Beratung und Kooperation im Kontext von häuslicher ... - ifb - Bayern

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21.12.2013 Aufrufe

I Kontext der Fachberatung I. Kontext der Fachberatung Wie verbreitet sind Erfahrungen häuslicher Gewalt und Nachstellungen und welche Auswirkungen haben entsprechende Erfahrungen für die Betroffenen sowie für unsere Gesellschaft (s. I Kap. 1)? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz der Betroffenen werden mit dem Gewaltschutzgesetz geschaffen (s. I Kap. 2)? Wie können Initiativen, die das Ziel haben, den Opferschutz vor Ort zu verbessern, erfolgreich gestaltet werden (s. I Kap. 3)? Und schließlich: Welche grundlegenden konzeptionellen Überlegungen sollten bei der Einrichtung von Fachberatungsstellen für Opfer häuslicher Gewalt und Nachstellungen diskutiert werden (s. I Kap. 4)? Diesen Fragestellungen, die für Vertreter(innen) aller Professionen, die sich im Feld häuslicher Gewalt und Nachstellungen engagieren, von Bedeutung sind, wird im vorliegenden ersten Teil der Handreichung nachgegangen. 1. Häusliche Gewalt und Nachstellungen: Die Situation der Opfer Zu häuslicher Gewalt und Nachstellungen liegen vielfältige Begriffsdefinitionen vor. Der Gesetzgeber entschied sich mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes bewusst für ein weit gefasstes Verständnis von Gewalt: Sowohl häusliche Gewalt als auch Stalking 3 umfassen alle Formen körperlicher Gewalt und deren Androhung sowie psychische Gewalt und Belästigungen. Darüber hinaus können bei häuslicher Gewalt auch die Bedrohung des Kindeswohls oder unzumutbare Zustände als Gewalt sanktioniert werden (für weitere Hinweise s. I Kap. 2.2.2). Die vorliegende Handreichung orientiert sich an dem inhaltlich weit gesteckten Gewaltverständnis des Gesetzgebers. In den folgenden Abschnitten wird zunächst auf die Bedeutung häuslicher Gewalt und Nachstellungen im Leben von Frauen und Männern eingegangen (s. I Kap. 1.1). Im Anschluss daran werden gesundheitliche und soziale Folgen der Gewalt für die Betroffenen und deren Kinder (s. I Kap. 1.2) sowie die gesellschaftlichen Folgekosten dargestellt (s. I Kap. 1.3). 1.1 Gewalterfahrungen im Leben von Frauen und Männern Eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Gewalt im sozialen Nahraum und Gewalt im Geschlechterverhältnis ließ in den westeuropäischen Gesellschaften lange auf sich warten – in Deutschland begann sie im ausgehenden 20. Jahrhundert. Erst das im Rahmen dieser Diskussion gewachsene Interesse machte es möglich, dass der Frage nach der tatsächlichen Verbreitung von Gewalterfahrungen im Leben von Frauen und Männern nachgegangen werden konnte. Nach einem kurzen Abriss über die Entstehung eines gesellschaftlichen Problembewusstseins in Deutschland seit den 1970er Jahren werden aktuelle Daten zur Prävalenz vorgestellt. Häusliche Gewalt und Stalking: Die Entwicklung eines gesellschaftlichen Problembewusstseins Gewalt gegen Frauen ist ein relevantes soziales Problem und die Familie ist der Ort, an dem Frauen und Mädchen am stärksten um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen – mit diesen und weiteren Thesen setzte die Frauenbewegung in den 1970er Jahren eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu häuslicher Gewalt und Nachstellungen in Gang. Flankierend zum politischen Engagement gründeten Mitstreiterinnen der Frauenbewegung die 3 Die Begriffe Stalking und Nachstellungen werden synonym verwendet. 9

I Kontext der Fachberatung ersten Zufluchtsstätten für gewaltbetroffene Frauen – eine Initiative, der die Entwicklung des gesamten heute bestehenden Spektrums an Hilfen für gewaltbetroffene Mädchen und Frauen zu verdanken ist (Brückner 1998). Trotz des Engagements der Frauenbewegung und erster wissenschaftlicher Belege wurde das Problem häuslicher Gewalt gegen Frauen in breiten Teilen der Öffentlichkeit bis weit in die 1980er Jahre marginalisiert. Einen Wendepunkt verorten Heiliger/Goldberg/Schröttle/Hermann (2005) mit dem Erscheinen eines Berichts der Gewaltkommission im Jahr 1990. Das von der damaligen Bundesregierung eingesetzte Gremium kam u. a. zu dem Schluss, dass Gewalt in der Familie die am weitesten verbreitete Form von Gewalt ist (Schwind/Baumann/Schneider/Winter 1990). In der Folge kam es zu einer vormals nie da gewesenen breiten Aufmerksamkeit für die Thematik: Es wurden unter anderem weiterführende Studien in Auftrag gegeben, Interventionsprogramme gefördert, Runde Tische zur Verbesserung der Versorgung von Opfern durch Kooperation aller mit dem Problem befassten Akteure eingerichtet und Aufklärungskampagnen durchgeführt. Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung wurde 1999/2000 eine weitere umfassende Initiative gestartet, um diese Form der Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen (BMFSFJ 1999). Ein zentraler Bestandteil des Plans war die Einführung des Gewaltschutzgesetzes und es wurde die erste repräsentative Erhebung zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in der Bundesrepublik Deutschland in Auftrag gegeben. In den vergangenen Jahren setzten sich in Deutschland Männerinitiativen mit Nachdruck dafür ein, den Blick auch für Gewalt gegen Männer (s. u. a. Lenz 2000) und für Frauen als Täterinnen zu öffnen (s. u. a. Lamnek/Boatcă 2003). Vor dem Hintergrund dieser Debatte und aktueller Forschungsbefunde aus anderen Ländern gab das Bundesfamilienministerium zeitgleich zur Repräsentativstudie zu Gewalt gegen Frauen eine Pilotstudie zu Gewalt gegen Männer in Auftrag. 4 Prävalenz von Gewalterfahrungen im Leben von Frauen und Männern Mit der Studie des Bundesfamilienministeriums, die von Schröttle und Müller (2004) ausgearbeitet wurde, liegen erstmals repräsentative Daten über Gewalt gegen Frauen in Deutschland vor. Die Frauen befanden sich im Alter zwischen 16 bis 85 Jahren und wurden zu möglichen Gewalterfahrungen seit ihrem 16. Lebensjahr befragt. Insgesamt haben 40 % der Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Bei der Analyse der Gewaltkontexte bestätigt sich die von der Frauenbewegung proklamierte These, dass der weitaus gefährlichste Ort für Frauen die Familie ist: Mehr als jede vierte Befragte berichtet von körperlicher und/oder sexueller Gewalt, die durch einen männlichen Beziehungspartner verübt wurde (BMFSFJ 2004). Darüber hinaus haben 42 % der Frauen psychische Gewalt, wie z. B. Demütigung, Verleumdung, Drohungen und Psychoterror, erfahren. Soweit diese Form der Gewalt erlebt wird, steht sie am häufigsten im Kontext von Arbeit, Schule und Ausbildung (65 %) und seltener im Kontext von Partnerschaft (30 %) und Familie (32 %) (Schröttle/Müller 2004: 109). 5 Was die Situation von Männern als Opfer von Gewalt betrifft, liegen für Deutschland erste vorläufige Ergebnisse der vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Pilotstudie vor (Forschungsverbund 2004). Die erbrachten Hinweise stimmen weitgehend mit aktuellen Studien zur Situation in anderen Ländern überein: Frauen erleben körperliche und sexuelle Gewalt primär im Kontext von Partnerschaft und Familie. Männer erfahren körperliche Gewalt sowohl innerhalb als auch außerhalb enger sozialer Beziehungen. Sexuelle Gewalt wird von Männern vergleichsweise selten berichtet. Im Hinblick auf körperliche Gewalt im Kontext heterosexueller Paarbeziehungen weisen die Daten darauf hin, dass ebenso viele Männer wie Frauen in ihrer Biographie Beziehungsgewalt erleben (für eine ausführliche 10 4 Ein Zugriff auf beide Studien ist möglich über www.bmfsfj.de vom 23.11.2005. 5 Für weitere Hinweise zur erfahrenen Gewalt und der Gewaltdynamik in Paarbeziehungen der betroffenen Frauen s. II Kap. 2.3.

I <strong>Kontext</strong> der Fachberatung<br />

I. <strong>Kontext</strong> der Fachberatung<br />

Wie verbreitet sind Erfahrungen häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen <strong>und</strong> welche Auswirkungen<br />

haben entsprechende Erfahrungen für die Betroffenen sowie für unsere Gesellschaft<br />

(s. I Kap. 1)? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz der Betroffenen werden<br />

mit dem Gewaltschutzgesetz geschaffen (s. I Kap. 2)? Wie können Initiativen, die das Ziel haben,<br />

den Opferschutz vor Ort zu verbessern, erfolgreich gestaltet werden (s. I Kap. 3)? Und<br />

schließlich: Welche gr<strong>und</strong>legenden konzeptionellen Überlegungen sollten bei der Einrichtung<br />

<strong>von</strong> Fachberatungsstellen für Opfer häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen diskutiert<br />

werden (s. I Kap. 4)? Diesen Fragestellungen, die für Vertreter(innen) aller Professionen, die<br />

sich <strong>im</strong> Feld häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen engagieren, <strong>von</strong> Bedeutung sind, wird<br />

<strong>im</strong> vorliegenden ersten Teil der Handreichung nachgegangen.<br />

1. Häusliche Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen:<br />

Die Situation der Opfer<br />

Zu häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen liegen vielfältige Begriffsdefinitionen vor. Der Gesetzgeber<br />

entschied sich mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes bewusst für ein weit<br />

gefasstes Verständnis <strong>von</strong> Gewalt: Sowohl häusliche Gewalt als auch Stalking 3 umfassen<br />

alle Formen körperlicher Gewalt <strong>und</strong> deren Androhung sowie psychische Gewalt <strong>und</strong> Belästigungen.<br />

Darüber hinaus können bei häuslicher Gewalt auch die Bedrohung des Kindeswohls<br />

oder unzumutbare Zustände als Gewalt sanktioniert werden (für weitere Hinweise<br />

s. I Kap. 2.2.2). Die vorliegende Handreichung orientiert sich an dem inhaltlich weit gesteckten<br />

Gewaltverständnis des Gesetzgebers.<br />

In den folgenden Abschnitten wird zunächst auf die Bedeutung häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen<br />

<strong>im</strong> Leben <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong> Männern eingegangen (s. I Kap. 1.1). Im Anschluss daran<br />

werden ges<strong>und</strong>heitliche <strong>und</strong> soziale Folgen der Gewalt für die Betroffenen <strong>und</strong> deren<br />

Kinder (s. I Kap. 1.2) sowie die gesellschaftlichen Folgekosten dargestellt (s. I Kap. 1.3).<br />

1.1 Gewalterfahrungen <strong>im</strong> Leben <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong> Männern<br />

Eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Gewalt <strong>im</strong> sozialen Nahraum <strong>und</strong> Gewalt<br />

<strong>im</strong> Geschlechterverhältnis ließ in den westeuropäischen Gesellschaften lange auf sich<br />

warten – in Deutschland begann sie <strong>im</strong> ausgehenden 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Erst das <strong>im</strong> Rahmen<br />

dieser Diskussion gewachsene Interesse machte es möglich, dass der Frage nach der tatsächlichen<br />

Verbreitung <strong>von</strong> Gewalterfahrungen <strong>im</strong> Leben <strong>von</strong> Frauen <strong>und</strong> Männern nachgegangen<br />

werden konnte. Nach einem kurzen Abriss über die Entstehung eines gesellschaftlichen<br />

Problembewusstseins in Deutschland seit den 1970er Jahren werden aktuelle Daten<br />

zur Prävalenz vorgestellt.<br />

Häusliche Gewalt <strong>und</strong> Stalking:<br />

Die Entwicklung eines gesellschaftlichen Problembewusstseins<br />

Gewalt gegen Frauen ist ein relevantes soziales Problem <strong>und</strong> die Familie ist der Ort, an dem<br />

Frauen <strong>und</strong> Mädchen am stärksten um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen –<br />

mit diesen <strong>und</strong> weiteren Thesen setzte die Frauenbewegung in den 1970er Jahren eine gesellschaftliche<br />

Auseinandersetzung zu häuslicher Gewalt <strong>und</strong> Nachstellungen in Gang. Flankierend<br />

zum politischen Engagement gründeten Mitstreiterinnen der Frauenbewegung die<br />

3 Die Begriffe Stalking <strong>und</strong> Nachstellungen werden synonym verwendet.<br />

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