Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

Wahrnehmungsmuster häuslicher Gewalt von Frauen zum Zeitpunkt der Beratung Muster Gewalt in der Beziehung Positionierung zur Partnerschaft Eigene Selbstwirksamkeit („Agency“) Rasche Trennung Einmalige Gewaltphase oder Gewalthandlung, meist im Rahmen einer kurz andauernden Beziehung. Eine Fortführung der Beziehung wird allenfalls dann erwogen, wenn konkrete Voraussetzungen vom Partner erfüllt werden. Hohe Agency: Gewalt wird als inakzeptabel bewertet. Die Betroffenen sind davon überzeugt, dass sie die Gewalt wirksam unterbinden können. Neue Chance für die Aufrechterhaltung der Partnerschaft Wiederholte Gewaltepisoden, die als Ausnahmesituationen im normalen Familienalltag bewertet werden. Eine Trennung vom Partner wird ausgeschlossen. Hohe Agency: Die Betroffenen sind der Überzeugung, dass sie das gewalttätige Verhalten ihres Partners verändern können. Fortgeschrittener Trennungsprozess Lang andauernde Gewalterfahrungen mit kontinuierlicher Zuspitzung. In diesem Verlauf kommt es zu einer allmählich einsetzenden Ablösung vom Partner. Die psychische Ablösung vom Partner ist weit vorangeschritten bzw. die Trennung ist vollzogen. Hohe Agency: Die Betroffenen haben die Hoffnung auf eine Änderung aufgegeben und planen die Trennung. Ambivalente Beziehung Lang andauernde, eskalierende Gewalterfahrung. Häufig liegt eine traumatische Belastungsstörung oder ein Stockholm-Syndrom vor. Eine psychische Ablösung vom Partner ist nicht möglich. Geringe Agency: Die Betroffenen wollen keine Gewalt mehr erleben, können das Gefühl von Sicherheit jedoch nur im Kontakt mit ihrem Partner herstellen. Abb. II 2.2: Wahrnehmungsmuster häuslicher Gewalt von Frauen zum Zeitpunkt der Beratung · Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Grundlage von Helfferich et al. 2004 u. Helfferich 2005. Für Klientinnen, die dem Wahrnehmungsmuster „rasche Trennung“ zuzuordnen sind, ist Gewalt durch den Partner nicht hinnehmbar. Vor dem Hintergrund einer hohen Selbstwirksamkeit entscheiden sie sich – sofern sich das Verhalten des Partners nicht verändert – zu einem frühen Zeitpunkt zur Trennung. Der Beratungsbedarf dieser Klientinnen ist eher punktuell. Er bezieht sich v. a. darauf, dass sie im Nachgang von polizeilichen Interventionen Informationen über deren Bedeutung benötigen. Daneben kann ein Hilfebedarf im Zusammenhang mit abrupten Veränderungen ihrer Lebenssituation entstehen. Verstärkter Beratungsbedarf wird dagegen auf Seiten des ehemaligen Partners gesehen. 63

II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis Klientinnen, deren Wahrnehmungsmuster zum Zeitpunkt der Beratung dem Typus „Neue Chance“ zugeordnet werden kann, halten vor dem Hintergrund einer traditionellen Partnerschaftskonzeption an ihrer Beziehung fest. Sie sind der Überzeugung, dass es in der Familie nicht zu Gewalt kommen sollte und deuten die bisher erfolgten Gewalthandlungen des Partners als Ausnahmesituationen. Den Klientinnen geht es darum, das gewalttätige Verhalten ihres Partners zu verändern. Entsprechend erhoffen sie sich von der Beratung primär Unterstützung dabei, ihn zu einer Veränderung zu bewegen, ohne den Fortbestand der Partnerschaft zu gefährden. Sie erhoffen sich häufig, dass polizeiliche, juristische oder beraterische Interventionen den Partner dazu motivieren können, ein eigenes Beratungsangebot wahrzunehmen. Auf Nachfragen zur Beziehung reagieren die Betroffenen häufig abweisend, da sie diese oftmals als Aufforderung zur Trennung interpretieren. Frauen, deren Wahrnehmung dem Muster „Fortgeschrittener Trennungsprozess“ entspricht, haben sich in aller Regel seit längerem mit der Trennung vom gewalttätigen Partner auseinandergesetzt. Zum Zeitpunkt der Beratung nehmen sie sich in ihrer Entschlossenheit zur Trennung als handlungsmächtig wahr. Die hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung trifft jedoch nicht auf die Vergangenheit zu. Helfferich et al. (2004) unterscheiden hier zwei Entwicklungsprozesse: • Ein Teil der Frauen erlebte sich früher der Gewalt ohnmächtig und hilflos ausgesetzt. Erst im Laufe eines längeren Prozesses hat sich eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung aufgebaut und dabei wurden oftmals Phasen durchlaufen, die dem Wahrnehmungsmuster „Ambivalente Bindung“ entsprechen. Anders als es das klassische Modell von Walker nahe legt, führt die zunehmende Gewalt nicht zu einer immer weiteren Steigerung der Hilflosigkeit, sondern stößt einen Ablösungsprozess an. • Der zweite Entwicklungsverlauf zeichnet sich dadurch aus, dass die Frauen bereits früher versuchten die Situation zu verändern, wobei die Versuche wenig erfolgreich waren. Klientinnen des Typus „Fortgeschrittene Trennung“ glauben nicht mehr daran, dass sich ihr Mann verändern wird und haben innerlich mit der Beziehung abgeschlossen. Sie suchen Unterstützung bei der Trennung – alle Formen von Informationen, Hilfen zum Umgang mit der völlig veränderten Situation des „Auf-sich-allein-gestellt-seins“ sind erwünscht (z. B. Antrag auf Sozialhilfe etc.). Ein wichtiges Thema sind Fragen zur eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Familie während und nach polizeilichen oder richterlichen Interventionen wie Platzverweis oder Wohnungszuweisung. Nachfragen zur Beziehung verstehen diese Klientinnen leicht als Aufforderung, die Beziehung zum Partner aufrecht zu erhalten und lehnen entsprechende Äußerungen oder Interventionen, wie beispielsweise gemeinsame Gespräche mit dem (ehemaligen) Partner, ab. Aus der Perspektive von Fachkräften benötigen Klientinnen, die dem Muster „Ambivalente Bindung“ angehören, ein besonders umfangreiches Beratungsangebot. Gleichzeitig ist die Arbeit mit diesen Klientinnen sehr fordernd, da sie auch der Beratung hoch ambivalent gegenüberstehen. Die psychische Situation zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Frauen nur in sehr geringem Maß als handlungsmächtig erleben. Häufig versucht der gewalttätige Partner, seine Frau zu isolieren und alle Schritte der Frau aus der Beziehung, wie z. B. die Suche nach Information und Beratung, zu unterbinden. Der Entwicklungsverlauf der Gewaltbeziehung entspricht dem klassischen Modell der Gewaltspirale. Als Folge der langanhaltenden, oft schweren Gewalterfahrungen finden sich unter diesen Klientinnen gehäuft Beschwerdebilder wie posttraumatische Belastungsstörung oder Stockholm-Syndrom. Im Hinblick auf das Ziel, Entscheidungen zu unterstützen, die ein Leben in Sicherheit ermöglichen, ist in der Beratung eine langfristige Perspektive erforderlich. Im Vordergrund stehen zunächst Interventionen, die die Klientinnen psychisch stabilisieren und stärken sowie die 64

Wahrnehmungsmuster häuslicher Gewalt <strong>von</strong> Frauen zum Zeitpunkt der <strong>Beratung</strong><br />

Muster<br />

Gewalt in der Beziehung<br />

Positionierung zur<br />

Partnerschaft<br />

Eigene Selbstwirksamkeit<br />

(„Agency“)<br />

Rasche Trennung<br />

Einmalige Gewaltphase<br />

oder Gewalthandlung,<br />

meist <strong>im</strong> Rahmen einer<br />

kurz andauernden Beziehung.<br />

Eine Fortführung der Beziehung<br />

wird allenfalls<br />

dann erwogen, wenn konkrete<br />

Voraussetzungen<br />

vom Partner erfüllt werden.<br />

Hohe Agency:<br />

Gewalt wird als inakzeptabel<br />

bewertet. Die Betroffenen<br />

sind da<strong>von</strong> überzeugt,<br />

dass sie die Gewalt wirksam<br />

unterbinden können.<br />

Neue Chance für die<br />

Aufrechterhaltung<br />

der Partnerschaft<br />

Wiederholte Gewaltepisoden,<br />

die als Ausnahmesituationen<br />

<strong>im</strong> normalen<br />

Familienalltag bewertet<br />

werden.<br />

Eine Trennung vom Partner<br />

wird ausgeschlossen.<br />

Hohe Agency:<br />

Die Betroffenen sind der<br />

Überzeugung, dass sie das<br />

gewalttätige Verhalten ihres<br />

Partners verändern<br />

können.<br />

Fortgeschrittener<br />

Trennungsprozess<br />

Lang andauernde Gewalterfahrungen<br />

mit kontinuierlicher<br />

Zuspitzung. In<br />

diesem Verlauf kommt es<br />

zu einer allmählich einsetzenden<br />

Ablösung vom<br />

Partner.<br />

Die psychische Ablösung<br />

vom Partner ist weit vorangeschritten<br />

bzw. die<br />

Trennung ist vollzogen.<br />

Hohe Agency:<br />

Die Betroffenen haben die<br />

Hoffnung auf eine Änderung<br />

aufgegeben <strong>und</strong> planen<br />

die Trennung.<br />

Ambivalente<br />

Beziehung<br />

Lang andauernde, eskalierende<br />

Gewalterfahrung.<br />

Häufig liegt eine traumatische<br />

Belastungsstörung<br />

oder ein Stockholm-Syndrom<br />

vor.<br />

Eine psychische Ablösung<br />

vom Partner ist nicht möglich.<br />

Geringe Agency:<br />

Die Betroffenen wollen<br />

keine Gewalt mehr erleben,<br />

können das Gefühl<br />

<strong>von</strong> Sicherheit jedoch nur<br />

<strong>im</strong> Kontakt mit ihrem Partner<br />

herstellen.<br />

Abb. II 2.2: Wahrnehmungsmuster häuslicher Gewalt <strong>von</strong> Frauen zum Zeitpunkt der <strong>Beratung</strong> · Quelle: Eigene Zusammenstellung auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>von</strong> Helfferich et al. 2004 u. Helfferich 2005.<br />

Für Klientinnen, die dem Wahrnehmungsmuster „rasche Trennung“ zuzuordnen sind, ist<br />

Gewalt durch den Partner nicht hinnehmbar. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer hohen Selbstwirksamkeit<br />

entscheiden sie sich – sofern sich das Verhalten des Partners nicht verändert – zu einem<br />

frühen Zeitpunkt zur Trennung. Der <strong>Beratung</strong>sbedarf dieser Klientinnen ist eher punktuell.<br />

Er bezieht sich v. a. darauf, dass sie <strong>im</strong> Nachgang <strong>von</strong> polizeilichen Interventionen<br />

Informationen über deren Bedeutung benötigen. Daneben kann ein Hilfebedarf <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit abrupten Veränderungen ihrer Lebenssituation entstehen. Verstärkter <strong>Beratung</strong>sbedarf<br />

wird dagegen auf Seiten des ehemaligen Partners gesehen.<br />

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