beratenden die eigene Wahrnehmung zur Verfügung stellen und Gewalthandlungen klar als solche benennen. Weitere Unterstützungsbedarfe bestehen im Zusammenhang mit der Gewaltdynamik. Jenseits der Abschätzung der Gefahrenmerkmale der gewaltverübenden Person ist es vielen Opfern von häuslicher Gewalt und Stalking wichtig, eine überzeugende Erklärung für die Entstehung und Entwicklung der Gewalt zu haben. Dabei kann auf aktuelle Konzepte zurückgegriffen werden (s. II Kap. 2.3), die abgestimmt auf die individuelle Situation der Betroffenen und in einer alltagsnahen Sprache dargestellt werden. Auf weitere Informationsbedarfe, die sich auf juristische Fragestellungen beziehen, wird in II Kap. 3.3 gesondert eingegangen. 72

mögliche Vereinbarungen zwischen diesen Personen <strong>und</strong> der Klientin bzw. dem Klienten<br />

entwickelt werden.<br />

Helfferich et al. (2004) weisen darauf hin, dass der Aufbau <strong>von</strong> Sicherheitsstrategien ganz<br />

besonders bei Frauen, die dem Wahrnehmungsmuster „Ambivalente Bindung“ zuzuordnen<br />

sind (s. II Kap. 2.3), ein langfristig angelegter <strong>und</strong> voraussetzungsreicher Prozess ist. Eine zumindest<br />

zeitweilige Sicherheit kann daher zunächst nur durch Schritte <strong>von</strong> außen, wie z. B.<br />

(wiederholte) polizeiliche Interventionen, erreicht werden. In der <strong>Beratung</strong> ist es wichtig, diesen<br />

Klientinnen zu vermitteln, dass ihre Ambivalenz gegenüber dem Täter <strong>und</strong> die Entscheidung<br />

für oftmals selbstgefährdende Verhaltensweisen akzeptiert werden. Gleichzeitig sollte<br />

deutlich werden, dass die <strong>Beratung</strong> ein Ort ist, der es ermöglicht, eigene Wünsche <strong>und</strong> Ziele<br />

zu entdecken <strong>und</strong> neue Verhaltensweisen zu erproben. Dazu gehört es auch, dass kontraproduktive<br />

Überlebensstrategien der Betroffenen hinterfragt werden können. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

können das Vertrauen in die Effektivität des eigenen Handelns allmählich aufgebaut<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen für eine dauerhafte Veränderung gelegt werden.<br />

Krisenintervention<br />

Viele Betroffene, die sich in einer akuten Krisensituation an die <strong>Beratung</strong> wenden, befinden<br />

sich in einem Schockzustand. In aller Regel äußert sich dieser Zustand in Form <strong>von</strong> Angst<br />

oder dem Gefühl eines inneren Chaos. Erinnerungen an die Belastungssituation schieben<br />

sich <strong>im</strong>mer wieder teils unkontrollierbar in den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> lösen massive Gefühle <strong>von</strong><br />

Angst, Hilflosigkeit oder Wut aus. Besonders in den ersten St<strong>und</strong>en nach einer Gefahrensituation<br />

kann die Überforderung in Form völliger Teilnahmslosigkeit <strong>und</strong> Apathie zum Ausdruck<br />

kommen – in diesem Zustand sind Menschen kaum dazu in der Lage, für sich selbst zu<br />

sorgen. Die emotionalen Reaktionen auf eine massive Belastung sind der Hintergr<strong>und</strong> dafür,<br />

dass es Menschen, die in akuten Krisen stecken, schwer fällt, Informationen aufzunehmen<br />

<strong>und</strong> adäquat zu verarbeiten. Ziel <strong>von</strong> Kriseninterventionen ist es, Sicherheit herzustellen,<br />

die bedrohliche Situation abzuwenden sowie entlastende, strukturierende <strong>und</strong> praktische<br />

Lösungen zu vermitteln, ohne dabei zusätzlichen Druck auf das Opfer auszuüben (s. Helfferich<br />

et al. 2004: 81). Bei der beraterischen Unterstützung n<strong>im</strong>mt neben der Entwicklung konkreter<br />

Handlungsschritte zur Krisenüberwindung die emotionale Entlastung <strong>und</strong> Stabilisierung<br />

einen wesentlichen Raum ein. Auf die beiden Interventionsebenen soll <strong>im</strong> Folgenden<br />

näher eingegangen werden:<br />

• Emotionale Entlastung <strong>und</strong> Stabilisierung<br />

Bevor eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Situation stattfinden kann, benötigen<br />

Menschen in einer akuten Krise Raum, um das eigene Erleben mitzuteilen. Dabei ist es<br />

wichtig, dass die Fachkraft die dargestellten Gefühle <strong>und</strong> Erfahrungen validiert <strong>und</strong> in<br />

dieser ersten Phase nicht hinterfragt oder kritisch reflektiert. Zudem benötigen die Betroffenen<br />

Unterstützung dabei, ihren emotionalen Zustand einzuordnen. D. h., es sollte vermittelt<br />

werden, dass die in ihrer Massivität oftmals beängstigenden Gefühle eine normale<br />

Stressreaktion auf eine Situation sind, die nicht normal ist. Hilfreich ist es auch, auf die<br />

positive Signalfunktion <strong>von</strong> Gefühlen wie Angst oder Ärger hinzuweisen. In der Praxis<br />

zeigt sich die Bedeutung dieses Vorgehens u. a. daran, dass Frauen, die als Opfer <strong>von</strong><br />

Gewalt einen Krisen- <strong>und</strong> Notfalldienst in Anspruch nehmen, erst dann das Gefühl haben<br />

beraten zu werden, wenn zunächst die ausreichende Möglichkeit besteht, ihr „Herz auszuschütten“<br />

(Helfferich et al. 2004: 58). Wenn sich <strong>im</strong> Gesprächsverlauf zeigt, dass sich das<br />

Opfer mit Suizidgedanken beschäftigt, muss dieses Thema <strong>von</strong> den Beratenden angesprochen<br />

werden. In der Zusammenarbeit mit suizidgefährdeten Klient(inn)en empfiehlt<br />

es sich, einen befristeten non-suicid-Vertrag zu schließen, die <strong>Beratung</strong>stermine sollten<br />

engmaschig gestaltet <strong>und</strong> eine spezialisierte Fachkraft (z. B. ärztliche oder psychologische<br />

71

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!