Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

Abklärung der aktuellen Befindlichkeit Insbesondere bei Betroffenen, die sich in akuten Gefahren- und Krisensituationen an die Beratung wenden, spielt die Abklärung der aktuellen Befindlichkeit eine zentrale Rolle. Dabei gilt es auch in Erfahrung zu bringen, inwieweit Kinder oder andere Personen von Gewalt betroffen sind, sei es dadurch, dass sich die Gewalt unmittelbar gegen sie selbst richtet, oder dass sie die Gewalt miterleben. Soweit dies der Fall ist, sollte auch in Bezug auf die weiteren Betroffenen der Versorgungsbedarf ermittelt werden. Bei der Abklärung der Befindlichkeit ist sowohl die körperliche als auch die psychische Verfassung in den Blick zu nehmen. Letztlich müssen folgende Fragen beantwortet werden, die für das weitere Vorgehen in der Beratung entscheidend sind: • Besteht akuter medizinischer Versorgungsbedarf? Liegen behandlungsbedürftige Verletzungen vor, sollte besprochen werden, wo eine adäquate medizinische Versorgung erfolgen kann. Bei schweren Verletzungen muss sichergestellt werden, wie der/die Betroffene medizinische Hilfe erhält (z. B. Verständigung der Notarztzentrale). Daneben sollte darauf hingewiesen werden, dass es im Hinblick auf mögliche juristische Schritte sinnvoll ist, sich ein ärztliches Attest ausstellen zu lassen. • Wie viel Information ist vor dem Hintergrund der aktuellen Befindlichkeit der/des Betroffenen angemessen? Wird vor dem Hintergrund einer schlechten Befindlichkeit deutlich, dass die Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung eingeschränkt sind, muss eine angemessene Balance zwischen emotionaler Stabilisierung und Klärung zentraler Fragen gefunden werden. • Kann der Alltag vor dem Hintergrund der aktuellen psychischen und physischen Situation alleine gemeistert werden? Wird erkennbar, dass die/der Betroffene nicht mehr ausreichend für sich selbst sorgen kann, gilt es zu klären, wie ein möglichst unterstützender äußerer Rahmen geschaffen werden kann. Je nach Konstellation und Wünschen der Betroffenen kann u. a. ein Aufenthalt im Frauenhaus, die Hilfe von Freund(inn)en oder Verwandten sowie ein stationärer Klinikaufenthalt in Betracht gezogen werden. In Fällen, in denen Kinder bei der/dem Betroffenen leben, sind die Bedürfnisse der Kinder adäquat zu berücksichtigen. Ermittlung der aktuellen Gefährdungslage Bei der Ermittlung der Gefährdungslage sollten einerseits mögliche Gefahren sehr konkret besprochen werden. Andererseits sollten die Betroffenen durch die Fragen nicht (weiter) beunruhigt werden. 44 Das Ausmaß der Gefährdungslage sollte auf zwei Ebenen ermittelt werden, die nicht notwendigerweise übereinstimmen müssen: zum einen das subjektive Sicherheitsgefühl der Betroffenen und zum anderen die von den Betroffenen konkret beobachteten Gefahrenmerkmale. Eine hohe Gefährdungslage ist immer dann gegeben, wenn die/der Betroffene in erheblicher Angst vor der gewaltverübenden Person lebt. Zudem weisen bestimmte äußere Situationsmerkmale auf ein hohes Sicherheitsrisiko hin. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die gewaltverübende Person Drohungen ausgesprochen hat, die vor dem Hintergrund ihres bisherigen Verhaltens realistisch wirken, wenn es sich um eine längerandauernde Gewaltbeziehung handelt oder wenn die gewaltverübende Person in verschiedenen sozialen Kontexten gewalttätig wurde. Weitere Beispiele für eine hohe Gefährdungslage sind angedrohter Mord, Waffenbesitz oder die ernstzunehmende Möglichkeit, dass die gewaltverübende Person das Opfer, dessen Kind(er) oder andere Angehörige entführen könnte. Ein besonders hohes Risiko besteht für Betroffene, die sich zu einer Trennung von ihrem gewalttätigen Partner entschieden haben. Entsprechend stark gefährdet 44 Für Hinweise zu konkreten Befragungsstrategien zur Ermittlung der Gefährdungslage s. MUM-Checkliste zur pro-aktiven Erstberatung, III Materialien, S. 101. 69

II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis sind Frauen, die den von Helfferich et al. (2004) identifizierten Mustern „Rasche Trennung“ und „Fortgeschrittene Trennung“ zuzuordnen sind (s. II Kap. 2.3). Eine besonders prekäre Gefahrenlage besteht bei Frauen, deren aktuelle Situationswahrnehmung dem Muster „Ambivalente Bindung“ zuzuordnen ist: Diese Frauen haben vor dem Hintergrund langjähriger und oft massiver Gewalterfahrungen die Überzeugung entwickelt, dass die einzige Chance, eine gewisse Kontrolle über das Verhalten des Täters und damit Sicherheit zu erlangen darin besteht, ihm nahe zu sein (Helfferich et al. 2004: 40 f). Vorhandene Gefahrenmerkmale der Umwelt können die Risiken erheblich erhöhen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Angehörige die gewaltverübende Person über die Versuche des Opfers, sich zu schützen, informieren oder wenn in Gefahrenmomenten keine verlässlichen Personen im Umfeld kontaktiert werden können. Liegt eine hohe Gefährdungslage vor, sollten die Betroffenen in jedem Fall auf mögliche juristische Schritte hingewiesen und zur Inanspruchnahme ermutigt werden. Wurden bereits rechtliche Interventionen zum Schutz des Opfers ausgesprochen, kann eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei sinnvoll sein. So kann die Polizei beispielsweise flankierend zu einem polizeilichen Platzverweis durch eine Gefährderansprache oder eine Ingewahrsamnahme der gewaltverübenden Person dazu beitragen, dass sich das Risiko weiterer Gewalthandlungen verringert (für weitere Hinweise s. II Kap. 3.3.1). Daneben sollte auch ein Aufenthalt im Frauenhaus in Betracht gezogen werden. Diese Alternative empfiehlt sich auch bei Opfern, die bereits eine richterliche Wohnungszuweisung erwirkt haben und sich trotz dieser und gegebenenfalls weiterer Schutzanordnungen nicht sicher fühlen. Betroffene, die gemeinsam mit Kindern ins Frauenhaus oder an einen anderen Ort fliehen und sich in der Trennungsphase vom Vater des Kindes befinden, sollten dabei über die sorgerechtlichen Implikationen informiert werden (s. Abb. II 3.2). Aufenthaltsbestimmungsrecht für gemeinsame Kinder im Fall einer Flucht Verheiratete Paare und Paare in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die eine entsprechende Sorgeerklärung beim Jugendamt oder Notar getroffen haben, besitzen ein gemeinsames Sorgerecht für ihre leiblichen Kinder. In diesen Fällen ist es nicht zulässig, die Kinder ohne Zustimmung des anderen Elternteils an einen anderen Aufenthaltsort mitzunehmen. Da die Zustimmung des Vaters im Fall einer Flucht vor ihm nicht eingeholt werden kann, sollte empfohlen werden, dass die Betroffene vor der Trennung gem. § 1628 BGB beim Familiengericht des Heimatortes beantragt, dass ihr für die Frage der Bestimmung des Wohnsitzes des Kindes das alleinige Entscheidungsrecht übertragen wird. Ist dies der Betroffenen nicht zuzumuten, sollte ein entsprechender Antrag schnellstmöglich nachgereicht werden. Bei einer Flucht ins Frauenhaus sollte das Vorgehen gemeinsam mit den dortigen Mitarbeiterinnen geklärt werden. Abb. II 3.2: Aufenthaltsbestimmungsrecht für gemeinsame Kinder im Fall einer Flucht · Quelle: Eigene Zusammenstellung. Entwicklung von Sicherheitsstrategien Die Entwicklung individueller Sicherheitsstrategien ist eine der zentralen Aufgaben der Fachberatung, denn entsprechende Kenntnisse sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Schutz vor weiterer Gewalt erhöht wird. Sowohl für Betroffene häuslicher Gewalt als auch für Opfer von Stalking wurden Arbeitshilfen zur Entwicklung individueller Sicherheitsstrategien erstellt. 45 Soweit Kinder vorhanden sind, sollten diese in jedem Fall bei der Erstellung des Sicherheitsplans berücksichtigt werden. Die/der Klient(in) sollte ermutigt werden, mit den Kindern über die Gefahrensituation zu sprechen und grundlegende Vereinbarungen im Umgang mit möglichen kritischen Situationen zu treffen. 46 Bei weiteren mitbetroffenen Personen kann ein gemeinsames Gespräch in der Beratungsstelle erwogen oder 70 45 Für weitere Hinweise s. Sicherheitsplan für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, III Materialien, S. 97 und Anti-Stalking-Regeln, III Materialien, S. 99. 46 Für weitere Hinweise zur Entwicklung von Sicherheitsstrategien für die Kinder von Betroffenen s. in Sicherheitsplan für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, III Materialien, S. 98.

Abklärung der aktuellen Befindlichkeit<br />

Insbesondere bei Betroffenen, die sich in akuten Gefahren- <strong>und</strong> Krisensituationen an die <strong>Beratung</strong><br />

wenden, spielt die Abklärung der aktuellen Befindlichkeit eine zentrale Rolle. Dabei<br />

gilt es auch in Erfahrung zu bringen, inwieweit Kinder oder andere Personen <strong>von</strong> Gewalt betroffen<br />

sind, sei es dadurch, dass sich die Gewalt unmittelbar gegen sie selbst richtet, oder<br />

dass sie die Gewalt miterleben. Soweit dies der Fall ist, sollte auch in Bezug auf die weiteren<br />

Betroffenen der Versorgungsbedarf ermittelt werden. Bei der Abklärung der Befindlichkeit<br />

ist sowohl die körperliche als auch die psychische Verfassung in den Blick zu nehmen. Letztlich<br />

müssen folgende Fragen beantwortet werden, die für das weitere Vorgehen in der <strong>Beratung</strong><br />

entscheidend sind:<br />

• Besteht akuter medizinischer Versorgungsbedarf?<br />

Liegen behandlungsbedürftige Verletzungen vor, sollte besprochen werden, wo eine adäquate<br />

medizinische Versorgung erfolgen kann. Bei schweren Verletzungen muss sichergestellt<br />

werden, wie der/die Betroffene medizinische Hilfe erhält (z. B. Verständigung der<br />

Notarztzentrale). Daneben sollte darauf hingewiesen werden, dass es <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

mögliche juristische Schritte sinnvoll ist, sich ein ärztliches Attest ausstellen zu lassen.<br />

• Wie viel Information ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen Befindlichkeit der/des<br />

Betroffenen angemessen?<br />

Wird vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer schlechten Befindlichkeit deutlich, dass die Möglichkeiten<br />

zur Informationsverarbeitung eingeschränkt sind, muss eine angemessene Balance<br />

zwischen emotionaler Stabilisierung <strong>und</strong> Klärung zentraler Fragen gef<strong>und</strong>en werden.<br />

• Kann der Alltag vor dem Hintergr<strong>und</strong> der aktuellen psychischen <strong>und</strong> physischen<br />

Situation alleine gemeistert werden?<br />

Wird erkennbar, dass die/der Betroffene nicht mehr ausreichend für sich selbst sorgen<br />

kann, gilt es zu klären, wie ein möglichst unterstützender äußerer Rahmen geschaffen<br />

werden kann. Je nach Konstellation <strong>und</strong> Wünschen der Betroffenen kann u. a. ein Aufenthalt<br />

<strong>im</strong> Frauenhaus, die Hilfe <strong>von</strong> Fre<strong>und</strong>(inn)en oder Verwandten sowie ein stationärer<br />

Klinikaufenthalt in Betracht gezogen werden. In Fällen, in denen Kinder bei der/dem Betroffenen<br />

leben, sind die Bedürfnisse der Kinder adäquat zu berücksichtigen.<br />

Ermittlung der aktuellen Gefährdungslage<br />

Bei der Ermittlung der Gefährdungslage sollten einerseits mögliche Gefahren sehr konkret<br />

besprochen werden. Andererseits sollten die Betroffenen durch die Fragen nicht (weiter) beunruhigt<br />

werden. 44 Das Ausmaß der Gefährdungslage sollte auf zwei Ebenen ermittelt werden,<br />

die nicht notwendigerweise übereinst<strong>im</strong>men müssen: zum einen das subjektive Sicherheitsgefühl<br />

der Betroffenen <strong>und</strong> zum anderen die <strong>von</strong> den Betroffenen konkret beobachteten<br />

Gefahrenmerkmale. Eine hohe Gefährdungslage ist <strong>im</strong>mer dann gegeben, wenn die/der<br />

Betroffene in erheblicher Angst vor der gewaltverübenden Person lebt. Zudem weisen best<strong>im</strong>mte<br />

äußere Situationsmerkmale auf ein hohes Sicherheitsrisiko hin. Dies ist beispielsweise<br />

dann der Fall, wenn die gewaltverübende Person Drohungen ausgesprochen hat, die<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihres bisherigen Verhaltens realistisch wirken, wenn es sich um eine<br />

längerandauernde Gewaltbeziehung handelt oder wenn die gewaltverübende Person in verschiedenen<br />

sozialen <strong>Kontext</strong>en gewalttätig wurde. Weitere Beispiele für eine hohe Gefährdungslage<br />

sind angedrohter Mord, Waffenbesitz oder die ernstzunehmende Möglichkeit,<br />

dass die gewaltverübende Person das Opfer, dessen Kind(er) oder andere Angehörige entführen<br />

könnte. Ein besonders hohes Risiko besteht für Betroffene, die sich zu einer Trennung<br />

<strong>von</strong> ihrem gewalttätigen Partner entschieden haben. Entsprechend stark gefährdet<br />

44 Für Hinweise zu konkreten Befragungsstrategien zur Ermittlung der Gefährdungslage s. MUM-Checkliste zur pro-aktiven Erstberatung,<br />

III Materialien, S. 101.<br />

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