Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern
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• Informationen über eigene Rechte und Handlungsmöglichkeiten Eigenverantwortliche Entscheidungen, die Auswege aus der bestehenden Gewaltsituation eröffnen, setzen eine fundierte Informationsgrundlage voraus. Betroffene von Gewalt kommen mit allenfalls wenigen Kenntnissen über die eigenen Rechte und Handlungsmöglichkeiten in die Beratung und diejenigen, die über Vorinformationen verfügen, haben oftmals unzutreffende Vorstellungen (s. hierzu II Kap. 2.1). Eine zentrale Aufgabe der Beratung ist es daher, über die bestehenden Schutzmöglichkeiten, deren Funktionsweise und mögliche Bedeutung für die Situation der Betroffenen aufzuklären. Bei der Information über bestehende Handlungsmöglichkeiten gilt es, sowohl über gesetzlich verbriefte Rechte als auch über weitere Optionen, wie z. B. einen Frauenhausaufenthalt, zu informieren. Im Rahmen der Aufklärung ist das Vorgehen umfassend zu erklären und die Folgen, die mit den jeweiligen Alternativen verbunden sind, zu reflektieren. • Entwicklung von individuell angepassten Sicherheitsstrategien Flankierend zu grundsätzlichen Informationen über Handlungsmöglichkeiten gehört zu den zentralen Aufgaben der Beratung, gemeinsam mit der/dem Betroffenen konkrete Sicherheitsstrategien zu entwickeln, die auf die individuelle Situation abgestimmt sind. Es handelt sich dabei im Idealfall um konkrete Verhaltensweisen, die bereits unmittelbar im Anschluss an die Beratung dazu beitragen, die Sicherheit der Betroffenen zu erhöhen. • Krisenintervention Betroffene von häuslicher Gewalt und Nachstellungen befinden sich oftmals in einer extremen Not- und Krisensituation und sind in einer entsprechend schlechten physischen und psychischen Verfassung. Diese Krise kann zum einen unmittelbar durch die erfahrene oder angedrohte Gewalt ausgelöst werden. Zum anderen können auch juristische Schritte, die durch die Betroffenen selbst zum eigenen Schutz eingeleitet wurden, zu einer Überforderungssituation beitragen. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich die Betroffenen nach einer polizeilichen Wegweisung des gewaltverübenden Partners überfordert fühlen, weil ihnen unklar ist, wie drängende Fragen, die das Leben der ganzen Familie betreffen, zu lösen sind. Die Fachberatung hat die Aufgabe, Gewaltbetroffene in Krisensituationen adäquat zu unterstützen. • Emotionale Stabilisierung und Ermutigung Begleitend zur inhaltlichen Beratung ist es nahezu immer erforderlich, die Betroffenen emotional zu stabilisieren und sie in ihren Versuchen, sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien, zu ermutigen. Bei Betroffenen, die sich im Kontext akuter Gewaltsituationen an die Einrichtung wenden oder die nach langen Jahren der Gewalt Unterstützung suchen, steht die emotionale Stabilisierung an erster Stelle, bevor inhaltliche Überlegungen angestellt werden können. • Hilfekoordinierung Der Hilfebedarf von Betroffenen häuslicher Gewalt und Nachstellungen ist in aller Regel vielfältig. Der Fachberatung kommt dabei vergleichbar mit der Rolle des Hausarztes/der Hausärztin eine Lotsenfunktion zu: Neben der Grundversorgung in den vorgestellten Bereichen muss sicher gestellt werden, dass sich die Betroffenen Zugang zu allen weiteren Angeboten und Einrichtungen verschaffen können, die sie bei der Bewältigung ihrer Problemlagen unterstützen. Neben der reinen Weitervermittlung können je nach Stellenprofil im Rahmen der Hilfekoordinierung weitere Leistungen angeboten werden, wie z. B. die persönliche Vermittlung von Kontakten zu anderen Stellen, Begleitung der Betroffenen zu Gerichtsterminen, Ämtern oder medizinischen Untersuchungen. 51
II Informationen und Empfehlungen für die Beratungspraxis Neben den genannten Aufgaben können je nach konkreter Konzeption der Fachberatung weitere Leistungen erfolgen (vgl. I Kap. 4). So zählt beispielsweise bei Beratungsstellen, die ein längerfristiges Beratungsangebot unterbreiten, die Unterstützung der Betroffenen bei der psychischen Verarbeitung des Gewaltgeschehens zu den Kernaufgaben. 1.2 Arbeitsprinzipien Die im Folgenden dargestellten Arbeitsprinzipien haben sich primär aus der Erfahrung von Beraterinnen in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen entwickelt. Feministische Theorien, die die Gewaltbetroffenheit von Frauen erstmals zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema erklärten und die Mechanismen der Gewalt differenziert analysieren, spielten und spielen als theoretische Fundierung eine zentrale Rolle. Seit einigen Jahren wird nun auch der Situation von Männern als Opfer häuslicher Gewalt und Nachstellungen verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Die künftige Auseinandersetzung mit dieser Thematik wird zeigen, inwieweit die Beratungsarbeit mit Männern in bestimmten Bereichen eine spezielle Ausdifferenzierung erfordert. Bis hierzu fundierte Erfahrungen vorliegen, können die Grundsätze, sofern ein offener Blick für besondere Anforderungen gegeben ist, zumindest als Orientierung für die Arbeit mit Männern genutzt werden. Konzeptionelle Prinzipien der Fachberatung • Niedrigschwelligkeit Nach wie vor sind die Beratungsbarrieren für viele Gewaltbetroffene hoch (s. II Kap. 2.1). Eine niedrigschwellige Ausrichtung des gesamten Beratungskonzepts zählt daher zu den zentralen Prinzipien, denen die Fachberatung von Gewaltbetroffenen verpflichtet ist. Wesentliche Merkmale sind in diesem Zusammenhang, dass die Inanspruchnahme des Angebots kostenlos ist und eine breite Öffentlichkeitsarbeit sowie eine gezielte Informationsweitergabe an Betroffene erfolgt. Darüber hinaus können weitere konzeptionelle Entscheidungen, wie z. B. die Durchführung pro-aktiver Beratungen oder aufsuchende Angebote, zu einer Absenkung der Zugangshürden beitragen (s. I Kap. 4). • Freiwilligkeit der Beratung Freiwilligkeit ist eine fachliche Grundlage der psychosozialen Beratung und damit auch der Fachberatung von Gewaltbetroffenen (s. u. a. Deutscher Arbeitskreis für Jugend-, Ehe- und Familienberatung 2001: 6). Auch ein im engen Sinn pro-aktives Vorgehen bildet diesbezüglich keine Ausnahme, da die Entscheidung, inhaltlich auf das Angebot einzugehen, bei der Klientin/dem Klienten liegt (für weitere Hinweise s. I Kap. 4). Zudem setzt bei der in Bayern praktizierten Variante des pro-aktiven Vorgehens („pro-aktiv light“) bereits die Kontaktaufnahme das explizite Einverständnis der Opfer voraus. • Vertraulichkeit und Anonymität Die Beratung von Gewaltbetroffenen erfordert die Zusicherung von Vertraulichkeit. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, dass sich die Betroffenen zumindest zum Erstgespräch anonym an die Fachberatung wenden können. Ergeben sich z. B. im Zusammenhang mit der Situation des Kindes Hinweise darauf, dass das Jugendamt informiert werden sollte, ist im konkreten Bedarfsfall der Einbezug einer kooperierenden Einrichtung mit den Betroffenen zu besprechen (für weitere Hinweise s. II Kap. 3.2). 52
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II Informationen <strong>und</strong> Empfehlungen für die <strong>Beratung</strong>spraxis<br />
Neben den genannten Aufgaben können je nach konkreter Konzeption der Fachberatung<br />
weitere Leistungen erfolgen (vgl. I Kap. 4). So zählt beispielsweise bei <strong>Beratung</strong>sstellen, die<br />
ein längerfristiges <strong>Beratung</strong>sangebot unterbreiten, die Unterstützung der Betroffenen bei<br />
der psychischen Verarbeitung des Gewaltgeschehens zu den Kernaufgaben.<br />
1.2 Arbeitsprinzipien<br />
Die <strong>im</strong> Folgenden dargestellten Arbeitsprinzipien haben sich pr<strong>im</strong>är aus der Erfahrung <strong>von</strong><br />
Beraterinnen in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen entwickelt. Feministische Theorien,<br />
die die Gewaltbetroffenheit <strong>von</strong> Frauen erstmals zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema<br />
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als theoretische F<strong>und</strong>ierung eine zentrale Rolle. Seit einigen Jahren wird nun auch der<br />
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geschenkt. Die künftige Auseinandersetzung mit dieser Thematik wird zeigen, inwieweit<br />
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sofern ein offener Blick für besondere Anforderungen gegeben ist, zumindest als Orientierung<br />
für die Arbeit mit Männern genutzt werden.<br />
Konzeptionelle Prinzipien der Fachberatung<br />
• Niedrigschwelligkeit<br />
Nach wie vor sind die <strong>Beratung</strong>sbarrieren für viele Gewaltbetroffene hoch (s. II Kap. 2.1).<br />
Eine niedrigschwellige Ausrichtung des gesamten <strong>Beratung</strong>skonzepts zählt daher zu den<br />
zentralen Prinzipien, denen die Fachberatung <strong>von</strong> Gewaltbetroffenen verpflichtet ist.<br />
Wesentliche Merkmale sind in diesem Zusammenhang, dass die Inanspruchnahme des<br />
Angebots kostenlos ist <strong>und</strong> eine breite Öffentlichkeitsarbeit sowie eine gezielte Informationsweitergabe<br />
an Betroffene erfolgt. Darüber hinaus können weitere konzeptionelle Entscheidungen,<br />
wie z. B. die Durchführung pro-aktiver <strong>Beratung</strong>en oder aufsuchende Angebote,<br />
zu einer Absenkung der Zugangshürden beitragen (s. I Kap. 4).<br />
• Freiwilligkeit der <strong>Beratung</strong><br />
Freiwilligkeit ist eine fachliche Gr<strong>und</strong>lage der psychosozialen <strong>Beratung</strong> <strong>und</strong> damit auch<br />
der Fachberatung <strong>von</strong> Gewaltbetroffenen (s. u. a. Deutscher Arbeitskreis für Jugend-,<br />
Ehe- <strong>und</strong> Familienberatung 2001: 6). Auch ein <strong>im</strong> engen Sinn pro-aktives Vorgehen bildet<br />
diesbezüglich keine Ausnahme, da die Entscheidung, inhaltlich auf das Angebot einzugehen,<br />
bei der Klientin/dem Klienten liegt (für weitere Hinweise s. I Kap. 4). Zudem setzt bei<br />
der in <strong>Bayern</strong> praktizierten Variante des pro-aktiven Vorgehens („pro-aktiv light“) bereits<br />
die Kontaktaufnahme das explizite Einverständnis der Opfer voraus.<br />
• Vertraulichkeit <strong>und</strong> Anonymität<br />
Die <strong>Beratung</strong> <strong>von</strong> Gewaltbetroffenen erfordert die Zusicherung <strong>von</strong> Vertraulichkeit. Darüber<br />
hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, dass sich die Betroffenen zumindest zum<br />
Erstgespräch anonym an die Fachberatung wenden können. Ergeben sich z. B. <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit der Situation des Kindes Hinweise darauf, dass das Jugendamt informiert<br />
werden sollte, ist <strong>im</strong> konkreten Bedarfsfall der Einbezug einer kooperierenden Einrichtung<br />
mit den Betroffenen zu besprechen (für weitere Hinweise s. II Kap. 3.2).<br />
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