Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

Mehr als die Hälfte dieser Frauen erleidet gravierende, behandlungsbedürftige Verletzungen, wie z. B. offene Wunden, Zerrungen oder Verletzungen am Kopf und im Gesicht. Negative Auswirkungen der Gewalt auf die emotionale Befindlichkeit sind noch häufiger zu beobachten: Körperliche Gewalt zieht beispielsweise bei nahezu zwei Dritteln der betroffenen Frauen psychische Beeinträchtigungen nach sich. Im Fall sexueller Gewalt berichten 79 % und im Fall psychischer Gewalt 83 % von psychischen Symptomen. Die psychischen Folgen haben ebenso vielfältige Erscheinungsformen wie die körperlichen Auswirkungen der Gewalt (s. Abb. I 1.1). In der Repräsentativerhebung nennen die befragten Frauen am häufigsten „dauerndes Grübeln“ und „vermindertes Selbstwertgefühl.“ Im Fall körperlicher und psychischer Gewalt stehen zudem „Ärger und Rachegefühle“ im Vordergrund, während bei sexueller Gewalt „Scham- und Schuldgefühle“ eine größere Rolle spielen (Schröttle/Müller 2004: 142). Daneben treten je nach Form der Gewalt bei jeder dritten bis vierten betroffenen Frau Schlafstörungen, Alpträume und Angstgefühle auf. Langfristige psychosoziale Auswirkungen, wie beispielsweise Trennung vom Partner, Umzug oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes, werden von rund 30 % der gewaltbetroffenen Frauen genannt. Breiter Konsens unter Expert(inn)en besteht dahingehend, dass Opfer von Gewalt überdurchschnittlich häufig unter bestimmten Beschwerdebildern leiden. Hierbei handelt es sich vor allem um posttraumatische Belastungsstörungen, Beziehungs- und Sexualstörungen, Depression und Suizidalität, Suchtverhalten und Suchtgefährdung, chronische Schmerzen sowie das Stockholmsyndrom (Hagemann-White/Bohne 2003). Die Behandlung dieser Störungen erfordert eine adäquate Therapie. Folgen häuslicher Gewalt und Nachstellungen für die Kinder der Betroffenen Wie die ifb-Opferbefragung zeigt, berichten 93 % der Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking, dass die in ihrem Haushalt lebenden Kinder ebenfalls von der Gewalt der gewaltverübenden Person – in aller Regel dem aktuellen oder früheren Partner des Opfers und Vater des Kindes – betroffen waren (Limmer/Mengel 2005a: 237). Dabei geben die meisten Eltern an, dass ihre Kinder zu passiven Zeugen der Gewalt wurden, und rund zwei Drittel haben beobachtet, dass ihre Kinder psychischer Gewalt, wie z. B. Drohungen oder Beschimpfungen, ausgesetzt waren. 6 Breite Einigkeit in den Fachwissenschaften besteht dahingehend, dass sowohl Gewalterfahrungen am eigenen Leib als auch das Miterleben von Gewalt gegen einen Elternteil erhebliche negative Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche der kindlichen Entwicklung haben können (zusfd. s. Kindler 2002; Sellach 2000). 6 Unterschieden wurden folgende fünf Formen von Gewalt (in Klammern der prozentuale Anteil der jeweils davon betroffenen Kinder bezogen auf alle befragten Gewaltbetroffenen mit Kindern): Kinder wurden zu passiven Zeugen (85 %), Kinder versuchten das Opfer zu schützen (53 %), Kinder wurden Opfer körperlicher Gewalt (39 %), Kinder wurden Opfer psychischer Gewalt (64 %), Kinder wurden Opfer sexueller Gewalt (3 %). 13

I Kontext der Fachberatung Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die psychische Entwicklung von Kindern Kognitive Entwicklung Emotionale Entwicklung Auffälligkeiten im Verhalten Erhöhtes Risiko von Defiziten bei der Sprachentwicklung sowie von Lern- und Leistungsstörungen, Entwicklung starrer Vorstellungen über Gut und Böse, Entwicklung eines gestörten Körperschemas (Salzgeber/Stadler 2001; Kindler 2002). Tiefes Misstrauen in den eigenen Selbstwert und in die Vertrauenswürdigkeit und Schutzfunktion der Umwelt, Entwicklung von Bindungsstörungen (Salzgeber/Stadler; 2001). Die Kinder geben meist nicht den Eltern die Schuld für das Geschehene, sondern sich selbst, um die Eltern zu schützen und das Bild der guten Eltern zu wahren. Das eigene Selbstwertgefühl nimmt dabei immer weiter ab (Hagemann-White/Kavemann/Schirrmacher/Leopold 2002). Erhöhte Aggressivität, Ängste und Bedrohungsgefühle in der Interaktion mit Gleichaltrigen und Erwachsenen (Enzmann/Wetzels 2001; Kindler 2002). Bei Kindern, die massive Gewalt durch Eltern erlebt haben, wird gehäuft beobachtet (Salzgeber/Stadler 2001): Pathologisches Lügen oder Schutzbehauptungen, etwas nicht getan zu haben, ausgeprägte autodestruktive Tendenzen, Überangepasstheit (z. B. in Form übergroßer Sauberkeit, Ordnungsliebe oder Überfreundlichkeit), es werden keine Wünsche geäußert, im sozialen Verhalten werden Distanz- und Beziehungslosigkeit wie auch Bindungsstörungen auffällig (die Kinder nehmen u. a. distanzlos Körperkontakt zu Fremden auf, es wird kein echtes Vertrauen in enge Beziehungen erkennbar). Abb. I 1.2: Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die psychische Entwicklung von Kindern · Quelle: Eigene Zusammenstellung. Neben den in Abb. I 1.2 zusammengestellten Auswirkungen auf die psychische Entwicklung werden erhebliche langfristige Folgen dieser schädlichen Erfahrungen beobachtet. So sind vor dem Hintergrund häufig auftretender Lern- und Leistungsstörungen die Bildungschancen und damit die künftigen Erwerbschancen der betroffenen Kinder deutlich beeinträchtigt (Kindler 2002). Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines problematischen Sozialverhaltens, von Delinquenz und aggressiver Verhaltensweisen in der Jugend (Enzmann/Wetzels 2001). Das Miterleben häuslicher Gewalt kann das Verhalten in künftigen eigenen Partnerschaften der Kinder negativ prägen (Salzgeber/Stadler 2001). Bei den Auswirkungen werden geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtet: Jungen neigen eher dazu, aggressive Verhaltensweisen zu übernehmen und sich mit dem Rollenmodell des gewaltverübenden Vaters zu identifizieren. Dagegen erfahren Mädchen, die bei gewaltbetroffenen Müttern aufwachsen, in ihren eigenen späteren Partnerschaften doppelt so häufig Gewalt wie Mädchen, deren Mütter nicht von Gewalt betroffen waren. Waren die Mädchen auch direkt von der Gewalt betroffen, ist das Risiko, später einmal selbst Opfer von Beziehungsgewalt zu werden, dreimal so hoch (Heiliger et al. 2005: 630). 1.3 Gesellschaftliche Folgekosten Individuelle Folgen von häuslicher Gewalt und Stalking, wie persönliches Leid, Schmerz, Beeinträchtigung der Lebensfreude oder Veränderung von Lebensplänen, sind kaum zu messen. In den vergangenen Jahren wurde der Versuch unternommen, zumindest die gesellschaftlichen Folgekosten abzuschätzen. Diese entstehen insbesondere im Gesundheitsund Bildungssektor sowie im sozialen und juristischen Bereich. Daneben treten erhebliche volkswirtschaftliche Verluste aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Frühverrentung auf. Da direkte Kosten (z. B. für medizinische und psychosoziale Versorgung der Verletzten) und indirekte Kosten (z. B. ökonomische Verluste aufgrund von Fehlzeiten am 14

I <strong>Kontext</strong> der Fachberatung<br />

Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die psychische Entwicklung <strong>von</strong> Kindern<br />

Kognitive<br />

Entwicklung<br />

Emotionale<br />

Entwicklung<br />

Auffälligkeiten <strong>im</strong><br />

Verhalten<br />

Erhöhtes Risiko <strong>von</strong> Defiziten bei der Sprachentwicklung sowie <strong>von</strong> Lern- <strong>und</strong> Leistungsstörungen,<br />

Entwicklung starrer Vorstellungen über Gut <strong>und</strong> Böse, Entwicklung eines<br />

gestörten Körperschemas (Salzgeber/Stadler 2001; Kindler 2002).<br />

Tiefes Misstrauen in den eigenen Selbstwert <strong>und</strong> in die Vertrauenswürdigkeit <strong>und</strong><br />

Schutzfunktion der Umwelt, Entwicklung <strong>von</strong> Bindungsstörungen (Salzgeber/Stadler;<br />

2001). Die Kinder geben meist nicht den Eltern die Schuld für das Geschehene, sondern<br />

sich selbst, um die Eltern zu schützen <strong>und</strong> das Bild der guten Eltern zu wahren. Das eigene<br />

Selbstwertgefühl n<strong>im</strong>mt dabei <strong>im</strong>mer weiter ab (Hagemann-White/Kavemann/Schirrmacher/Leopold<br />

2002). Erhöhte Aggressivität, Ängste <strong>und</strong> Bedrohungsgefühle in der<br />

Interaktion mit Gleichaltrigen <strong>und</strong> Erwachsenen (Enzmann/Wetzels 2001; Kindler 2002).<br />

Bei Kindern, die massive Gewalt durch Eltern erlebt haben, wird gehäuft beobachtet<br />

(Salzgeber/Stadler 2001): Pathologisches Lügen oder Schutzbehauptungen, etwas nicht<br />

getan zu haben, ausgeprägte autodestruktive Tendenzen, Überangepasstheit (z. B. in<br />

Form übergroßer Sauberkeit, Ordnungsliebe oder Überfre<strong>und</strong>lichkeit), es werden keine<br />

Wünsche geäußert, <strong>im</strong> sozialen Verhalten werden Distanz- <strong>und</strong> Beziehungslosigkeit wie<br />

auch Bindungsstörungen auffällig (die Kinder nehmen u. a. distanzlos Körperkontakt zu<br />

Fremden auf, es wird kein echtes Vertrauen in enge Beziehungen erkennbar).<br />

Abb. I 1.2: Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die psychische Entwicklung <strong>von</strong> Kindern · Quelle: Eigene Zusammenstellung.<br />

Neben den in Abb. I 1.2 zusammengestellten Auswirkungen auf die psychische Entwicklung<br />

werden erhebliche langfristige Folgen dieser schädlichen Erfahrungen beobachtet. So sind<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> häufig auftretender Lern- <strong>und</strong> Leistungsstörungen die Bildungschancen<br />

<strong>und</strong> damit die künftigen Erwerbschancen der betroffenen Kinder deutlich beeinträchtigt<br />

(Kindler 2002). Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines problematischen<br />

Sozialverhaltens, <strong>von</strong> Delinquenz <strong>und</strong> aggressiver Verhaltensweisen in der Jugend<br />

(Enzmann/Wetzels 2001). Das Miterleben häuslicher Gewalt kann das Verhalten in künftigen<br />

eigenen Partnerschaften der Kinder negativ prägen (Salzgeber/Stadler 2001). Bei den Auswirkungen<br />

werden geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtet: Jungen neigen eher<br />

dazu, aggressive Verhaltensweisen zu übernehmen <strong>und</strong> sich mit dem Rollenmodell des gewaltverübenden<br />

Vaters zu identifizieren. Dagegen erfahren Mädchen, die bei gewaltbetroffenen<br />

Müttern aufwachsen, in ihren eigenen späteren Partnerschaften doppelt so häufig Gewalt<br />

wie Mädchen, deren Mütter nicht <strong>von</strong> Gewalt betroffen waren. Waren die Mädchen<br />

auch direkt <strong>von</strong> der Gewalt betroffen, ist das Risiko, später einmal selbst Opfer <strong>von</strong> Beziehungsgewalt<br />

zu werden, dre<strong>im</strong>al so hoch (Heiliger et al. 2005: 630).<br />

1.3 Gesellschaftliche Folgekosten<br />

Individuelle Folgen <strong>von</strong> häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Stalking, wie persönliches Leid, Schmerz,<br />

Beeinträchtigung der Lebensfreude oder Veränderung <strong>von</strong> Lebensplänen, sind kaum zu<br />

messen. In den vergangenen Jahren wurde der Versuch unternommen, zumindest die gesellschaftlichen<br />

Folgekosten abzuschätzen. Diese entstehen insbesondere <strong>im</strong> Ges<strong>und</strong>heits<strong>und</strong><br />

Bildungssektor sowie <strong>im</strong> sozialen <strong>und</strong> juristischen Bereich. Daneben treten erhebliche<br />

volkswirtschaftliche Verluste aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Frühverrentung<br />

auf. Da direkte Kosten (z. B. für medizinische <strong>und</strong> psychosoziale Versorgung der<br />

Verletzten) <strong>und</strong> indirekte Kosten (z. B. ökonomische Verluste aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> Fehlzeiten am<br />

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