Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

Die Arbeit mit Migrantinnen hat in der Fachberatung eine große Bedeutung. So entfällt beispielsweise in bayerischen Fachberatungsstellen rund jede dritte Anmeldung auf eine Klientin, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Der größte Teil dieser Betroffenen stammt aus der Türkei, Russland sowie den GUS-Staaten. In Großstädten, wie beispielsweise München, ist die Vielfalt der Nationalitäten deutlich größer als in ländlichen Regionen (für weitere Hinweise zur Beratung von Betroffenen mit Migrationshintergrund s. II Kap. 3.4). Familiensituation und die Beziehung zur gewaltverübenden Person Bei den Betroffenen, die psychosoziale Unterstützungsangebote nutzen, handelt es sich mehrheitlich um Frauen, die von Gewalt durch den aktuellen oder einen ehemaligen Partner betroffen sind (Limmer/Mengel 2005a). So entfielen an den bayerischen Modellberatungsstellen mehr als 90 % der Beratungen auf Klientinnen, die von Gewalt durch den (Ehe-)Partner berichten (Smolka/Rupp 2005). Ein Anteil von 80 % lebt zum Zeitpunkt der Beratung mit dem Täter im gleichen Haushalt. Betroffene, die Gewalt durch andere im Haushalt lebende Personen oder Nachstellungen durch fremde Personen erfahren, wurden vergleichsweise selten beraten. Zwei Drittel der Klientinnen leben mit Kindern zusammen; die Kinder sind in aller Regel direkt oder indirekt von der Gewalt betroffen (Smolka/Rupp 2005). 2.3 Erlebte Gewalt Opfer häuslicher Gewalt und Nachstellungen berichten nahezu immer sowohl von körperlicher als auch von psychischer Gewalt. Daneben beschreiben 60 % der Opfer, dass Gewalt gegen Sachen verübt wurde, rund ein Drittel berichtet von sexuellen Gewalterfahrungen und jede(r) Fünfte von körperlicher Gewalt gegenüber Dritten (Limmer/Mengel 2005a). Die Ergebnisse des bayerischen Modellprojekts zeigen, dass knapp die Hälfte der Klientinnen, die die Beratung nutzte, bereits länger als fünf Jahre Gewalt erfahren hat. In etwa jedem dritten Beratungsfall erstrecken sich die Gewalterfahrungen über einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren. Nur jede zehnte Klientin berichtet von Gewalt, die weniger als ein Jahr anhielt. Betroffene, die sofort nach dem erstmaligen Auftreten von Gewalt eine Beratung in Anspruch nahmen, sind bislang die Ausnahme 41 (Smolka/Rupp 2005). Das Erleben von häuslicher Gewalt und Nachstellungen ist in vielen Fällen mit gravierenden negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen für die Betroffenen verbunden (s. I Kap. 1.2). Eine zentrale Aufgabe der Beratung ist es, Betroffene dabei zu unterstützen, Entscheidungen zu entwickeln und umzusetzen, die ein Leben in Sicherheit ermöglichen (s. II Kap. 1.). Um diese Aufgabe wahrzunehmen, ist es wichtig, dass die Berater(innen) differenziert die Situation der Klient(inn)en erfassen, um vor diesem Hintergrund einzuschätzen, welche Entscheidungen für sie von Bedeutung sein könnten. Im nächsten Abschnitt wird daher zunächst kurz auf das Modell der Gewaltspirale von Walker als klassische Grundlage der Beratungsarbeit eingegangen. Im Folgenden wird das weiterführende Modell von Helfferich et al. (2004) vorgestellt. 41 Ein Anteil von 2 % der Klientinnen an bayerischen Modellberatungsstellen wandte sich unmittelbar nach dem ersten Auftreten der Gewalt an die Einrichtungen. 61

II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis Die Gewaltspirale Ein grundlegendes Modell zur Erklärung der Gewaltdynamik in heterosexuellen Paarbeziehungen, in der die Gewalt vom Mann ausgeht, geht auf die amerikanische Sozialwissenschaftlerin und Therapeutin Lenore Walker zurück. Sie beschreibt die Dynamik als eine sich wiederholende Abfolge von Phasen (s. Abb. II 2.1), in deren Verlauf die Gewalt immer weiter eskaliert. Parallel dazu nimmt das Selbstwertgefühl und die Handlungsfähigkeit der betroffenen Frauen ab. Die skizzierte Dynamik legt nahe, dass die Gewaltbeziehung ohne Hilfe von außen nicht beendet werden kann. Zudem impliziert das Modell, dass die Betroffenen eine mittel- bis langfristige Unterstützung benötigen, da eine stabile Entscheidung, die Beziehung zum Täter zu beenden, voraussetzt, dass die Frauen an Selbstwert und Handlungsfähigkeit gewonnen haben. Die Gewaltspirale nach Walker Spannungsphase • In der Spannungsphase kommt es zu kleineren Übergriffen. Diese werden Entspannungsphase von der Frau meist entschuldigt und verharmlost. Spannungsphase Phase des Gewaltausbruchs • Auf diese Spannungsphase folgt die Phase des Gewaltausbruches, in der es zu massiver psychischer, körperlicher und/oder sexueller Gewalt kommt. • In der folgenden Entspannungsphase verhält sich der Täter oft reue- und liebevoll gegenüber dem Opfer, meist mit Besserungsabsichten oder -beteuerungen. • Dies hält meist nicht lange vor und es erfolgt erneut eine Spannungsphase. Abb. II 2.1: Die Gewaltspirale nach Walker · Quelle: Ministerium des Innern und für Sport 2004: 11. Muster der subjektiv wahrgenommenen Gewalterfahrungen Neuere Studien weisen darauf hin, dass das klassische Modell des Gewaltzyklus von Walker nur einen möglichen Entwicklungsprozess neben anderen abbildet. So identifizierten Helfferich et al. (2004) verschiedene Muster, wie Frauen ihre Erfahrungen von häuslicher Gewalt wahrnehmen (s. Abb. II 2.2). 42 Mit jeder der Konstellationen verbindet sich ein spezifischer Handlungs- und Beratungsbedarf. Das Modell will damit den Blick der Berater(innen) für die teils kleinen, teils großen Schritte der Betroffenen schärfen, die zum Ausstieg aus einer Gewaltsituation führen können. 62 42 Die Wahrnehmungsmuster wurden anhand von Interviews mit Betroffenen, die im Nachgang eines Platzverweises ein zugehendes Beratungsangebot erhielten, entwickelt. Beraterinnen aus der Fachberatung bestätigten im Rahmen der Studie die Relevanz dieser Muster für die Praxis. Bei den von Helfferich et al. identifizierten Konstellationen ist zu betonen, dass es sich nicht um stabile, sondern situationsgebundene Wahrnehmungsmuster handelt, die sich in Abhängigkeit von neuen Erfahrungen und Situationen verändern. Zudem handelt es sich bei den vier Mustern um Idealtypen. In der Praxis können Mischformen bzw. ein Oszillieren zwischen Mustern beobachtet werden (s. Helfferich et al. 2004 u. Helfferich 2005).

Die Arbeit mit Migrantinnen hat in der Fachberatung eine große Bedeutung. So entfällt beispielsweise<br />

in bayerischen Fachberatungsstellen r<strong>und</strong> jede dritte Anmeldung auf eine Klientin,<br />

die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Der größte Teil dieser Betroffenen stammt<br />

aus der Türkei, Russland sowie den GUS-Staaten. In Großstädten, wie beispielsweise München,<br />

ist die Vielfalt der Nationalitäten deutlich größer als in ländlichen Regionen (für weitere<br />

Hinweise zur <strong>Beratung</strong> <strong>von</strong> Betroffenen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> s. II Kap. 3.4).<br />

Familiensituation <strong>und</strong> die Beziehung zur gewaltverübenden Person<br />

Bei den Betroffenen, die psychosoziale Unterstützungsangebote nutzen, handelt es sich<br />

mehrheitlich um Frauen, die <strong>von</strong> Gewalt durch den aktuellen oder einen ehemaligen Partner<br />

betroffen sind (L<strong>im</strong>mer/Mengel 2005a). So entfielen an den bayerischen Modellberatungsstellen<br />

mehr als 90 % der <strong>Beratung</strong>en auf Klientinnen, die <strong>von</strong> Gewalt durch den (Ehe-)Partner<br />

berichten (Smolka/Rupp 2005). Ein Anteil <strong>von</strong> 80 % lebt zum Zeitpunkt der <strong>Beratung</strong> mit<br />

dem Täter <strong>im</strong> gleichen Haushalt. Betroffene, die Gewalt durch andere <strong>im</strong> Haushalt lebende<br />

Personen oder Nachstellungen durch fremde Personen erfahren, wurden vergleichsweise<br />

selten beraten. Zwei Drittel der Klientinnen leben mit Kindern zusammen; die Kinder sind in<br />

aller Regel direkt oder indirekt <strong>von</strong> der Gewalt betroffen (Smolka/Rupp 2005).<br />

2.3 Erlebte Gewalt<br />

Opfer häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen berichten nahezu <strong>im</strong>mer sowohl <strong>von</strong> körperlicher<br />

als auch <strong>von</strong> psychischer Gewalt. Daneben beschreiben 60 % der Opfer, dass Gewalt<br />

gegen Sachen verübt wurde, r<strong>und</strong> ein Drittel berichtet <strong>von</strong> sexuellen Gewalterfahrungen<br />

<strong>und</strong> jede(r) Fünfte <strong>von</strong> körperlicher Gewalt gegenüber Dritten (L<strong>im</strong>mer/Mengel 2005a). Die<br />

Ergebnisse des bayerischen Modellprojekts zeigen, dass knapp die Hälfte der Klientinnen,<br />

die die <strong>Beratung</strong> nutzte, bereits länger als fünf Jahre Gewalt erfahren hat. In etwa jedem<br />

dritten <strong>Beratung</strong>sfall erstrecken sich die Gewalterfahrungen über einen Zeitraum <strong>von</strong> ein bis<br />

fünf Jahren. Nur jede zehnte Klientin berichtet <strong>von</strong> Gewalt, die weniger als ein Jahr anhielt.<br />

Betroffene, die sofort nach dem erstmaligen Auftreten <strong>von</strong> Gewalt eine <strong>Beratung</strong> in Anspruch<br />

nahmen, sind bislang die Ausnahme 41 (Smolka/Rupp 2005). Das Erleben <strong>von</strong> häuslicher<br />

Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen ist in vielen Fällen mit gravierenden negativen ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

<strong>und</strong> sozialen Folgen für die Betroffenen verb<strong>und</strong>en (s. I Kap. 1.2).<br />

Eine zentrale Aufgabe der <strong>Beratung</strong> ist es, Betroffene dabei zu unterstützen, Entscheidungen<br />

zu entwickeln <strong>und</strong> umzusetzen, die ein Leben in Sicherheit ermöglichen (s. II Kap. 1.). Um<br />

diese Aufgabe wahrzunehmen, ist es wichtig, dass die Berater(innen) differenziert die Situation<br />

der Klient(inn)en erfassen, um vor diesem Hintergr<strong>und</strong> einzuschätzen, welche Entscheidungen<br />

für sie <strong>von</strong> Bedeutung sein könnten. Im nächsten Abschnitt wird daher zunächst<br />

kurz auf das Modell der Gewaltspirale <strong>von</strong> Walker als klassische Gr<strong>und</strong>lage der <strong>Beratung</strong>sarbeit<br />

eingegangen. Im Folgenden wird das weiterführende Modell <strong>von</strong> Helfferich et al. (2004)<br />

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41 Ein Anteil <strong>von</strong> 2 % der Klientinnen an bayerischen Modellberatungsstellen wandte sich unmittelbar nach dem ersten Auftreten der Gewalt an die<br />

Einrichtungen.<br />

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